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Spätestens seit dem siegreichen WM-Finale 2014, als er mit Platzwunde 120 Minuten durchspielte, ist Bastian Schweinsteiger eine Legende des deutschen Fußballs. Dieses Buch erzählt seine Geschichte: von seiner Jugend in Oberbayern über die großen Erfolge mit dem FC Bayern bis zum Wechsel in die MLS zu Chicago Fire. Dabei kommt auch die private Seite des Superstars nicht zu kurz, der an der Seite von Ex-Tennisstar Ana Ivanović sein persönliches Glück gefunden hat.
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Seitenzahl: 203
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
3., aktualisierte Auflage 2020
Copyright © 2018 Verlag Die Werkstatt GmbH
Siekerwall 21, 33602 Bielefeld
www.werkstatt-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten
Coverabbildung: Imago
Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH
ISBN 978-3-7307-0425-7
Inhaltsverzeichnis
Schweinsteiger in Zahlen
Vorwort
KAPITEL 1
Der Basti, der Ball und die Brettl
KAPITEL 2
Altarraum für den FußballgottEin Besuch in Oberaudorf
KAPITEL 3
„Ein Sinnbild des Deutschen aus Bayern“Edmund Stoiber über Schweinsteiger
KAPITEL 4
Aufs Gleis gesetztSchweinsteigers Weg durch die FC-Bayern-Jugend
KAPITEL 5
Kein Schiffbruch mit TigerHermann Gerland über den „Lausejungen“ Schweinsteiger
KAPITEL 6
„Kein Sensibelchen“Schweinsteigers Einstand als Profi
KAPITEL 7
„Ein Fuchs“Ottmar Hitzfeld über Bastian Schweinsteigers rasante Entwicklung
KAPITEL 8
Tobias SchweinsteigerDer große kleine Bruder
KAPITEL 9
Rüffel und RosenDie besondere Beziehung zwischen Schweinsteiger und Uli Hoeneß
KAPITEL 10
Schweini & Poldi
KAPITEL 11
Von Igeln und EisbärenSchweinsteigers Frisuren im Wandel
KAPITEL 12
„Cantona, Chefchen, Wettskandal“Schweinsteiger und die Medien
KAPITEL 13
Mittendrin statt außen vor(n)Jupp Heynckes und Louis van Gaal erfinden Schweinsteiger neu
KAPITEL 14
„Ein Spieler, den du lieben musst“Louis van Gaal über seine spezielle Beziehung zu Bastian Schweinsteiger
KAPITEL 15
Führungsspieler 2.0Schweinsteiger, Lahm und dieflache Hierarchie
KAPITEL 16
Jäger und SammlerTaktikexperte Tobias Escher über Schweinsteigers Rollenspiele
KAPITEL 17
Die Frauen an seiner Seite
KAPITEL 18
Vom Trauma zum TripleDie „Champions-Qualität“
KAPITEL 19
„Er brauchte die Fallhöhe“Lyriker Albert Ostermaier über Schweinsteigers Heldengeschichte
KAPITEL 20
Der Gladiator von Maracanã
KAPITEL 21
„Ein Stück bleibt zurück“Abschied aus der Nationalmannschaft
KAPITEL 22
„Lebenslang verbunden“Joachim Löw über Schweinsteiger in der Nationalmannschaft
KAPITEL 23
Die Marke Schweinsteiger
KAPITEL 24
„Ein Vorbild“Interview mit Marcel Reif
KAPITEL 25
Große Liebe, große EnttäuschungSchweinsteiger s 20 Monate bei Manchester United
KAPITEL 26
Shut up and play football!Interview mit Raphael Honigstein
KAPITEL 27
Spätes FeuerChicago und das Goodbye
KAPITEL 28
„Danke, Bastian!“Schweinsteiger und seine Fans
ANHANG
Statistik
Bibliografie
Danksagung
Der Autor
Wenn morgen die Welt untergeht, möchte ich noch mal …
„… mit Freunden kicken gehen.“
Wer oder was wären Sie gerne im nächsten Leben?
„Wieder Fußballer.“
Bastian Schweinsteiger im Kicker-Fragebogen 2002
Schweinsteiger in Zahlen
0-mal hat Schweinsteiger sämtliche Bundesliga-Spiele einer Saison absolviert. Am häufigsten war er in der Saison 2009/10 im Einsatz, als er nur ein Spiel verpasste – aufgrund einer Gelbsperre.
1 glatte Rote Karte hat Schweinsteiger in seiner bisherigen Profikarriere kassiert. Im Trikot der Nationalmannschaft flog er nach einem Frust-Schubser gegen den Kroaten Jerko Leko 2008 beim zweiten EM-Gruppenspiel in Klagenfurt vom Platz.
2,68 Punkte holte der FC Bayern mit Schweinsteiger im Schnitt in der Saison 2013/14. Mit sieben Treffern war es auch Schweinsteigers torreichste Saison. Unter zwei Punkten im Schnitt (1,94) blieb er nur in der Saison 2010/11, als sich Borussia Dortmund überlegen den Meistertitel sicherte.
8 Meisterschaften gewann Schweinsteiger mit dem FC Bayern, 7-mal stemmte er den DFB-Pokal – nationaler Rekord.
9 Elfmeter hat Schweinsteiger für den FC Bayern und die Nationalmannschaft verwandelt, zweimal scheiterte er vom Punkt: 2010 beim 3:3 im Ligaspiel bei Borussia Mönchengladbach, 2015 beim 7:0 in der EM-Qualifikation in Gibraltar. Im Elfmeterschießen ist Schweinsteigers Bilanz negativ: Er traf für Bayern 2012 im Champions-League-Halbfinale bei Real Madrid, verschoss im Finale gegen Chelsea und bei der EM 2016 im Viertelfinale gegen Italien.
20 Siege hat Schweinsteiger wettbewerbsübergreifend gegen den VfB Stuttgart geholt. Damit sind die Schwaben sein Lieblingsgegner vor dem VfL Wolfsburg (17 Siege). Die meisten Niederlagen musste Schweinsteiger gegen Borussia Dortmund einstecken. Neunmal hatte der BVB in den Duellen die Nase vorn, elfmal jubelte Schweinsteiger. Die meisten Tore (sieben) schoss er gegen Werder Bremen.
38 Spiele bestritt Schweinsteiger bei seinen drei Welt- und vier Europameisterschaften. Damit ist er internationaler Rekordhalter. Miroslav Klose kommt auf 37 Spiele. 36-mal liefen Lothar Matthäus und der Italiener Paolo Maldini auf, Philipp Lahm kommt auf 34 Einsätze.
44,5 Schweinsteigers Schuhgröße
45 Bundesliga-Tore hat Schweinsteiger in seinen 342 Spielen erzielt.
68-mal hat Schweinsteiger wettbewerbsübergreifend für die Bayern-Profis getroffen. In der ewigen Klubrangliste liegt er damit aktuell auf Platz 23 zwischen Alexander Zickler (70) und Michael Rummenigge (66). Unangefochten an der Spitze: Gerd Müller mit 508 Toren in 565 Spielen.
120 Vereinsspiele absolvierte Schweinsteiger unter Trainer Louis van Gaal, davon 31 für Manchester United. Beim FC Bayern kam Schweinsteiger am häufigsten bei Felix Magath zum Einsatz (109), einmal mehr als unter Ottmar Hitzfeld.
134 Minuten durfte Schweinsteiger in Manchester unter Trainer José Mourinho spielen. Vier Einsätze gönnte ihm der Portugiese, keinen einzigen in der Premier League.
420 PS hatte Schweinsteigers 104.000 Euro teurer Audi R8 Spyder, den er 2007 fuhr. Über die Diskussionen sagte er in einem Interview mit der Welt: „Der Punkt ist doch der, dass der Neidfaktor in Deutschland sehr groß ist. Vor kurzem hat man sich in München darüber echauffiert, dass ich mit einem weißen Audi-Coupé zum Training gefahren bin. Wissen Sie, welches das billigste Auto an der Säbener Straße ist? Richtig – meins!“
480 Einzelmatches hat Schweinsteigers Frau Ana Ivanović in ihrer Tennis-Profikarriere gewonnen, 225-mal musste sie der Siegerin gratulieren. Ihr größter Erfolg: der Titel bei den French Open 2008.
500 Spiele hat Schweinsteiger für die Bayern-Profis bestritten. Damit liegt er aktuell auf Rang neun. Spitzenreiter ist Oliver Kahn mit 632 Einsätzen vor Sepp Maier (629).
729 Kilometer Luftlinie trennen Schweinsteigers Geburtsort Kolbermoor von dem seiner Frau (Belgrad), die Fahrstrecke beträgt 887 Kilometer.
1.193 Tage ist Schweinsteiger älter als seine Ana.
25.253 Minuten stand Schweinsteiger in der Bundesliga für den FC Bayern auf dem Platz. Dazu kommen 7.117 Minuten in der Champions League, 6.694 Minuten davon für Bayern, 423 Minuten für Manchester United.
VORWORT
Jupp Heynckes nennt ihn in einem Atemzug mit Franz Beckenbauer und Gerd Müller, Joachim Löw preist ihn als großen Strategen und Anführer. Und Philosoph Gunter Gebauer nimmt gar das Wort „Mythos“ in den Mund, wenn die Rede auf Bastian Schweinsteiger kommt. „Er gehört zu den ganz großen deutschen Spielern“, sagt der Berliner Professor, „weil zu seinen außerordentlichen fußballerischen Fähigkeiten noch einiges mehr dazukommt: sein Charakter, sein Wille, seine Beharrlichkeit und seine Fähigkeit, eine Mannschaft als Vorbild zu führen. Diese Kombination, gekrönt durch die Erfolge mit dem FC Bayern und der Nationalmannschaft, machen Schweinsteiger zu einem Sporthelden der Moderne.“
Weltmeister, Champions-League-Sieger, achtfacher Deutscher Meister – so wie der „Kaiser“ und der „Bomber der Nation“ in den 1970er Jahren eine Glanzzeit des FC Bayern und der deutschen Nationalmannschaft prägten, so ist im neuen Jahrhundert von der Generation Schweinsteiger die Rede, wenn es um die Neuausrichtung des FC Bayern und die Renaissance des deutschen Fußballs geht. Vom technisch und taktisch abgehängten Gerumpel der späten 1990er und frühen 2000er Jahre hin zu einer fußballerischen Souveränität und Brillanz, die der DFB-Auswahl niemand mehr ernsthaft zugetraut hatte – das Stehaufmännchen Schweinsteiger (und sein geradliniger Kompagnon Philipp Lahm) sind die Gesichter eines sportlichen Kulturwandels.
Dieses Buch erzählt, redaktionell unabhängig, die Geschichte des Lust- und Willensfußballers Bastian Schweinsteiger. Seine verheißungsvollen Anfänge in Oberaudorf und Rosenheim werden ebenso beleuchtet wie die Jahre in der Ausbildung beim FC Bayern, wo Trainer wie Stephan Beckenbauer und Hermann Gerland das ehrgeizige Talent formten und auf die Startrampe zu einer Weltkarriere setzten. Als „Fußballgott“ der Bayern-Fans hat Schweinsteiger nicht nur das sprichwörtliche Selbstbewusstsein des nationalen Branchenführers verkörpert, sondern auch dessen Hang zu epischen Niederlagen und eindrucksvollen Auferstehungen, verdichtet in den zwölf Monaten vom „Drama dahoam“ zum historischen Triple. Auch die private Seite des Medienstars und Jungvaters Schweinsteiger kommt in diesem Buch nicht zu kurz.
Als reine Retrospektive sind die 28 Kapitel freilich nicht gedacht. Bei der Konzeption ging es vielmehr darum, sich dem Fußballer und Menschen Bastian Schweinsteiger aus unterschiedlichen Perspektiven zu nähern, um ein möglichst facettenreiches Bild zeichnen zu können. Fußballtaktik, Ökonomie, Fanverehrung, das mitunter schwierige Verhältnis zur Presse – ohne das Mitwirken zahlreicher Beobachter und Wegbegleiter Schweinsteigers wäre das Projekt nicht umsetzbar gewesen.
Im Vorgriff ein Zitat von Marcel Reif aus unserem Interview im hinteren Teil des Buches, das viel aussagt über den Typen Schweinsteiger und seine Heldenreise durch die Fußballwelten: „Er ist mannhaft mit Niederlagen umgegangen, er war kein Jammerlappen. Wenn ich da nur an dieses Finale gegen Chelsea denke. Da war Trauer, Leere nach dem verschossenen Elfmeter. Aber dann hat er sich umgedreht und gesagt: Das kriegen wir wieder hin. Das ist beispielgebend, das ist ein Role Model. Das kannst du jungen Menschen vorführen. Die sollen sich das anschauen, daraus können sie was lernen.“
KAPITEL 1
Der Basti, der Ball und die Brettl
Schweinsteiger. Für fremdländische Zungen ist dieser Name eine kaum zu bewältigende Herausforderung. „Esweinsteiger“ behilft sich die spanischsprachige Welt, Brasiliens Fußballikone Pelé vermutete einst einen US-amerikanischen Whiskey („Swine’s Tiger“) dahinter. Den Vogel schoss jedoch Frankreichs heutiger Weltmeistertrainer Didier Deschamps ab. Vor dem Champions-League-Viertelfinale 2012 warnte der damalige Coach von Olympique Marseille vor drei gefährlichen Bayern-Spielern: „Sie haben Lahm, Boateng und Scheissneigère …“ Wenige Tage danach folgte die Entschuldigung: „Ich habe nie Deutsch gelernt, solche Fehler können passieren …“
Im oberen Inntal ist Schweinsteiger kein ungewöhnlicher Name. Dies- und jenseits der Grenze finden sich mehr als drei Dutzend Schweinsteigers in den digitalen Telefonbüchern, darunter – wenig überraschend – kein Alfred und keine Monika in Oberaudorf, auch kein Tobias in Rosenheim. Und drüben in Chicago am Michigansee sind die Festnetzanschlüsse sowieso stark rückläufig.
Die Schweinsteiger-Familie, um die es hier geht, wächst am 1. August 1984, einem Mittwoch, von drei auf vier Mitglieder. Knapp zweieinhalb Jahre nach Tobias kommt in Kolbermoor bei Rosenheim der zweite Sohn Bastian im Sternzeichen des Löwen zur Welt. Dass just an diesem Tag die Anschnallpflicht in der Bundesrepublik eingeführt wird (40 DM bei Zuwiderhandeln), sollte dabei ebenso wenig als Omen verstanden werden wie die aktuelle Nummer eins der Single-Charts, „Two Tribes“ von Frankie Goes To Hollywood. Schließlich ist der FC Bayern von derlei Zuständen damals noch ein gutes Jahrzehnt entfernt.
Eine halbe Autostunde von Kolbermoor die A93 hinunter, in der Siedlung Erlenau, haben die Schweinsteigers ihr Haus. Vater Alfred, der „Schweini Fred“, der im Rosenheimer Sporthaus von Reinhard Güthlein, dem ehemaligen Ehemann der Skifahrerin Christa Kinshofer, Einzelhandelskaufmann gelernt hat, kümmert sich Anfang der 1980er Jahre um sein expandierendes Sportgeschäft. Sein Bruder, der „Schweini Hans“, bewirtschaftet als gelernter Koch bis heute das Schullandheim Schauerhaus, das er 1986 von den Eltern übernommen hat.
Wer wie Bastian in die Berge hineingeboren wird, den vom Vater betriebenen, heute nicht mehr existenten Trißl-Skilift vor der jungen Nase und die Brettl anschnallbereit im Laden, ja wie soll so einer nicht Skifahrer werden? Kaum den Windeln entwachsen, zischt der kleinste Schweinsteiger die Abhänge vor der Haustür hinunter, dass dem Garhammer Franz, Bastians späterem Fußballtrainer in Rosenheim, heute noch ganz anders wird, wenn er daran zurückdenkt.
„Im Winter ist der Basti direkt nach dem Kindergarten rüber zum Lift gesaust und bis ganz nach oben hinaufgefahren“, erzählt Garhammer, Jahrgang 1959, ein Großcousin des Trickski-Pioniers Fuzzy Garhammer. „Da, wo die Großen kaum mit dem Abschwingen nachgekommen sind, ist der kloane Schoaß im Schuss runterg’fetzt. Ich bin jetzt auch kein schlechter Skifahrer, aber wenn ich so gefahren wäre, dann hätt’ ich mir sämtliche Gräten gebrochen.“
Niemand in der Gegend ist überrascht, dass sich nach Tobias auch der kleine Bruder als veritable Pistensau entpuppt. Bastian hat nicht nur das Talent seines Vaters geerbt, dessen Aufstieg in den Riesenslalom- und Abfahrts-A-Kader des Deutschen Skiverbandes jäh von einer Knieverletzung gestoppt wurde, er scheißt sich auch nix, wie man auf gut Bairisch sagt. Zusammen mit dem erblich vorbelasteten Felix Neureuther aus Partenkirchen ist Basti stets der Beste seines Jahrgangs, die Freunde stacheln sich gegenseitig an. Und wenn es sich irgendwie ausgeht, gibt’s nach den Rennen bei Felix’ Mutter Rosi Mittermaier die heißgeliebten Germknödel mit Vanillesoße und ein bissl Mohn drauf, von denen Schweinsteiger bis heute schwärmt.
Garhammer ist sich sicher: Basti wäre Deutschlands Skifahrer Nummer eins geworden, wenn er sich mit 14 Jahren nicht für die Fußballkarriere entschieden hätte. „Für manche Zeiten vom Felix musste er nicht einmal den Rennanzug anziehen“, sagt der Trainer. „Das war ein sportlicher Alleskönner. Skifahren, Hockey, Basketball, Tennis, Fußball, Golf – es gab nichts, was der Kerl nicht beherrscht hat.“
Brettl und Bälle sind Bastians treue Begleiter. „Wer laufen konnte, hat vom Dad einen Ball an die Füße gekriegt“, erinnert sich Tobias im Tagesspiegel. Und der Dad selbst wird Jahre später im Focus analysieren: „Beim Tennis hat er [der Bastian] sein Ballgefühl verbessert, beim Skifahren die Koordination, beim Golfen seine mentale Stärke.“
Die Straße vor dem Elternhaus wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Hockeyfeld umfunktioniert. „Nach der Schule und dem Mittagessen habe ich Hausaufgaben gemacht und dann hieß es: ‚Mama, Mama, lass mich raus‘“, erinnert sich Bastian in der SZ an diese Zeit. Sämtliche Nachbarskinder sind dabei, wenn Tobi und sein kleiner Bruder die Tore aufstellen. „Wir haben dann auch Linien auf die Straße gezeichnet, als Spielfeld. Nicht mit Kreide, sondern mit einem Spray, damit es nicht abgeht. Das waren die Grundlinien und der Schusskreis. Wir haben ja auch Rollerhockey gespielt, und da durfte der Torwart nicht aus dem Kreis raus.“
„Was hab ich mit meinem Postauto warten müssen“, erzählt Briefträger und Schweinsteiger-Familienfreund Hermann Völkl schmunzelnd beim Treffen im Sportgeschäft. „Ab und zu haben sie auch ein Tennisnetz über die Straße gespannt, da hat’s dann noch ein bissl länger gedauert, bis alles weggeräumt war.“
Doch der Hauptsport ist der Fußball. Wenn nicht gerade Training beim FV Oberaudorf ist, rollt die Kugel keine hundert Meter vom Elternhaus entfernt auf einer bis heute unbebauten Wiese. Mit tatkräftiger Unterstützung des Vaters haben die jungen Schweinsteiger-Buben dort einen sehr brauchbaren Bolzplatz angelegt – hier ein rot angestrichenes Holztor für Bayern-Fan Basti, dort ein blaues für den Tobi, der es wie Mama Monika eher mit den Münchner Löwen hält. Auch Flutlicht gibts. Den Masten leihen sich die Brüder kurzerhand vom Skilift. Wer ko, der ko.
Schon im Alter von knapp vier Jahren beginnt Bastian, im Verein zu spielen, seine erste fußballerische Heimat ist der FV Oberaudorf. Der kleine Schweinsteiger darf bei den um zwei Jahre Älteren mitkicken, zur F-Jugend-Meisterschaft 1989/90 steuert er imposante 45 Tore bei (Gesamt-Torverhältnis 113:3). Neue Herausforderungen bietet der höherklassige TSV 1860 Rosenheim. Dort ist Schweinsteigers Trainer der erwähnte Franz Garhammer – und der kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, als er sieht, welches Talent sich ihm hier offenbart: „Wir haben ab und zu mit einem Football-Ei gespielt im Training, und der Basti war der Einzige, der das Ding berechnen konnte. Das war phänomenal. So eine Begabung hatte ich bis dahin noch nicht gesehen. Und danach auch nicht mehr.“
Was den Jugendtrainer neben Schweinsteigers Technik und Spielverständnis am meisten begeistert, ist sein eiserner Wille. „Den hat er vom Vater mitbekommen“, ist Garhammer überzeugt. Der Fred habe bei seinen Stationen dies- und jenseits der deutsch-österreichischen Grenze zwar nie durch besondere Technik geglänzt, „aber er hat mit seiner Größe und Wucht als Vorstopper praktisch jeden Kopfball gewonnen. Und gelaufen ist er wie ein Narrischer.“ Als der FC Bayern Mitte der 1970er Jahre mal zu Gast in Rosenheim gewesen sei, erinnert sich Garhammer, da habe Franz Beckenbauer nach dem Spiel auf den Fred gedeutet und gefragt: „Was habt’s denn da für einen? Der läuft ja sogar durch eine Betonwand.“
„Halbgas“ habe es auch beim Basti nie gegeben. „Der ist im Training auf dem Ascheplatz reingegangen wie im Spiel.“ Mit sichtbaren Folgen: „Aufgeschürft war er die ganzen Arschbacken rauf, und aus den Knien hab ich ihm mit der Pinzette den Dreck gezogen. Aber eine lange Hose wollte er ums Verrecken nicht drunterziehen“, erzählt Garhammer. Immerhin fruchtet der Rat von Mama Monika, doch wenigstens die Stutzen über die Knie zu ziehen. Jahre später wird Hermann Gerland den Kopf über Schweinsteigers „Strapse“ schütteln.
Während Bastian bei Äußerlichkeiten früh eine gewisse Beratungsresistenz erkennen lässt, sind seine Ohren für fußballtaktische Dinge sperrangelweit offen: „Was du ihm in der Besprechung gesagt hast, hat er auf dem Platz eins zu eins umgesetzt“, erzählt Garhammer stolz. „Er war bei mir meistens der Sechser und hat den Spielmacher der anderen ausgeschaltet. Dazu hat er noch das eigene Spiel aufgebaut und jeden Ball gefordert. Aber egoistisch war er nie.“ Ganz im Gegenteil: Stets habe Schweinsteiger geschaut, seine Mitspieler bestmöglich in Szene zu setzen. „Zur Not hätte er auch noch auf der Torlinie rübergespielt, wenn einer besser gestanden wäre“, sagt Garhammer. „Das war einfach drin in ihm, dieses Mannschaftsdienliche.“
Aus Überlegenheit folgt keine Überheblichkeit. „Dass er besser war als die meisten anderen, hat der Basti nie raushängen lassen. Er war der Selbstkritischste von allen“, erinnert sich Garhammer. „Die einzige Saisonniederlage in der D-Jugend gegen den ESV Rosenheim hat er sich so zu Herzen genommen, das war schon fast wieder lustig. Am nächsten Wochenende haben wir gegen Prien 10:1 gewonnen, und er fragt: ‚Hab ich schon einigermaßen gut gespielt, Trainer?‘ Ja freilich, da musst du dir keine Gedanken machen, hab ich geantwortet – und innerlich gelacht. Ich war schon ein Strenger damals, aber dem Basti hab ich immer über den Kopf streicheln müssen, wenn er so geschaut hat. Er konnte ein Hundling sein, aber beim Spiel war auf ihn zu tausend Prozent Verlass.“
Von den älteren Spielern wird der kleine Schweinsteiger nicht nur akzeptiert, sondern geradezu hofiert. Florian Heller beispielsweise und Leo Haas, beide später Profis bei Klubs wie Ingolstadt und Augsburg, hätten früh gewusst, was sie an Bastian haben, sagt Garhammer. „Den Respekt hat er sich mit seiner energischen Art verdient. Er hat immer angeschoben. Und mit seiner Besessenheit vom Gewinnen hat er auch die Älteren mitgerissen.“
In der U13 gelingt den Rosenheimer Sechzigern eine kleine Sensation: ein Sieg gegen den FC Bayern, der in dieser Altersklasse seit zwölf Jahren ungeschlagen ist. Schweinsteiger spielt gegen den Besten der Münchner, einen gewissen Thomas Hitzlsperger. „Der hatte damals schon einen Mordsschuss, vor dem sich alle gefürchtet haben“, erzählt Garhammer. „Aber gegen den Basti ist er im ganzen Spiel zu keinem einzigen Abschluss gekommen.“
Schweinsteigers Führungsqualitäten sind schon seit dem ersten Tag in Rosenheim zu erkennen. Garhammers Lieblingsanekdote spielt im Vereinsheim. „Nach dem ersten Training mit der D-Jugend sind damals alle Spieler durch die volle Wirtschaft ins Besprechungs-Kammerl gerannt. Grußlos. Ich war so zornig, dass ich sie alle wieder rausgeschickt hab, weil das eine Frage des Anstands gegenüber den Gästen und der Wirtin ist. Durch den Türspalt habe ich gesehen, dass sie den Basti, den Kleinsten, nach vorne geschickt haben. Ganz aufrecht und mit fester Stimme ist er überall hingegangen: ‚Griaß eich beinand, griaß eich!‘“ Dieter Brenninger, der ehemalige Spieler des FC Bayern, sei am Stammtisch „fast erstickt vor Lachen“, erzählt Garhammer. „Das war bühnenreif. Wenn es damals schon ein Handy gegeben hätte, der Film wäre eine Sensation.“
Dass sich Schweinsteiger, der hochtalentierte Slalom- und Riesenslalomfahrer nach einigem Hin und Her für den Fußball entscheidet – auch daran dürfte Garhammer seinen Anteil gehabt haben. Als er Tobias bei einem Spiel auf die Bank setzt und nur den Kleinen spielen lässt, klingelt beim Trainer spätabends das Telefon: Schweinsteiger senior ist am Apparat – und außer sich vor Wut! „Der Fred hat mir angedroht, dass er den Basti für immer zum Skifahren abziehen würde, falls ich die beiden nicht gleich oft spielen lasse“, erzählt Garhammer. Gute vier Stunden dauert das Gespräch, bis der ehrgeizige Vater um zwei Uhr früh einlenkt. „Ich hab ihm gesagt: ‚Wenn du aus dem Basti einen Skifahrer machen willst, bitt’schön, dein Bub. Aber dann verdient er halt bloß 10.000 DM im Jahr statt einer Million als Fußballer.‘ Vielleicht hat das den Fred zum Nachdenken gebracht.“ Vielleicht. Bastian hat die oft gestellte Ski-oder-Fußball-Frage stets mit einem Augenzwinkern beantwortet. Beispielsweise in der Münchner Abendzeitung: „Es gab immer Germknödel und Kaiserschmarrn, das war schön, aber es war immer so kalt, und die Skier waren so schwer zu schleppen. Und so früh aufstehen muss man beim Fußball auch nicht.“
Das letzte Ski-Duell gegen Spezl Neureuther steigt 1997 in Brixen, Südtirol, unter der Schirmherrschaft von Slalom-Legende Alberto Tomba. Schweinsteiger gewinnt das teilnehmerstärkste Kinderrennen der Welt. Und Felix, 1,9 Sekunden zurück, muss sich die Geschichte bis heute anhören. „Da hat sein Papa, der Fred, sicher Wunderwachs ausgepackt“, erzählt er schmunzelnd. „Und mein Vater hat mir noch schön Honig auf den Ski geschmiert, dass ich ja nicht zu schnell bin, damit der Herr Schweinsteiger auch mal ein Rennen gewinnen darf. Sein Glück war, dass wir danach nicht mehr gegeneinander gefahren sind.“
Die Fans hätten eine Revanche sicher liebend gerne gesehen. Nach einer verlorenen TV-Wette im März 2015 verspricht Schweinsteiger, im Parallelslalom am Gudiberg in Garmisch-Partenkirchen gegen Neureuther zum Freundschaftskampf anzutreten – umgesetzt worden ist das Ganze bis heute nicht. Dafür haben sich die beiden in einem 2017 erschienenen Kinderbuch verewigt. Auf die Piste – fertig – los! nennt sich das Werk. Es geht um einen Wettkampf zwischen Ski-Fuchs Ixi und Fußball-Husky Basti und soll Kinder zum Sporttreiben animieren. Kein Spoiler an dieser Stelle, nur die Moral von der Geschicht: Freundschaft ist wichtiger als Siegen. Und Bewegung durch nichts zu ersetzen. Fast schon kitschig, dass sowohl Neureuther als auch Schweinsteiger ihre Profikarrieren 2019 beenden und ins Fach der TV-Experten wechseln. Ein Parallelslalom der anderen Art.
KAPITEL 2
Altarraum für den Fußballgott
Ein Besuch in Oberaudorf
Man nehme die Füße von Bastian Schweinsteiger und Skisprung-Olympiasieger Marinus Kraus, dazu die Hände von Edmund Stoiber … Was klingen mag wie die Bastelanleitung für einen oberbayerischen Sportpolit-Wolpertinger, ist der von der Gemeindeverwaltung so getaufte „Oberaudorfer Walk of Fame“. Vor dem schmucklosen Rathaus haben die drei berühmtesten Söhne des Ski- und Luftkurortes an der A93 ihre tiefen und dauerhaften Eindrücke hinterlassen – gegossen in Bronzeplatten, deren Abstand auch für einen professionellen Dreispringer eine Herausforderung darstellen würde. Sechs handelsübliche Pflastersteine sind es von Schweinsteigers Spuren bis zum Krausschen Fußabdruck. Zwischen Skispringer und Landesvater a.D. liegen noch mal elf optimistisch verlegte Platten. Kein Zweifel, Oberaudorf ist gewappnet für prominenten Nachschub.
Der Verkehr ist beachtlich an diesem winterlichen Nachmittag Ende 2017 in der 5.000-Einwohner-Gemeinde. Das gefühlte Unentschieden zwischen Rosenheimer und Kufsteiner Autokennzeichen zeugt von der unmittelbaren Grenznähe zu Tirol, entsprechende Betriebsamkeit herrscht an der Großtankstelle auf der steuerlich begünstigten Seite jenseits der Innbrücke. Tanktourismus heißt das Stichwort. In Oberaudorf selbst hält sich nur noch eine Zapfstelle über Wasser, vornehmlich aus Gründen der Solidarität. Polizei, Feuerwehr und die Gemeindebediensteten holen sich ihren Sprit weiterhin vor Ort, die angegliederte Werkstatt trägt ihren Teil zum Fortbestand bei.
Wer sich einen Eindruck von den Wechselwirkungen zwischen Autoverkehr und Landschaft machen will, der ist in Oberaudorf nicht an der schlechtesten Adresse. Die 2017 fertiggestellte Lärmschutzwand zur Autobahn ist weithin sichtbar, vom doppelgaragigen Reihenhaus der Schweinsteigers aus blickt man direkt auf das hölzerne Bauwerk. Der Zweck heilige die Anmutung, heißt es auf Nachfrage im Rathaus. Lärm- und Feinstaubbelastung hätten seit der Errichtung jedenfalls stark abgenommen.
Bis zum Klubgelände des FV Oberaudorf sind es von hier in der Sonneckstraße nur ein paar hundert Meter. Bastian und sein großer Bruder Tobias dürften die Strecke als Buben in kaum zwei Fahrradminuten bewältigt haben: die Kaiserstraße raufgesaust, ein kurzes Stück auf der Tiroler Straße und dann scharf links rein in die Sportplatzstraße. Dort erwarten den Besucher hinter der Tenniswelt Wilder Kaiser Dutzende Birken, Buchen, Fichten und ein zweckmäßiges Vereinsheim mit obligatorischem Pay-TV-Abonnementsschild. Burgberg und Florianiberg erheben sich im Osten, im Westen grüßen aus der Ferne die Gipfelvorboten Tirols. Viel malerischer kann ein Fußballplatz nicht liegen.
Rund um das Kirchlein Zu Unserer Lieben Frau in Rufweite zum Rathausplatz knirscht der Kies unter den Sohlen. Wer vom Friedhof durch die schwere Metalltür in den barockisierten Bau tritt, lässt den Strukturwandel hinter sich. Zu erwerben gibt’s freilich auch hier was. Terminpläne und Ansichtskarten für 60 Cent liegen auf halber Strecke zum Altarraum auf dem Verkaufsregal, links daneben die Münchner Kirchenzeitung und der Altöttinger Liebfrauenbote für 1,35 Euro.
Vom Gotteshaus zum Fußballgott führt beinahe schnurstracks die Rosenheimer Straße. Zur Linken lockt das Gasthaus Alpenrose mit seiner auf die Wand gepinselten Weisheit: „Hätt Adam Wein & Auer’s Bier besessen, hätt er den Apfel nicht gegessen.“ Rechts wartet das Hotel Lambacher Garni samt integriertem Pils-Pub auf trockene Kehlen. Weiter geht’s an der Raiffeisenbank und Allianz-Zweigstelle vorbei, am Blumen Hauser und der Parfümerie Bayerschmidt, dann lächelt er einem schon entgegen, der Schweini. Und das nicht nur einmal.