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Der junge Jonas und sein Großvater, ein Armeeveteran, debattieren über Zweck und Unsinn unserer heutigen ›Verteidigungspolitik‹. Dieses Gespräch zwischen den Generationen erweist sich als ein Nachdenken über die Friedensfähigkeit unserer Gesellschaften.
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Seitenzahl: 75
Max Frisch
Schweiz ohne Armee?
Ein Palaver
Suhrkamp
Der Text erschien erstmals 1989 im Limmat Verlag Zürich. Unter dem Titel Jonas und sein Veteran wurde am 19. Oktober 1989 unter der Regie von Benno Besson im Schauspielhaus Zürich eine fürs Theater bearbeitete Fassung uraufgeführt.
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2023
Der vorliegende Text folgt der 2. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 1881.
© Limmat Verlag Zürich, 1989
Alle deutschsprachigen Rechte bei der Suhrkamp Verlag AG, Berlin
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Umschlag: hißmann, heilmann, hamburg
eISBN 978-3-518-78003-9
www.suhrkamp.de
Denis Diderot (1713-1784) Ulrich Bräker (1733-1798) in Dankbarkeit
Inhalt
Glossar
Der Friede widerspricht unserer Gesellschaft
Zu dieser Ausgabe
– Großvater, schläfst du schon?
– Nein.
– Ich habe eine Frage gestellt.
– Ich schaue in die Glut da ...
Der Enkel steht auf:
– Soll ich noch ein großes Scheit holen?
Der Alte nimmt einen Korkenzieher:
– Ich dachte, du machst einen Witz. Schweiz ohne Armee! Darüber gibt es nichts zu reden. Warum soll ausgerechnet die Schweiz keine Armee haben? Sie kostet Milliarden und Milliarden, aber das können wir uns leisten. Schließlich sind wir ein reiches Land.
– Es geht ja nicht ums Geld.
– Bist du sicher?
Der Alte entkorkt eine Flasche:
– Nimmst du auch einen Schluck?
– Gerne.
– Dann hol uns zwei Gläser.
Der Enkel bringt zwei Gläser:
– Mehr als hunderttausend Unterschriften haben sie gesammelt, das ist kein Witz, Großvater, und jetzt kommt es zu einer Volksabstimmung. Wie du weißt. Sogar das Parlament hat nicht dazu schweigen können.
Der Alte füllt die beiden Gläser:
– Was haben die denn gesagt?
– Es kommt nicht in Frage. Es geht nicht ohne Armee. Zur Verteidigung unsrer Neutralität und überhaupt. Gesamtverteidigung. Allerdings haben ein paar Außenseiter auch die Frage gestellt in aller Öffentlichkeit: Was vermag die Schweizer Armee?
– Du meinst: in einem Krieg?
– Klar.
– In einem zukünftigen Krieg?
– Ja.
– Und das weiß das Parlament?
– Die Armeespitzen wissen es.
Der Alte nimmt einen Schluck:
– Prost!
Danach hebt er sein Glas:
– Ein Jeninser ...
Der Enkel rührt sein Glas nicht an.
– Du bist immer noch Korporal?
– Jetzt drängen sie wieder. Es gehöre sich, schreibt der Major persönlich. Sobald ich mein Diplom habe, soll ich in die Aspiranten-Schule –
– Warum nicht?
– Zwecks Karriere, meinst du?
– Oder willst du auswandern?
Der Enkel nimmt einen Schluck.
– Wenn es zur Abschaffung der schweizerischen Armee kommt, so nicht durch eine Volksabstimmung, das kann ich dir sagen, Jonas, sondern durch einen Krieg.
Der Alte nimmt einen Schluck:
– Wie findest du diesen Wein?
Der Alte betrachtet die Etikette.
– Ich weiß nicht. Offen gestanden. Auch wenn ich einmal auswandere nach Amerika, eine Schweiz ohne Armee kann ich mir nicht vorstellen.
– Wer verlangt das denn von dir?
– Dürrenmatt kann es sich vorstellen.
– Dürrenmatt ist Visionär.
– Bichsel kann es sich nicht vorstellen.
– Peter ist Poet und einer, der in vielen Beizen hockt und mit den andern redet, auch zuhört. Der weiß, was die Bevölkerung seines Landes überhaupt nicht kümmert.
– Und du, Großvater?
– Sag nicht immer Großvater.
– Ich verstehe deine Logik nicht! Einerseits glaubst du auch nicht, daß die Armee unsere Bevölkerungschützen kann in einem zukünftigen Krieg, und das sagst du sogar öffentlich. Trotzdem bist du dafür, daß ich Leutnant werde, also daß wir eine Armee haben und rüsten und so weiter –
– Logik!
– Belehr mich.
– Die Volksabstimmung wird dich belehren.1
– Wuchtig, ja, ich weiß.
– Die Schweizer Armee gefährdet den Frieden nicht. Warum sollen wir keine deutschen Leopard-Panzer kaufen oder in Lizenz herstellen? Das schafft Arbeitsplätze. Das mußt du zugeben. Und warum nicht amerikanische Abfangjäger? Dafür darf ja unsere Industrie etwas anderes exportieren und das schafft nochmals Arbeitsplätze. Mußt du das nicht zugeben? Arbeitsplätze auch für Gastarbeiter. Ohne den Frieden zu gefährden, wie gesagt –
– Und ohne etwas für den Frieden zu tun.
– Ich will dir etwas sagen: Wenn es zu einem richtigen Frieden käme, das wäre eher wieder gefährlich. Warum brauchen wir den Kalten Krieg? Ein Verblassen der erprobten Feindbilder, wie das so ein richtiger Frieden langsam mit sich brächte, das könnte die Bewilligung der Rüstungsmilliarden plötzlich gefährden. Und darum halten unsere Armeespitzen auch nichts von sogenannter Friedensforschung, ihr Denken ist realistisch: nicht ein Weltfrieden, nur der Nicht-Krieg bewahrt die schweizerische Armee vor ihrer Abschaffung.
Der Enkel steht auf:
– Also werde ich Leutnant!
– Warum nicht.
– Das meine ich auch.
– Was meinst du auch?
– Das gefährdet den Frieden nicht ...
Der Enkel steht vor der Bücherwand und sucht.
– Ich freue mich über deinen Besuch, Jonas.
Der Enkel blättert in einem blauen Taschenbuch.
– Was suchst du denn?
– Augenblick, Großvater.
– Abends am Kamin, das genieße ich, wenn die Glut nicht raucht. Unser Kamin ist nämlich viel zu groß, das sagte man mir damals: Wenn die Öffnung so groß ist, das wird niemals ziehen. Nämlich ich hatte den alten Rauchfang herausgenommen. Lauter Rost. Und dann gefiel es uns besser: so eine große Öffnung, daß man fast drin stehen kann. Aber sie hatten recht, und ich habe siebzehn Jahre gebraucht, um herauszufinden, wie man die langen Äste legen muß, damit’s nicht raucht ...
– Ich lese dir etwas vor, Großvater.
– Was denn?
– Hörst du zu?
– Ja, aber nicht zu lang.
Der Enkel steht und liest vor:
Der Widerspruch, daß die Armee zur Verteidigungder Demokratie in ihrer ganzen Struktur antidemokratisch ist, erscheint nur als Widerspruch, solange man die Beteuerung glaubt, sie verteidige Demokratie, und das glaubte ich allerdings in diesen Jahren.
Der Enkel zeigt den Buchtitel:
– Das hast du geschrieben, Großvater.
Der Alte füllt sein Glas.
– DIENSTBÜCHLEIN. 1974. Suhrkamp.
Der Enkel steht und blättert weiter.
– Lies bitte nicht weiter!
– Widerrufst du deine Literatur?
Der Enkel liest vor, was er grad aufgeschlagen hat:
Was man damals wie heute einen rechten Schweizer nannte: – es gibt einfach Dinge, die ein rechter Schweizer nicht tut, sein Haar kann dabei blond oder schwarz sein, das sind nicht seine Merkmale, Spitzkopf, Rundkopf usw., der rechte Schweizer kann ganz verschieden aussehen. Er muß nicht Turner sein, Schützenkönig, Schwinger usw., doch etwas Gesundes gehört zu ihm, etwas Männerhaftes. Er kann auch ein dicker Wirt sein; das Gesunde in der Denkart. Meistens erscheint er als gesetzter Mann, meistens als Vorgesetzter, der auch von einem Lehrling verlangen kann, ein rechter Schweizer zu sein. Was das ist, braucht man einem rechten Schweizer nicht zu erklären. Er selber erkennt sich als solcher. Auch ein schmächtiger Mensch, hilfsdiensttauglich, kann ein rechter Schweizer sein. Es hat nichts mit dem Dienstgrad zu tun, so ist es nicht. Ein rechter Schweizer ist einer auch in Zivil, zum Beispiel am Stammtisch. Es hat auch nichts mit dem Einkommen zu tun. Der rechte Schweizer kann Bankier sein, das muß er aber nicht sein; auch als Hauswart kann man ein rechter Schweizer sein, als Lehrer. Wer nicht wissen sollte, was ein rechter Schweizer ist, lernt es spätestens beim Militär. Die rechten Schweizer sind die Mehrheit ... Obschon es auch rechte Schweizerinnen gibt, fühlt der rechte Schweizer sich wohler unter Männern. Nicht nur deswegen entspricht ihm die Armee. Man kann nicht sagen, jedem rechten Schweizer stehe die Uniform; in der Regel steht sie den Offizieren besser.
Der Enkel lacht:
– Das finde ich lässig, Großvater.
– Es gibt ein Büchlein, das noch rührender ist, verfaßt vor fünfzig Jahren: Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, das weißt du aus der Schule, Mobilmachung der schweizerischen Armee2 –
– Da warst du ja dabei?
– Vor fünfzig Jahren ...
– Das Jubiläum ist im Gange.3
Der Alte schweigt.
– Hast du davon nichts gehört?
Der Alte füllt sein Glas:
– Reden wir von etwas anderem!
Pause.
– Jonas, hast du jetzt deine HONDA?
Der Enkel setzt sich ans Kamin:
– Großvater, was hast du damals geglaubt?
Der Alte schweigt.
– Hat man geglaubt, daß diese Hitler-Wehrmacht, nachdem sie Polen überrannt hat und Holland, dann auch Frankreich, sich nicht über den Rhein wagt, weil ihr dort gestanden seid mit Helm und aufgepflanztem Bajonett?
– Ich war im Tessin.
– Wieso ärgert dich meine Frage?
– Weil man das weiß, Jonas: – der Eintrittspreis! Wir werden die Hitler-Wehrmacht nicht in die Pfanne hauen, das hat niemand von uns erwartet, aber die schweizerische Armee stellt sozusagen einen Eintrittspreis, den Hitler sich nicht leistet.
– Und so war’s denn auch.
Der Enkel hustet und lacht:
– Jetzt raucht’s aber doch!
Der Alte steht auf und öffnet die Türe.
– Verträgst du Durchzug?
Der Alte hustet auch:
– Draußen regnet’s ...