Schwerter, Drachen, Orks: Vier Fantasy Romane - Alfred Bekker - E-Book

Schwerter, Drachen, Orks: Vier Fantasy Romane E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Schwerter, Drachen, Orks: Vier Fantasy Romane von Alfred Bekker, Hendrik M. Bekker Der Umfang dieses Buchs entspricht 500 Taschenbuchseiten. (499) Dieses Buch enthält folgende Romane: Norag und die Drachenschuppe (Hendrik M. Bekker) Das Schiff der Orks (Alfred Bekker) Keduan - Planet der Drachen (Alfred Bekker) Nebelwelt – Das Buch Whuon (Alfred Bekker) Abseits aller Welten und Zeiten, am Schnittpunkt der Dimensionen, erstreckt sich entlang der Küste des Zeitlosen Nebelmeeres die Ebene von Lyrrhantar. Dort treffen in einer Ewigen Schlacht vier Heere aufeinander. Es sind die Mächte des Chaos und der Ordnung, des Lichts und der Finsternis, deren Krieger in wechselnden Koalitionen gegeneinander antreten. Es kämpfen hier Menschen und Götter; Elben und Elfen, Orks und Zwerge, Halblinge und Riesen, Trolle und Gestaltwandler, Sterbliche und Unsterbliche, Tote und Untote, Magier und Zauberer, Helden und Schurken, Söldner und Glaubenskrieger. Sie kommen aus allen Zeiten und Welten. Manchmal bringen Schiffe sie an die Küste des Zeitlosen Nebelmeeres. Manchmal versetzt auch ein unbedachter Gedanke, die Magie eines Zauberspruchs oder die Macht eines Traums die Helden an diesen Ort und wirft sie mitten in das Kampfgetümmel hinein. Nicht immer ist es ihre eigene Entscheidung, auf welcher Seite sie stehen.

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Schwerter, Drachen, Orks: Vier Fantasy Romane

Alfred Bekker and Hendrik M. Bekker

Published by Alfred Bekker, 2021.

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Schwerter, Drachen, Orks: Vier Fantasy Romane

Copyright

Norag und die Drachenschuppe

Copyright

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Das Schiff der Orks

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KEDUAN - PLANET DER DRACHEN

Aus den Datenspeichern des galaktischen Archivs:

AUS DER CHRONIK DES ARANTES-IMPERIUMS:

AUS DEN PERSONALDATEN DES ARANTES-KONZERNS:

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NEBELWELT - Das Buch Whuon

Die Stadt der Magier

Thagon

Wüstenstaub

Yarum

Aworn

Schwarze Reiter

Erwachen

Straßen

Ein Heerzug

Morgen

Weiter

Himora

Das Schattenwesen

Further Reading: Elfen gegen Orks: Die Saga um Ravic

About the Author

About the Publisher

Schwerter, Drachen, Orks: Vier Fantasy Romane

von Alfred Bekker, Hendrik M. Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 500 Taschenbuchseiten.

––––––––

Dieses Buch enthält folgende Romane:

Norag und die Drachenschuppe (Hendrik M. Bekker)

Das Schiff der Orks (Alfred Bekker)

Keduan -  Planet der Drachen (Alfred Bekker)

Nebelwelt – Das Buch Whuon (Alfred Bekker)

Abseits aller Welten und Zeiten, am Schnittpunkt der Dimensionen, erstreckt sich entlang der Küste des Zeitlosen Nebelmeeres die Ebene von Lyrrhantar.

Dort treffen in einer Ewigen Schlacht vier Heere aufeinander. Es sind die Mächte des Chaos und der Ordnung, des Lichts und der Finsternis, deren Krieger in wechselnden Koalitionen gegeneinander antreten. Es kämpfen hier Menschen und Götter; Elben und Elfen, Orks und Zwerge, Halblinge und Riesen, Trolle und Gestaltwandler, Sterbliche und Unsterbliche, Tote und Untote, Magier und Zauberer, Helden und Schurken, Söldner und Glaubenskrieger. Sie kommen aus allen Zeiten und Welten. Manchmal bringen Schiffe sie an die Küste des Zeitlosen Nebelmeeres. Manchmal versetzt auch ein unbedachter Gedanke, die Magie eines Zauberspruchs oder die Macht eines Traums die Helden an diesen Ort und wirft sie mitten in das Kampfgetümmel hinein. Nicht immer ist es ihre eigene Entscheidung, auf welcher Seite sie stehen.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER STEVE MAYER nach Motiv von K. Baade

© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

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Folge auf Twitter:

https://twitter.com/BekkerAlfred

Zum Blog des Verlags geht es hier:

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Norag und die Drachenschuppe

von Hendrik M. Bekker

Der Umfang dieses Buchs entspricht 93 Taschenbuchseiten.

Abseits aller Welten und Zeiten, am Schnittpunkt der Dimensionen, erstreckt sich entlang der Küste des Zeitlosen Nebelmeeres die Ebene von Lyrrhantar.

Dort treffen in einer Ewigen Schlacht vier Heere aufeinander. Es sind die Mächte des Chaos und der Ordnung, des Lichts und der Finsternis, deren Krieger in wechselnden Koalitionen gegeneinander antreten. Es kämpfen hier Menschen und Götter; Elben und Elfen, Orks und Zwerge, Halblinge und Riesen, Trolle und Gestaltwandler, Sterbliche und Unsterbliche, Tote und Untote, Magier und Zauberer, Helden und Schurken, Söldner und Glaubenskrieger. Sie kommen aus allen Zeiten und Welten. Manchmal bringen Schiffe sie an die Küste des Zeitlosen Nebelmeeres. Manchmal versetzt auch ein unbedachter Gedanke, die Magie eines Zauberspruchs oder die Macht eines Traums die Helden an diesen Ort und wirft sie mitten in das Kampfgetümmel hinein. Nicht immer ist es ihre eigene Entscheidung, auf welcher Seite sie stehen.

Aber da diese Schlacht am Schnittpunkt aller Dimensionen geschlagen wird, ist das Schicksal aller Welten und Zeiten mit ihr untrennbar verknüpft. Und hin und wieder materialisieren Kämpfer aller Seiten in diesen Welten, sodass ein Teil der Ewigen Schlacht dort geschlagen wird. Es heißt, dass manche der Kämpfer und Kriegsherren absichtlich ihren jeweiligen Kampf in einer anderen Welt ausfechten, weil sie sich einen Vorteil versprechen. In jeder Welt unterscheiden sich die Gesetze der Magie nämlich voneinander. Und ein Gegner, der in der einen Existenzebene stark und unbesiegbar erscheint, ist in einer anderen vielleicht schwach und verletzlich.

Auf einem erhabenen Felsen, umspült von der Meeresbrandung, thront Feolorn, der Herr des Gleichgewichts, in seiner Festung und beobachtet den Fortgang der Schlacht. Man sagt, dass seine Magie den Geist eines Kriegers so zu beeinflussen vermag, dass er im Kampf die Seite wechselt. Nicht einmal Blaakon und Arodnap, die Götter von Ordnung und Chaos, oder Ahyr und Taykor, die Götter von Licht und Finsternis, konnten Feolorns Einflüsterungen widerstehen. Ein Gedanke von ihm reicht aus, um diese Götter mitsamt ihrem jeweiligen Heer die Seite wechseln zu lassen. Und manchmal erlaubt sich Feolorn einen grausamen Scherz, indem er zum Beispiel den Gott der Ordnung für einige Zeit die Heere des Chaos anführen lässt oder den Herrn der Finsternis für eine Weile die Mächte des Lichts.

Feolorn zur Seite stehen der Graue Luun und die Lady der Empfindsamkeit. Es heißt, Ersterer würde sich mit Vorliebe in das Schicksal der Menschen einmischen und Letztere würde auf magische Weise Kraft aus den Leiden der Krieger ziehen.

Die Schlacht am Schnittpunkt aller Welten, aller Zeitlinien und aller Dimensionen wird allenfalls einen vorläufigen Sieger kennen ...

Denn dieser Krieg ist ewig.

(Die Chronik von Lyrrhantar)

Seit Ewigkeiten haben die Stämme der Lorgren sich von den anderen Inselbewohnern abgeschottet und die Schuppe des Todesdrachen bewacht. Doch nun greifen die Lorgren benachbarte Inseln. Warum tun sie das? Prinz Ederon und sein Leibwächter Norag machen sich auf, das Geheimnis zu lösen.

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Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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1

Norag legte den Spaten weg. Der jüngste Sohn von Jor Ohnan stand neben dem Knecht Norag am Grab des Hundes. Die letzte Schaufel Erde hatte das Grab geschlossen. Jor Ohnan sagte ein paar Worte. Es waren alle Familienmitglieder gekommen und nach einer kurzen Zeremonie war nur noch Norag übrig geblieben. Er stand allein mit dem jüngsten Sohn von Bauer Ohnan am Grab.

„Er war ein guter Hund“, stellte der Junge fest. Die anderen waren schon wieder ins Haus gegangen. Norag wollte bei dem Jungen bleiben, so lange wie er brauchte, um Abschied zu nehmen. Der Knecht wusste, dass der Hund einen besonderen Platz im Herzen des Jungen besessen hatte.

„Wird es je weniger wehtun? Ich erinnere mich nicht mehr so recht an Opa, aber Papa sagt, dass er jedes Jahr an ihn denken muss“, fragte der Junge. Er war gerade einmal neun Winter alt. Norag schüttelte den Kopf.

„Du wirst ihn sicher nie vergessen“, sagt er. „Aber Nidrr hat ihn nun geholt und wird ihn an einen guten Ort bringen. Der Gott des Todes sammelt uns alle irgendwann ein.“

„Auch Hunde?“

„Ich denke ja“, sagte Norag.

„Du hast Nidrr doch schon mal getroffen. Wohin hat er dich gebracht?“

„Nicht dahin, wohin man eigentlich kommt“, erwiderte Norag ausweichend. Er zögerte, schien zu überlegen ob er dem Kind diese Geschichte erzählen wollte. „Er schickte mich nach Hertharas, ein Königreich weit östlich von uns. Noch hinter Galatham, hinter dem Darischen Meer. Soll ich dir davon erzählen?“

„Ja, bitte.“

„Dann lass uns reingehen. Deine Mutter bringt mich um, wenn du dich erkältest. Komm.“

2

Turek stand mit seinem Sohn auf einem Balkon des Palastes von Arthorum und blickte hinunter auf die Stadt. Norag hielt respektvollem Abstand einige Schritte hinter den beiden und wartete auf eine Anweisung König Tureks.

„Die Angelegenheiten im Norden zwingen mich, dorthin zu gehen“, schloss Turek seine Ausführung an seinen Sohn gerichtet.

Sein Sohn Ederon hatte ihm still zugehört.

„Ich werde gehen und das für dich regeln“, sagte Ederon entschieden. Turek sah ihn nachdenklich an. Es war nicht seine Absicht gewesen, seinen Sohn dazu zu bringen, doch er war froh, dass er von allein diesen Entschluss fasste.

„Du wirst dort verwundbar sein“, stellte er fest.

„Wie meint Ihr das, Vater? Sind die Inseln nicht Teil des Königreiches von Hertharas? Meint Ihr, mir droht dort Gefahr aus den eigenen Reihen?“

„Das sind sie, natürlich. Doch sie sind ... schwierig. Sie sind in vielen Dingen eine eigene Welt für sich. Ihre Lage und ihr teils harsches Klima haben sie hart und unnachgiebig gemacht. Mancher sagt, man muss einen gewissen Funken Wahnsinn haben, um sich so oft im Leben wie sie in die Hand des Unsichtbaren Gottes zu geben, wenn man zur See fährt wie sie ... Nenn es Wagemut, Stolz oder Wahnsinn. Aber sie sind in ihren Augen mehr Verbündete anstelle von Untertanen.“

„Ich verstehe. Ich werde mich vorbereiten und sehen, was in der Bibliothek zu ihnen zu finden ist. Vielleicht kann mir am Hof jemand über sie berichten, sodass ich mich vorbereiten kann?“, sagte Ederon. Turek lächelte.

„Natürlich. Das wäre dann erst einmal alles.“

Ederon nickte und ließ seinen Vater allein mit seinem Leibwächter.

„Er ist noch sehr jung“, sagte Turek und winkte Norag heran. Norag diente nun seit zwei Jahren in der Königlichen Palastwache und hatte sich mehrere Male verdient gemacht. Der König hielt große Stücke auf ihn.

Ein weiterer Vorteil an ihm war, dass er von weit her kam. Er hatte keine Familie in Hertharas und war nicht von edler Geburt. Das machte ihn weniger kauf- oder erpressbar.

„Was denkst du, Norag? Ist er zu jung?“

„Für eine diplomatische Mission dieser Natur? Ich denke, das Risiko ist kalkulierbar. Wenn er Euch eines Tages beerben soll, wird ihm bedeutend Schwereres und Gefährlicheres drohen. Das ist ein guter Berg, um an ihm das Klettern zu üben, wenn ich es so formulieren darf, mein König“, sagte Norag. Turek lachte. Er betrachtete seine Hände.

„Manchmal vergesse ich, wie viel Zeit vergangen ist und was ich alles tun musste, um dieses Königreich zusammenzuhalten. Ich bin stolz auf meinen Sohn, dass er diese Reise antritt ohne mich, ja ohne den Schutz und den Schild des Vaters, von dem alle hinter vorgehaltener Hand die abenteuerlichsten Geschichten berichten und der seinen Schatten vorauswirft.“

Er nickte nachdenklich. Norag wusste, dass Turek gerade mehr zu sich selbst sprach als zu ihm. Manchmal schien der König so seine Gedanken zu ordnen. Er bevorzugte einige wenige Männer der Palastwache für derartige Gespräche. Norag nahm an, dass sie deswegen gute Gesprächspartner für den König waren, weil sie nie von den weitreichenden Entscheidungen betroffen waren, um die es ging. Ein König trug viel Verantwortung auf seinen Schultern und hatte wenige Personen zum Reden.

„Begleite ihn, Norag“, sagte nun Turek und unterbrach die Gedankengänge Norags.

„Mein König?“, fragte dieser irritiert. „Ich gehöre zur Palastwache.“ 

„Und du bist ein hervorragender Krieger. Du warst früher Söldner, oder? Du hast vermutlich mehr Lebenserfahrung als viele andere um mich herum. Mein Sohn wird diese benötigen und er kann sie nicht hier drinnen erwerben“, sagte Turek und machte eine den Palast umfassende Handbewegung. „Darum will ich dich mit meinem Sohn auf die Taliden schicken. Die Inseln haben ihre Repräsentanten zu meiner Krönung geschickt und es war mir in den letzten Jahren nie möglich, ihren Besuch zu erwidern. Es ist Zeit, dass jemand vom Königshaus sich blicken lässt.“

„Wie Ihr befehlt, mein König“, sagte Norag und verneigte sich.

„Und, Norag?“

„Ja, Herr?“

„Pass mir gut auf Ederon auf. Man sagt, dass die Lorgren Überfälle auf die Inseln unternehmen und zunehmend zum Problem werden. Auch diesbezüglich ist es wichtig, Ederon zu schicken. Man soll sehen, dass wir uns kümmern.“

„Natürlich mein König. Doch wir werden dort nicht gegen die Lorgren ziehen sollen, oder? Dafür bräuchten wir beträchtlich mehr Männer.“

„Es wäre kaum fruchtbar, wenn ich euch zum Schlachten der Lorgren schicken würde. Es ist meinem Vater nicht gelungen, ihrer Herr zu werden, und mir wird das sicher auch nicht so einfach gelingen. Ich will keinen Krieg mit ihnen, doch wenn es eine Möglichkeit gibt, ein Bündnis zu schmieden, dass sie zufrieden stellt, dann bitte. Ergreift die Gelegenheit. Ladet sie von mir aus in den Palast ein. Sie sind keine Bedrohung für das Reich, aber sie wären viel zu lästig, als dass wir nicht besser einen zufriedenstellenden Frieden schließen sollten“, sagte Turek nachdenklich. Seine Hand ruhte auf seiner Krone. Die goldene Krone des Königreiches von Hertharas hatte er abgesetzt und vor sich auf die Brüstung des Balkons gelegt. Der Wind zerrte an dem roten Samt, mit dem sie ausgekleidet war. Der blaue Edelstein an ihrer höchsten Stelle funkelte im Licht der Abendsonne.

Norag hatte schon oft gesehen, wie König Turek sie ablegte, wenn er mit seinem Sohn sprach. Vielleicht war es seine Art zu wechseln zwischen dem König Turek und dem Vater Turek, dachte Norag.

„Ich werde Euren Sohn mit meinem Leben beschützen, egal ob Lorgren oder der Tod selbst uns angreifen“, sagte Norag.

„Das weiß ich“, nickte Turek und setzte seine Krone wieder auf. „Das wäre alles, Norag.“

3

Ederon stand an der Reling des Schiffes und sah zur Küste, die langsam am Horizont nur noch schwer erkennbar war.

Norag tippte ihm auf die Schulter und deutete zu den Inseln der Taliden, die gut zu sehen waren.

„Mein Prinz, Ihr solltet nicht zurücksehen. Es geht immer nur in eine Richtung.“ Norag deutete in Richtung des Meeres, hin zu den Taliden und weg vom Festland. „Nach vorne.“

Ederon lachte, was ihn in Norags Augen noch jünger aussehen ließ als die gerade einmal neunzehn Winter, die er hinter sich hatte. Der Prinz war von kräftiger Statur, doch hatte er noch nicht die Körperform eines Mannes. Norag fand, dass er noch die Schlaksigkeit eines Heranwachsenden hatte. Die nächsten paar Jahre würden ihm endgültig die Kontur eines Mannes geben.

Der spärliche Kinnbart, den sich der Prinz stehen ließ, trug nach Norags Meinung auch nicht dazu bei, ihn älter aussehen zu lassen.

Doch das alles würde sich rauswachsen. Was zählte, war der Blick des Prinzen. Als er zurück zum Hafen sah, war er noch melancholisch und nachdenklich, doch als er nun lachend zu Norag sah, wurde er klar und fokussiert.

„Du hast recht, wie immer, Norag. Ich bin froh, dass mein Vater dich mitgeschickt hat und nicht Pedrog oder meinen Bruder. Nichts gegen die beiden, aber es ist ganz schön, einmal einen Aufpasser dabeizuhaben, der mir nicht alles abnehmen will.“

„Es freut mich, dass Ihr meine Anwesenheit schätzt“, erwiderte Norag.

Sein Blick wurde durch ein Boot abgelenkt, das schnell näher kam. Es näherte sich von Backbord und kreuzte hart am Wind.

„Wir bekommen Besuch“, sagte er. Im selben Moment rief ein Matrose vom Krähennest: „Backbord, Kapitän, ein Boot ohne Flagge.“

„Lorgren?“, rief der Kapitän zurück.

Norag spürte, wie er sich anspannte, als es aus dem Krähennest zurückkam: „Aye. Ich sehe die Helme bis hier. Entweder das oder Dämonen.“

„Verdammt“, fluchte Norag und eilte mit Ederon zum Kapitän. Dieser hieß Daweg und war ein korpulenter Mann mit mehr Bart als Kopfhaar. Sein Schiff fuhr regelmäßig zu den Taliden und handelte. Er nahm auch Bestellungen von den Inselbewohnern an und brachte alles vom Festland, was sie wollten.

„Habt Ihr schon einmal mit ihnen zu tun gehabt?“, fragte Ederon. „Ich kenne nur Geschichten über sie.“

„Habe ich“, sagte Daweg und kratzte sich das Kinn. „Aber ich habe auch mit ihnen gehandelt. Ehrliche Kerle, aber schwierig. Sie sollen inzwischen die Insel Virku erobert haben und die Bewohner als ihre Diener halten, als Tributpflichtige.“

„Auch wegen dieser Streitigkeiten bin ich zu den Taliden unterwegs. Denkt Ihr, sie werden uns angreifen? Was habt Ihr vor?“, fragte der Prinz.

Daweg zuckte die Schultern.

„Ich würde Bogenschützen feuern lassen. Sie sind gut unterwegs. Wir müssen ihnen einige Brandpfeile verpassen, dann haben wir Ruhe.“

„Nein“, sagte Ederon entschieden. “Lasst die Bogenschützen antreten, aber feuert nicht. Ich will mit ihnen reden. Ich bin nicht gekommen, um einen Krieg zu führen, wenn es nicht sein muss.“

„Ihr seid anders als die Messeraugen“, stellte Daweg fest. „Die würden mich feuern lassen.“

Bevor der Prinz noch etwas sagen konnte, hievte Daweg seine massige Gestalt auf und eilte die Reling entlang. Er brüllte mit seiner knarrenden Stimme Befehle, die vermutlich noch auf der nächstgelegenen Insel zu hören waren.

„Und dass keiner einen losen Finger bekommt, bevor der Prinz es sagt. Den lasse ich über die Reling werfen und verkaufe ihm die Frau in die Sklaverei!“, endete die Mischung aus Flüchen und Befehlen, die der Kapitän von sich gab.

Norag war noch nicht lange genug auf Kapitän Dawegs Schiff, um einschätzen zu können, ob der Kapitän tatsächlich ein so harter Hund war, wie er tat, oder ob er einfach gerne den starken Mann markierte. Was Norag allerdings bereits aufgefallen war, war, wie sehr die Matrosen Daweg zu verehren schienen. Befehle wurden sofort ausgeführt und er wurde immer mit einem Respekt angesprochen, der für Norag deutlich machte, dass Daweg ein guter Anführer sein musste.

„Komm, Norag“, sagte Ederon. Sie stellten sich an die Reling und betrachteten das Lorgren-Boot, während es näher kam. Norag holte sich einen Schild von einem der Matrosen. Mochte sein Prinz auch ohne Schild an der Reling stehen, Norag wollte etwas in der Hand haben, das er nutzen konnte, sollten die Lorgren bereit sein, auf den Prinz zu schießen.

Das Boot war vielleicht dreizehn Schritte lang und hatte einen niedrigen Mast sowie ein Topsegel, das nun langsam gerafft wurde, um Fahrt herauszunehmen.

Die Lorgren waren gut zu erkennen. Sie trugen die für ihr Volk üblichen Rüstungen, ihre Helme waren dämonenartige Fratzen und sie bewegten sich mit einer ruhigen Präzision, die Norag beunruhigte.

Sie wussten, was sie taten, das war offensichtlich. Sie hatten keine Bögen, nur Schwerter und Äxte. Einer von ihnen stand ruhig da, während die anderen beiden das Schiff durch das Herausnehmen des Winds aus dem Topsegel verlangsamten.

„Siehst du, sie beraten sich“, sagte Ederon zu Norag. „Ich glaube, sie überlegen, ob sie uns angreifen.“

„Vielleicht war es eine gute Idee, nicht zuerst anzugreifen“, stimmte Norag zu.

Der Prinz lachte. „Auf jeden Fall, Norag. Die Taliden sind Gebiet der Krone, aber die eine Insel der Lorgren nicht. Ich kann also kaum mit ihnen darüber reden, dass sie unsere Grenzen verletzt haben, wenn ich sie mit Pfeilen begrüße.“

„Seid dennoch vorsichtig. Ich habe Geschichten über die Lorgren gehört“, erwiderte Norag, doch Ederon machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand.

„Geschichten, Norag. Ich glaube, was ich vor mir habe.“

Er hob die Arme.

„Ich grüße Euch, stolze Lorgren. Von welchem Clan seid Ihr?“

Das fremde Schiff ging längsseits. Um sich herum konnte Norag die Nervosität der Matrosen beinahe greifen. Die meisten hatten sich Schwerter umgegürtet und hielten Bögen in der Hand, einige hingegen Schleudern.

Aus eigener Erfahrung wusste Norag, dass ein gut gezielter Schleuderschuss einen Mann zielsicherer tötete als jeder Pfeil.

„Wir sind vom Clan Iku’Vok“, kam es dumpf aber verständlich von einem der Krieger zurück, der vortrat. Seine Hände hatte er in die Seite gestemmt. „Was habt Ihr geladen?“, fragte er.

„Einige Waren für die Stadt Katragon und den Prinzen von Hertharas“, erwiderte Ederon.

„Dann händigt uns die Waren und den Prinzen aus und wir lassen Euch ziehen.“

Ederon lächelte nachsichtig. „Ihr seid zu dritt, wir mehr als zwei Dutzend.“

„Es ist gut, Prinz, dass Ihr zählen könnt. Dann wisst Ihr, dass ein Kampf nicht gut ausgehen würde für Euch.“

Norag hob die Augenbrauen. So viel Selbstbewusstsein war etwas, das einem das Leben schnell austrieb, wenn man nicht wirklich, wirklich gut war.

Er spannte sich an, als einer der Lorgren-Krieger locker mit einer Armbrust spielte, die geladen vor ihm lag.

„Ihr seid eingeladen, zu Verhandlungen nach Katragon mitzukommen“ fuhr Ederon fort.

„Wir verhandeln nicht mit Menschen“, rief einer der Lorgren und in dem Moment riss er eine Armbrust hoch und feuerte.

Norag reagierte instinktiv und riss den Schild hoch – keine Sekunde zu spät. Der Bolzen der Armbrust durchschlug den Schild nur eine Handbreit neben Norags Arm in der Lederschlaufe und die Spitze kam so zum Halten, dass sie Prinz Ederons Stirn anritzte. Ein einzelner Blutstropfen lief ihm hinunter ins Auge.

Es war zu schnell gegangen, einige Herzschläge lang bewegte sich niemand.

Dann waren die Lorgren heran, warfen Enterseile die Reling hinauf und kletterten in Windeseile hoch.

Norag schaffte es nicht mehr rechtzeitig zu den Seilen, um sie einfach zu kappen und einen Lorgren in die Tiefe fallen zu lassen, da waren sie auch schon an Deck.

Ein wilder Kampf entbrannte. Zwei Matrosen starben sofort, dann fiel ein dritter mit aufgeschlitztem Bauch. Mehrere Matrosen schossen Pfeile auf einen der drei Lorgren, doch dieser schien sich kaum zu stören. Nur wenige Pfeile durchdrangen seine dünne und doch unfassbar bewegliche Rüstung. Die, die stecken blieben, ignorierte er einfach.

Aus dem Krähennest wurde ein Armbrustbolzen abgefeuert, der Senkrecht in den Kopf eines der Lorgren einschlug und ihn regelrecht in den Boden des Schiffs nagelte.

Die beiden Verbleibenden schrien vor Wut.

Dann waren auch Norag und Ederon im Kampfgetümmel.

Die Lorgren kämpften verbissen und Norags vorrangige Aufgabe war es, nicht sein eigenes Leben zu schützen, sondern jenes von Prinz Ederon. Dieser kämpfte gut, doch warf er sich mit dem Ungestüm der Jugend in den Kampf und Norag musste ein ums andere Mal mit seinem Schwert Schläge abfangen, die den Prinzen verletzt hätten.

Den Augenblick, als einer der Lorgren unter den gezielten Angriffen der Matrosen endlich zusammenbrach, nutzte Norag und schaffte es, zwischen die Verteidigung des verbleibenden Angreifers zu kommen. Sein Schlag erwischte das Knie des Lorgren. Dieser knurrte unter seinem zur Dämonenfratze verzerrten Kriegshelm und schlug mit der Faust nach Norag. Dieser ließ seinen Schild fallen und packte die Faust am Handgelenk, lenkte den Schlag zur Seite und brachte den Lorgren damit aus dem Gleichgewicht. Dies nutzte der Prinz, sprang vor und hieb mit aller Wucht sein Schwert gegen die flache Seite des Helms.

Der Lorgren sackte wie ein gefällter Baum zu Boden und blieb regungslos liegen.

„Ist er noch am Leben?“, fragte Ederon mit Blick auf den zuerst Niedergestochenen. Während er sprach, steckte er sein Schwert weg und besah sich den von ihm selbst zu Fall gebrachten Lorgren.

„Nein, Herr“, erwiderte einer der Matrosen. „Sein Herz schlägt nicht mehr.“

Währenddessen zog Ederon dem zuletzt gefallenen Lorgren den Helm herunter.

Zu Norags Überraschung war annähernd ein Mensch darunter. Er hatte Zackenlinien ins Gesicht tätowiert, doch er sah beinahe aus wie ein gewöhnlicher Mensch. Sein Hinterkopf blutete leicht, doch der Helm hatte den Großteil des Schlages abgefangen.

„Helft mir“, befahl Ederon an Norag gewandt. „Nehmt seine Beine. Wir bringen ihn unter Deck, nehmen ihm die Rüstung und seine Waffen ab und versorgen die Wunde.“

„Ihr solltet kein Mitleid mit ihnen haben“, kommentierte Kapitän Daweg. „Sie hätten auch keines mit Euch.“

„Dann unterscheidet uns das von ihnen“, erwiderte der Prinz ungewohnt heftig. „Er ist besiegt und hoffentlich wird er mir erklären können, warum die Lorgren sich nicht mehr an die Friedensverträge halten.“

„Wie Ihr wünscht“, sagte Kapitän Daweg. Für ihn schien die Sache damit erledigt zu sein. „Bring ihnen eine Schale mit Wasser und Tücher, um die Kopfwunde zu versorgen“, wies er einen seiner Männer an.

Zwei Matrosen wurden losgeschickt, das Boot der Lorgren anzubinden, sodass sie es hinter dem Schiff herziehen konnten.

„Was habt ihr vor mit dem Lorgren?“, fragte Norag, als er Ederon unter Deck begleitete.

„Was ich sagte“, erwiderte der Prinz. „Wir müssen jemanden haben, mit dem wir reden können. Ich habe lieber einen Lorgren in meiner Verwahrung, als dass ich zu ihnen fahren muss, um jemanden zu finden, der mir erklären kann, wieso sie die alten Verträge aufgekündigt haben und ihre Insel verlassen haben.“

Sie gingen zu dem unter Deck liegenden Lorgren und Ederon half dem Matrosen dabei, den Mann zu verarzten. Bei näherem Hinsehen war er sich nicht mehr sicher, ob dieser Mann ein Mensch war oder etwas eigenes. Er hatte in einem Buch in der Bibliothek von Arthorum gelesen, dass die Lorgren ein verschlossenes Volk waren und nur wenig Kontakt zu Fremden pflegten. Nur Händler, die zu ihnen auf die äußeren Inseln kommen durften, konnten berichten, Lorgren ohne Helm gesehen zu haben. So hielten sich auf den Inseln hartnäckig die Gerüchte, dass unter den dämonischen Masken auch genau solche Kreaturen waren.

„Die Platzwunde ist nicht schlimm“, beruhigte der Matrose den Prinzen. „Er wird leider wieder aufwachen.“

„Leider?“, fragte Ederon. Der Matrose errötete.

„Ich meinte, er wird wieder aufwachen, mein Prinz“, sagte er und verließ sie. Eine Weile saßen Norag und Ederon beim Bewusstlosen, dann entschieden sie sich, zurück an Deck zu gehen. Ein Matrose wurde vor der verschlossenen Kajütentür abgestellt, hinter der der Lorgren lag, und würde sie informieren, sollte er aufwachen.

*

Während die Sonne tiefer sank, erreichten sie endlich Katragon. Die Sonne stand ihnen im Rücken, als vor ihnen die massiven Mauern auftauchten. Katragon besaß vier schwere Mauern, von denen die äußeren beiden weit in der Bucht standen, lange bevor das eigentliche Festland der Insel begann. Weite Tore ließen die Schiffe in den Hafen, hinter dem wiederum die dritte Mauer emporragte. Die vierte Mauer schließlich umfasste nur den Kern der Stadt, den Senat und die Verwaltungsgebäude ebenso wie die Garnison.

Als sie am Hafen anlegten, erwartete sie ein gelangweilter Verwaltungsbeamter, der die Hafengebühr kassieren wollte. Als Ederon sich ihm vorstellte, wich jedwede Farbe aus dem Gesicht des Mannes und er eilte ohne die Gebühr einzustreichen zur Stadtwache, um den Prinzen anzukündigen.

„Entweder sie sind keinen hohen Besuch gewöhnt“, sagte Ederon nachdenklich, „oder sie haben nicht damit gerechnet, dass wir kommen.“

„Dem Boten, der die Nachricht übermitteln sollte, kann das gleiche zugestoßen sein wie uns“, erwiderte Norag. „Bedenkt, wie diese Lorgren gekämpft haben. Wir können von Glück sagen, dass das Zahlenverhältnis günstig für uns war.“

„Solange ihm die Hafengebühr nicht wieder einfällt“, erwiderte nun Kapitän Daweg und winkte einen seiner Matrosen heran. „Los, beginnt mit dem Abladen.“

„Aber ...“

„Nix, aber ... Wir wollen zügig weiter.“

Ederon sah den Kapitän mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Euch ist klar, dass diese Gebühr der Erhaltung des Hafens dient und der Tribut an die Stadt ist, die mir tributpflichtig ist?“

„Na, wenn Ihr das so sagt“, erwiderte Kapitän Daweg und kramte grinsend eine Goldmünze aus seinem Beutel. „Dann können wir doch den Mittelsmann ausschalten, oder? Ich gebe Euch das direkt.“

Ederon lachte herzlich und seine gespielt ernste Miene fiel in sich zusammen. „Lasst gut sein und klärt das mit den Autoritäten der Stadt. Ich bin noch Prinz, nicht König“, sagte er. „Kommt, Norag, wir holen unser Gepäck.“

Sie sammelten ihre Habseligkeiten unter Deck zusammen und als sie jeder mit einem Bündel beladen an Deck erschienen, wartete an der Hafenmauer bereits eine Eskorte der Stadtwache. Sechzehn Männer hatte man antreten lassen, alle in hervorragend gepflegter Uniform.

„Prinz Ederon, es ist uns eine Ehre“, stellte sich ein hochrangiger Stadtwächter vor und verneigte sich. „Mein Name ist Hauptmann Zulor. Ich werde Euch zum Senat begleiten.“

„Ich danke Euch“, sagte Ederon und deutete auf Norag. „Meine eigene Leibwache. Dank Eures Aufgebots wird diese aber kaum nötig sein. Kapitän Daweg?“

„Ja, Herr?“, kam der Kapitän des Schiffes zu ihnen.

„Ich danke Euch für die gute Überfahrt.“ Er sah zu Hauptmann Zulor. „Ich habe einen gefangenen Lorgren an Bord, da eine Gruppe von ihnen uns bei der Überfahrt angriff. Bitte stellt einen Mann ab für das Schiff des Lorgren und zwei, um ihn an einen sicheren Ort zu bringen. Er ist unser Gefangener, aber möglicherweise sollte ihn sich ein Heiler ansehen. Ihm soll nichts geschehen. Kümmert Ihr Euch darum, Hauptmann?“

„Natürlich, mein Prinz“, sagte der Hauptmann und stellte sofort einige seiner Männer für die Aufgaben ab, die anfielen.

Dann flankierten die verbleibenden Männer Norag und den Prinzen und die Gruppe wurde vom Hauptmann in die Stadt hineingeführt.

4

Hauptmann Zulor führte sie auf direktem Weg in das Herz der Stadt. Die Sonne stand schon tief, dennoch herrschte geschäftiges Treiben auf den Straßen Katragons. Mit jedem Ring, den sie weiter in das Herz der Stadt vordrangen, wurden es weniger Einwohner und mehr Stadtwächter, die patrouillierten. Als sie vor dem Tor zum Innersten der Stadt standen, fanden sie es verschlossen vor.

Nach einem kurzen Wortwechsel gaben sich die Wachposten zufrieden und ließen sie passieren. Ihren Einwand, niemand Fremdes dürfte bewaffnet zum Senatsgebäude, erübrigte sich, als sie herausfanden, welchen hohen Besuch sie in der Stadt hatten.

Sie ließen sie passieren und Hauptmann Zulor brachte sie zum Senatssaal. Es war Abend und nur noch wenige Beamte eilten durch das Gebäude. Der Saal war verlassen, doch nicht weniger beeindruckend.

Ederon blieb eine Weile an seinem Rand stehen. Der Saal war wie ein Trichter geformt, neun tiefe Stufen gingen hinab zu einem Rednerpult, das aus einem großen marmornen Quader bestand.

„Prinz Ederon“, sagte ein Mann hinter ihnen und als sich Norag wie auch die anderen umdrehten, standen zwei freundlich lächelnde Männer auf der obersten Stufe des Trichters.

„Man nennt mich Senator Tefol Brathen und das ist Senator Horik’wa Joltha“, stellte sich der etwas kleinere dicklichere Senator ebenso wie seinen dürren und ergrauten Begleiter vor. Norag fiel gleich auf, dass sie im Gegensatz zum Hauptmann deutlich schmalere Augen und beinahe spitze Ohren hatten. Unwillkürlich fühlte er sich an die Min’dar aus Galatham erinnert. „Es ist uns eine Freude, Euch hier begrüßen zu dürfen. Ist Euer Vater König Turek mit Euch hergekommen?“

„Leider nein“, sagte Ederon und trat zu ihnen herauf. Norag blieb einen Schritt hinter ihm. „Mein Vater schickt mich. Er weiß, dass von uns schon viel zu lange niemand mehr auf den Inseln war und lässt sich entschuldigen. Er würde aber gerne nächstes Jahr einige Senatoren in Arthorum begrüßen.“

„Gerne“, sagte nun Senator Horik’wa Joltha. „Wir würden uns freuen, eine Delegation für den Hof des Königs zusammenzustellen.“ Seine Stimme klang voll und wie die eines bedeutend jüngeren Mannes. Norag konnte sich sofort vorstellen, dass dieser Mann den ganzen Senat mit seinen Worten in Atem halten konnte. „Wollt Ihr uns begleiten, Prinz Ederon, an einen ungestörten Ort?“

„Natürlich“, nickte der Prinz.

„Hauptmann“, fügte Joltha hinzu. „Ihr könnt Euch entfernen. Ich denke, hier droht dem Prinz keine Gefahr. Und für alles Weitere hat er seinen eigenen Schutz, wie mir scheint.“

„Jawohl. Ich werde sehen, wie es Eurem Gefangenen geht, mein Prinz, und mich von seiner Unterbringung selbst überzeugen“, nickte der Hauptmann, salutierte und ließ sie allein.

Sie folgten den beiden Senatoren in ein Arbeitszimmer. Karten waren ausgebreitet, an der Wand hing eine große Karte der Inseln und in verschiedenen Farben waren die Handelsrouten eingezeichnet. An mehreren Stellen waren dunkle Markierungen mit Kreide hinzugefügt worden.

„Prinz Ederon, es freut uns, dass Ihr hier seid. Leider müssen wir Euch berichten, dass es nicht gut steht um die Reichsstadt Katragon“, begann Tefol Brathen und deutete auf die Karte. „Unser Handel mit dem Festland ist bisher nicht betroffen und wir haben immer noch eine starke Position auf diesen und diesen Inseln“, erklärte er und deutete auf die besagten Inseln. „Dennoch haben wir Probleme. Die Lorgren haben sich aufgemacht und hier ein neues Lager errichtet. Ihre eigene angestammte Insel haben sie verlassen ebenso wie ihre Lager auf dieser Insel. Seitdem überfallen sie unsere Schiffe, bisher nur in der Nähe der Taliden. Wir fürchten, dass sie bald auch zum Plündern aufs Festland fahren könnten.“

„Wisst Ihr, wieso? Soweit mir bekannt ist, haben sie sich ihren Unterhalt doch früher auf ihrem eigenen Gebiet mit Landwirtschaft verdient und ansonsten sind oft ihre jungen Männer als Söldner sowohl in Euren Diensten als auch auf dem Festland bekannt und geschätzt“, fragte Prinz Ederon von Hertharas und sah von einem zum anderen Senator.

Horik’wa Joltha zuckte die Schultern.

„Sie behaupten, dass die Toten sie von ihrer Insel vertrieben hätten und Nidrr sie beanspruche. Darum seien sie weitergezogen, wie es ihre Art sei.“

„Das ist lächerlich“, fügte Tefol Brathen hinzu. „Der Totendrache selbst soll dort ein Reich voller Unleben erschaffen haben.“

„Einfach so?“, fragte Ederon.

„Wie bitte, mein Prinz?“, hakte Senator Brathen nach.

„Nun“, versuchte Prinz Ederon seine Frage genauer zu formulieren. Er wirkte nachdenklich. „Was genau sagen sie denn? Ich habe bisher nur einmal Lorgren getroffen und das war im Kampf. Mich würde doch sehr eine ausführlichere Version der Geschichte interessieren. Sie sind sehr gläubig, sagt man, und manche ihrer Stämme verehren Nidrr. Wieso sollten sie also vor dem Drachen des Todes flüchten?“ Er sah zu Norag und dann wieder zu den Senatoren. „Ich habe einen Lorgren gefangen genommen, als wir auf der Hinreise angegriffen wurden. Ich denke, ich werde sehen, was er dazu zu sagen hat. Die Angriffe der Lorgren stören empfindlich die Taliden, wenn ich Euch richtig verstehe?“

„Es ist mehr als das“, sagte Senator Brathen. „Wie Ihr wisst, werden die Taliden vom Senat in Katragon regiert. Jedes Dorf hat einen Häuptling. Dessen Familie entsendet einen Senator. Hier wird dann alles entschieden, was über die Belange einer einzelnen Stadt oder eines Dorfes hinausgeht.“

Er warf einen Blick zu Horik’wa. Dieser nickte. „Katragon ist zuständig für die Sicherheit des Handels innerhalb der Taliden ebenso wie mit dem Festland. Doch weil wir ständig mit den Lorgren zu tun haben, sind unsere Truppen gefährlich dünn. Einige Häuptlinge würden ganz gerne die Initiative ergreifen und den Senat entmachten.“

„Das heißt, das Problem mit den Lorgren eilt“, fasste Ederon zusammen und die beiden Senatoren nickten. „Wenn wir es nicht bald in den Griff bekommen, zerbrechen die hiesgen Allianzen.“

„So kann man es sagen, Prinz“, stimmte Horik’wa zu. „Ich weiß nicht, ob Ihr Euch dessen bewusst seid, aber es gibt nur einen eingeschränkten Personenkreis, der auf den Taliden herrschen darf.“

„Ihr meint die Abstammung von den Dienern der Alten“, sagte Ederon und Horik’wa nickte.

„Ihr seid sehr weise, mein Prinz.“

„Was denkt Ihr gegen die Lorgren zu unternehmen?“

„Wir wollten Euch um Truppen vom Festland bitten, um sie ein für alle Mal auszuschalten.“

Ederon nickte nachdenklich. „Ich werde erst einmal sehen, was ich aus unserem Gefangenen bekomme. Vielleicht lässt sich all das diplomatisch lösen.“

„Wie Ihr wünscht“, sagte Horik’wa und Norag war sich sicher, dass der Senator anderer Meinung war, doch dem Prinzen niemals widersprechen würde.

„Wir werden Euch ein Zimmer im Senatsgebäude zuweisen, Herr. Ich denke, Ihr werdet von der Reise erschöpft sein und könnt Euch etwas ausruhen“, sagte nun Horik’wa versöhnlich. „Wir werden dann erst entscheiden können, wie wir weiter vorgehen, wenn Ihr Euren Gefangenen verhört habt. Bis dahin würde ich Euch gerne heute Abend zum Festbankett einladen.“

„Gerne“, nickte Ederon. „Was ist der Anlass? Meine Anreise kann es kaum sein, die war Euch ja nicht vorher bekannt.“

„Nein, doch nun wird auch diese dort gefeiert. Das Bankett ist für unseren anderen Besuch“, erklärte Horik’wa und Brathen sah säuerlich zum anderen Senator. Ihm schien nicht zu gefallen, was nun kam, dachte Norag. „Wir haben eine Delegation des Königreiches der Ok’tam zu Besuch, Prinz Tulthardor Henwana selbst ist hier, weil sein Vater Handelsbeziehungen zu den Taliden wünscht.“

„Ok’tam?“, sagte Ederon ungläubig. „Ich wusste nicht, dass sie viele Kontakte pflegen.“

„Es scheint ein Umdenken zu geben“, sagte Horik’wa und nickte. „Sie suchen Handelsbeziehungen und die Taliden können das Tor sein, um Hertharas diese Kontakte zu verschaffen.“

Eine nette Art zu sagen, dass die Taliden Geschäfte am Königreich vorbei planten, dachte Norag. Er hatte selbst noch nie einen Ok’tam gesehen, doch er wusste, dass sie die erklärten Feinde der Min’dar waren. Dieses bei den Menschen Elben genannte Volk war eine mächtige Partei des Imperiums und dadurch verbündet mit Hertharas. Norag konnte an Ederons Blick erkennen, dass dieser sich der möglichen diplomatischen Verwicklungen sofort klar war.

Sein Vater hatte sicher nicht damit gerechnet, dachte Norag.

„Gerne würde ich den Prinzen der Ok’tam kennenlernen. Doch vor dem Bankett wollen wir uns frisch machen und geeignete Gewänder anlegen“, sagte Prinz Ederon in befehlsgewohntem Ton. Die Senatoren nickten. Sie riefen eine Wache herbei, die Norag und Ederon zu ihren Gemächern führte. Es waren mehrere große Räume. In jeder ihrer Kammern erwartete sie ein kupferner Waschzuber voller dampfend heißem Wasser.

Norag legte sich in das Wasser und fühlte, wie er sich entspannte. Die Fahrt auf dem Schiff war zweifelsfrei nicht die unbequemste Reise, die er je unternommen hatte, dennoch merkte er das Alter langsam und war dankbar für die Wärme.

Er seufzte. Es hatte wahrlich seine Vorteile, einen Prinzen zu beschützen, dachte er.

Der Krieger freute sich auf das Bankett, er hatte in seinem Leben noch nie einen Ok’tam getroffen. Die Ok’tam sollten aussehen wie Min’dar mit den gleichen spitzen Ohren und geschlitzten Augen. Doch sagte man, die Haut der Ok’tam sei dunkler, ihre Augen wie Edelsteine und ihr Haar rabenschwarz. Sie sollten die dunklen Geschwister sein, ihre Seelen verdunkelt durch die Anwendung verbotener Magie. Als das alte Reich der Min’dar noch existiert hatte, hatte es einen Bruderkrieg zwischen zwei Magieschulen gegeben. Die eine Seite hatte gewonnen; es waren die Vorfahren der heutigen Min’dar, die ihre Brüder und Schwestern, die Ok’tam, von Galatham verjagt hatten. Seitdem lebten die Ok’tam im Verborgenen. Wo sie genau lebten, war unbekannt. Immer wieder gab es Geschichten über einzelne Angehörige ihres Volkes. Man sagte, durch ihre Verderbtheit und den Dienst für die Schattentöter seien sie unfassbar mächtig, wenn auch gering an Zahl.

Allerdings, musste Norag zugeben, kannte er diese Geschichten nur aus Sicht der Min’dar. Wie viel konnte man in dem Fall auf die Geschichte der Sieger geben?

Während Norag so in der Wanne lag, fielen ihm die Augen zu.

„Du wirst alt“, sagte Ederon und stieß ihn an. Norag schreckte hoch, Wasser spritzte und er sah mit Schrecken, dass es draußen bereits dunkel war. Das Wasser war noch nicht ganz kalt, doch merklich kühler.

„Wir sollten los, Norag“, sagte Ederon und warf ihm ein Tuch zu, damit er sich abtrocknen konnte.

Norag fing es geschickt auf. „Natürlich, mein Prinz“, sagte er und ärgerte sich, dass er eingeschlafen war.

Während er sich anzog, stand Ederon am Fenster und sah hinaus auf die Stadt Katragon.

„Was hältst du von den Senatoren?“, fragte Ederon unvermittelt.

„Ich denke, sie sind aufgescheucht durch Eure Ankunft. Die Anwesenheit der Ok’tam mussten sie Euch verraten. Je nachdem, wie Ihr damit verfahrt, werden sie wissen, ob sie in Euch einen Störfaktor sehen müssen oder Euch wertschätzen sollen. Sie sind es gewohnt, auf den Taliden das Sagen zu haben, die Hauptstadt ist weit weg“, sagte Norag.

Ederon nickte. „Man muss die Zügel nicht zu fest nehmen, ein Pferd folgt dem Weg auch selbst. Dennoch besorgt mich ein dauerhaftes Bündnis der Taliden mit den Ok’tam. Wer weiß, ob sie sich nicht langfristig von Hertharas lossagen wollen und denken, ohne das Königreich besser dran zu sein?“

„Das ist zu befürchten. Wir müssen sehen, wie diese Krise verläuft“, sagte Norag und zuckte die Schultern. „Aktuell brauchen sie Euch.“

„Wir werden sehen“, nickte Ederon.

Er trug eine dunkle Tunika mit goldenen Fäden, die den Adler von Hertharas in vereinfachter Form auf seiner Brust darstellten, und einen Umhang mit einem Hermelinkragen. Norag trug eine ähnliche Tunika, doch in einem dunkelblauen Ton ohne jeden Metallbesatz. Er gürtete sich sein Schwert um. Im Gegensatz zum Prinzen würde er keinesfalls unbewaffnet zu diesem Bankett gehen. Er war immerhin für die Sicherheit Ederons verantwortlich.

„Denkst du, das ist nötig?“, fragte Ederon, bevor sie das Zimmer verließen, und nickte in Richtung des Schwertes von Norag.

„Ja“, sagte dieser schlicht und machte mit seinem Blick deutlich, dass er darüber nicht mit dem Prinzen diskutieren würde. Dieser war klug genug, wie Norag erkannte, um es damit gut sein zu lassen.

Sie kamen auf dem Bankett an, das in einem der Nebensäle des Senatsgebäudes abgehalten wurde. An neun langen großen Tafeln saßen die Senatoren und ihre wichtigsten Untergebenen. Die Tische waren nicht nur der Wichtigkeit der Persönlichkeiten an ihnen geschmückt, sie waren auch im Raum entsprechend angeordnet. Der Boden des Saals war unterschiedlich hoch, wie die Stufen einer gewaltigen Treppe. Auf diese weise saßen die Senatoren auch optisch über all ihren Untergebenen.

Norag bemerkte, dass am niedrigsten Tisch nur Menschen mit runden Augen wie den seinen saßen, während die Senatoren alle die leicht spitzen Ohren der Min’dar hatten.

„Was heißt es eigentlich, dass die Senatoren und die hiesigen Adeligen Kinder der Diener der Alten sind?“, fragte Norag leise den Prinzen, als sie zu ihrem Platz geführt wurden.

„Du siehst doch ihre Augen, oder?“

„Sie sind wie bei den Dijatena oder den Min’dar.“

„Ja. Die Diener der Alten ... die Bewohner der Taliden glauben, dass die Inseln alle auf dem Rücken einer großen Schildkröte liegen. Sie ist ihre höchste Göttin, sie ist ‚die Alte‘. Und die ersten Bewohner der Insel waren ihre ergebensten Diener. Diese Augen zeigen dir, wer von ihnen abstammt. Nur wer von einem dieser ersten Bewohner abstammt, darf herrschen. Angeblich hat die Alte die Inseln auf ihrem Panzer als Sandbänke angehäuft, damit ihre treuen Kinder da leben können.“

„Eine Schildkröte?“, fragte Norag skeptisch. Ederon zuckte die Schultern.

„Mein Vater hat ein Schwert, das Menschen zwingen kann, die Wahrheit zu sagen. Ich zweifle an dem Glauben dieser Leute erst, wenn ich Grund dazu habe.“

Norag musste schmunzeln und nickte. „Sehr weise, mein Prinz.“

„Prinz Ederon“, sagte nun Senator Tefol Brathen und kam zu ihnen. “Bitte, lasst mich Euch den Prinzen der Ok’tam vorstellen.“

„Mit Freude“, erwiderte Ederon. Er hatte den Ok’tam natürlich schon entdeckt, ebenso dessen Begleiter.

Sie saßen an einem Ende des obersten Banketttisches und zogen alle Blicke auf sich. Ihre Haut war dunkler als die jedes Min’dar, den Norag je gesehen hatte, doch die Ok’tam hatten die gleichen Augen und Ohren, die gleichen feinen Gesichtszüge, die aussahen wie aus Marmor geschlagen und fein poliert. Sie wirken filigran wie Kunstwerke und doch bewegten sie sich mit Anmut wie Tänzer. Doch was Norag sofort auffiel, waren die Augen. Die unterschieden die Ok’tam von den Min’dar. Ihnen fehlte jedwede Arroganz, die den Min’dar so oft zu eigen war.

„Darf ich Euch Prinz Tulthardor Henwana und seinen Leibwächter Gelthoran Thawanis vorstellen?“, sagte Senator Brathen.

„Prinz Ederon“, sagte Prinz Henwana, stand auf und verneigte sich leicht. Norag fiel allerdings sofort auf, wie sehr sich der andere verneigte. Es durfte schließlich nicht unschicklich sein, war doch auch Henwana in seiner Heimat ein mächtiger Mann.

Ederon nickte ihm zu, verneigte sich aber nicht. Norag wusste, dass König Turek stolz gewesen wäre. Sein Sohn hatte richtig erkannt, dass es hier sein Gebiet war und er damit die Huldigung annehmen musste, sie aber nicht erwidern durfte.

„Prinz Henwana, ich bin hoch erfreut, Euch kennenzulernen. Ich habe viele Geschichten über Euer Volk gehört und muss gestehen, ich brenne regelrecht darauf zu erfahren, was alles Unfug ist.“

Prinz Henwana lachte und das Lachen klang ehrlich und freundlich.

„Dann setzt Euch, ich denke, niemand lehnt das Angebot gerne ab, von sich zu erzählen.“

Er winkte seinen Leibwächter heran. „Thawanis, bitte mach deinen Platz für den Prinzen frei. Ich bin sicher, Brathen wird für Euch andere Plätze finden.“

Thawanis setzte an etwas zu sagen, doch sein Herr unterbrach ihn in ihrer eigenen Sprache.

Der Leibwächter fügte sich in sein Schicksal und wurde zusammen mit Norag von Brathen an einen anderen Platz, einen Tisch weiter unten gesetzt.

Norag sah dem anderen an, wie er unauffällig den Raum im Blick behielt.

„Mein Name ist Norag“, stellte sich dieser vor und griff sich etwas von den reichlichen Speisen, die auf dem Tisch verteilt waren. „Ich verstehe gut Eure Besorgnis, doch ich glaube kaum, dass jemand so dreist sein wird, auf dem Bankett anzugreifen. Sollte eine Gefahr drohen, dann beim Ende, wenn die Gesellschaft sich auflöst.“

„Vermutlich“, stimmte Thawanis zu. „Das Durcheinander der Betrunkenen, die den Saal verlassen, wäre eine gute Tarnung.“

„Und die Wächter sind dann unaufmerksam“, nickte Norag. „Immerhin mussten sie den ganzen Abend Leuten beim Feiern zusehen und kaum ein Wächter wird Lust haben, sich mit einem der hiesigen Adeligen anzulegen, der auch noch betrunken ist.“

Thawanis schnaubte. „Das dürfte auch kaum beneidenswert sein.“

„Wisst Ihr, warum Senator Brathen immer bei Horik’wa ist?“, fragte nun Norag. „Ihr seid schon länger hier.“

Thawanis musterte Norag und sagte dann in gedämpften Tonfall: „Ich habe mitbekommen, dass Senator Brathen von den Senatoren ‚der mit den leeren Taschen‘ genannt wird. Während Senator Horik’wa gerne als ‚Münzreicher‘ bezeichnet wird. So wie ich das sehe, ist Brathen die Fliege und Horik’wa der Scheißhaufen.“

Norag lachte und musste sich beherrschen, damit er sich nicht an seinem Bierkrug verschluckte.

„Es gibt immer solche.“

„Ihr seid vom Festland?“

„Aus Arthorum, ich diene sonst direkt dem König.“

„Bei mir ist es ähnlich. Doch ich diene seit zehn Jahren dem Prinzen.“

Sie unterhielten sich eine Weile, bis Norag schließlich Hauptmann Zulor auffiel, der unauffällig zum Prinzen Ederon trat und ihm etwas ins Ohr flüsterte.

Norag wusste, dass etwas geschehen war. Ederons Blick traf ihn durch den Saal.

„Ich muss leider los“, sagte Norag zu Thawanis.

Thawanis nickte. „Wir leben, um zu dienen.“

„Heute auf jeden Fall“, nickte Norag und eilte zum Prinzen.

„Was ist?“, fragte er.

„Nicht hier“, sagte Ederon und sie folgten Hauptmann Zulor.

Er führte sie aus dem Gebäude hinaus, bis sie schlussendlich den innersten Ring Katragons verließen. Die Straßen waren noch nicht leer. In regelmäßigen Abständen standen Feuerschalen und erhellten eine breite Hauptstraße, die einmal um den zweiten Ring ging. Menschen und verschiedene Angehörige anderer Völker waren unterwegs, Musik war zu hören und hier und dort Gejohle.

Zulor führte sie zu einem breiten gut bewachten Gebäude.

„Das ist die Stadtwache für die beiden inneren Bezirke. Ich wusste nicht, wohin mit Eurem Gefangenen. Hier gibt es gute Zellen und verlässliche Wächter. Meine Sorge war, sollte er in einem der äußeren Gefängnisse untergebracht werden, würde ihn vielleicht jemand umbringen. Die Lorgren haben in letzter Zeit einiges an Blutzoll verlangt und ich kann nicht ausschließen, dass in meinen eigenen Reihen Männer sind, die Rache über Gehorsam stellen würden.“

„Ihr habt wohl daran getan, Hauptmann“, sagte Prinz Ederon. Norag war froh, dass er seine Waffe mitgenommen hatte. Mochte sein Prinz sich den Luxus leisten, keine dabei zu haben, so durfte er als sein Wächter sich dies nicht erlauben.

Vor der Zelle wartete ein Wächter, der salutierte, als er sie sah.

„Er ist wach und hat etwas zu essen bekommen. Bisher war nach dem Heiler niemand mehr bei ihm. Ihr wolltet informiert werden, wenn er wieder bei sich ist. Der Heiler sagte, es geht ihm gut und er kann befragt werden.“

„Gut, lasst mich zu ihm“, sagte Ederon. „Norag wird mich begleiten und für meine Sicherheit sorgen. Hauptmann, Ihr ebenso.“

„Jawohl“, sagte dieser und schlug die Hacken zusammen.

In der Zelle fanden sie den Lorgren auf seinem Bett im Schneidersitz sitzend vor. Das Bett bestand aus einem Holzgestell, in dem mehrere strohgefüllte Säcke lagen. Norag musste sich eingestehen, dass er schon weniger saubere Gefängnisse gesehen hatte.

Der Lorgren trug nicht mehr seine Rüstung, sondern nur eine wollene Tunika und eine abgenutzte und geflickte Hose. In seinem Gesicht waren Tätowierungen und Norag kam es vor, als wären seine Eckzähne deutlich größer als bei einem Menschen.

Die Tür wurde hinter ihnen geschlossen. Der Lorgren musterte sie, sagte aber nichts und machte auch keine Anstalten sich zu bewegen.

„Ich bin Prinz Ederon von Hertharas, in Vertretung für König Turek von Hertharas. Warum habt Ihr uns angegriffen?“

Der Lorgren sah ihn ruhig an, erwiderte aber nichts.

„Ich gebe zu, das ist vielleicht zu ungenau“, sagte Ederon und lächelte nun nachsichtig. „Ich will wissen, warum die Lorgren meine Inseln heimsuchen. Euch gehören zwei Inseln der Taliden. Wir haben Verträge und viele Eures Volkes dienen auf den Schiffen Emethas als Wachmannschaften. Wieso ist Euer Volk auf einmal eine Bande ehrloser Wortbrecher, dass Ihr die alten Verträge nicht achtet, die mein Großvater noch mit Euch schloss?“

Bei dem Wort ehrlos zuckte der Lorgren merklich, als wollte er etwas sagen und aufspringen, doch im letzten Moment hielt er sich unter Kontrolle.

Norag legte unauffällig die Hand auf den Schwertgriff. Sollte der Lorgren es sich anders überlegen, wäre er bereit.

„Eure Zunge habt Ihr nicht verloren und der Schlag gegen Euren Kopf wird Euch kaum schwachsinnig gemacht haben. Glaubt Ihr, ein Prinz sei die Zeit eines ehrlosen Räubers und Wortbrechers nicht wert?“, provozierte Ederon den Lorgren weiter.

„Wir sind nicht wortbrüchig“, knurrte der Lorgren mit einem deutlichen Akzent in der Allgemeinsprache. „Wir müssen leben.“

„Was hindert Euch am Leben auf Euren Inseln?“

„Das würdet Ihr nicht verstehen.“

„Ich vermochte Euch zu besiegen. Also unterschätzt mich nicht nochmal“, erwiderte Ederon. Norag sah in diesem Augenblick viel vom König in der Gestik des Prinzen. Er wusste, wie man mit Männern redete, die nur Stärke respektierten. Er hatte es oft genug gesehen, wenn sein Vater, der König, mit den Angehörigen der Wilden Stämme verhandelte.

„Nidrr fordert unsere Inseln.“

„Der Gott des Todes, der Drache der Seelen ist auf Eure Insel gekommen und nahm sie Euch?“, fragte Ederon ungläubig. „Ihr müsst zugeben, das klingt kaum nach mehr als der Ausrede eines Diebes, der erwischt wurde und dem nichts Glaubhaftes einfällt.“

„Und doch ruhen die Toten nicht mehr auf unseren Inseln.“

„Seit wann?“

„Seit einem Winter. Es wurde so schlimm, dass wir gehen mussten. Die Toten finden keine Ruhe und mit jedem von uns, der starb, wurden ihre Reihen geschlossener, unsere aber ausgedünnter“, sagte der Lorgren. „Bald gibt es nur noch Untotes auf der Insel ... Nidrr zürnt uns. Er lässt die Toten nicht mehr zu sich. Sie müssen hier verweilen, wo sie die Lebenden beneiden.“

„Was sollte Nidrr auf Eurer Insel wollen?“, hakte Ederon nach.

„Die Schuppe Nidrrs war schon immer dort. Wir verehren sie. Doch sie ist fort und Nidrr zürnt uns.“

„Die Schuppe Nidrrs?“, hakte Ederon nach, doch der Lorgren nickte nur, als wäre damit alles gesagt.

„Eine Sage, Herr“, erklärte Hauptmann Zulor.

Der Lorgren sah ihn mit Blicken an, als wollte er ihn erdolchen.

„Keine Sage. Ein Geschenk, das in den Tempeln bewahrt wurde. Seit es verschwand, finden die Toten keine Ruhe.“

„Würdet Ihr mich vor Euren Herrn bringen, damit ich mit einem der Stammesältesten reden kann?“, fragte Ederon.

Der Lorgren bleckte die Zähne. Dann nickte er. „Ich weiß aber nicht, ob sie Euch anhören wollen.“

„Das lass meine Sorge sein“, erwiderte Ederon. Er klopfte gegen die Tür, sodass die Wache ihn, Norag und den Hauptmann herausließ.

„Was ist das für eine Geschichte“, fragte er draußen den Hauptmann. „Warum ist sie dem Lorgren so wichtig?“

„Nun, Herr ... es ist ein Kindermärchen, das man sich auf den Taliden erzählt, aus der Zeit noch, als die Lorgren noch nicht zwei Inseln der Taliden besaßen.“

„Dann bitte, Hauptmann, erzählt mir die Geschichte, wie Ihr sie Euren Kindern erzählen würdet, und ich bilde mir selbst ein Urteil.“

„Wie Ihr wünscht, Herr.“

5

„Und so musste der Gott des Todes unverrichteter Dinge wieder von dannen ziehen“, endete der alte Mann mit der runzeligen Haut. Das Feuer loderte und spiegelte sich auf seiner kahlen Stirn.

„Und wo ist die Schuppe des Totendrachen heute?“, fragte das kleine Mädchen, das neben Fesor saß. Es hatte der Geschichte des Alten aufmerksam gelauscht. Ihr war dabei sogar ihre Puppe ein ums andere Mal fast heruntergefallen, weil sie so abgelenkt gewesen war.

„Nicht weit von hier, in einem Bergsee in der Mitte der Insel“, erwiderte der Alte verschmitzt lächelnd.

„Aber wieso wollte er denn nicht mehr unsterblich sein?“, fragte ein Junge, der etwas älter als das Mädchen war. Sie alle saßen im Halbkreis um den Geschichtenerzähler.

„Er lebte damals nahe dem Geltschersee, und als seine Frau und er alt wurden, entschied er sich, zu seinen Vorfahren zurückzukehren. Er warf das Amulett hinein in den See und wer weiß, vielleicht ist Nidrr schon an seiner Tür gewesen“, antwortete nun der Alte. „Er hatte keine Angst mehr vor ihm.“

Fesor Dorfeich stand auf und verließ den Halbkreis der Zuhörer. Er kannte den Geltschersee. Ob die Geschichte des Alten wohl wahr war?

Unsterblichkeit ... Fesor war gerade einmal zwanzig Winter alt. Er vermochte sich die Ewigkeit kaum vorzustellen. Während er zurück zum zentralen Platz des Jahrmarktes ging, fiel sein Blick auf Ajana Intavas. Sie war die Tochter des Totengräbers.

Eine Ewigkeit mit ihr wäre sicher auszuhalten, überlegte Fesor.

Sie sah ihn und lächelte ihm zu. Er nickte unauffällig zum Waldrand. Ihr Lächeln wurde breiter.

Kurz darauf saßen sie unter einer alten, knorrigen Eiche. Sie wurden in das schummrige Licht einer Laterne getaucht. Ajana schmiegte sich an ihn.

„Wenn die Leute wüssten, dass du dich mit der Tochter des Totengräbers abgibst“, flüsterte sie und lächelte ihn an.

Fesor strich ihr eine lockige Strähne ihres kastanienbraunen Haares aus dem Gesicht.

„Ist das nicht gleichgültig?“, erwiderte er nach einem Moment.

Sie biss sich auf die Unterlippe, nickte dann aber.

„Was ist?“, fragte er. Er kannte diese Geste von ihr. Sie hatte noch etwas zu sagen, würde es aber nicht von selbst sagen.

„Nichts, nur ... Manchmal frage ich mich, wie lange das noch gut geht mit unseren geheimen Treffen. Ewig ja wohl kaum.“

Ewig – etwas an diesem Wort brachte in Fesors Gedanken etwas ins Rollen. Nach einer Weile hielt Ajana die Stille nicht mehr aus.

„Willst du dazu nicht etwas sagen?“, fragte sie vorsichtig. Er nickte nachdenklich. „Wir“, setzte er an und zögerte, bevor er weitersprach, „wir sollten fliehen, weg von hier. Ich beherrsche mein Handwerk und in der Stadt, so heißt es, wäre alles besser: Arbeit für jeden. Stadtluft macht frei, wie du weißt.“

Sie sah ihn mit großen Augen an, als ob er verrückt wäre. Hoffnung und Entsetzen mischten sich in ihrem Blick.

„Nimmst du mich auf den Arm? Wenn ja, ist das nicht lustig“, sagte sie dann. Ihre Stimme zitterte.

Er lachte. „Nein, das ist mein Ernst. Aber ich will, dass wir am Geltschersee vorbei in die Stadt wandern. Dort ist ein großer Hafen, wir könnten nach Katragon fahren.“

„Weshalb das?“

Sie sah ihn ehrlich überrascht an.

„Es gibt da eine Geschichte. Ich will wissen, ob da etwas dran ist“, erklärte er vorsichtig. Sie schnaubte spöttisch.

„Die Geschichte von dem Amulett im See, der sogenannten Schuppe Nidrrs, das unsterblich macht, oder wahlweise den Todesdrachen fernhält? Das ist nicht dein Ernst.“

Er nickte und sie lächelte. Dann sagte sie: „Gut, lass uns fliehen.“

Beide eilten nach Hause, denn sie wussten, dass sie keine bessere Gelegenheit zur Flucht bekommen würden.

Etwas später trafen sie sich mit geschnürten Bündeln wieder unter dem Baum. Von da aus machten sie sich zum Geltschersee auf.

Sie wanderten die ganze Nacht. Am Morgen verließen sie die bekannten Wanderwege des Waldes, um ein Lager zu errichten. Niemand sollte sie finden und noch waren sie zu nahe am Dorf.

In eine Decke gewickelt, schliefen sie ineinander verschlungen bis zur Mittagsstunde.

Fesor erwachte, als die Strahlen der im Zenit stehenden Sonne ihm ins Gesicht schienen. Er weckte Ajana zärtlich und nach einem kurzen Mittagessen, bestehend aus Brot, gedörrtem Schinken und Äpfeln, machten sie sich erneut auf den Weg.

„Glaubst du daran, dass im Geltschersee ein Amulett liegt, um den Tod zu vertreiben?“, fragte Ajana schließlich, als sie eine Weile schweigend durch den Wald gegangen waren. Sie wirkte nachdenklich.

„Ist das denn wichtig für dich? Heute morgen sagtest du, du willst mir meine Spinnerei lassen“, erwiderte er und zwinkerte.

„Schon“, stimmte sie ihm noch immer nachdenklich dreinblickend zu, „aber wenn du recht hättest ...“ Sie ließ den Satz eine Weile unvollendet, bis sie schließlich sagte: „Wir könnten für immer zusammen sein.“

Sie sah, wie er nickte. „Ja, anders würde es sich kaum lohnen.“

Als er ihren fragenden Blick sah, erklärte er: „Die Einsamkeit würde die Ewigkeit doch langweilig machen, oder? Jeder Mensch, den man kennenlernen würde, würde einem irgendwann wegsterben. Man hätte die Ewigkeit, aber niemanden, um sie zu teilen, zum Reden und um sie zu genießen. Ohne dich wäre die Ewigkeit nicht lohnenswert.“

Sie lächelte und nahm seine Hand. Er blieb stehen und erwiderte das Lächeln. Nach einem langen Kuss machten sie sich wieder auf den Weg.

Langsam wurde der Weg steiler. Sie kreuzten eine schmale Straße, die sich durch den Wald wand, und auf einem alten Wegstein las Fesor, dass ein Dorf namens Kattheim nicht weit war. Sie entschieden sich dagegen im Dorf haltzumachen, um keine verfolgbaren Spuren zu hinterlassen.

Fesor entdeckte bald darauf eine kleine Höhle im Berg, die mehrere Schritte tief hineinging.

Sie lagerten dort und ruhten sich aus.

Spät am Abend zog ein Gewitter auf, das nach einem starken Regenguss wieder abflaute, sodass sie sich am nächsten Morgen wieder auf den Weg machten.

Sie kletterten den steilen Berghang hinauf, als Ajana plötzlich aufschrie.

Fesor wirbelte herum und konnte gerade noch sehen, wie Ajana fiel. Sie hatte den Halt verloren und rollte nun den steilen Hang herab. Abrupt endete ihr Weg, als ihr Fuß sich an einer knorrigen Wurzel verfing. Es knackte laut und vernehmlich.

Fesor rannte zu ihr. Er nahm sie in den Arm, während sie vor Schmerz zu wimmern begann. Fesor wog sie sanft im Arm.

„Ruhig, Ajana, das wird wieder gut“, raunte er ihr zu. Er besah sich den Fuß. „Tut mir leid, aber das muss jetzt“, erklärte er und bevor sie widersprechen konnte, zog er ihren Fuß vorsichtig aus der eingeklemmten Position. Sie schrie laut auf.

„Der ist gebrochen“, stellte Fesor leise fest und nahm Ajana wieder in den Arm. Er hob sie hoch und begann sie den Berg hinabzutragen.

„Wohin?“, wimmerte Ajana, die sich langsam beruhigte.

„Kattheim, das Dorf war laut dem Stein nahe“, erklärte er. „Da gibt es sicher einen Heiler.“

So schnell er konnte trug er sie zum Dorf. Langsam begannen seine Arme zu erlahmen. Verbissen kämpfte er dagegen an sie abzusetzen. Er wusste, wenn er nachgab, würde er sie kaum noch den Rest des Weges tragen können.

Bald tauchten zwischen den Bäumen erste Häuser als Schemen auf.

Sie erreichten eine kleine Wiese. Ein älterer Mann mit grau durchwirktem Bart stand an einem Block und hackte Holz.

Als er sie sah, hielt der Mann inne und beäugte die beiden misstrauisch.

„Sie ist gestürzt, bitte, helfen Sie uns“, bat Fesor. Der ältere Mann nahm sie Fesor ab.

„Bei dem Winkel is‘ es gebrochen, ne?“, fragte der Mann und musterte den Fuß. Fesor nickte. Ajana war bereits seit einer Weile bewusstlos. Der Schmerz schien zu groß geworden zu sein.

„Ich bring euch zu Wana“, erklärte der Mann. „Sie ist die Frau vom Wirt und hat früher als Hebamme geholfen. Kann heilen, wisst ihr?“

Wana war eine Frau in den Vierzigern mit rotblondem Haar, das langsam dünner wurde.

Als die drei beim Wirtshaus auftauchten, bot sie ihnen gleich ein Zimmer und eine Behandlung an. Das Wirtshaus hatte keinen Namen, da es das einzige im Dorf war.

„Aber das ist nicht umsonst“, rief ihr Mann von unten herauf, während sich Wana Ajana ansah.

„Ja ja“, rief diese herunter. An Fesor gewandt fügte sie hinzu: „Geh besser zu ihm und bezahl, du kannst mir gerade nicht helfen.“

Fesor nickte und drückte Ajanas Hand, bevor er hinunterging und bezahlte. Bald rief ihn Wana zu sich. Ajana lag im Bett und schwitzte. Um ihr Bein waren ein Verband und eine Schiene befestigt worden.

„Ich glaube, eine ihrer Rippen ist gebrochen“, erklärte Wana und zeigte Fesor einen dunklen Fleck auf Ajanas Seite. „Dazu der Knöchel.“

„Wie schlimm ist es?“, fragte Fesor. Ihm machte Wanas Tonfall Sorgen. Sie zögerte, bevor sie antwortete.

„Ich bin mir nicht sicher, ob die Rippe innen viel verletzt hat. Morgen weiß ich sicher mehr“, sagte sie. Fesor nickte langsam und setzte sich auf die Bettkante. Er nahm Ajanas Hand in die seine.

Eine Weile saß er stumm da. Wana hatte den Raum verlassen. Sie waren allein.

Zumindest glaubte er das.

Plötzlich nahm er aus den Augenwinkeln eine Person war. Als er herumfuhr, sah er eine bleiche, traurig blickende Gestalt. Sie trug eine dunkle Kutte und stützte sich stumm auf einen runzligen Stab.

„Wer bist du?“, fragte Fesor erstaunt. Er ahnte es bereits, wollte es aber nicht wahrhaben. Neugierig musterte ihn der Fremde. Er war dünn, knochig, mit finsteren Augen.