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**Hüte dich vor der dunklen Seite der Magie** Luisa ist alles andere als eine Draufgängerin. Nie würde sie die Regeln brechen, ganz gleich welche, schließlich hatte sie stets nur ein Ziel: Teil der Organisation zu werden, die alles Fantastische vor den Augen der Menschen verbirgt – der Agency. Und endlich hat sie es geschafft! Seit Kurzem ist sie ein Special Agent der Anderswelt. Aber ausgerechnet einer ihrer neuen Teamkollegen bringt sie mit seinem rebellischen Charakter und seinem entwaffnenden Lächeln immer wieder aus dem Konzept. Alator Stanson ist ein Womanizer, wie er im Buche steht, und niemals würde Luisa seinen Avancen nachgeben. Vor allem jetzt nicht, da ein magischer Kristall aufgetaucht ist, der Jahrhunderte verschwunden war und das Tor zu einer Welt birgt, die niemals geöffnet werden darf. Der Schattenwelt. Nach dem enormen Erfolg der Fantasy-Reihe »Secret Elements« folgt nun endlich ein weiteres Meisterwerk aus der Feder von Johanna Danninger. Mit ihrem einzigartigen Schreibstil gelingt es der Autorin immer wieder, ihre Leser in den Bann zu ziehen und vollends zu begeistern. //»Secret Darkness. Im Spiegel der Schatten« ist die Vorgeschichte zur beliebten Bestseller-Reihe »Secret Elements«. Der Roman ist in sich abgeschlossen und kann als Einzelband gelesen werden.// //Alle Bände der »Secret Elements«-Reihe: -- Secret Elements 0: Secret Darkness: Im Spiegel der Schatten (Die Vorgeschichte) -- Secret Elements 1: Im Dunkel der See -- Secret Elements 2: Im Bann der Erde -- Secret Elements 3: Im Auge des Orkans -- Secret Elements 4: Im Spiel der Flammen -- Secret Elements 5: Im Schatten endloser Welten -- Secret Elements 6: Im Hunger der Zerstörung -- Secret Elements 7: Im Rätsel vergangener Zeiten -- Secret Elements 8: Im Zeichen des Zorns -- Secret Elements 9: Im Licht göttlicher Mächte -- Die E-Box mit den Bänden 0-4 der magischen Bestseller-Reihe -- Die E-Box mit den Bänden 5-9 der magischen Bestseller-Reihe//
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Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
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Johanna Danninger
Secret Darkness. Im Spiegel der Schatten (Ein »Secret Elements«-Roman)
**Hüte dich vor der dunklen Seite der Magie**Luisa ist alles andere als eine Draufgängerin. Nie würde sie die Regeln brechen, ganz gleich welche, schließlich hatte sie stets nur ein Ziel: Teil der Organisation zu werden, die alles Fantastische vor den Augen der Menschen verbirgt – der Agency. Und endlich hat sie es geschafft! Seit Kurzem ist sie ein Special Agent der Anderswelt. Aber ausgerechnet einer ihrer neuen Teamkollegen bringt sie mit seinem rebellischen Charakter und seinem entwaffnenden Lächeln immer wieder aus dem Konzept. Alator Stanson ist ein Womanizer, wie er im Buche steht, und niemals würde Luisa seinen Avancen nachgeben. Vor allem jetzt nicht, da ein magischer Kristall aufgetaucht ist, der Jahrhunderte verschwunden war und das Tor zu einer Welt birgt, die niemals geöffnet werden darf. Der Schattenwelt.
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Vita
© privat
Johanna Danninger, geboren 1985, lebt als Krankenschwester mit ihrem Mann, einem Hund und zwei Katzen umringt von Wiesen und Feldern im schönen Niederbayern. Schon als Kind dachte sie sich in ihre eigenen Geschichten hinein. Seit sie 2013 den Schritt in das Autorenleben wagte, kann sie sich ein Leben ohne Tastatur und Textprogramm gar nicht mehr vorstellen. Und in ihrem Kopf schwirren noch zahlreiche weitere Ideen, die nur darauf warten endlich aufgeschrieben zu werden!
Frühsommer 1992
Ein herrlicher Morgenhimmel erstreckte sich über der Anderswelt. Leise Popmusik wehte durch den Raum. Der heutige Tag war für mich etwas ganz Besonderes. Ehrfürchtig strich ich über den dunkelblauen Stoff meiner nagelneuen Uniform und drehte mich vor dem Spiegel in meinem Schlafzimmer. An meiner rechten Brust schimmerte das mattschwarze Emblem der Agency, ein verschnörkeltes A umgeben von einer Raute. Darunter war Lt. Cunningham in den Stoff der Uniform gestickt. Ich hatte so lange auf diesen Tag hingearbeitet, doch nun kam es mir merkwürdig irreal vor, mich in dieser Uniform zu sehen.
Lieutenant Luisa Cunningham.
Special Agent.
Team 6.
Ich widerstand dem Drang, hysterisch zu kreischen und freudige Luftsprünge zu machen. Immerhin war ich seit heute offizielles Mitglied der exekutiven Abteilung für Stabilitätswahrung und Sicherheit und wollte mich dem hochtrabenden Namen meiner Arbeitsstelle entsprechend verhalten. Das breite Grinsen in meinem Gesicht konnte ich nicht verhindern, aber noch sah mich ja keiner.
Zum tausendsten Mal überprüfte ich den Sitz meines Haargummis. Er saß immer noch bombenfest und hielt mein dunkelrotes Haar in einem hohen Pferdeschwanz zusammen, der bis zu meinen Schulterblättern hinabbaumelte. Meine grünen Augen strahlten mir wach und aufmerksam entgegen. Ich war bereit für meinen ersten Arbeitstag.
Seit ich klein war, wollte ich Agentin der Special Forces werden, einer Abteilung der Agency, die dafür sorgte, dass die Anderswelt vor den Augen der Menschen verborgen blieb.
Grundsätzlich unterschieden wir, das Volk der Tuatha de Dannan, uns eigentlich nur durch ein einziges Gen von den Menschen. Doch dieses Gen verlieh uns übermenschliche Fähigkeiten und Begabungen, die bei jedem Tuatha anders ausfielen. Insgesamt gab es fünf verschiedene solcher Begabungen mit unterschiedlichen Ausprägungen. Außerdem verfügte unser Volk über ein großes Wissen und Verständnis der Naturgesetze und wir nutzten Technologien, die dem Stand der Dortwelt weit voraus waren. In den Händen der machthungrigen Anführer der Menschen hätten sie sicher großen Schaden angerichtet.
Vor vielen Jahrtausenden hatte es nur eine Welt gegeben, in der alle Völker friedlich miteinander lebten. Bis der große Krieg entflammt war, ausgehend vom Neid und Missgunst der Menschen, dessen Wucht beinahe sämtliches Leben auf der Erde vernichtet hätte. Die Göttin Danu, die Energie, die uns alle einst erschuf, sah sich gezwungen einzuschreiten. Sie brachte es nicht über sich, die Menschen, die ihre eigene Schöpfung waren, auszulöschen.
So wurde die Anderswelt erschaffen, wo alle magischen Völker eine Heimat fanden. Das Gedächtnis der letzten Menschen wurde gelöscht, bevor man ihnen die Dortwelt überließ. Zu jener Zeit, vor knapp fünftausend Jahren, wurde auch die Agency gegründet, deren Aufgabe es bis heute war, die Anderswelt vor den Menschen verborgen zu halten und zu schützen, ohne in die Belange der Dortwelt einzugreifen.
Und ab sofort war das auch meine Aufgabe.
Ich salutierte vor meinem Spiegelbild und ging in den Wohnbereich meines Apartments. Vorerst hatte ich mich im Wohnheim der Agency eingemietet, um mich in Ruhe nach einer Wohnung in der nahegelegenen Stadt Avalon umsehen zu können. Mir gefiel es hier eigentlich ganz gut. Das Apartment war nicht übermäßig groß, aber völlig ausreichend für eine Person. Die Einrichtung spiegelte schlichte Eleganz und Funktionalität. Vom Balkon aus hatte man freien Blick auf den Smaragdwald, der sich hinter dem Gelände der Agency erstreckte. Außerdem fühlte ich mich in der Hauptzentrale schon recht heimisch, da ich hier meine Grundausbildung absolviert hatte.
Von meinen Kameraden aus dieser Zeit hatte niemand hier einen Job ergattert. Das war schade, denn ich vermisste meine Freunde jetzt schon. Und ich hätte mich sicher noch etwas wohler gefühlt, wenn ich jemanden gekannt hätte, mit dem ich mich nach der Arbeit treffen und austauschen könnte. Aber das würde schon werden.
»Ewa, Musik aus!«, sagte ich in den Raum hinein.
»Lautstärke neun«, antwortete die abgehakte Computerstimme meiner intelligenten Wohneinheit.
Manchmal auch weniger intelligent … Das nagelneue Steuerungssystem wies deutliche Macken auf, die mich vermutlich noch einige Nerven kosten würden.
»Ewa – Musik STOPP!«, befahl ich.
»Alles klar, Luisa. Ich stoppe die Wiedergabe.«
Der aktuelle Song der Spice Girls verstummte. Ich hatte schon immer ein Faible für die Musik der Dortwelt gehabt. Was das anbelangte, waren die Menschen uns ausnahmsweise ein Stück voraus.
Als ich aus meiner Wohnung trat, erfasste mich fiebrige Nervosität. Ich war zu früh dran und musste mich beherrschen, um in gemäßigtem Tempo durch den Flur im ersten Stock des Apartmenthauses zu schreiten. Während ich die Treppe hinunterstieg, rief ich mir die Profildaten meiner zukünftigen Teamkollegen in Erinnerung:
- Captain Leah Bristol. Siebenunddreißig Jahre. Anführerin von Team 6 und die Einzige, die ich durch das Einstellungsgespräch bisher kennengelernt hatte.
- Jack Moses. Achtundzwanzig Jahre.
- Eleanór Chester. Fünfundzwanzig Jahre.
- Alator Stanson. Fünfundzwanzig Jahre.
Stanson trug die Begabung eines Animoír ersten Grades, genau wie ich. Solche Willensbrecher waren rar und einer des ersten Grades war noch viel seltener. Trotzdem bildete ich mir nicht viel darauf ein. Auch wenn ich – wie die Bezeichnung schon sagte – dazu fähig war, den Willen anderer zu beeinflussen. Ich war mir bewusst, wie mächtig meine Gabe war, und hätte sie gern gegen eine andere eingetauscht, die nicht so verantwortungsvoll war, doch eine Wahl blieb mir nicht. Ich war vorher noch nie einem anderen Tuatha mit dieser Begabung begegnet, abgesehen von meiner Mutter natürlich, und war anfangs wirklich gespannt darauf gewesen, diesen Stanson kennenzulernen.
Inzwischen hatte sich das gelegt, denn ihm eilte ein zweifelhafter Ruf voraus. Ich hatte mich in den letzten Tagen umgehört und von allen Seiten das Gleiche erfahren: Alator Stanson war ein Flegel. Und das war noch die netteste Bezeichnung gewesen.
Er hielt sich scheinbar ungern an Regeln und war bereits dreimal haarscharf an einem Rausschmiss entlanggeschrammt. Es gab die wildesten Gerüchte darüber, wie er sich da jedes Mal rausboxen konnte. Von Bestechung bis hin zum Missbrauch seiner Begabung war alles dabei.
Stanson galt außerdem als gewaltiger Herzensbrecher. Zahlreiche Tränen waren seinetwegen schon vergossen worden und obwohl ganz Avalon davon wusste, lagen die Frauen ihm weiterhin scharenweise zu Füßen.
Ich drückte die Eingangstür einen Spaltbreit auf und schlüpfte hinaus in den Innenhof. Alles deutete auf einen wunderschönen Frühsommertag hin. Ein wolkenloser Himmel breitete sich über dem Gelände der Agency und über dem viereckigen Springbrunnen in seiner Mitte aus. Die Sonne brachte den hohen Eisenzaun zum Leuchten, der das gesamte Gelände umgab.
Ich wandte mich nach rechts und hielt kurz inne, um das eindrucksvolle Hauptgebäude der Agency zu betrachten. Mit seinen zwölf Stockwerken ragte es weit in den Himmel empor. Jede Etage war wie ein quadratischer Würfel geformt, die nach oben hin immer kleiner wurden. Die Fassade schimmerte wie zartes Elfenbein. Rund um das Erdgeschoss verlief ein Arkadengang aus imposanten Steinsäulen. Insgesamt vermittelte das Bauwerk einen äußerst ehrwürdigen Eindruck.
Plötzlich traf mich ein harter Schlag in die Seite. Jemand hatte die Eingangstür schwungvoll aufgestoßen und mich erwischt. Während ich mich mit einem Ausfallschritt abfangen musste, schien dieser jemand nicht einmal bemerkt zu haben, dass er gerade ein Hindernis touchiert hatte. Verärgert rieb ich über meinen pochenden Ellbogen, schluckte aber eine entsprechende Bemerkung herunter, als ich erkannte, wer dieser jemand war.
Alator Stanson trat mit einer kichernden jungen Frau im Arm aus dem Gebäude. Er trug seine Einsatzkleidung und hatte die Uniformjacke lässig über die Schulter geworfen. Sein muskulöser Oberkörper zeichnete sich unter dem schwarzen, hautengen Shirt ab, das eigentlich nur als Unterhemd dienen sollte. Sein braunes Haar war zerzaust, als wäre er gerade aus dem Bett gefallen und dem Gackern seiner Begleiterin nach zu urteilen hätte dies auch gut der Fall sein können.
Die beiden ignorierten meine Anwesenheit und ich beobachtete stirnrunzelnd, wie Stanson die Frau zu einem Kuss zu sich heranzog. Sie streichelte ihm mit laszivem Lächeln über den Dreitagebart und formte mit ihren Fingern ein Telefon, das sie sich ans Ohr hielt, bevor sie mit einem übertriebenen Hüftschwung zu einem der Apartmenthäuser ging.
Stanson sah ihr nach und seufzte zufrieden. Dann drehte er sich um und hielt inne, als er endlich meine Wenigkeit bemerkte. Er ließ einen schnellen Blick über mich gleiten, bis ihm offenbar ein Licht aufging.
»Du musst Luisa Cunningham sein«, sagte er und legte ein charmantes Lächeln auf. Er streckte mir seine Hand entgegen. »Alator Stanson. Ab heute dein neuer Teamkollege.«
Mich verwunderte nicht, dass er mich sofort erkannte. Bestimmt hatte das ganze Team meine Profildaten studiert, genau wie ich auch ihre. Was mich jedoch verwunderte, war, dass ihm nicht im Geringsten peinlich zu sein schien, wovon ich gerade Zeuge geworden war.
Zögernd erwiderte ich schließlich seinen Handschlag. »Freut mich sehr, Alator.«
Ich bemerkte, wie er aufmerksam die Tätowierung an meinem rechten Handgelenk betrachtete, bevor er seinen Griff löste. Dabei glaubte ich einen Anflug von Missbilligung in seinen braunen Augen zu erkennen. Vielleicht hatte ich mich aber auch getäuscht, denn gleich darauf musterte er mich mit einem Blick, der fast schon anzüglich wirkte.
»Du darfst Tory zu mir sagen«, verkündete er, als wäre die Verwendung seines Spitznamens nur erlesenen Kreisen vorbehalten. Er nickte auffordernd in Richtung Hauptgebäude und wir gingen nebeneinander los. »Und wie darf ich dich nennen?«
»Luisa«, antwortete ich neutral.
Er grinste. »Na gut. Vorerst.«
»Vorerst?«
»Ja, bis mir etwas Besseres einfällt. Ich finde nämlich, jemand mit so einem hübschen Gesicht hat einen besonderen Namen verdient.«
Ich stolperte vor Erstaunen beinahe über meine eigenen Füße. Er kannte mich gerade mal eine Minute und schon bekam ich seinen Ruf am eigenen Leib zu spüren. Offenbar machte er nicht einmal vor einer Teamkollegin halt. In Anbetracht des Abschiedskusses, den ich gerade erlebt hatte, war das an Dreistigkeit kaum noch zu überbieten. Eigentlich hätte ich ihm das gern gesagt, aber ich konnte es mir ja nicht gleich am ersten Tag mit meinem Teamkollegen verderben.
»Wenn du meinst«, sagte ich darum schlicht und biss die Zähne zusammen.
Wir überquerten den Innenhof. Tory ging dabei so langsam, als handelte es sich um einen zwanglosen Spaziergang. Zusammen mit seinen unverhohlenen Seitenblicken zerrte das gewaltig an meinen Nerven.
»In welchem Apartment wohnst du?«, wollte er wissen.
»3E.«
»Dann sind wir ja Nachbarn!«
Auch das noch!
»Das sollten wir gleich heute Abend bei einem Schluck Wein feiern«, schlug er prompt vor. »Um acht bei mir?«
Krass, dem Kerl wurden ja nicht mal die Gerüchte gerecht! Ich sah zweifelnd zu ihm hinüber und fragte mich, was mit ihm eigentlich nicht stimmte. Aber ich verkniff mir einen bissigen Kommentar und fragte stattdessen: »War das gerade deine Freundin?«
Der scharfe Unterton schien ihm zu entgehen, denn er schüttelte lachend den Kopf, als hätte ich den Witz des Jahrhunderts gerissen. »Nein, das war nur …« Er dachte angestrengt nach und winkte schließlich ab. »Egal. Jedenfalls nicht meine Freundin. Ich bin Single.«
Und damit zwinkerte er mir auch noch zu!
Ich war so perplex, dass ich fast gegen die Tür zum Hauptgebäude gelaufen wäre, hätte Tory nicht an mir vorbeigelangt und sie mit eleganter Geste geöffnet. Wir betraten beide das Gebäude und ich spürte die Röte, die sich inzwischen auf meine Wangen gelegt hatte, aus lauter Ärger über so viel Unverfrorenheit.
Wir waren erst wenige Schritte den schmucklosen Flur entlanggegangen, als er rundheraus fragte: »Und wie sieht es bei dir aus, Luisa? Hast du einen festen Freund?«
Im ersten Moment war ich versucht ihn anzulügen, aber dann presste ich doch ein Nein heraus. Bevor ich hinzufügen konnte, dass das in naher Zukunft auch so bleiben sollte, blieb Tory stehen.
»Hervorragend«, sagte er und grinste breit. Er hob salopp eine Hand zum Gruß. »Bis später, Nachbarin!«
Dann drehte er sich um und schlenderte gut gelaunt in Richtung Zentralaufzug davon. Ich starrte ihm mit heruntergeklappter Kinnlade hinterher, bis er um eine Ecke verschwand und ich meine Fassung wiedergewann.
Sollte das tatsächlich der Einstieg in meinen lang ersehnten Traumjob sein? So hatte ich mir meine neuen Teamkollegen wirklich nicht vorgestellt.
Aufgewühlt sah ich mich um und musste mich erst einmal orientieren, welcher der Gänge vor mir zum Büro des Generals führte. Die Flure im Erdgeschoss muteten wie ein wahres Labyrinth an und zu meiner Anfangszeit in der Agency hatte ich mich oft hier verlaufen.
Ich erschrak, als plötzlich ein Memo an mir vorbeischoss. Diese Verwandten der Kolibris erledigten innerhalb des Gebäudes flink und zuverlässig kleinere Botengänge. Das Vögelchen flatterte so dicht an meiner Nase vorbei, dass ich den Luftzug seiner Flügel auf der Haut spüren konnte. Es trug einen Zettel im Schnabel und war bereits abgebogen, bevor ich es nach dem Weg fragen konnte.
Ich beschloss einfach loszugehen und erreichte wenig später tatsächlich die Empore, unter der sich die Kommandozentrale befand. Aufgeregt beobachtete ich das geschäftige Treiben vor den unzähligen Monitoren. Ein Agent stand vor den holografischen Weltkarten in der Mitte und vergrößerte einen Ausschnitt der Anderswelt, während er einer Kollegin neben ihm konzentriert Anweisungen gab. Im gesamten Raum herrschte ein gewaltiges Stimmengewirr. Dort unten wurden sämtliche Einsätze der Agency koordiniert. Schon bald würde mich von hier aus mein allererster Auftrag erreichen.
Beschwingt ging ich weiter und gelangte zu einer unscheinbaren Tür mit der Aufschrift »General Hoskins«. Ich zupfte meine Uniform glatt, straffte den Rücken und klopfte an die Tür.
»Kommen Sie rein!«, hörte ich den General antworten.
General Hoskins war ein Mann mit strengem Kurzhaarschnitt und noch strengeren Ansichten. Die wenigen Male, die ich bisher mit ihm zu tun gehabt hatte, waren mir gut in Erinnerung geblieben. Wer einmal von seinen eisblauen Augen durchbohrt worden war, würde das Gefühl, bis in jeden Winkel durchleuchtet worden zu sein, wohl kaum vergessen. Dabei trug Hoskins eigentlich die Begabung eines Rólechaín, eines sogenannten Funkers, der telepathisch mit jedem anderen Funker auf dem Planeten in Kontakt treten konnte. Gedankenlesen konnte er also nicht, trotzdem hütete sich jeder davor, ihn anzulügen.
Als ich den Raum betrat, saß er gerade hinter seinem wuchtigen Schreibtisch. Auf einem der beiden Stühle davor wartete Leah Bristol mit locker überschlagenen Beinen. Die Frau mit den wilden blonden Locken war mir schon beim Vorstellungsgespräch äußerst sympathisch gewesen. Sie war eine Fínniór, eine Wahrheitsfinderin, deren Begabung dem Gedankenlesen ziemlich nahekam. Als Grad zwei konnte sie die Gefühle anderer uneingeschränkt wahrnehmen.
Ihr freundliches Lächeln stand in krassem Kontrast zu den harten Gesichtszügen von Hoskins, dessen stechender Blick mich unwillkürlich beunruhigte.
»Guten Morgen«, sagte ich und nahm Haltung an. »Lieutenant Cunningham meldet sich zum Dienst!«
Leahs Mundwinkel zuckte amüsiert. Hoskins nickte wohlwollend, offenbar überaus zufrieden mit meinem Auftritt.
»Willkommen Agent«, begrüßte er mich und deutete auf Leah. »Captain Bristol kennen Sie ja bereits.«
Sie warf ihre Locken zurück und stand auf, um mich mit einem festen Händedruck zu empfangen. »Willkommen in Team 6.«
»Danke, Captain.« Ich sah ihr fest in die Augen. »Es ist mir eine Ehre.«
Wieder zuckte ihr Mundwinkel. Doch bevor ich mir darüber Gedanken machen konnte, ergriff der General das Wort.
»Nun, Lieutenant, Ihre Bewertungen sprechen für sich. Junge Agenten von Ihrem Format sind prädestiniert für eine erfolgreiche Karriere hier in Avalon. Sie wissen vermutlich, dass wir nur selten Special Agents aufnehmen, die gerade erst ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Die hier stationierten Special Forces sind äußerst erfahren und gelten nicht umsonst als die besten der Anderswelt.«
Die eisblauen Augen bohrten sich unbarmherzig in mein Innerstes.
»Ja, Sir, das ist mir bekannt«, sagte ich ernst. »Ich danke Ihnen für diese außerordentliche Chance. Ich werde Sie nicht enttäuschen, Sir!«
Hoskins lehnte sich zurück. »Das erwarte ich auch. Und nun lassen Sie sich von Captain Bristol einweisen.«
Die Begrüßung war somit wohl beendet, denn er nahm eine Akte von seinem Schreibtisch und vertiefte sich darin, als wären wir gar nicht mehr anwesend.
Leah bedeutete mir ihr nach draußen zu folgen. Mir war zwar unwohl mich ohne Abschiedsworte von Hoskins zu entfernen, aber da sie ebenfalls nichts sagte, schien es für den General so in Ordnung zu sein.
Sobald wir auf der Empore standen, nahm ich wieder Haltung an.
»Wie geht es jetzt weiter, Captain?«
Leah zog die Tür hinter sich zu.
»Rühren, Soldat«, sagte sie und grinste. »Du musst noch viel lernen, Luisa. Regel Nummer eins: Mein Name ist Leah. Regel Nummer zwei: In Team 6 ist ein militärischer Umgangston nicht erwünscht. Und Regel Nummer drei: Jeder Tag muss mit einem ausgewogenen Frühstück beginnen!«
Vergnügt marschierte sie los und ich folgte ihr irritiert. Drei Jahre lang war ich auf stramme militärische Haltung trainiert worden und dieses lässige Verhalten meiner Vorgesetzten überforderte mich. Ich wollte unbedingt alles richtig machen, darum musste ich mich schnellstens umprogrammieren und versuchen einen ebenso lockeren Ton anzuschlagen.
»Wo gehen wir hin, Cap… Leah?«, fragte ich sie.
»Wir befolgen jetzt Regel Nummer drei.«
***
Die Kantine befand sich im zwölften Stockwerk und wurde von den besten Köchen der Anderswelt betrieben: den Zwergen.
Das Zwergenvolk – oder die Mirraka, wie sie sich selbst nannten – war genauso grantig, wie seine Speisen schmackhaft waren. Ich konnte mich gut an meinen ersten Tag der Grundausbildung zurückerinnern, als ich durch einen kleinen Fauxpas am Getränkeautomaten den geballten Zorn des Chefkochs auf mich gezogen hatte. Obwohl der Kerl mir gerade mal bis zum Bauchnabel ging, hatte ich damals großen Respekt vor diesem stampfenden Zwerg. Was ihm an Körperhöhe fehlte, machte er problemlos durch Lautstärke wieder wett. Seither begegnete ich diesem explosiven Volk mit größter Vorsicht.
Leah führte mich zur Essensausgabe und reichte mir ein Tablett. Während sie ihres bereits mit Speisen füllte, ließ ich meinen Blick durch die Kantine schweifen, die mit eleganten Esstischen ausgestattet war und eher einem Restaurant als einem Speisesaal glich. Sonnenlicht flutete durch die breite Fensterfront in den großen Raum. Wie in jeder Etage dieses Gebäudes gab es auch in der Kantine einen Balkon, dessen gemütliche Sitzmöbel zum Verweilen einluden. Trotz des herrlichen Wetters hatten die meisten Agenten sich aber an den Tischen im Innenbereich versammelt. Entspannte Gespräche und fröhliches Lachen gesellte sich zu dem Geklapper von Geschirr. Es klang vertraut und rief schöne Erinnerungen an die Zeit meiner Grundausbildung wach.
Ich erschrak, als mein Blick auf ein Paar braune Augen traf, die mich eingehend musterten. Alator Stanson machte sich keineswegs die Mühe, seine Neugier zu verbergen. Stattdessen setzte er ein souveränes Grinsen auf, das mich gleich wieder in Rage brachte.
Er sagte etwas zu den Leuten, mit denen er am Tisch saß, woraufhin sie sich alle zu mir umdrehten. Das gesamte Team 6 schaute mich an, als ob ich eine Jahrmarktsattraktion wäre.
Na, großartig!
»Keine Angst«, sagte Leah zu mir, die offenbar die ganze Szene mitverfolgt hatte. Sie schob mich sanft ein Stück weiter aus dem Blickfeld von Team 6. »Sie sind natürlich alle extrem neugierig auf dich, aber das wird sich schnell legen. Ich bin sicher, dass du hervorragend ins Team passt.«
Ich lächelte dankbar und lockerte meinen verkrampften Griff um das Tablett.
»Ich werde mir Mühe geben.«
Sie schüttelte tadelnd den Kopf. »Nein, das wirst du nicht. Du sollst so sein, wie du wirklich bist. Eine Kameradschaft, die auf erzwungener Freundlichkeit beruht, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Vertrauen ist essenziell für ein funktionierendes Team der Special Forces und dir wird hier niemand vertrauen, wenn du dich verstellst.«
»Okay«, sagte ich nervös.
Leah schmunzelte. »Luisa, ich hätte dich nicht in Team 6 aufgenommen, wenn ich da irgendwelche Bedenken hätte. Meine Fínniór-Begabung ist in solchen Fällen sehr hilfreich, wenn du verstehst, was ich meine.«
Natürlich verstand ich das. Immerhin erlaubte ihr diese Fähigkeit, fremde Emotionen wahrzunehmen. Als Animoír konnte ich mich zwar davor schützen, doch bei meinem Bewerbungsgespräch hatte ich sie bereitwillig in meine Gefühlswelt blicken lassen, um ihr auch auf diese Weise zu zeigen, wie sehr ich danach strebte, ein guter Special Agent zu werden.
Obwohl ich nicht besonders hungrig war, legte ich ein wenig Obst auf mein Tablett und stellte eine Tasse Kaffee daneben, während Leah auf mich wartete.
»Übrigens«, sagte sie, als wir uns auf den Weg zu unserem Tisch machten, »lass dich von Stanson nicht aus der Ruhe bringen. Am besten weist du ihn von Anfang an in die Schranken, damit er gar nicht erst auf dumme Gedanken kommt.«
Ich nickte artig und folgte ihr. Dabei achtete ich darauf, möglichst stolz und erhaben auf mein künftiges Team zuzuschreiten. Was mir aber leider nicht ganz gelang, denn vor lauter Erhabenheit übersah ich einen Zwerg, der mit einem Servierwagen meinen Weg kreuzte.
Ich rempelte ihn mit der Hüfte an und der Stapel schmutziger Teller auf seinem Wagen fiel mit einem unheilvollen Klirren um. Noch unheilvoller war jedoch der erzürnte Gesichtsausdruck des Zwerges, der so tief Luft holte, dass sein langer Bart bis in die Spitzen vibrierte.
Dann brüllte er auf Zwergisch los, obwohl sich das angerichtete Desaster eigentlich in Grenzen hielt, denn von dem Porzellan war nichts zu Bruch gegangen.
Inzwischen waren sämtliche Augenpaare der Kantinengäste auf mich und den keifenden Zwerg gerichtet. Teils amüsiert, teils mitleidsvoll beobachteten sie das Geschehen und fragten sich vermutlich, wer die Neue mit den roten Haaren und dem noch röteren Gesicht denn wohl war.
Liebste Danu, lass mich bitte auf der Stelle im Erdboden versinken!
Weil meine Gebete nicht erhört wurden, stammelte ich hastig diverse Entschuldigungen und ergriff kurzerhand die Flucht. So schnell es der schwappende Kaffee auf dem Tablett zuließ, eilte ich zu Leah, die längst am Tisch des Teams Platz genommen hatte und mich mitfühlend anlächelte.
»Starker Auftritt, Cunningham!«, stellte Stanson fest, kaum dass ich die Gruppe erreicht hatte.
Leah warf ihm einen strafenden Blick zu, der ihn vorerst verstummen ließ. Eleanór Chester stand auf und bedachte mich mit einem strahlenden Lächeln. Sie sah in Wirklichkeit sogar noch liebenswerter aus als auf ihrem Profilbild. Ihr langes dunkles Haar war zu einem Zopf geflochten und ihre dunkelblauen Augen wirkten warmherzig und freundlich. Sie war eine Neadóir, eine Glaserin, die sich vollkommen unsichtbar machen konnte.
»Hi, Luisa! Ich bin Elly!«
Sie streckte mir ihre Hand entgegen. Ich stellte umständlich mein geflutetes Tablett ab, um sie zu schütteln, als ich merkte, dass meine Daumen voller Kaffee waren. Eilig zupfte ich ein paar Servietten aus dem Spender in der Tischmitte und rieb meine Hände trocken.
»Sorry«, murmelte ich. »Normalerweise versuche ich derartige Tumulte am frühen Morgen zu vermeiden.«
»Ach, jetzt sind wenigstens alle wach«, erwiderte sie gelassen.
Jack Moses hatte sich ebenfalls erhoben. Er trug wie der General die Begabung eines Funkers. Seine Statur bestand aus beeindruckender Muskelmasse. Mit seinen kurzgeschorenen Haaren wirkte er wie der Inbegriff eines Elitesoldaten, doch in seinem Blick lag etwas Gutmütiges, das mir sofort sympathisch war.
»So was Ähnliches ist mir letzte Woche auch passiert«, sagte er und grinste mich breit an. »Aber bei mir sind drei Teller zu Bruch gegangen. Kannst dir ja vorstellen, was für ein Geschrei das war.« Er streckte mir seine riesige Hand hin. »Ich bin Jack. Willkommen in Team 6.«
Die allgemeine Freundlichkeit verringerte meine Anspannung, obwohl mir mein Zusammenstoß vorhin immer noch wahnsinnig peinlich war.
Elly und Jack setzten sich wieder hin. Leah bedachte Tory mit einem auffordernden Blick, doch er winkte nur ab.
»Wir haben uns schon vorgestellt. Nicht wahr, Nachbarin?«
Ich nickte und ließ mich auf einen freien Stuhl sinken.
Elly verzog das Gesicht. »Du wohnst neben ihm? Du Arme!« Sie wiegte nachdenklich den Kopf. »Die Wohnung über mir ist gerade frei geworden. Da lässt sich bestimmt was machen.«
»Hey, was willst du denn damit sagen?«, beschwerte Stanson sich halbherzig.
»Damit will ich sagen, dass keiner von uns freiwillig neben dir wohnen würde«, entgegnete Elly lässig.
Ich griff nach einem Packen Servietten, um die Sauerei auf meinem Tablett zu beseitigen, und verkniff mir einen Kommentar.
Elly beugte sich ein Stück zu mir.
»Denk lieber darüber nach«, forderte sie mich eindringlich auf.
»Bleib locker, Chester«, sagte Stanson und richtete einen fast schon lüsternen Blick auf mich. »Ich werde unserer Luisa ein guter Nachbar sein.«
Jack rollte mit den Augen und Leah rieb sich seufzend über die Stirn.
Was hatte sie vorher noch gesagt? Ich solle ihn gleich mal in die Schranken weisen?
Zuerst hatte ich noch Skrupel, doch dann sagte ich mit fester Stimme: »Danke für das Angebot, Elly, aber ich komme schon klar.« Ich setzte ein zuckersüßes Lächeln auf. »Wie heißt es so schön? Hunde, die bellen, beißen nicht.«
Ich hielt angespannt den Atem an. Doch Leah und Jack prusteten gleichzeitig los und Elly nickte mir anerkennend zu. Sogar Stanson schien ein Lachen zu unterdrücken. Offenbar besaß er trotz allem eine gesunde Portion Humor. Allerdings regte sich in seinen braunen Augen noch etwas, das mir so gar nicht gefiel. Es sah aus, als hätte er gerade den ehrgeizigen Plan gefasst, mich demnächst vom Gegenteil zu überzeugen.
Meine Güte …
Das Frühstück verlief locker und entspannt. Stanson verzichtete auf weitere Anmachsprüche und ich fühlte mich in Team 6 sehr schnell wohl. Wir unterhielten uns hauptsächlich über die Ausbildung auf Feya und tauschten lustige Geschichten über den ein oder anderen Ausbilder aus. Dabei erfuhr ich, dass Elly und Tory damals im gleichen Kurs gewesen waren. Da sie sich schon so lange kannten, war es verständlich, dass Elly gegen seine seltsame Art inzwischen immun geworden war. Ich hoffte mich ebenfalls schnell daran zu gewöhnen.
Nach dem Frühstück begaben wir uns in den neunten Stock. Dort waren die Special Forces untergebracht. Hier befanden sich die Mannschaftsräume der einzelnen Teams, ein Waffen- und Munitionslager, ein Schießstand und ein großer Fitnessraum.
Da ich schon einmal ein Praktikum bei Team 8 gemacht hatte, war mir diese Etage nicht völlig fremd. Nun aber als vollwertiges Mitglied der Spezialeinheiten über diesen Flur zu gehen, fühlte sich aufregend an und erfüllte mich mit Stolz.
Unser Mannschaftsraum mit der Nummer sechs war eigentlich eher ein Apartment als ein einfaches Zimmer. Er besaß einen Wohnbereich inklusive Couch und Fernseher, eine Küchenzeile und einen großen Esstisch, der gleichzeitig als digitales Datenboard diente. In einer Ecke stand ein Schreibtisch mit PC und in einem Nebenraum befand sich ein eigenes Bad.
Tory ließ sich erschöpft auf die Couch fallen, als hätte er einen anstrengenden Einsatz hinter sich. Elly schritt zu den hohen Fenstern und schob die Balkontür auf, während Jack zum Kühlschrank marschierte und neugierig hineinspähte, obwohl er gerade ausgiebig gefrühstückt hatte.
Ich war zögernd in der Tür stehen geblieben.
»Luisa!«, rief Leah zu mir herüber. »Komm schon rein!«
Ich riss mich aus meiner Starre und zog die Tür hinter mir zu. Das breite Grinsen von heute Morgen hatte sich auf mein Gesicht geschlichen, was ich aber erst bemerkte, als ich Stansons interessierten Blick auf mir ruhen spürte. Eilig bemühte ich mich um eine dienstbeflissene Miene und trat zu Leah an den Esstisch.
»Hier, deine Ausrüstung«, erklärte sie und reichte mir eine schwarze Tasche, die auf dem Boden neben dem Schreibtisch gestanden hatte.
Gespannt zog ich den Reißverschluss auf und breitete den Inhalt der Tasche vor mir auf dem Tisch aus. Da lagen nun ein schwarzes Tablet, ein Multifunktionsarmband mit integriertem Minicomputer, ein Medi-Kit, ein Multitool, ein Sortiment Bannkugeln und eine Plasmapistole – meine erste eigene Handfeuerwaffe.
Begeistert strich ich mit den Fingern über den schlanken Lauf und nahm die Pistole in die Hand. Es war eine B-340, zweite Generation, in Sonderausführung. Ein wunderschönes Stück. Sorgfältig wog ich sie und betrachtete sie eingehend. Ich hatte während meiner Ausbildung gleich mehrere Rekorde bei den Trefferquoten geschlagen und war ein Ass im Umgang mit Waffen jeglicher Art.
»Bist du etwa verknallt, Cunningham?«, fragte Tory belustigt von der Couch her.
Ertappt sah ich zu ihm hinüber und versuchte cool zu wirken. »Eine Goslin 43 wäre mir ehrlich gesagt lieber, aber mit dieser Braxton kann ich mich auch anfreunden.«
»Eine kleine Waffenexpertin, was?« Er kreuzte lässig seine Beine und breitete die Arme über der Rückenlehne aus, als würde ihm die ganze Welt gehören. Seine Jacke hatte er immer noch nicht angezogen, weshalb die Muskeln seines Oberkörpers nun entsprechend zur Geltung kamen. Und ihm war garantiert bewusst, wie außerordentlich gut er gerade aussah.
Allmählich fragte ich mich, ob er vielleicht nur eine Show ablieferte, um die Neue möglichst schwer zu beeindrucken. Zumindest war ich beeindruckt davon, wie sich so viel Selbstverliebtheit in einer einzigen Person versammeln konnte.
Ich wandte mich kommentarlos von ihm ab, als Elly auf mich zutrat und mir tröstend auf die Schulter klopfte.
»Man gewöhnt sich dran«, erklärte sie mit saloppem Wink auf Stanson. »Ignorier ihn einfach.«
Jack ging grinsend an uns vorbei. Er hatte eine Cola aus dem Kühlschrank ergattert und setzte sich damit neben Tory auf die Couch.
Ich fischte den Waffengürtel aus der Tasche, bestückte ihn mit feierlicher Miene und schnallte ihn mir anschließend um die Hüfte.
»Yeah!«, kommentierte Elly fröhlich und reckte ihre Daumen in die Höhe. »Jetzt bist du ein vollständiger Agent.«
Ich lachte glücklich. »Fühlt sich toll an.«
»Das erinnert mich an meine Anfangszeit«, meinte Leah und setzte sich hin. Sie lächelte verträumt. »Den Moment, als ich meine erste Ausrüstung angelegt habe, werde ich wohl nie vergessen.«
Elly ließ sich ebenfalls nieder und seufzte. »Ich auch nicht.«
Ich setzte mich zu den beiden Frauen und programmierte das Armband auf meine gewünschten Einstellungen, während ich ihrem zwanglosen Gespräch über ihre ersten Tage als Special Agents lauschte.
In einer kurzen Gesprächspause meldete sich Stanson zu Wort. »Jack, hast du eigentlich gewusst, dass unser Team die höchste Frauenquote aller Avalon-Einheiten hat?«
Ich saß mit dem Rücken zu ihnen, war mir aber sicher, dass Jack gerade genervt mit den Augen rollte.
Leah rief belustigt: »Wenn’s dir zu viel wird, Stanson, kann ich gern ein Wörtchen mit dem General reden!«
»Nein«, antwortete er gedehnt. »Drei sollten zu schaffen sein.«
Mir klappte wieder einmal die Kinnlade herunter. Elly schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn und Leah stöhnte resigniert.
»Mal ehrlich, Alter«, murrte Jack. »Was stimmt mit dir eigentlich nicht?«
Eine sehr gute Frage!
Leider blieb sie unbeantwortet, weil in diesem Moment der Einsatzalarm durch den Raum schallte. Sofort richtete ich mich kerzengerade auf und starrte die Wand vor mir an, die sich im Nu in einen Bildschirm verwandelte.
»Team 6 – Code 2«, schnarrte eine elektronisch verzerrte Stimme. »Melden Sie sich bei der Zentrale.«
»Zentrale, wir hören«, gab Leah zurück. »Was gibt’s?«
Jetzt öffneten sich auf dem Bildschirm drei verschiedene Fenster mit Einsatzdetails, Verortung und den Profildaten eines Mannes.
»Robert Metz, seit fünfzehn Jahren als Antiquitätenhändler in der Dortwelt registriert, und zwar in Deutschland, München. Er wurde heute Morgen Ortszeit ermordet aufgefunden. Eine Obduktion ist noch nicht erfolgt. Der Tatort wurde bereits von der örtlichen Agency übernommen.«
Leah kratzte sich am Kinn. »Und warum werden wir angefordert?«
»Weil ein Hinweis auf einen Schmuggelring mit Verbindung zur Anderswelt vorliegt.«
»Verstanden, Zentrale. Wir sind schon unterwegs.«
Wie von der Tarantel gestochen, sprang ich auf und war schon an der Tür, als Jack noch in aller Seelenruhe seine Cola leer trank. Stanson erhob sich gemächlich und warf sich lässig die Jacke über die Schulter, als wollte er sich auf eine Shoppingtour begeben.
»Entspann dich, Cunningham«, sagte er zu mir. »Ein Code 2 ist kein Notfall.«
»Das weiß ich«, erwiderte ich gepresst.
Mein unterdrückter Ärger schien ihm zu gefallen. Er trat dicht vor mich und musterte mich amüsiert. »Na, dann …«
Leah gab ihm einen unsanften Stoß und bugsierte ihn zur Tür hinaus. Ich hörte noch, wie sie ihm harsch ins Ohr flüsterte, konnte ihre Worte aber nicht verstehen. Gerade wollte ich ihnen hinterhergehen, als Elly mich zurückhielt.
»Im Grunde ist er ein anständiger Kerl«, sagte sie leise. »Aber heute zeigt er sich wirklich von der übelsten Sorte. Du scheinst ihn mächtig zu verunsichern.«
Verblüfft riss ich die Augen auf. »Wie bitte?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht weil du auch ein Animoír bist? Wer weiß …«
Dann hakte sie sich bei mir unter und zog mich auf den Flur hinaus.
»Aber eines weiß ich genau«, sagte sie. »Wir beide werden uns prächtig verstehen. Und mit Tory wirst du auch klarkommen. Da bin ich mir sicher.«
***
Die Antriebe des Jets erhitzten sich surrend auf volle Betriebstemperatur. Begeistert sah ich mich in dem ultramodernen Flugzeug namens Sirkona um. Der Innenraum war edel ausgestattet und in warmem Beige und Brauntönen gehalten. Es gab fünf bequeme Sitze, zwei vorn im Cockpit, drei dahinter. Das kurze Heck war mit Staufächern und zwei einklappbaren Notsitzen ausgestattet. Die Einstiegsrampe fuhr mit leisem Zischen hoch.
Ich saß zwischen Elly und Jack in der zweiten Reihe und hatte vor Aufregung Mühe, den eigentlich simplen Verschluss des Gurts zusammenzustecken.
»Ein Klasse eins Molekular-Jet!«, jubelte ich. »Und ich dachte, die sind noch in der Testphase?«
»Sind sie auch«, sagte Jack. »Vor acht Wochen wurden die ersten Modelle für den aktiven Einsatztest freigegeben. In Avalon gibt es nur drei und wir haben einen davon ergattert.«
»Das ist so cool!«
Jack feixte in Richtung Cockpit. »Du kannst dich bei Tory bedanken. Er hat unseren alten Jet gerade rechtzeitig geschrottet, sodass die Agency uns die Sirkona geben musste.«
Stanson saß auf dem Platz des Copiloten und biss sichtlich die Zähne zusammen. Was auch immer Leah vorhin zu ihm gesagt hatte, es schien gefruchtet zu haben. Er rückte sein Headset zurecht und tippte auf einem großen Display des Cockpits herum.
»Systeme auf Betriebstemperatur«, sagte er. »Starterlaubnis erteilt.«
Leah umfasste den schlanken Steuerknüppel. Der Jet reagierte bereits, obwohl man noch keine Bewegung ihrer Hände wahrnehmen konnte. Nur ein sanftes Vibrieren war zu spüren, als die Sirkona sich senkrecht in die Lüfte erhob.
Hoffentlich durfte ich bald mal selbst hinters Steuer dieses Wunderwerks. Dagegen wirkten die Standard-Flieger der Agency ja beinahe so klapprig wie eine menschliche Propellermaschine!
Während der Jet durch den Himmel sauste, tauschte ich mich mit Jack über die technischen Details des Flugzeugs aus. Wobei schnell klar wurde, dass ich viel mehr darüber wusste als er.
»Der Tarnmodus wurde verfeinert und ein Kuppelgenerator integriert, der bis zu zwanzig Meter auswirft«, erzählte ich begeistert. »Mit dem neuen Gravitationserzeuger lassen sich problemlos große Geschwindigkeiten ohne Auswirkungen auf die Insassen erreichen.«
Jack betrachtete mich staunend. »Hast du das Handbuch auswendig gelernt?«
»Nein, auf Feya wurde uns ein solches Modell mal bei einer Übung vorgestellt.«
»Und da hast du dir gleich alle Details gemerkt?«, hakte er ungläubig nach.
»Na ja, nicht alle.« Ich wiegte meinen Kopf. »Nur die interessantesten.«
»Aha.«
Ich lachte verlegen und beschloss ab sofort den Mund zu halten, weil ich nicht als Besserwisserin dastehen wollte. Leah hatte uns mit einem verhaltenen Schmunzeln zugehört. Sie wirkte zufrieden, was mich natürlich freute.
Tory presste immer noch die Lippen aufeinander und ich betrachtete ihn von meinem Sitz aus unbemerkt. Inzwischen hatte er sich dazu bequemt, seine Uniformjacke anzuziehen, was bei aktiven Einsätzen ja vorgeschrieben war.
Alator Stanson war ein überaus gut aussehender Mann. Die unordentliche Frisur und der Dreitagebart hatten etwas Verruchtes an sich, das in der Frauenwelt sicher Anklang fand. Auch bei mir. Das konnte ich nicht abstreiten. Wenn er etwas sympathischer gewesen wäre, dann hätte ich mich vielleicht sogar für ihn interessiert. Momentan fand ich ihn aber einfach nur abstoßend.
Er streckte die Hand nach oben, um den Tarnmodus zu aktivieren. Dabei konnte ich einen Blick auf die Tätowierung an seinem Handgelenk erhaschen.
Ob Elly recht hatte? Fühlte er sich von mir auf irgendeine Weise bedroht? Ich hoffte, dass das nicht so war, denn jede Art von Konkurrenzdenken innerhalb des Teams wäre völlig kontraproduktiv gewesen.
»Portal vier Strich null acht in fünfhundert Metern«, vermeldete Tory.
Ich blickte durch die Frontscheibe und sah die Sphäre des Portals vor uns auftauchen, die wie eine große schillernde Scheibe am hellblauen Himmel schwebte und kaum davon zu unterscheiden war.
Leah drosselte die Antriebe, sodass der Jet reglos in der Luft hing. Der Erkennungslaser brach aus dem Portal hervor und ließ sein gleißendes Licht über uns gleiten.
»Übertritt genehmigt«, verkündete Tory.
Gleich darauf beschleunigten wir wieder und tauchten in die Sphäre ein.
Der Übertritt in die andere Welt war kaum zu spüren. Nur dass wir plötzlich von bauschigen Wolkenbergen umgeben wurden, deutete auf den Dimensionswechsel hin.
Leah bremste die Geschwindigkeit und ging in einen gemächlichen Sinkflug über. Die Nase des Jets teilte die dichte Wolkendecke und gab den Blick auf die Stadt München frei.
Ich war noch nicht oft in der Dortwelt gewesen und fand es jedes Mal erstaunlich, wie sehr sich die Welt der Menschen von unserer unterschied. Nicht aufgrund der planetarischen Strukturen, sondern hauptsächlich im Umgang mit natürlichen Ressourcen und der Rücksicht auf die Natur. Hier wurde auch der unterschiedliche Wissensstand am allerdeutlichsten.
Ich betrachtete missmutig eine ganze Reihe hoher Industrieschlote, die schwarzen Rauch in den Himmel spuckten. Die Ankunft der Menschheit im Industriezeitalter bereitete den Tuatha einiges Kopfzerbrechen.
In der Zeit der Weltentrennung wurde in der Anderswelt die Kardische Konvention verfasst. Die oberste Regel darin besagte, dass wir uns nicht in die Angelegenheiten der Dortwelt einmischen durften. Doch sollten wir wirklich tatenlos mit ansehen, wie sie mit dem Fortschritt ihrer Technologien die Erde und damit unweigerlich auch unsere Welt systematisch zerstörten?
Mit der Entdeckung der Kernspaltung in den Dreißigerjahren bahnte sich in der Dortwelt eine Katastrophe ungeahnten Ausmaßes an. Während die Anderswelt ein ähnliches Verfahren längst perfektioniert hatte und nun ohne irgendwelche Auswirkungen auf die Natur zur Energiegewinnung nutzte, bauten die Menschen ihre ersten Atombomben ohne die geringste Ahnung davon, wie gefährlich ihr Halbwissen über diese Technologie war.
Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945 hatten die gesamte Anderswelt schockiert. Unsere Regierung sah sich gezwungen zum Wohle des Planeten einzugreifen. Was die Menschen als den Kalten Krieg bezeichneten, war für die Agency eine Phase der Intervention. Unsere Agenten wurden in nahezu jede Regierung der Menschenwelt eingeschleust, um dort unerkannt diplomatisch und strategisch den Ausbruch eines nuklearen Weltkrieges zu verhindern. Nach der Kubakrise im Jahr 1962 wurde beschlossen, dass die Menschheit in ihrer technologischen Entwicklung dringend begleitet werden musste.
So entstand die Beárdros-Initiative, deren ausführende Agenten seither unbemerkt an menschlichen Forschungsprojekten beteiligt waren und die verantwortlichen Wissenschaftler immer wieder dazu animierten, den Fortschritt in gemäßigten Schritten anzutreiben und die Auswirkungen auf die Natur im Auge zu behalten. Letzteres war dabei das wichtigste und zugleich schwierigste Unterfangen, denn die Industriemächte hatten längst gewittert, was für ein Kapital aus den Ergebnissen der Forschung zu schlagen war, und scherten sich dabei einen Dreck um die Umwelt.
Und die Menschen folgten ihnen willig. Die Vorteile, die der Fortschritt mit sich brachte, waren gerade jetzt, Anfang der Neunzigerjahre, deutlich zu sehen. Massenproduktion und internationaler Handel machten moderne Konsumgüter für jeden zugänglich und erschwinglich. Es würde vermutlich nicht mehr lange dauern, bis Computer und Mobiltelefon zur Standardausrüstung jedes Haushalts gehörten. Die Digitalisierung der Dortwelt hatte begonnen.