Seemannsgarn, erstunken und erlogen von Heinz Röper, jedes Wort ist wahr - Heinz Röper - E-Book

Seemannsgarn, erstunken und erlogen von Heinz Röper, jedes Wort ist wahr E-Book

Heinz Röper

0,0

Beschreibung

Seemannsgarn erstunken und erlogen von Heinz Röper Jedes Wort ist wahr Das Buch zeichnet auf 271 Seiten ein Gemälde der Entwicklung der deutschen Frachtschifffahrt nach dem Kriege und liefert einen umfangreichen Wortschatz der Seemannssprache, in dem die im Buch verwendeten Fachausdrücke aus der Seeschifffahrt und dem Schifffahrtsrecht erläutert werden (174 Seiten). Beschrieben wird u.a. die Art des Ladungstransportes vor der Einführung des Containers und setzt damit dem Ladungsoffizier ein Denkmal. Gleiches gilt für den Funker. Weiter wird behandelt die Navigation in der Papier-Seekarte mit Zirkel, Lineal und Rechenschieber, der Wandel der Einflussmöglichkeiten des Kapitäns auf den wirtschaftlichen Erfolg der Reisen vom Ende des 19. Jh. bis heute, das Zusammenspiel der verschiedenen Besatzungsgruppen, die Verfahren zur Kollisionsverhütung, die Behandlung von Blinden Passagieren, die Schmuggelei und deren Risiken, und altes Brauchtum wie die Äquatortaufe.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 967

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ein Gemälde der Frachtschifffahrt vor der Einführung des Containers, der Satelitennavigation und der ständigen Erreichbarkeit per E-Mail mit einem Ausblick bis heute

erzählt anhand der zehnjährigen Fahrzeit des Autors vom Moses bis zum Erwerb des Patentes auf Großer Fahrt und weiteren Recherchen

und

Der Wortschatz der Seemannssprache

Der Autor hat 1952 mit 16 Jahren die Seefahrt als Moses begonnen und zehn Jahre später das Patent A6 – Kapitän auf Großer Fahrt – erworben. Danach hat er das Abitur nachgeholt, Jura studiert und hat ab 1972 zunächst als Dozent später als Professor an der Fachhochschule Hamburg – heute Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg) – die künftigen Nautiker in Schifffahrtrecht unterwiesen.

XVII Inhaltsverzeichnis

Die Seefahrtzeit von 1952 bis 1962

Die Berufswahl

Überblick über Seefahrtszeit des Autors

Die „Luise“

III 1 Einleitung

III 2 Der Kümo „Luise“

Exkurs Flaggenrecht

Exkurs Kümo

III 3 Die Lage der deutschen Seefahrt nach dem 2. Weltkrieg

Exkurs Geltendes Arbeits- und Ausbildungsrecht für Seeleute Anfang 1952

III 4 Das Schiff

III 4 1 Das Steuerrad

III 4 2 Die Maschine

III 4 3 Der Kapitän beim Manövrieren

III 4 4 Der Kompass

III 4 5 Der Peildiopter

III 4 6 Das Lot

III 4 7 Die Logge

III 4 8 Die Petroleumlampen

III 4 9 Die Lukenabdeckung

III 5 Mein Leben auf der „Luise“

III 5 1 Die ersten Tage an Bord

III 5 2 Windstärke 5

III 5 3 Das Wohnen an Bord

III 5 4 Die Ausrüstung der „Luise“

III 5 5 Die Verpflegung

III 5 6 Frischwasser und Zeugwäsche

III 5 7 Schöne Jobs

III 5 8 Beladung mit Linsen als Schüttladung

III 5 9 Sichere Navigation des Moses

III 5 10 Der Lieblingssport der Seeleute

III 5 11 Der lange Arbeitstag

III 5 12 Die Heuer

III 5 13 Die Abmusterung

III 6 Fazit meiner Zeit auf der „Luise“

Die „Liselotte Essberger“

IV 1 Die Suche nach einem Schiff

IV 2 Das Schiff

IV 3 Die Bordgemeinschaft

IV 3 1 Die hierarchische Schichtung der Bordgemeinschaft

IV 3 1 1 Die horizontale Trennung zwischen Deck und Maschine

IV 3 1 2 Die vertikale Trennung zwischen Mannschaft und Offizieren

IV 3 2 Der Kapitän

IV 3 3 Die Schiffsoffiziere

IV 3 3 1 Die Nautiker

IV 3 3 2 Die Schiffsingenieure

Exkurs: Patente der Schiffsingenieure

IV 3 3 3 Der Funker

Exkurs: Die Einführung der Funktelegrafie in die Schifffahrt

Exkurs: Signalflaggen

3 1 Die Ausbildung der Funker

3 2 Die technische Entwicklung des Seefunkwesens

IV 3 3 4 Der Funker auf der „Liselotte Essberger“

4 1 Der Funkverkehr

4 1 1 Der Not-, Dringlichkeits- und Sicherheits-Verkehr

4 1 2 Der Routineverkehr

4 1 3 Sonstige Dienste

4 1 3 1 Der Wetterdienst

4 1 3 2 Das Zeitsignal

4 1 3 3 Die Funkpresse

4 2 Das Bordradio

IV 3 3 5 Die Stellung des Funkers an Bord

IV 3 4 Die Mannschaftsmitglieder

IV 4 Die Karibikreisen der „Liselotte Essberger“

IV 5 Das Leben auf der „Liselotte Essberger“

IV 5 1 Die Kammern

IV 5 2 Die Brücke

IV 5 3 Die Verpflegung

IV 5 4 Die Verbindung nach Hause

IV 5 5 Die lieben Haustiere

IV 5 6 Die Mannschaftsmitglieder

IV 5 7 Die Arbeit

IV 5 7 1 Lochfraß im Schiffsboden

IV 5 7 2 Rost in den Ladetanks

IV 5 7 3 Die Rohrleitungen

IV 5 8 Erinnerung an meine Patenschaft

IV 5 9 Die Barranquilla-Gang

IV 5 10 Die Bergung

IV 6 Schlussbetrachtung

Die „Urundi“

V 1 Das Schiff

Exkurs: Frachtschiffe

V 1 1 Die Luken

V 1 2 Die Arbeit mit dem Ladegeschirr

V 1 3 Auftakeln des Schwergutgeschirrs

V 2 Die Reisen

V 3 Die Ladung

V 4 Die Verteilung der Ladung im Schiff

Exkurs: Stauplan

V 5 Die Besatzung

V 5 1 Der Matrose

V 5 1 1 Die Ausbildung zum Matrosen

V 5 1 2 Der Schiffsmechaniker

V 5 1 3 Der Vollmatrose Deck/Maschine

V 5 2 Der Bootsmann

V 5 2 1 Die Ausbildung zum Bootsmann und des Schiffsbetriebsmeisters

V 5 2 2 Unser Bootsmann

Exkurs: I. Weltkrieg in Deutsch-Ostafrika

V 6 Das Leben auf der „Urundi“

V 6 1 Der Arbeitsalltag eines Matrosen

V 6 1 1 Allgemein

V 6 1 2 Die Wachdienste an Deck

V 6 1 2 1 Die Seewache

V 6 1 2 2 Die Raumwache

V 6 1 3 An- und Ablegemanöver

V 6 1 4 Seeklar machen

V 6 1 5 Die Schiffspflege

V 6 1 6 Die Ladungsarbeiten

V 6 1 7 Tauwerksarbeit

V 6 1 7 1 Das Tauwerk

V 6 1 7 2 Die Knoten

V 6 1 7 3 Der Takling

V 6 1 7 4 Spleißen und Kleeden

V 6 1 7 5 Eine Netzbrook bauen

V 6 2 Woermannus Africae

V 6 3 Eine feuchte Beerdigung

V 7 Der Verbleib der „Urundi“

Die „Nigeria“

VI 1 Das Schiff

VI 2 Die Aufgaben eines Offiziersanwärters

VI 2 1 Die Seewache des Offiziersanwärters

VI 2 2 Das Anfertigen der Tallybücher

VI 3 Die Crewboys

VI 4 Meine Äquatortaufe

VI 5 Südafrika

VI 6 Der Verbleib der „Nigeria“

Die „Remscheid“

VII 1 Das Schiff

VII 2 Die Boa

VII 3 Blinde Passagiere

Besuch der Seefahrtsschule zum Erwerb des Patentes A5II

VIII 1 Die Ausbildung der Nautiker und die Schifffahrtsforschung in Hamburg

VIII 1 1 Die Entwicklung der staatlichen Nautikerausbildung in Hamburg

VIII 1 2 Der Studiengang Schiffsbetrieb

VIII 1 3 Forschung und Simulation

Exkurs: SUSAN

Exkurs: CONRAD

Exkurs: Landradarberatung

Die technische Ausstattung der Verkehrszentralen für die Landradarberatung

Das Verfahren bei der Radarberatung nach dem Hamburger Modell

Die Schleife

Die Positionsbeschreibung

Adressat

Kennwort

„Pos quer“

„Pos längs“

Hinweise und Empfehlungen

Beispiel

Die Beratung in deutscher Sprache

VIII 2 Überraschung: A 5 II statt A 5

VIII 3 Der Verlauf der Lehrgangs zum A 5 II

VIII 3 1 Einleitung

VIII 3 2 Die Fächer

VIII 3 2 1 Mathematik

VIII 3 2 2 Physik

VIII 3 2 3 Nautik/Navigation

VIII 3 2 3 1 Die terrestrische Navigation

1 1 Die Seekarte

1 2 Die Verfahren der terrestrischen Navigation

VIII 3 2 3 2 Die astronomische Navigation

Exkurs: Der Sextant

Exkurs: Das Chronometer

VIII 3 2 3 3 Die technische Navigation

3 1 Die Funkpeilung

3 2 Die Hyperbelnavigation

Das Decca-Verfahren

3 3 Die Radarnavigation

VIII 3 2 3 4 Die Satellitennavigation

VIII 3 2 3 5 Die Koppelnavigation

VIII 3 2 4 Gesetzeskunde

VIII 3 2 4 1 Das Seeverkehrsrecht

VIII 3 2 4 1 1 Einleitung

VIII 3 2 4 1 2 Die KVR

2 1 Die Geschichte der KVR

2 2 Die Prinzipien der KVR

2 2 1 Das Klarsichtregime

2 2 2 Das Nebelregime

Nebelsignale

Das Fahrverhalten bei verminderter Sicht

Fallgruppe a)

Die Nahbereichslage

Das Plotten

Das Nb-Vermeidungsmanöver

Fallgruppe b)

2 3 Verkehrstrennungsgebiete

VIII 3 2 4 2 Das Seemannsrecht

VIII 3 2 4 2 1 Die Musterung von Besatzungsmitgliedern

VIII 3 2 4 2 2 Der Kapitän als Vertreter der Staatsgewalt an Bord

VIII 3 2 4 2 3 Das Seearbeitsrecht

3 1 Das Leben auf den alten Segelschiffen

3 2 Der Lebensraum Schiff

2 1 Die Unterbringung der Seeleute

2 2 Die Verpflegung der Seeleute

2 3 Die Krankenfürsorge

2 4 Die Heuer

2 5 Vertragsverletzungen

2 6 Die Freizeitgestaltung

6 1 Freizeit an Bord

6 2 Freizeit an Land

2 7 Der Urlaub

3 3 Das Recht der betrieblichen Mitbestimmung in der Seeschifffahrt

VIII 3 2 5 die Seemannschaft

VIII 4 Die Geschichte der Ausbildung zum Kapitän auf großer Fahrt

VIII 4 1 Grundsatz

VIII 4 2 Die Patente der Nautiker

VIII 4 2 1 Einleitung

VIII 4 2 2 Die Patentbezeichnung

VIII 4 2 3 Die Geltungsdauer der Patente

VIII 4 3 Die Ausbildung zum Erwerb der Patente

VIII 4 3 1 Die praktische Ausbildung

Exkurs Offiziersbewerber

Exkurs Offiziersassistent

VIII 4 3 2 Die theoretische Ausbildung

VIII 4 3 2 1 Die Ausbildungsinstitute, die Schulzeiten und die schulische Vorbildung

VIII 4 3 2 2 Der Lehrkörper

VIII 4 3 2 3 Die Ausbildungsinhalte

VIII 4 4 Die zusätzlichen Bedingungen für den Erwerb des angestrebten Patentes

VIII 4 4 1 Nautische Beobachtungen

VIII 4 4 2 Zum Mindestalter

VIII 4 4 3 Zum Charakter

VIII 4 4 4 Zum Funkzeugnis der Nautiker

Die „Johanna“

IX 1 Das Schiff

IX 2 Die Reisen

IX 3 Die Aufgaben eines III. Offiziers

IX 3 1 Die Seewache

IX 3 2 Der Ladungsdienst

IX 3 3 Die Manöverstationen

IX 3 4 Die speziellen Aufgabenfelder

IX 3 4 1 Die Pflege der naut. Veröffentlichungen

IX 3 4 2 Die medizinische Versorgung

Die „Amelie Thyssen“

X 1 Das Schiff

X 2 Ein schwerer Unfall

Die „Learina

XI 1 Das Schiff

XI 2 Die Reisen

XI 2 1 Gefangennahme in Havanna

XI 2 2 Dixieland in New Orleans

XI 2 3 Fußball

XI 2 4 Die Bauxitreisen

XI 2 5 Etwas Wind

Der Besuch der Seefahrtsschule zum Erwerb der Patente A5 und A6

XII 1 Das 3. Semester zum vollen A 5

XII 2 Der Kampf um den unmittelbaren Eintritt in den Kapitänslehrgang zum A 6

Die Rolle des Kapitäns im Laufe der Geschichte

XIII 1 Einleitung

XIII 2 Die Aufgaben des Kapitäns

XIII 3 Die Befugnisse der Kapitäns bei Reisenotlagen

XIII 3 1 Die Bodmerei

XIII 3 2 Die Große Haverei

XIII 4 Die Haftung des Kapitäns

XIII 5 Die Vertretungsmacht des Kapitäns

XIII 6 Die Informationspflicht des Kapitäns

XIII 6 1 Das Schiffstagebuch und andere Aufzeichnungsbücher

XIII 6 2 Die Verklarung

Resümee

Der Wortschatz der Seemannssprache

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Die Seefahrtzeit von 1952 bis 1962

I Die Berufswahl

Die Berufswahl war etwas schwierig. Keiner wusste, was ich werden sollte/wollte. Ich auch nicht. Alles war sehr schnell und überraschen gekommen. Trotz meiner miserablen Schulnoten war ich immer davon ausgegangen, das Abitur zu machen und zu studieren. Als das neue Schuljahr begann, habe ich meine alte Klasse ein paar Mal besucht und z. B. in den Fächern Erdkunde und Geschichte erlebt, dass jetzt vollkommen andere Lernziele verfolgt wurden. Es wurden nicht mehr bloße Fakten gepaukt, sondern es wurden Zusammenhänge erschlossen und Hintergründe beleuchtet. Wie habe ich meine ehemaligen Mitschüler um diese Aussichten beneidet. Möglicherweise sind diese Erlebnisse eine der starken Motivationsschübe gewesen, die mich später angetrieben und ermuntert haben, das Abitur nachzuholen und zu studieren.

Nun ging das nicht mehr. Die Familie war ratlos. Man befand: „Für einen handwerklichen Beruf ist der Junge völlig unbegabt.“ „Auch für das kaufmännische hat er keine Neigung.“ „Zur See fahren kann er auch nicht.“ Mehr aus Trotz antwortete ich: „Wieso denn das nicht?“ Erleichterte Reaktion: „Der Junge will zur See fahren!!!!“ Welche eine Freude. Jetzt kam ich davon nicht wieder los. Übrigens waren die Einschätzungen der Familie über meine Begabungen nur zum Teil richtig. Kaufmännisches handeln liegt mir tatsächlich nicht. Ich kann zwar gut und gerne einkaufen, aber vom Verkaufen habe ich keine Ahnung. Handwerkliche Begabungen konnte ich jedoch nur deswegen nicht zeigen, weil die Familie überhaupt kein brauchbares Werkzeug besaß.

OK; die Entscheidung war gefallen.

Meine Mutter hat noch einen verzweifelten Versuch gemacht, mich umzustimmen. Sie kannte ja die Familienuntauglichkeit der Seefahrtberufe. In der Zeit vom 2. 10. 1933 bis zum 15. 6. 1938, also in 4 Jahren, 8 Monaten und 13 Tagen war mein Vater maximal 44 Tage zu Hause gewesen. Diese Tage verteilten sich nach den Eintragungen in das Seefahrtsbuch meines Vaters auf sieben Reiseunter-brechungen zwischen 13 und einem Tag. An einem dieser 1-Tages-Anwesenheiten, nämlich am 16. Juni 1935, fand auch meine Kiellegung statt. Auch wenn ich die Argumente meiner Mutter nicht von der Hand weisen konnte, bin ich ihr und ihnen nicht gefolgt. Ich hatte schlicht keine Wahl, denn ich wäre in der 10. Klasse sitzen geblieben und mein Vater hatte sich geweigert, mich das Jahr wiederholen zu lassen.

II Überblick über Seefahrtszeit des Autors

In den 10 Jahren meiner Seefahrtszeit von 1952 bis 1962 und später bei gelegentlichen Fahrten in den Semesterferien als Lehrer an der Seefahrtschule, habe ich die Entwicklung der Handelsschifffahrt vom ausgehenden 19. Jh. bis zur Containerfahrt miterlebt. Auf meinem 1. Schiff, der „Luise“, fand die Seefahrt noch ohne Elektrizität wie in den vergangenen 100 Jahren statt. Das 2. Schiff, der Tanker „Liselotte Essberger“ war ein Beispiel für die ersten Neubauten nach dem Kriege, die unter strengen Auflagen und Begrenzungen zustande kamen. Das Schiff war mit der damals üblichen Funkstation und einem der ersten Radargeräte auf deutschen Schiffen ausgestattet. Die nächsten Schiffe, die „Urundi“, die „Nigeria“ und die „Remscheid“ waren moderne Stückgut-Frachtschiffe, die damals in großer Zahl für die großen Linienschiffsreedereien gebaut wurden. Sie waren schiffbaulich und technisch auf der Höhe der Zeit. Hier waren moderne Luken- und Umschlagseinrichtungen eingebaut, die diese Schiffe in die Lage versetzte, auch in solchen Häfen Ladung umzuschlagen, in denen es landseitig keine entsprechenden Einrichtungen gab. Ein schönes Beispiel davon ist die „Cap San Diego“, die als Museumsschiff in Hamburg bei den Landungsbrücken liegt. Nach dem einjährigen Besuch der Seefahrtsschule Hamburg und dem Erwerb des Patentes A5 II, das zum Wachoffizier auf Schiffen in der Großen Fahrt berechtigte, habe ich als 3. und 2. Offizier vor allem die damals üblichen Methoden der terrestrischen und der astronomischen Ortbestimmung praktiziert. Zu den Eingangsvoraussetzungen für den Kapitänslehrgang gehörte u. a. der Nachweis von 200 Ortbestimmungen nach den Gestirnen. Während einer Reise in den Sommersemesterferien 1978 auf der „Main Express“ habe ich die Containerschifffahrt, die sich inzwischen durchgesetzt hatte, unmittelbar studieren können. Die modernen Navigationssysteme wie GPS und elektronische Seekarte konnte ich auf dem Traditionsschiff „Johann Smidt“ ausprobieren.

Ich möchte meinen Enkeln diese Entwicklung beschreiben. Daneben gibt es natürlich auch zahlreiche „Stories“ aus der Seefahrt zu berichten.

III Die „Luise“

Schiffsjunge bzw. „Moses“ vom 02. 04. 1952 bis 19. 12. 1952

III 1 Einleitung

Wer Kapitän werden wollte, musste damals 6 Monate auf einem Segelfrachtschiff gefahren haben. Davon gab es nur die Viermastbark „Pamir“ – ein Schwesterschiff, die „Passat“, liegt heute in Travemünde -, deren Kapazität bei weitem nicht ausreichte, um alle Schiffsjungen, die Kapitän werden wollten, auszubilden. Meine Bewerbung auf einen Platz dort wurde mit der Begründung abgewiesen, ich hätte im Abschlusszeugnis im Fach Erdkunde eine 5 gehabt!! Als Ersatz wurde eine einjährige Fahrzeit auf so einem Kümo – das ist die Abkürzung für „Küstenmotorschiff“ - wie die „Luise“ akzeptiert.

Später ist dann diese Segelschiffsfahrzeit als Voraussetzung für das Kapitänspatent gestrichen worden.

Die Segelschiffsfahrzeit war also der Grund, weswegen ich mich um eine Anstellung auf einem Kümo bemüht hatte. Dazu musste man in die Heuerstelle für Kümos, von den Seeleuten „Stall“ genannt, warten, bis ein Kapitän kam und einen Mann – Frauen fuhren damals nicht zur See - aussuchte. Nach vier Wochentagen hatte ich mein Schiff. Am Dienstag, den 25. März 1952 war die Entlassung aus der Schule. Am darauffolgenden Montag, dem 1. April, hat mich Hein Querfeldt, der Eigner und Kapitän der „Luise“, im Stall angetroffen und als seinen Moses Das klappte nur, weil mein Vater großen Druck auf mich ausgeübt hatte. Ich musste morgens um 08.00 Uhr im Stall sein und dortbleiben, bis der Heuerbaas – so hieß der Mensch für die Vermittlung der Arbeitsplätze an Bord – den Laden schloss, also bis 17.00 Uhr. Ich fuhr also morgens mit dem Fahrrad von der Adickesstraße in Othmarschen zur Großen Elbstraße in die Nähe des Fischmarktes. Bis in die Nachmittagsstunden war der Heuerstall brechend voll, weil es damals viele arbeitslose Seeleute gab. Ich blieb als einziger noch sitzen und durfte am Schluss den Heuerstall ausfegen. Am späten Nachmittag des 1. April befreite mich Hein Querfeld von diesem Los. Als ich am 02. April 1952 auf der „Luise“ anmusterte, war ich gerade 16 Jahre und einen Monat alt, 1,81 m lang, ziemlich schmächtig oder gar dürr und hatte noch nie körperlich gearbeitet, blickte aber voller Hoffnung und Zuversicht in die Zukunft.

III 2 Der Kümo „Luise“

Die „Luise“ war mein zu Hause vom 02. April bis zum 19. Dezember 1952.

Die „Luise“ war um die Jahrhundertwende als Zweimastschoner gebaut worden. Später wurde der Großmast zugunsten einer Maschine geopfert. Die „Luise“ war mit einem Bruttoraumgehalt von 114,5 cbm vermessen, war 30 m lang, 4,5 m breit und hatte in abgeladenem Zustand einen Tiefgang von 2,2 m. Sie konnte ca. 160 Tonnen Ladung transportieren. Die Maschine verlieh der „Luise“ bei voller Fahrt die atemberaubende Geschwindigkeit von 6 kn. Deswegen wurden bei günstigen also achterlichen Winden das Schonersegel und die Fock gesetzt. Die Segel waren aus schwerer Naturfaser hergestellt und sehr steif. Beim Bergen der Segel brachen die Fingernägel; die waren daher ziemlich schnell sehr kurz. Eine Nagelschere brauchten wir nicht. Damit gehörte die „Luise“ zu der Art von Kümos, mit denen nach dem Krieg die deutsche Seeschifffahrt bis 1950 am (Kümmer-)Leben erhalten wurde.

Die „Luise“ war ein sehr kleines Schiff. Außer dem Kapitän, dem einzigen Nautiker an Bord, gehörten ein Leichtmatrose, der später durch einen Matrosen ersetzt wurde, und ich als Schiffsjunge, genannt „Moses“, zur Schiffsbesatzung.

Abb. 1: Das ist die „Luise“ - mein erstes Schiff1.

Vorne erahnt man die Oberkörper von zwei Personen – Leichtmatrose und Moses. Der kleine schwarze Fleck hinter dem Rücken der vorderen Person war die Einstiegshaube zu unserer Kammer. Zwischen dort und dem Mast gab es eine kleine Luke; hinter dem Mast bis zu den weißen Aufbauten` war die große Luke mit dem Rettungsboot darauf. Die Aufbauten vor dem Ruderhaus beherbergten vorne an Stb das Klo und an Bb die Kombüse, erkennbar an dem Schornstein für den Herd, und dahinter die Kammer des Kapitäns. Ganz hinten sieht man das Ruderhaus.

Das Foto der „Luise“ ist irgendwann zwischen Kriegsende und Mai 1949 aufgenommen worden. Das erkennt man an der Flagge. Am Flaggenstock weht nämlich nicht die Flagge der Bundesrepublik Deutschland. Die gab es erst ab Ende Mai 1949. Geführt wurde ein als Stander geschnittener „Lappen“, also ein rechteckiges Tuch mit einem Winkelausschnitt, der wie der Buchstabe C des internationalen Flaggenalphabets fünf gleich breite Streifen in den Farben Blau, Weiß, Rot, Weiß und Blau zeigte. Deutschland war damals kein Staat, sondern ein in vier Besatzungszonen aufgeteiltes besetztes Gebiet. Der Buchstabe C stand für Capitulation. Die gewählten Farben symbolisierten die Nationalfarben der Sieger USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion. Der Buchstabe C im internationalen Flaggenalphabet ist allerdings ein rechteckiges Tuch. Der Winkeleinschnitt wurde gewählt, weil Costa Rica, dessen Nationalflagge ebenfalls dem C nachempfunden ist, Einspruch erhoben hatte.

Abb. 2: Die deutsche „Nationalflagge“ nach dem Krieg

Exkurs Flaggenrecht

Die Flagge eines Schiffes hat im Seevölkerrecht eine zentrale Bedeutung. Sie zeigt an, dass der Flaggenstaat dem Schiff die Befugnis eingeräumt hat, unter seiner Flagge die Hohe See, das ist das Seegebiet außerhalb des damals 3 – 12 sm breiten Küstenmeeres, zu befahren. Das Schiff genießt den völkerrechtlichen Schutz des Flaggenstaates. Es muss darüber eine amtliche Bescheinigung an Bord mitführen. Fehlt einem Schiff dieses Recht, ist es staatenlos. Ein flaggenloses Schiff wird von der Staatengemeinschaft auf der Hohen See nicht geduldet. Es ist nämlich nicht die Privatperson, der das Schiff gehört, befugt, die See zu befahren, sondern nur Staaten, die Schiffen das Recht verliehen haben, ihre Flagge zu führen2.

Das Recht, eine Nationalflagge führen zu dürfen, wird durch die Kriegsschiffe aller Nationen kontrolliert. Das geschieht auf freundliche Art. Nähert sich ein Handelsschiff auf See einem Kriegsschiff, wird die Flagge, die normalerweise auf See eingeholt ist, gesetzt. Das gleiche geschieht auf dem Kriegsschiff. Dann wird das Kriegsschiff begrüßt, indem das Handelsschiff die Flagge „dippt“, d.h. das Handelsschiff verbeugt sich sinngemäß vor dem Kriegsschiff dadurch, dass es seine Flagge niederholt und danach wieder hoch heißt. Das Kriegsschiff antwortet entsprechend.

Dieses Verfahren fand zwischen dem Ende des 2. Weltkrieges und der Gründung der Bundesrepublik Deutschland nicht statt. Die Alliierten hatten verfügt, dass dieser „Stander der Schande“, wie die Siegermächte ihn nannten, nicht gegrüßt werden durfte und die Ehrenbezeugungen ihm gegenüber kamen nicht in Frage.

Die „Luise“ gibt Veranlassung, sich etwas mit der deutschen Seeschifffahrt in den ersten Jahren nach dem 2. Weltkrieg (Kap. III 3), mit diesem Schiff (Kap. III 4) und dem Leben als Moses auf dem Schiff (Kap. III 5) zu befassen.

Exkurs Kümo

Kümo ist die Abkürzung von Küstenmotorschiff. Das ist ein mit einer Maschine angetriebenes Seehandelsschiff, das im Küstenverkehr eingesetzt wird. Allerdings gehören nur Trockenfrachter zu dieser Schiffskategorie.

Die Frage ist, was unter Küstenverkehr zu verstehen ist (1) und ob die Größe des Schiffes eine Rolle spielt (2).

(1) Schon seit alters her sind die Seegebieter der Nord- und Ostsee das traditionelle Fahrtgebiet der deutschen Küstenschifffahrt. Die Küste kann ausschließlich die deutsche Küste, die der Nachbarstaaten oder der näheren Umgebung oder weltweit sein.

Da gibt es zunächst die Fahrt vor der deutschen Küste. Nach dem Ende des 2. Weltkrieges durften deutsche Schiffe, wenn überhaupt, nur in deutschen Gewässern fahren. Dies hatten sich jedoch nicht ihre Eigentümer ausgedacht, sondern war die Entscheidung der Siegermächte. Diese Beschränkung wurde 1948 gelockert und 1950 ganz aufgehoben3. Es gab und gibt aber Vorschriften, die den Transport von Ladung oder Passagieren zwischen zwei deut-schen Häfen grundsätzlich deutschen Schiffen vorbehalten4. Diese Bestimmung über die sog. Kabotage ist international üblich, hat aber mit der Art der Schiffe, die diesen Transport durchführen, nichts zu tun.

Der Reeder eines Schiffes musste sich aber beim Bau (oder Kauf) eines Schiffes entscheiden, in welchen Seegebieten er sein Schiff einsetzen wollte. Davon hing die Ausrüstung5 und auch die Besatzung6.ab. Und jedes Schiff brauchte eine Zulassung. Sie hieß Fahrterlaubnisschein und wurde ab 1887 bis Anfang 2018 von der See-BG erteilt. Darin wurde bescheinigt, dass das Schiff den UVV-See entsprach und dass es zur Seefahrt (nur) innerhalb bestimmter Fahrtgrenzen zugelassen war,7. Die Fahrtgrenzen waren nach § 17 UVV-See 1935/55 die Wattfahrt, die Kleine Küstenfahrt, die Nord- und Ostseefahrt, die Große Küstenfahrt und die Lange Fahrt. 1962 wurden sie dann umbenannt in Wattfahrt, Küstenfahrt, Kleine, Mittlere und Große Fahrt8. Ab der UVV-See 1981 wurden die Fahrtgrenzen in Fahrtgebiete umbenannt9.

Inzwischen ist der Fahrterlaubnisschein allerdings aus dem deutschen Recht verschwunden10. Das für ein Schiff zugelassene Fahrtgebiet ergibt sich aber aus dem Schiffsbesatzungszeugnis11.

(2) Auch die Größe der Kümos hat sich im Laufe der Zeit geändert.

Kümos waren zunächst sehr klein. Zu Beginn der 1930iger Jahre umfasste die Küstenschifffahrt etwa 900 Schiffe mit etwas mehr als 85 000 BRT. Überwiegend waren das Motorsegler. Nur etwa 100 Schiffe konnten auch in der gesamten Nord- und Ostseefahrt eingesetzt werden. Nach dem 2. Weltkrieg waren es Schoner oder Tjalken, in die man eine Maschine eingebaut hatte. Ihre BRT-Zahlen lagen weit unter 100. Die „Luise“ war mit 114,5 cbm vermessen. Das sind 40,4 BRT12. Als nach dem Kriege in Westdeutschland wieder Schiffe gebaut werden durften13, begann man mit Kümos mit bis zu 299 BRT. Ab 1950 erhöhte man die Größe auf 499 BRT. In den 1970iger Jahren vergrößerte sich die BRT-Zahlen auf 999 und erreichten schließlich 1599 BRT. Obwohl es keine rechtlich gültige Definition für Kümos gibt, dürften noch größere Schiffe wohl aus dieser Schiffskategorie herausfallen, auch wenn sie nur im Küstenverkehr eingesetzt sein sollten.

In der deutschen Handelsschifffahrt wurde lange zwischen der Küstenfahrt und der Hochseefahrt unterschieden:

Die deutschen Reeder in der Hochseefahrt waren im Verband Deutscher Reeder (VDR) und die Eigentümer der in der Küstenfahrt eingesetzten Schiffe im Verband Deutscher Küstenschiffer (VDK) organisiert. Erst 1995 fusionierten beide Verbände zum VDR. Die beiden Verbände waren auch die Tarifparteien in den Tarifverträgen für die deutsche Seeschifffahrt.

Es gab auch getrennte Heuerstellen für die Vermittlung von Seeleuten in die Küstenfahrt, den „Kümostall“ in der Großen Elbstraße, einerseits und Heuerstelle für die Große Fahrt, damals im Keller des Slomannhauses am Baumwall14.

Es gab noch weitere Unterschiede zwischen diesen Schifffahrtsbereichen:

Staatlich Vorschriften über die Schifffahrt gelten oft erst ab einer bestimmten Schiffsgröße.

Die meisten Schiffe in der Hochseefahrt gehörten Reedern, die auch mehrere Schiffe haben konnten oder Kapitalgesellschaften mit mehreren Schiffen. Diese werden umgangssprachlich Reederei genannt15.

Die Kapitäne der Schiffe in der Küstenfahrt waren sehr häufig deren Eigentümer oder im Falle einer Partenreederei16 einer der Partner. Dies änderte sich etwa ab 1960. Ab dann bauten die Kümo-Reeder mehrere Schiffe. Weil sie diese nicht mehr selber als Kapitän fahren konnten, sondern den Betrieb von zu Hause aus managten, wurde sie im Volksmund „kleine Sofareeder“ genannt. 2010 hatten 70 bis 75 dieser Reedereien im Alten Land und in Kehdingen ihren Sitz.

Es gab auch Anwaltskanzleien, die sich ausschließlich um die rechtlichen Belange der Küstenschiffer kümmerten.

Küstenschiffer, die in einer bestimmten Region wohnten, organisierten sich in Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit. So hatten z. B. Schiffseigner aus den Kirchspielen Grünendeich, Borstel, Estebrügge und Neuenfelde, also aus dem Alten Land, den Assecuranz-Verein für Küstenfahrer in Cranz gegründet. Damit hatten ihr das Risiko, Schäden am Schiff zu erleiden, kostengünstig versichert. Als alleinige Miteigentümer der Versicherung hatten jeder von ihnen ein persönliches Interesse, die Auszahlungen an Versicherungsnehmer gering zu erhalten. So war es die Regel, dass Kapitäne, die einem Vereinskollegen aus einer Seenotlage halfen, auf den ihnen zustehenden Bergelohn verzichteten. Da die Vereinsmitglieder sich alle persönlich und deren Familien gut kannten, gab es praktisch auch keine Motivationen für einen Versicherungsbetrug.

III 3 Die Lage der deutschen Seefahrt nach dem 2. Weltkrieg

Die „Luise“ gehörte zu den wenigen Schiffen, die nach dem Kriege die deutsche Seeschifffahrt aufrechterhielten. Sie war nämlich eines der deutschen Seeschiffe, die nach Ende des 2. Weltkrieges nach Verlusten im Krieg und der Beschlagnahme nach dem Kriege von der stolzen deutschen Handelschiffsflotte übriggeblieben waren.

Bei Ausbruch des Krieges waren 2466 Schiffen mit 4.492.000 BRT unter deutscher Flagge in Fahrt; dabei sind die Schiffe unter 100 BRT noch gar nicht mitgerechnet20. Deutschland stand nach Großbritannien, USA, Japan, und Norwegen international auf dem 5. Platz21. Alle Schiffe über 100 BRT, die während des Krieges nicht durch Minen, Feindbeschuss oder Fliegerbomben vernichtet worden oder durch Seeunfälle verloren gegangen waren, hatten die Alliierten beschlagnahmt. Sie folgten damit dem Potsdamer Abkommen, das Joseph Stalin, Harry S. Truman und Winston Churchill, die Führer der drei Siegermächte Sowjetunion, USA und Großbritannien am 02. August 1945 beschlossen hatten.

Danach gab noch 422 kleine Küstenmotorschiffe und Fischereifahrzeuge mit etwa 117.000 BRT in westdeutschem Besitz22. Diese wenigen verbliebenen Schiffe durften dann auch nur innerhalb deutscher Gewässer verkehren. Erst ab März 1948 wurde ihnen das Befahren der Nord- und Ostsee und des englischen Kanals bis Brest gestattet. Weltweit durften deutsche Schiffe sich erst wieder ab 1950 auf See sehen lassen.

Auch der Bau neuer Schiffe war den Deutschen untersagt. Erst am 22. 11. 1949 erlaubten die Westalliierten Westdeutschland im Petersberger Abkommen den Bau von Frachtschiffen bis zu 7000 BRT und einer Geschwindigkeit von maximal 12 kn. 1951 sind dann alle Bau- und Einsatzbeschränkungen aufgehoben worden.

Exkurs: Geltendes Arbeits- und Ausbildungsrecht für Seeleute Anfang 195223

Das Arbeitsrecht der Seeleute auf deutschen Schiffen richtete sich noch nicht nach dem Seemannsgesetz, das erst 1957 verabschiedet werden sollte24, sondern nach der Seemannsordnung von 190225, die in wesentlichen Teilen noch auf die Seemannordnung von 187226 zurück ging. So galt z. B. der 8-Stundentag nur in den Tropen; sonst musste werktags, also auch am Sonnabend, zehn Stunden gearbeitet werden. Diese Regelung war allerdings durch Tarifverträge gemildert. Die waren allerdings nur auf Schiffe ab 50 BRT anzuwenden27 Auf See galt das Wachsystem, natürlich auch sonntags: der Leichtmatrose und ich lösten sich alle sechs Stunden am Ruder ab; Ich hatte die „Hundewache“, musste also von Mitternacht bis 06.00 Uhr morgens und von mittags bis 18.00 Uhr abends steuern. Die Dauer der Arbeitszeit war aber eigentlich gleichgültig; die Arbeiten, die erledigt werden mussten, wurden ausgeführt; Überstunden wurden nicht einmal aufgeschrieben, geschweige denn bezahlt. Auch die späteren Vorschriften zur Ausbildung zum Matrosen existierten noch nicht28. Im Manteltarifvertrag von 1952 war festgelegt, dass die Beförderung vom Decksjungen über den Jungmann und den Leichtmatrosen zum Matrosen jeweils lediglich durch die Ableistung einer Fahrzeit von einem Jahr erfolgte. Auf Segelschiffen reduzierte sich die Fahrzeit um ein Drittel. Auch ich habe mein Matrosenlatein ausschließlich durch die praktische Tätigkeit auf Frachtschiffen und das genaue Beobachten der Könner in der Crew erworben. Ich hatte also:

keine Schiffsjungenschule besucht, auf der erst ab Mai 1952 alle angehenden Seeleute, bevor sie das erste Mal ihren Fuß an Deck eines Seeschiffes setzen durften, einen zwei- später dreimonatigen Kurs über Bootsdienst, Feuerschutz und Unfallverhütung zu absolvieren hatten;

keine Matrosenprüfung abgelegt und keinen Matrosenbrief erworben, wie es ab 1956 vorgeschrieben wurde,

keine Berichtshefte geschrieben,

keine Fahrzeiten auf anerkannten Ausbildungsschiffen mit einem Ausbildungsoffizier erlebt und

und erst recht keine duale Ausbildung erhalten, bei der sich

die

praktische Ausbildung im Betrieb also an Bord eines anerkannten Ausbildungsschiffes, mit der Theorievermittlung an Land abwechselt.

Immerhin reichte meine Ausbildung schließlich zum Kabelgattsmann. So hieß der Matrose auf Stückgutfrachtschiffen, der u. a. für die Herstellung von Gegenständen aus Tauwerk oder Draht für den Ladungsumschlag zuständig war. Das war möglich, weil anders als heute alle seemännischen Arbeiten tatsächlich an Bord vorkamen29.

Dass ich keine systematische Ausbildung im Umgang mit den Rettungsbooten erhalten hatte, führte später, als ich meine erste Reise als nautischer Offizier machte, zu einer peinlichen Situation: Wir waren auf dem Sankt-Lorenz-Strom in Canada unterwegs nach Quebec. Es war kurz nach Mitternacht. Ich war gerade von meiner Wache abgelöst worden, als wir den Hilferuf eines anderen Schiffes, das uns folgte, empfingen. Dort war ein Mann über Bord gegangen und wir wurden gebeten, bei dessen Suche zu helfen. Also: Bootsmanöver, Boot ausschwingen, Boot besetzen, Boot auf das Wasser fieren, Boot aus den Davidfallen aushaken und losrudern – einen Motor hatte unser Boot nicht. Stattdessen saßen auf den vier Duchten je zwei Mann mit ihren Riemen in der Hand und warteten auf die Ruderkommandos. Die hätten von mir, der an der Pinne stand, kommen müssen. Die fielen mir aber partout nicht ein. Der Koch, der einer der Ruderer war, half aus der Patsche: er wusste die Kommandos. Mit seiner Hilfe kamen sie mir dann auch wieder ins Gedächtnis.

Hier einige der Ruderkommandos:

„Klar bei Riemen“

> Aufpassen; es geht gleich los;

„Ruder an“

> Nun hängt Euch in die Riemen;

„Ruder halt“

> Pause;

„Streich Stb bzw. Bb“

> Mit den Stb- bzw. Bb-Riemen die Wasseroberfläche streichen und so auf dieser Seite bremsen, so dass schnelle Kursänderungen möglich sind;

„Halt Wasser“

> Vollbremsung;

„Riemen ein“

> Feierabend.

Übrigens haben weder wir noch andere Suchboote den Mann gefunden; nach zwei Stunden wurde die Suche abgebrochen.

Heute kann so etwas nicht mehr passieren. Die Rettungsboote ohne Motoren, die man mit Riemen antreiben muss, gibt es nicht mehr. Frachtschiffe müssen heute entweder auf jeder Seite des Schiffes je ein vollständig geschlossenes Rettungsboot mit einem Motor oder am Heck ein oder zwei Frei-Fall-Rettungsboote mitführen30. Außerdem gibt es heute keinen Nautiker, der nicht im Besitz eines Befähigungszeugnises als Rettungsbootmann ist und damit u. a. nachweist, dass er im Gebrauch der Riemen geübt und befähigt ist, die im Rettungsboot üblichen Befehle zu verstehen und auszuführen31.

III 4 Das Schiff

Der Kapitän des Schiffes mag um die 50 Jahre alt gewesen sein; er sprach nur Plattdeutsch, was ich in den ersten Wochen überhaupt nicht verstand. Er hatte fast seine ganze Seefahrtszeit auf diesem Schiff zugebracht. Gegen 1950 hat der Eigner ihm angeboten, das Schiff gegen eine Leibrente von monatlich 300 DM zu übernehmen. Sechs Monate später ist dieser Mann verstorben. So hatte unser Kapitän das Schiff fast geschenkt bekommen. Trotzdem ging es ihm wirtschaftlich wohl nicht besonders gut. Mehrfach hat er darüber geklagt, dass es schwierig sei, für diese alten und kleinen Kümos noch Ladung zu auskömmlichen Frachtraten zu bekommen. Die 299iger Kümos erdrückten ihn.

Auf der „Luise“ gab es keinen elektrischen Strom. Das Leben an Bord gestaltete sich daher wie in den zurück liegenden 100 Jahren. Das wird deutlich, wenn man seine Ausrüstung betrachtet.

III 4 1 Das Steuerrad

Das Steuerrad war über eine mechanische Kraftübertragung direkt mit dem Ruderschaft verbunden. Jeden Druck auf das Ruderblatt durch die See spürte man beim Steuern; wenn das Schiff in schwerem Seegang rollte, also um die Längsachse pendelte, war der Druck auf das Steuerrad gelegentlich sehr hoch. Deswegen waren die bekannten Griffnoppen auf dem Radkranz zum Halten des Ruders unbedingt notwendig. Die Noppen machten es auch möglich, dass man das Steuerrad bei Sturm mit zwei Mann halten konnte. Ein schönes Beispiel für so ein Ding hängt bei uns im Flur.

Das Steuerrad musste ständig festgehalten werden, sonst schlug es wild hin und her.

Die Bedienung des Ruders hat sich seit damals grundlegend gewandelt. Heute wird die Arbeit der Ruderbedienung von einer elektrisch oder hydraulisch gesteuerten Rudermaschine erledigt. Die Rudermaschine bekommt von der Brücke ihre Kommandos – entweder automatisch oder über einen daumengroßen Stift, den sog. Tiller, den der Rudergänger oder ein Nautiker bedient. Von dem Druck der See auf das Ruderblatt bekommt niemand mehr etwas mit. Auch einen Rudergänger, also jemanden der das Schiff steuerte, braucht man nur noch selten; den größten Teil der Reise wird das Steuern automatisch von einer Kursregelungsanlage übernommen32.

III 4 2 Die Maschine

Die Maschine war achtern unter dem Ruderhaus eingebaut worden. Sie wurde vom Ruderhaus aus mit zwei Hebeln gesteuert. Mit dem einen wurde die Umdrehungszahl variiert – Gas geben oder die Geschwindigkeit drosseln. Mit dem andere wurde die Maschine ein- und ausgekuppelt und auf voraus und achteraus umgesteuert. Dazu diente ein ca. 1,50 m langer eiserner Hebel, der auf ein senkrecht zur Maschine führendes Gestänge per Vierkant aufgesteckt war.

Hebel nach vorne drehen hieß: Maschine voraus; der Hebel lag querschiffs.

Hebel zur Seite drehen hieß: Maschine achteraus; der Hebel zeigt nach achtern und versperrte den Eingang zum Ruderhaus;

Hebel auf 45º rücken hieß: Maschine auskuppeln; der Hebel ragte schräg in das Ruderhaus.

Der Hebelknauf war maximal eine Armlänge vom Ruder entfernt. Während der Fahrt war dieser Hebel abgenommen, weil er den Durchgang durch das Ruderhaus behindern konnte.

III 4 3 Der Kapitän beim Manövrieren

Beeindruckend war es, den Kapitän beim Anlegemanöver zu beobachten. Dann waren sowohl Maschinen- als auch Rudermanöver erforderlich. Das kam besonders häufig auf den Binnenkanälen vor, wenn wir mit Grubenholz aus Schweden unterwegs ins Ruhrgebiet waren. Dort gab es zahlreiche Schleusen:

vor der Schleuse anlegen, um zu warten, bis das Einlaufen freigegeben ist;

dann ablegen;

in die Schleuse fahren;

dort das Schiff aufstoppen und

an der Schleusenwand oder an einem anderen Schiff anlegen; dabei auf die sehr kurzfristig erteile Order des Schleusenmeisters über die zu benutzende Anlegeseite reagieren;

schließlich wieder ablegen und die Schleuse verlassen.

Bei allen Manövern war der Kapitän alleine im Ruderhaus, denn der Leichtmatrose musste vorne und ich achtern die Festmacherleinen bedienen. Der Kapitän war dann zu artistischen Einlagen gezwungen.

Ein Ablegemanöver konnte dann z. B. so aussehen:

Ruder 10º Bb legen;

Hintern zwischen die Speichen des Ruderrades pressen und es so festklemmen;

Maschinenhebel nach vorne drücken;

Geschwindigkeitshebel auf Langsam Voraus legen;

Hintern lösen und

Steuerrad hinterrücks anfassen und die Ruderlage korrigieren;

vor dem nächsten Maschinenmanöver Hintern wieder zwischen die Speichen

usw. usw. usw.

Alle Manöver gelangen.

Auf den größeren Schiffen, auf denen die Maschine von Schiffsingenieuren, die ihren Dienst im Maschinenraum versahen, gesteuert wurde, wurden die entsprechenden Befehle durch einen Maschinentelegrafen von der Brücke in den Maschinenraum übertragen.

Abb. 3 Maschinentelegraf auf der Brücke (ohne Hebel)

Abb. 4 Das Gegenstück im Maschinenraum zur Anzeige und zum Quittieren des Maschinenbefehls33

Heute wird der Schiffsantriebe elektronisch und mit einem Fahrstufenregler von der Kommandobrücke oder der Brückennock aus direkt gesteuert.

III 4 4 Der Kompass

Gesteuert wurde nach einem Magnetkompass, dessen Kompassrose einen Durchmesser von ca. 20 cm hatte. Die Rose war nicht in 360°, sondern in 32 Striche eingeteilt: die vier Hauptrichtungen N, O, S und W und die Zwischenwerte NO, SO, SW, NW sind ja noch einfach.

Merkspruch: „Nie (Nord) ohne (Ost) Seife (Süd) Hände waschen (West).“

Aber dann wird es komplexer: Die 8 Striche a 11,25º des 1. Quadranten, dem NO-Quadranten, also von 0º bis 90º lauten wie folgt:

NzO (Nord zum Osten),

NNO (NordNordOst),

NOzN (NO zum Norden),

NO (NordOst),

NOzO (NO zum Osten),

ONO (OstNordOst) und

OzN (Ost zum Norden); alles klar?

Wer genau hinsieht, erkennt die Logik des Systems.

Abb. 5: Kompassrose mit Stricheinteilung34

Es handelte sich um einen Fluidkompass. Bei diesen Geräten dreht sich die mit einem Schwimmer versehene Kompassrose in einer Flüssigkeit. Dadurch wird das Gewicht der Rose fast ganz aufgehoben und die Erschütterungen im Schiffskörper (wie z. B. Vibrationen durch die Schiffsmaschine und durch Seeschlag) werden kaum auf die Rose übertragen. Die Drehbewegung der Rose wird durch die Flüssigkeit stark gebremst und ist daher sehr ruhig. Damit die Rose immer waagerecht liegt, ist der Kompass kardanisch aufgehängt.

Um Temperaturschwankungen im Kompass möglichst auszuschließen, war der Kompass auf der „Luise“ in einem Schrank eingebaut, dessen Türen nur von der Kapitänskammer aus geöffnet werden konnten. Vom Ruderhaus aus konnte er durch zwei kleine Fenster beobachtet werden. Durch das eine konnte man den Kompass von oben aussehen und das andere gab den Blick auf den Kompass vom Steuerstand aus frei.

Nachts wurde der Kompass durch eine Petroleumlampe erleuchtet. Tagsüber war die Sicht auf den Kompass vom Steuerstand aus bei bestimmtem Sonnenstand wegen Verblendungen unmöglich. Dann musste der Rudergänger einen Schritt nach vorne gehen und den Kompass durch das obere Fenster ablesen. Dazu musste er aber das Steuerrad loslassen, das dann wild hin und her schlug. Um das Problem zu lösen, gab mir der Kapitän den Rat, mich beim Steuern an den Wolken zu orientieren. Das ging so: man ging einen Schritt nach vorne zum oberen Fenster und las den anliegenden Kurs ab, suchte am Himmel im Bereich vor dem Mast eine markante Wolkenstruktur und hielt den Mast in Deckung mit diesen Wolken. Es soll gelegentlich vorkommen, dass Wolken ziehen. Deswegen musste der Kurs nach einer Weile durch Schauen auf den Kompass korrigiert werden. Gewöhnlich reichte es, wenn man die Korrektur alle 15 Minuten vornahm.

Auch heute noch muss jedes Schiff mit einem Magnetkompass als Reservekompass ausgerüstet sein. Er steht gewöhnlich auf dem sog. Peildeck über der Brücke; aber gearbeitet wird mit einem Kreiselkompass. Bei diesem Kompass wird das physikalische Gesetz genutzt, dass die Achse eines schnell rotierenden Kreisels das Bestreben hat, ihre Lage im Weltraum unverändert beizubehalten. Beim Kreiselkompass ist der Kreisel so gelagert, dass die Achse sich in der Horizontalebene frei bewegen, aber nicht aus ihr heraustreten kann. Diese Horizontalebene erfährt nun durch die Drehung der Erde eine dauernde Kippung im Weltraum, während die Kreiselachse ihre Richtung in ihr beizubehalten sucht. Nach den Kreiselgesetzen wird dadurch das Ende der Kreiselachse, von dem aus gesehen der Kreisel gegen den Uhrzeigersinn dreht, nach Norden getrieben. – Wie auch immer – An Bord steht der eigentliche Kreiselkompass als Mutterkompass an einem sicheren Ort. Von ihm werden verschiedene Tochterkompasse abgegriffen. Auf der Brücke steht der Steuerkompass und in jeder Brückennock gibt es je einen Peilkompass. Außerdem werden die Kompasswerte in andere Navigationsgeräten wie das Radargeräte und die Elektronische Seekarte übertragen.

Der erste brauchbare Kreiselkompass für Bordzwecke wurde 1908 gebaut35.

III 4 5 Der Peildiopter

Die wichtigste Methode, um in Küstennähe die Position des Schiffes festzustellen, war bis zur Erfindung des GPS (Global Positioning System zur Positionsbestimmung mittels Satelliten) die Peilung mehrerer Objekte, die in der Seekarte eingetragen sind, wie Leuchttürme, Kirchturmspitzen, Landecken, Tonnen und andere markante Punkte. Um die Richtung vom Schiff zu einem Peilobjekt zu ermitteln, benötigte man einen sog. Peildiopter. Der Peildiopter ist ein Gerät, das frei drehbar auf dem Kompass sitzt. Es hat auf der einen Seite einen schmalen Schlitz zum Durchgucken und auf der anderen Seite einen dünnen Drahtfaden, den man durch Drehen des Diopters auf dem Kompass mit dem Leuchtturm pp. in Deckung bringt. Die Gradzahl der Peilung - bei uns den Strich - konnte man unter einem weiteren Faden auf dem Kranz des Kompasses ablesen. Eigentlich eine einfache Sache. Nur nicht auf der „Luise“, denn deren Kompass war ja in seinem Kasten gefangen und konnte deshalb keinen Peildiopter tragen.

Als Notlösung hätte es auf der „Luise“ aber eine Peilscheibe geben können, auf die der Diopter hätte gesetzt werden können. Die Peilscheibe ist eine runde Scheibe aus Kupfer mit der Grad- oder Stricheinteilung eines Kompasses. Sie wird so festgeschraubt, dass ihre Vorausanzeige parallel zum Kiel des Schiffes zeigt. Mit dem Peildiopter hätte man nun die Richtung des Peilobjektes im Verhältnis zur Vorausrichtung des Schiffes - die sog. Seitenpeilung - auf der Peilscheibe ablesen können. Für die Ortsbestimmung braucht man aber die Nordrichtung zum Objekt. Um diese zu erfahren, muss zur Seitenpeilung noch der Kurs, der zur Zeit der Peilung anlag, berücksichtigt werden: bei einer Stb-Seitenpeilung muss er addiert und bei einer Bb-Seitenpeilung subtrahiert werden. Da das Schiff im Seegang ständig hin- und her pendelt, müssen Peilung und Kompassablesung genau zeitgleich geschehen. Man hätte also zwei Personen gebraucht: eine nämlich den Kapitän zum Peilen und eine andere, z. B. den Moses, zum Ablesen des gerade anliegenden Kurses am Kompass. Natürlich musste das Schiff auch noch gesteuert werden. Zum exakten Peilen hätte man also die gesamte Besatzung der „Luise“ gebraucht. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ein solcher Aufwand beim Peilen jemals betrieben wurde. Stattdessen. verwendete der Kapitän ein Lineal, das er auf . das obere Fenster des Kompasskastens legte und als Diopterersatz freihändig in Richtung Peilobjekt drehte. Die Ungenauigkeit der Peilung, die bei 5° bis 10° gelegen haben mag, glich der Kapitän dann mit seiner unermesslichen nautischen Erfahrung aus.

Abb. 6: Peilscheibe mit Gradeinteilung und aufgesetztem Peildiopter36

Heute wird kaum noch gepeilt. Der moderne Nautiker guckt auf seine elektronische Seekarte, und findet dort das Symbol seines Schiffes an dessen Position. Leider zeigt die elektronische Seekarte aber gelegentlich falsche Werte, z. B. weil die GPS-Daten zu ungenau waren. Wenn der wachhabende Nautiker die angezeigte Schiffsposition aus Bequemlichkeit nicht durch andere Methoden der Schiffsortbestimmung überprüft, kann es zu Kollisionen mit anderen Schiffen oder zu Grundberührungen kommen. Das ist schon häufiger passiert37.

III 4 6 Das Lot

Musste die Wassertiefe festgestellt werden, vor allem bei Annäherung an die Küste, geschah dies mit einem Handlot. Das Lot bestand aus einem Lotkörper von 3 kg Gewicht, an dem die Lotleine befestigt war. Der Lotkörper war ein sechskantiger länglicher Eisenkörper mit flachem Boden, in dem eine kleine Kuhle ausgenommen war. Damit konnte man bei weichem Meeresboden Bodenproben nehmen und diese mit den Angaben in der Seekarte vergleichen. Die Lotleine war alle 2 m mit schwarzen (2 m), weißen (4 m), roten (6 m) und gel-ben (8 m) Stoffläppchen markiert. Die Zehnerlängen waren mit Lederstreifen mit einem, zwei bzw. drei Löchern dargestellt.

Abb. 7: Handlot; Leine ohne Markierung38

Vor dem Loten wurde das Ende der Lotleine an der Reling festgebunden, damit das Lot nicht aus Versehen verloren gehen konnte. Dann wurde das Lot an der Bordwand nach vorne und achtern geschwungen, bis es entsprechend der Schiffsgeschwindigkeit und der erwarteten Wassertiefe beim Schwung nach vorne hoch genug war, um am Standort des Lotwerfers senkrecht zum Stehen zu kommen. So konnte die Wassertiefe an den Farbbändseln abgeschätzt werden. Die Lotungen mussten mehrfach wiederholt werden.

Heute liest man die über das Echolot ermittelte Wassertiefe auf einem kolorierten Bildschirm ab39.

III 4 7 Die Logge

Die Geschwindigkeit des Schiffes durch das Wasser wurde mit der Logge ermittelt. Die „Luise“ war hier bereits mit dem damals modernsten Gerät, nämlich der Patentlogge ausgerüstet. Sie bestand aus einem kleinen an einem dünnen Draht nachgeschleppten Propeller, dessen Umdrehungszahl mit einem Zählwerk, das an der Reling befestigt war, gemessen wurde. Dadurch konnte man auf drei Uhren für 1/10., 10ner und 100derter Seemeilen die zurückgelegte Distanz kontinuierlich ablesen. Die Anzahl der Zehntel Seemeilen in 6 Minuten entsprach der Schiffsgeschwindigkeit in Seemeilen.

Abb. 8 und 9: Relingslogge mit dem Zählwerk, das auf der Reling festgesteckt wurde, einem Schwungrad und dem Propeller, der an einem Draht (fehlt hier) hinter dem Schiff hergezogen wurde. Das Zählwerk zeigt im rechten kleinen Kreis die Zehntel Seemeilen an.40

Eine Loggleine mit Propeller kostete 1952 35 DM. Das weiß ich, weil ich nämlich den Schaden ersetzen sollte: die „Luise“ hatte einem anderen Kümo die Loggleine abgefahren, angeblich während ich am Ruder stand.

Bevor die Patentlogge erfunden war, wurde die Schiffsgeschwindigkeit dadurch „gemessen“, dass man einen an einer Leine befestigten Gegenstand achtern ins Wasser warf, dort treiben ließ und für einem bestimmten Zeitraum die Länge der ausgelaufenen Leine maß. Der Gegenstand war ein stabiles kräftiges Holzstück in Form eines Sechstel Kreisausschnitts, das an drei Punkten so an einer Leine befestigt war, dass es im Wasser senkrecht und quer zur Fahrtrichtung stand. Die Zeit wurde durch eine Sanduhr gemessen. In die Leine waren Knoten in einem Abstand zueinander geschlagen worden, der dem Weg entsprach, den das Schiff in der Sanduhrzeit bei einer Geschwindigkeit von 1 sm/h zurücklegen würde. Bei einer Sanduhrzeit von z. B. 14 s waren das 6,84 m. Also befand sich alle 6,84 m ein Knoten in der Leine. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte dadurch, dass man das Holzstück achtern ins Wasser warf, die Leine durch die Hand gleiten ließ, wartete bis das Holzstück etwa eine Schiffslänge achteraus gesackt war, dann die Sanduhr drehte und in der Hand die Knoten zählte, bis der Sand durchgelaufen war. Daher hat sich für Seemeile pro Stunde der Ausdruck ‚Knoten’ eingebürgert.

Abb. 10: Skizze einer Handlogge41

Später wurden Geschwindigkeitsmessanlagen entwickelt, bei denen zumeist der in Fahrtrichtung erhöhte Wasserdruck die Berechnungsbasis bildete.

III 4 8 Die Petroleumlampen

Als Lichtquelle hatten wir Petroleumlampen an Bord. Dazu gehörten natürlich auch die vier Positionslaternen, nämlich die weiße Topplampe, die weiße Hecklampe, die rote Bb-Seitenlampe und die grüne Stb-Seitenlampe. Diese Lampen mussten sehr genau eingestellt werden, wir sagten „getrimmt“ werden. Damit die Laternen ihre vorgeschriebene Leuchtkraft hatten, musste die Flamme auf die maximale Helligkeit justiert werden. Dazu musste der Docht überall und völlig gerade und gleichmäßig um eine bestimmte Länge aus der Dochtführung herausgedreht sein. Die Spitze der Flamme durfte nicht in die Verengung des Zylinders ragen, denn dann würde die Flamme blaken und der Zylinder verrußen. Um das zu kontrollieren, mussten die Lampen, bevor sie an ihre Leuchtpositionen angebracht wurden, etwa 15 Minuten lang brennen. Dies alles war mein Job. Eine dreiviertel Stunde vor Sonnenuntergang holte ich die Lampen aus ihrem Aufbewahrungsort, stelle sie auf die Luke, zündete sie an und justierte immer wieder die Dochtstellung. Schließlich wurden sie in ihre Halterungen eingesetzt. Der Kapitän kontrollierte die Qualität der Einstellung nach ca. einer Stunde Brennzeit genau. Wehe, es blakte eine; dann setzte es Hiebe.

Abb. 11: Brenneinsatz einer Positionslampe mit Petroleumtank,

Abb. 12: Dochthalterung und Zylinder

Abb. 13: Zylinder

Abb. 1$: Reinigungsteil

Morgens nach Sonnenaufgang nahm ich die Lampen wieder weg, stellte sie auf die Luke und machte sie leuchttüchtig für die nächste Nacht, also Petroleum nachfüllen, die Brennrückstände auf dem Docht wegschmirgeln und den Zylinder mit dem Zylinderputzer von Rußteilen reinigen. Gelegentlich überstand ein Zylinder diese Prozedur nicht. Ich musste ihn ersetzen.

III 4 9 Die Lukenabdeckung

Die Lukenabdeckung bestand aus dicken ca. 2 Meter langen Holzbohlen (Lukendeckel) mit je einem Griff an den Enden, die auf Eisenträgern, die die Lukenöffnung überbrückten, den sog. Scherstöcken, gelegt wurden. Die Scherstöcke hatten neben der Aufgabe, die Lukendeckel zu tragen, die Funktion, den Lukenschacht dagegen zu schützen, dass er seitlich eingedrückt wurde. Die Scherstöcke ruhten lose in Führungsschlitzen am Lukenschacht. Zum Öffnen oder Schließen der Luke wurden die Lukendeckel von zwei Mann an ihren Enden angefasst und bewegt. Einer der beiden Leute musste dabei auf dem wackeligen Scherstock laufen. Wenn die Luke leer war, tat sich unter ihm ein „Abgrund“ von – auf der „Luise“ – 2,6 m auf. Später auf den großen Schiffen waren das 8 Meter. Natürlich fiel die Wahl des Scherstockläufers immer auf den Moses.

Wasserdicht wurde die Lukenabdeckung erst durch die Persennige. Das waren dicke Stofflaken, die die ganze Luke überspannten. Um wasserdicht zu sein waren, sie mit Teer imprägniert. Sie mussten immer wieder mit Imprägnierungsmitteln bestrichen werden. Das machte sie schwer und sehr steif. Um die Luke wasserdicht abzuschließen, brauchte man zwei oder gar drei Lagen übereinander. An den Ecken wurden sie sorgfältig eingeschlagen. Die über die Luke rüber hängenden Teile der Persenning wurden durch lange Bandeisen, den „Schalklatten“, und dicken Holzkeilen am Lukenrand festgeklopft, dass weder Wind noch Seewasser sie losreißen konnten. Wikipedia weiß, der Name Persenning geht über französisch préceinte „Umhüllung“ auf altfranzösisch proceindre „einschließen“ zurück42.

Abb. 15 und 16: (Quelle: Schifffahrtsmuseum Wischhafen)

III 5 Mein Leben auf der „Luise“

Ich hatte ein Schiff wie die „Luise“ gesucht, weil ich ein Fahrzeug benötigte, auf dem ich die damals für den Erwerb des Kapitänspatentes vorgeschriebene Segelschiffsfahrzeit leisten konnte. Als richtiges Ladung transportierendes Segelschiff kam damals nur die „Pamir“ in Frage. Die war aber völlig ausgebucht. Meine Bewerbung ist offiziell daran gescheitert, dass ich in meinem Schulabschlusszeugnis in Erdkunde ein dicke 5 stehen hatte. Ersatzweise konnte man diese Bedingung dadurch erfüllen, dass man ein Jahr lang auf einem Kümo mit Segeln fuhr.

III 5 1 Die ersten Tage an Bord

In meinem ersten Brief nach Hause habe ich mich über die „Luise“ so geäußert: „Der sehr geehrte Herr Heithoff (so hieß der Heuerbaas) hat mir ja einen schönen Kahn angedreht. Es gibt hier nur wenige Räume, in denen ich aufrecht stehen kann. Im Steuerhaus geht es gerade eben noch und im Logis (also in unserer Kammer) auch. Wenn ich aber in der Kombüse kochen will, muss ich den Kopf so lange vor die Tür legen…“. In der Kombüse arbeitete ich also auf einem Hocker sitzend. Wenn aber der Kapitän zum Abschmecken des Essens hereinkam, musste ich natürlich aufstehen. Der schräg gestellte Kopf drückte dann an die Decke.

An Bord ging ich in Bremervörde. Ein paar Tage später verholten wir zu einem Platz etwa 10 km die Oste abwärts. Entsprechend meiner Vorstellungen von der Seefahrt setzte ich mich vorne auf das Ankerspill (= Winde zum Hieven des Ankers) und ließ die Oste Landschaft an mir vorbeiziehen. Das gefiel dem Kapitän gar nicht. Er rief mich zu sich ins Ruderhaus und fragte, ob ich schon Feuerholz gemacht hätte. „Nein“. „Denn goh man in de Luk, dor findest Du en Hackklotz un Holt“. Ich begab mich in die Luke, schlug etwa eine Handvoll Kleinholz und nahm wieder auf dem Ankerspill Platz. Das missfiel dem Kapitän. Meine Aufgabe war es jetzt, das ganze Holz – ca. 1 m3 - in Kleinholz zu verwandeln. Ich habe nie wieder Gelegenheit bekommen, die Oste ab Bremervörde vom Wasser aus zu betrachten.

Unsere Anlegestelle war übrigens kein Liegeplatz für Schiffe. Wir machten an zwei Bäumen fest. Von dort kam man, wenn man zwei km landeinwärts marschierte, direkt zum Grundstück des Kapitäns. Sein Garten sollte umgegraben werden: meine erste „seemännische“ Arbeit.

III 5 2 Windstärke 5

Nach der Feldarbeit ging meine erste Seereise nach Husum bei Winden aus WSW in Stärke 5 bft. Schon vor Brunsbüttel, wo die Elbe breiter wird und der WSW-Wind in voller Stärke hineinbläst, wurde ich seekrank. Ich war in der Kombüse mit dem Zubereiten des Mittagessens beschäftigt und musste mehrfach durch die Tür zur Reling stürzen und „die Fische füttern“. Der Kapitän rief mir von achtern freundlich auf Platt zu: „Wenn dat brun ward, musst Du dat wedder dol slucken, dann is dat dat Morslock.“ Erst viel später begriff ich den Satz: „Wenn das braun wird, musst Du es wieder herunterschlucken, dann ist das das Arschloch.“ Gegen drei Uhr erreichten wir Husum. Noch am Abend konnte ich nichts essen. Die Seekrankheit hat mich auch später noch gequält, aber nie mehr so heftig.

Dass der Wind nicht stärker blies als Windstärke 5 bft weiß ich deswegen, weil diese kleinen Schiffe ab Windstärke 6 bft sich nicht mehr in die Nordsee trauten. Für die Kümos, die aus der Elbe auslaufen wollten, gab es dann in Cuxhaven einen Sammelplatz. Das Hafenbecken zwischen Nordseekai und Meinkenkai war dann voll gepackt mit aneinander gebundenen Kümos. Man hätte über die Schiffe von der einer Kaimauer zur anderen zu Fuß gehen können. Die Kümos lagen dort „vor Wind“ und warteten, dass der Sturm sich lege. Das konnte fünf und mehr Tage dauern. Der Kapitän fuhr dann nach Hause und hörte den Wetterbericht dort ab. Während meiner Zeit auf der „Luise“ haben wir mindestens drei Mal in Cuxhaven vor Wind gelegen. Einmal hatten wir früh morgens nicht bemerkt, dass alle Schiffe den Hafen verlassen hatten. Unsere Leinen hatten sie einfach gelöst. Wir schwabbelten also mitten im sonst leeren Hafenbecken. Das mehrfache Rufen unseres Kapitäns: „Luise ahoi!!“ weckte uns auf. Wir mussten ihn mit dem Rettungsboot an Bord holen.

Das Leben an Bord war so romantisch nicht.

III 5 3 Das Wohnen an Bord

Der Kapitän wohnte achtern. Der Leichtmatrose, nennen wir ihn Egon, und der Moses wohnten in einer Kammer im Steven des Schiffes. Früher, auf Segelschiffen, war es üblich, dass die Mannschaftsmitglieder vorne wohnten. „Vor dem Mas fahren“ ist daher ein Synonym für einen Matrosen, Leichtmatrosen, Jungmann oder Moses. Wer in den 50- bis 80iger Jahren ein Kapitänspatent anstrebte, musste 50 Monate netto „vor dem Mast“ gefahren haben.

Unsere Kammer war ein ziemlich enges Loch. Der hölzerne Fußboden maß höchsten 3 m2. Rechts und links gab es Holzbänke, die in Wirklichkeit die Deckel von Holzkisten waren, die mit Tauwerk, Blöcken, Ketten, Werkzeug, Farbeeimern, also alles das, was auf größeren Schiffen im Kabelgatt seinen Ort hat, vollgestopft waren. Unter dem Boden lagerten die Kohlen für die drei Öfen an Bord, den Kombüsenherd, die Feuerstelle in der Kammer des Kapitäns und unser Kanonenofen. Die Wand nach achtern trennte die Kammer vom Laderaum ab. Vor dem vorderen Schott aus Holz schlummerten die Ankerketten. An der Bb-Seite waren die beiden Kojen übereinander eingelassen. Moses schlief natürlich oben. Wegen der Trichterform des Stevens fand auch der Seesack mit der persönlichen Habe des Bewohners dort noch gut Platz; einen Schrank für persönliche Gegenstände war nicht vorhanden. Die Matratzen wurden durch prall mit Stroh gefüllte Stoffbehälter gebildet. Es gab je eine Wolldecke zum Zudecken. Es gab auch einen Tisch, vielleicht 60 x 80 cm groß. Zwei Haken hielten die eine Schmalseite am vorderen Schott fest. Die andere wurde von einem Standbein getragen. Im Hafen kam es vor, dass wir beide gegenüber auf den Bänken am Tisch saßen und, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, lasen. Wenn der eine sich bewegte und die Ellbogen vom Tisch nahm, drückte der andere die Tischplatte zu sich herunter und hebelte den Tisch aus seiner Verankerung. Alles lag dann unten. – Ein Vergnügen und Anlass für angeregte Unterhaltungen.

III 5 4 Die Ausrüstung der „Luise“

Das Schiff war nur mit dem Nötigsten ausgerüstet.

So gab es für vorne und achtern jeweils nur einen einzigen Draht zum Festmachen des Schiffes. Ich war für achtern zuständig. Wenn der Draht z. B. auf der Stb-Seite lag, das Schiff aber mit der Bb-Seite festgemacht werden sollte, musste ich den ca. 20 Meter langen Draht zur anderen Seite schaffen. Dazu musste er in Buchten „aufgeschossen“ werden, um ihn auf dem Arm zur anderen Seite hinüber tragen zu können. Das wäre bei einem neuen Draht kein Problem gewesen. Aber dieser Draht war sehr alt und ließ sich daher nur schwer zu Buchten bändigen. Außerdem hatte er unzählige „Fleischhaken“. So nennen die Seeleute die durchgebrochenen einzelnen Drahtfäden, aus denen der Draht besteht, die als scharfe Spitzen einige Millimeter hervorstanden und sehr piksen. Arbeitshandschuhe waren natürlich verpönt.

Normalerweise nahm ich meinen aufgeschossenen Draht und lief damit auf dem Gang zwischen Ladeluke und den achteren Aufbauten zur anderen Seite. Schwierig wurde es, wenn wir mit Grubenholz aus Schweden ins Ruhrgebiet unterwegs waren. Das Grubenholz ist leichter als Wasser, deshalb ist ein Schiff, wenn dessen Laderaum damit voll gestaut ist, gewichtsmäßig noch lange nicht abgeladen. Man staut das Holz dann, so hoch wie es geht an Deck, also in unserem Fall so hoch, dass man vom Ruderhaus aus gerade darüber hinwegschauen konnte. Damit war der Gang versperrt. Der kürzeste und bequemste Weg zur anderen Seite wäre der durch das Ruderhaus gewesen. Den hat mir der Kapitän aber verboten. Er benötigte den Platz für seine Maschinen-Turnübungen43. Mit dem Fleischhakendraht im Arm auf das Grubenholz zu klettern, ging auch nicht; dazu war die Decksladung zu hochgestapelt. Also musste ich hinter dem Ruderhaus herum. Dort gab es jedoch überhaupt keinen Gang, sondern nur einen schmalen Wassergraben, auf dem die etwas nach außen geneigte Reling stand. Ich musste mich zwischen der senkrechten rückwärtigen Ruderhauswand und der Reling entlang quetschen und dabei auch noch unter dem schräg nach achtern ragenden Flaggenstock mit der wehenden Flagge hindurch ducken - alles mit meinem äußerst störrischen und stacheligen Draht im Arm. Dieses Manöver musste ich auf unserem Weg durch die Binnenkanäle mit ihren vielen Schleusen täglich fünfmal oder öfter ausführen. Oft drängte die Zeit dabei sehr, denn mit welcher Schiffsseite die „Luise“ in der Schleuse festmachen sollte, wurde dem Schiff vom Schleusenwärter erst kurz vor dem Einlaufen mitgeteilt. Natürlich hätte der Draht wegen der zahllosen Fleischhaken, die ein Zeichen seiner stark herabgesetzten Haltbarkeit waren, längst erneuert werden müssen. Aber wir fuhren ja sparsam.

Es gab noch so ein schönes Beispiel für die Sparsamkeit des Kapitäns. Gelegentlich musste jemand in den 12 Meter hohen Mast klettern. Das geschah über die Wanten, also die Drähte mit denen der Mast an den Schiffsseiten verankert war. Nur auf der Stb-Seite waren die drei Drähte, aus denen die Wanten bestanden, in regelmäßigen Abständen durch sog. Webeleinen miteinander verbunden, so dass eine Art Leiter entstanden war. Eine Webeleine ist ein Stück Tau, das mit dem Seemannsknoten Webeleinenstek an die Wantendrähte geknotet ist. Diese Seite war dem Kapitän vorbehalten. Der Moses kletterte an Bb an den Wanten hoch, wobei die Füße und Unterschenkel sich um den Wantendraht festklemmen mussten. Das kann man lernen.

Noch ein Beispiel: Häufig lagen die kleinen Kümos zu viert oder fünft seitlich aneinander gebunden im Hafen. Wir lagen diesmal ganz außen und es war Mittagspause. Unsere Arbeitsgeräte mussten wir sorgfältig weg stauen. Auf dem übernächsten Kümo hatte unser Kapitän einen einsamen Rosthammer liegen sehen. Er sprach mich an: „Kiek mol, dor licht een Homer!!“ „Guck einmal, dort liegt ein Hammer“. Den sollte ich für ihn klauen.

III 5 5 Die Verpflegung

Auch die Verpflegung war manchmal kritisch. Solange der Kapitän selber mit an Bord war, gab es ausreichend zu essen. Aber gelegentlich machten wir in Stade fest, weil er über das Wochenende nach Hause in sein Dorf an die Oste wollte. Geld, um nötigenfalls etwas zu Essen einzukaufen, gab er uns nicht. Er verwies aber darauf, dass wir bei einem bestimmten Bäcker auf Kredit kaufen könnten. Davon wollte der Bäcker aber nichts wissen. Am Montag war das Brot alle. Der Kapitän kam aber erste am Mittwoch zurück.

Irgendwann musterte Egon ab und ein Matrose kam an Bord. In einem Brief nach Hause habe ich geschrieben: „Seitdem der neue Matrose an Bord ist, bekommen wir ausgezeichnete Verpflegung. Der Brotaufstrich (Wurst, Käse, Honig, Marmelade, Margarine, Butter, Zucker) wird nicht mehr zugeteilt, sondern es gibt neuen Proviant, wenn der alte aufgegessen ist.“