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Etwas wie ein Windstoß fuhr in die Kapitänskammer. Der Seewolf schnellte von seinem Stuhl hoch. Nur sein Instinkt reagierte. Für Gedanken war keine Zeit. In dem Moment, in dem er herumruckte, war es noch eine graue Masse, die auf ihn zustieß. Dem Seewolf blieb nur noch Zeit, in Abwehrstellung zu gehen. Der Cutlass und der Radschloßdrehling lagen unerreichbar weit weg auf dem Schnapp. Nur seine Fäuste blieben ihm. Die huschenden Kerle wichen auseinander und schlossen ihn ein. Fünf Mann. Einer hielt das Schott, damit es kein Geräusch verursachte. Die Lautlosigkeit der Kerle war verblüffend. Den ersten, der zuschlagen wollte, trieb Hasard mit harten Fausthieben von sich...
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Seitenzahl: 109
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Impressum© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,Pabel ebook, Rastatt.eISBN: 978-3-95439-998-7Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Burt Frederick
Ihre Grausamkeit kennt keine Grenzen …
Der Nebel erdrückte sie fast.
Mit wattigem Grau, von keiner Brise bewegt, lag er über der Wasseroberfläche, und die Männer hatten das Gefühl, daß ihnen selbst das Atmen erschwert wurde.
Aber die Gier trieb sie.
Sie bewegten lautlos die Riemen, und das Boot glitt wie von Geisterkraft getrieben durch das Grau.
Auch die Kleidung war grau, und so verschmolzen sie fast mit der unwirklichen Umgebung.
Ihre Waffen hatten sie mit Tuch umwickelt, damit kein verräterischer Laut verursacht wurde.
Es war ein großes, stolzes Schiff, das sie in ihre Gewalt bringen wollten. Dazu mußten sie ihre ganzen Fähigkeiten aufbieten …
Ahmet Üzürgül – Ein türkischer Oberschnapphahn, der eine besondere Taktik entwickelt hat, nur im Nebel einen Coup auszuführen.
Günel – Die junge Türkin, die von Üzürgül entführt wurde und die Flucht plant.
Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf erhält in seiner Kapitänskammer Besuch, aber von einer Einladung kann keine Rede sein.
Ben Brighton – Hasards Erster Offizier und Stellvertreter steht vor einem schwierigen Problem und muß etwas riskieren.
Donegal Daniel O’Flynn – Hat erstmals eine Dhau unter seinem Kommando und bricht mit ihr zu einem Raid auf.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Es war wie ein Schweben im Nichts.
Philip Hasard Killigrew öffnete eins der Bleiglasfenster in der Kapitänskammer. Nichts änderte sich. Die Luft stand draußen wie eine unbewegte graue Masse, zum Schneiden dick. Während der ganzen Nacht hatte es keine Abkühlung gegeben, und auch jetzt, am frühen Morgen des 20. April Anno 1597, ließ die Nebelwand nicht einmal einen frischen Lufthauch in die Unterdecksräume der „Santa Barbara“ dringen. Die Feuchtigkeit hatte sich nur noch erhöht.
Der Seewolf schloß das Fenster wieder.
Es war still an Bord. Der Sonnenaufgang stand noch bevor, wenn er auch kaum wahrzunehmen sein würde. Bis auf die Deckswachen, deren ruhige Schritte vom Hauptdeck zu vernehmen waren, genoß die Crew ihre wohlverdiente Nachtruhe.
Die Stille, die das Schiff umgab, war absolut.
Kein Geräusch sickerte durch den Nebel. Kein Schrei eines Seevogels war zu hören, der etwa den Tag begrüßt hätte. Kein Wellenschlag, der mit sanftem Schmatzen gegen den Rumpf der Galeone geklatscht wäre.
Seit den späten Nachmittagsstunden des 19. April, als auch der Nebel heraufgezogen war, herrschte bereits völlige Windstille. Der Seewolf hatte Treibanker ausbringen lassen, obwohl nach den Feststellungen Dan O’Flynns keine Abdrift durch etwaige Strömungen zu befürchten war. Stunden darauf, schon in der Nacht, als aber die Gestirne noch erkennbar gewesen waren, hatte Dan neue Berechnungen angestellt und seine anfänglichen Erklärungen bestätigt gesehen. Die Position der „Santa Barbara“ hatte sich kaum verändert.
Dan O’Flynn brauchte seine Zuverlässigkeit als Navigator nicht mehr unter Beweis zu stellen.
Sie lagen etwa zwanzig Seemeilen nördlich der küstennahen Insel Abu Ali, und sie würden weiter Kurs auf Kuweit nehmen, sobald Nebel und Flaute vorüber waren. In der Hafenstadt im nordwestlichen Zipfel des Persischen Golfs hofften Hasard und seine Gefährten neue Informationen zu erhalten. Informationen über jene geheimnisvolle Route, die vom Golf über den Irak und Persien ins Mittelmeer führen sollte.
Der Seewolf wandte sich vom Fenster ab und kehrte auf seinen Platz am Tisch zurück. Er schlug das Logbuch auf und zog Tintenfaß und Federkiel zu sich heran. Mit präzise schräggeneigten Federstrichen trug er das Datum des neuen Tages ein. Dann ließ er den Kiel sinken.
Ich bin besessen, lautete der Gedanke, der ihm durch den Kopf flog.
Er erschrak fast. Aber es verhielt sich so, wie dieser Unbeabsichtigte Gedanke es ausdrückte. Er war in der Tat besessen von der Vorstellung, diesen unbekannten Schiffahrtsweg zu entdecken. Widersprach es nicht seinen alten Prinzipien, stets einen klaren Kopf zu bewahren und die Dinge mit nüchternem Überlegen anzugehen?
Aber nicht einmal Ben Brighton, der gründliche Denker, hatte diesmal etwas auszusetzen gehabt. In der Tat schien die gesamte Crew von der Entdeckerbegeisterung der Zwillinge angesteckt worden zu sein.
Der Seewolf beruhigte sich mit der Folgerung, daß es nicht der Stolz auf seine Söhne gewesen war, von dem er sich hatte leiten lassen. Und er hatte auch keine einsame Entscheidung getroffen. Bei allen Beschlüssen, die einschneidende Auswirkungen auf die ganze Mannschaft haben konnten, wurden stets auch sämtliche Crewmitglieder beteiligt.
Nichtsdestoweniger hatte der geheimnisvolle Kartenfund der Zwillinge auf den Seychellen mehr als nur Abenteuerlust und Forscherdrang geweckt. Tief in ihnen schlummerte das Bestreben, auch für England wieder einmal etwas zu tun.
Meist fluchten sie auf die alte Heimat, die man ihnen so gründlich verleidet hatte. Und nicht selten ließen sie kein gutes Haar an ihrem Land, wenn sie irgendwo in einer Hafenschenke in Stimmung gerieten. Doch hinter all den rauhen Worten verbarg sich doch eine gehörige Portion jenes Zugehörigkeitsgefühls, das sie immer noch mit dem Land ihrer Väter verband und das sie wohl niemals ganz abschütteln konnten.
Denn aus England waren sie nicht von ihresgleichen vertrieben worden, geschweige denn, daß sie bei Königin Elizabeth I. in Ungnade gefallen wären. Nein, es waren ausschließlich die finsteren Elemente bei Hofe gewesen, die die Seewölfe dazu gebracht hatten, in der Karibik den Bund der Korsaren zu gründen und sich eine neue Heimat zu schaffen.
Nach wie vor existierte der Stützpunkt an der Cherokee-Bucht.
Aber England war nahe.
Dieses Bewußtsein, daran zweifelte der Seewolf nicht, hatte bei jedem einzelnen Mann an Bord der „Santa Barbara“ dazu geführt, die Aussicht auf die Entdeckung eines neuen Weges vom Persischen Golf zum Mittelmeer mit wahrer Besessenheit zu verfolgen.
Hasard lächelte, da sich der Kreis seiner Gedanken geschlossen hatte. So waren sie denn alle besessen von jener Idee, die sie verfolgten. Keine Schande. Beileibe nicht.
Er nahm die Feder, tunkte die zugeschnittene Spitze ins Tintenfaß und schrieb. Er mußte zu Papier bringen, was ihn bewegte. Vielleicht gab es einmal Zeugnis von sinnloser Phantasterei. Vielleicht wurde es aber auch der geistige Grundstein einer Entdeckung, die für die Kultur des Abendlandes von unerhörter Bedeutung war.
Was nämlich eine Verkürzung des Seewegs von und nach Indien für Europa bringen konnte, konnte man in Europa nicht einmal im entferntesten abschätzen.
Wir sind zum Stillstand verurteilt, schrieb der Seewolf, und es scheint, als ob unsere Besessenheit zu einer aufgezwungenen Pause verurteilt ist …
Der Mann, der im Bugraum des flachen Bootes kauerte, hatte nur die eine Aufgabe: An ihm lag es, das Ziel rechtzeitig zu erspähen, damit sie bei dem dichten Nebel nicht in eine unliebsame Überraschung rauschten. Denn obwohl die sechs Männer auf den Duchten äußerst behutsam pullten, glitt das Boot doch mit hoher Fahrt über das Wasser. Es bewies, über welche Muskelkraft die Männer verfügten.
Unvermittelt stieß der Späher einen scharfen Zischlaut aus. Warnend hob er die rechte Hand, obwohl seine Kumpane es nicht sehen konnten, da sie ihm den Rücken zuwandten.
Augenblicklich hoben sie die Riemenblätter an und ließen das Boot auslaufen. Schon ein Streichen hätte nach ihrer Überzeugung zu geräuschvoll sein können. Denn bei dem augenblicklichen Nebel klang selbst der leiseste Laut so, als würde er auf geheimnisvolle Weise verstärkt.
Die graugekleideten Männer auf den Duchten hielten die Riemen über Wasser und wandten sich um. Aufmerksam spähten sie in die Richtung, in die der schlanke Bug des flachen Bootes wies.
Und plötzlich waren die hohen, dunkel aufragenden Konturen da. Das Schiff wirkte riesengroß und drohend in dem Nebel, der es umhüllte und Einzelheiten nicht erkennen ließ.
Der Späher beugte sich vor und ergriff die Ankertrosse, die aus der Wasseroberfläche lang durchhängend zum Heck der Galeone aufstieg.
Das Boot gelangte zum Stillstand. Während der Mann im Bug es langsam unter die Trosse manövrierte, legten die anderen die Riemen vorsichtig auf die Duchten. Völlige Lautlosigkeit war das oberste Gebot, das sie sich selbst gesetzt hatten. Und sie waren geübt darin, dieses Gebot einzuhalten.
Etwaige Deckswachen hatten keine Chance, sie zu entdecken. Von den Verschanzungen der Galeone aus war das Ende der Ankertrosse nicht zu sehen. Und dann verlief die Trosse so geradlinig nach achteraus, daß sich die Wachtposten an Bord des Schiffes schon über die Heckbalustrade hätten beugen müssen, um zu sehen, was sich abspielte.
Der erste der Graugekleideten aus dem Boot richtete sich auf und packte die armdicke Trosse. Mit geschickten, katzenhaften Bewegungen begann er, sich emporzuhangeln.
Die anderen folgten ihm mit geringem Abstand. Im Boot blieb nur der Späher, dessen Aufgabe es nun war, auf alles Weitere genau zu achten, damit ein reibungslos verlaufender Rückzug möglich wurde. Der Mann im Boot spähte zu den erleuchteten Fenstern im Heck des Schiffes. Keine Bewegung einer menschlichen Silhouette war dort zu erkennen.
Der erste erreichte die Heckgalerie. Mit einer fließenden Bewegung schwang er sich hinüber. Es hatte den Anschein, als schlucke der Nebel jedes Geräusch. Doch der Mann im Boot wußte, daß dieser Eindruck falsch war. Seine Kumpane beherrschten ihre Körper bis in die winzigste Muskelfaser. Bei ihrem Vordringen gab es nichts, was nicht vorausberechnet gewesen wäre.
Geduckt pirschten sie auf der Heckgalerie unter den Bleiglasfenstern entlang, auf das Schott zu, das üblicherweise in die Kapitänskammer führte. Sie kannten die Bauweise dieser Schiffe der Ungläubigen hinreichend, um zu wissen, wie sie sich orientieren mußten.
Zwei Graugekleidete verharrten unmittelbar vor dem Schott. Die anderen warteten mit jeweils einem Schritt Abstand. Ein Schiff, daran glaubten sie, war wie ein eigenständiges Wesen. Sie versuchten, diese Wesenszüge in sich aufzunehmen.
Es reagierte nicht feindlich auf sie. Kein Knarren und kein Ächzen waren zu vernehmen. Das Schiff war so stumm, wie sie eingeschätzt hatten. Ihm fehlte dieser Atem, den ihm Wind und Wellengang eingehaucht hätten. Ohne die Kräfte der Natur war ein solches Schiff gar nichts.
Es war so wehrlos, wie die Graugekleideten es voraussetzten.
Und dem Klang der Schritte nach zu urteilen, befanden sich die Wachen weiter vorn, auf dem Hauptdeck.
Alle äußeren Voraussetzungen waren hervorragend und günstig. Jetzt hieß es nur noch, die eigene Energie und die eigene Willenskraft so zielstrebig einzusetzen, daß eine Gegenwehr von vornherein zum Scheitern verurteilt war.
Philip Hasard Killigrew legte den Federkiel beiseite und verschloß das Tintenfaß mit dem Korken. Er überflog noch einmal die Zeilen, die er zu Papier gebracht hatte. Und er versuchte, sich vorzustellen, wie auf einen Außenstehenden die Begründung dafür klingen mochte, daß sie in etwas hoffnungslos Ungewisses vorstießen.
Abwegig.
Welcher Außenstehende vermochte sich überhaupt vorzustellen, was eine Crew wie die Arwenacks bewegte? Wer war imstande, einzuschätzen, woher diese Männer ihre Kraft nahmen? Die Kraft beispielsweise, mitten in die Hölle zu segeln, um dem Gehörnten nur mal eben auf den Pferdefuß zu treten.
Die Männer der „Santa Barbara“ und zuvor der „Isabella“ hatten mehr als tausendfach bewiesen, daß sie den Teufel ebensowenig fürchteten wie alle anderen Gefahren dieser Welt.
Was bedeutete es – gemessen daran – schon, einmal eine unbekannte Schiffahrtsroute zu erforschen?
Etwas wie ein Windstoß fuhr in die Kapitänskammer.
Der Seewolf schnellte von seinem Stuhl hoch. Nur sein Instinkt reagierte. Für Gedanken war keine Zeit.
In dem Moment, in dem er herumruckte, war es wie eine graue Masse, die auf ihn zustieß.
Dem Seewolf blieb nur noch Zeit, in Abwehrstellung zu gehen. Der Cutlass und der Radschloßdrehling lagen unerreichbar weit auf dem Schapp. Nur seine Fäuste blieben ihm.
Die huschenden Kerle wichen auseinander und schlossen ihn ein. Fünf Mann. Einer hielt das Schott, damit es kein Geräusch verursachte. Die Lautlosigkeit der Kerle war verblüffend.
Den ersten, der zuschlagen wollte, trieb Hasard mit zwei gnadenlos harten Fausthieben von sich. Der Mann war wie eine Katze. Er schrie nicht, er stolperte nicht, und er riß keinen Gegenstand um, der ein Poltern verursacht hätte. Selbst unter Schmerzen war jede seiner Bewegungen noch genau berechnet.
Noch einen Atemzug lang schaffte es der Seewolf, die jetzt um so heftiger nachdrängenden Kerle auf Distanz zu halten. In der Sekunde, in der er losbrüllen wollte, um Alarm zu geben, war es zu spät.
Ihn traf ein Hieb, der alles auslöschte. Es war wie eine Explosion auf seinem Hinterkopf.
Der Blitz dieser scheinbaren Explosion versiegte in der Schwärze der Bewußtlosigkeit.
Hasard spürte nicht mehr, wie seine Gegner sofort zupackten, damit er nicht zu Boden schlug. Er konnte auch nicht über ihre Geschicklichkeit staunen, als sie ihn auf die Heckgalerie trugen, um ihn dann mit Schlingen an Hand- und Fußgelenken an die Ankertrosse zu hängen und abwärts rutschen zu lassen.
Es spielte sich innerhalb von drei Minuten ab. Der Nebel verschluckte die Entführer. Als sie sich wieder lautlos in die Riemen legten und dabei scharf horchten, waren sie ihrer Sache bereits sicher.
Kein Laut drang aus der trübgrauen Wand, hinter der das Schiff nun erneut verborgen lag. Niemand hatte also das Verschwinden des Kapitäns bemerkt.
Der Seewolf erwachte in einem Toben von Gewalten.
Da dröhnte und hämmerte und schrillte es, und all das hatte sich als Schauplatz seinen Kopf ausgesucht. Er brauchte elend lange, bis er es überhaupt schaffte, die Augen ein wenig zu öffnen. Sofort verstärkte sich das Inferno in seinem Kopf, und er schloß die Augen wieder. Er hatte nichts sehen können. Er konnte nichts hören. Aber er spürte, daß der Untergrund, auf dem er lag, sich bewegte.