Sein Tod ist nie von Dauer - Unna Hvid - E-Book

Sein Tod ist nie von Dauer E-Book

Unna Hvid

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Beschreibung

"Sein Tod ist nie von Dauer" ist eine gotische Erzählung aus dem ostdeutschen Zeitz, wo die Zeit nach dem Mauerfall stehengeblieben zu sein scheint: A.K., die Hauptperson der Erzählung, findet eine Geisterstadt vor, verlassene Wohnhäuser und leerstehende Fabriken. Schnell kommt in A.K. das Gefühl auf, dass an diesem Ort etwas Bäses sein Unwesen treibt - eine Böse Kraft, die die Gegend schon lange, vielleicht schon seit Jahrhunderten, heimsucht. A.K. erfährt das Böse am eigenen Leib und verliert Schritt für Schritt die Fähigkeit, zwischen Wirklichkeit und Albtraum zu unterscheiden. Oder ist der Albtraum doch Wirklichkeit? "Sein Tod ist nie von Dauer" ist eine klassische gotische Erzählung. Das Unheimliche und das Geheimnisvolle schleichen sich still und leise heran und lassen sich nur durch aufmerksames Lesen entlarven. Der Titel der Erzählung spielt auf Veles an, den schwarzen Gott aus der slawischen Mythologie. Veles gilt als Trickster-Gott, der in unterschiedlicher Gestalt auftritt - oft als Schlange, die ins Reich des mächtigen Donnergottes Perun vordringt und ihn jedes Jahr aufs Neue zu einem kampf auf Leben und Tod herausfordert. der Kampf endet mit Veles' Tod. Aber sein Tod is nie von Dauer. Der schwarze Gott kommt immer wieder zurück. "Sein Tod is nie von Dauer" is der erste Teil in einer neuen Reihe europäischer Erzählungen.

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Inhaltsverzeichnis

ZEITZ

DER KELLER

MNEMOSYNE

EIN ORT DES BÖSEN

DER STURM

ABSCHIED

Das, wovon ich berichten möchte, liegt schon eine Weile zurück. Es hat gedauert, bis ich imstande war, anderen von meinem Erlebnis in Zeitz zu erzählen. Und ich bitte jetzt schon um Entschuldigung dafür, dass meine Schilderungen vielleicht immer noch zusammenhanglos wirken — und auch, dass ich meine Identität nicht preisgeben kann. Nach wie vor bin ich nicht ganz sicher, ob sich das, was ich durchgemacht habe, tatsächlich ereignet hat, oder ob es nur auf eine stressbedingte Psychose zurückzuführen ist, wie die Ärzte behaupten. Wie dem auch sei: Entweder trage ich die Schuld für den brutalen Tod einer jungen Frau oder aber ich laufe Gefahr, durch meinen Bericht den dämonischen Zorn auf mich herabzubeschwören, vor dem ich hoffte entkommen zu sein. Aber beginnen wir von vorn.

Vor zwei Jahren reiste ich nach Zeitz für einen einmonatigen Aufenthalt in einer neu eingerichteten Künstlerresidenz, die in einem heruntergekommenen und größtenteils menschenverlassenen Industrieviertel der Stadt liegt. Offizieller Grund für den Aufenthalt war die Fertigstellung einer wissenschaftlichen Arbeit. Eigentlich ging es aber mehr darum, mal den Stecker zu ziehen, wie meine Ärztin es ausdrückte, als sie mich warnte, dass ich ernsthaft erkranken könnte, wenn ich mich nicht eine Zeitlang von meiner Arbeit krankmelden würde.

Vorausgegangen waren einige Jahre mit steigendem Arbeitsdruck, sich verschlechternden Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt einem unerträglich negativen Klima auf der Arbeit, das geprägt war von Lästereien, Konkurrenz um die wenigen Festanstellungen und gar von Fällen unverblümter Schikane zwischen Kollegen. Ich kann nicht zu sehr ins Detail gehen, aber ich war im Bereich Anthropologie und Religionsgeschichte tätig, und obwohl ich mein Fachgebiet liebte, hasste ich allmählich alles, was sonst so mit meiner Arbeit verbunden war. Ich hatte nie wirklich versucht, etwas an meinen Arbeitsbedingungen zu ändern, sondern vergrub mich einfach in meinen eigenen Aufgaben und versuchte auf diese Weise, Kollegen und Vorgesetzten aus dem Weg zu gehen. Natürlich ist das keine Dauerlösung. Langsam machte mir die Arbeit so stark zu schaffen, dass es sich körperlich und seelisch bemerkbar machte. Ich bat meine Ärztin, mir Tabletten zu verschreiben und mich an einen Physiotherapeuten zu überweisen. Sie sah mich eindringlich an und sagte, dass ich den Stecker ziehen müsste. Melden Sie sich krank. Sie brauchen eine Auszeit. Denken Sie darüber nach, ob Sie so weitermachen wollen. Wie ich die Sache sehe, stehen Sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Das hatte Wirkung.

Aber trotzdem: drohender Zusammenbruch, Stress, psychische Verwundbarkeit — dafür war einfach kein Platz auf einer Arbeit, bei der letzten Endes nur Durchsetzungsvermögen und Ergebnisse zählten. Ich entschied mich also gegen eine Krankmeldung und für einen Kurzurlaub, in dem ich an meiner Arbeit weiterschreiben wollte. Das war etwas, was alle nachvollziehen konnten. Auch wenn die wenigsten selbst eine solche Auszeit genommen hätten, denn ein freier Platz — wenn auch nur vorübergehend — ließ hinter den Kulissen bereits viele mit den Füßen scharren. Wenn ich zurückblicke, war das, was geschehen ist, natürlich viel schlimmer, auch für meinen Ruf in der Branche, als es eine Krankmeldung gewesen wäre. Damals hielt ich es aber für die richtige Entscheidung.

Ich reiste also nach Zeitz und verbrachte den April in dieser Stadt mit den vielen verlassenen Vierteln. Als ich wieder nach Hause kam, wurde ich in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Anschließend war ich einige Monate in der offenen psychiatrischen Abteilung und wurde dann ambulant wegen posttraumatischer Belastungsstörung und Depressionen behandelt.

Was Du jetzt in Händen hältst, ist mein Bericht aus Zeitz. Er beruht auf Tagebucheinträgen, die ich dort gemacht habe, sowie auf meinem ersten Versuch, das Erlebte zu Papier zu bringen — ein Dreiviertel Jahr nach meiner Rückreise, als ich noch in psychiatrischer Behandlung war. Allein der Gedanke, meine Aufzeichnungen nun zu einer nachvollziehbaren Erzählung zusammenzufügen, erfüllt mich mit Unruhe und weckt ein Angstgefühl in mir. Vielleicht sollte ich einfach meinen Frieden mit dem machen, was die Ärzte sagen, nämlich dass alles, was ich in Zeitz erlebt habe, bloß Folge einer jahrelangen arbeitsbedingten psychischen Überlastung war. Eine Überlastung, die während meines Aufenthalts in Zeitz in eine Psychose mündete. Das Böse, das ich in dieser Stadt gespürt und gesehen habe, war mit anderen Worten also nichts als Einbildung.

Ich bin jedoch nach wie vor überzeugt, dass in Zeitz etwas Böses zugegen ist — etwas, das dort schon seit vielen Jahren sein Unwesen treibt. Gewiss schon seit Jahrzehnten, möglicherweise sogar seit Jahrhunderten.

Aber urteile selbst.

A. K., im Frühjahr 2024

ZEITZ

Es war später Nachmittag, als der Zug in Zeitz einrollte. Die ganze Strecke lang ab Leipzig hatte starker Wind an den Wagons gerüttelt. In Zeitz wehte er noch heftiger und blies eisig über die leeren Bahnsteige. Schwere dunkle Wolken hingen über der Stadt. Ich eilte über den Bahnhofsvorplatz zu einem Taxi, überließ mein Gepäck dem Fahrer und setzte mich ins warme Auto. Als ich ihm die alte Nudelfabrik als Adresse nannte, fing er an zu mosern – mein Reiseziel lag offenbar ganz in der Nähe.

„Was wollen Sie denn dort? Da gibt es doch nur heruntergekommene Industrieanlagen!“ Er rümpfte die Nase, während er uns durch Straßen fuhr, die von verlassenen Häusern mit eingeworfenen Fensterscheiben gesäumt waren.

„Ich werde hier eine Zeitlang wohnen“, antwortete ich mit mehr Begeisterung als ich eigentlich fühlte.

„Aber die Häuser stehen doch alle leer. Sind Sie eine Art Besetzer, oder so?“ Ich dachte kurz darüber nach, ob mein Auftreten eine solche Vermutung nahelegte.

„Nicht alle stehen leer. Es gibt dort eine neue Künstlerresidenz.“ Genau in dem Augenblick kamen wir in der Neuen Werkstraße 4 an.

„Da sehen Sie’s“, sagte der Fahrer, während wir an dem Gebäude entlangfuhren. Es war imposant, befand sich aber in schlechtem Zustand. „Das Gebäude steht leer. Sind Sie sicher, dass Sie hier raus möchten? Soll ich Sie nicht lieber zu einem netten Hotel fahren? Das hier ist kein guter Ort.“ Das Gebäude sah tatsächlich nicht besonders einladend aus. Ich bat den Fahrer trotzdem, mich abzusetzen. Auf einem handbemalten Holzschild stand: „Eingang Nudelfabrik“. Der Fahrer holte Koffer und Tasche aus dem Kofferraum und stellte sie neben mir ab. Er warf mir noch einmal einen besorgten Blick zu, ehe er sich kopfschüttelnd zurück in sein warmes Taxi begab.

Als ich mich nach meinem Gepäck bückte, fegte ein kräftiger Windstoß Schmutz und Sand von der Treppe. Ich musste blinzeln, um den Sand aus den Augen zu bekommen, und dachte, dass ein sauberes Hotel und ein heißes Bad doch keine so schlechte Idee gewesen wären.

Plötzlich öffnete sich die Eingangstür, und ein großer Mann eilte die Treppe herab, um mir mein Gepäck abzunehmen. Er stellte sich als Mathias vor, Eigentümer der Künstlerresidenz Nudelfabrik. Ich folgte ihm die Treppe hinauf ins Gebäude. Er trug meinen Rollkoffer und meine Tasche durch die Gänge, als wären sie federleicht. Jedesmal, wenn wir zu einer Tür kamen, mahnte er mich, dass ich abschließen sollte, besonders nachts.