Senor Aguila. Peruanisches Lebensbild - Friedrich Gerstäcker - E-Book

Senor Aguila. Peruanisches Lebensbild E-Book

Friedrich Gerstäcker

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Beschreibung

Zwei Republiken nannte Friedrich Gerstäcker die nur lose verknüpften Romane "General Franco" und "Senor Aguila", deren erster Teil in Ecuador, der zweite in Peru spielt. Doch beide Romane sind unabhängig voneinander und können deshalb auch einzeln gelesen werden. Die eigenen Reiseerlebnisse bildeten auch hier wieder den Hintergrund, das Geschehen um die schöne Sängerin Lydia Valière und Don Rafael wird mit spannenden Abenteuern, allerlei Verbrechen bis hin zu Mord, abwechslungsreich geschildert.

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Friedrich Gerstäcker

Gesammelte Schriften

von

Friedrich Gerstäcker.

Zweite Serie.

Dritter Band.

Volks- und Familien-Ausgabe.

Zwei Republiken.

Zweite Abtheilung;

Sennor Aguila.

Jena,

Hermann Costenoble.

Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage

Gefördert durch die Richard-Borek-Stiftung und Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz

Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. und Edition Corsar, Braunschweig, 2021

Herausgegeben von Thomas Ostwald nach der von Friedrich Gerstäcker

eingerichteten Textausgabe für H. Costenoble

Geschäftsstelle: Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig

Alle Rechte vorbehalten! © 2016 / © 2021

1.

In der Südsee.

Wunderbare Inselwelt! Wie still und friedlich schlummerst Du da draußen im weiten Ocean, gegen dessen bäumende Wogen selbst Dich der Korallengürtel Deiner Riffe schützt! Ein kleines Paradies ein jedes Eiland, von einem sonnigen Himmel überspannt, ein sorglos heiteres, zufriedenes Völkchen bergend.

Dort lebt ein Menschenstamm, der wirklich glücklich war, der Alles hatte, was er zum Leben brauchte - nicht mehr, nicht weniger, und doch auch gerade wieder wenig genug, um nicht die Habgier anderer Menschen zu reizen.

Cocospalmen und Brodfruchtbäume deckten sein fruchtbares Land; das stille Binnenwasser zwischen den Riffen barg Fische im Ueberfluß, die wenigen Kleidungsstücke lieferte die zähe Rinde seiner Bäume, den Schmuck für seine jungen Mädchen der nächste Blüthenbusch - und Sorgen? Sie hatten das Wort nicht einmal in ihrer Sprache, sie kannten die Bedeutung nicht, und wenn die Sonne Abends in's Meer versank, sammelte sich das fröhliche, blumengeschmückte Volk zum Tanz - und träumte nachher dem andern Tag entgegen.

Glückliches Volk! Glücklich, weil es ungekannt, unbeachtet und nur sich selber überlassen dort draußen auf seinen Palmeninseln hauste! - Dann kamen die Schiffe der weißen /2/ Männer, dann kam die christliche Religion, dann kamen Kisten mit Nürnberger Tand, mit Glaskorallen und Stücken Spiegelglas, die ihre Habgier weckten - dann kam fremdes, nichtsnutziges Gesindel, das sich zwischen ihnen niederließ, und wo war das Glück - wo der Friede geblieben?

Aber das leichte, sorglose Element schwamm dennoch oben. Besser waren sie durch den Verkehr mit den Fremden nicht geworden, glücklicher auch nicht, aber - das Leben hatte einen neuen Reiz gewonnen - sie hatten hoffen und, mit dem früher nicht einmal geahnten Ehrgeiz, auch einen unbestimmten Drang nach außen kennen gelernt. Früher waren die Riffe, welche ihre Insel umgaben, die äußersten Grenzen ihrer Excursionen, ja, ihres ganzen Strebens gewesen - jetzt sehnten und dachten sie darüber hinaus, und ihr ungeduldiger Blick strich oft über den weiten Horizont, ob sie nicht ein Schiff der Fremden erspähen konnten, das ihnen neuen Tand und - neue Sünden, neue Bedürfnisse brachte. Cocosnuß und Brodfrucht, ja, das war Alles recht schön und gut, aber Tabak und Branntwein gaben doch erst dem Leben die rechte Würze. Und die jungen Mädchen und Frauen, die früher draußen im schattigen Hain, von den jungen Leuten umlagert, gesessen hatten, um ihre Tapa zu klopfen, und dabei aus der Arbeit ein Fest machten - was brauchten sie jetzt noch zu arbeiten, wo ihnen die Fremden viel weichere, prächtig bunte Stoffe brachten und nichts dafür forderten, als was an ihren Bäumen reichlich wuchs: Cocosnüsse und Brodfrucht!

Früher bildeten diese Inseln jede einzelne auch eine große einzige Familie, und wie das eben mit Familien geht, so lange sie sich selbst genügen, sind sie glücklich und gedeihen; sobald sie aber ihren Halt im Innern verlieren und ihre Unterhaltung außer dem Hause suchen, dann hat der eigene Herd den höchsten Reiz verloren und wird zuletzt zu weiter nichts, als einem allgewöhnten Orte der Zusammenkunft. /3/

Trotzdem aber sehnten sich die Eingeborenen noch nicht selber fort von ihren schönen Inseln, so oft sie auch dazu, besonders von dann und wann anlegenden Walfischfängern, verlockt wurden. Nicht hinaus mochten sie in die weite, ungewisse See, um zwischen den Fremden zu bleiben, wenn ihnen deren Besuch auch wohl gefiel; und jede Ueberredung blieb umsonst. Was sollten sie auch draußen? - arbeiten? Die härteste Arbeit, die sie kannten, war, eine Cocospalme zu ersteigen und die saftgefüllten Früchte hinabzuwerfen, oder draußen auf dem stillen Binnenwasser in ihrem Canoe zu schaukeln, um mit dem nachschleifenden Perlmutterhaken Bonitos und Albicores zu fangen. Ja, die Frauen klopften wohl auch noch dann und wann einmal ein Stück Tapa aus, flochten eine Matte, oder schliffen mit Korallensand und unter Wasser ein paar Cocosschalen zu Trinkbechern aus - aber die Männer? - Vielleicht daß sie einmal ihr Dach ausbesserten, wenn ihnen der durchdringende Regen zu unbequem wurde, oder eine kleine Grube auswarfen, um in derselben mit heißen Steinen ein vorher von den Frauen abgebrühtes und gereinigtes Ferkel zu braten, das war Alles, und was sie sonst brauchten, hatten sie ja, oder die Schiffe brachten es ihnen - wozu arbeiten!

Fremde Nationen brauchten freilich Arbeiter, um ihre Felder zu bebauen, um ihr Land werthvoll zu machen, aber in der Südsee sahen sie sich vergebens nach verwendbaren und zugänglichen Kräften um. Die Deutschen und Chinesen - eine wunderliche Zusammenstellung, wenn man es so bedenkt - lieferten ihnen allerdings freiwillig, und die Indier, gezwungen von ihren Fürsten, manchen Transport von sogenannten Kulis, aber immer noch nicht genug, und da der Handel mit schwarzem Menschenfleisch - die übrigen Schätzungen ließ man gelten - zu sehr verpönt war und zu viel böses Blut machte, blieb das noch immer ein offenes Feld für den Erfindungsgeist transatlantischer National-Oekonomen. Woher freilich nehmen und nicht stehlen?

Aber was kümmerte das jenes sorglose Volk in der Südsee - was wußten sie überhaupt von fremden Ländern, von denen sie noch nicht einmal überzeugt waren, daß sie wirklich /4/ existirten, da ja die fremden Menschen, die zu ihnen kamen, ihre volle Heimath auf ihren Schiffen hatten? Keinenfalls sehnten sie sich dorthin.

Ein Festtag war es jedoch immer für sie, wenn solch ein Fahrzeug anlief, und obgleich sie die Fremden im Anfang, das heißt in den ersten Jahren, immer nur als „weiße Männer" bezeichneten, so lernten sie nach und nach einen Unterschied ihrer Nationalitäten kennen.

Die Ingleses hatten ihnen zuerst ihre Missionäre und mit ihnen eine fremde Religion gebracht, die allerdings manchen Mißbrauch bei ihnen abschaffte, ihnen aber doch nicht recht behagte, weil sie von fanatischen, streng orthodoxen Priestern gelehrt wurde, so daß sie nur eigentlich die Schattenseiten derselben kennen lernten. Die fremde Religion bestand aus fast nichts als Verboten. Sie durften nicht mehr singen - ausgenommen fremde, wunderliche Lieder - sie durften nicht mehr tanzen; die Mädchen durften keine Blumen mehr im Haar tragen, die Männer an gewissen Tagen nicht mehr fischen. Das Alles war unbequem, und das Einzige, was ihnen dafür versprochen wurde, eine nicht einmal recht begriffene Belohnung nach dem Tode.

Dann kamen die „Feranis" oder Wi-wis, wie sie die lebendigen Fremden nach ihrem oft und rasch herausgestoßenen „oui-oui" bald scherzhaft nannten. Die brachten ihnen auch eine andere Religion, und noch dazu eine viel bequemere. Da aber selbst die „Weißen" nicht einmal zu wissen schienen, wer von ihnen die richtige hätte, konnte man es ja einmal mit beiden versuchen.

Dazwischen legten aber auch manchmal andere Schiffe an, aus denen sie freilich gar nicht klug wurden. Diese aber gefielen ihnen trotzdem am besten, denn sie hatten viel Tabak und viel Branntwein bei sich, außerdem auch noch bunte Stoffe, Schmuck und tausenderlei andere Dinge, und mischten sich besonders nie in ihren Glauben, ja, fragten nicht einmal danach. Aber es war ein wildes Volk, und die Frauen mußten sie vor ihnen hüten, so ungern sich diese auch vor ihnen hüten ließen.

Den Indianern konnte übrigens nicht entgehen, daß jenes bunte, wehende Tuch, die Flagge, welches ankommende Schiffe /5/ aufzogen und ausflattern ließen, auch irgend etwas zu bedeuten habe, und bald hatten sie heraus, daß es die verschiedenen Völkerstämme bezeichne, die sie besuchten. Es dauerte nicht lange, so kannten sie schon verschiedene Nationen, besonders Amerikaner, Engländer und Franzosen, an ihrer Flagge, und freuten sich wie die Kinder, wenn sie dann von den Landenden bestätigen hörten, daß sie Recht gehabt.

Aber nicht an allen diesen Inseln legten die fremden Schiffe an. Wo die Korallenriffe zu weit in See hinausragten oder wohl im Fahrwasser gefährliche Untiefen bildeten, da hüteten sich die Seefahrer wohl, einzulaufen, und mieden solche böse Nachbarschaft. Andere wieder lagen aus dem Cours der Schiffe oder in der Nachbarschaft von größeren Eilanden, an denen besonders Walfischfänger immer lieber anliefen, weil sie dort leichter erhalten konnten, was sie brauchten.

Eine Eigenthümlichkeit haben diese Inseln außerdem noch vermöge ihrer Korallenbildung. Die sogenannten „Riffe" liegen nämlich - etwa eine oder anderthalb englische Meilen, oft aber auch nicht so weit vom festen Land entfernt - wie eine Ringmauer um alle jene Eilande, und wenn auch die Koralle nur bis an die Oberfläche der See, nie darüber wächst, so sieht doch an diesen unterseeischen Bänken eine ununterbrochene mächtige Brandung, die unpassirbar ist selbst für das leichteste Canoe. Nur wo natürliche Einfahrten sind, können Boote, oft auch Schiffe einpassiren, und liegen dann innerhalb der Riffe in stillem Wasser wie auf einem Teich.

Größere Inseln bilden solcher Art oft wunderbar sichere Häfen mit festem Ankergrund, und es scheint, daß sich dort besonders weite Einläufe, sogenannte inlets, bilden, wo eine Frischwasser-Quelle aus den Bergen kommt, denn das kann die Koralle nicht vertragen. Bei kleineren Inseln sind diese natürlichen Einfahrten, wie sich von selbst versteht, verhältnißmäßig schmal, und laufen fremde Schiffe dieselben an, so müssen sie vor den Riffen auf und ab kreuzen und ihre Boote an‘s Land schicken, oder auch warten, bis Canoes zu ihnen herauskommen. Nicht einmal ankern können sie aber vor bis unmittelbar an die Korallenbank hinan, so dicht, daß man die Lothleine hinüberwerfen könnte, finden /6/ sich nicht selten noch Hunderte von Faden Wasser. Die Koralle steigt wie eine riesenhohe Mauer vom Boden des Meeres steil und senkrecht empor.

Mit dem Terrain bekannt, können wir uns nun auch einmal eine dieser wunderbar schönen Inseln betrachten, und vor uns aus dem Meer steigt Raiateo mit ihren waldigen Kuppen und kühn gerissenen Hängen und Schluchten, von einem breiten, palmenbedeckten Landgürtel umschlossen, um den sich wiederum weit draußen wie ein schneeweißes Band auf tiefblauem Grunde der weiße, schäumende, tobende, lebendige Brandungsstreifen der Riffe zieht.

Es war an der Westseite der Insel, daß ein Fahrzeug - eine ziemlich große Brig - langsam gegen den Wind auflavirt kam und dadurch jedenfalls die Absicht zeigte, mit dem Land in Verkehr zu treten. Hielt sie sich nämlich in Lee von dem Eiland und den Riffen, so brauchte sie nicht zu fürchten, von der stark nach Westen setzenden Strömung auf die Korallen getrieben zu werden, und hätte sich plötzlich einmal der Wind mit Heftigkeit erhoben, so brauchte der schlanke Bug nur davor abzufallen, um überall hin freies und offenes Fahrwasser zu haben.

Am Lande war das fremde Segel auch schon seit Tagesanbruch mit großem Interesse beobachtet und allerlei Vermuthung laut geworden, welcher Nation es angehören könne. Die Meisten entschieden sich für Amerikaner, und in Form und Takelage hatte die Brig auch wirklich Aehnlichkeit mit diesen; als sie aber näher kam, trug sie die amerikanische Flagge nicht, denn die Sterne und Streifen kannten sie gut genug. - Und welche Flagge war das überhaupt? Deutlich erkennen ließ sie sich noch lange nicht, aber diese bunte Färbung hatten sie noch nie gesehen, und nach und nach sammelte sich die ganze benachbarte Bevölkerung an der kleinen Landzunge, dicht unter welcher die einzige Einfahrt in die Riffe für eine gute Strecke nach Norden und Süden lag.

Und näher und näher kam das fremde Schiff, jetzt über den Starbordbug nach Süden, jetzt über den Backbordbug nach Norden aufkreuzend, immer gegen Wind und Strömung an, und daß es kein besonderer Segler war, hatten die /7/ Eingeborenen bald weg. Auch die Segel selber wurden bei den verschiedenen Manövern schlecht und schläfrig bedient, und die Ungeduld der Indianer machte sich dabei in Spottreden über die ungeschickte Mannschaft Luft.

So war es fast zwei Uhr Mittags geworden, bis der Fremde endlich die Einfahrt erreichte, wo hinaus indessen eine Canoe gefahren war, das ihm mit einer kleinen Flagge die Stelle anzeigte, wo Boote einlaufen konnten. Indessen war ebenfalls ein Bote nach einem mehr im Innern wohnenden Weißen abgesandt, um ihm die Anfahrt eines fremden Schiffes zu melden. Der Bursche kam dann immer schon von selber, denn er diente den Fremden zum Dolmetscher und bekam von ihnen gewöhnlich eine Menge Dinge, die er brauchen konnte - und er konnte Alles brauchen - zum Lohn. Besonders aber lockte ihn der Branntwein, und wenngleich ein Gesetz auf der Insel bestand, nach dem keine einzige Flasche des berauschenden Getränkes eingeführt werden durfte, wußte er doch immer bei einer solchen Gelegenheit so viel an's Ufer zu schmuggeln, daß er sich damit eine volle Woche in halber Bewußtlosigkeit erhalten konnte.

Der Gesell sprach drei oder vier verschiedene Sprachen, stammte, seiner Aussage nach, aus Italien, war von einem französischen Walfischfänger desertirt und jetzt hier Hausbesitzer und Familienvater auf Raiateo geworden, ohne sich in seiner Lebensweise auch nur im Geringsten geändert zu haben. Er trieb es noch immer wie ein Matrose auf einem Walfischfänger, und die Insulaner wären ihn schon lange gern los geworden, wenn sie nur eben gewußt hätten wie, denn er ging nicht fort. Der einzige Nutzen, den er ihnen auch brachte, war allein in dem Verkehr mit fremden Schiffen; nach einem solchen Besuche mußte aber auch seine Frau mit ihren Kindern jedesmal für wenigstens eine Woche zu ihren Eltern flüchten, weil er sie im Trunk mißhandelte und selbst die Kinder blutig schlug.

Sowie übrigens das fremde Fahrzeug in den Bereich ihrer Canoes gekommen war, sprangen zehn oder zwölf der halbnackten braunen Gestalten nach dem Strand hinunter; aus Cocospalmblättern rasch geflochtene und mit Früchten ge-/8/füllte Körbe standen schon, der Fremden wartend, an der Landung, und wenige Minuten später glitten die schlanken, leichten Fahrzeuge über das Binnenwasser und hinaus durch die schmale Einfahrt der Riffe, während rechts und links von ihnen die schäumenden Brandungswellen so nahe ihre blitzenden, funkelnden Kronen überstürzten, daß sie den Wasserstaub bis in die Boote warfen.

Und was für eine wunderliche Flagge das war, die dort oben am Maste wehte. Eine derartige hatten sie an ihrer Insel noch nie gesehen. Es war ein Schild, auf der linken Seite von einem Palmenzweige, auf der andern von einem ähnlichen grünen Laube, mit rothen Beeren daran, umgeben oder gehalten. Die obere Hälfte war dabei in zwei Theile getheilt, und rechts stand ein Baum, links aber ein wunderliches Thier mit langem Halse, das sie aber nicht kannten, denn eine Kuh war es nicht, ein Schwein auch nicht - vielleicht ein Hund? - Aber was mußte das für ein Hund gewesen sein, dessen Kopf bis oben an den Wipfel des Baumes hinaufreichte! Die untere Hälfte nahm dann ein anderer Gegenstand ein, von dem sie aber ebenfalls keinen Begriff, für den sie keinen Vergleich hatten. Er war sonderbar gebogen, fast wie ein Fisch mit weitem Rachen, und da heraus fiel eine Menge gelbes Geld, während oben über dem Ganzen noch ein anderer Kranz stand.

Aber was kümmerte das die Eingeborenen, die jetzt nur daran dachten, ihre Früchte zu verwerthen. Früchte brauchten alle Nationen, mochten sie von Osten oder Westen den Ocean durchsegelt haben, und etwas brachten sie auch dafür mit, was schon zu einem Lebensgenuß der Südseeländer geworden war: Tabak. - Also vorwärts, denn wer die ersten Früchte den danach verlangenden Seefahrern brachte, hatte auch den besten Handel zu gewärtigen. So war denn eine ordentliche Wett-/9/fahrt daraus geworden, bei der ein Canoe dem andern vorzukommen suchte, und die Mannschaft des fremden Fahrzeuges, das noch keine Miene machte Boote auszusetzen, lehnte sich über die Schanzkleidung und jubelte dem Sieger entgegen.

Dort an Bord entstand auch jetzt ein lebhafter Verkehr, denn nachdem der Capitain, oder vielmehr der Steward, für den Bedarf der Kajüte genügend eingekauft, wurde den Matrosen ebenfalls freigestellt, für das, was sie an Tauschartikeln besaßen, die lang ersehnten Früchte einzuhandeln, und was für wunderliche Dinge kamen da zum Vorschein: alte Hemden und Hosen, Hosenträger, Kämme, Taschenmesser, Feuerstähle, Schuhe, Stücke rothes und blaues Band, Taschentücher, Rasirspiegel, kurz Alles, was die Burschen nur irgend entbehren konnten, brachten sie zum Vorschein - nur das nicht, was die Insulaner verlangten: Tabak; denn das Wenige, was sie wirklich davon besaßen, brauchten sie selber viel zu nothwendig, um sich davon trennen zu können. Für den Plunder jedoch, den sie an dessen Statt aus allen Ecken hervorgesucht, fanden sie nur theilweise einen Abnehmer, denn die Insulaner von Raiateo waren schon zu häufig mit Europäern in Berührung gekommen, um nicht die Werthlosigkeit von derlei Dingen zu kennen. Hemden trugen sie allerdings und kauften sie gern, aber sie durften keine Löcher haben, mochten sie sonst bestehen aus was sie wollten - das Uebrige schoben sie alles zurück. Nur ein paar kleine Spiegel fanden einen Abnehmer, und der Besitzer eines alten Seidenhutes, in den sich ein Eingeborener verliebt hatte, machte ein gutes Geschäft.

Der Steuermann hatte sich indessen bei den Leuten erkundigt, ob Niemand auf der Insel sei, der der Fremden Sprache redete - die Unterhaltung mußte natürlich durch Zeichen geführt werden -, aber die Insulaner verstanden, was er meinte, deuteten auf die Brandung und machten dem Fragenden pantomimisch begreiflich, daß von dort gleich Jemand würde herausgerudert kommen, der mit ihnen reden könne. Damit beruhigte sich der Mann und nahm nur jetzt das Teleskop von der Kajütentreppe herauf, um die Einfahrt in /10/ die Riffe beobachten zu können. Um den Fruchthandel kümmerte er sich nicht.

Eine wunderliche Bemannung trug das Schiff, und selbst den Eingeborenen von Raiateo, die doch sonst wahrlich nichts von der Seefahrt verstehen, fiel das auf. Das waren weder englische, noch französische, noch amerikanische Matrosen, so viel sahen sie auf den ersten Blick, und sie Alle erinnerten sich nicht, je ein schmutzigeres, ruppigeres und vernachlässigteres Gesindel auf dem Deck eines Fahrzeuges gesehen zu haben, wie dieses hier. Das ganze Deck war schmutzig und unordentlich; die Segel bestanden eigentlich nur aus geflickten Fetzen, und in der Cambüse oder Küche sah es aus, daß jedem Andern als einem Südamerikaner der Appetit vergangen wäre - und gerade das machte auf die reinlichen Bewohner dieser Inseln einen fatalen Eindruck. - Aber was hatten sie mit dem Schiff zu thun? - Sie vertauschten ihre Früchte und kehrten dann an Land zurück. Die an Bord mochten leben, wie sie's eben freute.

Jetzt kam der Dolmetscher, „Felipe", wie er am Lande genannt wurde, und als er das Deck betrat, lachten die Insulaner unter einander und flüsterten sich zu, daß er eigentlich genau so aussähe, als ob er zu der Mannschaft hier gehöre. Er war fast eben so braun und wo möglich noch schmutziger, trug dieselben langen, schwarzen, etwas gelockten Haare, mit einem kurzen Schnurrbart auf der Oberlippe, und was seine Kleidung betraf, so gingen die Matrosen an Deck auch eben nicht zerlumpter, wie er selber.

Zur Entschuldigung mochte freilich dienen, daß er heute Morgen seine Toilette noch nicht gemacht, denn wie er nur die Botschaft bekam, daß ein fremdes Schiff draußen vor den Riffen liege, war er in wilder Hast zu seinem Canoe hinabgestürzt und um die Insel herumgerudert, so rasch er nur die Arme regen konnte. Und wer wollte es ihm verdenken? Seit neun Wochen hatte er keinen Tropfen Branntwein gesehen und seit über vierzehn Tagen sein letztes Korn Tabak zerkaut, so daß er jetzt einen ordentlichen Heißhunger nach beiden Genüssen fühlte - und beide sollten hier befriedigt werden.

Der Steuermann hatte ihn schon, ehe er nur langseit lief, /11/ mit seinem Fernrohr als eins jener Individuen erkannt, die zerstreut auf den meisten dieser Inseln leben, und eigentlich zu der traurigsten Menschenklasse der Welt gehören. Sie alle sind, wie sich das von selbst versteht, weggelaufene Matrosen, die das bischen Civilisation, was sie besaßen, ohne viel Schwierigkeit abschüttelten - es fiel ihnen eigentlich von selber ab - und nur ihre Untugenden, ihr Fluchen, Trinken und liederliches Leben beibehielten. Solche Burschen dienten dann den Insulanern als Probeexemplare des christlichen Glaubens, und es läßt sich denken, daß sie keinen übermäßig hohen Begriff von europäischer Gesittung bekommen konnten.

Den anlaufenden Schiffen bleiben sie aber immerhin nützlich nur allein ihrer Sprachkenntnisse wegen. Was kümmert diese ihre sonstige Moralität, und wenn sie es dabei mit einem von Australien entsprungenen Sträflinge zu thun hätten! Was diese dann später als Lohn an Tabak und Branntwein für ihre „Bemühungen" verlangen, wird ihnen stets bewilligt und gegeben.

An Bord der „Libertad", wie die peruanische Brig hieß, hatten sie diesmal aber auch noch besondern Grund, das Nahen eines Dolmetschers gern zu sehen, und wenn dieses ein mehr als gewöhnlich verkommenes und verwildertes Individuum schien, so machte es gerade keinen Unterschied, ja, war ihnen vielleicht sogar erwünscht. Es ist die Frage, ob sie einen englischen oder französischen Matrosen beredet hätten, ihren Zwecken dienstbar zu sein und sie zu unterstützen.

Der Bursche, Felipe, kannte die Flagge, und wenn er auch der spanischen Sprache nicht besonders mächtig war, verstand er doch genug davon, um sich mit seinem sehr ähnlichen Italienisch wenigstens deutlich machen zu können. Er kletterte denn auch mit einem sehr zufriedenen „Come esta, Señor," an Bord hinauf.

Der Steuermann, der ihn hier empfing, ließ sich aber nicht lange mit höflichen Redensarten ein, und wie er nur das Deck betrat, fragte er: „Was für ein Landsmann?"

„Italiener, Señor."

„Sprichst Du Castilianisch?"

„Ein wenig." /12/

„Hm - es sind Landsleute von Dir an Bord;" und einen der nächststehenden Matrosen nach vorn schickend, beorderte er einen bezeichneten Matrosen nach dem Quarterdeck, um dort im Nothfall als Aushülfe dienen zu können.

„Brauchen Sie Holz?" fragte jetzt der Landvagabond, indem er selber an der Seite des Steuermanns nach hinten zu schritt, und das Wasser lief ihm im Munde zusammen, wenn er an den Tabak dachte, den er bald zu bekommen hoffte. „Ich habe ein paar Klafter fertig geschlagen und kann es in ein paar Stunden an Bord schicken."

„Nein, wir haben genug," lautete die kurze Antwort.

„Also Früchte dann? Sie kommen gerade zur rechten Zeit; die Brodfrucht ist eben wieder reif geworden, und ich will den Burschen dort sagen, daß sie gleich noch ein paar Canoe-Ladungen herüberschaffen."

„Das hat Zeit," wies aber auch dies der Steuermann zurück. „Vor allen Dingen will Dich erst einmal der Capitain sprechen und um Einiges fragen, nachher machen wir den Fruchthandel in ein paar Minuten ab."

„Und was ist es, wenn man fragen darf?" sagte der Bursche und sah den Steuermann von der Seite an. Möglich vielleicht, daß er nicht einmal ein reines Gewissen hatte, denn das Geheimnißvolle gefiel ihm eben nicht. Der Seemann aber ließ sich auf keine weiteren Antworten ein, denn sie hatten das Quarterdeck erreicht, zu dem er jetzt hinaufstieg und dem Italiener dabei winkte, ihm zu folgen. Dieser warf einen etwas unruhigen Blick umher; was zum Henker hatte e r denn mit dem Capitain zu thun, und was konnte der von ihm wollen? - Und noch nicht einmal ein Stück Tabak hatte er bekommen! - Aber was konnten sie ihm auch thun - was wußten überhaupt die Peruaner von ihm - was kümmerten sie sich um ihn oder irgend einen der weggelaufenen Matrosen auf diesen Inseln?

Außerdem kreuzten da draußen um das Schiff herum fünf oder sechs Canoes der Eingeborenen, während keins der Schiffsboote auf dem Wasser lag, und wenn er auch wußte, wie wenig Zeit es einem Walfischfänger nimmt, seine Boote niederzuwerfen, so kannte er dagegen auch die Schwerfälligkeit /13/ der Kauffahrer bei diesem Manöver. Hatten sie deshalb wirklich etwas gegen ihn im Sinn, so war er mit einem Satz über Bord und dann bald in Sicherheit - und mit dem Bewußtsein folgte er etwas zuversichtlicher dem schon vorangegangenen Seemann.

2.

Der Kulihandel.

Auf dem Quarterdeck angekommen, fühlte Felipe sich indessen bald beruhigt, daß seine eigene Sicherheit hier nicht gefährdet war. Er traf lauter unbekannte Gesichter, was ihm doppelt angenehm war, denn alte Erinnerungen schienen ihm fatal.

Auf dem etwas erhöhten Deck stand nur noch der Capitain der Brig und ein anderer Peruaner, der Supercargo, wie sich später herausstellte, und beide hielten, als er nach oben kam, Teleskope in der Hand, mit denen sie das Ufer bis dahin beobachtet hatten.

„Capitain, das ist der Mann hier," meldete jetzt der Steuermann seinem Vorgesetzten, „ein Italiener, der etwas Spanisch spricht. Wenn Sie nicht mit ihm auskommen sollten, habe ich aber den Pablo von vorn rufen lassen. Er steht unten und kann zur Noth aushelfen."

„Gut, Steuermann. Haben Sie ihn schon um unsere Angelegenheit befragt?"

,Nein," sagte der Seemann, und wie er sich abdrehte und zur Seite trat, brummte er leise vor sich hin: „Geht mich auch nichts an und kannst Du und Dein Companero mit ihm abmachen.

Der Steuermann war unstreitig der am anständigsten Aussehende der ganzen Gruppe, ein Spanier vom alten Lande /14/ und ein tüchtiger Seemann, der sich seine Lebenszeit auf dem unruhigen Element herumgeschlagen. Es war eine hohe, kräftige Gestalt, mit vollem, schwarzem Bart und nicht unschönen, ja selbst edlen Gesichtszügen, die die sonnengebräunte Farbe gar nicht übel kleidete. Sein Anzug, ein rothwollenes Hemd und blaue Leinwandhosen, mit einem leichten Strohhut auf den dunkeln Locken, war ebenfalls sauber gehalten und stach dadurch nur so viel merklicher gegen die unsaubere Schaar seiner Untergebenen ab. Ihm sah man den Seemann auf den ersten Blick an, seinem Capitain nicht, der, mit einer großen, goldenen Tuchnadel und einem eben solchen Siegelring, weit eher in einen Kaufmannsladen gepaßt hätte und sich überhaupt wenig von seinem Supercargo unterschied.

Beide waren unstreitig ein paar peruanische Cholos , mit einem viel dunkler gefärbten Teint, als man sich von der Sonne gefallen läßt, und beide trugen jenen harten, schlauen Zug im Antlitz, der sich bei keinem Volke so scharf ausgeprägt findet, wie bei den Peruanern und den Yankees. Dennoch war der „Capitain" hierbei noch im Vortheil, denn seine freieren, lebendigeren Bewegungen gaben ihm etwas Offenes in seinem Wesen, während der Supercargo, weit mehr still und zurückhaltend, dadurch den Fremden noch mehr abstieß, daß er eine unangenehme Gewohnheit hatte, seine überdies schon dünne Unterlippe zwischen den Zähnen zu halten und zu kauen.

Hübsch waren sie übrigens alle beide nicht und hätten recht gut für Brüder gelten können.

Diesen sah sich jetzt unser Italiener gegenüber, und als nach des Steuermanns Anrede beide die Teleskope von den Augen nahmen und zusammenschoben, blieb des Supercargo Blick fest und forschend auf den Burschen geheftet, während der Capitain das Gespräch anscheinend gleichgültig einleitete.

„Lebt Ihr hier auf der Insel, Señor?"

„Si, Señor," nickte der Gesell mit einer halben Verbeugung, /15/ indem sein Blick rasch und suchend vom einen zu dem andern der beiden flog. „Ich habe mich hier vor der Hand niedergelassen."

„Vor der Hand nur?"

„Lieber Gott, Unsereiner bindet sich nicht leicht an einen Fleck! Höchstens so lange, bis man etwas Besseres findet."

„Wie lange wohnt Ihr schon hier?"

„Sieben Jahre."

„Ihr seid hier verheirathet?"

„Hm," brummte der Bursche doch etwas verlegen, des Geständnisses seiner Freizügigkeit wegen, „was man hier so verheirathet nennt, aber es hat eben nicht viel zu bedeuten; übrigens läßt sich's aushalten auf den Inseln, denn zu essen giebt's genug. Das Einzige nur, was fehlt, ist Tabak; ich weiß schon gar nicht mehr, wie Tabak aussieht, und einen Schluck Branntwein habe ich seit Monaten nicht gerochen."

Der Capitain war auf derartige Anliegen vorbereitet, denn sie wiederholten sich, wohin er kam. Auf der einen Bank am Skylight stand auch schon ein zu drei Vierteln mit Branntwein gefülltes Wasserglas, und ein großes Stück amerikanischen Kautabaks lag daneben. Mit einer einladenden Bewegung deutete er dorthin, und des Burschen Augen funkelten vor Freude, als er den dort für ihn aufgespeicherten Schatz entdeckte. Lange nöthigen ließ er sich übrigens nicht;mit einem Dios se lo pague! war er im Nu neben der Bank, und während er mit der Rechten das Glas faßte und an die Lippen hob, sicherte sich die Linke schon den Tabak und hob ihn in die Höhe, um zum Hineinbeißen gleich fertig zu sein, sowie nur der Branntwein beseitigt worden. Er stürzte auch die ganze Ouantität auf einen Zug hinunter, und der Supercargo wandte sich mit Ekel ab, denn welche Untugenden der Südamerikaner auch haben mag, unmäßig im Trinken ist er nur in Ausnahmsfällen.

Der Capitain war schon eher an etwas Derartiges gewöhnt. Um seine Lippen nur zuckte ein halb verächtliches Lächeln über die Gier des Menschen; aber er ließ ihn ruhig austrinken und dann noch ein Stück Kautabak abbeißen, was Felipe in einer ähnlichen Art that, wie eine halb verhungerte /16/ Hyäne ein plötzlich gefundenes Stück Beute anreißen würde. Erst dann, als er die Befriedigung über den Genuß auf dem Gesicht des Burschen las, fuhr er fort:

„Wie mir scheint, möchtet Ihr also wohl einmal wieder ein anderes Leben führen, Señor? Wie aber steht es mit jenen braunen Burschen auf der Insel? Sollte man die wohl einmal bereden können, ihr Glück für eine kurze Zeit in einem andern Lande zu versuchen?"

Felipe warf ihm einen raschen, forschenden Blick zu; da aber der Capitain bei dem Vorschlag keine Miene verzog, schüttelte er, indem er sich mit dem linken Hemdärmel den Mund wischte, langsam mit dem Kopf und sagte:

„Nein, Señor, mit denen ist nichts anzufangen. Vor sechs oder acht Jahren hatte einmal ein Walfischfänger einen von ihnen mitgenommen und drei Jahre an Bord behalten, und wie der arme Teufel, dem es wohl bei der schweren Arbeit und oben im Eismeer nicht besonders gefallen haben mag, wieder zurückkam, erzählte er so schreckliche Geschichten von dem, was er aus gestanden und wie er behandelt worden, daß er den Uebrigen Angst genug einjagte. Seit der Zeit hat Keiner wieder beredet werden können, die Insel zu verlassen; und verdenken kann ich's ihnen auch gerade nicht, denn der Unterschied zwischen dem Leben an Bord eines Walfischfängers, und dem hier unter Palmen und Brodfruchtbäumen ist doch auch ein wenig zu groß."

„Aber wenn man sie nun auf gar keinen Walfischfänger haben, sondern nur in ein anderes Land bringen wollte, wo ebenfalls Palmen sind, und wo sie noch außerdem viel Geld verdienen könnten, sollten sie darauf auch nicht eingehen?"

Der Italiener sah eine Weile schweigend und nachdenkend vor sich nieder.

„Nach Peru, meint Ihr, Señor?" sagte er endlich.

Der Capitain nickte mit dem Kopfe, aber Felipe schüttelte den seinigen, und das Stück Tabak betrachtend, das er noch immer in der Hand hielt, als ob er es nicht einmal seiner Tasche anvertrauen wollte, meinte er endlich:

„Nein, sie thun's nicht."

„Und wenn Ihr ihnen nun einmal in vernünftiger Weise /17/ den Vorschlag machtet und ihnen das Leben in Peru ein bischen lebendig ausmaltet? Es sollte Euer Schade nicht sein, Compañero, Ihr sollt für jeden gesunden Mann, den Ihr dazu bringt, fünf Dollars erhalten."

„Es thut's nicht," sagte aber der Bursche, „und wenn Ihr mir fünfzig versprächet. Gutwillig gehen sie nicht fort von hier, denn was weiß das Lumpengesindel von Geld, und was sie sonst brauchen, haben sie eben an Land, und verlangen nicht mehr."

„Schade," meinte der Supercargo, der indessen wieder herangetreten war und dem es nicht hatte entgehen können, daß das Anerbieten auf den Italiener seinen Eindruck trotzdem nicht verfehlte, „Ihr hättet Euch dabei mit leichter Mühe eine hübsche Summe Geld verdienen können. Aber wenn's nicht ist, müssen wir es eben aufgeben."

„Aber wenn nun -" wollte der Capitain einwenden, als er dem Blick seines Supercargo begegnete, und er brach mitten in seiner Rede ab. Der Italiener sah zu ihm auf, aber er hatte sich von ihm fortgedreht und ging mit auf den Rücken gelegten Händen auf dem Quarterdeck auf und ab.

„Wie ist es, Capitain," nahm da Felipe das Gespräch nach einer kurzen Pause wieder auf, „haben Sie nicht ein paar Handelsartikel mitgebracht, um Früchte dafür einzutauschen? Wir könnten hier Alles brauchen, besonders Tabak und Kattune. Es ist lange kein Schiff auf dieser Seite der Insel gewesen, und die Insulaner wären billig genug dazu."

„Thut mir leid“, nahm der Supercargo für den Capitain das Wort, „für uns selber haben wir schon mehr als genug, denn wir werden, wenn wir hier keine Arbeiter bekommen können, ein paar andere Inseln anfahren. Macht, daß Ihr wieder in Euer Canoe kommt, denn sowie die Brise ein bischen auffrischt, gehen wir unterwegs." Damit stieg er, ohne sich weiter umzusehen, in seine Kajüte hinunter.

„Wollt Ihr nicht einmal mit den Insulanern über meinen Vorschlag sprechen?" fragte der Capitain jetzt den Italiener, der noch immer an Deck stand und nachdenkend auf die Planken niederstarrte.

„Wenn ich denen ein Wort davon sage," meinte der /18/ Italiener aber kopfschüttelnd, „so sind sie den Augenblick in ihren Canoes unten, und keiner ist mehr heraus zu bringen. Nein, überreden lassen sich die Burschen dazu nicht, und wenn Ihr einen Haufen Gold vor sie hinlegtet. Ich kenne sie zu genau."

„Schade," sagte der Capitain, indem er sich ebenfalls abwandte, „Ihr hättet dabei eine günstige Gelegenheit gehabt, wieder nach einem civilisirten Land zu kommen, denn in Callao und Lima sind Massen von Euren Landsleuten, und eine bessere Gelegenheit, eine runde Summe Geld zu verdienen, findet Ihr auch im Leben nicht wieder; aber wenn es eben nicht geht, geht es nicht. Steuermann," wandte er sich dann an diesen, der immer noch an der Starbord-Reeling lehnte und dem Gespräch zugehört hatte, ohne aber ein Wort hinein zu reden oder eine Miene zu verziehen, „laßt den Tabak und Branntwein nur wieder wegstauen, wir brauchen jetzt nichts mehr davon," und mit den Worten folgte er dem vorangegangenen Supercargo. Um den Italiener bekümmerte sich Niemand mehr.

Felipe übrigens, ein so roher und wüster Bursche er auch sonst sein mochte, war doch schlau genug, zu fühlen, daß des Supercargo und Capitains Gleichgültigkeit bei dem abgebrochenen Handel keine natürliche sein konnte. Es steckte mehr dahinter. Auch der Befehl, Tabak und Branntwein wegzustauen, war mit Absicht in seiner Gegenwart gegeben, und hätte das Fahrzeug jetzt wirklich gleich wieder die Insel verlassen wollen, so hinderte es gar nichts daran. Die Brise war allerdings, besonders hier, vom Land gedeckt, nur sehr schwach, aber doch vollkommen genügend, um die Segel zu füllen und mit der günstigen Strömung die Brig bald wieder in offene See hinaus zu bringen. Weshalb wurde also der Befehl noch nicht gegeben? Weil die beiden jedenfalls noch etwas im Hinterhalt hatten - aber was war das?

Felipe ging nachdenkend aus das Mitteldeck hinunter, wo sein Canoe an einer der Pardunen befestigt hing. Indessen waren noch mehr Indianer mit beladenen Canoes angekommen und riefen jetzt hinauf, ob sie an Bord kommen sollten und ob der fremde Capitain handeln wollte. Felipe's Schwieger-/19/vater und Schwager waren ebenfalls dabei. Er antwortete hinunter, sie sollten noch warten, er wüßte es noch nicht, und er setzte sich dann auf die dort befestigten Nothspieren unter das große Boot. Der Capitain würde, wie er sich dachte, schon wieder zu ihm schicken. Aber Niemand kam, und der Bursche stand endlich wieder auf und ging ungeduldig an Deck auf und ab.

Keinen Branntwein weiter? - er hatte eben den Geschmack davon bekommen - keinen Tabak mehr, und Monate dauerte es vielleicht, bis wieder einmal ein anderes Schiff hier anlegte! Und was für ein Hundeleben führte er überhaupt hier auf der langweiligen Insel, zwischen lauter Brodfruchtbäumen und unter den ewigen Palmen? Satt hatte er's schon lange, und seine Familie? Bah! was ihm im Anfang Vergnügen gemacht hatte, war ihm schon lange zum Ueberdruß geworden! Außerdem saß ihm die indianische Obrigkeit, von den Missionären gehetzt und unterstützt, unablässig auf dem Kragen wegen Mißhandlung seiner Frau, und was ging die Missionäre seine Frau an! Bekümmerte er sich darum, wenn sie die ihrigen prügelten? Gewiß nicht!

Das Glas Branntwein, das er in den nicht mehr daran gewöhnten Körper so rasch hinuntergestürzt, that dabei seine Wirkung. Der Kopf wirbelte ihm ordentlich von den darin sich kreuzenden Gedanken; er mußte mehr trinken, so konnte er das Schiff nicht wieder verlassen, und entschlossen wandte er sich jetzt nochmals dem Quarterdeck zu.

Weder der Capitain noch der Supercargo hatten sich dort wieder blicken lassen, und als er den Steuermann nach ihnen fragte, lautete die Antwort nur: „Unten". Weiter bekümmerte sich der Seemann nicht um ihn.

Felipe stieg nochmals auf das Quarterdeck hinauf und stand dort lange unschlüssig. Sein Blick streifte bald nach der Insel hinüber, die Alles für ihn barg, was eigentlich den Inbegriff von Glück für einen Menschen hätte bilden sollen, bald nach den Segeln hinauf, die nur eben genug ausblähten, um das Schiff in der unmittelbaren Nähe der Einfahrt zu halten. Da klirrten Gläser unten in der Kajüte.

Er sah durch das Skylight hinab, wie der Steward eine /20/ Flasche auf den Tisch setzte, und mit einem zwischen den Zahnen zerbissenen Fluch sprang er die Kajütentreppe hinab, um den Capitain dort unten aufzusuchen.

Es dauerte lange, bis er wieder nach oben kam, und die Insulaner hätten indessen schon Ursache gehabt, ungeduldig zu werden, wenn jene wunderlichen Menschen das Gefühl nur kennten. Ungeduld seht immer einen Begriff von Zeit und deren Werth voraus, und den haben sie entschieden nicht. Ist der heutige Tag verschwunden, so kommt morgen ein anderer; zu versäumen ist natürlich nichts dabei, und weshalb sollten sie also böse werden, daß sie einmal ein paar Stunden an Bord eines Schiffes oder dicht daneben in ihren Canoes schaukelnd verträumen konnten - war es doch eine Abwechslung gegen das einförmige Leben an Land, das sie morgen und übermorgen, ja, das ganze Jahr zur Genüge haben konnten! Mit dem größten Vergnügen hätten sie Tage lang so ausgehalten.

Endlich kam Felipe zurück, machte, ohne sich weiter an Deck umzusehen, sein Canoe los und stieg hinein.

„Nun, Felipe, wie ist es?" fragten ihn die paar Insulaner, die an Deck geklettert waren. „Kaufen die weißen Männer unsere Früchte?"

„Ja," sagte der Bursche, „aber heute nicht. Sie müssen erst die Waaren hervorsuchen, die sie dafür geben wollen. Morgen früh ist ein großer Markt, und Ihr sollt Tapa, Cocosschalen, Matten und Früchte mitbringen, was Ihr habt, und dafür oben Euch aussuchen, was Ihr mitnehmen wollt."

„Und wohin gehst Du?"

„Nach Hause, so schnell ich kann, um von dort Alles herbeizuholen, was ich an die Fremden verkaufen kann. Das ist ein reiches Schiff, wie wir noch keins an unserer Küste gehabt."

Und damit saß er in seinem Canoe und ruderte durch die Einfahrt der Küste zu, um dort erst einmal den Leuten von dem morgen an Bord des fremden Schiffes zu haltenden Markt zu erzählen, und dann so rasch er konnte nach seinem eigenen Haus zurückzukehren.

Blitzesschnell lief indeß die Kunde, daß das Schiff Matten /21/ und Tapa kaufe, von Haus zu Haus, und besonders geschäftig waren jetzt die Frauen, an solchen Sachen vorzusuchen, was sie eben hatten; wußten sie doch, daß sie dafür bunte, prächtige Stoffe und blitzende Glasperlen eintauschen konnten.

Nur die Männer nahmen es kaltblütig. Ihre Früchte, die sie zum Handel hinüberbrachten, pflückten sie morgen früh; was sie sonst noch hatten an jungen Schweinen und Hühnern, war ebenfalls in kurzer Zeit in ihre Canoes gepackt, was sollten sie sich da heute noch bemühen, und vor Sonnenuntergang schaukelten ihre Canoes wieder im Binnenwasser der Riffe, um die gewöhnlichen Fische für ihr Abendbrod zu fangen, hingen die Knaben wieder in ihren Bastschaukeln an den Wipfeln der Palmen, hetzten sich die Mädchen wieder auf dem Korallensand umher, und tanzte das junge Volk wieder glücklich und sorglos bei dem Schalle einer alten, einmal von einem französischen Schiff eingetauschten Soldatentrommel, und lauschte dann später beim vollen Mondlicht dem donnernden Toben der Brandung, die unermüdlich ihren nutzlosen Kampf gegen die Riffe kämpfte und, tausendmal zurückgeschlagen, tausendmal den Angriff erneute.

Und der Morgen kam, aber mit ihm dieses Mal ein ganz eigenes und ungewohnt geschäftiges Leben in die muntere Schaar. Ueberall waren junge Leute beschäftigt, ihre Canoes flott zu machen, und was sie am Ufer schon mit Tagesanbruch aufgespeichert, hinein zu tragen. Lachend und singend verrichtete aber Jeder seine Arbeit und mit Kichern und Jubeln stiegen heute auch hier und da einzelne in buntfarbige und sauber gewaschene Kattunkleider gehüllte Mädchen oder Frauen in die Canoes, um ihre geflochtenen Matten oder gefertigten Tapastücke selber für Sachen einzutauschen, die sie gebrauchen konnten, denn aus Erfahrung wußten sie, daß die Männer kaum etwas Anderes von den Schiffen zurückbrachten, wie Tabak oder vielleicht einmal ein Messer oder Beil.

Felipe mußte ebenfalls früh von Hause aufgebrochen sein, denn noch ehe das letzte Canoe zur Abfahrt gerüstet war, kam er schon in dem seinigen herangeschwommen, in dem er heute ausnahmsweise einen Burschen aus der Nachbarschaft mitgenommen hatte, um unten darin zu bleiben, während er an /22/ Bord ging und den Handel für die Insulaner überwachte. Wo so viele Canoes dem Schiffe angehängt wurden, meinte er, könnte leicht eins gegen das andere gestoßen und beschädigt werden, und das wollte er doch zu verhüten suchen.

Und jetzt ruderten sie hinaus - ein ganzer Schwarm fröhlicher, glücklicher Menschen, und was sie noch mit den Zurückbleibenden zu schwatzen und zu lachen hatten! Da wurden Aufträge gegeben und übernommen, dort streichelte eine Mutter noch einmal das am Ufer zurückbleibende Kind und gab ihm gute Lehren - den schwingenden Schaukeln nicht zu nahe zu kommen oder zu weit nach den Riffen hinaus zu schwimmen. Da rief ein junger Bursch dem, einen grünen Busch nach ihm schwenkenden Schatz ein herzliches ,,Joranna" zurück, und dann griffen die Ruder ein zur lustigen Wettfahrt, wer zuerst mit dem Bug des seinen das fremde Schiff berühre.

Langsamer, aber dicht hinter ihnen folgte Felipe. - Er hatte von Niemandem am Ufer Abschied genommen, mit Niemandem ein Wort gesprochen. Still und düster lehnte er in seinem Canoe, und als die kleine Flotte mit schäumendem Bug über das Binnenwasser glitt, ruderte er wie zögernd hinter ihnen drein und schickte, an Bord endlich angelangt, seine Canoe mit dem Knaben an Land zurück. Es waren so viele beladene Boote herüber gekommen, daß er nachher recht gut mit einem der geleerten wieder zurückkehren konnte.'

An Bord sah es indessen heute lebendiger aus als gestern, denn „midships" oder inmitten des Schiffes, zwischen den beiden Masten und um das große Boot her waren eine Menge von Waaren ausgebreitet, die von den Kajütsdienern und Steuerleuten überwacht wurden und gegen die mitgebrachten Artikel der Eingeborenen eingetauscht werden sollten.

Die Brig, die über Nacht ein Stück von der Insel zurückgetrieben war, um aus der etwas zu gefährlichen Nähe der Riffe zu kommen, hatte jetzt wieder aufgekreuzt, lag aber noch immer, wie gestern den ganzen Tag, vor kleinen Segeln, bald über diesen, bald über jenen Bug. Aber die Indianer achteten darauf schon gar nicht mehr, denn jetzt nahmen die /23/ kostbaren Waaren, die vor ihren Blicken aufgespeichert standen, ihre Aufmerksamkeit so vollständig in Anspruch, daß sie für weiter nichts Augen hatten und nur fortwährend darum herum gingen und sich bald für dies, bald für jenes entschieden, was sie für ihre mitgebrachten Producte verlangen wollten. Wie bei Kindern, zog das Bunteste ihre Blicke auch immer zumeist an.

Felipe war indessen, sowie er das Schiff betrat, in die Kajüte gerufen worden und hatte dort eine lange Unterredung mit dem Capitain und seinem Cargadeur. Als er wieder an Deck kam, kreuzte die Brig eben auf's Neue gegen die Einfahrt zu, bis die Brandung fast unter ihrem Bug schäumte.

Ein paar Insulaner warfen im Spiel einzelne von den mitgebrachten Orangen bis in die kochenden Schaumwellen hinüber.

Jetzt neigte sich der Bug des Fahrzeuges langsam von den gefahrdrohenden Korallenfelsen ab; die Brig ging über Stag und lag nach Süden hinüber.

Und an Bord wurde indessen der Handel lustig betrieben, und der Untersteuermann, ein rauh genug aussehender Geselle von Panama, unterstützte dabei vorzüglich den Cargadeur, um den Werth für die gebotenen Matten, für Calabassen mit Cocosnußöl, für Stücke Tapa, für geflochtene Bastseile und andere einfache Arbeiten dieser einfachen Menschen zu bestimmen. Und wie genügsam zeigten sie sich dabei und gaben gern um einen bunten, werthlosen Glasperlentand, um ein paar Ellen schlechten und nur bunt gefärbten Kattuns Sachen her, an denen sie Tage und Wochen gearbeitet, während die Händler, in immer wachsender Gier, nie genug für ihren Plunder bekommen konnten, den sie hier zum Verkauf ausgelegt. Und doch wußten sie, daß sie in Callao von fremden, heimkehrenden Schiffen das Zehn- und Zwanzigfache der ausgelegten Kosten mit Leichtigkeit erhalten konnten.

Jetzt auch wurde um die Früchte gehandelt und Tabak unter die Eingeborenen vertheilt, dessen Genuß sie alle schon kannten. Sie säumten auch nicht, sich ihm so rasch als möglich hinzugeben, und ein paar von ihnen schnitten sich ohne Weiteres ein Stück ab und in kleine Stücke, wickelten es in /24/ schon zu dem Zweck mitgebrachte und eigens zubereitete Bananenblätter und liefen dann nach der Cambüse oder Küche, um sich dort Feuer geben zu lassen.

Und jetzt brannte die Cigarre, und stolz und selbstzufrieden blies der Insulaner den blauen Rauch in die Luft und warf dann unwillkürlich einen Blick nach seiner Insel hinüber. Er dachte schon im Stillen daran, mit welchem Behagen er sich dort heute Abend vor seiner Hütte ausstrecken und den aufwirbelnden Dampf in die ihn überhängenden Zweige hineinblasen werde. - Aber wo war die Insel? Unwillkürlich stieß er einen Ausruf des Erstaunens aus, und wenige Augenblicke später standen sämmtliche Indianer wie ein geschrecktes Rudel Wild, mit gehobenen Hälsen und scheuen Blicken aufgerichtet an der Reeling und schauten nach dem Land zurück, das sie mit einer frisch eingesetzten Brise schon weit, weit zurückgelassen.

„Felipe! Felipe!" tönte ihr Ruf aber bald nach dem Dolmetscher, denn die rasch hinter einander folgenden Fragen, die sie an die Mannschaft richteten, blieben natürlich unbeantwortet. „Felipe, wohin fährt der Capitain? Er geht weit ab, wir können mit unseren Canoes nicht mehr zurück!"

Felipe schritt zwischen ihnen durch, aber er war ruhig und unbefangen.

„Ich habe den Capitain eben gefragt," sagte er; „da die Brise frischer wurde, fürchtete er so dicht unter der Insel liegen zu bleiben. Er dreht sich jetzt gleich wieder um. Bis Euer Handel beendigt ist, hält er wieder vor der Einfahrt."

Die Männer beruhigten sich damit, denn sie waren schon manchmal auf einem oder dem andern Schiffe vor ihrer Insel auf und ab gekreuzt; aber die Frauen schienen ängstlich geworden und das Interesse an ihrem Handel verloren zu haben. Die meisten Waaren waren überhaupt abgesetzt, und sie sehnten sich zurück nach ihrem Land, nach festem Boden, zu den Ihrigen. Wurde es ihnen doch jetzt unheimlich bei den fremden Männern und unwohl außerdem dazu, denn hier draußen, und nicht mehr von den breiten Riffen der Insel geschützt, stand eine höhere Dünung, wenn auch die See noch immer glatt blieb, aber die Bewegung des großen Fahrzeuges that ihnen weh. /25/

Der Supercargo hatte ihnen indessen eine Überraschung aufgespart, und zwar ein grell rothes Stück Zeug mit schwefelgelben Streifen quer durch, was ihnen außerordentlich in die Augen stach. Für kurze Zeit fesselte er ihre Aufmerksamkeit dadurch auch wirklich vollkommen, und die wenigen, die noch etwas zu verkaufen hatten, konnten der Verlockung nicht widerstehen. An andere wurden schmale Stücke, die etwa zu einem pareu oder Lendentuch hinreichten, als Geschenke vertheilt, und Alles drängte sich, so lange es dauerte, um ihn her; aber das Schiff hatte noch immer nicht gewendet, um nach ihrer Insel zurückzukehren, und sich indessen so weit davon entfernt, daß unter dem Horizont schon das flache Palmenland verschwand und die grünen Berge eine bläuliche Färbung annahmen.

Wieder wurde Felipe gerufen und zu dem Capitain gesandt, und kam nach einer Weile mit der Meldung zurück, daß der Capitain einen Sturm fürchte und vor Nacht nicht wagen dürfe, die Insel wieder anzulaufen.

„Dort geht ein Canoe!" lief da der Schrei über Bord, und als sich die Augen der Eingeborenen dorthin richteten, sahen sie eins der losgerissenen und gefüllten Canoes auf den Wogen schwimmen, und während sie auf die Reeling sprangen, um nach den übrigen zu sehen, trieb wieder und wieder eins davon.

Die Brise, die bis jetzt nur schwach gewesen, hatte bei den wenigen Segeln, welche die Brig führte, diese nur langsam vorwärts getrieben, daß sich die leichten Canoes wohl so lange halten konnten. Jetzt aber waren mehr Segel gesetzt, die Brise hatte ebenfalls an Kraft zugenommen, und die leichten Canoes konnten sich nicht mehr über Wasser halten. Umschlagen ließ sie der sogenannte Luvbaum schon nicht, aber wo die /26/ Bastseilc nicht gleich von Anfang an rissen, füllten sich die Canoes, deren Gewicht dann das schwache Seil nicht mehr im Stande war zu halten. Eins nach dem andern schnappte entzwei, und das Geschrei der Indianer füllte das Deck.

Wieder wurde jetzt Felipe nach dem Capitain gesandt, dieses Mal aber mit der Drohung, daß sie sein Schiff selber zurücklenken würden, wenn er jetzt nicht umdrehe, um sie heim zu fahren. Dieses Mal aber kehrte der Verräther nicht zurück, denn er hielt sich zwischen den gereizten Indianern nicht mehr für sicher. Jedenfalls mußten sie sich erst wieder beruhigen und in das Unvermeidliche fügen lernen.

Eine unbeschreibliche Scene der Verwirrung entstand jetzt an Bord, denn zum ersten Mal ahnten die Männer, daß sie verrathen wären. Aber die wenigsten waren noch im Stande, sich auf den Füßen zu halten, denn sonderbarer Weise übte fast auf alle diese Leute, die von Jugend auf gewohnt gewesen waren, in ihren Canoes auf den Wogen zu schaukeln, die ungewohnte fremde Bewegung des großen Fahrzeuges ihre unheilvolle Wirkung aus. Sie wurden ernstlich seekrank, und während sich die Frauen auf Deck warfen und im Gefühle ihrer Krankheit und ihres Elendes winselten und wehklagten, kauerten die meisten der Männer im stummen Jammer auf den Planken nieder, und nur wenige, von der Krankheit verschont und mit dem Bewußtsein des über sie hereinbrechenden Unglücks, griffen die eben eingehandelten Beile und Messer auf und wollten die Kajüte stürmen.

Jetzt erst drehte der Peruaner seine wahre Farbe heraus. Acht oder zehn mit Musketen bewaffnete Matrosen sprangen vor und drohten Jeden nieder zu schießen, der nicht augenblicklich seine Waffe an Deck werfe. Die Insulaner aber, welche diese Drohung einestheils gar nicht verstanden, anderntheils nicht achteten, warfen sich in blinder Wuth auf das Gesindel, und ehe die Burschen, die mit Feuergewehren ebenfalls nicht besonders umzugehen wußten, von ihren Waffen ordentlichen Gebrauch machen konnten, stürzten schon zwei oder drei, von den wüthenden Beilhieben der Wilden getroffen.

Aber der Capitain und der Supercargo waren auch keine müßigen Zuschauer geblieben, denn recht gut wußten sie, daß /27/ ihr Leben besonders gefährdet blieb, wenn die zur Wuth gereizten Eingeborenen das Schiff nahmen. Mit Doppelgewehren bewaffnet, während der Unter-Steuermann eine sogenannte weitmündige Donnerbüchse zwischen sie abfeuerte, schossen sie rechts und links unter die Unglücklichen, von denen mehrere unter den scharfen Schüssen stürzten, und selbst viele von denen verwundet wurden, die sich an dem Kampf gar nicht betheiligt hatten und krank in einem Winkel lehnten.

Solcher Uebermacht und den gefürchteten Feuerwaffen waren sie nicht gewachsen. In wilder Angst flüchteten sie nach vorn, und die Matrosen hatten jetzt leichte Arbeit, alle wehrhaften Männer zu bindeu und in das schon für sie hergerichtete Zwischendeck zu schaffen. Was dort die Nacht aus ihnen wurde, blieb sich gleich; jetzt galt es vor allen Dingen, das Deck wieder von den Spuren des Kampfes zu reinigen, denn der Capitain fürchtete nicht ganz mit Unrecht, daß am nächsten Morgen die Wuth der Betrogenen bei dem Anblick des vergossenen Blutes und ihrer gemordeten Freunde von Neuem und dann viel gefährlicher ausbrechen könne.

Umstände mit den Todten konnte man in dem heißen Klima überhaupt nicht machen. Sowie nur die Insulaner nach unten geschafft waren und die Luke geschlossen worden, warf man die Leichen der Insulaner sowohl wie die der Matrosen einfach über Bord. Dann wurde das Deck wieder abgewaschen und jetzt bewaffnete Wachen vertheilt, die vollkommen genügten, jeden erneuten Versuch der hülflosen Insulaner unschädlich zu machen.

Alle Segel waren dabei gesetzt, und die „Libertad" lag mit einem starken Seitenwinde vollen Südcours an, um so bald als irgend möglich die Passate zu verlassen und in die Region der veränderten Winde hinein zu halten. Erst dann durften sie hoffen, die amerikanische Küste gen Osten zu, und zwar in der Nähe von Chile anzulaufen, wo sie nachher die scharfen und regelmäßigen Südwinde trafen, die sie bald an der Küste hinab zu dem Ort ihrer Bestimmung, nach Callao, brachten. /28/

8.

An Bord des Guajaquil-Dampfers.

Der Dampfer von Panama hatte sich, wie das gar nicht selten geschieht, verspätet und lief zwölf Stunden nach seiner gewöhnlichen Zeit Guajaquil in Ecuador an, um dort die Passagiere für Lima an Bord zu nehmen.

In Guajaquil war auch gerade wieder einmal Revolution, oder die eigentlich rechtmäßige Regierung Ecuadors, die ihren Sitz in Quito hatte, war es müde geworden, den Usurpator Franco mit seiner nichtswürdigen Partei den Süden des Reiches occupiren und die Bevölkerung mißhandeln zu sehen, und General Flores war eben mit seiner Armee im Anrücken, nachdem er den Usurpator aus seinem letzten Halt im innern Land, aus Bodegas, vertrieben hatte.

Der „Callao", wie der Dampfer hieß, ankerte im Strome unmittelbar vor der Stadt und neben einem peruanischen Kriegsschiff, das General Castilla zur Disposition Franco's dort stationirt hatte, um seinen Schützling, im Fall er besiegt werden sollte, an Bord zu nehmen. Die Passagiere aber, denen der unruhige Boden hier unter den Füßen brannte, kamen in einem Schwarm von Booten vom Lande abgefahren und an Bord. Wußte man doch nicht, wie die Eroberer, wenn sie wirklich die Stadt nahmen, darin wirthschaften würden, und wer kein eigenes Interesse darin hatte, suchte natürlich einer solchen Katastrophe so rasch als irgend möglich aus dem Wege zu gehen.

Eine gute Stunde herrschte auch an Bord des Dampfers selber die entsetzlichste Verwirrung, und Koffer, Kisten und Hutschachteln lagen in Haufen überall unordentlich im Weg herum, während kein Mensch noch wußte, wohin er gehöre, wo er bleiben solle, und Niemand sich um ihn bekümmerte. War es doch gerade Essenszeit an Bord, und die Aufwärter hatten mehr zu thun, als den Fremden jetzt ihre Plätze anzu-/29/weisen. Erst einmal wieder unterwegs, regulirte sich das schon Alles von selber.

Und mitten in die Verwirrung schmetterte ein Kanonenschuß hinein, der vom Bord des Dampfers gefeuert war, um seine Wiederabfahrt anzuzeigen, schien aber dieses Mal die Landbewohner mehr zu schrecken, wie die an Bord Befindlichen. Die Einwohner von Guajaquil betrachteten nämlich das vor ihren Häusern ankernde peruanische Dampfschiff schon die ganze Zeit sehr mißtrauisch, weil sie recht gut wußten, daß Peru die von Franco angestiftete Militär-Revolution, aus allen Kräften unterstützte. Gerüchte hatten deshalb auch schon lange die Stadt durchlaufen, daß jenes ziemlich ansehnliche Kriegsschiff, im Falle Flores Guajaquil wirklich eroberte, den Ort bombardiren und in Trümmer schießen würde, und gerade den wohlhabendsten Leuten gehörten die an der Landung stehenden Häuser.

Wie nun jetzt der Schuß genau von der Richtung des peruanischen Schiffes her fiel, lief Alles bestürzt durcheinander, und man fürchtete in der That, daß das Schlimmste eingebrochen sei. Dieses Mal aber sollten die Guajaquilener noch mit dem bloßen Schreck davonkommen. Es war nur der „Callao" gewesen, und seine Räder arbeiteten jetzt gegen die gewaltige Strömung des Guajaquil an, um den Anker wieder auf zu bekommen und dann seine Reise so rasch als irgend möglich fortzusetzen.

Jetzt kam der Anker in die Höhe, das Boot war frei und dampfte noch eine kurze Strecke stromauf, um das peruanische Kriegsschiff zu umfahren und nicht beim Zurücktreiben auf eins der dort ankernden Schiffe geworfen zu werden.

Da kam, eben als es die richtige Höhe hatte und in den Strom hinaus lag, noch ein Boot vom Land ab mit einer Regierungsflagge an Bord. Hinten im Stern desselben stand ein Officier und schwenkte eine kleine Flagge zum Zeichen für den Capitain des Dampfers, daß er an Bord wolle. Der Engländer hatte das Zeichen auch wahrscheinlich bemerkt, denn er stand gerade auf dem dem Land zugedrehten Quarterdeck, gab aber keinen Befehl, die Maschine anzuhalten. /30/

„Capitain," meldete da der wachthabende Officier, „ein Regierungsboot wünscht noch an Bord zu kommen."

„Dank' Ihnen, Mr. Gellinek," sagte der Capitain trocken. „Erstlich wissen wir vor der Hand gar nicht, wer hier Regierung ist und wer nicht, und dann hätte der Herr da drüben eben eine Viertelstunde früher abfahren sollen, wenn er zu uns an Bord kommen wollte. Wie wir jetzt laufen, glaub' ich schwerlich, daß er uns einholt!"

„Hallo the Steamer!" rief in diesem Augenblick eine Stimme vom Quarterdeck des peruanischen Kriegsdampfers den „Callao" an, und der Capitain drehte sich überrascht darnach um.

„Hallo?" fragte er zurück.

„Stop that boat!“ lautete der Befehl; „Regierungs-Depesche will noch an Bord!"

„Stop that boatt?" rief aber der Engländer erstaunt zurück; „wer, zum Henker, hat hier an Bord zu befehlen, Sie oder ich?"

„Auf Ihre Verantwortung!" schallte es zurück, und deutlich konnten sie hören, wie auf dem jetzt ganz nahen Kriegsdampfer der Befehl gegeben wurde, eine Kanone zu richten.

„You be damned!" war aber die einzige Erwiderung, die sie von dem alten Seemann bekamen, den sie mit einer solchen Drohung noch lange nicht einschüchtern konnten. Er fuhr unter englischer Flagge, und wußte recht gut, daß sich die Peruaner zweimal besinnen würden, ehe sie auf dieselbe einen Schuß feuerten. Es geschah auch in der That nichts Derartiges. Der „Callao" schwenkte herum, mit dem Bug stromab, und auf ein Zeichen des Capitains mußte der Mann am Steuer jetzt sogar so dicht an dem Peruaner vorbeistreifen, als es nur die Vierkant gebraßten Raaen beider Dampfer gestatteten, ohne sich gegenseitig zu berühren. Das Regierungsboot folgte dabei noch immer, da es wahrscheinlich vermuthete, der Engländer würde erst wieder unterhalb des Peruaners beidrehen. Der dachte aber gar nicht daran. Als er das Kriegsschiff vollständig passirt hatte, hielt er weiter in den /31/ Strom hinaus, in das richtige Fahrwasser hinein, und zehn Minuten später war er schon so weit entfernt, daß man nicht einmal mehr die einzelnen Personen an Deck mit bloßen Augen unterscheiden konnte.

Fluchend hielt der Steuermann des Regierungsboots nach dem Ufer hinüber, um dicht daran der gewaltigen Strömung etwas besser ausweichen und den Platz wieder erreichen zu können, von dem es abgefahren war. Seine Depeschen nahm es natürlich wieder mit zurück.

An Bord des Dampfers hatten indessen nur sehr Wenige von dem kleinen Zwischenspiel etwas bemerkt, Niemand in der That auch darauf geachtet, denn die alten Passagiere waren schon durch des Kochs Klingel zum Diner gerufen, und die neuen quälten sich noch mit ihrem Gepäck ab, um Leute zu finden, die es ihnen in irgend eine Koje schaffen konnten. Sie wollten vor der Hand nur einen Platz haben, dann mußten sie selber sehen, daß sie etwas zu essen bekamen.

Unter den in Guajaquil an Bord gekommenen Passagieren befand sich auch ein junger, schlank gewachsener Mann mit vollem Bart, aber offenen, freien Zügen. Er hatte dunkle Augen und rabenschwarzes gelocktes Haar, dazu einen durch die Sonne tiefgebräunten Teint, so daß er recht gut für einen Sohn dieses Landes gelten konnte. Sein ganzes Benehmen war dabei das eines Mannes, der sich seine Lebenszeit in den höheren Schichten der Gesellschaft bewegt, und der breitrandige, außerordentlich feine Panamahut, den er trug, verrieth auch, daß er wohlhabend sein müsse. Irgend einen Schmuck zeigte er dabei gar nicht, obgleich weder ein Peruaner noch ein Ecuadorianer gern ohne eine goldene Uhrkette getroffen wird, nicht einmal eine Tuchnadel; nur allein am vierten Finger der linken Hand einen einfachen goldenen Reif mit einem Brillanten.

Er vor allen anderen Passagieren hatte sich auch rasch und behaglich an Bord eingerichtet. Er kannte, wie es schien, den Mayor Domo, und mit einem Trinkgeld, das er einem der Kajütenwärter in die Hand drückte, fand er sich bald allein in einer Koje untergebracht, während die Uebrigen bald zu /32/ Dreien und selbst Vieren mitsammen campiren mußten; eine höchst fatale Sache in den geschlossenen Räumen und dem heißen Klima. - Der junge Mann war keinesfalls zum ersten Mal ans Reisen. Der Capitain kannte ihn ebenfalls.

„Ah, Señor Aguila," rief er ihm entgegen, als er ihm nach Tisch zuerst auf dem Quarterdeck begegnete, „sieht man Sie auch einmal wieder? Wo haben Sie die ganze Zeit gesteckt, in Europa? By Jove, ich hätte Sie fast gar nicht wiedererkannt, einen solchen Bart haben Sie bekommen!"

„Zum Theil, Capitain," lachte der junge Mann, indem er dem Engländer derb die Hand schüttelte, „und nachher hab' ich mir noch ein Stück von der Welt besehen."

„Bis es Ihnen in der Franco'schcn Wirthschaft da drüben zu heiß wurde, heh? Es soll aber zu Ende gehen, denn wie mir unser Agent sagte, kann sich der verdammte Sambo keine Nacht mehr halten."

„Er wünschte Ihnen noch eine Bestellung aufzutragen," lachte Aguila.

„Er soll zum Henker gehen!" brummte der Capitain - „aber waren Sie lange in Guajaquil?"

„Nur seit dem letzten Dampfer. Ich wollte einige Freunde besuchen, hätte mir aber die Mühe ersparen können, denn es ist Alles nach Quito geflüchtet."

„Sie kamen von Panama herunter?"

„Ja, und will nach Hause."

„Ach Du lieber Gott," seufzte der Capitain, „ich wollte, ich könnte das auch sagen! Statt dessen aber fahre ich Jahr nach Jahr an dieser verbrannten Küste auf und ab. Aber was kann's helfen! Meine Zeit kommt ja wohl doch auch einmal, und bis dahin heißt's eben aushalten! Sind Sie gut eingerichtet an Bord?"

„Vortrefflich."

„Desto besser" - und der Capitain trat mit einem freundlichen Kopfnicken wieder in seine Kajüte hinein.

Aguila, oder Don Rafael, wie er von seinen Freunden genannt wurde, hatte indessen seine Mitpassagiere gemustert, aber es waren theils Fremde, Engländer, Franzosen oder Deutsche, die mit der westindischen Mail von Europa kamen, /33/ theils nichtssagende Gesichter von Landeskindern, deren Bekanntschaft zu machen es ihn eben nicht drängte. Eine befreundete Physiognomie fand er nicht unter Allen, und begnügte sich deshalb, die Leute stillschweigend zu mustern, wie sie eben bei ihrem Nachmittag-Spaziergang an Deck ihn hin und her passiren mußten.