Seven Nights - Paris - Jeanette Grey - E-Book

Seven Nights - Paris E-Book

Jeanette Grey

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Beschreibung

Rylan ist millionenschwer. Seine wahre Identität verheimlicht er – besonders vor Frauen. Sein Credo ist: keine Bedingungen, keine Verpflichtungen. Kate reist nach Paris, um Inspiration für ihr Kunststudium zu finden. Stattdessen trifft sie auf Rylan. Als sie sich in die Augen sehen, verändert sich alles: Zum ersten Mal hat Rylan eine Frau vor sich, mit der er alles teilen möchte. Doch er weiß, dass sein Geheimnis zwischen Ihnen steht. Um Kate zu halten, muss er ihr die Wahrheit sagen – auch wenn das bedeuten könnte, sie zu verlieren ...

"Sie werden jedes Wort genießen, um keinen einzigen prickelnden Moment zu verpassen." K. Bromberg

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Seitenzahl: 482

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Zum Buch

Auf der Suche nach Inspiration reist die zweiundzwanzigjährige Kunststudentin Kate nach Paris. Hier will sie durch die Museen streifen und sich in den strahlenden Lichtern der Metropole verlieren. Doch die Stadt der Liebe hat andere Pläne für die New Yorkerin: Sie trifft auf Rylan, einen gut aussehenden Fremden, der sie sofort in seinen Bann zieht. Von ihm lässt sich Kate bei Tag Paris zeigen und bei Nacht in eine ihr bisher unbekannte Welt der Leidenschaft entführen. Hals über Kopf stürzt sie sich in ein prickelndes, erotisches Abenteuer und verfällt Rylan – obwohl sie nach einer großen Enttäuschung nicht mehr an die Liebe glaubt. Auch Rylan ist fasziniert von der klugen, humorvollen Kate. Zum ersten Mal in seinem Leben verspürt er ernsthafte Gefühle für eine Frau und ist fest entschlossen, Kates Herz zu erobern. Doch um ihr Vertrauen zu gewinnen, muss er ehrlich sein. Und Kate sagen, wer er wirklich ist – auch wenn sein Geheimnis alles zwischen ihnen zerstören könnte …

Zur Autorin

Jeanette Grey hat Physik und Kunst studiert und arbeitete zunächst als Lehrerin und in der Werbebranche. Wenn sie nicht ihrer größten Leidenschaft, dem Schreiben, nachgeht, töpfert sie und verbringt Zeit mit ihrem Mann und ihrem Haustier: einem Frosch. Seven Nights. Paris ist der erste Band ihrer neuen Erotikserie im Diana Verlag. Jeanette Grey lebt, liebt und schreibt im Staat New York.

JEANETTE GREY

Seven

Nights

P A R I S

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Charlotte Seydel

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe 10/2017

Copyright © 2015 by Jeanette Grey

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel Seven Nights to Surrender bei Forever, Hachette Book Group, New York

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Dr. Katja Bendels

Umschlaggestaltung: t.mutzenbach design, München

Covermotiv: © Solei/Shutterstock

Satz: Leingärtner, Nabburg

Alle Rechte vorbehalten

e-ISBN 978-3-641-21034-2V001

www.diana-verlag.de

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KAPITEL 1

K A P I T E L   1      Wie hübsch die Worte in ihrer Vorstellung klangen. Es war geradezu lächerlich, verglichen mit den Lauten, die herauskamen, sobald Kate den Mund aufmachte und sie laut aussprach.

Mit Daumen und Zeigefinger knetete sie nervös den Riemen ihrer Tasche, hielt den Blick starr auf die Frau hinter der Kasse gerichtet und wiederholte immer wieder in Gedanken: Un café au lait, s’il vous plaît. Einen Milchkaffee, bitte. Kein Problem. Das hatte sie drauf. Die Person vor ihr in der Schlange trat an den Schalter. Kate nickte sich selbst bestätigend zu, straffte die Schultern und lächelte möglichst selbstbewusst.

Gerade in dem Moment, als sie an der Reihe war, wurde sie plötzlich so heftig von der Seite angerempelt, dass ihr förmlich die Luft wegblieb.

Fluchend fuchtelte sie mit dem Arm, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen. Ein pickeliger Teenager murmelte etwas vor sich hin, was nach einer ausgiebigen Entschuldigung klang, doch ihrem spärlichen Schulfranzösisch nach zu urteilen könnte er sie ebenso gut beschuldigt haben, ihn angerempelt zu haben. Kate entschied sich, einfach an die Variante mit der Entschuldigung zu glauben.

Verlegen wedelte sie mit den Händen, um dem Jungen zu signalisieren, dass alles in Ordnung war. Als er erneut auf sie einredete, blickte sie sich um. Hinter ihr stand ein erschreckend gut aussehender Mann mit dunklem Haar und einem Kinn, bei dem frau sich förmlich danach sehnte, es zu malen. Er überflog mit demonstrativem Desinteresse eine französische Tageszeitung und legte ungeduldig die Stirn in Falten. Die übrigen Leute in der Schlange machten ähnliche Gesichter.

Kate wandte sich ab und zeigte dem Jungen nach bester New Yorker Art die kalte Schulter. Wenigstens schien die Frau hinter der Kasse es nicht eilig zu haben. Kate stieß ein schnelles »Désolé« – tut mir leid – hervor und legte die Hände auf den Tresen. Sie konnte das. Sie lächelte erneut, während sie sich darauf konzentrierte, die einstudierten Worte auf ihre Lippen zu befördern. »Un café au lait, s’il vous plaît.«

Nein, es hatte nicht annähernd so hübsch geklungen wie in ihrer Vorstellung. Sie hielt den Atem an, doch die Frau nickte einfach, tippte die Bestellung ein und gab sie an das Mädchen an der Espressomaschine weiter. Dann verkündete sie auf Französisch den Betrag, den Kate zu zahlen hatte.

Ja! Sie konnte sich gerade noch zurückhalten, eine Siegerfaust in die Luft zu stoßen. Seit zwei Tagen streifte sie nun durch Paris, und egal wie intensiv sie die Sätze vorher eingeübt hatte – Kellner, Kellnerinnen und Ladenbesitzer antworteten ihr, kaum dass sie den Mund aufmachte, sofort auf Englisch und entlarvten sie damit gnadenlos als Amerikanerin.

Wahrscheinlich wollte die Kassiererin sich nur über sie lustig machen, doch Kate ergriff die Gelegenheit und setzte alle Rädchen in ihrem Hirn in Bewegung. Wie ihr Lehrer auf der Highschool es ihr beigebracht hatte, zählte sie im Kopf die Zahlen durch, bis sie jede Ziffer übersetzt hatte. Drei Euro fünfundachtzig. Triumphierend griff sie nach der Tasche an ihrer Hüfte.

Und griff ins Leere.

O nein. Entsetzt tastete sie über Schulter und Taille und blickte panisch um sich. Die Tasche war weg.

Sie stöhnte laut auf. Wie viele Leute hatten sie genau hiervor gewarnt? In Paris wimmelte es von Taschendieben. Das hatten ihr nicht nur ihre Mutter und Aaron, sondern sogar der Kerl im Reisebüro erzählt. Ein gereiztes Lachen löste sich aus ihrer Kehle. Durch ihren Kopf hallte die Stimme ihres Vaters, der sie anschrie, sie solle doch um Himmels willen besser aufpassen. Mist. Es war nur … Sie könnte schwören, dass sie die Tasche vor einer Sekunde noch gehabt hatte. Kurz bevor der Junge sie angerempelt …

Ein Frösteln überlief sie. Natürlich. Der Junge.

Tränen brannten in ihren Augen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie all das auf Französisch erklären sollte. In der vergeblichen Hoffnung, ihre Handtasche würde wie durch Zauberei wieder auftauchen, tastete sie noch einmal an sich herum. Ihr Vorhaben, einen ruhigen Nachmittag in einem Café zu verbringen und zu zeichnen, wurde von einem Moment auf den anderen zunichtegemacht.

Hinzu kam, dass die Warnung vor Taschendieben nicht das Einzige gewesen war, das ihr von zu Hause auf die Reise mitgegeben worden war. Ausnahmslos alle, denen sie mitgeteilt hatte, sie wolle nach Paris reisen, um zu sich selbst zu finden und sich von der Stadt inspirieren zu lassen, hatten sie für verrückt erklärt. Das hier war ihre erste Auslandsreise, und sie verschlang fast ihre gesamten Ersparnisse. Zu allem Überfluss hatte Kate auch noch darauf bestanden, allein zu reisen. Wie sollte sie denn auch Kontakt zu ihrer inneren Muse aufnehmen können, wenn sie nicht etwas Zeit mit ihr allein verbrachte? Ohne jegliche Ablenkung. Umgeben von Kunst und Geschichte und von einer wundervollen Sprache, derer sie kaum mächtig war. Für Kate hatte sich das nach einer guten Idee angehört. Die perfekte Gelegenheit, ein paar grundlegende Entscheidungen zu treffen.

Aber vielleicht hatten die anderen ja doch recht gehabt.

Da sie hier in aller Öffentlichkeit nicht die Bauchtasche mit ihrem übrigen Bargeld unter dem T-Shirt hervorholen wollte, schrieb sie ihre Pläne für den heutigen Tag in den Wind. Sie würde einfach zum Hostel zurückgehen. Immerhin war sie noch im Besitz ihres Ausweises und des Großteils ihres Geldes. Sie würde sich ihr Budget einfach neu einteilen, und alles wäre wieder in Ordnung.

»Mademoiselle?«

Ihr noch ein wenig tränenverschwommener Blick sprang hoch. Und höher. Der gut aussehende Mann – der mit den dunklen, widerspenstigen Haaren und dem markanten Kinn – stand direkt vor ihr und berührte sie mit einer warmen Hand sanft am Ellenbogen. Ein elektrisierendes Kribbeln summte unter ihrer Haut. War er eben auch schon so groß gewesen? Und die Schultern auch schon so breit? Er trug ein schlichtes schwarzes Button-down-Hemd, doch Kate konnte den Blick nicht von dem Stoff über seiner Brust lösen, unter dem unzählige Muskeln zu erahnen waren.

Er zog die Brauen zusammen, und zwischen seinen strahlend blauen Augen erschienen zwei zarte Falten.

Kate schüttelte den Kopf, um sich von ihrer Benommenheit zu befreien, und räusperte sich. »Pardon?«, fragte sie und hob in dem – leider immer noch vergeblichen – Bemühen, französisch zu klingen, am Ende die Stimme.

Er lächelte, und sie hatte das Gefühl, jeden Augenblick in Ohnmacht zu fallen. In perfektem Englisch, das vielleicht ein kleines bisschen nach New York klang, fragte er: »Ist alles in Ordnung?«

Jedes Mal, wenn in den vergangenen Tagen jemand mit ihr Englisch gesprochen hatte, hatte sie sich geärgert. Jetzt hätte sie ihn dafür am liebsten geküsst, geradewegs auf seine vollen, weichen Lippen. Bei der Vorstellung errötete sie ein wenig. »Nein. Ich …« Überflüssigerweise klopfte sie sich erneut auf die Seite. »Ich glaube, dieser Kerl hat mir meine Tasche geklaut.«

Seine Miene verfinsterte sich, doch er fing weder an, sie für ihre Unachtsamkeit zu tadeln, noch wandte er sich ab. »Das tut mir leid.«

Nun meldete sich die Frau hinter der Kasse wieder: »Möchten Sie Ihren Kaffee noch?«

Kate wollte gerade ablehnen, doch der Mann hatte bereits einen Zehneuroschein auf den Tresen gelegt und antwortete der Kassiererin mit einem Wortschwall auf Französisch. Die nahm das Geld, drückte ein halbes Dutzend Tasten, ließ einige Münzen in seine Hand fallen und sah dann den nächsten Kunden in der Schlange an.

»Ähm …«, hob Kate an.

Der Mann löste erst jetzt die Hand von ihrem Ellenbogen, legte sie stattdessen auf ihren Rücken und führte Kate ans Ende des Verkaufstresens. Es war eine überaus intime Berührung. Sie hätte zurückzucken müssen, doch bevor sie sich dazu entschließen konnte, ließ er den Arm sinken und wandte sich ihr zu. Wo seine Hand gelegen hatte, spürte sie einen kalten Fleck.

Sie setzte ein paarmal an, ehe sie schließlich fragte: »Haben Sie jetzt gerade meinen Kaffee bezahlt?« Sie mochte schlecht in Französisch sein, aber sie war nicht auf den Kopf gefallen.

Er grinste schief zu ihr herunter. »Gern geschehen.«

»Das wäre aber wirklich nicht nötig gewesen.«

»Au contraire.« Er hob eine Braue. »Wenn man einen schlechten Tag hat, sollte man auf keinen Fall auch noch auf seinen Kaffee verzichten.«

Nun, da hatte er recht. »Ich habe noch etwas Geld. Ich kann es Ihnen zurückgeben.«

»Nicht nötig.«

»Doch, wirklich.« Sie warf ihre Vorbehalte bezüglich ihrer Ersatzbrieftasche über Bord und griff nach dem Saum ihres T-Shirts. Bevor sie jedoch ihren Geldgürtel hervorholen konnte, fasste er ihre Hände und hielt sie zurück.

Seine Augen wirkten jetzt dunkler, seine Fingerspitzen waren warm. »Ich halte eine schöne Frau zwar nur ungern davon ab, sich vor mir zu entkleiden, aber das ist wirklich nicht nötig.«

Wollte er etwa andeuten …? Nein, das war unmöglich. Dennoch wallte unwillkürlich Empörung in ihr auf. Sie schob seine Hände weg und zog den Saum ihres T-Shirts nach unten. »Mit einem Strip wollte ich Sie nicht bezahlen.«

»Schade. Aber wahrscheinlich ist es besser so«, fügte er in konspirativem Ton hinzu. »Was diese Dinge angeht, ist die Polizei hier zwar lockerer als in den Staaten, aber trotzdem. Es wäre ein wenig gewagt.«

Die Barista stellte zwei Tassen auf den Tresen und sagte etwas auf Französisch, jedoch zu schnell, als dass Kate es hätte verstehen können.

»Merci«, erwiderte der Mann, klemmte sich die Zeitung unter den Arm und nahm die beiden Tassen.

Aus irgendeinem Grund fühlte Kate sich bemüßigt, noch einmal zu betonen: »Das wäre wirklich nicht nötig gewesen.« Dann streckte sie die Hand nach der Tasse aus, die sie für ihre hielt.

»Natürlich nicht.« Er zog die Tassen an seine Brust, sodass sie nicht an sie herankam. Sein Bizeps wölbte sich. »Aber so hatte ich die Chance, Sie auf einen Kaffee einzuladen.«

Kate stutzte.

»Na, kommen Sie schon«, sagte er, steuerte auf einen leeren Tisch am Fenster zu und setzte sich.

Das war überhaupt nicht das, was sie für den heutigen Tag geplant hatte. Als er sich gesetzt hatte, sah sie, wie sich sein Profil von dem hereinfallenden Licht abhob. Wenn ihr nicht die Tasche abhandengekommen wäre, hätte sie jetzt zu gern ihr Skizzenbuch hervorgeholt und diese markanten Wangen festgehalten.

Während sie dastand und ihn anstarrte, fielen ihr schlagartig alle Warnungen ihrer Mutter wieder ein. Dieser Typ war zu glatt. Zu gewandt, zu gut aussehend. Über der gesamten Situation stand in fetten Lettern: Keine gute Idee. Nachdem ihr letzter Versuch, sich mit einem Mann einzulassen, katastrophal geendet hatte, sollte sie jetzt eigentlich klüger sein.

Doch Tatsache war, dass sie diesen Kaffee unbedingt wollte. Und vielleicht auch die Gelegenheit, im Geiste noch ein paar Studien von seinem Kinn anzufertigen. Das wäre gar nicht schwer. Sie müsste nur zu ihm gehen und gegenüber von ihm Platz nehmen. Nur dass …

Nur dass sie so etwas normalerweise nicht machte.

Weshalb sie es vielleicht gerade jetzt tun sollte.

Nervös nestelte Kate an ihrem T-Shirt herum. Dann machte sie einen Schritt nach vorn. Sie war im Urlaub, Herrgott, und dieser Kerl lud sie ein. Sie hatte es verdient, einen Moment loszulassen. Sich vielleicht ausnahmsweise einmal zu amüsieren.

Also wirklich. Was sollte schon passieren, wenn sie sich ein bisschen mit einem Fremden unterhielt?

Rylan Bellamy verfügte über eine knappe, bewährte Liste von Regeln darüber, wie man eine Touristin abschleppte.

Erstens: Gib dich vertrauenswürdig und harmlos. Touristen rechneten ständig damit, ausgenutzt zu werden.

Zweitens: Mach kein Hehl aus deinen Absichten. Es blieb keine Zeit, lange herumzureden, wenn die Frau jeden Augenblick wieder abreisen konnte.

Drittens: Sorge dafür, dass sie stets weiß, dass sie die Wahl hat.

Er führte den Cappuccino an seine Lippen und blickte aus dem Fenster des Cafés. Eigentlich hatte er gar nicht vorgehabt, der Frau vor ihm in der Schlange einen Kaffee zu spendieren oder sie abzuschleppen. Und ganz bestimmt hatte er sich nicht plötzlich doch in den Wirtschaftsteil der Le Monde vertiefen wollen, sodass er nicht mitbekommen hatte, wie man ihr direkt vor seiner Nase die Handtasche geklaut hatte. Doch die ganze Geschichte hatte ihm jede Menge Möglichkeiten eröffnet.

Vertrauenswürdig? Einzuschreiten, als sie aussah, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen, schien ihm ein guter Anfang zu sein. Dass er ihr sowohl auf Englisch als auch auf Französisch zur Seite gesprungen war, sprach ebenfalls für ihn. Dass er anschließend ihren Kaffee bezahlt hatte, war selbstverständlich gewesen.

Kein Hehl aus seinen Absichten machen? Daran arbeitete er noch, aber bisher war er nicht zurückhaltend gewesen. Schließlich hatte er sie bereits berührt. Sie hatte weiche Haut und schöne, zarte Hände, deren Fingerspitzen mit Tinte bekleckst waren.

So wie sich die großen dunklen Augen wie Kleckse von ihrem hübschen blassen Gesicht abhoben. Und diese rosafarbenen Lippen.

Er veränderte seine Haltung und schaffte es, dem Impuls, zu ihr hinüberzublicken, noch einen weiteren Moment zu widerstehen. Der dritte Teil, in dem es darum ging, ihr zu vermitteln, dass die Entscheidung bei ihr lag, war notwendig, konnte sich jedoch als frustrierende Erfahrung herausstellen. Wenn sie nicht freiwillig an seinen Tisch kam, würde sie auch niemals mit in seine Wohnung kommen oder gar in sein Bett. Er hatte den Handschuh fallen lassen – sie konnte ihn jetzt aufheben oder einfach gehen.

Sie stand immer noch am Tresen. Verflixt, er hoffte wirklich, dass sie nicht ging. Um cool zu wirken, beschloss er, bis dreißig zu zählen. Er setzte die Tasse zurück auf die Untertasse. Kurz fürchtete er, sie wäre vielleicht bereits gegangen. Aber nein. Er spürte, wie sie ihn durch den Raum hinweg beobachtete, ihn mit ihrem Blick durchbohrte.

Das gefiel ihm. Angesehen zu werden war ein schönes Gefühl. So wie gemustert, taxiert zu werden. Das machte ihre Entscheidung nur umso reizvoller, vorausgesetzt, sie entschied sich für ihn.

Bingo.

In dem Café war es zwar laut, aber seine Sinne waren auf sie konzentriert, sodass er sofort spürte, als sie auf ihn zukam. Bei dreizehn hörte er auf zu zählen und musterte sie, während sie zu ihm an den Tisch trat.

Wenn er noch Zweifel gehegt hätte, ob sie eine Touristin war, so hätten sich diese spätestens jetzt, bei genauerer Betrachtung, erledigt. Sie trug violette Converse, die geradezu Amerikanerin schrien, sowie einen dunklen Rock, der ihr bis zu den Knien reichte, und ein schlichtes graues T-Shirt mit einer kurzen Leinenjacke darüber. Keinen Schal oder Gürtel oder irgendein anderes der tausend Accessoires, die dieses Jahr bei der Pariser Damenwelt so beliebt waren. Ihr kastanienbraunes Haar hatte sie zu einem Knoten gedreht.

Hübsch. Amerikanisch. Verklemmt. Aber wirklich sehr, sehr hübsch.

»Ihr Kaffee wird kalt«, sagte er, reichte ihr die Tasse über den Tisch und schob mit dem Fuß einen Stuhl unter dem Tisch hervor.

Hundert scharfe Erwiderungen tanzten auf ihren Lippen, doch ihr Schweigen – sowie ihre keck gehobene Braue und ihr nachdenklicher Blick – sagten mehr. Sie setzte sich ihm gegenüber, schlug steif die Beine übereinander und hockte sich auf die Stuhlkante, als sei sie bereit, jeden Augenblick die Flucht zu ergreifen.

Normalerweise ließ er die Finger von scheuen Vögelchen. Sie bedeuteten zu viel Arbeit, wenn man bedachte, wie kurz sie in seinem Nest landeten. Doch mit diesem hier hatte er nun schon einmal begonnen, und etwas an ihrem Mund gefiel ihm. Und irgendwie mochte er ihre ganze Ausstrahlung – sie wirkte unschuldig und unerschrocken zugleich. Das war zumindest einen Kaffee wert.

Sie schob einen Finger durch den Henkel und tippte mit dem Daumen gegen die Tasse. Ihr Argwohn war unübersehbar.

»Ich habe nichts hineingemischt«, versicherte er ihr.

»Ich weiß. Ich habe Sie die ganze Zeit beobachtet.«

Dessen war er sich durchaus bewusst gewesen, vielen Dank. Nichtsdestotrotz schätzte er ihre Ehrlichkeit. »Warum zögern Sie dann? Er ist schon bezahlt. Wenn Sie ihn nicht trinken, trinkt ihn keiner.«

Sie schien einen Augenblick darüber nachzudenken, dann nahm sie den Zucker und schüttete mehr hinein, als gesund gewesen wäre. Sie rührte kurz um, nahm die Tasse und trank einen Schluck.

»Gut?«, fragte er. Seine Stimme sank unwillkürlich eine Tonlage tiefer, er konnte nichts dagegen tun. »Süß genug?«

»Ja.« Sie setzte die Tasse wieder ab. »Danke.«

»Gern geschehen.«

Sie schloss den Mund und klammerte sich noch stärker an die Tasse. Er ermahnte sich, Geduld zu haben, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und legte die Ellenbogen auf die Armlehnen. Dann musterte er sie ausgiebig.

Ach, zum Teufel mit der Geduld. Wenn er nicht bald etwas sagte, würden sie noch den ganzen Tag hier sitzen. Er konzentrierte sich auf das, was er von ihr wusste, und deutete vage in ihre Richtung, um an die fehlende Tasche zu erinnern. »Sie könnten wegen des Diebstahls Anzeige erstatten.«

Sie schüttelte den Kopf und trommelte mit den Fingern gegen das Porzellan. »Das lohnt sich nicht. Immerhin war ich so schlau, nur dreißig oder vierzig Euro mitzunehmen. Und die Polizei wird kaum wegen ein paar Zeichenstiften und Heften ermitteln.«

»Nein, vermutlich nicht.«

Die Zeichenutensilien fügten sich ins Profil. Sie passten zu den Flecken an ihren Händen und dem durchdringenden Blick.

Er ließ einen Moment verstreichen. Da sie freiwillig nicht mehr von sich preisgab, musste er wohl etwas nachbohren. Ganz offensichtlich würde er den Großteil der Unterhaltung bestreiten müssen.

Nicht, dass ihm das etwas ausmachte. Er war jetzt seit einem Jahr in Paris und vermisste es, Englisch zu reden. Zwar sprach er hervorragend Französisch, aber es war eben nicht seine Muttersprache. Die Art, wie die Laute der Sprache, mit der man aufgewachsen war, sich um die Zunge schlangen, gaben einem sofort das Gefühl, zu Hause sein.

Zu Hause. Dieser Gedanke versetzte ihm einen Stich.

Er räusperte sich und konzentrierte sich wieder auf seine Charmeoffensive. »Sie sind also Künstlerin?«

»Könnte man so sagen.«

»Könnte man so sagen?«

»Ich habe gerade erst mein Studium abgeschlossen.«

»Herzlichen Glückwunsch.«

Sie schnaubte leise. »Jetzt muss ich entscheiden, wie es weitergeht.«

Ah. Diese Art der Flucht nach Europa kannte er. Sehr gut sogar. Und er wusste, wie sinnlos sie war.

Aber er erkannte ein Klischee, wenn er eines sah. »Dann sind Sie also hier, um sich selbst zu finden?«

»So ungefähr.« Etwas von ihrer Zurückhaltung fiel von ihr ab. Sie sah auf und begegnete seinem Blick. In ihren Augen lag eine gewisse Unsicherheit, als wartete sie auf seine Reaktion. »Klingt ziemlich albern, was?«

»Nun, ist zumindest ein romantischer Gedanke.« Er war noch nie ein großer Romantiker gewesen. »Wenn es funktionierte, würden einfach alle nach Prag ziehen, anstatt ihr Leben lang zum Therapeuten zu laufen. Was würden dann bloß die ganzen Seelenklempner machen?«

Sie verdrehte die Augen. »Nicht jeder kann es sich leisten, einfach nach Europa zu reisen.«

Ihre Bemerkung hatte nichts Heiteres. Er erinnerte sich daran, was sein Vater ihm beigebracht hatte, und konzentrierte sich auf die angespannten Gesichtsmuskeln um ihre Augen. Diese Reise war offenbar ein Luxus für sie. Gut möglich, dass sie jahrelang darauf gespart hatte.

Vermutlich war es besser, wenn er seine eigenen Vermögensverhältnisse nicht erwähnte. Im Geiste verlegte er ihr abendliches Rendezvous von seiner Bleibe in ihre. Das war sicherer.

»Das stimmt«, gab er zu. »Therapiestunden sind allerdings auch nicht gerade billig, und Reisen macht mehr Spaß.«

Das brachte ihm ein Lächeln ein. »Ich kann das nicht beurteilen, aber vermutlich schon.«

»Glauben Sie mir, es ist so.« Er nahm seinen Cappuccino und trank noch einen Schluck. »Und? Was haben Sie hier vor? Was haben Sie schon gesehen? Was möchten Sie unbedingt noch sehen?«

»Ich bin erst vor zwei Tagen angekommen. Gestern war ich im Musée Marmottan Monet.«

»Bezaubernd.« Und noch bezaubernder war es zu sehen, wie ihre Gesichtszüge sofort weicher wurden, als sie ihm davon erzählte.

»Heute Morgen bin ich hauptsächlich herumgelaufen. Dann wollte ich mich hierhersetzen und ein bisschen zeichnen.«

Sie zu fragen, ob sie ihm ihre Arbeit einmal zeigen würde, wäre eine gute Gelegenheit, seine Absichten deutlich zu machen. Es war allerdings unerträglich trivial. Er lächelte ironisch. »Sehr pariserisch.«

»Und dann … ich weiß nicht. Der Louvre und das Musée d’Orsay natürlich.« Sie zog die Mundwinkel nach unten. »Alles andere hatte ich in meinem Reiseführer notiert.«

Ah. »Und ich vermute, den hat man Ihnen gerade geklaut?«

»Richtig.«

Ohne sie aus den Augen zu lassen, trank er seinen Cappuccino aus. In ihrer Tasse befand sich noch ein Kaffeerest, doch sie näherten sich dem Zeitpunkt der Entscheidung. Er hatte heute nichts weiter vor – eigentlich hatte er nie etwas vor. Nicht mehr, seit sein Leben zusammengebrochen war. Aber war er bereit, einen ganzen Nachmittag zu opfern, um sie herumzuführen?

Er versuchte, das Ganze analytisch zu betrachten. Obwohl sich ihre Haltung etwas gelockert hatte, wirkte sie noch immer ein wenig zugeknöpft. Angesichts ihres Alters war sie vermutlich keine Jungfrau mehr, aber er würde eine Menge Geld darauf verwetten, dass sie auch nicht weit davon entfernt war. Das entsprach nicht seinem üblichen Beuteschema. Er bevorzugte Mädchen, die wussten, was sie taten – und noch wichtiger: die wussten, was er tat. Wonach er suchte.

Dieses Mädchen … Sie so weit zu bringen würde einige Arbeit erfordern. Sollte ihm das aber gelingen, sagte ihm sein Gefühl, dass es sich durchaus lohnen könnte. Sie war hübsch, und wenn sie lächelte, verwandelte sie sich in eine Schönheit.

Aber da war noch etwas anderes. Sie war romantisch und so voller Hoffnung, und wenn sie zeichnete und sich einbildete, Paris könnte ihr Leben verändern, musste sie ein sehr kreativer Mensch sein. Plötzlich interessierte ihn, was genau sie zeichnete und wie sie dabei aussah.

Immer wieder glitt sein Blick zu ihren Augen. Ihr Blick war die ganze Zeit, in der sie hier zusammengesessen hatten, umhergewandert, als würde sie alles in sich aufnehmen. Das Geschehen draußen vor dem Fenster, die Gesichter der Menschen im Café. Ihn. Das war faszinierend. Sie war faszinierend, sie faszinierte ihn auf eine Art, wie ihn schon lange keine Frau mehr fasziniert hatte.

Bei der Vorstellung, allein in seine Wohnung zurückzukehren, hätte er am liebsten laut geschrien.

Seine Entscheidung war gefallen. Er schob seinen Stuhl zurück und klatschte in die Hände. »Nun, worauf warten wir noch?«

»Wie bitte?«

»Reiseführer sind sowieso Mist. Vor allem, wenn man etwas Besseres haben kann.« Er stand auf und hielt ihr die Hand hin.

Ihre Miene wirkte skeptisch. »Und das wäre?«

Er schenkte ihr sein verführerischstes Grinsen. »Mich.«

KAPITEL 2

K A P I T E L   2      Kate blieb regungslos sitzen, als er ihr seine Hand anbot, um ihr aufzuhelfen. Sie gab sich alle Mühe, unbeeindruckt zu erscheinen, und hob fragend eine Braue. »Haben Sie mit dieser Masche normalerweise Erfolg?«

Der Kerl zog die Hand nicht zurück und schien auch sonst nicht von seiner Strategie abzuweichen, was Kate in gewisser Weise beeindruckte. »Ja, das habe ich tatsächlich.«

»Interessant.«

Die traurige Wahrheit war, dass sein Angebot, ihr die Stadt zu zeigen, mehr als verlockend klang. Die Aufmerksamkeit tat ihr gut, vor allem nachdem ihr Selbstwertgefühl im letzten Jahr ziemlich gelitten hatte. Ach was, in den letzten zweiundzwanzig Jahren. Außerdem war es sicher kein Nachteil, von jemandem herumgeführt zu werden, der fließend Französisch sprach. Und dass er so gut aussah, machte das Angebot nicht weniger verlockend.

»Bei Ihnen nicht?«, fragte er, während sie ihn prüfend musterte.

»Bislang noch nicht.«

Sein Lächeln wurde breiter. »Gut. Ich mag Frauen, die hart zu knacken sind.« Er richtete sich auf und streckte ergeben die Hände zur Seite. »Na, kommen Sie, was haben Sie schon zu verlieren?«

»Unter normalen Umständen würde ich sagen: meine Tasche. Aber die ist ja nun schon weg.«

»Na, sehen Sie? Das Risiko ist gering. Okay, Sie vertrauen mir nicht.« Das war leicht untertrieben. Vertraute sie überhaupt noch einem Mann auf dieser Welt? »Und ich nehme es Ihnen nicht übel. Ein umwerfend gut aussehender Mann spaziert in ein Café und spendiert Ihnen ungefragt einen Kaffee? Bietet an, Ihnen die Stadt zu zeigen? Ziemlich verdächtig.«

»Durchaus.«

»Gut. Sie haben gesagt, Sie wollen den Louvre besuchen? Gehen wir in den Louvre. Ich zeige Ihnen meine Lieblingsbilder, und wenn ich Sie bis zum Abendessen noch nicht umgebracht habe, gestatten Sie mir, dass ich Ihnen einen ganz besonderen Ort zeige. Einen Ort, der in keinem Reiseführer steht.«

Allmählich gingen ihr die Argumente aus. Das klang nach einem guten Plan. Sie würden sich an einem öffentlichen Ort aufhalten, und sie hatte Zeit, ihm noch ein bisschen auf den Zahn zu fühlen. Und wenn er sich nicht als Oberpsycho entpuppte, nun, jeder musste schließlich irgendwann etwas essen, oder?

Dennoch erhielt sie ihre skeptische Haltung aufrecht. Es gefiel ihr viel zu gut, wie er sich mühte, sie zu überzeugen. »Ich weiß ja noch nicht einmal, wie Sie heißen.«

Diese Grübchen, wenn er einen Mundwinkel nach oben zog … Das war nicht fair. Erneut streckte er ihr die Hand entgegen und stellte sich vor: »Rylan. Sehr erfreut.«

Rylan. Das war ungewöhnlich. Es gefiel ihr.

»Kate«, erwiderte sie und legte ihre Hand in seine, da ihr kein überzeugendes Argument mehr einfiel, das dagegensprach. Seine warmen Finger schlossen sich um ihre, sein Daumen strich über ihre Hand, und – oh, dieser Casanova – er beugte sich vor, zog ihre Hand zu sich heran und gab ihr einen Handkuss.

»Bezaubernd.«

»Ach was.« Doch ihr Puls beschleunigte sich, und der Kuss fühlte sich an, als würde er eine heiße Spur bis zu ihrem Rückgrat hinterlassen.

Dieser Mann war gefährlich.

Er richtete sich auf, ohne jedoch ihre Hand loszulassen. Mit dem freien Arm zur Tür deutend fragte er: »Also?«

»Mhm«, machte sie und blickte zu ihm hoch, als stünde es noch zur Debatte, was sie tun würde. Seine blauen Augen funkelten, als wüsste er genau wie sie, dass ihre Entscheidung längst gefallen war.

»Nun.« Sie stand auf und fühlte sich größer als üblich. Stärker. Vielleicht lag es daran, dass ein Mann wie dieser ihr derart schmeichelte. Vielleicht aber auch daran, dass sie im Begriff war, eine so leichtsinnige Entscheidung zu treffen. Wie dem auch sei, es führte jedenfalls dazu, dass sie die Schultern straffte und ein wenig die Hüften schwang.

»Nun?«

»Gehen wir«, sagte sie.

Er ließ nicht von ihrer Hand ab. »Ich hatte gehofft, dass du das sagst, Kate.« Er drückte kurz ihre Finger und tat einen Schritt in Richtung Tür. »Widmen wir uns ein bisschen der Kunst.«

Von äußeren Zwängen einmal abgesehen, war sie nach Paris gekommen, um sich von der Schönheit dieser Stadt inspirieren zu lassen. Einer Schönheit, die sie in den Mauern eines berühmten Museums finden konnte. Ebenso wie in der geschwungenen Linie zwischen Schultern und Hals dieses Mannes. Letzteres hatte sie vielleicht nicht im Kopf gehabt, als sie sich auf den Weg nach Paris gemacht hatte, aber was war schon gegen eine kleine Planänderung einzuwenden?

Schließlich konnte man nicht zu sich selbst finden, ohne unterwegs ein paar Umwege zu machen.

Auf dem Weg zum Ausgang des Cafés entwand ihm das Mädchen – Kate – ihre Hand. Ein wenig enttäuschend, aber nicht weiter beunruhigend. Rylan griff an ihr vorbei, um ihr die Tür aufzuhalten, und schob sie hindurch, indem er sanft eine Hand auf ihren Rücken legte. Er folgte ihr auf den Bürgersteig hinaus und deutete die Straße hinunter. »Es ist nicht weit. Hast du Lust, ein Stück zu gehen?«

»Klar.«

Sehr gut. Um diese Jahreszeit erwachte Paris zum Leben, Bäume und Blumen standen in voller Blüte, der Himmel erstrahlte in leuchtendem Blau. Jetzt, da der Sommer vor der Tür stand, erschien selbst der Verkehr nicht ganz so erdrückend wie üblich. Der Touristenstrom verstopfte zwar die Bürgersteige, doch zumindest lächelten die Reisenden hin und wieder.

Auf dem Weg zum Museum ging sie neben ihm her. Wann immer das Gedränge zu groß wurde, nutzte er die Gelegenheit, eine Hand auf ihre Hüfte zu legen und sie zu sich heranzuziehen, wobei er die Finger einen Augenblick zu lange dort beließ. Sie passte perfekt an seine Seite. Jedes Mal, wenn ihre Körper sich streiften, durchfuhr ihn ein erregendes Kribbeln, das in ihm das Verlangen weckte, sie dichter an sich zu ziehen.

Das Ganze schien sie zu amüsieren. Doch ihre geröteten Wangen ebenso wie die Tatsache, dass sie sich nicht gegen seine Berührungen wehrte, vereitelten ihr Bemühen, sich gänzlich unbeeindruckt zu geben.

Als sie an einer Ampel warten mussten, wich sie jedoch zurück und wandte sich zu ihm um. »Also. Rylan.«

Ein warmer Schauer rieselte über seinen Rücken. Wie wundervoll sein Name von ihren Lippen klang. Deutlich besser, als Theodore Rylan Bellamy III je geklungen hatte. Er hatte sich erst kürzlich von den letzten Bürden seines Vaters befreit, von seinem Namen allerdings schon vor Jahren. Dennoch musste er immer noch lächeln, wenn die Leute es einfach hinnahmen, dass er sich mit seinem zweiten Vornamen vorstellte. Seiner Familie hatte das nie gepasst.

Er ignorierte den Anflug von Ärger, den dieser Gedanke in ihm auslöste, sah seiner Begleiterin in die Augen und imitierte ihren Tonfall. »Kate.«

Sie musterte ihn von oben bis unten. »Erzähl mir etwas von dir.«

Natürlich. Das hier war schließlich kein offener Flirt. Er hatte sie gefragt, ob sie mit ihm ins Museum gehen würde, nicht ins Bett, verdammt. Und nun wollte sie sich mit ihm unterhalten. Ihn kennenlernen.

Schon allein bei der Vorstellung empfand er eine innere Leere.

Er schob die Hände in die Hosentaschen, verlagerte das Gewicht und ließ den Blick zwischen ihren Augen und dem vorbeifließenden Verkehr hin und her wandern. »Da gibt es nicht viel zu erzählen.« Lügner. »Ich bin ein gelangweilter Ausländer, der sich eine Weile in Paris rumdrückt und skrupellos einsamen Touristinnen die Stadt zeigt, um im Gegenzug ihre Gesellschaft zu genießen.«

»Wie kommst du darauf, dass ich einsam bin?«

Schulterzuckend legte er ihr erneut eine Hand auf den Rücken, als die Ampel auf Grün umsprang. Während sie die Straße überquerten, spürte er durch ihre Jacke hindurch ihre Körperwärme. »Du wirkst so.«

»Ich könnte mit einer ganzen Horde von Freunden hier sein oder mit meiner Familie. Meinem …«, sie hielt den Atem an, »… Freund.«

Dahinter verbarg sich eine Geschichte, eine schmerzhafte Erfahrung. Er war versucht nachzubohren, dem auf den Grund zu gehen.

Doch wenn er in ihrem Schmerz herumgrub, hatte sie das Recht, dasselbe bei ihm zu tun.

Er zögerte einen Moment, dann entgegnete er unbekümmert: »Ah. Aber dann wärst du doch mit einem von denen unterwegs, stattdessen bist du mit mir hier.«

Dem widersprach sie nicht, doch als sie den Bürgersteig auf der anderen Seite erreichten, rückte sie etwas von ihm ab. Dann wechselte sie das Thema: »Wie lange – wie hast du das genannt – drückst du dich schon in Paris rum?«

»Seit ungefähr einem Jahr. Wenn es mir zu langweilig wird, treibt es mich von Zeit zu Zeit woandershin, aber man kann es deutlich schlechter treffen als hier in Paris.«

»Und was machst du?«

Nichts. Nicht mehr. »Ich jobbe hier und da«, wich er aus. Manchmal fühlte sich das, was er tun musste, um an sein Geld zu kommen, tatsächlich wie Arbeit an. »Aber ich habe nicht viele Ausgaben. Faszinierenden Frauen einen Kaffee auszugeben reißt nicht gerade ein Loch in meine Brieftasche.«

»Hm.« Ihr Mundwinkel glitt nach unten.

»Gefällt dir die Antwort nicht?«

»Ich bin mir sicher, dass das nicht alles ist.«

Scharfsinnig. »Da muss ich dich leider enttäuschen.«

»Wo wohnst du? In einem Hostel oder so?«

Er zögerte. »So etwas in der Art.« Schließlich fühlte sich lediglich das Bett in der Wohnung so an, als würde es ihm gehören. »Und du? Wohnst du in einem Hostel?« Wenn sie sparen musste, war das naheliegend.

»Ja.«

»In welchem?«

Sie verdrehte die Augen. »Als ob ich dir das verraten würde.«

»Na gut. Dann warte ich eben, bis ich dich nach Hause bringe.«

»Ist das eine Drohung?«

»Ein Angebot. Das du hoffentlich annimmst.« Er beugte sich dichter zu ihr und atmete den Duft ihrer Haare ein. Vanille und Rose. Süß und warm. Der Duft gefiel ihm, er erweckte etwas in ihm. »Denn ich würde dich sehr gern …«, seine Lippen streiften ihr Ohr, »… heute Abend nach Hause begleiten.«

Ein Schaudern durchfuhr ihren gesamten Körper. Sie ballte die Hände zu Fäusten, dabei streiften ihre Knöchel seine Schenkel, und er triumphierte innerlich.

Dann verschränkte sie die Arme über der Brust und trat einen kleinen Schritt zur Seite. Was ihm einen leichten Stich versetzte. Doch sie konnte ihm nichts vormachen.

Amüsiert ließ er ihr ihren Raum. Auch wenn sie sich noch zierte, allmählich freundete sie sich mit der Idee an. Da machte er sich keine Sorgen.

Er stupste sie mit der Schulter an. »Und du? Erzähl mir etwas von dir.«

»Da gibt es nicht viel zu erzählen«, erwiderte sie in Anspielung auf seine eigene Antwort. Sie kniff kurz die Augen zusammen, dann zuckte sie mit den Schultern. »Ich stamme aus Ohio, habe aber in New York studiert. Meine Mutter schickt mir paranoide E-Mails und fragt mich einmal pro Tag, ob ich schon überfallen worden bin.«

Er wich zurück. »Na, dann hast du ihr heute ja wenigstens was zu erzählen.«

»Ja.« Nachdenklich tastete sie die Seite ihres Körpers hinab, wo die Tasche gehangen hatte. »Da habe ich vier Jahre in dieser miesen Gegend in Brooklyn gewohnt, nur um in Paris beklaut zu werden.« Sie senkte den Blick. »Meine Mom hat mich davor gewarnt, weißt du? Sie meinte, Paris wäre eine Stadt voller Diebe.«

Ihre Miene wurde immer bedrückter. Au Mann, sie hatte ihre Gefühle wirklich nicht unter Kontrolle, ganz anders als die Menschen, mit denen er sich früher abgegeben hatte. Die hätten für eine solche Naivität nur Verachtung übriggehabt. Hier und jetzt jedoch weckte sie in ihm ein seltsam zärtliches Gefühl, was eine ganz neue Erfahrung für ihn war. Gern hätte er den traurigen Zug um ihre Lippen fortgewischt – oder noch besser: fortgeküsst. Er wollte wissen, woher diese Traurigkeit kam. Ihre Reaktion ergab für ihn keinen Sinn.

Anstatt sie zu berühren oder weiter nachzufragen, lenkte er das Gespräch daher auf ein unverfänglicheres Thema. »Lebst du mit deiner Mutter allein?«

»Mehr oder weniger. Mein Vater … spielt keine Rolle mehr.« Ihrem Ton nach zu urteilen, verbarg sich auch dahinter ein Minenfeld. Sie verschränkte die Arme. »Und du?«

Apropos Minenfeld …

Bevor ihm eine Ausrede einfiel, um nicht über seine katastrophale Familie sprechen zu müssen, bogen sie um eine Ecke, und er atmete erleichtert aus. Er reckte den Hals und zeigte geradeaus.

»Siehst du da vorne die Banner?«

Kate folgte seinem Blick und stellte sich auf die Zehenspitzen. Zum Glück war sie leicht abzulenken. »Ja?«

Rylan nahm ihre Hand und verlor sich erneut in dem Gefühl ihrer weichen Haut. Er leckte sich über die Lippen und schluckte. »Komm. Wir sind fast da.«

Um das Museum herum waren die Touristenmassen dichter, allerdings noch nicht so schlimm wie im Juli. Sie ließ es zu, dass er seine Finger mit ihren verschränkte und beschleunigte ihren Schritt, während sie sich über den Bürgersteig schlängelten. Schließlich erreichten sie die hohen Mauern des Louvre, und er zog sie mit sich durch den Torbogen.

»Ist der Eingang nicht in der Pyramide?«, fragte sie atemlos und spielte auf den berühmten Eingang des Museums an.

Er wandte sich zu ihr um und zwinkerte ihr zu. »Würde ich es wagen, dich auf anderem Weg hineinzuführen?«

Sie betraten den gepflasterten Hof. Er ließ ihre Hand los und breitete die Arme aus. Tada. »Ihre Pyramide, Madame.«

Peis Pyramide. Eine Konstruktion aus Stahl und Glas, die den Haupteingang des Museums beherbergte. Rylans Mutter hatte sie stets verabscheut, doch er hatte nichts gegen das Ding. Außerdem stand sie in allen Reiseführern und in den Französischbüchern der amerikanischen Highschools. Normalerweise wollten alle Touristen sie sehen.

Sie betrachtete das Bauwerk eine Weile, dann verzog Kate das Gesicht zu einer Grimasse. »Sie ist so viel cooler und zugleich lange nicht so beeindruckend, wie ich sie mir vorgestellt habe.«

Nun ja, zumindest war sie ehrlich. Lachend warf er den Kopf in den Nacken. »Willkommen im internationalen Tourismus.« Er grub in der Tasche nach seinem Telefon. »Soll ich ein Foto von dir machen?«

»Eigentlich schon. Ja.«

»Stell dich dorthin.« Er deutete auf eine Stelle, wo er sie und die Pyramide gut einfangen konnte. Der Himmel erstrahlte in makellosem Blau, die Sonne ließ ihr Haar rötlich schimmern. Ihr Fotolächeln war nicht ganz so faszinierend wie ihr echtes, aber er nahm es trotzdem. »Sag ›Fromage‹.«

Er drückte ab und zeigte ihr das Bild, dabei rechnete er mit der leicht verlegenen Miene, die alle Frauen an den Tag legten, wenn er ihnen ein Foto von ihnen präsentierte, doch stattdessen nickte sie nur. »Guter Bildaufbau.«

Er stutzte. Sie hatte den ganzen Tag über zeichnen wollen und war nur mit ihm mitgegangen, weil er angeboten hatte, sie in den Louvre zu führen. Demzufolge durfte ihn ihre Bemerkung eigentlich nicht überraschen. Dennoch stieg sie in seiner Achtung. Wenn sie etwas betrachtete, sah sie genau hin. Sie sah mehr.

Plötzlich gewann die Vorstellung, mit ihr durch das Museum zu streifen, beträchtlich an Reiz.

Er blickte erneut auf das Foto, dann wechselte er zurück zur Kamera-App. »Mit einer so hübschen Frau im Bild ist das nicht schwer.«

Sie richtete den Blick gen Himmel und wollte schon weitergehen, als er sie am Arm zurückhielt.

»Was ist?«

»Noch eins.«

»Das eine genügt«, widersprach sie.

»Noch eins für mich.« Er wirbelte sie herum und legte den Arm um ihre Schulter. Es war eine billige Masche, aber er konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihr nahe zu kommen. Erneut umwehte ihn ihr Duft, er atmete ihn ein und genoss das Gefühl, sie an seiner Seite zu spüren. Erst dann streckte er den Arm aus, um ein Selfie zu machen, und setzte sein charmantestes Grinsen auf.

Ihr Lachen klang eher nachsichtig als bezaubert, doch damit konnte er leben. »Und mit dieser Masche kommst du normalerweise auch an?«, fragte sie.

Er drückte auf den Auslöser. »Sogar noch besser als mit der Reiseführer-Masche.« Scherzhaft schlug er an ihrem Ohr die Zähne aufeinander. »Weil ich so eine Ausrede habe, dich zu berühren.«

Er tat übertrieben beleidigt, drückte sie noch einmal an sich und ließ sie dann los. Obwohl sie nur einen kleinen Schritt zur Seite trat, hinterließ der Verlust ein kaltes Gefühl an seinen Rippen. Im Geiste schüttelte er den Kopf über sich.

Bevor er der Versuchung nachgeben konnte, sie erneut an sich zu ziehen, und diesmal ohne Ausrede, richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Display. Der Anblick versetzte ihm einen Stich. Sie sahen gut zusammen aus. Wie ein wirklich glückliches Paar – das es angeblich gar nicht gab, wie man ihm beigebracht hatte. Ihre Augen funkelten, und sie strahlte über das ganze Gesicht.

Und er ebenso. Nichts an seiner Miene wirkte gezwungen oder aufgesetzt, und gerade das schnürte ihm die Kehle zu. Dieses hier war keins der üblichen Selfies, die er sonst mit Mädchen aufnahm. Keins dieser schrecklichen Fotos, die er auf den Stufen des Justizpalastes machte. Keins der anderen. Von früher.

Er ballte die Hände zu Fäusten und musste sich zwingen, sie wieder zu lösen.

Entschieden verdrängte er diesen Gedanken und schaltete das Display aus. »Du musst mir sagen, wo ich sie dir hinschicken soll.«

Ohne etwas von seinen Gedanken zu ahnen, hob sie eine Braue. »Ach, jetzt habe ich dich durchschaut. Du willst meine E-Mail-Adresse haben.«

»Ja«, erwiderte er trocken. »Das ist alles nur ein cleverer Trick, damit ich dich in alle erdenklichen Mailinglisten für Potenzmittel eintragen kann.«

Sie musterte ihn skeptisch. »Werde ich die denn brauchen?«

Gut gekontert. »Nicht, wenn du mich heute Abend mit nach Hause nimmst.« Er hakte sich bei ihr ein. »Komm. Die Meisterwerke warten.«

»Bist du sicher, dass wir immer noch im Museum sind?« Kate drehte sich einmal im Kreis und sah sich ehrfürchtig um. »Der Laden ist ja riesig.«

Die gewölbten Gänge schienen über ihr zu schweben, und die Decken waren beinahe ebenso beeindruckend wie die Gemälde. Obwohl die Werke viele hundert Jahre alt waren, die Ölfarbe getrocknet und der Lack gesprungen war, roch es hier irgendwie überall nach Kunst. Durch ihre meisterhafte Darstellung leuchteten die Figuren auf den Leinwänden, und etwas in Kate schien ebenfalls zu leuchten.

Ihr erster Besuch im Metropolitan Museum hatte sie auch begeistert. Doch da hatte sie ja noch keine Ahnung gehabt.

Sie beendete ihre langsame Drehung und richtete den Blick wieder auf die Mitte des Raums. Auf Rylan. Er hatte die Arme über der breiten Brust verschränkt und warf ihr einen derart leidenschaftlichen Blick zu, dass ihr ein Schauer über den Rücken lief.

Andererseits hatte sie das Met auch nicht mit einem Mann wie diesem besucht.

Wenn sie daran dachte, dass sie zuerst gezögert hatte, sich von ihm hier herumführen zu lassen. Sie hasste es, durch Museen zu hetzen, und war entschlossen gewesen, sich Zeit zu lassen. Und Rylan hatte die ganze Zeit über geduldig danebengestanden, bis sie sich sattgesehen hatte, und am Ende jeder Gemäldereihe gewartet, um ihre Hand zu nehmen. Seine großen kräftigen Finger schlossen sich fest um ihre Hand, und sein überaus männlicher Duft, der sich mit dem Holz- und Politurgeruch des Museums mischte, stieg ihr zu Kopf.

Sie schluckte und riss sich zusammen. Er war praktisch ein Fremder – eigentlich durfte es ihr nicht so leichtfallen, hier so vertraut mit ihm umherzustreifen. Und doch fühlte sie sich an seiner Seite wohler als mit jedem anderen Freund, mit dem sie schon mal ein Museum besucht hatte. Und ganz sicher wohler als sie sich je mit Aaron gefühlt hatte. Vielleicht lag es ja gerade daran, dass Rylan ihr so fremd war. Sie musste nicht vorgeben, jemand zu sein, der sie nicht war. Wenn sie nicht wollte, musste sie ihn nie wiedersehen. Sie hatte also nichts zu verlieren.

Er fing ihren Blick auf und deutete mit dem Kopf auf den nächsten Raum – eine stumme Einladung, mit der er sie fragte, ob sie bereit war weiterzugehen. Sie nickte und ging zu ihm. Die Wärme seiner Hand sickerte in ihren unteren Rücken, doch sie zuckte nicht zurück. Verrückt, wie schnell sie sich an diese kleinen Berührungen gewöhnte. Wie lange kannten sie sich? Ein paar Stunden?

Ein paar wundervolle Stunden.

Sie hatten bereits eine Menge Highlights des Louvre gesehen. Die beeindruckende Statue der Nike von Samothrake, die deutlich größer und viel beeindruckender war, als Kate erwartet hatte. Die kleine, hinreißende Venus von Milo. Um die Mona Lisa aus der Nähe zu betrachten, hatten sie sich, sehr zu Rylans Verdruss, anstellen müssen. Als er sie auf diese seltsam amüsierte, spöttische Art gefragt hatte, ob sie mit dem Bild zufrieden sei, hatte sie ihn geschubst. Dass viele, die sie gesehen hatten, von diesem Werk enttäuscht waren, hatte sie schon vor ihrem Besuch gewusst, aber das war ihr egal. Hauptsache, sie hatte es gesehen. In natura.

Im Geiste warf sie all ihre Pläne für ihre Woche in Paris über den Haufen. Sie musste unbedingt noch einmal allein mit ihrem Zeichenheft, mit Stiften und Ölkreiden wiederkommen und einen ganzen Tag hier verbringen.

»Du durchlebst gerade einen wahren Kunst-Orgasmus, stimmt’s?«, fragte er und ließ von ihr ab, damit sie näher an eines der Gemälde treten konnte.

Inzwischen befanden sie sich in einem eher abgelegenen Teil des Museums mit großen klassischen Werken, die in leuchtenden Farben Szenen aus Legenden und Mythen darstellten – Rylan hatte darauf bestanden, dass sie sich auch diesen Bereich ansahen. Eigentlich war sie für solche Werke gar nicht hergekommen, doch überrascht stellte sie fest, wie schnell sie sich bei der Betrachtung dieser Gemälde in ihnen verlor.

Sie wollte es Rylan erzählen, doch als sie sich zu ihm umwandte, sah er sie erneut mit diesem Blick an. Sie zögerte.

Nicht, dass sie sich irgendwelchen Illusionen hingab. Ihr war klar, dass er aus keinem anderen Grund hier war, als sie zu verführen. Er investierte zwar deutlich mehr Zeit und Energie in das Vorhaben, als sie es irgendeinem Mann zugetraut hätte, dennoch ging es noch immer darum, sie abzuschleppen.

In dieses Bild passte allerdings nicht ganz, dass er sie fortwährend mit diesem Blick ansah. Als sähe er, ungeachtet seines eigentlichen Vorhabens, mehr an ihr als nur ihre Brüste.

Grinsend wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder den Gemälden zu. »Die sind fantastisch.«

»Es wird noch besser.«

Schwer zu glauben, aber wie könnte sie dieser Verheißung widerstehen?

»Was mich an europäischen Museen wirklich beeindruckt«, sagte er über seine Schulter hinweg, während er in den nächsten Ausstellungsraum voranschlenderte, »ist die schiere Größe.«

Sie folgte ihm durch den Durchgang und sah sich um. Wow. Er hatte nicht übertrieben. Deckenhohe Gemälde überzogen die Wände des riesigen Saals. Die Leinwände mussten gut sechs Meter hoch, einige von ihnen bis zu doppelt so breit sein.

»Heiliger Strohsack.« Ehrfürchtig drehte sie sich um und versuchte, alles in sich aufzunehmen. Sie zeigte auf ein Gemälde am Ende des Raums. »Das da ist ja größer als meine gesamte New Yorker Wohnung!«

Es war zwar nur ein winziges Ein-Zimmer-Appartement, aber trotzdem.

»So etwas sieht man in amerikanischen Museen nicht, oder?«, fragte er.

Er stand jetzt hinter ihr, und sein warmer Atem strich über ihr Ohr. Es fühlte sich … angenehm an. Aber nicht angenehm genug, um sie davon abzubringen, die Bilder um sich herum zu betrachten.

»So etwas habe ich noch nirgendwo anders gesehen.«

Sie trat vor, löste sich von seiner Körperwärme und ging zu dem Gemälde an der gegenüberliegenden Wand. Er ließ sie gewähren, setzte sich breitbeinig auf die Bank in der Mitte des Raums, beugte sich lässig vor und stützte die Ellenbogen auf den Schenkeln ab. Obwohl sie ihm den Rücken zuwandte, nahm sie seine Gegenwart überdeutlich wahr – was ihr in diesem riesigen Saal irgendwie unverhältnismäßig erschien.

»Früher war das eines meiner Lieblingsbilder«, sagte er und deutete auf die Leinwand, vor der sie gerade stand.

»Ach?« Die Komposition und die Anordnung der Figuren zogen den Blick des Betrachters auf faszinierende Weise in das Bild hinein. Nachdenklich legte sie eine Hand an den Mund und las die neben dem Gemälde angebrachte Beschriftung. »Zeus und Hera?« Sie trat einen Schritt zurück und legte den Kopf schräg.

Die beiden Figuren saßen in einem Garten und blickten einander tief in die Augen. Ein Lächeln umspielte Zeus’ Lippen.

»Sie sehen glücklich aus.« Kate hörte seiner Stimme deutlich an, dass er die Achseln zuckte.

Tatsächlich? Der König und die Königin der griechischen Götterwelt waren nicht gerade für ihr vorbildliches Eheleben bekannt. Und wie vielen Opfern hatten ihre Eifersuchtsanfälle und ihr Groll den Tod gebracht? Sie runzelte die Stirn. »Das ist eine ungewöhnliche Darstellung.«

Er kicherte hinter ihr. »Ja. Sehr ungewöhnlich.« Und nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Vermutlich hat es mir deshalb so gut gefallen.«

»Mhm«, brummte sie und forderte ihn damit auf, ihr das näher zu erläutern.

»Es schien mir eine Erinnerung daran zu sein, dass sie trotz überwiegend schlechter Zeiten auch andere Momente miteinander geteilt haben. Sie hatten auch gute Zeiten.«

Das stieß ihr sauer auf. »Was nichts daran ändert, dass er die halbe Götterwelt geschwängert hat.«

Wenn ihre Mutter nicht auf die guten Zeiten mit ihrem Vater hereingefallen wäre … Wenn die guten Zeiten mit Aaron sie selbst nicht so blind gemacht hätten …

»Und den Großteil der Menschheit ebenfalls«, stimmte Rylan mit leicht ironischem Unterton zu. »Aber dennoch. Mir hat damals die Vorstellung gefallen, dass es eine Zeit gegeben hat, in der sie offenbar glücklich miteinander waren.«

»Damals?«

Er grinste ironisch. »Irgendwann müssen wir alle erwachsen werden.«

Sie schwiegen einen Moment, während Kate das Gemälde betrachtete.

Als er weitersprach, hallte seine Stimme durch den Saal. »Das erste Mal bin ich mit vielleicht … acht, neun Jahren hier gewesen.« Der Schatten der Vergangenheit legte sich auf sein Gesicht. »Ein paar Jahre, bevor meine Eltern sich scheiden ließen.« Er räusperte sich. »Meine Mutter hat mich mit hierhergenommen. Ich habe dieses Bild entdeckt und konnte mich nicht mehr davon lösen.« Er lächelte traurig. »Meine Schwester hat sich über mich lustig gemacht, weil ich all die riesigen Schlachtenbilder ignoriert habe, um zwei Menschen zu betrachten, die noch nicht mal nackt waren.«

Kate blickte über ihre Schulter zu ihm nach hinten. Wenn man bedachte, wie ausweichend er vorhin geantwortet hatte, waren das … ziemlich viele Informationen auf einmal. Sie wandte sich erneut dem Gemälde zu und überlegte, wonach sie ihn noch fragen könnte. Nicht nach der Scheidung – dieses Thema rührte zu sehr an ihren eigenen Schmerz –, das würde sie sich für später aufsparen. Schließlich entschied sie sich für die Frage: »Du bist schon als Kind nach Paris gekommen?«

»Mit der ganzen Familie. Durch den Beruf meines Vaters sind wir ziemlich oft umgezogen.«

»Was hat er gemacht?«

»Finanzkram. Ziemlich langweilig. Und das ist sehr, sehr lange her.«

Sie sah ihn skeptisch an. »Allzu lange kann es nicht her sein. Wie alt bist du?«

»Siebenundzwanzig. Und erzähl mir nicht, neunzehn Jahre wären keine lange Zeit.«

Bei ihm klang es wie ein ganzes Leben. Für sie war es das fast.

»Das ist eine lange Zeit. Ich bin erst zweiundzwanzig.«

»So jung ist das nun auch nicht.«

Sie dachte einen Moment nach. »Es ist alt genug.«

»Alt genug wofür?« Seine Frage klang anzüglich und provozierte sie zu einer kühnen Antwort. »Um nicht auf Typen wie dich hereinzufallen?«

»Typen wie mich?« Er klang gespielt beleidigt. »Männer, die dich in ein schönes Museum führen?« Er stand auf, war mit einem Schritt bei ihr und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. »Männer, die nichts anderes wollen, als dir ihren riesig großen …«

Sie lachte, halb amüsiert, halb angewidert, und schob ihn fort.

»Kunstverstand zu präsentieren? Ich wollte Kunstverstand sagen.«

»Ganz bestimmt.«

»Ja.« Er breitete die Arme aus. »Und, gefällt dir, was du siehst?«

Sie konnte nicht lügen, noch nicht einmal ein bisschen schwindeln. Erneut drehte sie sich langsam im Kreis und prägte sich alles genau ein. Als sie wieder bei ihm ankam, löste sich etwas in ihr. Aus seinem Gesicht war jegliche Ironie, jegliche Anzüglichkeit gewichen, er stand einfach nur da und wartete auf ihre Antwort.

Es schien, als würde ihn ihre Meinung tatsächlich interessieren.

Aus einem Impuls heraus trat sie ganz nah an ihn heran. »Ja.« Was sie dann tat, war dumm. Aber sie tat es – sie beugte sich vor und hauchte ihm blitzschnell einen Kuss auf die Wange. »Sogar sehr. Danke.«

Er grinste, als sie davontanzte, noch bevor er sie ganz zu sich heranziehen konnte. »Heißt das, du bist einverstanden, dass ich dich heute nach Hause begleite?«

Aufregung erfasste sie. Wäre das nicht schön? Er hatte sich so sehr um sie bemüht, und sie hatte jede Minute mit ihm genossen. Nachdem sie monatelang auf der Hut gewesen war und ihre Bitterkeit genährt hatte, war es verlockend, einfach loszulassen. Ausnahmsweise einmal Ja zu sagen. Er war witzig und intelligent, charmant und einfach hinreißend. Sie hätte es schlechter treffen können. Aber sie war sich nicht ganz sicher, ob sie es nicht auch besser treffen könnte.

Und außerdem hätte sie nie gedacht, dass es so unterhaltsam sein könnte zuzusehen, wie sich ein Mann um sie bemühte.

Mit federndem Schritt ging sie in Richtung Ausgang. »Fangen wir doch damit an, dass wir zusammen abendessen gehen.« Sie sah sich nach ihm um und lächelte über seine überaus selbstgefällige Miene. »Mehr verspreche ich nicht.«

»Das würde ich auch niemals erwarten.«

»Und es sollte ein gutes Restaurant sein.« Sie verlangsamte ihren Schritt, damit er sie einholen konnte, und ließ es zu, dass er seine Finger wieder mit ihren verschränkte. Mit seinem Lächeln und seinen Berührungen hatte er sie bereits weit aus der Reserve gelockt. Aber warum auch nicht? Vor allem, wenn es sich so gut anfühlte. »Etwas Originelles. Nichts, das in irgendeinem Reiseführer steht.«

»Keine Sorge.« Ein durchtriebenes Grinsen ließ seine Augen funkeln, und er drückte ihre Hand. »Da kenne ich genau das Richtige.«

KAPITEL 3

K A P I T E L   3      »Ich muss zugeben …«, sagte Kate und leckte sich den Daumen ab.

Diese kleine rosa Zunge machte ihn ganz verrückt. »Hm?«

»Du hast mich überrascht. Hiermit habe ich nicht gerechnet.«

»Was soll ich sagen? Ich stecke voller Überraschungen.«

Und er hatte den Eindruck, dass es ihr gefiel, auf diese Weise überrascht zu werden. Anstatt sie in irgendein lauschiges Restaurant zu führen, was sie vermutlich von ihrem Don Juan erwartet hatte, hatten sie fast eine Stunde am besten Crêpe-Stand von Paris angestanden und dann Galettes bei einem Mann bestellt, der sie frisch vor ihren Augen zubereitet hatte. Eier, Zwiebeln, Champignons und Spinat in einen butterigen Crêpe eingeschlagen für Kate. Für ihn Schinken und Käse, und einen zweiten mit Nutella und Banane als Dessert, den er in der freien Hand hielt. Er hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, ihr diesen vom Körper lecken zu dürfen, doch wirklich wichtig war ihm das inzwischen nicht mehr.

Dafür amüsierte er sich zu gut. Durch das Quartier latin zu streifen, mit einem hübschen Mädchen Crêpes zu essen – er biss ein Stück ab und schluckte den Bissen hinunter.

»Was hast du denn erwartet?«, fragte er und stupste sie mit der Schulter an.

»Ich weiß nicht. Du hast so großgetan, dass ich mir Kerzen und Wein vorgestellt habe. Zumindest einen Tisch.«

»Oh, du dachtest, ich würde dich vornehm ausführen.«

Sie warf ihm einen Seitenblick zu.

Er musste aufpassen. Was seine Vermögensverhältnisse anging, hatte er unterschiedliche Signale ausgesendet, und sie war viel zu schlau, als dass es ihr nicht aufgefallen wäre. Wenn sie ihm glauben sollte, dass auch er sein Geld zusammenhalten musste, würde er etwas vorsichtiger sein müssen.

Und das … wollte er tatsächlich. Er hatte dieses Spiel noch nie ernsthaft mit jemandem gespielt. Mit der Black Amex war das Verführen so leicht, dass er sie dieses Jahr schon häufig eingesetzt hatte. Zeigte man sich freigebig, erwiesen sich die Frauen sofort als ebenso freigebig. Es war ganz einfach.

Doch bei dieser Frau … Er hatte gleich zu Beginn spontan beschlossen, bei ihr anders vorzugehen, und jetzt steckte er bereits zu tief drin. Er hatte sich ihr geöffnet, hatte ihr sein Gemälde gezeigt. Als ob es sie auch nur im Geringsten interessieren würde, dass er sich als Junge an die Hoffnung geklammert hatte, seine Eltern würden einander nicht ganz so sehr hassen, wie es immer aussah. Und es hatte sie interessiert. Sie hatte ihn mit diesem gefühlvollen Blick angesehen, mit dem sie tief in seine Seele zu schauen schien, und ihm Fragen über sein Leben gestellt. Sie hatte sich so verhalten, als wäre es tatsächlich von Bedeutung.

Und damit wärmte sie etwas in ihm, das erkaltet war.

Sie richtete den Blick auf ihren Crêpe, zupfte an dem Papier und schmunzelte. »Auf schicke Restaurants kann ich gut verzichten.«

»Ja? Gefällt dir das hier besser?«

»Ja.« Sie biss vorsichtig von ihrem Crêpe ab und kaute. »Und ich glaube, du hast es gewusst.«

»Ich hatte so eine Vermutung.«

Sie gehörte zu den Mädchen, denen das Erlebnis wichtiger war als das Klischee. Das Essen wichtiger als das Ambiente. Sie genoss die Romantik, in einer lauen Nacht durch Paris zu spazieren.

»Richtig vermutet.«

Als sie ihren Hauptgang verspeist hatten, waren sie in einem geschäftigeren Teil des Viertels angekommen. Die bunten Schilder der Restaurants und Geschäfte leuchteten im Dunkeln, das Pflaster schien zu glänzen, und die Atmosphäre war von Leben und von Lärm durchdrungen, was sie jedoch nur entfernt wahrnahmen.

Er warf das Crêpe-Papier in den Mülleimer, dann nahm er ihre Hand und führte sie zu einer niedrigen Steinmauer, die einen Grünstreifen vom Bürgersteig trennte. Im Laufe des Tages hatte sie sich immer mehr an seine Berührungen gewöhnt, und er selbst war inzwischen fast süchtig danach, sehnte sich nach mehr. Er ließ ihre Hand los und strich mit der Rückseite seiner Finger über ihren Rock, dann über die glatte Haut an ihrem Knie. Eine Welle der Lust schoss sein Rückgrat hinauf, doch er zwang sich, die Hand wieder zurückzunehmen. Er atmete gegen die in ihm brodelnde Erregung an, aber dennoch klang seine Stimme deutlich tiefer, als er fragte:

»Hast du schon mal Crêpe mit Nutella gegessen?« Er faltete das Papier auseinander. Der Crêpe war zwar abgekühlt, aber immer noch warm.

»Nein, aber ich habe noch nie erlebt, dass mir etwas mit Nutella nicht geschmeckt hat.«

»Du wirst nicht enttäuscht sein. Das Lustige ist, dass die Dinger eigentlich überall gleich schmecken müssten. Die Füllung kommt aus dem Glas, und der Crêpe besteht aus nichts als Mehl, Milch und Eiern. Aber die Platte, die der da hat, muss irgendwie magisch sein, denn …« Er hob die klebrige, am Rand leicht knusprige Ecke des Crêpes an und führte sie an ihre Lippen. »… das hier ist der beste süße Crêpe der ganzen Stadt.«

»Du schraubst meine Erwartungen ja ziemlich in die Höhe.«

»Und trotzdem wird er dich umhauen.«