Shades of the Caribbean 2 - Abenteuer bei Sir Estorial - Maria Weinberger - E-Book

Shades of the Caribbean 2 - Abenteuer bei Sir Estorial E-Book

Maria Weinberger

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Beschreibung

Der Folgeband zu Shades of the Caribbean

 

Auch in diesem Buch beinhalten die episodenhaft beschriebenen Abenteuer Gewalt und Sex, sowie Dominanz und Submissivität.

Nach dem Zerbrechen von Käpt'n Lessnyas Gruppe dient Marie einige Zeit Sir Estorial, da Lady Surya sich weigert, sie aufzunehmen. Marie ist bei ihm ebenso glücklich wie bei Käpt'n Lessnya, obwohl sie bei ihm nicht so lange ist, wie sie bei Käpt'n Lessnya war.

Marie wird aber letztlich von Sir Estorial entlassen, da sie die Seefahrt nie ganz vergessen kann und ungehorsam ist, wobei Sir Rudgar eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Trotzdem kann sie sich nach ihrer Entlassung nicht entschließen, sich wieder Käpt'n Lessnya anzuschließen. Nachdem auch Lady Surya sie nach wie vor nicht aufnehmen will, beginnt sie ein zielloses Leben, das hauptsächlich aus Trinken und Spielen besteht.

Marie hat das Glück, schließlich auf Lord Conquer zu treffen, einen Herrn, der früher als Pirat tätig war und Marie ein ebenso großzügiges wie herausforderndes Angebot macht.

 

Die Autorin bezeichnet ihr Werk als "bessere Klolektüre", eine ihr nahestehende Freundin nennt es "Schundroman", doch ist es weit mehr als das: eine feine Mischung aus Fluch der Karibik und Shades of Grey, in der die Protagonistin jedoch ihre Submissivität akzeptiert, stolz auf ihr Halsband ist und die Konsequenzen ihrer Unterwerfung geradezu herbeisehnt.

 

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Maria Weinberger

Shades of the Caribbean 2 - Abenteuer bei Sir Estorial

Eine (ein wenig submissiv-masochistische) Erzählung im Piratenmilieu

Für Mattias, der mir drei wunderschöne Monate seines Lebens schenkte, für eine Freundin, die nicht genannt werden möchte, die mir aber sehr viel bedeutet und die mir wesentlich mehr gegeben hat, als ihr bewußt ist, und für Frank, den ich einfach nicht vergessen kann, weil er zu den Menschen gehört, an die man gerne denkt, selbst wenn man ein Jahr lang keinen Kontakt zu ihnen hat. Ebenfalls Dank an "Rudgar", der mir mehr Aufmerksamkeit gewidmet hat, als mir zustand.BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Neuanfang bei Sir Estorial

Ein Erster Maat wird Sklavin

 

 

"Zieh dir etwas Nettes an und komm mit. Wir machen einen Besuch" sagte Lady Sūrya.

 

Einen Besuch? Das war mal etwas anderes als die dauernde Routine im Übungszentrum oder im RosaFrosch.

Mein Alltagsleben von früher hatte mich wieder eingeholt. Nur mit dem Unterschied, dass ich nicht mehr nur alleine an das Übungszentrum gebunden war, sondern auch öfters im RosaFrosch aushelfen durfte. Sogar im Gegenteil. Ich war öfters im RosaFrosch als im Übungszentrum. Im Übungszentrum ging es mit den neu auszubildenden Dienern und zu Master Dibujos Kummer mit den Dienerinnen nur noch schleppend voran. Wochenlang gab es keinen Schüler und keine Schülerin. Master Dibujo hatte sehr viel Freizeit, die er irgendwo in der Stadt verbrachte. Ich konnte mir schon ausmalen, was er dort machen würde, aber ich hatte das nicht zu verurteilen, nicht einmal zu beurteilen. Jedenfalls sah ich ihn praktisch nie. Er kam nicht einmal zum Frühstücken oder zum Essen in das Übungszentrum.

Lady Sūrya wusste wohl wo er zu erreichen war, denn wenn eine neue Schülerin ankam, verständigte ich sie sofort, sie schickte eines ihrer Mädchen los und gleich darauf war Master Dibujo innerhalb kürzester Zeit anwesend. Und in ebenso kürzester Zeit vergnügte er sich mit der Schülerin, was selbstverständlich mit zur Ausbildung gehörte. Nur mich rührte er nicht mehr an, wenn wir uns mal sahen. Aber – wie gesagt – das war seine Entscheidung und ich hatte es zu akzeptieren.

Wenn es Gäste im Übungszentrum gab, sorgte ich für deren Wohl und, da es meistens keine gab, war ich für die toten Zeiten in den RosaFrosch beordert worden, um dort auszuhelfen. Mir war es recht, war ich doch Lady Sūrya dort so nahe, wie es nur ging, bei aller Distanz, die sie zu mir hielt.

 

Aber so gesehen, war es einmal etwas ganz anderes, wenn Lady Sūrya ausging und mich dabei mitnahm.

"Wo geht es denn hin, Lady Sūrya?" fragte ich. –

"Lass dich überraschen. Aber damit du die passende Kleidung findest: Es geht zu einem Herrn. Und leg dann auch dein bestes Benehmen dort an den Tag. Ich weiß, dass du das kannst. Du hast mehr Ausbildung von Dibujo bekommen, als dir bewusst ist."

Mein Herz begann wieder mal zu klopfen. Warum war der Gedanke an einen Herrn so reizvoll für mich? Und zu wem würden wir gehen? Da Lady Sūrya die verschiedensten Kontakte hatte, gab es auch die verschiedensten Möglichkeiten, wen wir besuchen würden. Es konnte auch jemand mir ganz Unbekannter sein. Nur einer war es mit Sicherheit nicht: Sir Rudgar.

Den zu besuchen hatte sie mir streng untersagt, und es war auch immer wieder vorgekommen, dass sie mir eines ihrer Mädchen nachgeschickt hatte, wenn ich in meiner Freizeit unterwegs war, vermutlich um mich zu kontrollieren. Aber ich bin nicht so unerfahren, dass ich es nicht bemerke, wenn mir jemand folgt. Abgesehen davon: Ich hielt mich wirklich an das Verbot und hatte Sir Rudgar nicht mehr gesehen, seit er Käpt'n Lessnya, Lexy und mich an jenem Morgen im CapitaineTrahi besucht hatte. Es hatte auch keinen Briefwechsel gegeben. Nichtsdestotrotz musste ich auch an ihn immer wieder denken. Aber jedesmal wenn ich Lady Sūrya ansah, fiel es mir leicht ihn zu vergessen.

 

Auf mein wiederholtes Bitten hin hatte Lady Sūrya mir erklärt, warum sie nicht meine Herrin sein wollte: "Ich bin zu grausam. Die Mädchen im RosaFrosch arbeiten für mich, aber ich bin nicht ihre Herrin. Genauso ist es mit dir. So funktioniert es gut. Aber wenn ich deine Herrin wäre, hättest du keine Freude mehr mit mir. Deshalb will ich das nicht sein."

Auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, dass Lady Sūrya grausam sein könnte, akzeptierte ich diese Begründung und war froh, einfach so bei ihr sein zu können. Sie ermutigte mich auch immer wieder, doch meine Freiheit auszunützen und neue Freunde kennenzulernen, aber gleichzeitig sah sie, dass meine Wege mich immer wieder in die selbe Art von Spelunken führten und missbilligte das. Mir selber war nicht ganz klar, was ich dort suchte, aber eines war sicher: Ich wollte einfach nicht frei sein. Ich brauchte jemanden, der mir sagte, was zu tun sei, jemanden an den ich mich hängen konnte, der mich beschützen und wenn möglich auch lieben würde. Und für denjenigen würde ich alles tun, alles aufgeben, auch mich selbst.

 

Ich fürchte ich schweife wieder zu sehr ab und verliere mich in Beschreibungen. Um wieder auf den Kern meiner Erzählung zurückzukommen:

Lady Sūrya ging aus, einen Bekannten besuchen, und sie nahm mich als Begleitung mit. Ich wurde völlig im Unklaren gelassen, wohin es ging. Lady Sūrya lachte über meine Unsicherheit. Sie lachte oft, wenn ich mich nicht auskannte oder ratlos war. Aber wenn das ihre ganze angekündigte Grausamkeit war, dann war es etwas, mit dem ich nicht nur leicht klarkommen konnte, sondern das mir sogar als etwas vertrautes Liebenswertes erschien. Ihr Lachen, das jemand Fremder vielleicht als boshaft bezeichnet hätte, war etwas, was ganz charakteristisch für sie war, und ich liebte dieses Lachen an ihr sogar.

Ihre Kleidung war diesmal besonders edel. Sie lief nie wie eine einfache Wirtin umher, sie war immer elegant angezogen, aber diesmal hatte sie sich besonders ins Zeug gelegt. Und mich hatte sie zweimal zurückgeschickt, mich noch einmal umzuziehen, bis ich endlich eine Ausstattung gefunden hatte, die ihr zusagte, in der ich sie begleiten durfte: Ich war allerdings mehr freizügig als elegant gekleidet.

 

Wir gingen etwa eine halbe Stunde, dann kamen wir zu einem Gebäude, das ich am ehesten als kleines Schloß bezeichnen würde; in dieser Gegend war ich noch nie gewesen, obwohl ich der Meinung war, doch schon ziemlich herumgekommen zu sein.

Wir wurden eingelassen, in eine Halle geführt, die man als Thronsaal bezeichnen könnte, denn gegenüber, am anderen Ende, war ein Thron aufgestellt, und darauf saß … Sir Estorial.

 

Ich ertappte mich dabei, wie ich zu lächeln begann, und mein Herz hämmerte wieder mal in meiner Brust.

 

"Sūrya, du bist gekommen, wie schön! Wie geht es dir?" rief Sir Estorial aus, und Lady Sūrya antwortete lächelnd "Eine so nette Einladung von dir kann ich doch nicht ausschlagen. Danke, mir geht es gut. Und dir?" – "Auch gut" meinte daraufhin Sir Estorial. – Lady Sūrya fuhr fort: "Ich nehme an, es bleibt so, wie wir es in den letzten Tagen besprochen haben." – "Selbstverständlich. Bitte nimm doch Platz" und er wies auf die Plätze, die seitlich im Halbkreis neben seinem Thron aufgestellt waren. Es war ebenfalls eine Reihe von Thronen, nur etwas schlichter und kleiner gehalten, als der, auf dem er saß.

Lady Sūrya nahm auf einem von ihnen Platz, recht nahe zu Sir Estorial, und ich blieb seitlich hinter ihrem Sitzplatz stehen.

"Ist Aurora schon angekommen?" fragte Lady Sūrya. – "Ja, sie wird gerade nebenan entsprechend ausstaffiert" antwortete Sir Estorial. – "Ich habe dir das versprochene Geschenk mitgebracht" erklärte Lady Sūrya daraufhin.

Ich war erstaunt. Lady Sūrya hatte mir kein Päckchen zu tragen gegeben und auch selber keines getragen. Sie musste wohl etwas kleines Wertvolles einstecken haben.

"Gut, dann erledigen wir einmal die Formalitäten, bis Aurora fertig ist", meinte Sir Estorial. –

"Jetzt reiß dich zusammen, Marie" raunte Lady Sūrya mir zu. –

"Marie", fuhr Sir Estorial fort, "ich habe vernommen, dass du einen Herrn suchst?" –

Mir blieb einen Moment der Atem weg. Dann fasste ich mich wieder und antwortete "Ja, Sir Estorial, das ist richtig. Ich bin auf der Suche nach einem Herrn." –

"Gut. Dann tritt vor mich hin und trage deine Bewerbung vor" sagte er.

 

Ich spürte meine Knie weich werden, mein Atem ging heftiger und ich begann leicht zu schwitzen.

So ähnlich hatte ich mich seinerzeit gefühlt, als ich Käpt'n Rin geschworen hatte, ihr zu dienen, solange es mich geben werde.

Ich trat vor Sir Estorial, in angemessenem Abstand, und kniete nieder.

"Sir Estorial, ich bitte darum, dass Ihr mich als Eure Dienerin und als Euer Eigentum aufnehmt" sagte ich.

Sir Estorial schmunzelte. "Warum sollte ich dich nehmen, Marie?" fragte er.

Ich war einen kurzen Moment sprachlos. Ich war immer überzeugt gewesen, die Herrinnen und Herren seien so sehr auf der Suche nach Dienern und Dienerinnen, dass es genügte, sich ihnen anzubieten. Dass man sich auch noch selbst anpreisen sollte, kam mir etwas übertrieben vor. Es ging doch nicht darum, dass derjenige, der sich am besten darstellte, angenommen werden sollte, sondern derjenige, der der Beste war.

 

Aber wenn er Wert darauf legte, dann sollte sein Wunsch erfüllt werden.

"Master Dibujo hat im Auftrag von Lady Sūrya mir eine fundierte Ausbildung zukommen lassen. Ich bin über die alltäglichen Arbeitsgänge und wie man sie zur Zufriedenheit seines Herrn erledigt, eingehend unterwiesen worden. Ich bin gehorsam und geduldig, bescheiden, treu und loyal, …" (Lady Sūrya verzog fast unmerklich ihren Mund) "… und ich möchte einem Herrn dienen, dem ich wirklich alles geben kann und der das zu schätzen weiß" sagte ich. Mir kam es sehr schmalzig vor, was ich da über mich sagte, von mir selber aus hätte ich niemals so etwas über mich gesagt, aber es ging darum, Sir Estorial zu überzeugen, mich anzunehmen, und er wollte es in dieser Form haben.

Sir Rudgar hatte es Kasia da leichter gemacht, er hatte ihr einfach vorgegeben, was sie sagen sollte.

Allerdings war das, was Kasia dann zu sagen hatte, etwas heftig gewesen. Ich schätzte es, dass Sir Estorial mich meine Worte frei wählen ließ, gleichzeitig verabscheute ich es, derart lobend über mich reden zu müssen. Ich wollte durch aufrechte Taten überzeugen, nicht durch pompöse Worte.

"Ich will einem Herrn gehören, den ich lieben kann und der für mich auch da ist", schloss ich ab, "bitte, Sir Estorial, nehmt mich an, als Eure Dienerin und als Euer Eigentum".

Ich wagte nicht zu ihm aufzuschauen.

 

"Marie, ich nehme dich als meine Dienerin und als mein Eigentum an" sagte Sir Estorial.

"Komm her, damit ich dir mein Halsband umlegen kann".

Ein Glücksgefühl durchströmte mich. Ich atmete auf. Auf den Knien kam ich näher zu Sir Estorial und hob meine Haare.

Er holte von irgendwo von seinem Thron ein Halsband hervor, offenbar hatte er es bereits neben sich liegen gehabt, und legte es mir an.

 

Zum ersten mal in meinem Leben trug ich ein Halsband für jemanden anderen als für Käpt'n Lessnya, wenn man von der Blutstein-Halskette absieht, die ich anstelle eines Halsbandes für Käpt'n Rin getragen hatte.

 

Ein Halsband!

Endlich.

Endlich gehörte ich wieder jemandem.

Endlich hatte ich wieder einen Herrn, der für mich sorgte und dem ich dafür dienen konnte.

 

Sir Estorial wies auf ein Kissen, das neben seinem Thron auf dem Boden lag. "Knie dich hier hin, Marie". Gerne folgte ich seiner Aufforderung.

 

"Auch wenn du jetzt Esto gehörst, Marie, wir bleiben befreundet, und du bist jederzeit bei mir gerne gesehen" sagte Lady Sūrya.

"Du wirst genug Zeit haben, Sūrya öfters mal zu besuchen", bestätigte Sir Estorial, "das ist mit ihr abgesprochen." – "Ja, es war gewissermaßen ein abgekartetes Spiel", meinte Lady Sūrya lächelnd.

"Wir wollten nicht, dass du Rudgar zu nahe kommst" fügte sie noch hinzu.

 

"Mittlerweile müsste eigentlich Aurora bereit sein", meinte Sir Estorial.

In diesem Moment betrat eine gutaussehende Frau, ein wenig jünger als ich, und ähnlich reizvoll wie ich gekleidet, durch eine Seitentür den Thronsaal.

"Aurora", sagte Sir Estorial, "das ist Marie" er wies auf mich "sie hat sich mir soeben unterworfen. Komm her, knie nieder und trage deinen Wunsch vor".

Zu mir gewandt erklärte er: "Aurora war vor einiger Zeit einmal meine Dienerin. Unsere Wege haben sich getrennt, aber jetzt hat sie wieder hierher gefunden und will wieder ihre Dienstbarkeit fortführen."

Ich blickte kurz auf, sah Aurora an, lächelte unwillkürlich dabei, und senkte sofort wieder meinen Blick.

Aurora lächelte ebenfalls kurz zurück, kniete dann vor Sir Estorial nieder, an derselben Stelle, die ich gewählt hatte, und brachte ihre Bewerbung vor. Ich erinnere mich nicht mehr an ihren genauen Wortlaut, aber sie sagte etwas Ähnliches wie ich gesagt hatte, nur klang es meiner Meinung nach eleganter und prägnanter als meine Worte. Allerdings auch noch um einiges schleimiger.

Doch Sir Estorial schien damit zufrieden zu sein, denn er legte auch Aurora sein Halsband um und wies ihr einen Platz auf einem Kissen auf der anderen Seite neben ihm zu.

 

Wir knieten neben unserem Herrn.

Und ich fühlte mich großartig dabei. Alleine das gemeinsame Knien verband bereits Aurora und mich zu Schwestern.

 

"Gut seht ihr aus", meinte Lady Sūrya.

"Ich bin glücklich, dass das Haus Estorial wieder auflebt" sagte Sir Estorial.

Aurora und ich hielten unseren Mund. Wenn Herren sprechen, haben subs zu schweigen.

 

 

In den nächsten Wochen hatte ich einiges zu lernen. Aurora, die bereits Sir Estorial gedient hatte, brauchte immerhin auch eine Auffrischung ihrer Erinnerungen.

Mein Halsband war aus schwarzem Leder, in das eine ovale silberne Plakette eingearbeitet war. "Eigentum von Sir Estorial" war darauf eingraviert. Aurora trug ein gleichaussehendes Halsband.

Ich trug es ununterbrochen, selbst nachts, wenn ich wie gewohnt nackt schlief, und ich nahm es nur zur Reinigung und Pflege ab, genauso wie ich es mit Käpt'n Lessnyas Halsband gehandhabt hatte. Und ich war mindestens ebenso stolz auf Sir Estorials Halsband, wie ich auf jenes von Käpt'n Lessnya gewesen war. Mindestens.

Wir erhielten einen Vertrag, in dem außer unseren Pflichten unserem Herrn gegenüber auch detailliert beschrieben war, wie er oder seine Gäste anzusprechen waren, welche Rechte die Wachen uns gegenüber hatten (wenn Sir Estorial abwesend war, mussten wir den Wachen gehorchen; es war allerdings Aufgabe der Wachen Sir Estorials Eigentum zu schützen und nicht für das eigene Vergnügen zu missbrauchen), welche Rechte wir hatten, usw.

Ähnliche Anweisungen hatte Käpt'n Lessnya uns nur mündlich vorgegeben, und um es zu vereinheitlichen und für Neue leichter zu machen, hatte ich ein paar Punkte an Verhaltensmaßregeln schriftlich festgehalten. Doch das, was ich für Käpt'n Lessnya entworfen hatte, stand in keinem Verhältnis zu dem, was wir nun von Sir Estorial vorgeschrieben bekamen.

Sir Estorial war mit "mein Herr" anzusprechen, seine Gäste mit "Sir" bzw. "Lady" und ihrem Namen. Wachen und Mitschwestern nur mit ihrem Namen, Wachen ohne jeden Titel. Wir hatten stets, wenn wir seinen Thronsaal betraten, als erstes zu fragen, ob es uns gestattet ist, einzutreten. Erst nach seiner Erlaubnis durften wir näherkommen, ihn angemessen begrüßen (was meist in einem Kuss bestand) und uns neben ihm auf die Kissen knien. Wir hatten ihm und seinen Gästen uneingeschränkt zur Verfügung zu stehen, in allen Belangen. Die Ähnlichkeit zu dem, was ich bei Osgal im RosaFrosch tun hatte müssen, war groß, allerdings war alles hier bei Sir Estorial auf Freiwilligkeit aufbauend, während es bei Osgal unter Zwang erfolgt war. Hätte ich irgendetwas nicht tun wollen, dann hätte ich jederzeit gehen können, aber ich hätte dann nie wieder zu Sir Estorial zurückkehren dürfen. Und nachdem ich das keinesfalls wollte, und ohnehin keine Bedenken hatte, seine oder die Wünsche seiner Gäste zu erfüllen, tat ich meine Arbeiten und Gefälligkeiten für Sir Estorial sehr gerne. Und es war leicht. Vielleicht war es auch nur Zufall, aber weder für Sir Estorial noch für einen seiner Gäste mussten wir jemals etwas tun, was mit dem, was im RosaFrosch gefordert und ausgeübt worden war, vergleichbar gewesen wäre.

Ein Damoklesschwert gab es allerdings im Vertrag: Bei Eifersucht oder Ungehorsam drohte die sofortige Entlassung.

 

Sir Estorial war die Gutherzigkeit in Person, er nahm sich Zeit für Aurora und mich, unterhielt sich viel mit uns, und sehr oft tanzten wir für ihn. Es gab nie ein böses Wort oder Willkür, oft scherzte er mit uns und wir hatten viel Spaß, und fast ebenso oft gab es ernste oder vertraute Gespräche.

Wir bekamen eine Menge Kleider von ihm geschenkt, die natürlich sehr reizvoll – in erster Linie knapp und durchsichtig – waren, aber ich war stolz darauf, begehrenswert zu sein und genoss es, zusammen mit Aurora neben ihm knien zu dürfen. Unsere Kissen lagen links und rechts unmittelbar neben seinem Thron, ich war an seiner linken Seite und Aurora an seiner rechten. Oft griff Sir Estorial mit seiner Hand zu einer von uns und streichelte uns oder ließ einfach seine Hand auf uns ruhen. Ich bekam jedesmal eine Gänsehaut und ein wohliger Schauer durchlief mich. In solchen Situationen schmiegte ich mich so gut es im Knien ging, eng an seinen Thron und bog mich durch, dass er meine Stellen leichter erreichen und berühren konnte. Aurora tat es auch nicht anders.

Und manchmal zog er sich auch mit einer von uns oder gar mit beiden in einen abgegrenzten Teil der Halle zurück und vergnügte sich mit uns.

 

Die Freizeit, die Sir Estorial mir zugestanden hatte, um Lady Sūrya besuchen zu können, brauchte ich gar nicht. Denn Lady Sūrya kam fast täglich zu Sir Estorial auf Besuch.

Sie nahm stets auf einem der Throne für die Besucher platz und war sehr erfreut, mich derart glücklich zu sehen.

Und die Gespräche mit ihr waren in Sir Estorials Halle auch nicht weniger privat, als sie bislang im RosaFrosch immer gewesen waren.

"Wegen diesen Bewerbungen, Marie. Vielleicht ist das bei Dibujo nicht so deutlich gesagt worden. Es geht nicht darum, dass ihr euch mit gewichtigen Worten anpreist, sondern darum, dass wir sehen, ob euch euer Posten bei uns wichtig genug ist, dass ihr auch bereit seid, etwas dazu zu tun. Selbst wenn das nur in schönen Worten besteht. Aber einfach kommen, so nach dem Motto 'Ich bin jetzt da und jetzt nehmt mich', das spielt es nicht." –

"Warum gibt es eigentlich so viele subs und so wenige Herrinnen und Herren?" fragte ich. –

"Frag die Bienen oder die Ameisen warum es nur eine Königin aber hunderte Arbeiterinnen gibt. Es ist nun mal so. Es gibt wenige von uns und viele von euch. Wenn eine sub geht, warten an der nächsten Straßenecke bereits zwei andere.

Und noch etwas, Marie: Ich weiß, dass es dir nicht gefällt. Aber das, was ich mit Dibujo zusammen mache, sind Spiele zwischen Herren. Wenn ich mich ihm unterwerfe, so ist das etwas ganz anderes, als wenn du dich jemandem unterwirfst. Man genießt es, auch einmal die passive Seite zu haben, aber ich würde und werde niemals die Kontrolle ganz abgeben. Und wenn ich genug habe, kann ich jederzeit aufhören und später weitermachen, wenn ich mal wieder Lust habe. Du könntest zwar auch gehen, wenn du willst, aber dann brauchst du nie wieder zu kommen. So sind die Regeln."

 

Allerdings, das muss auch erwähnt werden, zog sich Sir Estorial manchmal mit Lady Sūrya zurück, und sie schien es ebenso zu genießen wie Aurora und ich. Lady Sūryas Verhältnis zu Master Dibujo schien sehr offen zu sein, und da Master Dibujo sich oftmals mit anderen vergnügte, fand ich nichts dabei, dass Lady Sūrya sich mit Sir Estorial amüsierte. Abgesehen davon, das war ohnehin nur meine persönliche Meinung, denn es war nicht meine Angelegenheit, über das Verhalten von Herren oder Herrinnen zu urteilen.

 

 

Außer Lady Sūrya gab es noch eine Anzahl anderer Besucher, die bei Sir Estorial verkehrten. So lernte ich Lady Nemesis kennen. Wenn ich es genau betrachte, war sie die erste Herrin, die ich außer Lady Sūrya kennenlernte. Sie war stets freundlich zu Aurora und mir und führte mit Sir Estorial und Lady Sūrya oft lange und tiefsinnige Gespräche. Aber auch mit ihr zog sich Sir Estorial manchmal zurück, wenn auch nicht so oft wie mit Lady Sūrya; am häufigsten vergnügte er sich jedoch mit Aurora und mir.

Es gab auch eine junge Frau, die sich Lady Menolly nannte, allerdings schien sie mir weit entfernt von einer Herrin zu sein, wenn ich ihr Benehmen mit dem von Lady Sūrya oder Lady Nemesis verglich.

Ihre Zuneigung zu Sir Estorial war offenkundig, sie biederte sich richtiggehend an. Doch Sir Estorial blieb stets emotionell distanziert, auch wenn er Lady Menolly mehrmals gestattete, auf seinem Schoß zu sitzen. Sie musste sich großartig dabei vorkommen. Aber sie merkte nicht, dass Sir Estorial von ihr nichts wollte außer ihrem Körper. Auch nicht anders als bei Aurora oder mir.

 

Ungeachtet dessen hatten Aurora und ich viel freie Zeit, um persönliche Dinge zu erledigen. Aurora nützte das sehr oft aus, wogegen ich meinen Hauptzweck darin sah, neben Sir Estorial zu knien und dabei glücklich zu sein. Aber dadurch, dass ich das auch in meiner persönlichen Freizeit tat, lief es darauf hinaus, dass ich sehr oft mit Sir Estorial alleine war. Und ich genoss diese Zeiten sehr.

Es ergaben sich genug Möglichkeiten, mit ihm Vertrauliches zu reden. Ich erzählte ihm praktisch meinen gesamten Lebenslauf, mit allen Höhen und Tiefen und ich benützte die Gelegenheit, ihn nach Angie zu fragen.

"Ja, ich erinnere mich an Angie", meinte er, "und natürlich erinnere ich mich auch daran, wie du da warst. Aber Angie hat mich kurz darauf wieder verlassen. Sie war nicht geeignet. Ich weiß nicht einmal, was aus ihr geworden ist." –

"Es gab auch noch zwei weitere Mädchen bei Euch, damals. Eine hieß Demenschia, soweit ich mich erinnere. Sind die ebenfalls nicht mehr bei Euch? Und was ist aus Eurem Palazzo geworden, in dem Ihr damals wart. Warum sind wir nicht dort?" fragte ich. –

"Nein, Marie, auch die sind nicht mehr bei mir. Und auch von denen weiß ich nicht, was sie weiter getan haben. Mein Palazzo steht im Moment leer, hier gefällt es mir besser." –

So sehr es mir um Angie leid tat, ich fragte nicht weiter nach. Ich wollte Sir Estorial nicht durch zu große Neugierde verärgern. Zudem dachte ich mir, dass das Schicksal Angie und mich wieder zusammenführen wird, wenn es uns bestimmt ist.

 

Und oft waren an den Abenden Besucher anwesend. Lady Sūrya kam fast täglich vorbei, blieb aber natürlich nicht den ganzen Abend. Doch sie war beileibe nicht die einzige, die Sir Estorial besuchte. Leider gab es auch einige Frauen (acht von zehn Besuchern waren weiblich), die ihre Besuche bei Sir Estorial als Kaffeeklatsch zu betrachten schienen, denn sie unterhielten sich miteinander über die neuesten Ereignisse und Skandale, ohne darauf einzugehen, was Sir Estorial eigentlich wollte oder zumindest bevorzugt hätte. Wenn es so weit kam, konnten Lady Sūrya und Lady Nemesis einfach sich verabschieden und gehen. Aber Sir Estorial und wir, seine Dienerinnen, mussten natürlich ausharren.

In solchen Fällen langweilte ich mich sehr. Ich versuchte erst gar nicht, mitzureden (was uns laut Sir Estorials Regeln sogar erlaubt war), und es war mir ein Trost zu wissen, dass Sir Estorial sich ebenso langweilte wie ich. Aus seinen Blicken und Randbemerkungen war das deutlich zu erkennen. Aber er war zu höflich, seine Besucherinnen aufzufordern, ihr Geschwätz anderswo abzuhalten, obwohl er mir gegenüber, wenn wir alleine waren, öfters meinte, er werde schon alle rauswerfen, wenn es ihm zu viel sei.

 

 

Eines Abends, als ich den Thronsaal betrat, um mich neben Sir Estorial auf das Kissen zu knien, war jenes Kissen zu seiner Linken, das ich normalerweise immer benutzte, von jemandem anderen besetzt. Lady Menolly kniete dort neben Sir Estorial und strahlte wie eine aufgehende Sonne. Wir hatten kein Recht auf ein bestimmtes Kissen neben Sir Estorial, es war nur Gewohnheit, dass wir immer an der selben Stelle waren. Aber aus diesem Grund konnte ich Lady Menolly nicht vorwerfen, dass sie auf meinem Platz wäre.

"Hallo Marie", sagte Sir Estorial, nachdem ich ihn wie üblich begrüßt hatte, "Menolly hat sich mir unterworfen. Nimm sie als deine Schwester auf".

"Guten Abend, Lady Menolly", grüßte ich sie, doch Sir Estorial antwortete: "Lady brauchst du zu ihr nicht zu sagen. Auch für dich und Aurora ist das einfach Menolly."

Da Aurora nicht anwesend war, kniete ich mich auf jenes Kissen, auf dem sie normalerweise immer kniete, weil ich Sir Estorial nahe sein wollte, und nahm mir vor, ein anderes Kissen aufzusuchen, falls Aurora kommen sollte. Aurora würde ich "ihren" Platz nicht streitig machen.

 

Auch als seine Dienerin zeigte Menolly sich gegenüber Sir Estorial von keiner anderen Seite als zuvor als freie Besucherin. Sie plauderte munter drauflos, machte Sir Estorial ständig Komplimente, bezeichnete ihn als "mi Corazón" [mein Herz] und ließ überhaupt jede Zurückhaltung, die einer Dienerin geziemt hätte, vermissen. Sir Estorial genoss diese Zuwendung sichtlich und schäkerte ebenso mit Menolly. Ich wunderte mich nur, wie er einen solchen Redefluss auf Dauer aushielt, aber ich nahm an, dass er Menolly schon zum Schweigen bringen werde, wenn es ihm zu viel wurde. Für Männer gibt es ja eine wirkungsvolle und zugleich sehr angenehme Art und Weise, Frauen den Mund zu stopfen, und sie so am Sprechen zu hindern.

 

Lady Sūrya schien von Menolly den gleichen Eindruck wie ich zu haben. Sie sprach mit ihr nur das notwendigste und beachtete sie meist gar nicht.

Welche Meinung Aurora über Menolly hatte, habe ich nie so richtig erfahren. Wenn wir miteinander plauderten, dann über alles Mögliche, aber nicht über Menolly.

Und mit Menolly selbst konnte ich auch sehr wenig sprechen. Wenn sie anwesend war, dann klebte sie meist an Sir Estorial, und wenn er sich zurückzog, ging auch Menolly in ihr Quartier und war für niemanden mehr erreichbar.

 

Lady Nemesis wiederum war mit uns Dienerinnen auf vertrautem Fuß. Sie wirkte immer verständnisvoll und ließ uns auch ab und zu kleinere Geschenke zukommen, über die wir uns immer sehr freuten. Sie traf meist genau das Richtige, mit dem sie uns die meiste Freude machen konnte, selbst mit Kleinigkeiten. Aber selbst sie hatte keinen guten Draht zu Menolly. Irgendwie benahm Menolly sich anmaßend, ich kann nicht genau sagen, was es konkret war, aber ich wurde diesen Eindruck einfach nicht los.

 

Eine Sache bereitete mir jedoch großen Stolz: Menolly trug ein Halsband, auf dessen Metallplatte "Eigentum von Sir Estorial – auf Probe" eingraviert war. Aurora und ich hatten von Anfang an die gebräuchlichen Halsbänder tragen dürfen, ohne den Vermerk einer Probezeit. Menolly schien das allerdings nicht zu wissen, zumindest machte sie niemals eine Bemerkung darüber. Und wir sagten ihr auch nichts davon.

 

Meist kam ich als erste am Abend in den Thronsaal und nahm auf "meinem" gewohnten Kissen Platz, und wenn Aurora ebenfalls auf "ihrem" Kissen kniete, dann hatte Menolly kein Kissen nahe bei Sir Estorial. Aber da Menolly gerne als letzte kam, um einen entsprechenden Auftritt inszenieren zu können, und die Kissen unmittelbar neben Sir Estorial besetzt waren, benutzte sie das als günstige Gelegenheit, sich auf seinen Schoß zu setzen und an seinem Ohrläppchen zu knabbern oder sonst irgendetwas zu tun, was ich niemals ohne Aufforderung oder zumindest ohne ausdrückliche Erlaubnis getan hätte. Stets nannte sie ihn "mi Corazón", niemals "mein Herr", wie es ihr zugestanden hätte. Sir Estorial tolerierte das ohne Widerspruch, ein wenig erinnerte er mich dabei an Käpt'n Lessnya, die sich auch mehr gefallen hatte lassen, als sie müssen hätte.

 

Als letzte kam Luna zu Sir Estorial. Sie war ein junges Mädchen, noch jünger als Menolly, doch um vieles bescheidener als Menolly. Sie war blond und gutaussehend. Auch sie bekam ein "Auf Probe"-Halsband. Und sie akzeptierte Aurora und mich als ihre vorangestellten Schwestern, ohne dass jemand das von ihr verlangt hätte. Ich hoffte nur, dass das nicht alleine aufgrund des Alters geschah. Auch sie musste die gleiche Lehre akzeptieren wie Aurora und ich sie machen hatten müssen. Erst hier fiel mir auf, dass ich über Menolly nichts Diesbezügliches wusste. Wenn sie ihre Ausbildung erhalten hatte, dann hatte sie sie still und heimlich durchgemacht.

 

 

Die Tage gingen dahin, Sir Estorial vergnügte sich mit uns, manchmal ging er mit uns in den Garten lustwandeln, manchmal ans Meer. Oft begleitete Lady Sūrya uns dabei, da sie fast jeden Abend zu Besuch kam. Es war schön, die Atmosphäre zu genießen, natürlich kam auch Körperkontakt nicht zu kurz bei dieser Gelegenheit. Doch die Einzige, die dabei fast ständig redete und Sir Estorial umschwärmte wie eine Motte das Licht, war Menolly.

 

Sie bevorzugte es auch weiterhin, nicht sofort im Thronsaal zu erscheinen, wenn Sir Estorial ihn betrat, so wie Aurora, ich und Luna es taten, sondern ließ nach wie vor eine längere Zeitspanne verstreichen, als wollte sie zeigen, dass sie die Wichtigste sei, auf die alle anderen zu warten hatten. Dabei entging ihr freilich, dass Sir Estorial mit diesem Benehmen ihrerseits gar nicht zufrieden war. Er fragte in Menollys Gegenwart mehrmals Aurora und mich demonstrativ, ob wir wüssten, was Menolly dringendes zu erledigen hatte, dass sie nicht sofort kommen konnte, wenn er da war.

Es nützte auch nichts, dass er Menolly mehrmals aufforderte, mehr Aufmerksamkeit dem Thronsaal zu widmen, damit sie nicht immer so spät käme.

 

An einem Abend empörte mich Menollys Verhalten besonders: Aurora hatte frei, Luna war mit einem Auftrag unterwegs, Sir Estorial saß auf seinem Thron und ich kniete neben ihm auf meinem Kissen. Und Menolly, die war zwar im Thronsaal, unterhielt sich aber mit einem der anwesenden Gäste. Sie betrieb richtiggehend gebildete Konversation, der Gast war zufrieden, nur war das nicht ihre Aufgabe. Sie hätte an die Seite von Sir Estorial gehört. Kniend. Zur Verzierung. So wie ich. Ich akzeptierte meine Rolle. Und ich genoss sie.

"Wie weit würdest du für mich gehen?" fragte Sir Estorial mich unvermutet. – "Lady Sūrya hat mir beigebracht, niemals zu sagen 'Ich mache alles', aber ich bin nahe dran, alles für Euch zu tun, mein Herr" antwortete ich. Ich hatte einfach das Vertrauen in Sir Estorial, dass er niemals von mir Dinge verlangen würde, die ich nicht machen konnte. Egal, ob ich es nicht konnte weil ich dazu körperlich oder geistig nicht fähig war oder ob ich es aus moralischen Gründen nicht tun könnte, er würde es von mir nicht verlangen. Deshalb war ich der Meinung, dass ich auch mit gutem Gewissen sagen konnte, dass ich alles tun würde, was er wollte.

"Würdest du auch Drecksarbeit für mich tun?" fragt er weiter.

Ich erschrak. Sollte ich jemanden beseitigen? Oder jemanden einschüchtern? Auch wenn ich meinen Dolch nicht trug, wenn ich neben Sir Estorial kniete, so übte ich doch täglich mit ihm, denn ich fand es praktisch, im Notfall immer noch damit umgehen zu können.

Aber nun schaute ich Sir Estorial entsetzt an. "Soll ich jemanden…" begann ich. – "Oh, nicht was du jetzt denkst, Marie" meinte er schmunzelnd, "ich meine einfache körperliche Arbeit, bei der man schmutzig wird". – Mir fiel ein Stein vom Herzen. "Mein Herr, ich war auch schon ganz tief unten. Ich habe Arbeiten gemacht, die ein normaler Mensch nie selbst tun würde, weil das Arbeiten sind, die man sonst Sklaven machen lässt. Ihr kennt meinen Lebenslauf. Und Ihr wisst, dass ich jederzeit für Euch alles tun werde, was Ihr von mir verlangt". (Jetzt war es mir doch herausgerutscht). –

"Ich glaube dir, auch ohne dass ich einen Beweis von dir verlange" meinte Sir Estorial. Danach schwieg er und machte ein undurchdringliches Gesicht. Nur seine Hand streichelte über mein Ohr und meine Wange. Ich schloss meine Augen, stöhnte leise und schmolz wieder einmal dahin.

 

Nach ein paar Minuten machte seine Hand eine ruckartige Bewegung und wurde von meinem Gesicht weggenommen. Ich öffnete die Augen und sah, dass Menolly auf Sir Estorials Schoß saß. Der Gast, mit dem Menolly gesprochen hatte, war gegangen, und Lady Sūrya war inzwischen angekommen – ich hatte es gar nicht bemerkt, so vertieft war ich in Sir Estorials Berührung gewesen. Ich begrüßte sie und entschuldigte mich, dass ich sie nicht kommen bemerkt hatte. Sie machte eine wegwerfende Handbewegung.

Lady Sūrya hatte auf einem der Besucherthrone Platz genommen und sah Sir Estorial an. Es kam mir vor, als ob sie ihn etwas fragen wollte, aber sie sagte nichts.

Er schaute gar nicht erfreut drein. "Habe ich dir erlaubt, dich hierher zu setzen?" fragte er Menolly – "Aber mi Corazón" antwortete Menolly, "du willst das doch so gerne".

Sir Estorial schwieg. Den gesamten weiteren Abend war er nicht sehr gesprächig. Lady Sūrya ging bald darauf wieder.

 

Am nächsten Tag, als ich in den Thronsaal kam und nach der Begrüßung Platz auf meinem Kissen nahm, sagte Sir Estorial: "Menolly hat uns verlassen". Nicht mehr und nicht weniger.

Ich fragte nicht nach den Gründen und auch nicht danach, ob sie von sich aus gegangen war oder ob Sir Estorial sie entlassen hatte. Es war mir gleichgültig. Es war ein Unruheherd weniger im Thronsaal.

 

Weder Aurora noch Luna hatten offenbar das Bedürfnis, über Menolly zu sprechen. Sie erwähnten sie niemals. Es war einfach ein Thema, das vom Tisch war.

Nur Lady Sūrya sagte mir in einem vertrauten Moment, dass sie Menollys Betragen als ungeeignet gehalten hatte und Sir Estorial geraten hatte, sich von Menolly zu trennen.

"Ich habe ihm gesagt: 'Befiehl einmal Marie, eine Bürste zu nehmen und den Boden zu schrubben. Sie wird es ohne Widerrede tun. Aber versuch das einmal bei Menolly. Die wird sich weigern, derartige Dienste auszuüben. Sie mag dich zwar ebenso lieben wie alle deine Mädchen es tun, aber sie will nicht neben dir knien sondern neben dir sitzen, als deine Frau und als Herrin über alle anderen deiner Mädchen' " erklärte sie mir.

Ich fand, dass sie mit dieser Beschreibung von Menolly ziemlich richtig lag.

 

Wieder einmal wurde mir bewusst, dass jemand zu sehr geliebt hatte. Es war Menolly mit Sir Estorial nicht anders ergangen als ich es bei Gray Rose und Master Dibujo erlebt hatte.

 

Ich beschloss alles daran zu setzen, darauf zu achten, niemals größenwahnsinnig zu werden, zu glauben ich hätte ein Recht, etwas zu bekommen und zu viel zu fordern, nur weil ich jemanden liebte.

Liebe gibt, aber sie fordert niemals. Doch wenn sie etwas bekommt, dann nimmt sie alles. Ebenso wie sie alles gibt. Bedingungslos.

Und Liebe wird immer und immer wieder enttäuscht.

 

Aber das scheint eine der Eigenschaften von Liebe zu sein.

 

Schuld und Sühne

Ich kniete neben meinem Herrn auf meinem Kissen.

Und ich war glücklich.

 

Es ist leicht, glücklich zu sein, wenn man seine Ansprüche nicht allzu hoch ansetzt.

Sir Estorial beschäftigte sich mit mir. Nicht andauernd körperlich, das kam zwar auch vor, aber er unterhielt sich mit mir. Diese Unterhaltungen schätzte ich sehr. Irgendwo hatten wir einen gemeinsamen Draht. Wir fanden immer wieder Gesprächsthemen, die uns beide gleichermaßen interessierten. Ich kam mir überhaupt nicht wie seine Sklavin vor. Es war völlig selbstverständlich für mich, dass ich ihm gehörte, dass ich für ihn da war, dass ich zu seiner Unterhaltung beitragen sollte und – was mir sehr wichtig war – zu seinem Lustgewinn.

Das war mein Daseinszweck.

 

Es ging nicht darum, dass ich glücklich sein sollte. Das war ein zusätzlicher Nebeneffekt. Mein Glück lag darin, ihn glücklich zu machen – und glücklich zu halten. Erst wenn es ihm gut ging, war ich zufrieden, und es ging dann auch mir gut.

Das soll nicht heißen, dass er ständig im siebten Himmel schwebte. Sir Estorial hatte auch seine Höhen und Tiefen. Wenn seine Geschäfte schlecht gingen, oder wenn er krank war, oder wenn er einfach wegen irgendetwas unglücklich oder traurig war, selbst wenn ihm nur langweilig war, dann sah ich meine Hauptaufgabe darin, seine gute Stimmung wiederherzustellen.

Ging es ihm schlecht, dann war ich traurig darüber, dass es ihm schlecht ging, und es ging mir ebenfalls schlecht. Also baute ich ihn, so gut es ging, immer wieder auf. Diesbezüglich bin ich aber auch keine Kräuterhexe, soviel mir Lady Sūrya in der kurzen Zeit, in der es mir vergönnt war, ihr nahe zu sein, auch beigebracht hatte. Ich gab ihm keine Tinkturen oder Zaubertränke, die hätte ich ohnehin niemals zu meiner wahren Zufriedenheit brauen können. Das wäre auch bereits zu viel gewesen. Solche Dinge zu tun, war nicht meine Aufgabe. Es reichte bereits, bei Sir Estorial anwesend zu sein, ihm meine Zeit zu schenken und mein Mitgefühl und mein Verständnis ihm anzubieten. Wenn er schweigen wollte, neben ihm zu knien (oder was auch sonst immer er wollte, es musste ja nicht immer knien sein) und zu schweigen. Wenn er reden wollte, auf ihn einzugehen, ihm zuzuhören, ab und zu eine Bemerkung einzuwerfen, oder – was ebenfalls vorkam – ihm auch meine Meinung zu sagen, wenn er sie wissen wollte. Aurora und ich waren keine reinen Verzierungen, die bei ihm zu sein hatten, damit er einen erfreulichen Anblick genießen konnte. Wir waren auch für sein geistiges und seelisches Wohl da, nicht nur für seine Augen.

Nur Luna hatte die Bestimmung, dass sie hauptsächlich zu Sir Estorials Lustgewinn da zu sein hatte. Mit ihr zog er sich am häufigsten zurück. Das war mir verständlich, denn sie war ja auch die jüngste von uns, voller Jugend und Lebensmut. Gegen sie waren Aurora und ich fast schon als alt zu bezeichnen. Luna bekam als Ausgleich für ihre persönlichen Dienste an Sir Estorial auch besonders oft die Erlaubnis, nicht im Thronsaal anwesend sein zu müssen, wenn Sir Estorial dort war, und nicht bei ihm knien zu müssen, was sie auch stets ausnützte: sie war selten im Thronsaal. Wobei ich nicht verstand, wieso man nicht in Sir Estorials Nähe sein wollte, wenn die Gelegenheit dazu bestand. Für mich war es absolut kein "müssen" sondern ein "dürfen".

Zu meiner Schande muss ich auch gestehen, dass ich nicht viel über Luna weiß. Ich weiß weder, wie sie zu Sir Estorial kam, wie sie ihn kennengelernt hatte, noch was sie vorher getan hatte. Solche Dinge redete ich nicht mit ihr. Sie war eines Tages einfach von Sir Estorial als neue Dienerin vorgestellt worden, und damit war die Sache für mich erledigt gewesen.

Mit Aurora hatte ich mich gleichwohl etwas genauer unterhalten. Vielleicht alleine deshalb, weil es kaum einen Altersunterschied zwischen uns gab. Aurora war in ihrer Jugend bei Sir Estorial gewesen, danach hatte sie auf einem Gutshof gelebt und viel Landarbeit geleistet. Vor allem die Zucht und Aufzucht von Pferden war dort ihre Aufgabe gewesen.

Ich habe sie nie danach gefragt, warum sie von dort weggegangen und zu Sir Estorial zurückgekehrt war. Es erschien mir irgendwie, als ob einfach die Zeit dazu reif gewesen war. Es war ja auch zur gleichen Zeit geschehen, als es mit meiner Beziehung mit Käpt'n Lessnya zu Ende gegangen war. Und so hatte das Schicksal Aurora und mich ausgerechnet zu Sir Estorial gespült.

Sir Estorial, das muss ich noch sagen, war ebenfalls nicht mehr jung. Er war schon nicht mehr der Jüngste gewesen, als ich ihn vor Jahren wegen Angie in seinem Palazzo besucht hatte. Doch er war noch weit davon entfernt, ein alter, verbrauchter Mann zu sein. Er war noch gut bei Kräften, und er war ein ausgesprochener Genießer.

Und ich genoss es, genossen zu werden.

 

 

Leider gehöre ich auch zu jenen Menschen, die ihre Vergangenheit nicht so leicht vergessen können. Auch wenn ich früher behauptet habe, dass ich mit allem Familiären abgeschlossen hätte, es stimmte nicht so ganz. Zu meinem Zwillingsbruder Galterio hatte ich immer schon eine besondere Beziehung gehabt. Er war der einzige, wegen dem ich wirklich Bedauern empfand, als ich mein Heimatdorf verlassen hatte. Aber meine Erlebnisse in der Stadt und meine Abenteuer zusammen mit Käpt'n Lessnya hatten mir keine Zeit gegeben, viel an ihn zu denken.

Und mit Käpt'n Lessnya ging es mir mittlerweile ebenso: ich konnte sie nicht so leicht vergessen, alles Glück bei Sir Estorial hin oder her. Ich hatte Käpt'n Lessnya geliebt, jahrelang, und das ließ sich nicht verleugnen, egal wie schandvoll es mit uns zu Ende gegangen war oder wie sehr ich jetzt auch Sir Estorial liebte.

 

 

Lady Sūrya machte wie üblich ihre fast täglichen Besuche bei Sir Estorial, und ich freute mich jedes Mal, wenn sie eintraf. Erfreulicherweise nahm sie auch immer einen Besucherthron bei Sir Estorial ein, der auf jener Seite war, auf der auch ich neben Sir Estorial kniete, und stets ganz in seiner Nähe – und damit auch in meiner Nähe. Es war ein unbeschreibliches Glücksgefühl, wenn ich Sir Estorials Hand und Lady Sūryas Blick auf mir spürte und die Stimmen der beiden hörte und beide riechen konnte. Sir Estorial roch irgendwie ausgesprochen männlich herb, doch ich kann nicht sagen, was an ihm so charakteristisch gewesen wäre. Ich liebte einfach seinen Geruch ohne bestimmten Grund. Und Lady Sūrya benutzte oft selbsthergestellte Parfums, die ausgesprochen betörend wirkten, und erzeugte fast einen Rauschzustand in mir, wenn sie in meiner Nähe war. In solchen Momenten war ich der glücklichste Mensch auf Erden und es gab niemanden, mit dem ich tauschen hätte wollen.

 

Und in solchen Momenten konnte ich sogar Käpt'n Lessnya total vergessen. Und Rodrigo Diaz.

 

 

Es kam selbstverständlich auch vor, dass andere Besucherinnen oder Besucher anwesend waren. Manchmal herrschte sogar ziemlicher Trubel bei Sir Estorial. Viele kamen einfach vorbei, um hier jemanden zum Tratschen zu finden. Oft drängte sich mir der Vergleich so mancher Besucherinnen mit einer Schar Gänse auf – so ungehörig dieser Vergleich auch war.

Und es kam auch vor, dass Sir Estorial sich dann mit der Begründung, er fühle sich nicht wohl oder habe Kopfschmerzen, zurückzog. Ich hatte danach frei und konnte ebenfalls den Thronsaal verlassen, aber es war mir verboten, Sir Estorial zu folgen, außer er befahl es mir, oder falls er mich kurze Zeit später zu sich rief. Aber das kam in der Zeit, die ich bei ihm war, nur ein- oder zweimal vor. Meist ging er schlafen und ließ alles hinter sich zurück. Ich schaute dann auch, dass ich möglichst rasch und unauffällig verschwinden konnte. Unnötig zu sagen, dass Lady Sūrya bereits bei den ersten Anzeichen von Klatsch und Tratsch das Weite suchte. Sie war nur an ernsthaften Gesprächen interessiert, eben mit Sir Estorial oder Lady Nemesis.

 

Eher so nebenbei erfuhr ich von Lady Sūrya, dass sie sich mit Kobra zerstritten hatte. Das war etwas, was ich überhaupt nicht verstand. Lady Sūrya und Kobra kannten einander sogar länger als Lady Sūrya Master Dibujo kannte. Und sie hatte mir gegenüber einmal extra betont, dass sie ihn bereits sehr lange kannte. Aber als Lady Sūrya Käpt'n Lessnya verlassen hatte, war Kobra ihr nicht gefolgt (so wie ich es um ein Haar getan hätte), sondern war bei Käpt'n Lessnya geblieben. Dass daraus allerdings ein derartiges Zerwürfnis zwischen den beiden entstanden war, erfuhr ich erst jetzt aus Lady Sūryas Worten. Lady Sūrya erwähnte noch, dass Kobra "eine Menge dummes Zeug" erzählte, aber worum es sich genau handelte, erläuterte sie nicht.

Sollte mir im Prinzip auch egal sein. Ich hatte mit Kobra nichts mehr zu tun, seit ich Käpt'n Lessnya verlassen hatte. Zu Kobra hatte ich auch nie eine so richtig freundschaftliche Beziehung aufbauen können. Das war einer der Hauptgründe, weshalb sie mir nicht sehr abging. … im Gegensatz zu … Schluss! Ich war doch glücklich bei Sir Estorial. Keine Pearl weit und breit, kein Sturm, keine Flaute, kein Kampf. Jaaa. Das war etwas wert: Kein Kampf. Kein Blutvergießen, keine Schmerzen und keine … vor allem keine Angst.

Was hatte ich doch für eine ruhige Position hier! Sir Estorial lieben und ihm Gesellschaft leisten. Weitab von jedem Schiff. Also nicht unbedingt räumlich weitab, aber von der Möglichkeit her, zu einem zu gelangen. Sir Estorial ging zwar auch ans Meer mit uns. Er hatte am Strand ein kleines Häuschen stehen, das er aber oft gar nicht brauchte. Er vergnügte sich mit uns auch einfach im Sand …

Aber er hatte kein einziges Schiff.

 

Am nächsten Tag, nachdem ich von Lady Sūrya die Sache über Kobra erfahren hatte, ging Sir Estorial mit Aurora, mir und Luna wieder mal an seinen Strand. Er zog sich diesmal mit Luna in sein Häuschen zurück, und Aurora und ich hatten inzwischen freie Zeit. Eine Stunde hatte er uns gegeben. Aurora ging in die Stadt und ich an das Meeresufer.

Dort sah ich jemanden an eine Palme gelehnt im Sand sitzen. Ich ging zu der Person hin, um ihr zu sagen, dass sie hier auf Sir Estorials Privatgrund war und lieber verschwinden sollte, bevor Sir Estorial sie entdeckte. Doch als ich bei ihr war, stutzte ich. Es war Kobra.

Mir war völlig schleierhaft, wie sie hierher kam und wieso ausgerechnet jetzt. Sie grinste mich an. Ich begrüßte sie mit einem kurzen "Hallo Kobra" und setzte mich neben sie. Eigentlich hatte ich vorgehabt, sie einfach anzuschweigen, bis sie von sich aus zu erzählen begann, aber ich hielt das Schweigen nicht lange durch. "Was hört man da von dir?" fragte ich. – "So wie ich Sūrya kenne, nichts Gutes" antwortete Kobra. – Es gab mir einen Stich, dass sie 'Sūrya' und nicht 'Lady Sūrya' sagte, aber ich überging das und schwieg. – "Sie ist nun mal herrschsüchtig, im Gegensatz zu Lessnya", sagte Kobra, "damit musst du zurechtkommen. Achte darauf, wem du gehorchst". Dann erhob sie sich aus dem Sand und ging gemächlichen Schrittes davon, Richtung Hafen.

Ich sah ihr nach. Nun hatte sie auch noch Käpt'n Lessnya den 'Käpt'n' unterschlagen. Sie war aber keinesfalls betrunken gewesen. Vielleicht hatte sie irgendein Kraut geraucht.

Herrschsüchtig? Nun ja. Sie konnte organisieren, dazu musste sie Befehle geben, und sie kannte sich damit aus, wie man Leute führt. Aber als 'herrschsüchtig' würde ich Lady Sūrya nicht unbedingt bezeichnen. Dazu mochte ich sie viel zu sehr.

Ich ging zurück zu Sir Estorials Strandhäuschen und setzte mich neben dem Eingang, an die Wand gelehnt, wieder in den Sand. So wartete ich, bis auch Aurora aus der Stadt zurück kam und sich neben mich setzte. Ich erwähnte Kobra mit keinem Wort. Auch später nicht.

 

Nur hatte Kobra in mir etwas ausgelöst. Etwas, was mir als Eigentum von Sir Estorial eigentlich nicht widerfahren dürfte: Ich dachte an meine frühere Herrin.

Und ich hätte sie gerne wieder einmal gesehen. Wenigstens kurz.

 

Aber wir hatten bei Sir Estorial niemals so viel freie Zeit, dass ich auf ihre Insel fahren hätte können, dort mit ihr reden, und wieder zurück fahren. Das wäre sich innerhalb der kurzen Zeitspanne, die mir zur Verfügung stand, niemals ausgegangen. So schwieg ich, tat nichts, und es blieb bei Gedanken an Käpt'n Lessnya.

 

 

Doch irgendwie glaube ich, das Schicksal spielt mir böse Streiche. Nur wenige Wochen später, an einem freien Tag, sah ich im Hafen die Pearl. Sie war möglichst unkenntlich gemacht, jemand Fremder hätte sie sicher nicht erkannt, aber ich war fast zehn Jahre auf ihr gefahren und kannte jedes Astloch.

Auf dem Absatz machte ich kehrt und ging schnurstracks zum CapitaineTrahi. Ohne viel darüber nachzudenken, was ich gerade im Begriff war, zu tun.

Ohne anzuklopfen stürmte ich hinein – und stand in einem leeren Raum. Erst jetzt fiel mir ein, dass der CapitaineTrahi jetzt ja Sir Rudgar gehörte und ich Käpt'n Lessnya hier sicher nicht antreffen würde. Ich machte kehrt und lief zur Tür hinaus. Draußen prallte ich gegen einen schwarzgekleideten kahlköpfigen Mann. Sofort fiel ich auf die Knie und bat um Verzeihung.

"Ich schätze es, wenn eine Sklavin weiß, was sich gehört" sagte Sir Rudgar. "Ich nehme an, du suchst Lessnya, Marie. Dann ist das also doch die Pearl im Hafen. Kasia war sich nicht sicher und Kaleyani und Lexy dürfen nicht hinaus." – "Sir Rudgar, ja, Ihr habt recht. Ich wollte zu Käpt'n Lessnya. Bitte um Vergebung, dass ich ohne zu denken in Euer Haus eingedrungen bin" sagte ich. –

"Steh auf und zeig mir dein Halsband" forderte er mich auf. Ich gehorchte, erhob mich, und als ich vor ihm stand, hob ich mein Kinn an, und dabei schlossen sich automatisch meine Augen und meine Lippen öffneten sich leicht.

"Man sollte deinen Herrn über dein Verhalten informieren. Bei mir wärst du dafür eine Woche hinter Gittern. Aber ich bin ja nicht so. Ich werde Esto nichts sagen." – Dankbar atmete ich erleichtert auf. –

"Less hat einen neuen Stützpunkt", fuhr er fort. "Eine alte, verfallene Grotte, von der es heißt, dass Drachen darin hausen. Ich hoffe für dich, dass du nicht abergläubisch bist."

Er gab mir eine Wegbeschreibung, ich kannte diese Grotte, es war sogar gar nicht so weit vom CapitaineTrahi entfernt. Dann lachte er und sagte: "Less weiß nicht, dass das Gebiet mit der Grotte mir gehört. Aber so habe ich sie unter Kontrolle. Und dir rate ich, das niemandem, aber wirklich niemandem zu erzählen. Sonst wirst du es bereuen." –

Ich bedankte mich vielmals, versprach zu schweigen und machte mich auf den Weg.

 

Nach einer guten Stunde war ich bei der Grotte. Auch ich hatte sie noch nie betreten, vielleicht gab es hier ja doch Drachen. Aber wenn Käpt'n Lessnya darin anwesend war, dann konnte mir nichts geschehen.

Ich ging hinein – und stand Käpt'n Lessnya gegenüber.

Sie brachte kein richtiges Lächeln zustande, als sie mich sah. Und ich schaute sie nur groß an, als könnte ich nicht glauben, sie hier anzutreffen. Nach einer Schreckminute, in der kein einziges Wort fiel, wies Käpt'n Lessnya schweigend mit einer Hand zu einem Tisch, an dem mehrere Stühle waren. Sie hatte sich hier offenbar bereits etwas eingerichtet. Ich setzte mich und sie nahm neben mir Platz.

Erst jetzt wurde mir bewusst, dass auch andere Personen in der Grotte waren. Niemand, den ich kannte.

"Was führt dich zu mir, Marie?" fragte Käpt'n Lessnya. Dann wendete sie sich an die anderen im Raum befindlichen: "Das ist Marie, mein ehemaliger Erster Maat."

Ich schaute kurz die anderen an, sagte "Hallo" und wandte mich dann wieder an Käpt'n Lessnya. "Wie geht es Euch, Käpt'n?" fragte ich. – "Danke, es geht so", antwortete sie. – "Bitte verzeiht mir Käpt'n, es ist alles so anders gekommen, als ich es erwartet oder zumindest erhofft habe" sagte ich. –

"Marie, ich bin dir für nichts böse. Es ist unser Schicksal, dass es so gekommen ist. Ich hoffe nur, du bist glücklich, dort wo du jetzt bist …" –

"Über mich macht Euch bitte keine Gedanken, Käpt'n. Ihr seid es, über die ich mir Sorgen mache. Ich weiß, was geschehen ist, auch was vor Jahren geschehen ist, was ich angerichtet habe, und ich weiß, wie sehr Euch das trifft." –

"Marie, es geht mir gut, ich lebe noch, und ich komme schon durch." –

Es war so verwaschen, was Käpt'n Lessnya da sagte. Es kam mir vor, als sei sie todunglücklich und verleugne es nur komplett. Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen traten.

"Bitte verzeiht mir, Käpt'n", sagte ich noch einmal, "es gibt Dinge, die kann man nicht mehr ungeschehen machen, auch wenn man es noch so sehr bedauert".

Und ich stand auf und verließ die Grotte.

Käpt'n Lessnya rief mir noch etwas nach, aber ich lief fort, ich wollte nur weg von hier. Wahrscheinlich wollte sie wissen, wie ich sie gefunden hatte, oder sie bat mich, sie nicht zu verraten. Aber ersteres konnte ich ihr nicht sagen, weil ich Sir Rudgar versprochen hatte, nichts zu sagen, und letzteres würde ich sowieso nie tun.

Erst auf dem halben Weg zurück zu Sir Estorials Schlösschen hörte ich endlich auf zu weinen.

 

Der restliche Tag war eine Qual für mich. Ich hatte Mitleid mit Käpt'n Lessnya. Vielleicht brauchte sie gar nicht mein Mitleid, vielleicht ging es ihr ohnehin so gut, wie sie gesagt hatte, aber ich musste zumindest dauernd an sie denken. Gleichzeitig spürte ich mein Gewissen mir sagen, dass ich Sir Estorial hintergangen hatte. Was war nur in mich gefahren?

Der Tritt, den Käpt'n Lessnya meinem Halsband gegeben hatte, als ich es ihr vor die Füße gelegt hatte, war wirklich heftig gewesen. Es war viel Wut und Ablehnung darin gesteckt.

Andererseits: Ich hatte nicht berücksichtigt, in welchem Zustand Käpt'n Lessnya sich befunden hatte. Sie hatte gerade Kaleyani verloren, die sie zweifellos geliebt hatte, und ihre gesamte Familie, wie sie uns immer genannt hatte, war gerade zerbrochen. Und dann war auch noch ich mit meiner Bitte, nicht mehr mitmachen zu müssen, dahergekommen. Jeder auch nur halbwegs impulsive Mensch hätte wahrscheinlich genauso reagiert, wie Käpt'n Lessnya es getan hatte.

Und wiederum andererseits: wir hatten uns nun mal getrennt, und ich hatte mich Sir Estorial verschrieben. Er war so gütig. Und so verständnisvoll. Er gab mir so viel. Und er bedeutete mir so viel. Und ich nützte gleichzeitig die Freiheit, die er mir gegeben hatte, dafür, jemanden anderen zu besuchen. Jemanden, von dem er sicher nicht wollte, dass ich ihn besuchen würde. Selbst wenn ich ihn nicht geliebt hätte, wäre ich zumindest ihm verpflichtet gewesen. Verpflichtet, wenigstens vorher um Erlaubnis zu fragen, ob ich Käpt'n Lessnya besuchen durfte. Ich konnte mir nicht vorstellen, ob er Ja oder Nein gesagt hätte, es hätte beides sein können. Aber dadurch, dass ich einfach ohne zu fragen gegangen war, hatte ich die Möglichkeit verloren, ihn frei entscheiden zu lassen und auch eine ehrliche Antwort zu erhalten. Irgendwie kamen mir meine Gewissensbisse sehr bekannt vor und ich musste auch an Käpt'n Rin denken. Warum musste ich denn immer meine Fehler wiederholen?

 

Der Abend rückte heran.

Mir war übel. Ich musste es Sir Estorial sagen. Und Lady Sūrya am besten auch gleich. Ungehorsam bedeutete Entlassung, stand in meinem Vertrag. Was hatte ich mir da nur eingebrockt?

Ich atmete schwer. Zum Glück war ich alleine, sonst hätte Aurora mich vielleicht gefragt, was ich denn habe.

 

Sir Estorial erschien im Thronsaal und nahm Platz. Er hatte sich noch nicht richtig hingesetzt, da betrat ich bereits den Thronsaal durch die Tür, die zu meinem Quartier führte, blieb sogleich nach der Tür stehen und sagte: "Guten Abend, mein Herr. Ist es erlaubt einzutreten?" – "Gerne, Marie, komm nur herein" antwortete Sir Estorial.

Ich ging auf ihn zu, kniete vor ihm nieder und bat darum, ihn begrüßen zu dürfen, was er ebenfalls bejahte. Ich gab ihm den fast schon gewohnten Kuss und bemerkte wieder mal, wie ein Schauder mich durchlief, als meine Lippen die seinen berührten. Sir Estorial hielt mich fest und ließ mich erst nach einer Weile wieder los. Dann sah er mich an und meinte: "Was ist denn mit dir los, Marie? Du zitterst ja."

Ich fühlte mich ertappt und sah zu Boden. Der Kuss hatte mich meine guten Vorsätze vergessen lassen, ihm meinen Fehltritt gleich zu Beginn zu beichten.

Genau in diesem Moment betrat Lady Sūrya den Thronsaal und grüßte freundlich. Ich atmete etwas hastig ein, begrüßte Lady Sūrya und kniete mich auf mein Kissen. Sir Estorial hieß Lady Sūrya danach willkommen. Zu meiner Erleichterung widmete er sich vorerst einmal ihr und ich hatte Zeit, mich wieder zu fassen.

Aber nach kurzer Dauer war die Aufmerksamkeit von beiden auf mich gerichtet.

"Und jetzt raus mit der Sprache, Marie. Was hast du angestellt? Man sieht es dir an", meinte Lady Sūrya, und auch Sir Estorial sah mich forschend an. –

Ich wandte mich an Sir Estorial, allerdings behielt ich Lady Sūrya in den Augenwinkeln. "Bitte um Vergebung, mein Herr", sagte ich, "ich habe heute etwas getan, was ich nicht machen hätte sollen. Zumindest es nicht tun ohne Euch zu fragen." –

Sir Estorial neigte den Kopf etwas zu Seite und schwieg. Sein Blick, der auf mir ruhte, tat mir beinahe weh. Seine Augen durchbohrten mich.

Ich musste zu Boden schauen und verlor dadurch beide, Sir Estorial und Lady Sūrya, aus dem Blickfeld.

"Lessnya" sagte Lady Sūrya unerwartet. "Ich habe die Pearl im Hafen gesehen, aber ich war mir nicht ganz sicher."

Ich ließ meinen Kopf hängen. "Ich habe überhaupt nicht nachgedacht", sagte ich leise, "ich habe die Pearl gesehen und bin irgendwie ausgerastet. Und ich habe mich tatsächlich mit Käpt'n Lessnya getroffen. Bitte verlangt von mir nicht, dass ich Euch sage, wo. Ich habe versprochen, darüber nichts zu sagen." –

"Dir ist aber klar, dass Esto dein Herr ist und du es ihm auf jeden Fall sagen müsstest, wenn er es von dir verlangt", wandte Lady Sūrya ein. – Ich nickte.

"Aber so gut kenne ich ihn schon, dass ich weiß, dass er es nicht tun wird, nachdem du ihn darum gebeten hast", fuhr sie fort. –

"Keine Angst, Marie. Ich will nicht riskieren dich zu verlieren, nur weil du einmal eine Dummheit begangen hast", bestätigte nun auch Sir Estorial, "deshalb werde ich nichts weiter fragen". Dann wurde sein Blick strenger. "Aber du wirst verstehen, dass ich so etwas nicht durchgehen lassen kann. Du wirst eine Strafe bekommen. Und du wirst sie nächsten Sonntag antreten." –

"Ja, Sir Estorial", sagte ich zerknirscht, "darf ich fragen, was es sein wird?" –

"Das sage ich dir morgen. Du sollst ruhig ein bisschen im Ungewissen bleiben. Vielleicht bringt das dich dazu, zweckmäßiger zu denken, bevor du handelst." –

"Ja, Sir Estorial. Danke, Sir Estorial" antwortete ich.

Er ging wieder zum Gespräch mit Lady Sūrya über.

 

Danach war ich noch zerrissener. Es sah so aus, als ob Sir Estorial mich nicht entlassen sondern behalten würde. Doch ganz sicher konnte ich mir nicht sein. Er konnte mich auch noch nach dem Abbüßen der Strafe entlassen. Und was das für eine Strafe werden würde, hatte er ebenfalls völlig offen gelassen. Ich malte mir die schrecklichsten Dinge aus.

Ich hätte dem allen entgehen können, hätte ich nur mein Vergehen verheimlicht und darüber geschwiegen. Aber das war etwas, was ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren konnte. Ich selber war es, die mich dazu zwang, meine Sünden zu bekennen. Es war immer noch so wie vor Jahren bei Käpt'n Rin: Wenn ich schon untreu war, dann wollte ich wenigstens ehrlich sein. Und ich war bereit, die Konsequenzen dafür zu tragen.

 

Viel war mit mir den restlichen Abend nicht mehr anzufangen, und ich war froh, als Sir Estorial mir erlaubte, mich zurückziehen zu dürfen.

In der Nacht schlief ich besonders schlecht, weil ich große Angst vor der Strafe hatte.

 

Und der folgende Tag kam mir sehr lange vor, bis endlich Sir Estorial mich zu sich rief.

Ich ging vor ihm auf die Knie und sagte: "Mein Herr, ich bitte um meine Bestrafung. Ich habe einen Fehler begangen und bin bereit, dafür zu büßen." –

"Gut gesprochen, Marie", meinte Sir Estorial schmunzelnd. "Deine Strafe wird darin bestehen, dass du nächsten Sonntag durch die Straßen gehst und dich jedem, der dir begegnet, anbieten wirst." –

Ich erschrak. Diese Strafe war harmlos und fürchterlich zugleich. Wobei die schreckliche Seite überwog.

Es war nicht so ein unangenehmer Gedanke, die Wünsche von Fremden zu befriedigen, aber es war schrecklich, sich ihnen anbieten zu müssen. Es war mir absolut ungewohnt. Mein gesamtes bisheriges Leben war die Initiative zum Beischlaf von meinem Partner ausgegangen, egal ob männlich oder weiblich, oder mir von jemandem Übergeordneten befohlen worden. Die wenigen male, die ich selbst die Sache in Angriff genommen hatte, war ich mir sicher gewesen, dass die andere Person das auch wollte. Und selbst das war mir bereits ein bisschen schwer gefallen. Ich hatte große Angst vor Zurückweisung. Aber nun würde ich jemanden gänzlich Unbekannten fragen müssen, ob er wollte, und ich war auch kein knackiges junges Mädchen mehr …

 

Woraufhin sich die nächsten Tage bis zum folgenden Sonntag noch länger dahinzogen.

 

Schließlich, am Sonntagmorgen, rief Sir Estorial mich zu sich.

Er war nicht im Thronsaal sondern in einer kleinen Kammer, in der ein Tisch stand, ein paar Stühle darum herum, und auf dem Tisch lagen große Papierbögen, Federn, Zeichenstifte und Pinsel, und daneben standen ein paar Gläser mit verschiedenen Farben.

"Hier male oder zeichne ich, wenn mir danach ist", erklärte Sir Estorial, bevor ich noch irgendetwas sagen konnte.

"Komm zu mir her und setz dich auf diesen Stuhl". Er wies auf den Stuhl, der gleich neben dem stand, auf dem er saß.

Nachdem ich Platz genommen hatte, sagte er: "So, und jetzt beuge den Kopf etwas nach hinten und halte still."

Er griff zu einem Glas und nahm mit der anderen Hand einen Pinsel, tauchte ihn ein und begann auf meine Stirn zu malen.

Die Farbe fühlte sich kalt an, trocknete aber sehr rasch. Nach kurzer Zeit war Sir Estorial fertig.

"Und jetzt raus mit dir, komm am Abend wieder und ich erwarte einen ausführlichen Bericht." sagte er.