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Magnus ist ein Mann voller Widersprüche - ein Priester im Leib eines Kriegers. Eines Tages hat er eine Vision, in der ihm eine junge Frau erscheint, die von ihrer Familie als Sklavin gehalten wird. Magnus befreit die schöne Daenaira und macht sie zur Dienerin in seinem Tempel. Doch unter den Reihen seiner Anhänger lauert Verrat. Ein unbekannter Feind will die Shadowdweller ins Verderben stürzen, und Magnus und Daenaira sind die Einzigen, die das noch verhindern können.
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Seitenzahl: 615
JACQUELYNFRANK
SHADOWDWELLERS
Magnus
Roman
Ins Deutsche übertragen von
Beate Bauer
Für Laura
Ich weiß, das hier ist dein Lieblingswerk, also widme ich es dir.
Du bist meine beste, liebste Freundin.
Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde.
Schattensprache – Terminologie
Bedenken Sie, dass keine Übersetzung ganz genau ist. Diese dient dazu, ein paar grundlegende Begriffe zu vermitteln.
Aiya: Ausruf der Frustration oder der Verärgerung (Oje! Ohja! Oh nein! Etc.)
Ajai: (Das J wird ausgesprochen wie in Déjà-vu.) Mein Herr, Meister
Anai: Meine Dame, mein Fräulein
Bituth amec: Hurensohn (oder stärker)
Drenna: Dunkelheit. Der Gott/die Göttin der Dunkelheit
Frousi: Eine Segmentfrucht, die nur in der Dunkelheit wächst. Sie ist reich an Wasser und Pflanzenproteinen, was sie zu einer guten Energiequelle macht.
Glefe: Doppelt geschwungene Waffe, die zum Transport zusammengeschoben wird und die in ausgeklapptem Zustand (wie ein Butterflymesser) die Form eines S hat. In den Händen eines Experten funktioniert die Klinge wie ein Bumerang.
Jei li: (ungefähr) Geliebte/r, Liebste/r, Schatz
K’jeet: Nachthemd, Kaftan
K’yan: Schwester (religiös)
K’yatsume: Eure Hoheit (weiblich), Meine Königin
K’yindara: Flächenbrand, Feuersturm (weibliche Form)
K’ypruti: Miststück, Hure. Verächtliches Schimpfwort für eine Frau.
M’itisume: Eure Hoheit (männlich), Mein König
M’jan: Bruder, Vater (religiös)
Paj: Leichte Seiden- oder Baumwollhose mit engen Bündchen an den Knöcheln; wird traditionell unter einem Rock getragen, der bei jeder Bewegung des Körpers fliegt.
Sai: Dreizackige Waffe aus Stahl, die hauptsächlich zur Verteidigung eingesetzt wird.
Sua vec’a: Halt! Lass das! Hör auf damit!
Die Namen:
Guin
Killian
Acadian
Xenia
Rika
Malaya
Magnus
Daehaira
Tristan
Shiloh
Nicoya
Brendan
Karri
Miranda
Trace
Kentan
Sagan
Cort
Tiana
Ashla
Prolog
Magnus verstand die Natur des Bösen manchmal ein wenig zu gut. Es gab Zeiten wie diese, in denen er sich fühlte, als wäre er zu einem Spiegel dafür geworden, und seine Seele war nur noch ein entferntes Bild, weil andere Dinge sie verdrängten. Es war ein intensives und unwillkommenes Gefühl, fast so, wie den Glauben zu verlieren. Zumindest war es eine hoffnungslose Perspektive, was in seiner Position nicht hilfreich war.
Der Priester holte tief Atem und konzentrierte sich stattdessen auf die schwere Aufgabe, die ihm bevorstand.
Magnus zog das Schwert in seiner vernarbten und schwieligen Hand über die sorgfältig zusammengefügten Granitfünfecke, die den Platz schmückte. Funken stoben von dessen abgewinkelter Spitze, während er einen herausfordernden Bogen beschrieb. Alle Schwertschmiede weit und breit wären zusammengezuckt angesichts dieses groben Missbrauchs einer mühsam von Hand gefertigten Klinge, doch das Böse bedurfte manchmal einer besonderen Einladung. Magnus stach sie in den Granit vor sich.
»Anthran«, rief er, und seine tiefe Stimme hallte von den Brunnen und Nischen in den steinernen Wänden der Gebäude wider, die mit dem Klang spielten. Die karge, verlassene Stimmung des Platzes war in seinen Augen seltsam passend. »Wo, glaubst du, kannst du hingehen, wo ich nicht hinkann, außer ins Licht?«
Und selbst dorthin würde ich dir folgen. Ich würde selbst in dieser Hölle schmoren, wenn es nötig wäre, um sicherzugehen, dass du vernichtet bist und niemals wieder einem lebenden Wesen Leid zufügen kannst.
Magnus’ Stimme wurde lauter, und ihr Donnern löste ein starkes, einschüchterndes Echo aus. »Was versprichst du dir davon, dass du dich versteckst, wo du doch weißt, dass es vorbei ist?«
»Zeit, vielleicht«, erwiderte eine geisterhafte, jedoch vertraute Stimme. »Folge mir, solange du willst, Priester, doch ich bestimme den Weg. Nichts kann mir mehr Befehle erteilen.«
»Außer mir«, erwiderte Magnus mit einem wilden Glanz in den goldenen Augen, während er die gewaltige Leere nach einem Schatten, einem Zeichen absuchte …
»Ja, immer bist du es. Ein zäher kleiner Soldat der rechtschaffenen kleinen Armee der Dunkelheit.« Hinter ihm war ein dramatischer Seufzer zu hören, doch Magnus war nicht so dumm, sich umzudrehen. Stattdessen blickte er kurz hinab auf die Klinge und sah in deren reflektierender Oberfläche, dass sie wie erwartet leer war. Er konnte den enttäuschten Unterton in Anthrans Stimme hören, als sein Gegner feststellte, dass seine miesen Tricks nicht funktionieren würden. »Du machst dich selbst fertig, indem du hinter mir her jagst, Priester, und du stellst es die ganze Zeit infrage. Wie fühlt sich das an, ein hirnloser kleiner Schoßhund für einen Gott zu sein, dem du noch nie begegnet bist?«
»Ich muss meinen Göttern nicht begegnen, um zu wissen, dass sie mir beistehen«, brachte er dem Sünder in Erinnerung.
»Dunkelheit besteht nur aus Schatten, du Dummkopf! Licht ist nur Licht! Es ist nicht Himmel oder Hölle, und da sind auch keine Götter, die Gesetze erlassen, die ich dann breche. Ich bin genau wie du, Magnus, ein Schattenbewohner, ein Wesen mit besonderen Fähigkeiten, die ich meinen Genen verdanke; Fähigkeiten, die ich voll ausschöpfen sollte!«
»Du bedauernswertes Geschöpf, du bist ganz und gar nicht wie ich«, erwiderte Magnus. »Dieses Gespräch ist sinnlos. Komm heraus und zeig dich mir. Wenn du mich zwingst, dich zu jagen, wirst du es bereuen, das verspreche ich dir. Mit Vergnügen werde ich Buße tun dafür, dass ich dich leiden lasse, so wie auch deine Opfer gelitten haben.«
»Dieses Gespräch nützt dir, Magnus, nicht mir. Es gibt keine Opfer, Priester. Ich bin nur ein Traum. Was auch immer ich in diesem Reich tue, ist eine Fantasie und schnell wieder vergessen. Ich bin nur Äther und Dunst.«
»Wenn das wahr wäre, hättest du keinen Grund, mich zu fürchten. Meine Klinge würde dich nie berühren. Doch du weißt, dass das gelogen ist, Anthran. Du bist verbotenerweise ins Traumreich gewechselt. Du hast dich in die Träume Unschuldiger eingeschlichen und bist zu ihrem schlimmsten Albtraum geworden. Du hast deine Begabungen als Schattenbewohner missbraucht und bist zum schlimmsten Sünder geworden. Das wirst du mir büßen.«
»Blinder Glaube ist noch immer blind, Magnus. Ich glaube nicht an deinen Glauben und an deine Gesetze. Du denkst, du darfst im Schattenreich, im Traumreich und in allen anderen Reichen Recht sprechen? Du ernennst dich selbst und deinen religiösen Tempel zur kämpfenden Schutztruppe? Warum? Wegen einer heiligen Schrift? Überkommenes Geschreibsel unserer Vorväter, die vielleicht krank waren oder wahnsinnig? Oder tust du das für unsere Zwillingspüppchen, die du so nett als unseren König und unsere Königin hochhältst? Ha! Du Dummkopf!«, stieß Anthran verächtlich hervor. »Ist es das, wofür du die geistigen und körperlichen Freuden opferst? Es ist unnatürlich, wie du und deine Eunuchen und diese frigiden Weiber leben. Wenn du ein paar wollüstige Frauen hättest, die auf deinem Schwanz reiten, würdest du vielleicht nicht so schnell die Bedürfnisse eines richtigen Mannes verurteilen. Ich habe nicht das Bedürfnis, mit dir zu kämpfen, M’jan, ich will dich nur vor den Irrtümern deiner fanatischen Überzeugungen abbringen.«
»Ah, aber ich will mit dir kämpfen«, bemerkte der Priester finster, um seinen Feind zu provozieren. »Komm, Sünder, komm. Ich werde deiner Lektion so lange zuhören, wie du sie mir mit dem Schwert in der Hand und mit Schweiß auf der Stirn erteilst.«
»Abgemacht!«
Anthran tauchte aus dem Nichts auf und gab Magnus kaum die Chance, den surrenden Hieb seines viel schwereren zweihändigen Schwerts zu parieren. Der Priester biss die Zähne aufeinander, als der Zusammenprall seine Knochen vibrieren ließ und er dann mit einem Reiben von Metall auf Metall das Gewicht seines Gegners fortstieß. Sobald sie voneinander getrennt waren, begannen sie, einander zu umtänzeln.
»Nicht schlecht«, murmelte Magnus, »aber nicht gut genug.«
»Ich habe mich mit der Umgebung vertraut gemacht«, warnte Anthran mit einem arroganten Kräuseln der Lippen. »Ich bin besser, als du denkst.«
»Danke für die Warnung. Trotzdem bist du ein hilfloses Lämmchen. Ich kenne die Wege des Traumreichs seit Jahrhunderten. Glaub bloß nicht, dass du mir mit meiner Erfahrung überlegen bist.« Magnus führte mehrere schnelle Hiebe mit seinem Schwert aus, was seinen Gegner zwang, in Lichtgeschwindigkeit zu parieren. Sobald er den anderen dazu gebracht hatte, seine Deckung aufzugeben, trat er ihn heftig in die Rippen. Anthran stolperte rückwärts, hielt nur mit Mühe das Gleichgewicht und konnte gerade noch verhindern, dass er auf den Granit stürzte, wo er völlig schutzlos gewesen wäre. Er hustete, warf seine schwarzen Haare zurück und grinste, als der Priester auf ihn zukam.
»Stiefel mit Stahlkappen«, bemerkte er und nahm sich einen Moment Zeit, um seine verletzte Seite zu dehnen. »Glaubst du, dass solche kleinen schlauen Tricks den Kampf zu deinen Gunsten wenden? Das ist bloß Taktik. Lichtreich-Denken. In dieser Welt geht es um Macht und Magie und darum, wie weit die Vorstellungskraft reicht!«
Magnus nutzte seinen Vorteil und ließ nicht zu, dass Anthran sich während seines Geplauders erholte. Seine leichtere Klinge bewegte sich so rasch wie ein tückisches Rasiermesser, doch es war nicht dazu geeignet, eine viel schwerere Klinge zu parieren. Es war eine ungeheure Kraftanstrengung für ihn, den Feind abzuwehren.
»Vielleicht kannst du gegen jemanden kämpfen, der dir vollkommen gleicht, M’jan Magnus!«
»Glauben, Anthran! Du fragst mich, warum ich so rechtschaffen kämpfe ohne einen Gottesbeweis? Man nennt es Glauben! Ich glaube aus ganzem Herzen …«, er sprang vor, Klingen klirrten aufeinander, und er tänzelte mit einer Schnelligkeit, die man bei seinem beeindruckenden Körperbau nicht erwartet hätte, erneut außerhalb von Anthrans Reichweite, »… aus tiefster Seele, dass kein Universum einem lasterhaften, gemeinen Stück Dreck wie dir diese Art von Macht und die Freiheit gewähren würde, dich auf Kosten anderer an Sünde und Frevel zu ergötzen. Nicht ohne die Möglichkeit, für einen Ausgleich zu sorgen. Ich bin der Ausgleich. Ich bin die Versicherung.«
»Versicherung!«, spie Anthran verächtlich aus, während er seine Waffe wild über dem Kopf schwang. »Du bist ein Dummkopf, der eine Gehirnwäsche verpasst bekommen hat, Magnus! Dein Glaube versklavt dich, und du besingst ihn auch noch! Er unterdrückt dich, und du preist ihn! Der Tod ist der einzige Weg, wie du mir diese Fähigkeit wieder entreißen kannst!«
»So soll es sein«, stieß Magnus hervor. Er schwang seine Waffe hoch über dem Kopf, um die ganze Aufmerksamkeit seines Gegners auf sich zu ziehen, und griff rasch nach den Bolos in dem festen Lederbeutel, der an seiner linken Hüfte am Gürtel hing. Eine Silberkugel schmiegte sich in seine Handfläche, während die andere bereits losflog und den Stacheldraht zwischen ihnen spannte. Kugel und Draht trafen Anthran, wickelten sich um seinen Bizeps wie eine Boa constrictor, die ihre Beute umschlingt, und Magnus zog kräftig und unbarmherzig daran, um die Waffe festzuzurren.
Anthran brüllte vor Schmerz, als die Metallhaken sich in sein Fleisch bohrten und es hörbar aufrissen. Anthrans schwere Waffe flog davon, unbrauchbar jetzt, nachdem ein Arm bewegungsunfähig war. Der Priester warf die Kugel, die er noch immer in der Hand hielt, und das lose Ende schlang sich um Anthrans Taille, wo es sich in die Haut bohrte und vor allem dessen herabhängenden Arm an die Seite fesselte.
Anthran schrie auf vor Zorn und griff dann auf seine einzige Möglichkeit zurück. Er schloss die Augen und konzentrierte sich, während Magnus’ tödliche Klinge näher kam. Der Priester spürte den Angriff, kurz bevor er getroffen wurde, und er ging in Deckung, um dem Schwarm von Wurfsternen auszuweichen, die an ihm vorbeizischten. Trotzdem spürte er, wie sich zwei bis zum Knochen in seine linke Schulter bohrten.
Magnus biss die Zähne aufeinander, während er wieder auf die Füße kam. Er hatte die volle Beweglichkeit in der Schulter verloren, doch das würde ihn nicht von seinem Ziel ablenken. Er nahm das Schwert in die andere Hand und riss den unverletzten Arm hoch, wobei er seinen Zorn nutzte, um die Macht der Traumwelt nach seinem Willen zu lenken. Elektrisches Feuer schoss in gezackten Blitzen vom Himmel herab und schlug genau zwischen Anthrans Füßen in den Granit ein. Der Sünder wurde nach hinten geschleudert und flog mehrere Meter durch die Luft, bevor er auf dem Boden aufschlug. Ungeachtet der Distanz war Magnus schon da, als jener auftraf, und versetzte dem schwer verbrannten Verräter einen Tritt in den Bauch, damit er ihn packen und auf die Knie ziehen konnte.
Sobald der andere kniete, drückte der Priester ihm sein Schwert an die Kehle und hielt nur kurz inne, um Luft zu schöpfen.
»Bereue«, krächzte er und achtete nicht auf den Schmerz und auf das Blut, das ihm aus der Schulterwunde über den Rücken lief. »Bereue, und ich werde nicht weitermachen. Flehe um Gnade und sag, dass du Buße tun willst und Führung suchst, um auf den Pfad deines Volkes zurückzukehren. Wir wissen um die Versuchung, wir glauben an Läuterung.«
»Du bist eine Konkubine«, stieß Anthran hervor, und seine dunklen Augen waren wie Ölflecken, als er zu Magnus aufschaute und sie sich mit Zorn und Verachtung für all das füllten, was dem Priester heilig war. »Du bist eine Hure und ein Sklave deines dummen Glaubens und der idiotischen Kinder auf dem Thron. Ich bin frei!«
»Du wirst sterben, wie das Gesetz es verlangt!«, brüllte Magnus und zeigte zum ersten Mal seinen heftigen Zorn. »Im Namen Drennas, Anthran, ich bitte dich, komm zur Vernunft! Bereue!«, rief Magnus, während er sich breitbeinig hinstellte und sein Schwert schwang.
»Zum Teufel mit dir und deinen Gesetzen«, stieß Anthran hervor.
Magnus ließ sein Schwert niedersausen und erfüllte so seine Pflicht. Es gab ein Geräusch, als es durch die Luft schnitt mit seiner scharfen Klinge, die von nichts aufgehalten werden konnte. Nicht einmal vom Hals eines verrückt gewordenen Mannes.
Magnus schritt durch den Vorraum des Sanktuariums und überquerte einen weitläufigen Platz zum Hof auf der gegenüberliegenden Seite. Er marschierte durch den friedvollen Steingarten mit dem Ebenholzbrunnen und den Statuen, bis er zu den Schlafsälen der Frauen kam. Die Schüler, für die alle Priester und Dienerinnen gemeinsam verantwortlich waren, waren nach Geschlechtern getrennt, wie es Weisheit und Tradition vorschrieben. Männer hatten hier keinen Zutritt, so wie auch keine Frauen in den Sälen des anderen Geschlechts geduldet wurden. Natürlich bildeten Lehrer und Betreuer eine Ausnahme, obwohl auch das aus Gründen des Anstands nicht gern gesehen wurde.
Doch es handelte sich um Magnus, den Priester, der der Dunkelheit selbst am nächsten stand und der ihr mächtigster und respekteinflößendster Beschützer war. Es gab keinen Winkel im Sanktuarium, zu dem ihm der Zutritt verwehrt war.
Er stieg ins nächste Stockwerk hinauf und ging weiter bis zu den abseits gelegenen Räumen, die den Schülern vorbehalten waren, die, aus welchen Gründen auch immer, von den anderen getrennt worden waren. Normalerweise ging es dabei um Krankheiten oder Verletzungen oder um Fragen des Gehorsams, die eine solche Isolation rechtfertigten.
Doch an diesem Abend ging es um etwas viel Schlimmeres.
Magnus machte sich nicht die Mühe, anzuklopfen, bevor er eintrat. Der kleine Raum war spartanisch und still, und die einzigen Anwesenden waren eine Dienerin, die rasch von dem Stuhl neben dem Bett aufsprang, und ein junges Mädchen, das im Bett lag und nicht einmal blinzelte, als er hereinkam. Sie starrte nur mit leerem Blick nach oben, die Decken noch immer so um ihren reglosen Körper gewickelt wie vor zwei Tagen, als man sie hierher gebracht hatte.
Magnus sagte nichts zu der Geistlichen, die Wache hielt, doch die zog sich sogleich zurück und ließ den Priester so gut es ging mit der Schülerin allein, ohne dass sie den Raum verließ. Magnus sank neben dem Bett auf ein Knie und beugte sich über das ausdruckslos und dumpf daliegende Kind, das er nicht hatte beschützen können.
»Miranda.« Er sprach leise flüsternd zu ihr, und er glaubte, dass dies die einzige Mitteilung auf der ganzen Welt war, die sie hören wollte. »Das Ungeheuer ist tot, mein Kleines. Der, der sich in deine Träume geschlichen hat, ist nicht mehr.« Magnus hob seine blutverschmierte Waffe über ihre starren Augen. »Sein Kopf rollt noch immer über den Boden des Traumreichs, die Hände, die dir Gewalt angetan haben, sind abgeschlagen. Ich habe sein Herz mit der Spitze meines Schwerts durchbohrt, bis sein verderbtes Wesen vernichtet wurde. Er wird dir nie, nie wieder wehtun können.«
Zum ersten Mal, seit sie aus dem letzten Albtraum erwacht war, blinzelte das verletzliche junge Mädchen. Sie bewegte nur eine Hand und packte das Schwert in der Mitte der Klinge. Magnus bewegte sich nicht und zog es auch nicht zurück, obwohl er wusste, wie scharf es war. Stattdessen erlaubte er ihr, die im Kampf beschädigte Waffe an ihre Brust zu ziehen, und sah zu, wie sie den Stahl langsam umarmte, als wäre der ein geliebtes Kuscheltier. Sie drehte sich von ihm weg, und er ließ den Griff los. Sie zog die Knie an, umschlang das Schwert mit ganzer Leidenschaft und begann leicht zu beben, wie es immer mit dem ersten Aufwallen von Tränen einhergeht.
Trotzdem geschah es in vollkommener Stille, während sie ihren neuen besten Freund umarmte.
1
Zwei Monate später …
Daenaira blinzelte überrascht, als die Schlösser zu ihrem Zimmer von außen klackend geöffnet wurden. Es war fast ein zuversichtlicher Klang, was ebenfalls überraschend war, doch dann herrschte eine lange Weile Stille, und sie lächelte finster. Die Tür wurde aufgerissen, und der rundliche Körper ihrer Tante füllte den Rahmen aus.
»Auf geht’s, Mädchen. Endlich bin ich dich los.«
Dae wusste erst nicht, wie sie auf diese Nachricht reagieren sollte. Winifred hatte ihr seit Jahren alles Mögliche angedroht: angefangen damit, sie wegzugeben, bis dahin, dass sie jemanden anheuern würde, der ihr die Kehle durchschnitt, also verengte sie misstrauisch die Augen.
Winifred schüttelte ihr dickes Handgelenk und ließ die neunschwänzige Katze, die sie hielt, klimpern, und die Schnüre gaben ein beinahe melodiöses Klingeln von sich, als die Metallspitzen aneinanderschlugen.
Anscheinend war Wini heute milde gestimmt. Normalerweise sah sie sich veranlasst, die Halsfessel zu benutzen, um Dae auf Linie zu bringen. Die Manschetten der Fesseln lagen noch immer um Daenairas Knöchel und um deren Hals und rieben sie wund, vor allem so kurz nach dem letzten Stromschlag, den Winifred ihr verpasst hatte. Er war so stark gewesen, dass er Dae die Haut verbrannt hatte, was das Scheuern noch schlimmer machte.
Winifred hielt normalerweise die Fernbedienung dafür bereit, doch diesmal konnte Daenaira die Umrisse in deren Schürzentasche sehen. Und Wini war nicht besonders schnell. Sie war ungewohnt mutig; fast mutwillig, dachte Dae, während sie ihre Augen weiter verengte.
»Aufstehen, habe ich gesagt!«
Dae zuckte mit den Schultern und stand auf. Sie war noch immer erschöpft, da sie nicht gern schlief, wenn sie wusste, dass die Hausgemeinschaft wach war. Wenn der Tag anbrach und die Schattenbewohner schlafen gingen, konnte sie sich besser ausruhen. Tante Winifred und Onkel Friedlow schliefen wie zwei fette tote Schweine, sobald sie sich hingelegt hatten. Doch einmal hatte Friedlow versucht, sie hereinzulegen … deshalb hatte sie auch dann nur einen leichten Schlaf.
Sie ging durch den Raum, bis die Ketten sie einen halben Meter von der Tür entfernt jäh stoppten. Friedlow tauchte auf, und für Daenaira roch es augenblicklich nach Ratte. Sie wich rasch zurück und kauerte sich zusammen, was immer das Schwein auch vorhatte. Doch er unternahm seine idiotischen Angriffe ihr gegenüber nur noch selten. Zu viele Kniestöße in seinen feuchten kleinen Schritt, dachte sie. Als er den Schlüssel für ihre Handschellen hochhielt, konnte sie nicht umhin, eine Braue hochzuziehen. Seine Hände zitterten, und der Schlüsselring klirrte heftig, was ihr eine gewisse Genugtuung verschaffte. Vom sicheren Türrahmen aus grinste seine Frau ihn an.
»Wir haben dich verkauft. Jetzt können sich andere mit dir herumschlagen. Vielleicht können sie für dich zur Abwechslung eine anständige Nachtarbeit finden.«
Verkauft. Oh Ihr Götter. Sie hatten immer damit gedroht, doch sie hätte nie gedacht, dass sie es wirklich tun würden. Vielleicht logen sie ja, doch sie spürte nur allzu deutlich, dass sie es nicht taten. Daenaira war nicht so dumm zu glauben, dass der nächste Ort, an den sie käme, besser wäre. Ihr Lebensmotto? Es konnte nur schlimmer werden.
Sie überlegte, ob sie ihm noch einmal eine verpassen sollte, als ihr schmuddeliger Onkel sie loskettete. Doch da waren noch die neunschwänzige Katze und die Halsfessel, und sie war wirklich verdammt müde. Zudem würde sie ihre Energie dort brauchen, wo sie hinkam. Trotzdem war Dae überrascht, als er die Fessel von ihrem Handgelenk losmachte und auch die Kette aus der Öse zog. Normalerweise lösten sie die Kette, ließen aber die Handschellen dran, um sie sofort wieder fesseln zu können, sobald sie Ärger machte. Doch Wini hatte noch immer die Fernbedienung, und sie spielte bereits nervös daran herum. So wie Dae sie kannte, würde die dumme Kuh sie noch aus Versehen auslösen.
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