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William Shakespeare: seine Zeit, sein Werk und dessen Wirkung - auf 100 Seiten hat Stefana Sabin alles Wissenswerte über den Barden von Avon zusammengefasst.
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Seitenzahl: 107
Stefana SabinShakespeare auf 100 Seiten
Reclam
Alle Rechte vorbehalten
© 2014 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
Umschlagzeichnung: Rosalie Kletzander
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen
Made in Germany 2014
ISBN 978-3-15-960671-2
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019276-4
www.reclam.de
1. Das biographische Rätsel oder: Wer war Shakespeare?
2. Die elisabethanische Theaterszene oder: Unterhaltung für alle
3. Das Werk oder: Die Erfindung des Menschlichen
3.1 Die Komödien oder: Das Glücksversprechen
Die Komödie der Irrungen
Der Widerspenstigen Zähmung
Die zwei Herren aus Verona
Liebes Leid und Lust
Ein Sommernachtstraum
Der Kaufmann von Venedig
Die lustigen Weiber von Windsor
Viel Lärm um nichts
Wie es euch gefällt
Was ihr wollt
Ende gut, alles gut
Maß für Maß
Ein Wintermärchen
Der Sturm
3.2 Die Historien oder: Der Wille zur Macht
König Johann
Richard II.
Heinrich IV.
Heinrich V.
Heinrich VI.
Richard III.
Heinrich VIII.
3.3 Die Tragödien oder: Die Todesspirale
Titus Andronicus
Romeo und Julia
Julius Cäsar
Troilus und Cressida
Hamlet
Othello
König Lear
Macbeth
Antonius und Cleopatra
Coriolan
Timon von Athen
Cymbeline
3.4 Die Sonette oder: Das Liebesdreieck
4. Die fernen Schauplätze oder: Die Italienschwärmerei
5. Das Pfund Fleisch oder: Der Antisemitismusvorwurf
6. Das ewig Andere oder: Die Geschlechterspannung
7. Ein deutscher Klassiker aus England oder: Shakespearomanie
Hinweise zur E-Book-Ausgabe
1588 wurde Elisabeth Tudor Königin von England. Sie war die Tochter von Heinrich dem Achten und Anne Boleyn, deren Liebesgeschichte als folgenreichste Liebesgeschichte des Jahrtausends gilt. Denn Heinrichs Entschluss, die bürgerliche Anne zu heiraten, hatte zur ersten königlichen Scheidung im christlichen Abendland und diese wiederum zum Bruch Londons mit Rom und zur Gründung einer unabhängigen protestantischen Kirche in England, der Anglikanischen Kirche, geführt.
Von Anfang an musste Elisabeth sich gegen Feinde im In- und Ausland behaupten. Den Katholiken galt sie als Bastardin ohne Anrecht auf die Krone, den Protestanten war sie nicht protestantisch, nämlich nicht antikatholisch, genug, und die Beziehungen zu Spanien und Frankreich, den katholischen Mächten, waren äußerst gespannt. Zudem war das England, das sie übernahm, wirtschaftlich und militärisch geschwächt.
Dank einer Mischung von Nachgiebigkeit und Stärke, von Gerissenheit und Charme, setzte Elisabeth sich durch; sie hatte, schrieb der Romancier Anthony Burgess, »the mind of a man and the arts of a woman« – den Verstand eines Mannes und die Geschicklichkeit einer Frau. Sie hatte – und behielt – einen kühlen Kopf und ein kühles Herz. Sie setzte ihr Ledigsein als Köder und als Waffe ein; sie war gebildet und förderte die Künste; sie umgab sich mit klugen Beratern und verstand es, deren Klugheit zu nutzen, ja auszunutzen.
Unter Elisabeths Regierung wurde England See- und Kolonialmacht, und mit diesem Bewusstsein einer neuen wirtschaftlichen Stärke wuchs die Sehnsucht nach kultureller, dem nationalen Selbstgefühl angemessener Bedeutung. Zwar gab es einen literarischen Fundus an Romanzen französischer Prägung, an Reimerzählungen, an historischen Schriften; darüber hinaus hatte die Bibelübersetzung von John Wycliff (1383) die Sprachentwicklung im 14. Jahrhundert ebenso beeinflusst wie Geoffrey Chaucers Canterbury Tales, die den mittelenglischen Dialekt Londons als Dichtungssprache etablierten. Aber auch lange nach Chaucer blieb das Mittelenglische, das nie eine einheitliche Sprache war, sondern sich aus verschiedenen Dialekten nährte, eine Mischsprache: reich, aber derb und ästhetisch roh. Der kulturelle Behauptungswille aber, den der Wohlstand der elisabethanischen Epoche mit sich brachte, hatte auch eine sprachliche und literarische Sensibilisierung zur Folge: die Zeit verlangte nach einem großen englischen Dichter.
Dieser Dichter wurde zu Elisabeths berühmtestem Untertan. 1564 in Stratford-upon-Avon, 160 Kilometer nordwestlich von London (die Reise, zu Pferd oder mit der Kutsche, dauerte damals vier Tage), in eine Handwerkerfamilie geboren, sollte er mit seinen Stücken für die Londoner Unterhaltungsindustrie zum Aufstieg der englischsprachigen Literatur beitragen. Dabei sind Einzelheiten der Biographie und überhaupt die Identität dieser Dichterfigur unklar, die als William Shakespeare in die Literatur- und Geistesgeschichte eingegangen ist.
»Und nun will ich die gesicherten Tatsachen aufstellen, die uns etwas angehn«, heißt es in einem Vortrag von Gustav Landauer über »Shakespeares Persönlichkeit«: »Eine kleine Landschaft – Flüsse, Felder, Wiesen, Wälder. Ländliches, zunftmäßiges Handwerk; die Gemeindeverfassung ganz mittelalterlich. Was der junge William trieb, wissen wir nicht. Gerüchte allerlei Art besagen nur, was wir uns sowieso denken müssen: daß eine glühende Jugendnatur in der Enge wild und schäumend wurde. … Etwa 18 ½ Jahre alt heiratet William Shakespeare; eilig, mit nur einmaligem Aufgebot und besonderer Erlaubnis des Bischofs. Die erfolgt November 1582; Mai 1583 ist das erste Kind da, die Tochter Susanna … Daß es da stürmisch, unregelmäßig herging, ist sicher. Zwei Jahre darauf, 1585, gibt es Zwillinge: der Sohn Hamnet, der dann als Elfjähriger in Stratford starb, die Tochter Judith. Von 1592 an ist Shakespeare in London als Schauspieler und Theaterdichter bekannt. Wann er dahin gekommen ist, ob er einfach ausgerissen ist, wann er mit Dichten anfing, wo er die Bildung her hatte, die sich von allem Anfang an zeigt: nichts von alledem wissen wir … Nicht die geringste Nachricht, daß seine Frau und die Kinder je in London gewesen wären. … Von 1612 an etwa … wird Shakespeare wieder seinen Wohnsitz in Stratford gehabt haben. … Am 25. März 1616: Testament. Am 23. April – nach unserem Kalender 3. Mai – starb er.«
Landauers Abriss enthält die wesentlichen Daten der Shakespeare-Biographie. Nicht geklärt ist bis heute, warum William Shakespeare seine Geburtsstadt Stratford-upon-Avon, seine Frau und seine Kinder verließ und mit Anfang zwanzig nach London zog. Manche Biographen meinen, dass er sich Wanderschauspielern, die in den 80er Jahren des 16. Jahrhunderts in der Gegend von Stratford auf Tournee waren, anschloss, mit ihnen zuerst herumzog und schließlich nach London kam. Aber neueren biographischen Studien zufolge hat Shakespeare mehrere Jahre auf Houghton Tower, einer katholischen Enklave in Lancashire, verbracht – es sind die sogenannten »verlorenen Jahre«, weil es dafür keine biographische Dokumentation gibt – und musste von dort vor der antikatholischen Repression fliehen.
Auch, wann genau Shakespeare nach London kam, ist nicht sicher, aber um 1590 war er als Schauspieler und Theaterdichter bekannt. Nachdem er sich zuerst mit Gelegenheitsarbeiten durchgeschlagen hatte, trat er der berühmtesten Schauspielertruppe Londons bei, die unter dem Schutz des Lordkämmerers stand und ein eigenes Theater hatte. Schon nach wenigen Jahren hatte Shakespeare sich zum Hauptautor der Truppe emporgeschrieben und war Teilhaber des Theaters. Vom armen Wanderschauspieler zum Theaterbesitzer – Shakespeares Karriere ist eine Erfolgsgeschichte, aber seine Identität steht nicht eindeutig fest und ist bis heute Quelle biographischer Spekulationen.
Dass Will Shakespeare bloß ein Theaterjunge gewesen sei, unter dessen Namen Edward de Vere, der 17. Earl of Oxford, sein eigenes Werk veröffentlichen ließ; dass es der Name gewesen sei, unter dem der Dramatiker Christopher Marlowe nach seinem inszenierten Tod weiterschrieb; dass es ein Pseudonym des Schriftstellers Ben Jonson oder des Gelehrten Francis Bacon gewesen sei – das sind die geläufigsten Hypothesen. Doch es gibt auch die Unterstellung, dass Shakespeare Jude gewesen sei und dieses im ›judenfreien‹ England lebensgefährliche Geheimnis habe hüten müssen, weswegen er seine biographischen Spuren konsequent verwischt habe – oder dass eine Conversa, also eine zum Christentum übergetretene Jüdin, die eigentliche Autorin des Werks sei, das man Shakespeare zuschreibt, nämlich Amelia Bassano Lanier, die Tochter eines italienischen Musikers, der am elisabethanischen Hof tätig war. Nach noch einer anderen Vermutung hat der italienische Flüchtling John Florio seinen ursprünglichen Namen Crollalanza zu »Shakespeare« anglisiert und unter diesem Pseudonym geschrieben. Sogar die Annahme, dass Elisabeth I. selbst die Autorin jenes dramatischen und lyrischen Werks sei, das Shakespeare zugeschrieben wird, taucht immer wieder auf. Schließlich gibt es Argumente dafür, dass die Stücke Gemeinschaftswerke von Autoren und Schauspielern der Truppe gewesen und bloß der Einfachheit halber unter dem Namen William Shakespeare erschienen seien. »ich selber neige zu Shakespeare als chef der dramaturgie,« notierte Bertolt Brecht 1940 in seinem Arbeitsjournal, »das benutzen alter stücke, die notwendigkeit, repertoire zu schaffen, das rollen-auf-den-leib schreiben, der soufflierbuchcharakter der stücke, die hastig zusammengeleimten partien, die naive theaterlust und das ingeniöse handwerk, der umstand, dass sowohl lyrik als reflexion ganz und gar bühnenmäßig und unselbstständig erscheinen, all das spricht für die autorschaft eines schauspielers oder theaterleiters.«
Das »Sanders Portrait«
Auch über Shakespeares Aussehen wird gerätselt. Zwar hat das Porträt, das auf der ersten Seite der postum erschienenen sogenannten Ersten Folio-Ausgabe von 1623 abgedruckt wurde (vgl. S. 26), die Vorstellung von Shakespeares Aussehen geprägt, aber dessen Entstehungszeit ist ungewiss. Die andere anerkannte Darstellung Shakespeares ist die Büste auf dem Grab in Stratford-upon-Avon. Und dann gibt es noch zwei Bildnisse aus dem 17. Jahrhundert, von denen man annimmt, dass sie Shakespeare zeigen, die aber ihrerseits auf jene Folio-Gravur zurückgehen. Hunderte von angeblichen Shakespeare-Porträts sind seit Mitte des 18. Jahrhunderts immer wieder aufgetaucht, aber keines überstand die kunsthistorischen Echtheitsuntersuchungen. Anfang des 21. Jahrhunderts tauchte in der kanadischen Provinz ein Gemälde auf, das als Sanders Portrait – nach dem Schauspieler-Maler John Sanders, einem Mitglied von Shakespeares Truppe – benannt wurde und das angeblich über Jahrhunderte im Familienbesitz der Sanders geblieben war, von Generation zu Generation weitergereicht wurde und schließlich in die Neue Welt kam. Das Sanders-Porträt wäre das einzige zu Lebzeiten Shakespeares, 1603, entstandene Porträt: In Ölfarbe auf Holz zeigt es einen gutaussehenden jungen Mann mit frechem Lächeln und ironischem Blick.
Schon für damalige Zeiten war London eine pulsierende Großstadt. Die relative politische Stabilität während der Regierung von Elisabeth I. brachte einen wirtschaftlichen Aufschwung, der seinerseits die Urbanisierung vorantrieb. Der Hafen wurde zu einem bedeutenden Umschlagplatz, die sogenannte City zu einem Finanz- und Handelszentrum. London wurde zur Metropole: enge Straßen, chaotischer Verkehr, ständige Baustellen, hoher Geräuschpegel, übler Geruch. Shakespeare, der um 1590 aus der Provinz nach London kam, muss von dem Stadtbild fasziniert gewesen sein – wohl ähnlich fasziniert wie alle anderen Zuwanderer: Landarbeiter und Provinzadlige, Händler und Kaufleute, die auf der Suche nach dem besseren Leben nach London strömten.
Auch die kulturelle Szene florierte. Immer mehr Bücher – historische Studien und Gedichtsammlungen – wurden gedruckt, und das Theater wurde zu einer Form der Massenunterhaltung. Denn die Aufführungen fanden in den Innenhöfen der Wirtshäuser statt, deren Hauptklientel aus einfachen Kaufleuten, Arbeitern und Lehrlingen bestand. Da eine Theaterkarte nur 3 Pennies kostete, wenig mehr als eine Pfeifenfüllung Tabak, konnte jeder es sich leisten, sich den Wirtshausbesuch durch eine Theateraufführung zu verschönern. Die Wirtshäuser waren aber nicht nur Orte der Geselligkeit, sondern auch Treffpunkte der Halbwelt und somit Schauplätze von Raufereien, an denen Schauspieler oft beteiligt waren. Der Schauspieler Gabriel Spencer hatte im Streit seinen Kontrahenten umgebracht, bevor er seinerseits von dem Dramatiker Ben Jonson im Duell getötet wurde, und Christopher Marlowe wurde in einer Kneipe unter bis heute ungeklärten Umständen erstochen.
Auch deshalb verbot schließlich der Londoner Magistrat, der der Schauspielerei als einer frivolen Unterhaltungsform ohnehin wenig wohlgesonnen war, Theateraufführungen in den Wirtshäusern und vertrieb die Schauspielertruppen aus der Innenstadt. Zuerst im Norden, dann am südlichen Ufer der Themse entstand nun ein regelrechtes Vergnügungsviertel. Zwischen Kneipen, Bordellen und Tierkampfarenen wurden Theater mit einfachen, suggestiven Namen wie The Rose, The Fortune, The Hope, The Globe errichtet.
The Globe wurde zum erfolgreichsten Theater Londons – nicht zuletzt dank jener Stücke, die Shakespeare für das Ensemble um Richard Burbage, die Lord Chamberlain’s Men, also für die Schauspieler des Hofkämmerers, schrieb. Als Gelegenheitsschauspieler, vor allem aber als Autor für Burbages Ensemble war Shakespeare so erfolgreich, dass er Teilhaber des Theaters wurde, das Burbage 1598 baute.
Das Globe war, soweit man aus Dokumenten rekonstruiert hat, ein fast runder, genaugenommen wohl achteckiger Fachwerkbau, drei Stockwerke hoch und etwa 30 Meter im Durchmesser, mit Platz für etwa 3000 Zuschauer – ein Riesentheater also! Die billigsten Plätze waren im Innenhof vor der großen Bühne: Stehplätze unter freiem Himmel, die einen Penny Eintritt kosteten. In den umlaufenden Galerien gab es überdachte Sitzplätze, je weiter oben, desto teurer, je einen Penny mehr als der Grundpreis pro Stockwerk, und auch die Sitzkissen mussten gesondert bezahlt werden. Die Bühne war rechteckig, etwa 15 Meter breit und 9 Meter tief, und da sie in den Zuschauerraum hineinragte, stellte sich eine besondere Nähe zwischen Zuschauern und Schauspielern ein.
Anders als der Innenhof war die Bühne überdacht, und dieses Dach war multifunktional. Es bot Schutz vor dem Wetter, wurde für Inszenierungen genutzt, indem Schauspieler oder Requisiten an Seilen herabgelassen wurden, und es diente auch als Magazin, in dem die Requisiten untergebracht wurden. Ähnlich wurde auch der Keller unter der Bühne genutzt. Durch eine Falltür konnten Schauspieler oder Requisiten auf die Bühne gehoben oder von der Bühne hinabgesenkt werden. An der Bühnenrückseite befanden sich mehrere Zugänge, der mittlere davon konnte durch einen Vorhang abgetrennt und so inszenatorisch genutzt werden. Auch die Galerie im ersten Stock hinter der Bühne konnte in die Inszenierungen einbezogen werden, so zum Beispiel in der Balkonszene in Romeo und Julia. Hinter der Bühne befanden sich die Umkleideräume der Schauspieler.
(Nachdem das Globe 1613 abgebrannt war, wurde es ein Jahr später mit veränderter Architektur an gleicher Stelle wiederaufgebaut. 1642 aber schloss die puritanische Regierung alle Theater, und das Globe wurde, nachdem es zuerst leergestanden hatte, 1644 abgerissen. Erst 1989 wurden bei Bauarbeiten Reste des Theaterfundaments wiederentdeckt. Eine Kampagne für die Wiedererrichtung des Globe begann, und 1997 wurde das neue Globe, 230 Meter vom ursprünglichen Standort entfernt, nach historischem Muster, aber modernen Sicherheitsvorschriften entsprechend, eröffnet.)
Das ursprüngliche Globe