Sie sieht, was du tust - Sam Lloyd - E-Book

Sie sieht, was du tust E-Book

Sam Lloyd

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Beschreibung

«Es gibt Tagmenschen und es gibt Nachtmenschen, und ich gehöre definitiv zu Letzteren. Mein Leben findet nach Einbruch der Dunkelheit statt.» Mercy Lake ist eine Außenseiterin, die es liebt, andere zu beobachten. Durch eine Tageslichtphobie ans Haus gefesselt, verlässt sie ihre Wohnung nur im Schutz der Dunkelheit, um die Menschen in ihrer Stadt zu beobachten. Zum Beispiel den Einbrecher «Kalte Hand Carl» oder «Liebeskummer-Linda», die immer Pech mit Männern hat. Und Simon Rafferty und seine Familie, der Mercy sich wegen einer einstweiligen Verfügung nicht nähern darf. Unbemerkt manipuliert Mercy die Leben ihrer Mitmenschen; nur um zu helfen, wie sie sich selbst immer wieder versichert. Als Mercy eines Nachts Louis kennenlernt, nimmt ihr Leben eine neue Wendung. Denn auch Louis mischt sich gerne in die Angelegenheiten anderer ein, allerdings zieht er eine drastischere Vorgehensweise vor. Er ist der Meinung, dass die meisten Leute in Cranner's Fort keine Hilfe brauchen, sondern Bestrafung verdienen. Am Anfang findet Mercy noch Gefallen daran, in der Stadt für Gerechtigkeit zu sorgen. Bis das Spiel außer Kontrolle gerät ...

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Seitenzahl: 477

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sam Lloyd

Sie sieht, was du tust

Thriller

 

 

Aus dem Englischen von Katharina Naumann

 

Über dieses Buch

Du siehst sie nicht. Aber sie kennt jedes deiner Geheimnisse.

 

Mercy Lake ist eine Außenseiterin. Sie liebt es, andere im Schutz der Dunkelheit zu beobachten: den Einbrecher «Kalte Hand Carl» oder «Liebeskummer-Linda», die immer Pech mit Männern hat. Und Simon Rafferty mit seiner Familie, der Mercy sich wegen einer einstweiligen Verfügung nicht nähern darf. Unbemerkt manipuliert sie die Leben ihrer Mitmenschen - nur um zu helfen, wie sie sich immer wieder versichert.

Als Mercy eines Nachts Louis kennenlernt, nimmt ihr einsames Leben eine unerwartete Wendung. Denn auch Louis mischt sich gern in die Angelegenheiten anderer ein. Allerdings ist er der Meinung, dass die meisten Leute in Cranner's Fort keine Hilfe brauchen, sondern Bestrafung verdienen. Anfangs findet Mercy noch Gefallen daran, in der Stadt für Gerechtigkeit zu sorgen. Bis das Spiel außer Kontrolle gerät …

 

«Raffiniert konstruiert und voller überraschender Wendungen (…). Dieser Thriller ist etwas ganz Besonderes.» (Heat)

 

«Originell, spannend und unglaublich clever. Absolut süchtigmachend.» Andrea Mara, Autorin von «No one saw a thing»

 

«Temporeich, düster, fesselnd (…) Man kann nicht aufhören zu lesen.» Alex Michaelides, Autor von «Die stumme Patientin»

Vita

Sam Lloyd wuchs im englischen Hampshire auf. Schon als kleiner Junge begann er damit, sich Geschichten auszudenken. Heute lebt er mit seiner Frau und seinen drei Söhnen in Surrey. Sein Thriller «Der Mädchenwald» erschien in siebzehn Ländern und wurde ein großer Erfolg. Es folgte der Thriller «Sturmopfer», der derzeit für das Fernsehen verfilmt wird.

 

Katharina Naumann ist Autorin, freie Lektorin und Übersetzerin und lebt in Hamburg. Sie hat unter anderem Werke von Jojo Moyes, Anna McPartlin und Jeanine Cummins übersetzt.

Impressum

Die englische Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel «The People Watcher» bei Transworld Publishers Limited, London.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, April 2025

Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«The People Watcher» Copyright © Sam Lloyd 2023

Redaktion Silvana Dorothea Schmidt

Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München, nach dem Original von Penguin Random House

Coverabbildung Richard Nixon/Arcangel

Design by HeadDesign

ISBN 978-3-644-02038-2

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

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www.rowohlt.de

Vrinder Singh Randhawa gewidmet

Auf Mexican Hat (und viele andere Abenteuer)

Als ich den Schein der Taschenlampe sehe, der sich durch den Kiefernwald auf unseren Wohnwagen zubewegt, weiß ich, dass es vorbei ist. Ich bleibe trotzdem am Fenster stehen und schaue in das Dezemberdunkel.

Draußen ist das Gras vom Frost ganz struppig. Am anderen Ende der Lichtung, nah am Waldrand, steht ein weiterer Wohnwagen wie dieser. Den werden sie zuerst durchsuchen. Wenn sie uns dort nicht finden, werden sie hier nachschauen. Sie werden die aufgebrochene Tür sehen. Und das wird das Ende sein.

Ich werfe die Decke von mir, berühre meinen Hinterkopf und betaste die unnatürliche Mulde darin. Eine Ärztin – eine der vielen, die mich im Laufe der Jahre untersucht haben – sagte mal, dass weibliche Schädel dicker seien als männliche. Nur ganz wenig, aber vielleicht hat mich genau das gerettet.

Sie hatten Glück, sagte sie.

Sie hatte wohl meine Akte nicht gelesen.

Vom Wald her höre ich knackende Äste, etwas bricht durch das Unterholz. Dann läuft etwas Schwarzes auf die Lichtung.

Der Hirsch ist riesengroß, vielleicht wiegt er zweihundert Kilo. Er bleibt in einer Pfütze aus Mondlicht stehen, sein Atem bildet weiße Wolken. Ich nehme meinen Celestron-Feldstecher und stelle ihn scharf. Selbst jetzt – obwohl ich weiß, was kommt – kann ich nicht widerstehen, genau hinzuschauen. Einmal Schnüfflerin, immer Schnüfflerin, wie man so schön sagt.

Das Tier wendet sein Geweih in Richtung der tanzenden blauweißen Lichtstreifen. Einen Augenblick lang verharrt es, seine Flanken beben. Dann verschwindet es in der Nacht.

Ich ziehe die Vorhänge zu und entfalte mein provisorisches Verdunkelungsrollo. Als ich sicher bin, dass kein Licht mehr hindurchdringen kann, schalte ich meine Taschenlampe ein. Sie zeigt das schlimme Elend, in dem wir in den letzten Tagen gehaust haben: Müllsäcke; zerdrückte Wasserflaschen; verstreute Trinkbecher; ein zerfleddertes Exemplar des Grüffelo; leere Dosen Peppa-Wutz-Spaghetti; ein riesiger Sack mit schmutzigen Windeln.

Eigentlich müsste es im Wohnwagen stinken. Und doch, wenn ich einatme, füllt sich mein Kopf mit Phantomdüften: Zitrone, Butter, Kaugummi.

Die neurologische Bezeichnung dafür ist Phantosmie, das ist nicht ungewöhnlich bei Leuten, deren Hirne so hart in ihren Schädeln herumgewirbelt wurden wie meins. Meine olfaktorischen Halluzinationen können jederzeit auftreten, aber meistens tun sie es dann, wenn mir das Leben zu viel wird. Das gilt auch für meinen Schwindel.

Ich stehe auf, beiße die Zähne zusammen, warte, bis sich meine Umgebung wieder setzt. Dann stütze ich mich mit einer Hand an den Küchenschränken ab und arbeite mich durch die winzige Küche zum Schlafzimmer vor.

Da ist er.

Zwei Jahre alt und perfekt.

Er liegt unter zwei schweren Decken. Jetzt schaut nur sein Kopf hervor. Ich sehe weiche Haut, Haar, das aussieht wie blasse Seide. Wir wohnen vielleicht im Dreck, aber ich habe dafür gesorgt, dass er immer sauber ist.

Er runzelt im Schlaf die Stirn, weicht dem Schein meiner Taschenlampe aus. Dann flattern seine Lider, und er blinzelt zu mir hinauf: «Mummy?»

Ich atme. Mein Hals schmerzt. «Tut mir leid, Kleiner.»

Drei Tage und drei Nächte – mehr haben wir nicht geschafft. Zweiundsiebzig Stunden kalten Elends.

Mein Plan ist gescheitert. Rückblickend war es eigentlich gar kein Plan: eine Fahrt mit dem Taxi, mit dem Zug, wieder mit einem Taxi; dann eine nächtliche Wanderung durch den Wald zu diesem Ferienpark, der über den Winter geschlossen ist.

Er setzt sich auf und reibt sich die Augen. Ich frage mich, ob er es wohl auch spürt: Unsere gemeinsame Zeit neigt sich dem Ende zu.

«Ist dir warm?», frage ich.

«Kalt.»

Wieder ein Beweis für mein Scheitern. Als ich das hier geplant habe, hatte ich angenommen, dass diese Wohnwagen auch im Winter Strom haben. Aber das haben sie nicht – und die Gaskartuschen sind auch verschwunden.

Ich lasse mich neben ihn aufs Bett fallen und streichle seinen Rücken. Durch sein Pyjamaoberteil fühlen sich seine Rippen kaum stabiler an als Hühnerknochen. Morgen ist Heiligabend. Er sollte es warm haben, in seinem Bettchen schlafen und vom Weihnachtsmann träumen. Und nicht hier sein, in einem ungeheizten Wohnwagen, mit einer zwanzigjährigen Loserin, die nicht in der Lage ist, sich ordentlich um ihn zu kümmern.

«Hör mal», sage ich. «Ich weiß, dass du dich nicht an das hier erinnern wirst. Ich weiß, dass du dich nicht an mich erinnern wirst, wenn du älter bist. Wahrscheinlich wirst du nicht mal mehr wissen, dass all das passiert ist, wenn er es dir nicht sagt – und das wird er ganz sicher nicht tun –, aber ich bin froh, dass wir ein bisschen Zeit zusammen verbringen und den Grüffelo lesen konnten.»

Er hebt das Kinn und zieht die Brauen zusammen. Dann höre ich, was er gerade bemerkt hat: Stimmen, die aus dem Wald näher kommen. Männer.

«Daddy», sagt er und schaut zu mir hoch.

Ich grinse. Hauptsächlich deswegen, weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll. «Mach die Augen zu, Kleiner», flüstere ich. «Schlaf weiter.»

Ich stehe auf, schalte die Taschenlampe aus und trete wieder ans Fenster. Ganz vorsichtig hebe ich den Rand des Verdunkelungsrollos an.

Ein Mann tritt aus dem Wald. Gesichtszüge sind nicht zu erkennen. Nur ein Umriss.

Vor Angst zieht sich mein Magen zusammen, mein Atem geht stoßweise. Ich schaue wieder durch meinen Feldstecher und sehe, dass er mit zwei gekrümmten Fingern ein Zeichen gibt.

Drei weitere Gestalten gleiten aus dem Wald. Sie bewegen sich auf den anderen Wohnwagen zu, der Strahl ihrer Taschenlampen durchschneidet wie ein Skalpell die Dunkelheit. Sie überprüfen die Eingangstür, leuchten in die Fenster hinein.

Ich beiße die Zähne zusammen. Wer mich wohl verraten hat? Der erste Taxifahrer? Der zweite? Ich habe beiden großzügig Trinkgeld gegeben in der Hoffnung, sie so zum Schweigen zu bringen. Vielleicht haben sie auch geschwiegen. Vielleicht hat man uns im Zug gesehen. Oder auf irgendwelchen Sicherheitskameras.

Eine geduckte, schwarze Gestalt löst sich aus den Bäumen. Sie geht um den Wohnwagen gegenüber herum, wie eine Kreatur aus einem Albtraum. Ich sehe, wie sie an der Tür schnüffelt und das Interesse verliert. Als sie auf die Lichtung tappt, erkenne ich im Mondlicht die Rasse: Es ist ein deutscher Schäferhund mit schwarzem Fell. Er steckt die Schnauze in die Hufspuren des Hirsches, schnieft und prustet. Dann hebt er den Kopf und schaut zu meinem Fenster herüber. Er legt die Ohren an und knurrt.

Sofort scheint eine Taschenlampe über die Lichtung. Gerade noch rechtzeitig lasse ich das Verdunkelungsrollo fallen.

Jetzt bin ich blind. Gefangen in der Dunkelheit.

Das Heckfenster unseres Wohnwagens lässt sich nach oben aufdrücken, ein Fluchtweg, der sich anbietet, wenn ich mich traue. Aber ich traue mich nicht – nicht mit einem Kleinkind, das ich beschützen muss, und einem trainierten Schäferhund, der draußen herumschnüffelt.

Zwei große Messer befinden sich in der Besteckschublade – aber auch von dem Gedanken muss ich mich schnell verabschieden. Ich hatte schon genug Klingen und Blut. Ich schließe die Augen und erinnere mich an eine Szene vor zwei Jahren: ein Haus am See; eine tote Frau; ein rotes Baby, das in die blutverschmierten Händchen klatscht.

Wie jetzt war ich auch damals nicht lange allein.

Krallen kratzen an der Tür des Wohnwagens. Ich reiße die Augen auf. Ich sehe das Licht der Taschenlampen durch die Ritzen sickern. Der Hund bellt jetzt: rasendes, wildes Gekläff – als hätte er von unserem Geruch tödlichen Hunger bekommen. Ich stehe auf, stelle mir die Wunden vor, die seine Zähne in so jungem Fleisch hinterlassen können. Ich stehe an die Besteckschublade gepresst da. Meine Finger zucken.

«Okay, jetzt!», schreit eine Stimme.

Mit einem Krachen birst die Tür aus den Angeln. Licht blendet mich.

«Zurück!»

Ich versuche zu begreifen, was ich da hinter dem grellen Licht der Taschenlampen sehe: menschliche Umrisse, die sich schnell bewegen. Eine Hand stößt mich gegen die Brust. Ich fliege nach hinten. Mein Schädel knallt gegen einen Schrank, in meinem Kopf sind nur noch Funken. Ich taumele in den Wohnzimmerbereich und breche auf einem Fensterbrett zusammen.

Mein Angreifer hält seine Taschenlampe hoch wie einen Prügel. Ich will die Arme heben, meinen Kopf vor weiteren Verletzungen schützen, aber ich wage es nicht, ihm noch einen Anlass zu geben, mich zu schlagen. Er sieht mich hart und finster an. Vielleicht braucht er gar keinen Anlass.

Hinter ihm höre ich einen Aufruhr. Die Geräusche kommen aus dem Schlafzimmer. Dann die Stimme der Frau, heiser vor Aufregung: «Er ist es. Er lebt.»

Im immer wieder aufflackernden Licht der Taschenlampen sehe ich, wie sie seine winzigen Arme und Beine betastet. Sie sucht nach Verletzungen, Anzeichen von Missbrauch.

Das macht mich wütend. Natürlich verstört es ihn auch, denn er beginnt zu weinen. Sein Heulen hallt von den Wänden wider.

«Keira Greenaway?», will der Mann wissen.

Ich schüttele den Kopf. «Keira Greenaway ist tot.»

Er blinzelt, sieht mich genau an, beschließt, dass ich lüge. «Keira Greenaway, ich verhafte Sie wegen Verdacht auf Kindesentführung. Sie müssen nichts sagen …»

«Ich will aber etwas sagen.»

Seine Kiefermuskeln spielen. «Sie müssen nichts sagen, aber es kann Ihrer Verteidigung zum Nachteil gereichen, wenn …»

«Bitte bringen Sie ihn nicht dorthin zurück», sage ich. «Bitte, es ist nicht sicher dort.»

Er hält inne, nur einen Augenblick lang. Dann tritt er näher und leuchtet mir direkt ins Gesicht. «Sie haben ja vielleicht Nerven.»

Drei Jahre später

Eins

Es ist Nacht, als wir uns zum ersten Mal begegnen. Man muss wissen – hier am Ende der Welt oder vielleicht am Anfang ihres Endes –, dass mein Leben hauptsächlich nach Einbruch der Dunkelheit stattfindet. Es gibt Tagmenschen, und es gibt Nachtmenschen, und ich gehöre definitiv zu Letzteren. Es ist einsamer in der Nacht, aber auch sicherer.

Um vollkommen sicher zu sein, muss man natürlich auch andere Nachtmenschen meiden – aber dann könnte man auch nichts bewirken. Und ein Mensch, der nichts bewirken will, ist eigentlich überhaupt kein Mensch.

Ich bemerke das Loch im Vorderreifen meines Trikes auf halbem Weg zwischen dem Haus von William dem Navigator und dem von Jacob Allein zu Haus. Kein Knallen oder Zischen, weil Luft entweicht. Kein plötzliches Flauwerden des Reifens. Zuerst lässt sich das Trike nur schwieriger lenken, will sich einfach nicht mehr so gut in die Kurven legen. Bald fahre ich nur noch auf der Felge. Und muss anhalten.

Meine Hirnverletzung ist fünf Jahre her, und ich kann immer noch nicht wieder Fahrrad fahren. Wegen meiner Gleichgewichtsstörungen und des immer wiederkehrenden Schwindels brauche ich ein Stützrad. Trotzdem geht es mir viel besser als damals. Es besteht die Hoffnung, dass ich noch weitere Fortschritte mache, wenn ich mich an meine Übungen halte, und das, obwohl die Verletzung schon so lange her ist.

Mein Fahrzeug ist seit dem letzten Jahr ein Jorvik-Dreirad mit Elektromotor; schwarze Räder, schwarze Griffe, kirschroter Rahmen. Nachts erlaubt mir seine Reichweite von rund siebzig Kilometern, Cranner’s Ford frei zu erkunden. Das Trike fährt problemlos auch außerhalb befestigter Straßen – einmal hat es mich sogar auf den Gipfel des Pincher’s Mount gebracht, von dem aus man eine einzigartige Aussicht über die Stadt hat. Die steile Strecke wieder hinunterzufahren, hat mir aber Angst eingejagt. Noch einmal würde ich das nicht versuchen.

Die übergroßen Reifen des Jorvik sind pannensicher. Und trotzdem hat sie heute Nacht ein Nagel durchdrungen. Als ich mich über den Reifen beuge und ihn mit meiner Taschenlampe untersuche, sehe ich ihn im Gummi stecken.

Ich habe auf der Copper Beech Lane angehalten. Keine Straßenlaternen, keine Straßenmarkierungen, kein Licht von den Häusern. Nach Mitternacht ist die Luftfeuchtigkeit hier erbarmungslos. Sechs lange Wochen lang hatten wir nur rekordverdächtige Temperaturen, glühende Hitze.

Der Mond ist gerade aufgegangen und übergießt die Hecken und ausladenden Eichen mit silbrigem Licht. In der Nähe raschelt etwas im Unterholz. Es klingt wie ein riesiges Tier, ist aber vermutlich nur ein Dachs. Hier draußen kann mir kein Lebewesen etwas anhaben. Solange ich keinem Menschen über den Weg laufe.

Plötzlich spürt das raschelnde Ding meine Gegenwart. Mit einem Grunzen wühlt es sich tiefer ins Dickicht. Ich steige schnell von meinem Trike, öffne die Gepäcktasche hinten und durchsuche sie: ein Fernglas, eine Farbspraydose, eine Palette Geranienpflanzen, ein Rucksack und ein Schraubenzieher, ein alter Walkman, diverse Kassetten, ein Zimmermannshammer, ein Messer.

Kein Flickzeug. Keine Handpumpe.

Wie kann das sein?

Ich bin zu weit weg von zu Hause, als dass ich mein Fahrzeug noch zurückschieben könnte. Und ich kann es auch nicht bis zum Morgen hierlassen und es irgendeinem Dieb ausliefern, der zufällig vorbeikommt. Außerdem bin ich ein Nachtmensch. Ein Vampir. Ich gehe nur im Dunkeln nach draußen.

Denk nach!

Könnte ich das Trike vielleicht bis zu Jacob Allein zu Haus schieben und es dort stehen lassen? Ich habe Jacob in diesem letzten Jahr gut kennengelernt, aber er hat mich noch nie gesehen – er weiß nicht einmal, dass es mich überhaupt gibt.

Die Welt um mich herum dreht sich jetzt. Ich stemme meine Füße bewusst in die Erde, aber es ist schon zu spät. Mein Magen zieht sich zusammen. Um mich herum verschwimmen die vom Mondlicht silbrigen Bäume, dann vervielfältigen sie sich.

Ohne Vorwarnung kippt die Straßenoberfläche hoch. Sie knallt in meinen Rücken und rammt mir die Luft aus der Lunge. Ich liege da wie eine Kellerassel, mit rudernden Gliedern. Wenn ein Auto um die Ecke kommt, sieht es mich viel zu spät.

Irgendwie schaffe ich es, den Ellenbogen aufzustützen. Ich rolle mich auf die Seite und übergebe mich. Nicht viel – ich habe nicht gegessen, bevor ich rausgegangen bin. Und trotzdem macht es meinen Kopf frei. Noch eine Minute, und der schlimmste Schwindel ist vorbei.

Ich gehe zu meinem Jorvik zurück, trenne das Kabel vom Motor, löse die Schrauben und ziehe das Rad heraus. Die vordere Radgabel halte ich nach oben und schiebe die Maschine so in einen Graben.

Aus meiner Gepäcktasche hole ich den Walkman heraus. Es ist ein WM-102 von 1987. Er war kaputt, als ich ihn fand. Ein paar Stunden mit einer Zahnbürste und einer Flasche Kassettenkopfreiniger haben ihn wieder flottgemacht.

Ich repariere gern Sachen. Besonders solche, die andere weggeworfen haben. Vor allem deswegen, weil es traurig ist zu sehen, dass sie nicht mehr geliebt werden, nur weil sie nicht mehr so gut funktionieren wie früher. In den letzten drei Jahren habe ich mir das Löten beigebracht, ich kann Stromkreisläufe überprüfen und alles Mögliche wieder heil machen. Ich weiß, dass das Unsinn ist. VHS-Player und Sprudelmaschinen und alte Walkmans haben keine Seelen – sie sind auch nicht traurig, wenn sie weggeworfen werden –, aber ich kann einfach nicht anders.

Ich repariere gern Sachen, aber was ich wirklich liebe, ist, andere Leute wieder heil zu machen. In den zwölf Monaten, seit ich nach Cranner’s Ford gezogen bin, ist das praktisch eine Obsession für mich geworden. Nicht, dass ich besonders gut darin wäre. (Leute wieder heil zu machen, meine ich. Obsession kann ich ziemlich gut.)

Ich nehme meine Gepäcktasche aus der Befestigung und verstecke sie hinter einem Busch. Ich lasse sie geöffnet, damit meine Geranien atmen können. Den Schraubenzieher stecke ich in meine Hosentasche.

Anderthalb Kilometer die Copper Beech Lane hinunter gibt es eine Texaco-Tankstelle. Offiziell hat sie rund um die Uhr geöffnet. Aber das stimmt nicht immer. Trotzdem ist es die einzige Möglichkeit, die mir einfällt.

Ich setze die Kopfhörer auf und drücke auf Play. Ein paar Sekunden lang zischt das Band, dann erfüllt Randy Crawfords «Street Life» meinen Kopf.

Ich halte den kaputten Reifen in der Hand, den Blick auf den Mond gerichtet, um nicht aus dem Gleichgewicht zu geraten, und setze meinen Weg in Richtung Stadt fort.

Zwei

Ich habe Glück.

Die Tankstelle leuchtet wie ein UFO aus dem All – oder einer von diesen Spielautomaten, die ich manchmal durch die Fenster von Pubs sehe. Das neonrote Vordach ruht auf vier grellweißen Säulen, die den Vorplatz in Licht tauchen.

Durch die Fenster sehe ich Tariq. Er kennt mich nicht, aber ich kenne ihn. Ich habe mir die Gesichter und Namensschilder aller Personen gemerkt, die nachts hier arbeiten. Ich kenne ihre Schichtzeiten und plane danach meine Besuche. Hier kaufe ich auch meine Lebensmittel – entweder für mich selbst oder für jemanden, von dem ich glaube, dass er sie gebrauchen könnte –, und ich will nicht, dass man sich an mich erinnert. Sie sind eine ganz eigene Spezies, diese Leute, die nachts arbeiten – keine Tagmenschen, auch keine Nachtmenschen, sondern ein Zwischending. Wächter, so nenne ich sie. Sie haben ein geschärftes Bewusstsein, einen Instinkt, der sie vor Gefahren warnt – etwas, was Tagmenschen normalerweise fehlt.

Ich schalte meinen Walkman aus und trage meinen Reifen über den Vorplatz. So spät stehen hier keine Fahrzeuge mehr. Drei Jugendliche, die Tariq von seinem Standpunkt aus nicht sehen kann, stehen gegen die Druckluftpumpenstation gelehnt. Zu ihren Füßen stehen Skateboards.

Ich sehe dieses Trio ständig in der Stadt: Drachenrücken, Schmalzlocke und Lauch. Meine Namen für sie sind wirklich nicht nett, und ich habe deswegen ein wenig Gewissensbisse. Ähnlich wie die Wächter sind sie eine Art Grenzgänger. Wie alle Teenager versuchen sie, ihre Zukunft zu ertasten, herauszufinden, auf welcher Seite der Trennungslinie sie stehen wollen.

Ihre Unterhaltung erstirbt, als ich näher komme. Ich spüre ihre Blicke, aber ich sehe nicht hin, weil mir sofort bewusst wird, was ich trage: ein weißes T-Shirt, Baumwollshorts mit Latz, ochsenblutfarbene Doc Martens.

Drachenrücken murmelt etwas, als ich vorbeigehe. Schmalzlocke und Lauch kichern.

Ich werde rot und öffne die Ladentür. Drinnen ist es kühl. Ich bekomme eine Gänsehaut. Teils wegen der Klimaanlage. Teils deswegen, weil die Überwachungskameras auf mein Gesicht gerichtet sind.

Tariq, der hinter dem Verkaufstresen steht, blättert durch eine Autozeitschrift. Ohne etwas zu sagen oder mir in die Augen zu sehen, verkauft er mir ein Fahrrad-Flickzeug-Set, eine Flasche Dr Pepper und eine Packung Bubblicious-Kaugummi mit Traubengeschmack.

Als ich wieder draußen bin, steht vor einer Tanksäule ein alter VW-Bus, weiß und mintgrün, und der Fahrer füllt den Tank. Der Vorplatz kommt mir seltsam abgekoppelt von der Wirklichkeit vor. Es ist, als gäbe es ihn in zwei unterschiedlichen Realitäten und als stünde ich mit einem Fuß in jeder von ihnen.

Das passiert manchmal – es ist ein Nebeneffekt meiner Krankheit und weit furchterregender als der Schwindel. Ich will am liebsten machen, dass ich wegkomme, aber das kann ich nicht.

Auf einem betonierten Teil des Vorplatzes, der gut beleuchtet ist, hocke ich mich neben mein Rad und hole den Schraubenzieher heraus. Ich brauche eine Weile und muss tief und regelmäßig atmen, bis sich der Reifen teilweise von der Felge löst. Ich ziehe den Nagel heraus, trage Gummikleber auf den Schlauch auf und drücke einen Flicken darauf. Das muss ein wenig trocknen, bevor ich ihn wieder aufpumpen kann. Ich hoffe nur, dass der Flicken fest genug sitzt.

«Aus deinem Abend ist wohl die Luft raus.»

Zwei bellende Hyänenlacher folgen auf den Kommentar. Ich schaue hoch und merke, dass die drei Amigos zu mir herübersehen. Drachenrücken – der wegen des roten Drachen auf seiner Jacke so heißt – sonnt sich in der Anerkennung seiner Kumpels.

Mir wird flau. Irgendwie bringe ich ein Grinsen zustande. Mutig geworden, stößt er sich von der Pressluftstation ab. Schmalzlocke und Lauch folgen ihm. Kurz darauf stehen sie um mich herum.

«Lass mich raten», sagt Drachenrücken gedehnt. «Du hast versucht, aus dem Zirkus zu fliehen. Du bist mit deinem Einrad über Glasscherben gefahren … uuuuuuuund puff.»

Wieder dieses Hyänenbellen von seinen Freunden. Ich lache ebenfalls – aber es klingt verzweifelt. Ich sage mir, dass es nur Teenager sind, die ein bisschen Spaß haben wollen. Aber trotzdem macht mir ihr Spott Sorgen. Ich weiß nicht recht, wohin das hier führt.

Eine Überwachungskamera hängt über Drachenrückens Kopf. Beobachtet Tariq uns? Oder ist er immer noch in die Lektüre seiner Autozeitschrift versunken? Ich will nicht noch mehr Aufmerksamkeit, egal, wie heikel das hier auch wird.

«Hey, krass – Dr Pepper.»

Drachenrücken nimmt meine Flasche. Er dreht den Deckel ab und nimmt einen langen Schluck. Sein Rülpsen hallt auf dem Vorplatz wider.

«Ey, Digga», sagt Schmalzlocke. «Brutal.»

Drachenrücken wirft die Flasche, die einen Salto in der Luft vollführt, und fängt sie wieder auf. Das Getränk schäumt. «Meinst du, ich hätte fragen sollen? Tut mir leid, Mamacita. Was dagegen?»

«Trink es ruhig aus», murmele ich. «Kein Problem.»

Ich weiß nicht genau, was Mamacita bedeutet. Vermutlich ist das Wort hässlicher, als es klingt. Aber was ich weiß, ist, dass Drachenrücken versucht, mich zu provozieren, um Eindruck bei seinen Freunden zu machen.

«Hast du mal ’ne Kippe?»

Ich schüttele den Kopf. «Ich rauche nicht.»

«Kaufst du uns welche?»

«Ich habe kein …», beginne ich und halte dann inne. Ich wollte eigentlich sagen, dass ich kein Geld dabeihabe, aber das wäre eine Lüge, und ich vermeide es zu lügen. Ehrlichkeit ist immer der beste Weg.

«Du hast kein was?», fragt er.

«Ich weiß nicht.»

«Du weißt was nicht?»

Mehr Gackern. Meine Wangen werden ganz heiß. Warum lasse ich es zu, dass sie mir Angst einjagen?

Lauch wackelt mit dem Fuß. «Digga, sag ihr, sie soll mit uns hoch nach Rycroft Hollow kommen.»

«Kann ich nicht», sage ich zu ihm. Ich bin vielleicht eine Einsiedlerin, aber ich weiß trotzdem, dass die Leute nur aus zwei Gründen nach Rycroft Hollow gehen: um sich zuzudröhnen oder um sich flachlegen zu lassen. «Ich muss nach Hause.»

«Supercool», versetzt Drachenrücken. «Wir bringen dich.»

«Das ist sehr nett, aber …»

«Um diese Zeit sind da draußen ein Haufen Haie auf der Jagd. Wohnst du allein?»

«Ich …»

Er tritt näher an mich heran und neigt den Kopf zur Seite. «Scheiße, ich glaube, ich erkenne dich wieder.»

Wenn ich vorher nervös war, habe ich jetzt richtig Angst. All meine Instinkte schreien: Lass den Reifen liegen und lauf!

Aber ohne kann ich mein Trike nicht nach Hause bringen. Und ohne mein Trike habe ich nichts. Keine Verbindung zu denen, die ich in Cranner’s Ford beobachte. Keine Möglichkeit, denen zu helfen, die es brauchen. Keinen Sinn.

An seine Freunde gewandt, sagt Drachenrücken: «Hört mal. Ihr wisst schon, wen ich meine – die Tussi auf dem roten Dreirad.»

Meine Luftröhre hat sich verschlossen. Keine Luft kommt rein. Keine Luft geht raus. Ich stütze mich mit der Hand am Betonboden auf, um mich zu stabilisieren, und merke, dass mein ganzer Arm zittert.

Schmalzlocke legt den Kopf schief. Dann reißt er die Augen auf. «Digga, ich glaube, du bist …»

«Quizfrage», sagt eine Stimme hinter mir. «Wer spielt mit?»

Drei

Drachenrücken, Schmalzlocke und Lauch schauen hoch, ich drehe mich um.

Ein paar Meter von uns entfernt, im Gegenlicht, steht der Typ, der gerade seinen Bus betankt hat. Bis eben habe ich ihn kaum bemerkt. Jetzt erfüllt er meine ganze Welt.

Vielleicht ist es meine Erleichterung über eine potenzielle Fluchtmöglichkeit, aber in meinem ganzen Leben habe ich noch nie jemanden gesehen, der so faszinierend war. Es ist fast, als hätte er seine eigene Schwerkraft und zöge alles Licht und alle Aufmerksamkeit auf sich.

Er ist älter als ich. Weißere Zähne, dunkleres Haar, ausgeprägtere Wangenknochen. Seine grünen Augen leuchten so hell, dass ich zusammenzucke, als sie sich auf mich richten – und doch schaue ich nur Sekunden später wieder hin und frage mich, was sie wohl sehen: meine blasse Haut, zweifellos; mein selbst geschnittenes Haar; meine schmale Nase und den breiten Mund.

Er wird sicher meine Augen bemerkt haben – eins ist braun, das andere blau. Heterochromie nennt man das im Fachjargon. Manche Menschen werden damit geboren. Andere, wie ich, haben die unterschiedlichen Augenfarben auf gewaltsame Art bekommen.

Seine Kleidung passt ihm so gut, dass sie wirkt wie maßgeschneidert: weiße Jeans; ein schmal geschnittenes Seidenhemd mit einem psychedelischen Muster; Vintage-Lederbowlingschuhe in Rot, Weiß und Marineblau. Um seinen Hals hängt an einer Schnur ein Yin-Yang-Anhänger aus Emaille. Als er die drei Amigos ansieht, kann ich wieder atmen, wenn auch nur flach.

Der VW-Bus-Typ neigt leicht den Kopf. Ein Lächeln umspielt seine Lippen. «Wie viele Skater braucht man, um einen Platten zu reparieren?» Er wartet kurz und antwortet dann selbst: «In diesem Skatepark keinen. Wie wäre es also, wenn ihr Jungs uns jetzt eine gute Nacht wünscht?»

Drachenrücken sieht ihn böse an. «Was weiß ich, Digga. Seit wann hast du eigentlich unseren Platz hier gemietet?»

Der VW-Bus-Typ lächelt. Diese Zähne sind wirklich ausgesprochen weiß. Er tritt näher und flüstert jetzt direkt ins Ohr von Drachenrücken. Die Worte kann ich nicht hören, aber ich sehe ihre Wirkung. Ich habe noch nie so schnell die Farbe aus jemandes Gesicht weichen sehen. Endlich tritt er einen Schritt zurück und schenkt den Jugendlichen den vollen grünen Eine-Million-Watt-Blick. Eine seelenvolle Ernsthaftigkeit hat sein Lächeln abgelöst. «Sieh mich genau an. Merkst du was?»

Drachenrücken schluckt hart und nickt. Er dreht sich zu mir um, sein Gesicht ist jetzt ganz grau. «Entschuldigung, dass ich so ein Arsch war.» Dann sagt er zu seinen Kumpeln: «Na los, hauen wir ab.»

Sie müssen irgendetwas in seinem Ton wahrgenommen haben. Ein paar Augenblicke später hört man nur noch, wie ihre Skateboards die Straße hinunterrattern.

Ich bin nicht wirklich erleichtert. Denn jetzt ist dieser grüne Blick auf mich gerichtet.

«Alles okay?»

«Das sind einfach Kinder», murmele ich. «Sie sind harmlos.»

«Vermutlich. Aber das kann um diese Zeit trotzdem unheimlich sein. Sie sollten sich dessen bewusst sein.»

Es ist seltsam zu hocken, während er steht. Ich richte mich auf, und der Platz unter mir neigt sich. Ich stolpere, fange mich aber. Ganz selten nur habe ich zwei Anfälle hintereinander, so wie jetzt. Liegt es daran, dass mich die Sache mit den Jugendlichen so mitgenommen hat? Oder daran, dass ich seit Wochen nicht mehr so viel auf einmal geredet habe? Gerade als ich denke, dass ich sicher stehe, kippt der Betonboden erneut, und die Tankstelle dreht sich um sich selbst – aber ich falle nicht zu Boden, weil der VW-Bus-Typ es irgendwie geschafft hat, rechtzeitig bei mir zu sein. Er hält mich an den bloßen Armen fest. Seine Haut auf meiner. Fleisch an Fleisch.

Menschlicher Kontakt.

Ich winde mich, meine Zähne jaulen auf. Diese grünen Augen schweben viel zu nah vor mir.

«Ganz ruhig», sagt er. «Ich halte dich fest. Willst du dich hinsetzen? Oder kannst du stehen?»

«Bitte. Mir geht es gut.»

Er lässt mich ganz vorsichtig los, als hätte er mich auf ein Drahtseil gestellt. Und ehrlich gesagt fühlt es sich auch genauso an. Als wäre da ein Abgrund zu beiden Seiten, der mich lockt, und ich nur die Breite eines Atoms davon entfernt, hineinzustürzen. Meine Haut brennt von der kurzen Berührung. Es fühlt sich an, als brodelte mein Blut unter der Oberfläche.

«Ich heiße Louis», sagt er und hebt die Hände. «Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe. Ich wollte nur nicht, dass du hinfällst. Wenn ich dich in Ruhe lassen soll, dann …»

«HEY! MÄDCHEN MIT DEM ROTEN TRIKE! SOLL ICH DIE POLIZEI RUFEN?»

Die Stimme scheint von überallher zu kommen – und gleichzeitig klingt sie wie aus einer Blechbüchse: Tariq, begreife ich, spricht über die Außenlautsprecher am Gebäude mit mir.

Das hier wird ja immer schlimmer. Ich sehe Tariq hinter der Fensterscheibe und schüttele den Kopf. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist, dass er die Polizei ruft. Ich muss Louis in ein Gespräch verwickeln, egal wie kurz – ich muss meinem Wächter klarmachen, dass alles in Ordnung ist.

«Bei meinem Abend ist wohl irgendwie die Luft raus», zitiere ich Drachenrücken. «Aber jetzt ist es viel besser – also, mir geht es besser. Ich bin schon viel platter. Besser.»

Louis sieht mich prüfend an. Dann lacht er.

Wer kann es ihm verdenken? Ich klinge absolut albern. Wie ein kaputtes Spielzeug. Und jetzt erinnere ich mich noch an etwas anderes. Ich habe mich vorhin übergeben. Vermutlich hauche ich ihm gerade den Atem des Todes entgegen.

Ich wühle in meiner Tasche, hole mein Päckchen Bubblicious-Kaugummi heraus und stecke mir eins in den Mund. Louis starrt mich an, als wäre ich völlig von Sinnen. «Traubengeschmack», erkläre ich mit vollem Mund. Dann, weil es noch seltsamer wäre, wenn ich es nicht sagte: «Willst du auch eins?»

«Ich versuche, keine Süßigkeiten von Fremden anzunehmen.»

Ich nicke und kaue leise. Oder so leise, wie es geht. Louis’ halbes Lächeln macht etwas Komisches mit meinen Innereien. Als er die Brauen hochzieht, verstehe ich, was er meint. «Mercy Lake», sage ich, erleichtert, dass sich all die Übungsstunden auszahlen – dass ich ganz natürlich klinge, wenn ich muss.

Einigermaßen natürlich.

«Mercy. Erbarmen», sagt Louis, nimmt ein Kaugummi von mir, und ich schaudere, als er den Namen ausspricht. Ich rolle das Rad zur Druckluftpumpenstation.

«Warte», sagt er hinter mir.

Ich beiße die Zähne zusammen, ignoriere ihn und gehe schneller.

«Es ist natürlich deine Entscheidung. Aber das ist eine alte Druckluftpumpe. Ohne Regulierung, hoher Druck. Wenn du die für deinen Reifen benutzt, kann es sein, dass der Schlauch platzt.»

Ich erstarre und schaue zur Pumpenstation. Langsam drehe ich mich zu ihm um.

Louis greift in seine Tasche. Er holt einen Gummiball hervor, der der Erdkugel nachempfunden ist. Daran hängt ein Schlüssel an einer Kette. «Hast du manchmal auch das Gefühl, dass Dinge, die zuerst völlig zufällig erscheinen, doch irgendwie tiefere Geheimnisse bergen?», fragt er.

Ich versuche, fest auf dem Boden zu stehen. Jeder einzelne meiner Sinne steht unter Spannung. Ich sehe die Symbole auf Louis’ Hemd. Sie erinnern mich an Astronomie. Ich kenne sie nicht, aber sie kommen mir wichtig vor. «Was meinst du damit?»

Er zeigt auf den geparkten VW-Bus. «Nur, dass ich eine Handpumpe hinten in meinem Bus habe. Wenn du sie vielleicht leihen möchtest, um deinen Reifen aufzupumpen, dann darfst du das gern machen und kannst voll auf meine guten Absichten vertrauen.»

Mein Herz hämmert. Ich schmecke Traubengeschmack und Kotze.

Louis macht eine Kaugummiblase. Sie platzt, und das Geräusch hallt auf dem Vorplatz wider. Trotz der grellen Lichter der Tankstelle und Tariq mit seiner Autozeitschrift habe ich plötzlich das Gefühl, wir wären die einzigen Lebewesen auf der ganzen Welt, vielleicht sogar im ganzen Universum, und dass alles, was vorher war, nur geschehen ist, damit wir uns in diesem Augenblick finden – ich und er, Mercy und Louis –, und dass ich hier sofort rausmuss, bevor das, was hier gerade unter dem neonroten Vordach aufkeimt, auch nur die geringste Chance hat zu wachsen.

Vier

Stattdessen sage ich: «Nur die Pumpe. Dann gehe ich.»

Louis wirft den Schlüssel mit dem Anhänger in die Luft und fängt ihn wieder auf. Er dreht sich um und geht zum Bus. Er scheint sich hundertprozentig sicher zu sein, dass ich ihm folge.

Was tust du da? Was riskierst du? Bist du vollkommen durchgedreht?

Ich kenne die Antworten darauf nicht. Aber wenn ich vor Sonnenaufgang zu Hause sein will, welche Wahl habe ich dann? Ich nutze den kurzen Weg über den Vorplatz, um mir Louis genauer anzusehen, ohne dem Blick dieser ungewöhnlich aufmerksamen Augen ausgesetzt zu sein. Ich rolle dabei das Rad neben mir her und rieche frische Seife, darüber einen Zitrus- und Sandelholzduft, außerdem Leder, Hopfen, rohen Schinken, Erdbeersorbet, reife Banane, Pfefferminz, Basilikum – es ist, als mixte jemand einen völlig verrückten Cocktail.

Es ist nicht so, dass ich all diese Gerüche wirklich wahrnehme – es ist nur mein dummes altes Hirn, das mir seine dummen alten Streiche spielt. Die meiste Zeit habe ich die olfaktorischen Fähigkeiten eines Ziegelsteins. Aber manchmal, so wie jetzt, stoßen die verletzten Teile meines Hirns zusammen, und dann explodieren die Gerüche, und meine Nase füllt sich mit irren Kombinationen.

Der Bus ist vollkommen makellos, als befänden wir uns in den 60ern und er wäre gerade vom Band gerollt – aber er wirkt so gedrungen, dass er nicht mehr im Originalzustand sein kann. Er liegt ganz tief auf Chromreifen, geduckt wie ein Raubtier, das zum Sprung ansetzt. Die mintgrünen und cremefarbenen Ledersitze darin wirken wie extra für ihn angefertigt.

Louis zieht die Schiebetür auf. Ich sehe Chromarmaturen und Holzvertäfelungen, ein Steuerrad aus poliertem Mahagoni und einen Vinylboden im Schachbrettmuster. Sogar einen Ausguss, einen Wasserhahn, einen Kühlschrank und ein teuer aussehendes Soundsystem gibt es darin.

«Mercy, darf ich vorstellen: Eleanor», sagt Louis und klettert hinein. «Eleanor ist 1963 geboren. Sie rostet und überheizt gern und liebt es, neue Motoren zu bekommen.»

Ich lege die Hand an den Türrahmen und habe ganz kurz den Eindruck, das Vibrieren eines fühlenden Wesens zu spüren. Das überrascht mich so sehr, dass meine Hand zurückzuckt.

Louis klettert wieder heraus und gibt mir eine Pumpe. «Soll ich dir helfen?»

Ich schüttele den Kopf.

Zuerst muss ich den Reifen zurück auf die Felge spannen. Ich mache mich an die Arbeit, und Louis setzt sich auf den Schachbrettboden seines Busses. Er streckt die Beine aus und stellt die Füße in den Bowlingschuhen auf den Vorplatz. «Wie fühlst du dich jetzt?»

Einen Augenblick lang weiß ich gar nicht, was er meint. Und dann fällt mir das Spektakel wieder ein, das ich gerade veranstaltet habe – dass ich in ihn hineingestolpert bin. «Besser.»

Das ist nicht wirklich eine Lüge. Aber ganz richtig ist es auch nicht.

«Ist das schon mal passiert?»

«Ich habe mich daran gewöhnt.»

«Hat es einen Namen? Ich meine, eine medizinische Bezeichnung?»

«Vermutlich.»

Er nickt. «Halt den Mund, Louis. Kapiere den Wink mit dem Zaunpfahl.»

Ich schaffe es, den Reifen zurück auf die Felge zu schieben. Meine Finger sind schwarz vor Schmiere; meine Shorts sind ähnlich fleckig. Der Kontrast zwischen uns könnte stärker nicht sein.

Louis holt ein makellos weißes Taschentuch aus seiner Hosentasche und tupft sich die Schweißperlen von der Stirn. «Diese Hitze», sagt er. «Sie lässt einfach nicht nach, nicht einmal nachts. Man kann ihr nicht entkommen.»

«Wenn man nur weit genug nach oben geht, dann entkommt man ihr», sage ich und konzentriere mich auf das Rad. «Einfach näher an die Sterne heran, da kann man auch leichter atmen. Das mache ich fast jede Nacht.»

Ich pumpe den Schlauch auf und spüre Louis’ Blick auf mir, schaue aber nicht hin.

«Also», sagt er. «Der Typ, der über Lautsprecher mit dir geredet hat, hat ein Trike erwähnt. Wenn du mit dem Reifen hierhergekommen bist, nehme ich an, dass du den Platten zu weit weg gehabt hast, als dass du es hierher hättest schieben können.»

Statt zu antworten, pumpe ich noch stärker. Die Stille zieht sich.

«Ich bin ein bisschen hin- und hergerissen», fährt er schließlich fort. «Ich würde dich gern zu deinem Trike fahren, wenn du mich darum bittest, aber ich will auch nicht der eklige Typ sein, der dir das aufdrängt. Andererseits scheinst du nicht besonders fest auf den Beinen zu stehen. Gibt es jemanden, den du anrufen kannst, damit er dich abholt? Sonst bezahle ich dir auch gern ein Taxi.»

Ich drücke den Daumen in den Reifen, um zu testen, wie prall der Schlauch schon ist. Louis hat nichts gesagt, was mein Misstrauen erregen könnte, im Gegenteil.

Und doch wird der Drang zu fliehen überwältigend.

Ich habe niemanden, den ich anrufen kann (hier bitte Geigen schluchzen lassen). Aber ich brauche auch niemanden (die Geigen bitte streichen), daher muss ich deswegen auch nicht traurig sein. Und meistens bin ich das auch nicht.

Und ich will auch nicht, dass Louis mir ein Taxi ruft, weil ich dann in seiner Schuld stehe. Dann muss ich ihn vielleicht wiedersehen – und das kann ich auf keinen Fall riskieren.

«Das ist sehr freundlich», höre ich mich sagen. «Du bist offenbar ein netter Mensch. Aber ich habe es nicht weit, und ich fühle mich jetzt viel besser, vielen Dank. Und ich mag die Nachtluft in dieser Jahreszeit sehr.»

Eben noch habe ich beinahe menschlich geklungen. Jetzt bin ich wieder ein kaputter Roboter. Ich spüre das Brennen von Louis’ Aufmerksamkeit auf meiner Haut. Ich halte den Blick absichtlich von ihm abgewandt.

Der Reifen hat jetzt genügend Luft, um mich wieder nach Hause zu bringen. Ich nehme die Pumpe ab, beiße die Zähne zusammen und stehe auf.

Die Welt schwankt. Die Lichter auf dem Platz pulsieren. Aber meine Doc Martens bleiben fest auf der Erde. Ich bin jetzt eine Eiche, kein Gänseblümchen.

Ich gebe Louis die Luftpumpe. Als er sie nimmt, schließt sich der Stromkreis, und ich spüre einen kurzen elektrischen Schlag, so stark, dass er sich echt anfühlt.

Ich lasse die Pumpe los und murmele irgendeine peinliche Verabschiedung. Dann nehme ich das Rad und mache mich auf den Weg, wobei ich vorsichtig einen Schritt vor den anderen setze. Ich bin immer noch auf diesem Drahtseil, aber das sichere Ziel ist schon in Sicht.

Ich spüre, dass Louis, Tariq und die Überwachungskameras mir hinterherschauen. Ich atme tief durch und biege in die Copper Beech Lane ein. Die Nacht duftet nach Lavendel, Kokosnuss, Ananas, Anis und Ingwer.

Scheingerüche.

Trotzdem tröstlich.

Wie eine Erinnerung verblasse ich in ihnen.

Fünf

Zwanzig Minuten später habe ich mein Rad wieder anmontiert und das Trike aus dem Graben geholt. Insgesamt hat der Platten mir eine Stunde Dunkelheit gestohlen. Ich bin nur froh, dass er nicht noch mehr genommen hat.

Ich klettere auf den Sattel und konzentriere mich auf die Nacht. Einen Augenblick lang glaube ich, weit entfernt ein Geräusch zu hören, das anschwillt und wieder nachlässt, wie klappernde Metallwerkzeuge. Aber als ich den Kopf wende, sehe ich keine Scheinwerfer in der Nähe.

Ich muss mich beruhigen, wieder zu mir kommen. Mein Herz klopft noch immer. Ich mache mir um die drei Amigos keine Sorgen. Ein größeres Problem ist Tariq, der Texaco-Wächter: HEY! MÄDCHEN MIT DEM ROTEN TRIKE!

Ich kaufe ziemlich oft Lebensmittel an der Tankstelle ein, aber ich habe mir dabei immer Mühe gegeben, dass man mich nicht bemerkt – zumindest hatte ich das geglaubt.

Keine Frage, mein rotes Trike ist auffällig. Aber heute bin ich ohne mein Gefährt an der Tankstelle angekommen. Wie hat Tariq mich wiedererkannt? Meine Frisur ist bestimmt nicht bemerkenswert, auch wenn ich mir die Haare selbst schneide. Vielleicht sind es die unterschiedlichen Farben meiner Augen. Vielleicht sollte ich beim nächsten Mal eine Sonnenbrille tragen – wobei das bei Nacht mindestens genauso auffällig ist.

Trotzdem lässt sich das Tariq-Problem mit ein bisschen Überlegen lösen. Aber Louis geht mir nicht aus dem Kopf. Wie er mich angesehen hat. Wie sich sein Blick auf meiner Haut angefühlt hat. Ich muss an das Kribbeln denken, als sich unsere Körper berührten; an die verrückten Gerüche, die in meiner Nase aufblühten.

Ist Louis ein Nachtmensch, so wie ich? Oder ein Tagmensch, der einfach aus Versehen spät draußen war? Ist er vielleicht ein Wächter? Oder sogar …

Stopp!

Meine Muskeln tun weh. Ich muss mich ausruhen. Heute hatte ich eine Monatsdosis Adrenalin an einem Tag. Jetzt bleiben weniger als zwei Stunden tiefe Dunkelheit. Ich habe keine Zeit, alle für heute geplanten Besuche zu schaffen. Ich muss Prioritäten setzen – und es gibt ein Ziel, das ich auf keinen Fall auslassen darf.

 

Weitere zehn Minuten sind vergangen, und ich gleite den Abbot’s Walk hinauf, am Fuß des Pincher’s Mount. Unsere Lokalzeitung nennt die Straße hier die Millionärsmeile. Je höher die Straße ansteigt, desto luxuriöser sind die Häuser. Jedes Anwesen liegt weit von der Straße zurück, geschützt durch Eichen, Rhododendren und Lorbeerbüsche mit glänzenden Blättern.

Am höchsten liegt Arcadia Heights, es hat auch das größte Grundstück: Laubwald, hauptsächlich, abgesehen von einem Swimmingpool und einem Rechteck perfekten Rasens. Ein hydraulisches Tor, flankiert von Sicherheitskameras, versperrt die Hauptauffahrt. Von dort verläuft eine hohe Bruchsteinmauer in beide Richtungen. Fünfzig Meter weiter in Richtung Norden hat ein umgestürzter Baum die Mauer eingerissen. Das ist gleichzeitig mein Zugangspunkt und der Ort, an dem ich mein Trike verstecken kann.

Im Wald ist es noch viel dunkler. Trotzdem sind die Baumstämme nützliche Haltepunkte für jemanden, der zum Umkippen neigt. Ich bewege mich von Weißbirke zu Erle zu Esche und komme so stetig meinem Ziel näher.

Die Raffertys wohnen hier seit achtzehn Monaten. Ein Jahr zuvor haben sie Arcadia Heights für zwei Millionen gekauft und dann noch einmal eine riesige Summe investiert, um es zu sanieren.

Vor mir wird der Baumbestand dünner. Da liegt der Pool der Raffertys, von Unterwasserscheinwerfern grün beleuchtet. Wie immer stelle ich mir das Gefühl vor, wenn ich mich einfach ausziehen und eine Bahn schwimmen würde. Dazu werde ich natürlich niemals die Gelegenheit haben – inzwischen ist tiefes Wasser für mich keine gute Idee mehr. Stattdessen gehe ich vorsichtig durch perfekte Rabatten zu meinem Aussichtspunkt hinter der Filterpumpe.

Hinter dem Pool ragt das Haus auf, monströs und wachsam – eine Machtdemonstration aus Beton, Glas und Stahl, in willkürlichen geometrischen Formen. Wenn man auf dem Mars eine Gefangenenkolonie für Superreiche bauen würde, dann wäre Arcadia Heights ein gutes Vorbild dafür.

Heute Nacht ist das Erdgeschoss des Gebäudes hell erleuchtet, es fließt über vor Licht, keine Jalousien oder Fensterläden blockieren die bodentiefen Fenster.

Seit mein altes Leben vorbei ist, habe ich gelernt, dass die Reichen und Mächtigen ihre Gardinen nachts selten zuziehen. Anders als der Rest von uns fürchten sie sich nicht vor der Dunkelheit. Vielleicht, weil sie erwarten, ebenfalls gefürchtet zu werden.

Ich entdecke Simon Rafferty im Kinoraum. Er sitzt auf dem Boden, die Beine lang ausgestreckt, den Rücken an ein weißes Ledersofa gelehnt. Ein leeres Weinglas steht neben ihm. Er konzentriert sich auf ein MacBook, das er auf dem Schoß balanciert.

Simon ist ein großer Mann, tief gebräunt, elegante Haltung, sparsame Bewegungen. Manchmal, wenn ich ihn beobachte, stelle ich mir vor, dass jede seiner Muskelkontraktionen gut überlegt und im Voraus geplant ist. Vor drei Tagen ist er einundvierzig geworden, aber er wirkt weit jünger. Man würde niemals glauben, dass uns achtzehn Jahre trennen.

Nadia Rafferty, Simons Frau, sehe ich nicht. Vermutlich ist sie schon im Bett. Ich besuche die Familie selten so spät.

Eigentlich darf ich sie überhaupt nicht besuchen. Ihre einstweilige Verfügung gegen mich und das Kontaktverbot gelten noch drei Jahre. Wenn ich mich dem Paar auf weniger als dreißig Meter nähere – oder dem fünfjährigen Ollie Rafferty –, dann droht mir Gefängnis. Selbst den Fuß auf ihr Grundstück zu setzen, ist schon eine Straftat.

Eine Sicherheitskamera an der Wand überwacht den Poolbereich. Eine zweite Kamera, die an der Orangerie befestigt ist, sichert die Terrasse. Aber es gibt einen blinden Fleck. Durch den schaffe ich es bis auf ein paar Schritte vor die Orangerie-Tür. Weil drinnen die Lichter brennen, kann mich von innen keiner sehen – also schleiche ich so vorsichtig wie möglich ganz nah heran. Dann setze ich mich mit ausgestreckten Beinen auf die Gehwegplatten, in einer perfekten Imitation von Simons Haltung.

Wir sind einander schweigend zugewandt, eine von uns ist sich dessen bewusst, der andere hat keine Ahnung. Mein Herz schlägt jetzt eine Million Mal in der Minute, aber das ist in Ordnung. Ich muss das tun.

«Ich sehe dich», flüstere ich.

Simon schließt seinen Laptop. Er nimmt sein Weinglas, trinkt einen langen Schluck daraus und starrt mich durch das Fenster an.

Direkt an.

Die Muskeln an seinem Hals ziehen sich zusammen, als er den Wein herunterschluckt. Er starrt weiter. Ich starre weiter zurück. Eine Ader an seinem Hals pulsiert. Ich werfe einen Blick auf meine Uhr und zähle. Eine Minute später habe ich meine Antwort. Sein Puls schlägt achtundfünfzig Mal in der Minute – der Beweis dafür, dass Simon mich nicht wirklich gesehen hat, obwohl es vielleicht so wirkt. Er denkt über sein Spiegelbild nach und weiß nicht, was dahinter lauert.

Trotzdem, je länger wir die Stille miteinander teilen, desto unangenehmer wird es mir. Ich bin Nachtmensch, ich bin an Gefahr gewöhnt. Und jetzt blinken meine Instinkte rot auf. Ich spüre von irgendwoher einen Blick – und es ist nicht Simons. Ich schaue mich in der Dunkelheit um, und mein Magen zieht sich zusammen.

Ich rappele mich auf und gehe zur Filterpumpe. Von dort aus betrachte ich die dunklen Glasquader der oberen Etagen, die durch Betonsockel und gläserne Gänge voneinander getrennt sind.

Ist da oben jemand wach? Es ist dumm von mir, draußen vor der Orangerie zu sitzen, wo ich Simon und Nadia nicht zusammen im Auge haben kann. Der Platten heute – und das, was an der Tankstelle passiert ist – hat mich komplett aus der Bahn geworfen.

Ich beiße die Zähne zusammen, schleiche zurück durch die Bäume zu der Lücke in der Mauer und klettere auf mein Jorvik. Der Sonnenaufgang ist noch eine Weile hin, aber es wird nicht mehr lange dauern, bis ein zombiehaftes Grau den Himmel überzieht. Ich spüre, wie sich die Erde dreht und sich in die Sonne zu wenden droht. All dieses Licht, diese Hitze und das Leid.

Allein bei dem Gedanken werde ich ganz fieberhaft. Ich stelle mir vor, wie meine Haut verbrennt, die Augäpfel in ihren Höhlen vertrocknen – wie mich die Sonne von einem lebenden, denkenden Menschen in eine tote und verdorrte Hülle verwandelt. Ich muss wieder reingehen, bevor der Himmel auch nur über die Dämmerung nachdenkt. Aber zuerst … Laurie.

Die wunderschöne Laurie.

Schlau, kreativ, freundlich, ruhig.

Und völlig am Arsch.

Sechs

Nadia Rafferty steht nackt in ihrem Badezimmer, den rechten Fuß auf den Schminktisch gestellt, und reibt ihre Haut mit Feuchtigkeitslotion ein.

Dieser Raum mit der eingelassenen Badewanne und den schwarzen Granitwänden sollte eigentlich ihr Heiligtum sein, aber es sieht viel zu maskulin aus für ihren Geschmack. Rückblickend hätte sie die Pläne des Architekten genauer überprüfen sollen. Die Kosten der Installationen, wie alles andere in diesem Haus, waren außergewöhnlich hoch. Für eine Frau, die nördlich von Pleven aufgewachsen ist, in der ärmsten Region Bulgariens, waren diese Summen praktisch schon unmoralisch. Also bleibt Nadia bei diesem Design, obwohl Simon es sicher sofort ändern lassen würde. Immerhin lässt das flackernde Kerzenlicht im Bad alles ein wenig weicher wirken.

Eine Wand besteht ganz aus Glas und bietet einen unglaublichen Blick auf die Sterne – nur nicht dort, wo die undurchdringliche Masse des Pincher’s Mount den Himmel verdeckt. Nadia brauchte eine ganze Weile, um sich daran zu gewöhnen – vor allem nach dem, was im letzten Haus passiert war. Selbst jetzt, anderthalb Jahre nachdem sie eingezogen sind, hat sie manchmal das Gefühl, beobachtet zu werden, wenn sie badet. Die Polizei hat versprochen, sie müsse sich keine Sorgen machen, aber wer vertraut schon auf die Worte von Fremden? Und in letzter Zeit hat Nadia einen neuen Grund zur Sorge. Es ist etwas, was sie seit dem Augenblick beschäftigt, in dem sie es herausgefunden hat.

Ihr rechtes Bein ist jetzt eingecremt, und Nadia macht sich an ihr linkes Bein. Auf dem Schminktisch, neben ihrem Fuß, liegt der Clearblue-Schwangerschaftstest. Sie sieht ihn sich ein letztes Mal an. Dann steckt sie ihn ganz unten in den Abfalleimer, bläst die Kerzen aus, sprüht etwas Mitsouko von Guerlain auf und hüllt sich in ein Badetuch. Barfuß geht sie in das Hauptschlafzimmer.

Es ist ihr dritter Test in drei Tagen – und das dritte positive Ergebnis. Wenn ihre Ahnung stimmt, dann ist sie bereits sieben Wochen schwanger, was bedeutet, dass das Kind irgendwann im März kommen wird.

Vor dem Wandspiegel lässt sie das Badetuch fallen und betrachtet ihren Bauch. Er ist so muskulös und flach wie der eines Boxers, aber sie fragt sich, wie viel Schutz er dem winzigen Leben in ihr bieten kann. Die Fußböden in den meisten Räumen hier sind hart wie Diamant. Sie könnte ausrutschen und eine Fehlgeburt haben. Vielleicht sollte sie sich mit Kuchen und Süßigkeiten vollstopfen – ein paar Lagen Isolationsmaterial und Polster zulegen. Sie zieht sich einen Bademantel an und tritt ans Schlafzimmerfenster.

Nadia spürt seine Gegenwart, obwohl sie ihn nicht sehen kann: Pincher’s Mount, dieser Koloss aus Erde und Fels, der in der Dunkelheit über ihr aufragt.

Auf dem Hof ihres Großvaters in den bergigen Stara Planina, wo ihre Eltern zu Weihnachten immer mit ihr hinfuhren, schlichen sich manchmal nachts Wölfe von den Anhöhen nach unten, um Schafe zu reißen, auch Hunde – alles, was sie finden konnten. Der alte Mann sagte immer: Wenn die Wölfe sich vermehren, kommt das Unglück. In den letzten drei Tagen hat Nadia überall die Anwesenheit von Wölfen gespürt.

Sie nimmt ihr Handy, scrollt ihre Adressliste herunter und wählt eine Nummer. Als jemand rangeht, nennt sie ihren Namen und fragt nach Detective Inspector Marius England.

Eine Minute später meldet er sich. «Mrs Rafferty?»

«Danke, dass Sie mit mir reden.»

«Natürlich. Es ist doch sicher schon ein Jahr her, seit wir zum letzten Mal miteinander gesprochen haben. Wie geht es Ihnen? Wie geht es Ollie?»

«Ollie geht es gut», sagt sie. «Mit mir ist auch alles okay.» Der Unterschied ist subtil, aber absichtlich so gewählt. «Spielen Sie noch Rugby?»

«Mrs Rafferty, gibt es ein Problem? Einen besonderen Grund, aus dem Sie anrufen?»

Nadia windet sich. Die Unterhaltung entwickelt sich schneller, als ihr lieb ist. Er hat ihr keine Zeit gegeben, ihn zu bearbeiten. «Ich weiß, dass es schon eine Weile her ist. Ich wollte nur fragen, ob Sie sie in letzter Zeit gesehen haben.»

«Keira Greenaway? Seit dem Prozess nicht mehr. Und danach hat die Bewährungshilfe die Verantwortung für sie übernommen. Aber das wissen Sie doch, Mrs Rafferty. Als wir das letzte Mal miteinander geredet haben, habe ich …»

«Wohnt sie immer noch bei ihren Eltern?»

«Ich habe keine Ahnung.»

«Könnten Sie vielleicht nachfragen? Jemanden von Ihren Leuten bitten, dort mal hinzufahren?»

«Ist irgendetwas passiert?»

«Nicht wirklich, aber …»

«Hören Sie», sagt England. «Ich verstehe vollkommen, dass Sie sich hin und wieder fürchten, selbst nach all der Zeit, und ich will wirklich nicht so klingen, als wäre uns Keira Greenaways Freiheit wichtiger als Ihre, denn das stimmt nicht, überhaupt nicht. Aber wenn Sie keine konkreten Anhaltspunkte haben, fürchte ich, dass die Antwort nein lauten muss.»

«Kann ich mit ihrem Bewährungshelfer reden?»

«Tut mir leid, Mrs Rafferty, das geht nicht. Keira Greenaway hat sich an alle Auflagen ihrer Bewährungsstrafe gehalten. Sie hat jeden ihrer Termine im Resozialisierungsprogramm wahrgenommen. Sie hat jetzt ein Recht auf Privatsphäre. Wenn es Ihnen hilft, dann kann ich Ihnen sagen, dass es keinerlei Hinweise darauf gibt, dass sie wieder straffällig wird. In Anbetracht ihrer verschiedenen Leiden würde ich sogar sagen, dass das sehr unwahrscheinlich ist.»

Nadia tritt wieder an den Spiegel heran. Sie sieht, wie ihr Spiegelbild die Zähne zeigt. «Aber beim ersten Mal haben Sie sie auch nicht aufgehalten, nicht wahr?»

Der Detective schweigt. Dann sagt er: «Mrs Rafferty, wenn irgendetwas passiert – irgendetwas –, dann möchte ich, dass Sie wissen, dass Sie mich immer anrufen können, Tag und Nacht.»

«Das tue ich», lügt Nadia und legt auf. Denn wenn sie sich nicht einmal darauf verlassen kann, dass die Polizei lediglich nach dem Rechten sieht, dann ist es wohl am besten, sich überhaupt nicht auf sie zu verlassen.

Sie geht durch den Flur zu Ollies Zimmer. Der Junge liegt auf seiner Matratze und hat die Sommerdecke von sich getreten. Sie liegt jetzt auf dem Boden. Nadia deckt ihn nicht wieder zu – es ist viel zu heiß, und er scheint es bequem zu haben. Stattdessen setzt sie sich neben ihn hin und schaut zu, wie er schläft. Sie hat dieses Kind beinahe so lange beschützt, wie sie es kennt – abgesehen von den drei Tagen Hölle, in denen Keira Greenaway in ihr altes Haus spazierte und es entführte.

Ollie hält ein Spielzeug in der Hand. Nadia entwindet es ihm und streicht ihm das Haar aus der Stirn.

Wird sie sich je von den zweiundsiebzig Stunden Horror erholen? Wie Greenaway es geschafft hat, einer Gefängnisstrafe zu entgehen, trotz all ihrer Probleme, wird Nadia niemals verstehen.

Sie dreht das Spielzeug in den Händen. Es hat die Größe eines Wachteleis und ein kleines LCD-Display. Sie erinnert sich an diese Dinger aus den späten Neunzigern. Tamagotchis hießen sie damals – ein paar Jahre lang waren sie einfach überall. Ollies ist schon ziemlich ramponiert, das Plastik ist zerkratzt und verblichen. Sie schaut auf das Display und sieht, dass sein virtuelles Haustier schläft. Sie legt das Ding auf seinen Nachttisch und lässt die beiden in Ruhe.

Zurück in ihrem Schlafzimmer, scrollt Nadia erneut in ihrem Handy herum. Vielleicht ist ihr Einfluss auf den Detective schwächer geworden. Aber ihr Einfluss auf Konstantin Tapia nicht. Das heißt, wenn der Teenager, den sie in Gulyantsi kannte, noch am Leben ist. Es ist jetzt schon zehn Jahre her, vielleicht schon länger, dass sie mit ihm gesprochen hat – aber ihre Bindung ist unzerstörbar.

Konstantin um Hilfe zu bitten, wäre ihr letztes Mittel – es wäre, wie eine scharfe Granate in die Luft zu schleudern und es dem Schicksal zu überlassen, wo sie hinfällt. Konstantin war schon damals völlig durchgeknallt. Gott weiß, was die letzten zehn Jahre mit ihm angestellt haben.

Nadia findet seine Kontaktdaten. Dann geht sie nach unten zu ihrem Mann.

Sieben

Laurie – die wunderschöne, schlaue, kreative, freundliche, ruhige Laurie – besitzt Her mit dem Teig, eine Backstube in Cranner’s Ford. Es erfordert sicher ziemlich viel Mut, ein eigenes Geschäft aufzumachen. Das ist noch etwas, was man an Laurie einfach bewundern muss: ihre Hartnäckigkeit.

Ich beobachte sie noch nicht so lange wie die Raffertys – anders als sie ist sie nicht der Hauptgrund, aus dem ich hier bin –, aber ich habe sie schon recht gut kennengelernt. Es hilft, dass sie eine Bäckerei betreibt. Selbst im Sommer ist sie oft vor Sonnenaufgang wach.

Trotz Lauries offensichtlicher Qualitäten kommt eine Riesenwelle Schmerz auf sie zu. Bevor es so weit ist, bereite ich sie so gut wie möglich vor.

Die Bäckerei ist auf der Bartholomew Street, zwischen einem China-Imbiss und einem Nagelstudio. Ich parke am Anfang der Gasse, die dahinter verläuft. Ich werde Laurie nicht durch die Frontfenster des Ladens sehen können. Jetzt gerade arbeitet sie sicher in der Backstube.

In der Gasse ist es so dunkel, dass ich nicht einmal meine Doc Martens erkennen kann. Ich schleiche an dem China-Imbiss vorbei, die rechte Hand zur Sicherheit ausgestreckt. Noch ein paar Meter, dann befinde ich mich hinter Her mit dem Teig. Hier gibt es endlich ein wenig Licht. Die Feuertür besteht aus einer Stahlplatte, ganz glatt, abgesehen von einem Codeschloss. Das hintere Fenster der Bäckerei ist lang und dünn, ganz oben in der Mauer. Ich steige auf eine leere Palette, die passenderweise darunter steht.

Und dann ist da Laurie. Strahlend. Umgeben von stählernen Arbeitsflächen und Aluminiumblechen.

Ich sehe an ihrem Gesicht, dass sie tief in Gedanken versunken ist. Ihre Brauen sind zusammengezogen. Der Blick ihrer blauen Augen scheint ins Leere zu gehen. Einen Augenblick lang frage ich mich, ob sie sich schon vor dem fürchtet, was auf sie zukommt, aber wie könnte das sein? Es sei denn, sie weiß mehr, als ich mir vorstellen kann.

Laurie hat sich das blonde Haar zurückgebunden. Auf der Nase klebt ein bisschen Zuckerguss. Auf ihrer Stirn glänzt Schweiß – vermutlich liegt es an der Hitze der Öfen. Und natürlich an ihrem Gewicht.

Lauries Oberarme wabbeln bei der Arbeit; die Schürze spannt sich über ihrem Bauch. Trotz ihres Umfangs sind ihre Bewegungen beim Teigschneiden die einer Tänzerin. Sie ist eine backende Venus, und ich liebe sie mit Haut und Haaren – weshalb ich vermutlich auch so traurig werde, wenn ich sie beobachte.

Ich fische aus meiner Hosentasche heraus, was ich mitgebracht habe: eine Silberkette, die früher meiner Großmutter gehört hat. Daran baumelt ein Anhänger, den ich speziell für Laurie gekauft habe.

Es ist ein Hammer. Nicht so wie der Zimmermannshammer, den ich zum Pflegeheim von William dem Navigator bringen wollte, bevor ich den Platten hatte. Dieser hier ist eine winzige Nachahmung von Mjölnir. Solche Anhänger wurden in Gräbern in ganz Skandinavien gefunden. Hauptsächlich in den Gräbern von Frauen.