Sieben Chancen für die Liebe - Henriette Wich - E-Book

Sieben Chancen für die Liebe E-Book

Henriette Wich

0,0
8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Valéries Leben könnte nicht aufregender sein! Sie ist verliebt bis über beide Ohren. Wenn sie nur wüsste, welche Taktik die beste ist, um ihren Schwarm für sich zu gewinnen: Ist so ein kitschiger Liebesbrief wirklich noch angesagt? Oder soll sie Sven lieber zu einem coolen Fotoshooting einladen? Überhaupt tauchen viel zu viele Fragen auf und für Valérie steht fest: Liebe ist Verwirrung pur! Entscheide du für sie - der Ausgang der Geschichte liegt in deiner Hand. Ob Happy End oder Liebesfrust, Freundschaft oder Liebe - alles ist möglich!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



CARLSEN Newsletter Tolle neue Lesetipps kostenlos per E-Mail!www.carlsen.de Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden. Veröffentlicht im Carlsen Verlag 2008 Copyright © 2008 Carlsen Verlag GmbH, Hamburg Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Svenja Drewes Umschlagfoto: rubberball /gettyimages, istockphoto.com, Artzone, Enjoylife2, hdoddema, Rouzes, SparkleArt Umschlaggestaltung: formlabor Satz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN 978-3-646-92022-2 Alle Bücher im Internetwww.carlsen.de

Eigentlich komme ich nie zu spät zur Schule. Also fast nie. Okay, manchmal kann es schon vorkommen, aber das ist wirklich die absolute Ausnahme! An mir liegt es dann aber bestimmt nicht. Ich bin nämlich bekennende Frühaufsteherin, und das seit genau fünfzehn Jahren, vier Monaten und sieben Tagen. Schon in meiner ersten Woche als Baby beglückte ich meine Eltern, wenn ich jeden Morgen um Punkt halb sechs die Kapazität meiner Lungenflügel trainierte. Deshalb brauchten meine Eltern auch nie einen Wecker, aber das ist wieder ein anderes Thema. Wo war ich noch gleich? Ach ja, ich wollte vom 21. April erzählen. Das ist jetzt drei Monate her, aber dieses Datum werde ich garantiert nie vergessen, weil sich an dem Tag mein Leben komplett verändert hat. Nein, falsch: An dem Tag hat mein Leben überhaupt erst richtig angefangen, denn mit dem Frühling brach die Liebe über mich herein wie ein warmer Aprilregenschauer. Die richtig große, wahre, schreckliche, wunderbare, einzigartige Liebe. Aber ich sollte vielleicht besser von Anfang an erzählen.  

Es ist der 21. April, einer dieser verflixten Montage, als ich, Valerie Jennings, schon am frühen Morgen in der Klemme stecke. Weil der Akku meines Handys den Geist aufgegeben hat und der Handywecker zu schwach ist, um mich wie sonst um sieben zu wecken, bin ich mal wieder total spät dran. Ich hasse Hektik am Morgen. Trotzdem will ich mein Morgenritual nicht vernachlässigen. Also springe ich aus dem Bett, greife als Erstes zu meiner Digicam und mache ein Foto von mir mit Selbstauslöser. Voilà: die Nummer 37 in meiner Serie »Valerie um sieben Uhr morgens«, die ich irgendwann mal veröffentlichen werde, spätestens, wenn ich eine berühmte Fotografin geworden bin. Meine dunkelbraunen Haare sind auf dem Foto noch mehr verwuschelt als sonst, mitten auf der Stirn habe ich einen fiesen Pickel, und ein roter Streifen, den mein Kopfkissenbezug mir als Erinnerung zurückgelassen hat, zieht sich quer über mein Gesicht.  

Nach diesem Schock schalte ich die Kamera sofort wieder aus und suche nach dem Aufladekabel meines Handys. Normalerweise lege ich es immer auf den Nachttisch, aber da ist es nicht. Es muss irgendwie runtergerutscht und auf dem Boden gelandet sein. Ich robbe also auf dem Teppich herum und suche überall, sogar unter dem Bett. Ich finde alles Mögliche, nur nicht das Kabel: zuerst eine schwarze und eine blaue Socke, deren Zwillingsschwestern schon länger völlig vereinsamt sind. Danach eine eingerissene Kinokarte vom letzten Film, in dem ich zusammen mit Caro war. Meine beste Freundin hat einen absolut kitschigen Liebesschmachtfetzen ausgesucht, bei dem wir zusammen zwei Packungen Papiertaschentücher verbraucht haben. Genauer gesagt, waren es bei Caro eineinhalb und bei mir höchstens eine halbe Packung.  

Als Drittes feiere ich das glückliche Wiedersehen mit meinem roten Lieblingsgürtel. Den will ich natürlich unbedingt gleich tragen. Dazu passen am besten meine neuen Jeans und das weiße Shirt. Aber das Shirt habe ich mit Schokolade bekleckert und die Jeans sind gerade in der Wäsche. Na toll. Also muss ich mir eine Alternative ausdenken und es dauert ewig, bis ich das optimale Rote-Gürtel-Outfit zusammengestellt habe.   

Als ich endlich geduscht und geschminkt zum Frühstück in die Küche sprinte, ist es megaspät. Dort trinkt meine Mutter bereits ihren zweiten Morgencappuccino und ist entsprechend hektisch drauf. »Kannst du noch schnell den Müll runterbringen?«   

»Mach ich heute Mittag«, sage ich.  

»Nein, jetzt«, sagt meine Mutter und bekommt ihren strengen Anwältinnen-Blick.  

Weil ich keinen Streit anfangen will, der mich noch mehr Zeit kosten würde, gebe ich nach. Und als ich mich endlich mit zwei prallvollen Mülltüten unter dem Arm und einem Croissant zwischen den Zähnen durch die Tür quetsche und zum Abschied »Hmmpf!« sage, ist es megamegaspät.  

Die Müllbeutel sind versenkt, das Croissant verschluckt und ich stehe vor der ersten wichtigen Entscheidung des Tages:  

Soll ich so schnell wie möglich zur Schule sprinten, um Petzold, meinen Physiklehrer, nicht noch mehr zu reizen, weil er mich sowieso schon auf dem Kieker hat?  

Weiter auf Seite 88

Oder soll ich dieses Risiko eingehen und mir wie immer am Montagmorgen am Kiosk die neueste Ausgabe meiner Fotozeitschrift kaufen, bevor ich in die Schule fahre?  

Weiter auf Seite 8

Statt wie sonst die viel befahrene Hauptstraße entlangzulaufen, biege ich in die erste Seitenstraße ein und lasse die stinkenden Benzinschwaden der Autos hinter mir. Um zum Kiosk am Ostentor hinter dem Stadtpark zu kommen, muss ich zwar am Anfang einen kleinen Umweg in Kauf nehmen, aber den kann ich später wieder aufholen, da ich mir zwei Fußgängerampeln spare. Sobald ich den Park erreicht habe, atme ich die frische Frühlingsluft tief ein und fange an zu laufen. Die Wege sind weich und viel angenehmer als der harte Asphalt. Nur wenige Leute haben sich schon aus dem Bett gequält. Bis auf zwei übereifrige Fitnesstypen und eine ältere Frau, die ihren Dackel ausführt, habe ich freie Bahn. Ich komme supergut voran, wie ich ab und zu mit einem Blick auf meine Armbanduhr feststelle. Bald habe ich den Park durchquert und laufe auf das Ostentor zu. Glück gehabt! Keine Schlange vor dem Kiosk. Ich kaufe schnell meine Fotozeitschrift, stecke sie ein und schon geht es weiter. Hinter dem Ostentor muss ich wieder auf den Verkehr achten, aber die Straße ist längst nicht so befahren wie die Hauptstraße. Problemlos wechsle ich die Seite und biege in die Schillerallee ein. Jetzt muss ich nur noch einmal links abbiegen und dann bin ich praktisch schon da. Wenn ich das Tempo weiter so halten kann, stehen die Chancen sehr gut, dass ich es noch rechtzeitig schaffe. Ich ignoriere das leichte Seitenstechen und renne weiter. Dann raffe ich mich zu einem letzten Spurt auf und biege in den Goetheweg ein. Ich achte nur noch auf meine Schritte, sehe nicht mehr hoch. Plötzlich spüre ich einen harten Stoß gegen die Brust. Irgendetwas rammt mich, und bevor ich weiß, wie mir geschieht, liege ich auch schon auf dem Gehsteig.  

»Aua!«, schreit jemand.  

Mühsam richte ich mich auf. Neben mir, beziehungsweise mit meinen Armen und Beinen verknäult, liegt ein Mädchen, das gerade vom Fahrrad gestürzt ist. Der Reifen dreht sich noch, aber da das Fahrrad quer liegt, surrt er hilflos in der Luft.  

»Wo kommst du denn her?«, frage ich, während ich vorsichtig meine Gelenke bewege, um zu testen, ob das überhaupt noch geht. Zum Glück funktionieren alle, und bis auf eine Schramme am linken Unterschenkel tut mir auch nichts weh.  

»Dasselbe könnte ich dich auch fragen«, sagt das Mädchen. Dann versucht es aufzustehen und verzerrt dabei stöhnend das Gesicht.  

Auf einmal bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil ich so egoistisch war und zuerst an mich gedacht habe. »Hast du dich verletzt?«, frage ich und stehe schnell auf.  

Das Mädchen tastet seine Jeans ab, die mit Spuren von Fahrradöl beschmiert ist. An einer Stelle sieht man ganz deutlich den schwarzen Abdruck der Kette. »Verletzt?«, sagt sie. »Ich glaub nicht. Aber ich bekomme garantiert zwei schöne blaue Flecken.« Inzwischen ist sie wieder auf den Beinen und klopft ihre Hose ab. »Mist, alles schwarz!« Dann richtet sie sich auf und starrt mich wütend an. »Mensch, konntest du nicht aufpassen?«  

»Warum ich?«, wehre ich mich. »Du bist doch auf dem Gehsteig gefahren.«  

»Und du bist total schnell um die Ecke geschossen«, sagt das Mädchen.  

Ein paar Sekunden fixieren wir uns wie Gegner in einem Boxkampf, kurz bevor der Ringrichter die zehnte Runde einläutet. Dann merke ich, wie der rechte Mundwinkel des Mädchens zuckt. Und plötzlich müssen wir beide loslachen.  

»Ist ja nix passiert«, sage ich, immer noch kichernd.  

Das Mädchen wischt sich eine Lachträne aus den Augen. »Stimmt. Aber unsere Schutzengel hatten ganz schön was zu tun.«  

»Allerdings.« Ich deute auf ihr Rad. »Soll ich dir helfen?«  

»Ja, gern«, sagt sie. Gemeinsam bringen wir das Fahrrad zurück von der Horizontalen in die Vertikale. Der vordere Dynamo ist verbogen und der Hinterreifen eiert ganz schön.  

»’tschuldige«, sage ich und stelle mir vor, wie ich mich fühlen würde, wenn das mein Rad wäre. »Das wollte ich nicht.«  

Doch das Mädchen zuckt nur mit den Schultern. »Kein Problem, das alte Klapperteil wollte ich sowieso bald ausrangieren.«  

Mit dieser lässigen Reaktion habe ich nicht gerechnet. Während das Mädchen den Dynamo zurechtrückt, sehe ich sie zum ersten Mal richtig an. Irgendwie kommt sie mir bekannt vor, aber ich kann mich zuerst nicht erinnern, wo ich sie schon mal gesehen habe. Doch dann, als sie mich anlacht, fällt es mir plötzlich wieder ein.  

»Bist du nicht in der Schulband?«, frage ich.  

»Stimmt«, sagt sie. »Ich singe Background.«  

Beinahe wäre mir ein »Cool!« rausgerutscht, aber zum Glück kann ich es mir im letzten Moment verkneifen und ersetze es durch: »Du bist Paula, oder? Ich bin Valerie.«  

Unsere Schulband ist Kult, und die Backgroundsängerinnen sind Megakult, während Bandleader Johnny, ein introvertierter Musik-Crack, eher blass rüberkommt. Die Backgroundsängerinnen dagegen fallen überall auf, denn sie können nicht nur wahnsinnig gut singen, sie sehen auch noch total gut aus. Paula ist die Größte der drei, hat schulterlange, blonde Haare und trägt als Markenzeichen ein breites, schwarzes Haarband.  

»Hattest du es vorhin nicht ziemlich eilig?«, reißt sie mich aus meinen Gedanken.  

Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr und bekomme einen halben Herzinfarkt. »Shit! Schon zehn nach acht. Ich komme zu spät.«  

Paula grinst. »Ich glaube, da bist du nicht die Einzige.«  

Wir müssen wieder lachen. Obwohl ich eigentlich sofort loslaufen müsste, um meine Verspätung wenigstens einigermaßen im Rahmen zu halten, bleibe ich stehen. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass Paula so nett ist. Bei den Auftritten der Band gibt sie sich immer so unnahbar und distanziert, aber das ist anscheinend nur eine Rolle, die sie auf der Bühne spielt. Vielleicht ist es ja kein Zufall, denke ich, dass wir zur selben Zeit am selben Ort waren.  

Ich gebe mir einen Ruck und frage sie: »Hast du Lust, dass wir uns mal treffen?«  

Und Paula sagt einfach: »Ja, klar. Wir können ja Handynummern austauschen.« Dabei kramt sie ihr Handy aus der Hosentasche. »Wie ist deine Nummer?«  

Ich gebe sie ihr und will auch nach meinem Handy greifen, bis mir einfällt, dass es ja zu Hause liegt. »Zu blöd! Ich hab mein Handy leider nicht dabei. Aber einen Stift hab ich.«  

Paula nimmt ihn und meine rechte Hand und kritzelt ihre Nummer in meine Handfläche hinein. Das kitzelt und ich muss schon wieder kichern.  

»Danke«, sage ich. »Aber jetzt muss ich wirklich los. Ciao, bis bald!«  

Paula steigt auf ihr Rad, grinst und hebt kurz die Hand, bevor sie eiernd losfährt. Ich düse hinterher und suche auf den letzten Metern zur Schule krampfhaft nach einer möglichst plausiblen Entschuldigung für meine Verspätung, aber ich weiß jetzt schon, dass der Petzold tierisch sauer sein wird. Mein Physiklehrer hasst Schüler im Allgemeinen und Unpünktlichkeit im Besonderen.  

Um 8.19 Uhr schlüpfe ich ins Klassenzimmer. Der Petzold steht gerade an der Tafel und dreht mir den Rücken zu. Ich schleiche an ihm vorbei und rutsche neben meiner besten Freundin Caro in die Bank.  

»Er hat schon nach dir gefragt«, raunt sie mir durch ihren Vorhang aus hellbraunen Locken zu.  

Da dreht er sich auch schon zu mir um und sieht mich ohne die Spur eines Lächelns an. »Valerie! Wo kommst du her?« Er betont jedes einzelne Wort, als ob ich schwerhörig wäre.    

Ich beschließe einfach die Wahrheit zu sagen. »Mein Handywecker hat versagt. Der Akku war leer.«  

»Diesmal war es also der Handywecker«, sagt Herr Petzold zynisch, während meine Mitschüler anfangen zu kichern. Er verschränkt die Arme vor der Brust und sofort kehrt wieder Ruhe ein. »Valerie, es interessiert mich nicht, wie du es schaffst, rechtzeitig zur Schule zu kommen. Hauptsache, du schaffst es. Das ist jetzt schon das dritte Mal in zwei Wochen, dass du zu spät kommst.«  

Ich setze ein extra zerknirschtes, reuevolles Gesicht auf. »Es tut mir wirklich leid. Kommt nie wieder vor.«  

Einen Augenblick schwankt er in seiner Entscheidungsfindung, doch dann siegt leider seine überproportional ausgeprägte autoritäre Seite. »Diesmal kommst du mit einer Entschuldigung nicht davon. Du wirst heute eine Stunde nachsitzen und ein paar Extra-Physikaufgaben lösen.«  

»Aber dann verpasse ich ja die Foto-AG!«, protestiere ich.  

»Das hättest du dir früher überlegen müssen«, sagt er ungerührt, und damit ist das Thema für ihn erledigt.  

Ich weiß, dass es keinen Sinn hat, weiter zu protestieren. Dann würde ich nur riskieren, noch mehr Aufgaben aufgebrummt zu bekommen. So eine Gemeinheit! Das ist reine Schikane. Manchmal habe ich echt den Eindruck, dass es dem Petzold richtig Spaß macht, wenn er fies sein kann.  

Da stupst mich Caro an. »Hey, ärger dich nicht! Das sitzt du mit ’ner halben Backe ab.«  

Caro ist lieb, aber meine Wut fängt gerade erst an, richtig zu brodeln und hochzukochen. Die Foto-AG ist der einzige Lichtblick am Montag. Da kann ich super abschalten und mich mit Leuten austauschen, die genauso verrückte Foto-Freaks sind wie ich. Wir sind ein bunt gemischter Haufen von der neunten bis zur zwölften Klasse und fast alle sind total nett. Einer ist sogar besonders nett: Sven. Die letzten zwei, drei Male haben wir ein bisschen geflirtet und ich bin echt gespannt auf die Fortsetzung. Aber jetzt werde ich ihn nicht sehen! Und wer ist daran schuld? Der Petzold! Ich stelle mir vor, wie ich ihn im Heizungskeller der Schule einsperre: ohne Wasser, ohne Brot.  

Viereinhalb Stunden später muss ich mir eingestehen, dass ich im Gegensatz zu Petzold nicht zu den Sadisten gehöre. Also sitze ich brav im leeren Klassenzimmer, während die Sonne herrlich zum Fenster hereinstrahlt. Die Physikaufgaben habe ich zum Glück schon gelöst, wobei ich keinerlei Garantie dafür übernehme. Jetzt muss ich irgendwie den Rest der Zeit rumkriegen. Ich knabbere ein bisschen an meinen Fingernägeln, obwohl ich mir das eigentlich seit vorgestern streng verboten habe. Da fällt mein Blick auf Paulas Handynummer in meiner Hand. Am liebsten würde ich mich sofort bei ihr melden, nur geht das ohne Handy schlecht. Aber gleich wenn ich nach Hause komme, werde ich sie anrufen und mit ihr was ausmachen. Vielleicht hat sie ja sogar heute Nachmittag noch Zeit.  

Dann ist endlich meine bescheuerte Strafe vorbei und ich kann nach Hause. Ich ziehe nicht mal meine Jacke aus, sondern hänge mich gleich im Flur ans Telefon.  

»Hi, Paula! Hier ist deine Stunt-Partnerin. Du weißt schon, der Actionfilm heute Morgen.«  

Paula lacht. »Ach, du bist es.«  

»Hast du zufällig heute noch Zeit?«, frage ich und stelle mich schon mal darauf ein, dass sie was vorhat.  

Doch sie sagt glatt: »Klar, ich hab Zeit, aber du musst zu mir kommen. Ich hab nämlich gerade eine Gurkenmaske im Gesicht. Heute ist mein Wellnesstag.«  

»Alles klar, bin schon unterwegs«, sage ich. Praktisch! Ich muss nicht mal einen Zettel an meine Eltern schreiben, weil es heute bei beiden spät werden wird.  

Paula wohnt nur zehn Minuten von mir entfernt. Auch sehr praktisch! Ich klingle an der Haustür der Doppelhaushälfte.  

Die Tür geht auf, und was ich sehe, haut mich glatt um: rotblonde Haare, Sommersprossen, leichte Bartstoppeln, blaue Augen. Vor mir steht nicht Paula, sondern mein absoluter Traumtyp. Als er den Mund verzieht und mich angrinst, macht es klick. Sein Grinsen knipst in meiner Brust einen Schalter an und mein Herz fängt an zu leuchten wie eine LED-Lampe.  

»Hallo«, sagt er. »Zu wem willst du denn?«  

Jetzt pulsiert die LED-Lampe auch noch. Blink, blink, blink!  

»Kannst du auch sprechen?«, fragt er.  

Nur mit allergrößter Anstrengung schaffe ich es, das Leuchten und Blinken einigermaßen wegzublenden. »Ich … äh … ja, ich will zu Paula.«  

»Da bist du richtig, meine Schwester ist in der Küche«, sagt der Junge, aber statt den Weg freizugeben, bleibt er einfach in der Tür stehen und grinst noch breiter.  

»Valerie?«, ruft Paula vom Ende des Flurs. »Lass dich bloß nicht von Robin einwickeln. Der ist echt gefährlich.«  

Prompt pumpt meine LED-Lampe rotes Licht von meiner Brust bis in meinen Kopf hinauf. Rot blink, rot blink, rot blink! Und schon stehe ich vor einer Wahnsinns-Entscheidung.  

Soll ich testen, wie gefährlich Robin tatsächlich ist, und zurückflirten?  

Weiter auf Seite 55

Oder soll ich lieber abwarten, was Robin als Nächstes tun wird?

Weiter auf Seite 26

Zurück zur letzten Auswahl

Warum soll ich klein beigeben? Noch gibt es eine Chance für Sven und mich. Ich werde es Paula zeigen und ihr nicht einfach das Feld überlassen. Ich werde um Sven kämpfen, mit all meinen Kräften! Das ist der einzig sinnvolle Weg. Als mir das klar wird, laufe ich so schnell wie möglich zu Caro.  

Ich laufe extra schnell und weine keine einzige Träne. Wozu auch? Ich bin stark! Und ich kann es locker mit dieser Paula aufnehmen. Was hat die denn schon, was ich nicht habe? Erstens: Sie hat blonde Haare. Aber wen interessiert das? Die Farbe ist inzwischen total out, sogar bei den Hollywood-Stars, die färben sich immer öfter die blonden Haare braun oder schwarz. Zweitens: Sie kann toll singen. Na und? Dafür kann ich toll fotografieren und mit Sven über sein liebstes Hobby fachsimpeln. Drittens: Sie hält sich für unwiderstehlich und glaubt, sie kann jeden Jungen um den Finger wickeln. Freu dich nicht zu früh, Paula! Wenn ich erst mal mein komplettes Flirt-Repertoire auspacke, kannst du einpacken. Und außerdem bin ich nicht allein, ich habe ja noch Caro als Trumpfkarte! Zusammen sind wir ein unschlagbares Team und werden den supergenialmegamäßigen Schlachtplan ausarbeiten!  

Als ich bei Caro ankomme, habe ich mich so in Rage gedacht, dass es mir fast schon wieder richtig gut geht. Ich klingele Sturm, bis sie endlich aufmacht.  

»Wie siehst du denn aus?«, fragt sie und weicht erschrocken zurück. »Willst du mich umbringen, oder was?«  

Ich blitze sie herausfordernd an. »Nein, nicht dich, aber jemand anderen!«  

»Wen denn?«, will sie natürlich sofort wissen.  

Ich lege den Zeigefinger auf die Lippen und zische: »Psst, nicht hier!«  

Wir laufen wie zwei Geheimagenten die Treppe hoch in ihr Zimmer. Sie dreht den Schlüssel dreimal im Schloss herum, damit uns auch ja niemand stört. Dann zerrt sie mich zum Sofa, setzt sich neben mich und drängt: »Jetzt sag schon! Was ist los? Wen willst du umbringen?«  

»Paula!«, sage ich und lege all meinen Hass und meine Verachtung in den Namen meiner Konkurrentin.  

Caros Gesicht ist ein einziges, großes Fragezeichen. »Welche Paula? Wieso? Was hat sie dir getan?«  

»Das Schlimmste, was ein Mädchen tun kann«, antworte ich.  

Und dann erzähle ich ihr alles von vorne, jedes Detail der Katastrophe: wie wunderbar es wieder zwischen Sven und mir geprickelt hat in der Foto-AG. Wie er mich gefragt hat, ob ich mal mit ihm zusammen einen Kaffee trinken gehen möchte, was eindeutig eine Einladung zu einem Date war. Und wie Paula dann innerhalb einer Sekunde alles zerstört hat.  

»Das ist echt das Allerletzte!«, stimmt Caro mir zu. »Kein Wunder, dass du auf hundertachtzig bist. Aber willst du sie wirklich umbringen? Lass sie doch lieber am Leben! Sie soll richtig leiden, das ist viel besser!«  

»Du hast Recht«, sage ich. »Auf jeden Fall werde ich um Sven kämpfen. Ich gebe ihn nicht einfach wieder her, jetzt wo ich ihn gerade an der Angel habe.«  

Caro sieht mich mit dem angriffslustigen Blick an, den sie vor jeder Mathearbeit hat. »Das ist genau die richtige Einstellung.«  

»Aber alleine schaffe ich das nicht«, sage ich. »Du musst mir helfen.«  

»Klar«, sagt Caro sofort.  

Das liebe ich so an ihr. Immer ist sie für mich da, wenn ich sie brauche. Und was ich auch noch an ihr liebe: wie unglaublich pragmatisch sie ist.  

»Als Erstes müssen wir die Lage sondieren und herausfinden, ob die beiden wirklich schon zusammen sind oder nicht«, schlägt sie vor.  

»Ja, genau«, sage ich. »Aber da haben wir gleich ein Riesenproblem: Das werden sie uns bestimmt nicht freiwillig auf die Nase binden.«  

Caro stützt den Kopf in die Hände und nickt. »Hm … da hast du auch wieder Recht.«  

Wir überlegen fieberhaft.  

»Wie wär’s, wenn wir ihnen nächsten Montag nach der Foto-AG heimlich nachlaufen?«, sagt Caro.  

Ich schüttele den Kopf. »Nein, das dauert viel zu lange, das halte ich nicht aus. Außerdem könnten sie bis dahin längst zusammen sein.«  

»Stimmt«, gibt Caro zu.  

»Aber wir könnten Sven beschatten, gleich morgen«, schlage ich vor.  

»Das ist viel zu gefährlich«, sagt Caro. »Er kennt dich doch. Was ist, wenn er uns dabei erwischt?«  

Ich stöhne. »Ja, das wär wirklich saublöd.«  

Plötzlich leuchten Caros Augen auf. »Jetzt hab ich’s! Wir beschatten Paula, morgen nach der Schule. Sie kennt weder dich noch mich und wird keinen Verdacht schöpfen, selbst wenn sie uns erwischen sollte.«  

»Geniale Idee!«, sage ich.  

Caro nickt, doch dann verdüstert sich ihr Gesicht. »Die Sache hat nur einen Haken: Wir wissen nicht, wo sie die letzte Stunde hat.«  

»Stimmt«, sage ich. »Mensch, es ist wie verhext!«  

Die Idee ist zu gut gewesen, ich will einfach nicht akzeptieren, dass sie nicht funktioniert. Beinahe werfe ich sie über Bord, doch dann schießt mir auf einmal ein Geistesblitz durchs Gehirn. »Wir müssen gar nicht wissen, wo sie die letzte Stunde hat. Ich weiß nämlich, wo sie morgen nach der Schule hingeht.«  

Caro starrt mich ungläubig an. »Bist du seit neuestem Hellseherin, oder was?«  

»Nein«, sage ich und lache. »Aber ich schau mir regelmäßig das Schwarze Brett an. Da steht groß und breit, wann und wo die Schulband probt: Jeden Dienstag nach der Schule im Partykeller unten im Nebengebäude.«  

Caro springt auf und klatscht in die Hände. »Na bitte! Dann haben wir doch die Lösung. Einfacher geht’s nicht.«  

Die Lösung ist leider doch nicht so einfach, wie wir dachten. Als wir am nächsten Mittag mit dem Läuten der Schulglocke aus dem Klassenzimmer sprinten und hinüber ins Nebengebäude rennen, finden wir zwar den Partykeller sofort, aber keinerlei Möglichkeit, um uns zu verstecken. Der Raum ist bis auf ein paar Stühle und die Instrumente der Band leer, und es gibt auch keinen Vorhang oder eine abgeschlossene Nische.  

»Mist!«, rufe ich. »Und was machen wir jetzt?«  

Die Zeit drängt, die Band kann jeden Moment hier sein. Zum Glück gibt Caro nicht auf und geht wie immer pragmatisch vor. »Vielleicht gibt es ja einen Nebenraum.«  

Es gibt tatsächlich einen: den Heizungsraum, und wir haben Glück: Er hat eine Extra-Tür zum Flur und ist nicht abgeschlossen.  

»Ganz schön heiß hier!«, stöhne ich, während ich mich in dem engen Raum ohne Fenster umsehe. Als ich die kahlen Wände betrachte, stutze ich plötzlich. »Sieh mal, da ist ein Lüftungsschacht!«  

Sofort ist Caro neben mir, beugt sich vor und späht durch die Lamellen. Dann grinst sie. »Perfekt! Man kann sogar durchsehen. Und hören tut man bestimmt auch jedes Wort.«  

»Psst!«, mache ich und lege Caro die Hand auf den Mund.  

Schritte kommen näher. Kurz darauf öffnet jemand nebenan die Tür zum Partykeller.  

»Wir sind die Ersten«, ruft ein Junge.  

»Dann drehen wir doch schon mal auf«, sagt ein anderer.  

Ohrenbetäubender Lärm dringt zu uns herüber. Der Schlagzeuger drischt auf seine Drums ein und der andere Junge legt ein Bass-Solo hin, bei dem der viel zu weit aufgedrehte Verstärker mit einem schrillen Pfeifen protestiert. Caro und ich halten uns die Ohren zu.  

Zum Glück dreht einer der beiden Jungs den Verstärker runter. Und dann trudelt auch der Rest der Band ein. Die Backgroundsängerinnen erkennen wir gleich am Kichern und an den schmatzenden Küsschen, Küsschen, mit denen sie sich ausgiebig begrüßen.  

Danach sagt Paula mit deutlich unterkühlter Stimme: »Hallo, Johnny, du bist spät dran.«  

»Tut mir leid«, sagt der Bandleader. »Hört mal alle her. Könntet ihr vielleicht kurz rausgehen? Ich muss mit Paula unter vier Augen reden, hier im Probenraum. Draußen rennt schon wieder der Hausmeister rum. Dauert auch nicht lange, versprochen!«  

Die anderen zucken nur mit den Schultern und ziehen sich zurück. Jetzt wird es spannend. Caro und ich kleben wie Fliegen am Lüftungsschacht und warten.  

»Was soll das?«, sagt Paula. »Es gibt nichts zu reden! Wir müssen proben.«  

»Bitte!«, sagt Johnny. »Ich halte das nicht aus, komm wieder zu mir zurück. Ich liebe dich doch!«  

Mir klappt die Kinnlade runter. Paula und Johnny waren ein Paar?  

»Nein!«, sagt Paula.  

Johnny stöhnt. »Du hast also einen anderen! Gib’s zu, es ist dieser Sven, oder?«  

»Spinnst du?«, ruft Paula. »Ich bin nicht mit Sven zusammen. Da läuft nichts zwischen uns. Er ist ein Freund, mehr nicht.«  

»Ein Freund! Und das soll ich dir glauben!«  

Ich bin voll auf Johnnys Seite. Ich glaube Paula auch kein Wort. Wer hat sich denn an den armen Sven rangeschmissen? Sie oder eine Fata Morgana?  

»Glaub es oder glaub es nicht, ist mir doch egal«, sagt Paula.  

Die beiden schweigen. Durch den Lüftungsschacht sehe ich, wie sie sich wütend anstarren.  

Schließlich seufzt Johnny. »Ich glaub dir ja. Aber wenn du nichts von Sven willst, was ist es dann? Warum willst du nicht mehr mit mir zusammen sein?«  

Paula lacht kurz und trocken. »Typisch Mann! Du gehst immer von dir aus. Aber es gibt tatsächlich andere Gründe, warum man sich trennt.«  

»Welche denn?«, will Johnny wissen.  

»Die hab ich dir doch schon gesagt.«  

»Dann sag sie noch mal.«  

Paula lacht wieder, diesmal klingt es verbittert. »Du hast doch schon eine Freundin: deine Musik. Daneben ist kein Platz mehr für mich. Immer wenn wir uns getroffen haben, hast du am Keyboard rumgeklimpert und an irgendeinem Song gebastelt.«  

»Das ist ungerecht!«, protestiert Johnny. »Ich hab meistens aufgehört, wenn du da warst.«  

»Ja, klar«, sagt Paula. »Nach einer Stunde, nach zwei Stunden … Meistens waren es drei.«