Sindh eine Stadt aus Gold - Ramona Onwuka - E-Book

Sindh eine Stadt aus Gold E-Book

Ramona Onwuka

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Beschreibung

Mein Name ist Ramona, ich bin ein direkter Nachkomme in Deutschland lebender Sinti. Mein Volk kommt ursprünglich aus der Region Sindh in Indien. Meine Familie war damals mehrheitlich hinduistisch und wurde aus vielen verschiedenen Gründen aus ihrem Land vertrieben. Wir leben überall auf der Welt, wir sind Christen geworden und haben keine Heimat mehr. Wir versuchen unsere Sprache und auch unsere Traditionen zu wahren, was nicht einfach ist in der heutigen Zeit. Obwohl wir aus einer der ältesten, aber auch sehr wenig bekannten Zivilisation kommen, werden wir oft diskriminiert und als Randgruppe behandelt.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Der Neuanfang

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

Vorwort

Mein Name ist Ramona, ich bin ein direkter Nachkomme in Deutschland lebender Sinti. Mein Volk kommt ursprünglich aus der Region Sindh in Indien. Meine Familie war damals mehrheitlich hinduistisch und wurde aus vielen verschiedenen Gründen aus ihrem Land vertrieben. Wir leben überall auf der Welt, wir sind Christen geworden und haben keine Heimat mehr. Wir versuchen unsere Sprache und auch unsere Traditionen zu wahren, was nicht einfach ist in der heutigen Zeit. Obwohl wir aus einer der ältesten, aber auch sehr wenig bekannten Zivilisation kommen, werden wir oft diskriminiert und als Randgruppe behandelt.

In diesem fantasievollen Roman verwende ich alte Geschichten und Mythen meiner Kindheit. Die in einer Stadt aus Gold geschehen, wie sie in zahlreichen Liedern meines Volkes besungen werden.

Der Grund weshalb wir auf der ganzen Welt zerstreut leben, wird offenbart. Das wir damit die gesamte Menschheit beschützen, lässt mein Volk in einem heroischen Licht erscheinen. In meiner Fantasie kämpfen wir seit über zweitausend Jahren, im verborgenem, mit Magie und übernatürlichen Kräften, gegen das Böse.

Der Neuanfang

„Es kann einfach nicht wahr sein, dass ihr schon wieder umziehen wollt, warum tut ihr mir das an?“

„Du weißt doch ganz genau, dass wir keine andere Wahl haben, Constantine!“

„Man hat immer eine andere Wahl Vater, ganz besonders du und Mama! Können wir denn nicht einmal länger als zwei Jahre in einem Land bleiben? Ihr habt es nicht einmal nötig, soviel zu arbeiten. Wenn wir arm wären, würde ich mich ja auch echt nicht beschweren.“

„Ja, aber du weißt doch, dass wir ganz nah dran sind, wir werden es bald finden.“

„Und was ist mit mir? Soll ich denn immer wieder von vorne anfangen? Das geht jetzt so, seit ich denken kann.“

„Nein, natürlich nicht, dieses Mal ist es ja auch für immer, das haben wir dir doch bereits versprochen. Constantine, wir haben das Haus doch nicht umsonst gekauft, wir möchten doch auch endlich ein Zuhause haben.

„Haus? Das ist ein Gruselschloss! Können wir denn nicht einmal, wie normale Menschen leben? Muss es denn immer das Auffälligste sein?“

„Das ist es doch gar nicht, das Schloss nebenan ist doch viel größer.“

„Das Schloss, das Schloss, ich höre nichts mehr außer, das Schloss. Wenn ihr eine Genehmigung bekommen hättet, wärt ihr auch prompt dort eingezogen.“

„Das ist doch völliger Quatsch!“

„Ist es nicht! Schlimm genug, dass ihr mich in dieses Nest namens Marotinu de Sus schleppt. Muss ich den, dann auch noch in so einer grotesken Burg wohnen?“

„Das ist keine Burg verflixt noch mal, das war das Gesindehaus des Grafen.“

„Das ist mir egal, lass mich jetzt in Ruhe, ich muss wohl mal wieder packen.“

Ich knalle meinem Vater die Tür direkt vor der Nase zu und werfe mich auf mein Bett. Ich könnte heulen vor Wut, ich frage mich, was das soll? Normalerweise ist das nicht meine Art so mit meinem Vater zu sprechen. Doch dieses Mal gehen er und Mama einfach zu weit! Rumänien! Jeder Mensch auf dieser Erde kennt die Gruselgeschichten vom Grafen Dracula. Meine Eltern wollen genau aus diesem Grund dort hin, sie sind Archäologen.

Nicht irgendwelche, nein, sie haben sich bereits durch spektakuläre Funde ihren Namen in der Welt der “Durchgeknallten“ gemacht. Ist auch nicht schwer, bei dem Budget, das sie zur Verfügung haben.

Meine Mutter Rose ist bei ihrem Vater groß geworden, da ihre Mutter bei der Geburt gestorben ist. Ihr Vater war ein Börsenhai, Geld war kein Problem. Sie führte also von Kindesbeinen an ein verwöhntes, irreales Leben. Alles, was sie wollte, bekam sie und das sofort. Sie ist es gewohnt, mit einem Dutzend Menschen im Haus zu leben, die sie ihre Angestellten nennt. Mein Großvater starb mit 58 Jahren an einem Herzinfarkt und meine Mutter war mit zwanzig Alleinerbin.

Während des Studiums lernte sie Jack kennen und lieben. Ich glaube kaum das Romeo und Julia sich mehr geliebt haben.

Sie heirateten eine Woche nach dem Abschluss und sind seitdem unzertrennlich. Leben von einer Ausgrabungsstätte zur nächsten, egal wo sie Ausgrabungen machen, sie tun es immer auf sehr hohem Niveau. Denn auch als wir in Ägypten waren, hatten wir nicht irgendwelche Ausgrabungszelte wie andere Teams. Wir hatten Zeltpaläste mit Kronleuchtern, edlen Teppichen und Dienern. Jeden Abend lag Mama in ihrer weißen Emaile Badewanne, mit dampfend heißem Wasser, den kostbarsten Ölen und ließ sich Ihr Haar waschen.

Meine Eltern sind zwar sehr anspruchsvoll, aber im Grunde genommen sehr gute Menschen. Ich kenne keinen Angestellten, der nicht gerne für Sie arbeitet. Jeder wird freundlich und höflich behandelt und erhält das Doppelte von dem Gehalt, was Sie sonst so bekommen. Besonders Mama geht auf die persönlichen Bedürfnisse der Angestellten ein.

Gesellschaftliche Ereignisse meiden meine Eltern, sogar Ehrungen für Funde von unschätzbarem Wert gehen sie aus dem Weg. Sie lassen es sich zwar gerne gut gehen, prahlen aber nicht damit.

Es gibt nur wenige Dinge, die sie ihr Eigen nennen, doch diese gehören eigentlich hinter gepanzertes Glas.

Irgendwie sind sie schon sehr exzentrisch, andererseits graben sie gerne im Sand.

Eigentlich sind meine Eltern schon in Ordnung, sie lassen mich in Ruhe. Dass ich ein Einzelgänger bin, akzeptieren sie vollkommen. Natürlich überfallen sie mich zwischendurch, um mir ihre neuesten Funde oder Theorien zu zeigen. Das macht mir nichts, ich höre ihnen gerne zu, wünschte mir nur manchmal, dass ich ihre Begeisterung teilen könnte. Dass ich mich für irgendetwas begeistern könnte, das wäre schön. Meistens ziehe ich mich zurück und fühle mich einsam, als würde mir irgendetwas fehlen, obwohl ich alles im Leben habe. Materiell gesehen gibt es nichts, was sie mir nicht sofort kaufen würden und über mangelnder Zuneigung oder Liebe kann ich mich auch nicht beklagen.

Als ich zehn Jahre alt war schickten meine Eltern mich zu einem Kinderpsychologen. Das war eine Zeit, in der ich einfach ständig weinte.

Nach den ersten Sitzungen erklärte ich mich für geheilt und setzte ein ständiges Lächeln auf, das nicht echt war. Zuerst glaubten sie mir kein Wort, doch nach und dann doch. Ich fand mich einfach damit ab, dass mich nichts glücklich machen konnte, dass ich ein gestörter, einsamer und trauriger Mensch war.

Wenn ich es biologisch betrachte, bin ich nicht ihr Kind, ich wurde adoptiert. Sie sagen, dass ich eines Morgens einfach vor ihrer Tür lag. Ihrer Meinung nach war ich das schönste Baby, das sie jemals in ihrem Leben gesehen haben und haben mich sofort in ihr Herz geschlossen. Mein Haar war bereits voll und schwarz, obwohl ich wohl erst ein paar Tage alt war. Sie brachten mich direkt zu einem Kinderarzt in Bulgarien, der mein Alter auf ungefähr eine Woche bestimmte. Da niemand mich vermisste, wurde es einfach für meine Eltern, mich zu adoptieren. Ich trug eine weiße Wolldecke als sie mich fanden, darunter nichts außer einem bemerkenswerten Medaillon.

Meine Eltern und auch einige ihrer Freunde fanden es so außergewöhnlich, weil sie es nicht bestimmen konnten.

Es ist aus reinem Gold, aber steinhart, unzerstörbar, was es eigentlich nicht sein darf.

Jack mein Vater versuchte eine Probe zu entnehmen, es ging einfach nicht!

Er und einige Freunde haben es noch nicht einmal mit einem Laser geschafft, dem Medaillon einen Kratzer zuzufügen. Sie flogen extra nach Texas, vergebens, selbst der stärkste Laser der Welt konnte dem Amulett nichts anhaben. Weder extreme Hitze noch Kälte, oder schiere Gewalt konnten an ihm irgendetwas bewirken.

Es ist kreisrund, grüne Saphire formen darauf ein

„S“, außerdem scheint es auf Grund der Beschaffenheit sehr, sehr alt zu sein.

Bis jetzt konnte kein Archäologe oder sonst irgendein Wissenschaftler feststellen, aus welchem Land, oder welcher Epoche es stammt. Eine unbekannte Legierung, die meinen Vater um unzählige schlaflose Nächte gebracht hat.

Na ja, es ist halt auch nur ein Amulett.

Meine Mama wollte auf jeden Fall nie eigene Kinder haben, sie hatte Angst, dass sie bei der Geburt sterben würde. Ich glaube sie gibt sich noch heute die Schuld, am Tod ihrer Mutter. Somit war der Tag, an dem sie mich fanden, der schönste Tag in ihrem Leben. Wann immer sie mich in den Arm nimmt, sagt sie, dass man mich mit Diamanten nicht aufwiegen kann.

Jack war wohl seit der ersten Sekunde hin und weg von mir, es sind wir zwei Frauen, die seinen Lebensinhalt bedeuten. Er erzählt mir immer wieder, dass ich eine Prinzessin aus dem alten Ägypten bin und es kein Mädchen auf dieser Erde gibt, dass solche Smaragdgrünen Augen hat wie ich.

Es ist nicht immer leicht, mit blonden Eltern, die mir so gar nicht ähnlichsehen. Bis heute konnte ich mir keine ihrer Eigenschaften aneignen. Wir sind einfach viel zu verschieden. Es scheint unmöglich, dass uns so ein dickes Band bindet. Solange ich denken kann, schleppen sie mich von einem Land ins nächste. Nach Ägypten, Schottland, in die Mongolei und in den Regenwald, wir waren einfach überall zuhause. Das hat mich geprägt. Ständig musste ich mit Kindern spielen, deren Sprache ich zunächst nicht verstand, was sich dann merkwürdigerweise immer schnellstens änderte. So wie es aussieht, bin ich ein Sprachtalent, denn es hat immer höchstens ein Jahr gedauert, bis ich die jeweilige Sprache perfekt beherrschte!

Außerdem besitze ich eine enorme Körperspannung, mein Dad meint immer, ich sei brillant. In jeder Schule war ich immer die Schnellste und die Stärkste. Ich glaube er übertreibt maßlos, so wie es wohl alle Väter tun, wenn es um ihre Töchter geht. Da ich nie langanhaltende Freundschaften pflegen konnte, bin ich viel im Netz. Ab und zu chatte ich mit den Leuten, die ich so kennengelernt habe. Doch hauptsächlich bin ich allein, nicht, dass ich keine Freunde haben könnte, aber das alberne Getratsche der Mädels in meinem Alter und pubertierende Jungs nerven mich ganz einfach.

Am liebsten spiele ich alte Stücke von Mozart auf meiner Violine, ihre Saiten haben etwas seltsam Beruhigendes.

Klingt blöd für ein Mädchen in meinem Alter, doch was ist schon an meinem Leben normal? Egal wo wir lebten, wir hatten immer einen Koch, eine Haushälterin und was man sonst noch so an Personal braucht. Meine Mutter hat noch nie in ihrem Leben gekocht oder gebügelt.

Zurzeit lebe ich in einem kleinen Schloss in der Provence, dass meine Eltern mal wieder auf den Kopf gestellt haben. Sie suchten nach Anhaltspunkten für die uneheliche Geburt eines Kindes von Ludwig dem XIV.

Eigentlich gefällt es mir hier sehr gut. Die Schule ist zwar sehr klein, aber die Schüler sind höflich und kultiviert. Wann immer Dad Zeit hat, fährt er mit mir nach Paris. Wir spazieren gerne über die Champ Elysee, trinken am Eiffelturm einen Kaffee oder stöbern auf einen den unzähligen Trödelmärkten nach unentdeckten Schätzen.

Nun geht es also nach Rumänien, worauf ich überhaupt gar keine Lust habe.

Aber mir bleibt ja gar nichts anderes übrig, wo soll ich denn sonst hin? Da meine Eltern auch Einzelkinder sind, habe ich überhaupt keine Verwandtschaft, die ich mal besuchen könnte. Aber da würde ich wahrscheinlich dann auch nicht hinwollen. Denn ich würde ich Mum und Dad schon nach vierundzwanzig Stunden schmerzlich vermissen. Wir waren noch nie einen ganzen Tag voneinander getrennt. Jetzt haben sie auf jeden Fall ein neues Projekt, ich hoffe, dass es das letzte sein wird. Obwohl sie sehr bekannte Archäologen sind, punkteten sie bei der Vergabe dieses Projektes wohl hauptsächlich damit, dass sie das komplette Projekt aus eigener Tasche zahlen werden.

Die Burg soll vermessen und ein Modell angefertigt werden. Gestein, Grund und alter der Burg soll bestimmt werden. Es soll geklärt werden, ob die Statik der Burg es hergibt, Touristen dort herumzuführen. Alle Parteien waren bei der Vertragsunterzeichnung zufrieden, besonders meine Eltern.

Dessen Hauptinitiative ist, den Mythos, um den Grafen Dracula zu beweisen oder endgültig zu entkräften.

Graf Dracula, so ein Quatsch!

Ich möchte gar nicht wissen, wie viel Geld meinen Eltern diese Spielerei wieder kosten wird, aber wie gesagt wir sind reich!

Die Abreise ist routinemäßig und wie immer unkompliziert.

Mama engagierte ein Umzugsunternehmen, das unser Hab und Gut aus aller Herren Länder, sorgfältig verpackt und zu unserem Bestimmungsort abtransportiert. Ich nehme lediglich mein Handy, meinen Laptop und meine Zahnbürste als Handgepäck mit.

Meine Eltern sitzen im Flugzeug wie immer zusammen und vergraben sich in die Geschichte Rumäniens, dessen Mythen und Anthropologie.

Ich höre Musik über meine Kopfhörer und klappe meinen Laptop auf.

„Mal sehen, was könnte ich denn Wissenswertes herausfinden? Schulen, Universitäten, hmm.“

Es dauert eine Weile bis mir Google etwas über:

„Marotinu de Sus“ ausspuckt. Die wahrscheinlich einzige Schule weit und breit blinkt auf meinem Monitor auf. So wie ich sie anklicke, bin ich positiv überrascht. Sie scheint recht modern, ganz normale Kurse, es gibt eine kleine Musikschule, 1325 Schüler. Das ist enorm, woher kommen den alle diese Jugendlichen in diesem Nest?

Aber das ist auch egal, ich bin sowieso erst mal wieder die Attraktion. Die Neue!

Oh, wie ich es hasse, im Mittelpunkt zu stehen und diese Fragen beantworten zu müssen.

„Wo kommst du her? Wie lautet dein Name? Trägst du farbige Kontaktlinsen? Wieso siehst du deinen Eltern gar nicht ähnlich?“ Jedes Mal muss ich all das über mich ergehen lassen.

Die mitfühlenden Blicke nerven mich, wenn sie hören, dass ich adoptiert bin.

Wen interessiert das? Ich habe die besten Eltern der Welt, ich vermisse nichts!

Ein Link blinkt energisch in seiner kleinen Ecke und sticht mir wie eine Wespe ins Auge.

„Geschichte und Mythen Rumäniens.“

Ich klicke ihn an und bin echt entsetzt, so ein Schrott. Es ist eine schwarze Seite mit weißem Text über Vampire, Hexen und Werwölfe, deren Bedeutungen in der Vergangenheit und Gruselgeschichten aus der heutigen Zeit. Der ganze Touristenscheiß, ist dann noch mit süßen kleinen Fledermäusen geschmückt, die lächelnd über den Schirm fliegen.

Dort gibt es weitere Links zu den angesagten Sehenswürdigkeiten und romantischen Hotels.

„Oh, mein Gott.“

Ich stehe auf und ticke meinen Vater über die Rückenlehne auf seine Schulter.

„Hey, das kann doch wohl nicht wahr sein!“

Dad schaut mich verwundert an.

„Was denn Schatz?“ Ich strecke mich über seinen Sitz, reiche meinen Laptop rüber und stelle ihn meinen Eltern direkt vor die Nase auf ihren ganzen Papierkram.

Ungläubig starren sie auf den Bildschirm, Mum kichert über die Aufmachung der Seite. Die Links zu den Hotels leuchten in lila und neongrüner Schrift.

„Ach Schatz, das ist doch nur eine Touristenattraktion. Das kennen wir bereits.“

„Mama!“

„Das hat uns damals auch etwas irritiert.“

„Wieso, wart ihr denn schon mal dort?“

„Ja Liebes, wir haben hier unsere Flitterwochen verbracht.

Dieses Land hat uns damals allerdings auch sehr fasziniert.“

„Wieso seid ihr dann nicht direkt dortgeblieben?“

„Weil es noch so vieles auf dieser Welt für uns gab. Wir wollten uns erst umsehen, um dann hierher zurückzukommen, wenn..!“

„Was denn?“

„Sag mir bitte nicht, dass wir nach Rumänien ziehen, damit ihr die Existenz von Vampiren, Hexen oder sonst was nachweisen könnt.“

„Nein...!“

„Mama!“

„Also gut, das Schloss soll im 15. Jahrhundert von Vampiren bewohnt worden sein. Dein Dad und ich wollen dem einfach nachgehen.“

„So einen Schwachsinn, ihr glaubt doch sonst auch nur an das, was ihr ausgraben könnt. Seit wann glaubt ihr denn an Hokuspokus!?“

„Constantine, in fast jedem Land, in dem wir Ausgrabungen gemacht haben, gab es Mythen von bösen Königen, oder Göttern, die sich von Menschenblut ernährten. Wenn man bedenkt, dass die verschiedensten Kulturen überhaupt keine Verbindung zueinander hatten und es trotzdem die gleichen historischen Geschichten in den verschiedensten Erdteilen und sogar Jahrhunderten gibt, ist das schon erstaunlich. Entweder widerlegen oder belegen wir die Existenz von übernatürlichen Wesen.“

„Und weil das eine Ewigkeit dauert, habt ihr auch vor, da zu bleiben. Gar nicht, weil ihr endlich mal Ruhe geben wollt, sondern weil ihr ganz genau wisst, dass diese Expedition den Rest eures Lebens in Anspruch nehmen wird. Weil es unmöglich ist die Existenz zu belegen, weil es ein Hirngespinst ist, das wisst ihr ganz genau.“

„Nein Constantine, wir sind wirklich hauptsächlich hier, um endlich sesshaft zu werden. Wir haben dich durch die Welt geschleppt und es ist uns bewusst, dass du das nicht mehr erträgst. Natürlich brauchen wir irgendeine Aufgabe, und wenn du behauptest, dass diese Arbeit ewig dauert, dann hast du wahrscheinlich auch Recht. Es ist uns egal, was dabei herauskommt. Du brauchst ein Zuhause und wir etwas zu tun, also ist es das perfekte Arrangement.“

„Aber wieso denn in Rumänien? Können wir uns nicht in einem kultivierteren Land niederlassen? Was soll ich da? Es ist total ätzend!“

„Das weißt du doch noch gar nicht, glaub mir, wir haben uns sehr wohl überlegt, wo wir hinwollen. Wir sind davon überzeugt, dass du Rumänien lieben wirst, genau wie wir.“

„Ja, aber Rumänien?“

„Wir wollen hier in Rente gehen, dieses wird unsere letzte Ausgrabungsstätte.“

Mit verschränkten Armen lasse ich mich zurück in meinen Sitz fallen. Mama setzt sich auf ihre Knie, um mich über die Rückenlehne hinweg ansehen zu können.

„Wieso ist das überhaupt so wichtig für dich, wonach wir suchen?“

„Mama, das ist peinlich, was glaubst du wie meine zukünftigen Mitschüler darüber denken werden?“

„Wieso? Was soll denn bitte schön peinlich daran sein?“

„Es sind einfach nicht die alten Ägypter, Chinesen, Schotten, Germanen oder sonst ein Volk deren Existenz klar war. Mama, Vampire! Ein Hirngespinst von Menschen, die sich in einer dunklen Zeit Gruselgeschichten ausgedacht haben.“

„Vielleicht sind es ja gar keine Gruselgeschichten, Jack und ich haben genügend Gründe hierher zu kommen. Glaub mir Kind, wir haben in den letzten zwanzig Jahren unsere Hausaufgaben gemacht. Vampir ähnliche Wesen gibt es in fast jeder Kultur. In Westafrika war es Asanbosam, auf den Philippinen Aswang, in China Chiang-Shih und in Schottland...“

„Das sind doch alles nur Legenden, die niemals bestätigt wurden.“

„Ja, das ist ja das Merkwürdigste an der ganzen Sache. Bis jetzt konnten alle Mythen dieser Welt belegt werden, alle außer dieser. Wer weiß, vielleicht beweisen wir ja auch, dass es tatsächlich keine Vampire oder andere Fabelwesen auf dieser Welt gab. Das wäre genauso eine Sensation, wie wenn wir es wirklich beweisen könnten.“

„Oh nein, bitte nicht! Seit wann seid ihr denn so unrealistisch? Dad, warst du es nicht der mir mein Leben lang eingetrichtert hat. Glaube nur, was du anfassen und damit beweisen kannst.“

„Ja, wir haben aber genügend Material gesammelt, das uns aufhorchen lässt. Wir haben komischerweise in den verschiedensten Ausgrabungsstätten Anhaltspunkte gefunden.

Wir können es uns selbst nicht erklären, doch alle Hinweise scheinen einen Sinn zu ergeben. In dem letzten Schloss, in dem wir lebten, haben wir uralte Dokumente gefunden, die beweisen, dass das Schloss in Rumänien Wrukolakas heißt. Dies scheint aber niemandem in Rumänien bekannt zu sein, nicht offiziell. Es ist als hätte jemand ein sehr streng gehütetes Geheimnis an uns verraten. Wusstest du, dass Wrukolakas die Bezeichnung für Vampire aus dem 14. Jahrhundert in Griechenland war?“

„Das reicht Dad! Macht einfach, was ihr wollt, Hauptsache ich muss nicht mehr umziehen.“

„Versprochen Schatz, wir werden uns in der Stadt auch wie ganz normale Menschen benehmen. Unsere Arbeit bleibt im Hintergrund, offiziell sind wir ja nur da, damit das Museum und auch Touristen, etwas zum Lesen haben. Also mach dir bitte keine Sorgen, niemand wird dich auslachen, weil wir Vampire suchen. Wir werden schließlich nicht mit Holzpflöcken durch die Gegend laufen.“

Meiner roten Gesichtsfarbe, folgt ein Lachkrampf, der mich schüttelt. Das meine Eltern mich ansehen, als hätte ich den Verstand verloren, lässt mich fast ersticken.

„Was ist, warum lachst du?“

„Normaaaaaaal...“

„Constantine!“

„Was, was denn?“

„Wir geben uns echt Mühe nicht aufzufallen.“

„Ja, ich weiß! Aber normal, klingt aus eurem Mund einfach so lustig, ihr habt eindeutig den Bezug zur Realität verloren. Aber gut, alles gut, ihr habt alles richtig gemacht. Ich kann euch versichern, dass ich glücklich bin.“

„Ok, also Rumänien und dort führen wir dann endlich ein normales Leben.“

„Ja Dad, machen wir!“

Ich amüsiere mich noch, als ich im First Class Bereich strecke und mit Kaviar auf dem Beistelltisch einschlafe.

Nach der Landung ist es wie immer, Kamerateams, Zeitungen und Radiosender empfangen uns. Meine Eltern sind wie immer entspannt und geben sich Mühe alle Fragen der Reporter zu beantworten, als würden sie einen Plausch mit guten alten Freunden halten. Meine Eltern wirken auf mich immer wie ein Hollywood Pärchen. Mum trägt bei den Ausgrabungen immer einen riesigen Sonnenhut, um ihren blassen Teint zu bewahren. Ihr blondes Haar glänzt, wie aus einer Shampoo Werbung, es ist dick und schulterlang. Schon immer ist es mir ein Rätsel, wie sie sich in edler Haute Couture überhaupt bewegen kann. Sie ist immer elegant gekleidet und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen, dass sie ihre sinnlichen Lippen aufgespritzt hat.

Daddy ist so der verwegene Dreitagebart Typ. Da er ständig irgendwo in der Sonne hockt und buddelt, sind seine Haare stets sonnengebleicht und seine Haut braun gebrannt. Er hat einen umwerfend durchtrainierten Körper, da herrscht eine gewisse Ähnlichkeit zu Brad Pitt.

Gott sei Dank, lassen die Reporter mich meistens in Ruhe, sehr selten beachten sie mich, oder stellen dumme Fragen wie:

„Na, Kleine? Wie ist das so, die berühmtesten Archäologen der Welt, als Eltern zu haben?“

Oder: „Kannst du uns nicht irgendwelche Geheimnisse deiner Eltern verraten?“

Da ich schon immer ein verschlossener Mensch war, und niemals eine Antwort gab und optisch auch nicht ins Bild passe, ließen sie mich irgendwann komplett in Ruhe.

Als der Rummel endlich vorbei ist, steigen wir in unsere schwarze Limousine. Pagen verladen unser Gepäck und der Chauffeur fährt endlich los.

So viel zum Thema, normal!

Die Fahrt vom Flughafen zu unserem neuen Zuhause dauert fast drei Stunden. Ich habe das Gefühl nie anzukommen und schlafe wieder ein.

1. Kapitel

„Wach auf Constantine, wir sind da. Hey, aufwachen, wie kann man in deinem jungen Alter nur ständig so müde sein und so viel schlafen.“ Meine Mama rüttelt mich.

„Mann, ich werde ja schon wach, nun mache doch nicht so ein Theater!“

Aber meine Eltern sind schon ausgestiegen und haben beide Türen offenstehen lassen.

Warme süße Luft strömt in unseren Mercedes Benz und lässt diesen albernen Plastikgeruch von Neu verschwinden. Ich strecke mich auf der Rückbank und blinzle durch das getönte Glas in das Tageslicht. Ich habe sowas von null Bock, mir jetzt dieses dumme Vampir Schloss anzusehen. Aber ich muss, also setze ich meine Versace Sonnenbrille auf und verlasse den mit schwarzem Leder ausgestatteten Wagen.

Was ich sehe, ist unglaublich, ganz langsam nimmt das Blumenmeer in der Größe eines Fußballfeldes vor mir Form an.

Langsam setze ich meine Brille ab, als wäre sie der Grund für eine Sinnesstäuschung. Ein schwacher Wind bewegt diese Blumenpracht, der süße Duft ist intensiver als man es sich vorstellen kann. Hunderte von Schmetterlingen tanzen verzückt über dem Nektar im Überfluss. Ich setze mich wie fremdgesteuert in Bewegung, betrete das Feld und lass meine Gedanken verschwinden. Vorsichtig gehe ich über dieses Feld, lasse meine Hände dabei über die Blüten streifen. Ich fühle mich als sei ich allein auf dieser Welt. Dieser Ort erscheint unberührt, so rein, jegliche Anspannungen verschwinden im Nichts. Mein Blick schweift über dieses Feld wie in einem Traum, ich bin fasziniert. Die Schmetterlinge sind unbekümmert, sie fliegen nicht vor mir weg. Ein gelber Zitronenfalter setzt sich auf meine ausgestreckte Hand, als will er mich im Namen von allen herzlich begrüßen.

Hier spüre ich es zum ersten Mal, dieses unglaubliche Gefühl in mir, so wie Knisterkaugummi auf der Zunge, nur in meinem ganzen Körper. Es muss an diesem unglaublichen Duft liegen, dieser Ort ist mir vertraut, es ist als würde ich etwas alt Bekanntes spüren. Sowie ich tief einatme, nehme ich hinter dem Schmetterling auf meiner Hand etwas wahr.

Zuerst glaube ich auf Grund der Hitze, an eine Fata Morgana. Doch dann nimmt, dass sich in der Sonne bewegende Gebäude Form an, es ist so riesig.

Heller Sandstein formt zwei Türme neben dem Hauptgebäude, das wie in einem Märchen aussieht. Dass Kupferdach ist, hellgrün angelaufen, Rosenranken erstrecken sich über die hellen Mauern, das kleine Schloss wirkt uralt. Unser Schloss in Frankreich war pompös, alle unsere anderen Häuser hatten etwas Gewaltiges.

Doch dieses hier ist nicht zu übertreffen, denn es passt sich so lieblich in seine Umgebung ein, wie der Schmetterling auf meiner Hand. Es scheint die Pastellfarben der Blumen auf dieser Wiese widerzuspiegeln. Es sieht aus als hätte Michelangelo persönlich Hand angelegt.

„Constantine! Ist es nicht wunderbar? Habe ich dir nicht zu viel versprochen?“

Meine Mutter kommt mit einem Blumenstrauß in der Hand über die Wiese gelaufen. Sie passte hierher, ihr Haar, ihre Haut, ihr zierliches und filigranes Wesen, scheint mit der Magie hier übereinzustimmen.

„Oh Mama, es ist mehr als man erträumen kann.“

Überglücklich wirft sie die Blumen in die Luft, nimmt meine Hände und dreht sich mit mir im Kreis, bis wir beide umfallen und atemlos auf dem Rücken liegen bleiben.

„Ich werde diesen Ort lieben Mama, ganz bestimmt.“

„Ja das weiß ich, dein Vater und ich haben hier die schönste Zeit unseres Lebens verbracht.“

Ich ziehe eine Schnute.

„Natürlich, bevor wir dich bekommen haben, mit dir ist es noch schöner.“

„Das will ich auch meinen.“

Wir lachen beide.

„Komm, lass uns zum Haus gehen. Jack ist schon da, er kann sich für diese Blumen merkwürdigerweise nicht begeistern.“

„Ja, merkwürdig!“

Lachend, rennen wir zum Haus, wie Mama es so verniedlicht nennt.

Es gibt eine Einfahrt aus weißem Kies, die sich in einem weiten Bogen vor dem Haupteingang erstreckt. Dort steht ein großer runder Brunnen, in dessen Mitte die heilige Jungfrau Maria kniet, um den toten Jesus im Arm zu halten. Die Skulptur ist aus Sandstein und verwittert, es ist unschwer zu erkennen, dass sie sehr alt sein muss. Das Wasser drumherum ist grün und voller Algen, hier ist wohl schon ewig niemand mehr gewesen.

Überall ist Unkraut und Wildblumenwuchs, womit der neue Gärtner wohl wochenlang zu tun haben wird. Mama und ich sagen kein Wort, jeder unserer Schritte hallt auf der Einfahrt wie der nächste Schritt in eine unglaubliche Geschichte.

Wir spüren beide diese Magie, wir haben Ehrfurcht, vielleicht auch ein wenig Angst, es ist unheimlich. Die große Bronzetür steht so weit offen, dass wir sie nicht berühren müssen, um einzutreten. Sie sieht so aus als würden wir sie selbst mit vereinten Kräften nicht bewegen können. Ich denke, sie ist mindesten zwei Meter fünfzig hoch. Typische Jagdszenen wie man sie überall zu Lande finden kann, sind hier in einem unglaublich feinen Kunstwerk eingearbeitet.

Als wir die Halle betreten, trifft mich jedoch fast der Schlag.

Überall stehen Möbel, die mit weißen Tüchern bedeckt sind, es ist staubig hier. Die Spinnweben hängen wie Trauerweiden von der Decke herab. Es sieht so aus, als sei hier seit tausend Jahren niemand mehr gewesen. Außer Spinnen und Mäuse, deren Kot und kleine Fußabdrücke überall im weißen Staubteppich zu sehen sind. Eine mindestens vier Meter breite, pompöse Treppe führt zum ersten Treppenabsatz. Von dem jeweils eine weitere Treppe nach links und rechts führt. Der rote Teppich darauf, ist nur noch zu erahnen. Dort steht mein Vater mit dem Rücken zu uns, vor einem riesigen Ölgemälde und starrt es an.

Mama und ich gehen schweigend die Stufen hinauf zu ihm, Dreck knistert leise unter unseren Schuhsohlen. Ich streiche mit einem Finger über den weißen Handlauf und hinterlasse dabei einen Streifen von feinem glänzendem Mahagoniholz.

„Jack, es ist immer noch da!“

Mama flüstert so zaghaft, dass ich sie kaum verstehe.

Er zögert kurz, dreht sich zu uns und strahlt über das ganze Gesicht.

„Ja Liebes, es ist der Graf von Marotinu de sus, Herrscher über Wrukolakas!“

Sein Strahlen verwandelt sich in ein noch breiteres Grinsen, er kommt zwei Stufen zu uns herunter und nimmt Mama in seine Arme.

Als er innehält, sieht er sie verliebt an.

„Was ist? Wieso freut ihr euch denn so?“

„Wir haben gehofft, dass es noch da ist. Aber nach so vielen Jahren ist das hier ein kleines Wunder. Wir hofften irgendwelche kleinen Portraits, in irgendeinem Zustand zu finden. Doch dieses hier übertrifft alles bei weitem, sieh dir doch nur an wie ungeheuer gut erhalten es ist. Wie brillant der Künstler gearbeitet hat, es muss ein Vermögen wert sein. Ich verstehe, nicht wieso es hier noch hängt und nicht in irgendeinem Museum.“

„Papa, der ist einfach nur voll hässlich! Wer hängt sich so eine Monsterbacke an die Wand?“

Da ich noch nie viel Sinn für Kunst hatte, lachen meine Eltern sich einfach nur kaputt, ohne auch nur den Versuch zu starten, mir dieses „Wunder der Kunst“ zu erklären.

Im gleichen Augenblick klopft es auch schon an der Tür. Es ist die Putzkolonne, die eigentlich schon hätte fertig sein sollen. Da ich mich schon in Frankreich mit der Rumänischen Sprache auseinandergesetzt habe, ist es für mich kein Problem den Reinigungskräften zu erklären, was sie machen sollten.

Meine Eltern und ich gehen in der Zwischenzeit ins erste Stockwerk, um uns umzusehen und um uns Zimmer auszusuchen.

Dieses Haus verfügt über zweiundzwanzig Zimmer! Ich schaue mir alle an. Es ist sehr interessant, sich vorzustellen, dass vor Circa zweihundert Jahren schon Menschen hier gelebt haben.

Ich stelle mir vor, wie sie sich kleideten, wie das Leben ohne Strom war, keinen Laptop zu haben, einen Fernseher, oder Licht und all diese Dinge, die für mich so selbstverständlich sind.

Was würde ich eigentlich morgens ohne meinen Toaster machen?

Alles scheint hier ein bisschen brüchig, doch das werden die Handwerker schon hinbekommen. Zumindest wurde hier schon Strom gelegt und in allen Zimmern Lampen angebracht.

Eigentlich stehe ich nicht auf Kristallkronleuchter, aber hierher passen sie. Ich suche mir das größte Zimmer im Westflügel aus, es ist am Ende des Flures und wahrscheinlich für jemanden vorgesehen, der eine besondere Stellung im Personal gehabt hat. Die hellgrün geblümten Tapeten lösen sich bereits an einigen Stellen und auch hier ist es staubig und voller Spinnennetze. Trotzdem gefällt mir dieses Zimmer, es hat Charme, ich kann mir genau vorstellen, wo ich meine Möbel hinstellen werde. Es ist wohl sechs mal sechs Meter groß, hat mehrere große Fenster und einen gewaltigen Kamin. Den finde ich besonders eindrucksvoll, ich freue mich jetzt schon auf die gemütlichen Stunden im Winter. Wir werden hier sicherlich Marshmallows grillen und warmen Kakao genießen. Alles hier im Haus scheint gewaltig, ich möchte gar nicht wissen, wie das Hauptschloss wohl aussehen wird.

Wie ich einen der grünen Samtvorhände zur Seite ziehe, weiß ich es.

Keine fünfhundert Meter von meinem Fenster entfernt steht es. Beim bloßen Anblick läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich blinzele mit den Augen, kann gar nicht glauben, was ich da sehe. Es ist so, als stünde das Schloss des Grafen in einem ganz anderen Land, in einer ganz anderen Welt. Das überdimensionale Gebäude liegt mitten im Nichts.

Rundherum wächst, kein Baum, kein Strauch und kein Stück Wiese ist zu entdecken. Die Umgebung ist so schwarz, wie das Schloss selbst, als wäre es aus dem Boden gestanzt worden.

Nicht einmal die Sonne, die sich in meinem Fensterglas spiegelt, scheint auf diesen Ort. Raben haben sich diesen unrealen Fleck wohl zu Eigen gemacht, denn sie sind selbst aus dieser Entfernung, überall zu sehen. Es sind so viele, dass die Steinmauern des schwarzen Schlosses sich zu bewegen scheinen.

„Das ist Wrukolakas.“

Mein Papa steht hinter mir, legt eine Hand auf meine Schulter, und ich spüre seine Sorge. Ohne meinen Blick von dem Schloss abzuwenden, antworte ich ihm leise flüsternd.

„Es sieht so düster aus, richtig gruselig, Dad. Wieso ist da denn alles so öde und schwarz?“

Sanft streichelt er meine Schulter, scheint in Gedanken versunken.

„Es ist der Granitstein, das ganze Schloss wurde aus dem Stein der Umgebung gehauen, der Graf wollte es so. Sogar jetzt, nach Hunderten von Jahren, wächst dort immer noch kein Kraut. Mann hat sogar mal in Erwägung gezogen, die Umgebung zu bewirten, doch die Bewohner hier setzen keinen Fuß auf das Land. Sie sagen es ist verflucht. Jeder der sich je dorthin wagte, ist niemals zurückgekehrt.“

„Papa! Du glaubst wohl nicht an diesen Quatsch!“

Meine Stimme verrät, dass ich selbst nicht von meinen Worten überzeugt bin.

„Na ja, es sieht auf jeden Fall grauenhafter aus, als ich es mir vorgestellt habe. Eigentlich ist es sogar die düsterste Ausgrabungsstelle, die ich mir vorstellen kann. Spannend, was?“

„Spannend? Ich finde ihr solltet da nicht hingehen, irgendwie mache ich mir Sorgen. Was ist, wenn ihr auch nicht zurückkommt?“

„Ach Schatz, glaub doch nicht was sich hier erzählt wird. Wahrscheinlich gibt es für jedes Verschwinden einer Person eine logische Erklärung.“

„Und wenn es dieses Mal nicht so ist? Wenn du dich irrst? Mir wäre lieber..“

„Mach dir keine Sorgen, Mama und ich sind Profis. Aber ich habe eine bitte an dich.“

Ich drehe mich, um ihm ins Gesicht schauen zu können, er sieht wirklich besorgt aus.

„Bitte, mein Schatz, gehe niemals allein zum Schloss.“

„Nein, aber wieso?“

„Versprich es mir einfach.“

Noch nie zuvor sah mein Vater mich so flehend an.

„Ja, Papa, ich verspreche es dir.“ Er nimmt mich wieder in den Arm.

„Das ist mein Mädchen, wenn Mama und ich es uns angesehen haben werden wir dich mitnehmen, sobald es geht, versprochen. Aber bis dahin keine Tour auf eigene Faust.“

In dem Moment, in dem ich nicke, ruft Mama nach ihm. Er hält mich noch einen Augenblick fest, sieht mir verschwörerisch in die Augen, küsst mich auf die Stirn und lächelt mich an. Ach, ich liebe meinen Daddy einfach über alles, alles, alles.

Niemals werde ich einen anderen Mann lieben, heiraten und fort gehen. Als er zur Tür geht bemerkt er, dass mein Zimmer riesig ist und ich bin wieder allein.

Bevor ich den grünen Samtvorhang wieder zuziehe, wage ich noch einen letzten Blick. Vielleicht übertreibe ich ein wenig, aber der Anblick, der sich mir bietet, ist wirklich erschreckend. Erschreckend im Gegensatz zu dem Land, das an unserem Haus grenzt. Hier ist alles so schön und ein Stück weiter ist alles so unrealistisch schwarz. Kein Wunder, dass es von diesem Ort so viele unheimliche Geschichten gibt. Jetzt ist es für mich nachvollziehbar, dass die Menschen hier Angst haben, sich nicht einmal trauen dort hinzugehen.

Möbelpacker betreten mein Zimmer und lenken mich ab. Sie schieben ein Möbelstück und einen Karton nach dem anderen herein. Schnell überlege ich mir, wo sie meine Schränke, mein Bett, den Schreibtisch, die Couch und die Kartons hinstellen sollen.

Bei acht Männern geht sowas rasend schnell! Glücklich, etwas tun zu können, stürze ich mich in die Arbeit und vergesse was da draußen steht. Ich hole mir einen Putzeimer von der Reinigungsfirma im Erdgeschoss, krempele die Ärmel hoch und fange an. Mit Stöpseln im Ohr und den Red Hot Chilli Peppers, macht es richtig Spaß zu putzen. Nachdem alles sauber ist, räume ich meine Klamotten in die gewohnten Fächer meiner Schränke. Richte mir meinen Schreibtisch her, verstaue alle Utensilien in meinem eigenen angrenzenden Bad und schließe meinen Laptop an. Mama kommt herein und begutachtet meine Bemühungen. Sie bringt außerdem Sandwiches und Limo mit. Wir setzen uns auf mein Bett. Während ich esse, äußert sie Dekorationsbeispiele für Tapeten, Farben und Vorhänge. Ich lasse wie immer alles über mich ergehen, es ist mir egal, sie kann sich auch in diesem Zimmer auslassen, oder besser gesagt, ihre Innenarchitektin. Ich nicke, lächle und stopfe dieses hervorragende Sandwich in mich hinein.

„Meinst du, du kannst dich hier einleben? Die Handwerker kommen nächste Woche, sie werden alles neu tapezieren, streichen und die Böden abschleifen.“

Mit vollgestopftem Mund nicke ich zum Fenster.

„Wenn die Vorhänge zu bleiben und ich dieses Ding nicht ständig sehen muss.“

„Ja, ich habe es auch vom Schlafzimmer gesehen, kein schöner Anblick, ich glaube ich brauche auch blickdichte Vorhänge ist ja schrecklich.“

„Mama, ich hab mir überlegt, dass ich morgen direkt zur Schule gehe, mal gucken was da so los ist.“

„Morgen schon? Bleib doch zu Hause und schlafe dich aus, übermorgen komme ich gerne mit.“

„Mit? Mama ich bin fast achtzehn, da kann ich wohl allein hin, ist doch voll peinlich, von Mutti zur Schule gebracht zu werden.“

„Peinlich?“ Ich weiß was mir jetzt blüht.

„Peinlich? Du findest deine Mutter peinlich?“ Ich versuche vom Bett zu springen, um mich in Sicherheit zu bringen. Aber es ist zu spät, sie packt mich, schmeißt sich auf mich und kitzelt mich.

Ich schreie laut und lache, ich bin so kitzelig, ich hasse es und kann trotzdem einfach nicht aufhören zu lachen. Wie eine Statue, liege ich stocksteif im Bett, presse mein Kinn auf die Brust damit sie mich dort nicht zu fassen bekommt.

„Bin ich peinlich?“ Sie verausgabt sich!

„Nein!!!!!!!!!!!!“

„Na, was sagst du jetzt? Bin ich immer noch peinlich?“ Sie versucht an meinen Hals zu kommen.

„Neinnnnn!!!!!!! Nein, nein! Du bist nicht peinlich!“ Irgendwie quetsche ich die Worte mit letztem Sauerstoff heraus.

„Höööööör auf, ich ersticke, bitte, du bist die beste Mama der Welt!“ Ich quieke und schreie wild herum.

„Geht doch!“

Abrupt lässt sie von mir ab, steht vom Bett auf, streicht ihren Rock glatt und steckt eine Haarsträhne zurück in ihre Frisur.

„Also meinetwegen, geh morgen allein zur Schule, du musst aber mit dem Roller fahren, hier gibt es keine öffentlichen Verkehrsmittel. Er steht vollgetankt vor der Tür.“

Ich liege immer noch wie erschlagen auf dem Bett und wische mir die Tränen weg.

„Jack und ich sitzen gleich noch ein wenig in der Küche, wenn du noch Lust hast, komm zu uns.“

„Nein, danke!“ Ich schniefe und putze mir mein Gesicht mit dem Ärmel.

„Dann schlaf gut, mein Schatz.“

Sie bückt sich über mich und gibt mir einen dicken Kuss.

Sowie sie in der Tür steht, hält sie inne und lächelt verschwörerisch.

„Träum etwas Schönes, denn was man in der ersten Nacht in einem Neuen zu Hause träumt, wird in Erfüllung gehen.“ Sie schließt die Tür, völlig erschöpft bleibe ich liegen und überlege mir, dass sich ja bei mir schon verdammt viele Träume erfüllt haben müssten, so oft wie wir umgezogen sind. Aber irgendwie habe ich nie sehr spektakuläre Träume, anscheinend habe ich weder Ängste noch Sehnsüchte.

Nach ein paar Minuten hat sich mein Herzschlag wieder normalisiert, mein Puls rast nicht mehr und ich atme wieder normal. Ich stehe auf und gehe zu meiner Holztruhe, in der mein kleiner Koffer mit Samtbezug liegt.

Mit ihm setzte ich mich im Schneidersitz auf mein Bett.

Die goldenen Messingbeschläge lassen sich nur schwer öffnen, der Koffer ist sehr alt. Papa hat ihn doch tatsächlich in einem alten Verlies in Italien gefunden und mir zum zwölften Geburtstag geschenkt. Ich will gar nicht wissen wie viel er dem örtlichen Museum zahlen musste, um diese überaus kostbare Antiquität zu erwerben.

Wie immer bewundere ich das Glanzstück darin, eine unglaubliche Handarbeit! Bevor ich sie herausnehme, streiche ich immer zuerst über ihren glatten kalten Bauch. Dieses Geräusch, wenn ich sie aus dem mit Seide ausgekleideten Koffer nehme, berauscht mich jedes Mal. Es ist ein Einzelstück, gemacht, um in sich zu gehen, um alles rundherum zu vergessen, eins zu sein mit der Musik. Sie liegt in meinem Arm wie eine Erweiterung meines Körpers und meiner Seele.

Meine Violine.

Ich stimme sie zuerst an, lasse sie langsam erwachen und spiele eine sanfte Melodie. Danach fordere ich sie heraus, ich bin bereit, ihr alles abzuverlangen. Mit geschlossenen Augen bin ich an unbekannten Orten dieser Welt, mein Blut rauscht wie ein Wasserfall durch meine Adern. Eine Explosion aus dem innersten meines Körpers, jede Faser schreit nach dem Ächzen des feinen Zedernholzes. Bis mein Blut sich beruhigt und sanft traurige Klänge den Raum verlassen, bis hin zur Erschöpfung eines jeden Tones.

Es kommt mir vor wie Minuten, aber ich spiele lange, so lange bis ich wieder diese Einsamkeit fühle, die mich schon mein Leben lang quält.

Meine Eltern liegen im Bett und lauschen mir, wie immer steigen Rose und Jack dabei Tränen in die Augen. Sie wissen, wie ich leide, sind machtlos mir zu helfen, sie haben schon alles versucht.

Am nächsten Morgen frühstücken wir zusammen, Mama ist Obst und Papa ein Eieromelette mit Speck, ich meinen Toast mit Butter und Marmelade. Wie verschieden wir doch sind.

„Sollen wir dich nicht doch begleiten, vielleicht findest du den Weg ja nicht.“

„Wie soll ich mich in diesem Nest verfahren? Wenn ich in Paris klargekommen bin, werde ich hier ja wohl die Schule finden.“

„Ja, aber du bist doch noch so klein, ich würd dich gerne begleiten.“

„Och so klein, ja erst 17 Jährchen alt.“ Mama kichert in ihren Apfel hinein.

„Jack lass sie doch allein fahren, sie wird das schon schaffen. Gewöhn dich mal lieber daran, dass sie nicht mehr dein Baby ist. Sie ist eine junge Frau und außerdem nicht auf den Kopf gefallen.“

Schmollend schiebt sich mein Papa noch eine Riesengabel voll Ei mit Speck in den Mund. Da ich sowieso schon satt bin, stehe ich auf und nehme Papa von hinten in den Arm.

„Papa, ich habe doch mein Handy dabei, wenn irgendetwas ist, kannst du mich ja anrufen. Sprich nicht mit Fremden und geh auf keinen Fall irgendwelche einsamen Wege. Nimm dein Pfefferspray mit, und wenn du dich bedroht fühlst, renn weg, schrei um Hilfe und ruf mich sofort an!“ sage ich.

Mama schüttelt sich vor Lachen.

„Das ist überhaupt nicht witzig!“

Mama und ich brechen in schallendes Gelächter aus, auch Papa muss grinsen.

Obwohl meine Mutter immer die coole spielt, weiß ich, dass sie sich noch mehr Sorgen macht als mein Vater. Sie will mir nur nicht ständig mit ihrer Sorge auf den Wecker gehen.

Ich quetsche Papa´s Gesicht zwischen meine Hände und drücke ihm einen dicken Kuss auf den Mund.

„Ich hab dich lieb und mache keinen Blödsinn auf diesem Schloss da drüben.“

Gott sei Dank, kann man dieses Ungetüm vom Salon aus nicht sehen, also zeige ich einfach auf die Wand, die in der Richtung steht.

„Mach ich nicht, wenn du mir versprichst heute auch kein Risiko einzugehen.“

„Versprochen!“ Ich nehme meine Schultasche vom Stuhl, gebe Mama noch einen Kuss auf die Stirn und mach mich auf den Weg.

Ich habe mir bereits eine Wegbeschreibung ausgedruckt, die ich mir ordentlich angesehen habe. Von unserem Haus zur Schule sind es lediglich 7 km, die ich mit meiner Vespa fahren werde. Öffentliche Verkehrsmittel scheint es hier nur sehr begrenzt zu geben und schon mal gar nicht an unserem Haus vorbei. Doch der Weg ist relativ einfach, immer geradeaus, bis ein Schild mit der Aufschrift „Marotinu des Sus“ erscheint. Links abbiegen und Schwups ist man nach drei Kilometern in der Stadt (im Dorf). Ich folge einfach den anderen Schülern. Dass sie Schüler sind, ist ja wohl nicht schwer zu erraten, da jeder eine Schultasche trägt. Der Parkplatz ist etwas weiter vom Schulgebäude weg, sodass ich meine Vespa unbemerkt abstellen kann. Niemand beachtet mich groß, was mir nur recht ist. Das Gebäude ist bombastisch, groß und modern, es ist wohl ganz neu. Als ich über den großen Schulhof gehe fällt mir auf, dass hier alle Menschen schwarze Haare haben, so wie ich.

Die Schüler, denen ich so flüchtig ins Gesicht schaue, haben zum größten Teil grüne oder blaue Augen! Ich freue mich schon jetzt, dass ich hier keine subtropische Pflanze sein werde.

Zuerst suche ich das Sekretariat, um mich anzumelden, ist ja jedes Mal die gleiche Prozedur. Der Weg ist auch wie immer ausgeschildert. Ich öffne die grüne Eisentür mit dem Glasfenster und frage mich, ob alle Sekretariatstüren gleich aussehen.

„Hi, ich bin Constantine O´Hara-Williams.“

„Ach wie schön, ich bin Mrs. Abdullah die Schulsekretärin. Bitte fülle diesen Bogen hier aus. Du kannst dort Platz nehmen und beeile dich, der Unterricht fängt gleich an.“

Die furchtbar dicke Frau reicht mir den Bogen und wendet sich auch schon wieder ihrer Arbeit zu. So wenig Aufmerksamkeit möchte ich dann auch wieder nicht!

Aber egal, ich setzte mich an diesen kleinen Tisch, der direkt an der Wand steht. Eine orangefarbene, selbst gehäkelte Tischdecke überdeckt wohl die etwas kaputte Arbeitsplatte. Also nehme ich ein Buch, um es als Unterlage zu benutzen und schreibe. Bei meinem ständigen Schulwechsel ist die Spalte für bereits besuchte Schulen einfach immer zu klein. Egal, ich nenne einfach nur die letzten drei.

„Ich bin fertig Mrs. Abdullah.“

Ruckartig steht sie auf, rückt ihre Brille gerade, nimmt den Zettel und zuckt dreimal mit Ihrer Stirn, als sie ihn überfliegt.

„Nennt man so ein Syndrom nicht Pseudo-Lennox?“ Ich frage mich, was an dieser Frau so anders ist.

„So mein Kind, dann komm mal mit, dann bring ich dich jetzt in deine Klasse.“

Schon wieder rückt sie ihre Brille zurecht und zuckt zweimal mit der Stirn. Danach macht sie so ein komisches Geräusch mit der Nase und zuckt noch zweimal mit Ihrer Stirn.

„Hoffentlich sind hier nicht alle so!“ Denke ich.

„Wie bitte mein Kind?“, fragte sie, hält mir dabei die Tür auf und zuckt wieder drei Mal mit der Stirn.

„Nichts Mrs. Abdullah.“ Ich lächele sie an und gehe durch die Tür. Ich frage mich ob ich gerade ausversehen laut gedacht habe.

Wir laufen durch einen rot geziegelten Gang, die eine Wand ist mit Acrylarbeiten der Schüler geschmückt. Die meisten Bilder sind künstlerisch nichts aussagend, doch einige Arbeiten sind richtig gut. Auf der anderen Seite sind Spinte angeordnet, einer nach dem anderen, wie sollte es auch anders sein. Alles ist hier wie immer, alle Schulen ähneln sich einfach zu sehr. So gelangen wir zu meinem Klassenraum, und Mrs. Abdullah reißt, ohne zu klopfen die Tür auf.

„Mr. Tsarpournis? Hier ist ihre neue Schülerin Constantine O´Hara-Williams.“

Sie schiebt mich in die Klasse und knallt die Tür hinter mir zu. Alle schauen mich erschrocken an, aber dieses Mal nicht wegen meines Aussehens, sondern einfach nur, weil ich, ungewollter Weise, so hereingeplatzt bin.

Hier hat jeder im Raum schwarze Haare, grüne, blaue oder braune Augen und den gleichen olivfarbenen Teint wie ich!

„Hallo Constantine, willkommen in unserer Schule. Ich bin Chrisostomos Tsarpournis, nenne mich doch einfach Chris, mich dürfen alle meine Schüler gerne duzen. Ich bin dein Erdkunde-Lehrer, wir haben jetzt eine Doppelstunde.“

Komplizierter Name, sehr unkomplizierter Lehrer.

„Äh, ja danke Chris.“

„Setz dich doch einfach dort in die Fensterreihe, neben Lara ist noch ein Platz frei.“

„Ja, danke.“

Nun schauen mich doch alle an, aber nett und nicht so aufdringlich neugierig. Als ich mich neben Lara setze, lächelt sie mich freundlich an und schaut dann wieder in ihr Buch.

Anscheinend traut sich niemand bei Chris auch nur ein Wort zu flüstern. Vielleicht ist er doch nicht so cool wie er jetzt vorgibt. Er setzt sich auf seinen Schreibtisch und fängt an, laut vorzulesen.

Das Thema ist Ägypten, als ich das bemerke, schalte ich auch schon ab.

Es gibt nichts, was in einem Buch steht, was ich nicht über die Geschichte Ägyptens weiß. Das waren schon gute Nacht Geschichten, als ich noch nicht laufen konnte. Auf jeden Fall schaue ich nach vorne und versuche, mich wach zu halten.

Respektlos muss man nicht sein.

Als die Stunde zu Ende ist, dreht sich Lara ruckartig zu mir um und reicht mir ihre Hand.

„Hi, ich bin Lara und ich habe gehofft, dass du dich neben mich setzt. Wie geht es dir?“

„Ähm, gut, danke.“

Sie klingt so naiv und freundlich, dass ich sie sofort mag, solche Menschen gibt es, glaube ich, nur wenige.

„Seit wann seid ihr denn in der Stadt, du und deine Eltern?“

„Wieso, wusstest du, dass ich komme?“

„Natürlich, wer wusste davon nicht, wir sind hier schon alle gespannt auf dich.“

„Oh mein Gott, bitte nicht.“

„Wieso? Was hast du denn?“

„Bitte keine Fragen über meine Eltern, oder...“

„Ach ja deine Eltern, ich bin mal gespannt, ob sie irgendwelche versteckten Hinweise zu Vampiren finden.“

„Was?“

Lara fängt an zu flüstern und schaut mir verschwörerisch in die Augen.

„Die Legende besagt, dass vor vielen Jahrhunderten Vampire in dem Schloss lebten. Wir wissen alle hier, dass da was dran ist, an der Geschichte, im Schloss spukt es. Wenn man Glück hat, sieht man des Nachts dort immer noch Lichter, aber keiner von uns traut sich dorthin. Denn alle, die es getan haben sind nie wieder gekommen.“

Ihre Augen glänzen, sie stellt sich das Schloss gerade vor tausend Jahren vor, voller Vampire. Ich bin so was von sprachlos und abgelenkt, dass ich mich fast zu Tode erschrecke, weil irgendetwas auf meinen Tisch kracht.

Lara und ich schreien gleichzeitig hysterisch. Als ich hochblicke sehe ich einen Jungen.

„Lara, erzähl ihr doch nicht direkt am ersten Schultag so einen Scheiß. Huhuhu ich bin ein Vampir!“

Der Junge macht eine Fratze und Lara scheuert ihm eine.

„Lass den scheiß du Idiot, wer hat dich denn nach deiner Meinung gefragt?“

„Komm beruhige dich, ich habe es ja nicht so gemeint, übrigens ich bin Juri.“

Er ignoriert Lara plötzlich und lächelt mich höflich an, während er sich seine gerötete Wange reibt.

„Hi, ich bin Constantine.“

„Ja ist mir schon klar, wollt ihr hier eigentlich Wurzeln schlagen, oder gehen wir in unserer Pause auch noch ein wenig raus?“

So als wäre gerade nichts passiert, steht Lara auf, nimmt ihr Schulbrot aus der Tasche und wendet sich zum Gehen.

„Komm, beeile dich, wir haben nur noch fünfzehn Minuten.“

Ich greife mein Brot, schmeiß meine Tasche unter den Tisch und folge den beiden auf den Schulhof. Wir überqueren den Platz und steuern eine Holzbank an, die sich im Schatten einiger Bäume befindet. Juri nimmt Lara dabei an die Hand und gibt ihr einen flüchtigen Kuss.

„Ihr seid also ein Paar?“

Juri schaut mich so traurig an, wie es nur eben geht.

„Ja, leider, ich komme nicht von ihr weg, sie hat mich mit einem alten Vampir fluch belegt und nun bin ich wahrscheinlich für den Rest...“

(Zag) Lara boxt ihn völlig unverhofft in den Bauch, zwar nicht hart, aber es reichte, dass Juri Ruhe gibt.

„Lasse das! Mit Vampiren scherzt man nicht, warte, bis dir einer über den Weg läuft. Und wenn du keine Lust mehr hast mit mir zusammen zu sein, dann verschwinde doch!“

So wie Lara motzt und vor sich hin lamentiert, schaut Juri sie an, als sei sie das schönste Wesen der Erde. Er lächelt, als sie wild gestikuliert, seine Augen leuchten vor Glück.

„Schatz! Hör auf! Ich glaube dir ja, es war nur Spaß! Jeder hier weiß das es sie gegeben hat.“

Mit diesen Worten nimmt er sie in den Arm und drückt ihr einen dicken Kuss auf den Mund. Jeglicher Ärger ist im Nu verflogen, sie liebt ihn anscheinend genauso wie er sie liebt. Ich kann ein Schmunzeln kaum unterdrücken, irgendwie schäme ich mich. Wenn ich mal genau darüber nachdenke, bin ich noch nie verliebt gewesen.

Kein Junge, in irgendeinem Land, ja noch nicht einmal ein Superstar aus den Medien, konnte meine Aufmerksamkeit erregen.

Dass sich das schon sehr bald ändern würde, wäre mir niemals in den Sinn gekommen.

Nach der Pause begeben wir uns wieder in den Unterricht, es fällt mir nicht besonders schwer, Rumänisch zu verstehen oder zu sprechen. Obwohl ich sehr sprachbegabt bin, wundere ich mich trotzdem, wie leicht ich Rumänisch lerne. Es ist merkwürdig, als würde diese Sprache von ganz tief innen, aus mir herauskommen. Als ob ich diese Sprache schon immer gesprochen hätte. Sie ist mir so vertraut, genau wie die Menschen hier. Noch nie habe ich mich in einem Land zu Hause gefühlt und hier denke ich bereits nach einem Tag so. Ich habe einfach nichts auszusetzen, weder an diesem Ort noch an den Menschen hier.

Mein Aussehen fällt kaum auf, alle hier sind so dunkel wie ich. Zwar schauen mich einige neugierig an, begegnen mir aber ganz normal, als sei ich absolut nichts Außergewöhnliches. Was sich wahrscheinlich schlagartig ändern wird, wenn meine Eltern hier auftreten. Sie sind hier richtige tropische Vögelchen. Es ist schon merkwürdig, dass mir hier alle so ähnlich sind. Der Tag vergeht wie im Flug, ich kann jeder Unterrichtsstunde folgen. Die Pausen verbringe ich zwar hauptsächlich mit Lara und Juri, lerne aber auch viele andere kennen, die so ungefähr in meinem Alter sind.

Ein kleines, hübsches Mädchen aus der dritten Klasse kommt zu mir gelaufen. Sie gibt mir eine Margeritenblume und lächelt mich an. Es ist als schaue ich in einen Spiegel, ihre grünen schrägen Augen strahlen mit den meinen um die Wette. Sie sagt, dass sie sich so sehr auf mich gefreut hat und die letzten Wochen bereits die Tage bis zu meiner Ankunft gezählt habe.

Bevor ich verstehe oder fragen kann, was sie damit gemeint hat, ist sie auch schon wieder weg.

Auf dem Nachhauseweg denke ich die ganze Zeit über Lara´s Worte nach. Anscheinend glaubt sie felsenfest an die Existenz von übernatürlichen Wesen. Sie ist zwar sehr nett, aber durcheinander ist sie auf jeden Fall.

Es kommt mir so vor, als sei die Geschichte des Schlosses, mit seinen Mythen oder Legenden hier ganz selbstverständlich. Ich habe an meinem ersten Schultag niemanden kennen gelernt, der die Arbeit meiner Eltern abschätzig lächelnd in Frage stellte. Im Gegenteil, sie waren alle neugierig und angetan. Es ist so, als warteten sie nur darauf, dass meine Eltern, mit ihren Fähigkeiten, endlich belegen würden, dass dieser Graf Vitaliy Ivan Avdijai tatsächlich ein Vampir war. Na ja, anscheinend ist das rumänische Volk noch nicht so zivilisiert, wie die Menschen im übrigen Europa und halten an ihren alten Geschichten fest.

Das Kopfsteinpflaster vor unserem Haus macht mir ein wenig Schwierigkeiten die Vespa im Griff zu behalten. Also steige ich ab und schiebe sie den Rest der Auffahrt hoch bis vor die Tür. Hier wird wahrscheinlich sowieso niemand hochkommen, also schließe ich sie nicht ab und lasse auch meinen Helm am Lenkrad hängen. Unsere Haustür ist auch mal wieder nicht abgeschlossen, das ist so ganz typisch für meine Eltern. Wir wurden zwar noch nie ausgeraubt, was aber nicht bedeutet, dass es nicht irgendwann passieren könnte. Wenn meine Violine dabei verschwinden würde, wäre ich untröstlich. Doch egal, wie oft ich meine Eltern ermahne, sie vergessen es einfach immer wieder.

Sie! Nicht ich, dass Kind, sondern meine Eltern! Unsere neue Haushälterin ist wohl schon da gewesen, hat den Frühstückstisch gesäubert und etwas zu essen gekocht. Überhaupt ist alles aufgeräumt, und gut gelüftet, der Blumenduft der Wiese vor dem Haus drängt sich durch jedes Zimmer.

Es riecht so unglaublich bezaubernd hier im Haus.

Ich habe Hunger und steuere den Herd an. Was da in dem Topf ist, kenne ich nicht, aber es sieht sehr gut aus und duftet herrlich. Ich lege mir einige von diesen Hackwürstchen in roter Soße und dazu Reis auf einen großen weißen Teller. Während die Mikrowelle surrt, flitze ich schnell hoch in mein Zimmer, werfe meine Schultasche auf mein akkurat gemachtes Bett und nehme meine Violine mit nach unten.

In der Küche lege ich den Koffer auf die graue Granitplatte und hole mir mein Essen aus der Mikrowelle.

Ich habe schon sehr viele delikate Dinge in den teuersten Restaurants dieser Welt gegessen, aber diese Würstchen gehen mir runter wie Öl. Es ist so lecker, dass ich mir direkt noch eine Portion mit extra viel von dieser Tomatensoße nehme.

Es schmeckt nach angebratenem Tomatenmark, Aubergine und einem Gewürz, das ich nicht kenne.

Lecker!!!

Während ich so esse, überlege ich mir, dass ich Mama und Papa unbedingt sagen muss, wie großartig diese Haushälterin doch Betten macht und wie gut sie kocht. Ich stellte mir vor, wie sie wohl aussieht, ob sie mir auch ähnlich ist.