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Vom ersten Moment an weiß König Latif, dass Jalia die Richtige für ihn ist. Aber kann er die in England aufgewachsene Prinzessin vom Zauber seines Wüstenreichs überzeugen - und von seiner glühenden Liebe zu ihr? Fast gelingt es ihm, da taucht überraschend Jalias Verlobter auf …
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Seitenzahl: 198
IMPRESSUM
Sinnliche Wünsche erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2004 by Alexandra Sellers Originaltitel: „The Ice Maiden‘s Sheikh“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 1360 - 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Christiane Bowien-Böll
Umschlagsmotive: jacob Wackerhausen, Muni Yogeshwaran / GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 09/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733727635
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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Die Braut war verschwunden.
Jalia rannte über den Balkon. In ihren Schläfen pochte es. Der Brautjungfernschleier aus grüner Seide fiel ihr ins Gesicht und machte sie halb blind.
Was war passiert? Wohin war Noor gegangen. Und warum?
Oh, bitte lass es nur eines von ihren Spielchen sein. Lass sie es sich nicht anders überlegt haben, nicht so …
„Noor!“, rief sie. „Noor, wo bist du?“
In dem riesigen Innenhof des palastartigen Anwesens, wo kurz zuvor die Partygäste noch ausgelassen gefeiert hatten, herrschte betroffenes Schweigen. Es bestand wohl keine Aussicht, Noor rechtzeitig vor dem Trauungstermin zu finden. Mit einer Verzögerung musste also gerechnet werden.
Der Balkon, auf dem Jalia stand, befand sich über einem anderen, kleineren Innenhof. Wenn Noor sich hierher verirrt hätte, wäre ihr das doch bestimmt gleich aufgefallen?
„Noor?“ Jalia beugte sich über das Geländer. Der Innenhof war leer.
Vor ihr erstreckte sich der Balkon, eine lange Reihe kunstvoll geschnitzter Bögen und Säulen. Am Ende befand sich eine spitzbogenförmige Tür. Auch hier war niemand.
„Noor?“, rief sie noch einmal. War sie, Jalia, etwa schuld am Verschwinden der Braut? Bestimmt würden die Leute genau das denken.
Vor allem Scheich Latif Abd al Razzaq Shahin würde Jalia erneut vorwerfen, dass sie sich in die voreilige Verlobung ihrer Cousine mit seinem Freund Bari eingemischt hatte. Er hatte das schon einmal getan, und Jalia hatte sich von dieser Begegnung noch immer nicht ganz erholt.
„Noor!“, rief sie jetzt lauter, denn es hatte keinen Zweck mehr, ein Geheimnis daraus machen zu wollen. Oh, wie typisch war das doch für Noor, ihre Cousine wieder einmal die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen. Dank Noors unbekümmertem Plappermaul war es in der ganzen Familie bekannt geworden, dass Jalia einiges gegen diese übereilte Hochzeit einzuwenden hatte.
Vor allem aber Latif Abd al Razzaq würde sie für das verantwortlich machen, was auch immer passiert war. Nicht, dass sie sich auch nur die Bohne um seine Meinung scherte, aber wenn er jemanden kritisierte, konnte er sehr hart, ja fast grausam sein. Und er mochte Jalia ebenso wenig wie sie ihn. Wahrscheinlich würde er sich über eine weitere Gelegenheit freuen, sie so richtig vorzuführen.
Wenn man vom Teufel spricht – plötzlich stand Latif Abd al Razzaq wenige Meter von ihr entfernt auf dem Balkon, bekleidet mit dem traditionellen Gewand der Tafelgefährten. Ein Schauer überlief Jalia, als ob eine schreckliche Bedrohung von ihm ausginge, und sie versuchte, sich hinter einer Säule zu verstecken.
Aber sie war wohl einen Sekundenbruchteil zu lange von seinem Anblick fasziniert gewesen. Jedenfalls stand er im nächsten Augenblick vor ihr und versperrte ihr den Weg.
„Wo ist Ihre Cousine?“, fragte Latif Abd al Razzaq Shahin, Tafelgefährte des neuen Sultans, in schroffem Ton.
Jalia bekam eine Gänsehaut. Sie schmiegte sich an die Säule wie ein verängstigtes Tier, aber nur für einen kurzen Moment, dann straffte sie die Schultern. Ihr Gesicht war ja hinter dem Schleier verborgen. Wie konnte er wissen, wer sie war? Er konnte nur raten. Er bluffte wohl.
„Ich nicht weiß, was Sie meinen“, sagte sie mit verstellter Stimme. „Sie müssen sich irren.“
Er schüttelte nur den Kopf. Wie sie diese männliche Arroganz, diese unerschütterliche Selbstsicherheit hasste! Wenn Latif Abd al Razzaq etwas für richtig hielt, dann musste ihm alle Welt zustimmen. Das Leben selbst hatte sich ihm unterzuordnen.
Sie zitterte vor Wut. Wie sie diesen Mann verabscheute! Er verkörperte alles, was ihr an der orientalischen Welt zuwider war.
„Das Spiel ist aus, Jalia!“, zischte er. „Wo ist sie?“
Sie hätte sich gerne aus dem Staub gemacht, aber Latif stand im Weg. Und sich ganz dicht an ihm vorbeizudrücken, das brachte sie irgendwie nicht über sich.
„Ich weiß nicht, was Sie meinen. Gehen Sie aus dem Weg!“, sagte Jalia eisig.
Er hob die Hand und lächelte breit. Jalia zuckte unwillkürlich zusammen, als er langsam den Schleier von ihrem Gesicht zog.
Ihr dichtes blondes Haar lag halb über ihrem Gesicht. Nur einer ihrer hohen Wangenknochen war zu sehen und nur eines ihrer graugrünen Augen, aus denen sie Latif kalt und herablassend anblickte.
Einen Moment lang erstarrte er in der Bewegung – seine Faust schloss sich um den zarten Stoff. Die Luft knisterte förmlich von der Feindseligkeit, mit der sie einander ansahen.
Dann ließ Latif den Schleier los und senkte die Hand. „Wohin ist Ihre Cousine gegangen?“, fragte er leise.
Jalia hob das Kinn noch ein Stückchen höher. Ihre wunderschönen Augen schienen Blitze hervorzuschleudern. Sie war nicht im Geringsten verlegen, nachdem sie doch bei einer Lüge ertappt worden war.
„Reden Sie nicht in diesem Ton mit mir, Exzellenz.“
„Wohin?“
„Ich habe keine Ahnung, wo Noor ist. Vielleicht irgendwo auf einer Toilette, vielleicht ist ihr schlecht geworden. Ich bin auf der Suche nach ihr. Sie verschwenden Zeit, wenn sie mich hier aufhalten. Lassen Sie mich vorbei, bitte.“
„Wenn Sie hier nach ihr suchen, sind Sie es, die Zeit verschwendet. Sie ist geflohen.“
Jalias Herz setzte fast aus. „Geflohen? Das glaube ich nicht! Wohin sollte sie denn geflohen sein?“
„Das ist es, was Bari mich gebeten hat, Sie zu fragen. Wo ist die Prinzessin?“
„Sie meinen, sie hat das Haus verlassen?“
„Wissen Sie das wirklich nicht?“
Unwillkürlich blickte sie auf ihre geschlossene Faust. „Nein! Woher sollte ich das wissen? Ich habe hier mit den anderen Brautjungfern gewartet.“
Sein Blick folgte ihrem. Sie schien etwas in der Hand zu verbergen. Sofort schlossen sich Latifs Finger um Jalias Handgelenk, und dann zwang er sie ganz lässig, die Faust umzudrehen, so dass ihre Fingerspitzen oben lagen.
„Was haben Sie da?“ Sein Blick ruhte auf ihrem Gesicht, grimmig und fest entschlossen.
„Das geht Sie nichts an! Lassen Sie mich los!“
„Öffnen Sie die Hand, Prinzessin Jalia.“
Ihr Versuch, sich zu wehren, scheiterte kläglich. Es gelang ihr nicht, sich loszureißen. Feindselig starrten sie einander an, schließlich musste Jalia die Demütigung ertragen, dass Latif ihr die Finger auseinander bog.
Wieder sah er ihr direkt in die Augen, sein zorniger Gesichtsausdruck ließ Jalia erstarren.
„Was ist das?“, fragte er und nahm ihr den Ring aus der Hand. Dann ließ er ihr Handgelenk so abrupt los, dass sie fast das Gleichgewicht verlor.
Er hielt den Ring ins Sonnenlicht, das durch einen Spalt des gewölbten Balkondaches fiel. Der legendäre Al-Khalid-Diamant übertraf mit seinem Feuer alle anderen Diamanten, und doch war sein Funkeln nichts im Vergleich mit der Glut in Latif Abd al Razzaqs Augen.
„Was ist das?“, wiederholte er missbilligend.
„Vielleicht eine billige Imitation?“, erwiderte Jalia übertrieben sarkastisch, denn Noors Verlobungsring war natürlich unverkennbar. Der Wert des Al-Khalid-Diamanten war gegenüber dem bescheidenen Verlobungsring, der an Jalias Ringfinger steckte, sicherlich um das Tausendfache höher.
„Sagen Sie mir, wo Ihre Cousine ist.“
„Wieso sind Sie so sicher, dass ich das weiß? Zurück zum Palast, nehme ich an. Wo sonst sollte sie wohl hingehen?“
Der Schleier glitt langsam zurück über ihr Gesicht. Gereizt begann sie, die Nadeln, mit denen er festgesteckt war, herauszuziehen. Was für eine idiotische Tradition, die Braut aus einer Schar verschleierter Brautjungfern heraussuchen zu lassen, um die Wahrnehmungsfähigkeit des Bräutigams zu testen. Dabei wusste doch alle Welt, dass der Bräutigam immer einen Tipp bekam, was seine Braut anhaben würde. Außerdem hatte Noor alle traditionsbewussten Gäste schockiert, indem sie sich an die westliche Tradition gehalten und Weiß getragen hatte. Bari hätte blind sein müssen, um sie zu verfehlen.
Nichtsdestotrotz hatte man auf dem alten Ritual bestanden. Das war nur einer von vielen Gründen, weshalb Jalia froh war, dass ihre Eltern lange vor ihrer Geburt aus Bagestan geflohen waren. Und sie war alles andere als glücklich über deren Absicht, hierher zurückzukehren.
Männer wie Latif Abd al Razzaq waren ein Grund mehr.
Immer noch sah er sie skeptisch an. Jalia wusste, er würde niemals glauben, dass sie mit dem Verschwinden der Braut nicht das Geringste zu tun hatte, auch wenn sie von Anfang an gegen Noors übereilte und keineswegs von jedermann freudig begrüßten Hochzeit gewesen war.
Das war ihr jetzt auch ganz egal. Was Latif Abd al Razzaq von ihr dachte, spielte absolut keine Rolle für sie.
Sie warf den kunstvoll bestickten Schleier weit von sich, ohne darauf zu achten, dass er an den Dornen eines Rosenbusches hängen blieb.
„Sie haben Noors Ring!“
„Ja“, sagte Jalia gelassen.
„Wie kommt das?“
„Ist das Ihre Angelegenheit, Exzellenz? Und was soll dieser Ton?“
Seine Stimme klang eine halbe Oktave tiefer, als er fragte: „Was für einen Ton wünschen Sie sich von mir, Prinzessin?“
Jalia bekam schon wieder eine Gänsehaut, aber sie ließ sich nichts anmerken. „Ich hätte nichts dagegen, Ihre Stimme überhaupt nicht mehr zu hören.“
Sie war richtig froh über die offensichtliche Feindseligkeit in seinem Blick. Ein Mann wie er konnte nur ein Gegner für sie sein – das stand fest – und es war immer besser, die Feindschaft offen auszutragen. So brauchte keiner dem anderen etwas vorzumachen.
Sie musterte ihn schweigend. Das dunkelgrüne Seidenjackett, das er trug, ließ seine grünen Augen noch intensiver wirken. Ein reich verziertes Schwert hing an seiner Seite. Jalia spürte die gegenseitige Ablehnung geradezu körperlich.
Sie wusste nicht, was er gegen sie haben sollte, aber es bestand kein Zweifel darüber, was sie gegen ihn hatte: Er verkörperte alles, was sie an einem Mann nicht ausstehen konnte. Er war dominant, über die Maßen selbstsicher, übertrieben männlich – und auch noch stolz darauf.
„Hat Noor mit Ihnen gesprochen, bevor sie geflohen ist?“
Jalia seufzte entnervt. „Was erhoffen Sie sich eigentlich?“
„Hat sie vielleicht unbewusst irgendeinen Hinweis gegeben? Hat sie davon gesprochen, dass sie zum Palast will?“
„Würden Sie bitte aufhören, mir zu unterstellen, dass ich verantwortlich bin für das, was passiert ist? Was immer Noor vorhat, und wer immer ihr dabei hilft, ich hatte und habe nichts damit zu tun! Ist Ihnen schon einmal der Gedanke gekommen, dass es ganz anders sein könnte, als es den Anschein hat? Noor könnte aus dem Haus gelockt worden sein, vielleicht hat sie jemand bedr…“
„Ah! Sie meinen, man hat sie gezwungen?“ Die smaragdgrünen Augen funkelten. Sein Blick triefte vor Sarkasmus.
„Ich weiß nicht! Geht das nicht in Ihren Schädel, dass ich keine Ahnung habe, weshalb Noor verschwunden ist – wenn sie überhaupt verschwunden ist.“
„Wenn?“
„Nun, ich weiß nur, was Sie gesagt haben, Exzellenz, und Sie haben schon mehr als einmal bewiesen, dass Sie gegen mich voreingenommen sind!“
Seine Exzellenz sah sie einen Moment lang schweigend an.
„Wir müssen mit den anderen reden. Kommen Sie“, sagte er dann, machte auf dem Absatz kehrt und ging auf den bogenförmigen Durchgang zu, der zur Treppe und hinab zu dem großen Innenhof führte.
Jalia presste die Lippen zusammen. Sie musste mit Noors Eltern sprechen, es blieb also nichts anderes übrig, als sich Latif anzuschließen. Außerdem hatte er ja auch den Ring, und wenn sie nicht mit ihm ginge, wer könnte sagen, welche Erklärung Latif Abd al Razzaq dafür einfallen würde, dass er ihn in Jalias Hand entdeckt hatte.
Jalia und Latif schritten die ausgetretenen Stufen der grandiosen Marmortreppe hinab, die zum großen Innenhof führte. Es war deutlich zu spüren, dass unter den Gästen große Verwirrung herrschte. Die Leute standen murmelnd in Gruppen zusammen oder blickten einfach nur ratlos um sich.
Nur der Sultan und die Sultanin wirkten völlig unbeeindruckt. Heiter und gelassen plauderten sie mit jedem, der sich ihnen näherte, so dass sie eine Insel der Ruhe in einer ansonsten ziemlich aufgebrachten Menschenmenge bildeten.
„Was ist passiert?“
„Wo ist die Prinzessin?“
„Ist jemand krank geworden?“
„Ist die Trauung abgesagt worden?“
Die Fragen schienen an sie gerichtet zu sein, aber Jalia ging schweigend weiter. Latif schritt durch die Menge wie durch einen Wald, und sie war froh, einen Vorwand zu haben, um nicht stehen bleiben zu müssen. Sie hätte nichts zu sagen gehabt.
In dem geräumigen Empfangsraum saßen die Familien der Brautleute auf einer niedrigen Plattform und unterhielten sich leise, die Atmosphäre war spürbar angespannt. Es sah aus, als hätten tausend Leute auf einmal beschlossen, ein Picknick zu machen, denn überall auf den kostbaren Teppichen lagen weiße Tischdecken mit Tellern, Schüsseln, Kristallgläsern und Silberbesteck.
„Jalia!“ Ihre Mutter und ihre Tante eilten mit verweinten Augen auf sie zu. „Hat sie etwas zu dir gesagt, bevor sie fortgelaufen ist? Wo will sie hin? Was ist passiert?“
„Hat sie etwa tatsächlich das Haus verlassen?“, stammelte Jalia. Sie hatte die beiden Frauen noch nie so besorgt erlebt.
„Weißt du das noch nicht? Sie ist fort! Sie hat die Limousine genommen! Und sie trägt noch immer ihr Brautkleid! Mit Schleier!“
„Sie hat sich nicht einmal umgezogen?“ Jalia war völlig perplex. „Aber wo soll sie denn hin, mit Brautkleid und Schleier, außer zum Palast? Hat sie irgendwelches Gepäck mitgenommen?“
„Die Diener sagen, das Gepäck ist noch im Vorraum, nichts fehlt. Im ganzen Palast keine Spur von ihr. Man wird uns anrufen, sobald sie dort auftaucht, aber wenn sie dorthin gewollt hätte, wäre sie inzwischen längst da. Sag uns, was passiert ist!“, flehte Jalias Tante.
„Tante, ich habe keine Ahnung! Ich ging mit den anderen Brautjungfern hinauf, um Noor pünktlich abzuholen. Der Friseur sagte, sie sei im Badezimmer. Wir warteten. Nach ungefähr fünf Minuten schaute ich nach. Sie war nicht da.
Es tut mir so leid, Tante Zaynab. Ich hätte wohl sofort Alarm schlagen sollen, aber ich dachte, sie sei vielleicht nervös geworden oder hätte sich verlaufen oder …“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Also bin ich sie suchen gegangen. Damit habe ich wohl wertvolle Zeit verschwendet, aber ich dachte …“
Ihre Tante tätschelte Jalias Hand. „Ja, du dachtest, es sei wieder eines von Noors Spielchen. Das wäre jedem so gegangen. Aber es muss ernster sein, denn jetzt ist sie wirklich fort. Hat sie irgendetwas zu irgendjemandem gesagt? Als ich sie das letzte Mal sah, schien es ihr gut zu gehen. Sie lachte, sie war so glücklich und aufgeregt …“
„Tante, sie … ich fand ihren Ring. Er lag auf dem Boden ihres Ankleidezimmers.“
Latif hielt den Al-Khalid-Diamanten hoch. Mit einem entsetzten Aufschrei riss ihm Jalias Tante den Ring förmlich aus der Hand.
„Sie muss wohl in Panik geraten sein“, vermutete jemand. „Lampenfieber, so etwas kommt vor bei einer jungen Braut.“
Alle Blicke schienen sich auf einmal vorwurfsvoll auf Jalia zu richten. Zum Glück betrat in diesem Moment Bari al Khalids Onkel den Raum. Er wirkte erschöpft.
„Bari ist auch fort! Die Wachen sagen, er fuhr wenige Minuten nach Noor weg.“
„Barakullah!“, weinte Prinzessin Zaynab. „Was ist nur los?“
Endlich brachte Latif Abd al Razzaq die entsetzte Menge mit ruhiger Stimme zum Schweigen. „Einer der Wachleute hat Noor wegfahren sehen und Bari davon berichtet. Er ist ihr nachgefahren, um sie zurückzuholen.“
Sofort stand Latif im Zentrum der Aufmerksamkeit. Alle Blicke richteten sich auf ihn.
„Vorher hat er mich gebeten, Jalia zu suchen und sie zu fragen, was sie weiß.“
Wieder richteten sich alle Blicke, mehr oder weniger vorwurfsvoll, auf Jalia.
„Ich weiß gar nichts!“, rief sie flehend. „Sie hat kein Wort zu mir gesagt.“ Sie sah Latif an. Bestimmt hatte er sie absichtlich ins Spiel gebracht. „Könnte es sein, dass sie einen Anruf bekommen hat?“
„Die Dienerinnen sagen Nein“, beantwortete Prinzessin Muna die Frage ihrer Tochter.
„Wo ist ihr Handy? Hat sie vielleicht jemanden angerufen?“
„In ihrer Handtasche, in ihrem Schlafzimmer. Sie hat nicht einmal Geld mitgenommen, Jalia!“
„Oh, meine Tochter! Was sollen wir nur tun?“, weinte Prinzessin Zaynab. „Wenn Bari sie findet, so wütend, wie er jetzt sicherlich ist …“
„Ich werde sie suchen“, erklärte Latif.
„Eure Exzellenz, danke! Aber wenn Sie Noor finden …“
„Jalia wird mit mir gehen.“
Jalias Kopf fuhr herum. „Ich? Was kann ich denn …?“
Ihre Mutter fiel ihr ins Wort. „Ja, geh mit seiner Exzellenz, Jalia. Du kannst vielleicht helfen.“
Sie sollte mit Latif Abd al Razzaq gehen? Sie zuckte innerlich zusammen. Warum nur bat er sie, ihn zu begleiten, er hielt sie doch ganz offensichtlich für pures Gift?
„Helfen? Wie denn? Ich weiß wirklich nicht, wo sie ist!“, protestierte sie.
Latif hob nur hoheitsvoll eine Braue. Jalia sah sich um. In den meisten Gesichtern drückte sich Zustimmung aus. Zum Teufel mit diesem Mann.
„Natürlich weißt du das nicht, Jalia“, murmelte Prinzessin Zaynab und tätschelte wieder ihre Hand. Ihre dunklen Augen schimmerten von Tränen. „Aber Bari wird so schrecklich wütend sein. Bitte geh mit Latif. Sie ist vielleicht … Beruhige sie einfach und bring sie zurück. Sag ihr, es ist nicht zu spät. Wir warten hier.“
Als Jalia und Latif aus dem Haus traten, blies ihnen einen heißer, trockener Wind entgegen. Jalia bekam Sand in die Augen.
Der Saum ihres langen Kleides und das miederartige Oberteil waren mit Goldfäden durchwirkt und mit feinen Goldplättchen bestickt. Wie idiotisch, in so einem Aufzug auf die Suche nach Noor zu gehen. Als ob sie eine Frau aus den Bergen wäre, wie man sie manchmal auf dem Basar sehen konnte. Selbst auf dem Markt erschienen die Frauen der Bergstämme in geradezu königlicher Kleidung. Manche von ihnen waren blond und hatten grüne Augen, wie Jalia. Allerdings war sie immer davon ausgegangen, dass sie ihren Teint und die Haarfarbe ihrer französischen Großmutter verdankte.
Als Latifs Wagen vom Parkplatz kam, glänzte ihre Haut schon von Schweiß, und ihr fiel ein, dass sie nichts dabei hatte, um sich gegen die Sonne zu schützen.
Das traditionelle Schwert, das alle Tafelgefährten bei formellen Anlässen trugen, lag in einem juwelenbesetzten Futteral auf dem Rücksitz. Latif sah Jalia schweigend an, als sie sich auf den Beifahrersitz setzte.
„Ich kann mir nicht vorstellen, weshalb Sie mich dabei brauchen sollten!“, sagte sie kühl.
Scheich Latif Abd al Razzaqs Blick war unergründlich.
„Sie brauchen?“, wiederholte er herablassend. „Ich habe Sie nur aus der Schusslinie geholt, bevor die Menge sich auf Sie stürzen konnte. Obwohl Sie es wahrscheinlich verdient hätten.“
Die Flügel des großen Tores öffneten sich, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Sofort stürzten zwei Männer und eine Frau auf sie zu. Einer der Männer trug eine Kamera auf der Schulter, und die Frau hielt einen Kassettenrekorder vor Latifs Gesicht und klopfte aggressiv gegen die Fensterscheibe.
„Exzellenz, können wir bitte mit Ihnen sprechen?“
„Können Sie uns sagen, was passiert ist? Hat die Trauung stattgefunden?“
„Warum ist die Prinzessin weggefahren?“
Immer mehr Reporter umringten den Wagen und zwangen Latif, ganz langsam zu fahren. Unter ständigem Blitzlichtgewitter wurden Fragen auf sie abgefeuert wie Maschinengewehrsalven. Mehrere kleine, rot glühende Augen wurden aufdringlich auf das Wageninnere gerichtet. Es war fast, als ob die Kameras selbst zum Leben erwacht seien und die Insassen ausspionieren wollten.
„Nein! Oh nein!“, rief Jalia entsetzt.
„Lassen Sie sich nichts anmerken“, sagte Latif ruhig.
Jalia konnte nicht umhin, ihn für seine Gelassenheit zu bewundern. Obwohl er gezwungen war, langsamer als Schritttempo zu fahren, ließ er sich in keiner Weise anmerken, dass er die Meute überhaupt wahrnahm. Sie dagegen wurde immer wütender, als die Reporter sich ihnen immer wieder in den Weg stellten und an die Scheiben klopften.
„Prinzessin! Eure Hoheit!“, rief jemand, und sie drehte sich unwillkürlich um. Im selben Moment wurde sie von einem Blitzlicht geblendet. Woher wussten die Reporter Bescheid? Sie hatte doch so aufgepasst!
„Können Sie uns sagen, warum Prinzessin Noor geflohen ist?“
„Wo ist sie hin?“
„Ist sie vor einer Zwangsheirat geflohen, Prinzessin?“
Zwangsheirat? Noor war einfach nur glücklich gewesen. Jalia konnte nicht verhindern, dass sie leicht genervt den Kopf schüttelte. Sofort wurde das als Hinweis gedeutet.
„Die Hochzeit entsprach also nicht ihrem eigenen Willen? Sind Sie überrascht über das, was passiert ist?“
Aber Jalia hatte ihre Lektion gelernt. Stumm blickte sie geradeaus. „Verflixt, verflixt!“, murmelte sie vor sich hin.
Latif drückte Gas- und Bremspedal gleichzeitig durch, so dass die Reifen auf der unbefestigten Straße durchdrehten. Im Nu war der Wagen von einer Staubwolke umhüllt.
Hustend zogen sich die Reporter zurück. Latif nahm den Fuß von der Bremse. Der Wagen schoss vorwärts, nicht ohne eine weitere Staubwolke hinter sich aufzuwirbeln.
Unwillkürlich lachten sie beide auf, wie Kinder, die einem strengen Aufseher entwischt sind. Jalia schaute Latif bewundernd an, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Jeden anderen hätte sie beglückwünscht, aber bei Latif konnte sie einfach nicht ungezwungen sein.
„Ich habe so aufgepasst, dass niemand mich erkennt!“, jammerte sie. „Wie konnten die wissen, wer ich bin?“
Im Gegensatz zu Noor, die ganz entzückt gewesen war, hatte Jalia die Nachricht, dass sie eine bagestanische Prinzessin war, sehr zurückhaltend aufgenommen. Sie wollte um jeden Preis verhindern, dass diese Tatsache öffentlich wurde. Zuhause in Schottland hatte sie niemandem davon erzählt.
Wer könnte sie verraten haben, und warum?
Latifs dunkle Augen richteten sich auf sie. Wie jedes Mal, wenn das passierte, fühlte sie sich irgendwie bedroht. Es war wie ein animalischer Fluchtinstinkt, obwohl es überhaupt keinen Grund dafür gab. Und genau das ärgerte sie. Jedes Mal aufs Neue.
„Wahrscheinlich haben die zwei und zwei zusammengezählt. Sie haben sich selbst verraten mit Ihrer Reaktion.“
Es war so offensichtlich, dass Widerspruch zwecklos war.
„Oh, zum Teufel!“, rief Jalia. „Hätte ich doch den Schleier anbehalten!“
Latif lachte laut auf. Doch es war ein nicht gerade freundliches Lachen.
„Wäre das denn so schlimm – ein Foto in ein paar Zeitungen?“
Jalia sah ihn indigniert an. „Sie sind Tafelgefährte des Sultans – es gehört zu Ihrem Job, dass sich die Medien für Sie interessieren. Im Übrigen sind Sie einer von zwölfen. Ich bin Universitätsdozentin in einer kleinen Stadt in Schottland, wo Prinzessinnen kaum vorkommen. Ich möchte nicht, dass es bei mir zu Hause bekannt wird.“
Sie näherten sich der asphaltierten Straße. Er bremste leicht und lenkte den Wagen Richtung Stadtzentrum. Zwei Autos mit Reportern waren ihnen noch auf den Fersen.
„Übertreiben Sie nicht ein bisschen? Es ist ja nicht die britische Königsfamilie, der Sie angehören, nur die eines kleinen Landes im Mittleren Osten.“
„Ich hoffe, Sie haben recht“, sagte Jalia nachdenklich. „Aber in Europa sind die Medien seit fünf Jahren geradezu besessen von den Königshäusern in den Barakatischen Emiraten – und seit Ghasibs Sturz auch von der königlichen Familie von Bagestan. Wenn bekannt wird, dass ich eine Prinzessin dieses Landes bin, dann ist es mit meinem Privatleben vorbei.“
„Nur wenn Sie weiterhin im Ausland leben“, stellte er fest. „Warum kommen Sie nicht nach Hause?“
Jalia straffte die Schultern. „Weil Bagestan nicht mein Zuhause ist“, erwiderte sie kühl. „Ich bin aus Schottland, das wissen Sie doch.“
Wieder lag sein Blick auf ihr, dunkel und unergründlich. „Das wäre kein Problem“, sagte er, als ob die Tatsache, dass sie in Schottland lebte, so etwas wie eine Behinderung sei. „Sie würden sich hier rasch einleben. Die Universitäten hier hätten Ihnen alle möglichen Positionen anzubieten. Ash arbeitet daran, dass …“
„Ich unterrichte Engländer in klassischem Hocharabisch, Latif“, erklärte Jalia. „Ich spreche nicht einmal das bagestanische Arabisch.“
Plötzlich sehnte sie sich ganz schrecklich nach einem kühlen englischen Herbst, nach Regentropfen an Fensterscheiben, nach dem Geruch von Büchern, billigen Teppichböden und Kaffee, dem Geruch ihres winzigen Büros und nach dem unbeschwerten Geplauder mit ihren Kollegen.