Sissis Gift - Bernhard Barta - E-Book

Sissis Gift E-Book

Bernhard Barta

4,6

Beschreibung

KÖSTLICHE KRIMIKOST AUS DEM SCHÖNEN SALZKAMMERGUT! -mit 20 Zeichnungen des Autors- Kaisersonntag am See. Inspektor Brandners Angelschnur hängt im Bürofenster. Endlich Ruhe, denkt er. Gestern erst hat man den Singcontest über die Gmundner Seebühne gebracht. Lauter Krawallmusik, wenn es nach Brandners Kopfschmerzen geht. Unten am Ufer wird Wachtmeister Birngruber klar, was der Chef da an der Leine hat. Die berühmte Sissi Voglhuber ? die ?Schlager-Sissi? von Ischl! Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen, weiß Inspektor Gustl Brandner und stürzt sich ins Geschehen. Brandner ermittelt, sein schrulliger Partner Birngruber stolpert: vorbei an wilden Ortskaisern, umzingelt von Ischler Wilderern, quer durchs Salzkammergut. Argwöhnisch beäugt von der strengen Frau Oberst vom KfK Linz ? Kommando für Kapitalverbrechen. Doch Brandner lässt sich nicht beirren. Bis zur nächsten Toten im Sissikleid: im Gästebett des Schlosshotel Ort ... Der ebenso liebenswürdige wie verschrobene Gmundner Inspektor ist wieder anständig gefordert ? urige Figuren und vergnügliche G'schichtln ? das Salzkammergut, wie es leibt und lebt! **************************** LESERSTIMMEN: "Hervorragend, wie Bernhard Barta die Atmosphäre zwischen Gmunden und Bad Ischl authentisch einfängt, sei es am Stammtisch oder im Yachtclub. Und wie er unterhält mit sprühendem Wortwitz und köstlichen Episoden - jedem Sommerfrischler nur zu empfehlen, allen anderen sowieso!" "Mit Sissis Gift übertrifft sich Bernhard Barta selbst - diesmal gibt's von allem noch mehr: Spannung, köstliche Anekdoten, Ausflüge in die Kaiserzeit, schrullige Figuren und ein bisschen Turtelei zwischen dem lieben Inspektor Brandner und der neuen Ermittlerin. Mehr kann man sich von einem Alpenkrimi nicht wünschen!" "Singcontest am Traunsee, eine geniale Idee! Und dazu ein spannender Plot und viel Lokalkolorit!" **************************** Bisher erschienen in der Krimireihe mit Inspektor Gustl Brandner: Sissis Tod Sissis Gold Sissis Gift

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Bernhard Barta

Sissis Gift

Ein Salzkammergut-Krimi

Table of Contents
Cover
Titel
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
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24.
25.
26.
27.
Glossar
Bernhard Barta
Zum Autor
Impressum

1.

Kruzifixwiedernix!

Wütend warf Gustl Brandner die Angel am offenen Fenster aus. Plötzlich musste er lachen. Genau so hatte der Opa immer geflucht. Beim Angeln hier unten am See. Ganz der Opa, hatte der uralte Brandner dann immer gesagt. Und seinen Enkel so schrecklich stolz angesehen, als nach allen Flüchen doch noch einer angebissen hatte. Irgendwann waren sie nach Hause gegangen, der Opa, er und der Fisch. Natürlich, wieder Stunden zu spät, hatte die Oma geschimpft. Kahl wie ein Aal, das komme davon, von der dauernden Flucherei. So hatte die Oma ihre Predigt beendet und dabei auf Opas Glatze gezeigt. Von ihr komme das, hatte der Opa gelacht. Dass da kein Haar mehr dran sei. Vom Schimpfen. Himmelarschundzwirn!, hatte der Opa dann immer gelacht, und der kleine Gustl hatte mitgelacht. Und die Oma erst recht. Die Oma sogar am allerlautesten.

Bezirksinspektor Brandner besah sich im Wandspiegel für den Parteienverkehr. Besah sein schütter gewordenes Haar. Vielleicht kam es ja nicht vom Fluchen, doch ein Fluch war’s allemal. Abgesehen davon hatte er vom Opa auch allerhand Schönes geerbt. Das uralte Haus hier am See. Die Wiener Hietzinger Villa und Opas Herzstück! Brandners Blick streifte die abgedunkelte Ecke seines Büros hinter der Couch am Seefenster. Seine Zimmerbar hatte er ihm schließlich besonders ans Herz gelegt. Das Geheimnis zum Erfolg mit den Frauen, seufzte Brandner nochmals, hatte der Opa leider für sich behalten. Eine Frau, Gustl, hatte der ihm im letzten Zug seines Atems und besten Bourbons noch auf dem Sterbebett anvertraut, sei halt wie ein Whiskey. Ohne sie gehe es nicht. Zu viel davon, hatte er gestöhnt und ausgetrunken, zu viel sei ungesund. Und weg war der Opa gewesen.

Brandner seufzte. Diesmal so vernehmlich, dass der Wachtmeister Birngruber schon herübersah. Zu viel war ja nun eben, dachte Brandner, nicht so ganz sein Problem, mit den Frauen. Er wippte nach vorne. Fixierte die Angel zwischen Sessel und Fenstergriff. Öffnete die Lade für Notfälle.

So ein Bürosonntag, fand der Inspektor, musste ja schließlich auch Vorteile haben. Einer davon war Pühringers Zirbengeist! Ein Traumsonntag. Endlich Ruhe am See. Glücklich nahm er noch einen Schluck und griff zur Angel zurück.

»Ein Batzen Erfolg gestern Nacht, gell?« Wie immer, der Birngruber störte die Stille. Der Birngruber Josef war zwar sein bester Wachtmeister, auch sein einziger, aber einer Meinung waren sie so gut wie nie. Erfolg?! Was für eine Nacht war das gestern gewesen. Drüben am Rathausplatz. Das Mordsgekreische, die vielen Fans, es lag dem Brandner noch in den Ohren. Heute, alles ruhig, Brandner war halbwegs zufrieden. Keine Verletzten, keine Toten, na ja, die üblichen Alkoholleichen halt.

»Ein Wahnsinn!«, begann der Seppi, »Wahnsinn, der Singcontest! Und dann erst die Schlager-Sissi!« Lustvoll schmatzend wickelte der sein Semmerl aus dem Papier. Der Duft von Leberkäse stieg dem Brandner in die Nase, auch an Unterhaltungen dieser Art war er leider gewöhnt. Irgendwann packte der Seppi dazu noch sein Fußballblatt aus, Alaba und die Bayern! Brandner liebte Fußball. Aber nicht sonntags, wenn es zum Fischen war! Sein gequälter Anglerblick streifte den See. Gmundner Singcontest, ha! Ein paar Schlagerdeppen kamen daher. Machten mehr Krawall als Musik. Natürlich gingen da die Saiblinge lieber auf Tauchstation als ihm an den Haken. Er konnte die Fische verstehen. Natürlich. Der Birngruber schlug sein Fußballblatt auf.

»Soll ja in Ischl geboren sein, deine Sissi«, meinte Brandner also. Aus purer Höflichkeit. Und um Seppis Fußballerei zu entgehen.

»Ach wo!«, schmatzte der Birngruber empört. »Bei uns geboren, Chef! Bei uns oben im Krankenhaus!«

»Die Ischler sagen, bei ihnen!«, beharrte er. Auch um den Seppi ein wenig zu ärgern. Seit Wochen ging der ihm schon auf die Nerven mit seiner Sissi-Manie. »Die Ebenseer schwören Stein und Bein. Eine original Ebenseer Hausgeburt, die Voglhuber Lisa! Sagen die Ebenseer!« Brandner grinste und schüttelte nur noch den Kopf. Alle waren auf einmal ganz narrisch mit der Voglhuberin, nur weil die jetzt ein Schlagerstar war.

»Wurscht«, schwärmte der Birngruber zwischen zwei Bissen. »Gmunden oder Ebensee. Ein Wahnsinnsweib, unsere Sissi!« Gestern hatte der Seppi einen Abend lang auf sie aufgepasst. Personenschutz für die Schlager-Sissi, hatte er jedem erzählt, der es hören wollte. Brandner wollte nicht. Er selbst hatte dem Birngruber ja den Auftrag dazu gegeben. Okay, auf der Bühne machte die Voglhuberin schon etwas her. Ein bisserl Bein, ein bisserl Po, sogar die Stimme war ganz gschma. Es waren die Fans, die ihm so auf die Nerven gingen. Das Gekreische zu Sissis Song. Der Rathausplatz hatte nur so gebebt von den hunderten Teenies, beinahe hätten die ihm noch die Bühne gestürmt. Dann kamen die Fernsehjurys. Die Stimmenauszählung. Die Reporter. Der Sieg! Sissis Song, dachte der Brandner. Ein Lied, schwupp, war man ein Star. Schon riss sich der ganze Ort den Haxn aus. Wütend konzentrierte er sich wieder auf die Angel, denn es schien ihm als rührte sich etwas da unten im See. Und da geschah es.

»Jessas! Das ist ja ein Riesentrum!« Er gab Leine und klemmte sich die Rute zwischen die Beine. »Ich geh schon!« Seufzend legte der Birngruber seine Semmel auf den Teller zurück und machte sich gewichtig auf den Weg. Immer dasselbe, der Chef und die depperten Fisch’! Hunderte hatte er für ihn schon aus dem Wasser geholt. Also hatte es der Birngruber Josef nicht wirklich eilig. Schließlich war Sonntag. Sollte der da oben ruhig ein wenig zappeln. Erst als der Wachtmeister schnaufend unten am Ufer stand und am Faden zog, der vom Fenster herab im See verschwand, erst da wurde dem Birngruber klar, was an der Leine hing. Himmelarsch, hätte der Brandner-Opa gesagt.

2.

»Mariandjosef!« Der Birngruber ließ sich aufs Bankerl fallen und bekreuzigte sich. »Nix anfassen, Chef! Die Spuren …«

»Schon gut, Seppi. Die bewegt sich nicht mehr!« Brandner war stehen geblieben und starrte ins feuchte Grab. Ein Hauch von Kleid klebte am bleichen Körper der jungen Frau. Blut hatte das weiße Negligee stellenweise zartrosa gefärbt. Nur der dunkle Lockenschopf ragte ein wenig aus dem knöcheltiefen Wasser heraus. Unwirklich ruhig schwebte das Haar auf der Wasseroberfläche. Umrahmte die bloßen Schultern wie ein dunkler Kranz.

»Schrecklich!«, wimmerte der Birngruber.

Jaja, nickte der Brandner. Ausgerechnet hier am Glücksplatzerl, wo sich all die knutschenden Paare trafen. Er hatte es kommen sehen. Brandner zog am Haken, die Locken verschwanden aus dem bleichen Gesicht. Birngrubers Bauch zitterte wie Espenlaub.

»Mariandjosef! Die Schlager-Sissi!«

Brandners Blick wanderte von der Wasserleiche über den See bis zum Traunstein. Die Frühlingssonne hatte sie eben noch herrlich gewärmt, nun verzog sie sich hinter die grauen Wolken. Er gab sich keinerlei Illusionen hin, sein Erholungsurlaub war nun in weite Ferne gerückt. Welch ein Fressen für die Presse: Die fabelhafte Sissi als Leich an der Schnur. Im Geiste zog James Dean an ihm vorüber, die Monroe, Lady Di. War nun die Schlager-Sissi unsterblich geworden? Kalt wie ein Fisch lag die Voglhuberin da.

»Alles meine Schuld«, zeterte der Birngruber. »Gestern hab ich sie noch zurückgebracht. Hier ins Hotel.« Da hatte der Seppi wohl nicht ganz unrecht, fand Brandner. Schließlich hatte er selbst seinen Wachtmeister zum Personenschutz abgestellt. Schlussaus! Mit Gewalt riss er sich vom traurigen Anblick des Wachtmeisters und der Leiche los. Weinen half da nicht weiter. Am wenigsten der Voglhuberin, der half ja nun gar nichts mehr.

Der Inspektor sprintete um das halbe Schloss bis zum geparkten Polizeiwagen. Beinahe hätte er im Innenhof auch noch den Heinerl vom Blitztaxi umgerannt. Der Chauffeur hielt einer betagten Dame die Türe auf, Direktor Schwan küsste ihr leidenschaftlich die Hand. Das hatten sie wieder nötig gehabt. Nun hatte das Schlosshotel Orth wieder aufgesperrt und sie hatten tagtäglich Touristen im Haus. Wahrscheinlich wieder eine Millionärin, ärgerte sich der Brandner und schnappte das rotweiße Absperrband.

Kurz darauf drückte er es dem Birngruber in die Hand. »Na, wird’s bald? Brücke absperren!«

Doch der saß wie betäubt am Bankerl und starrte den wohl geformten Rücken im Wasser an.

»Jetzt sperr halt endlich die Bruckn!«, herrschte er seinen Wachtmeister an. »Ich ruf die Linzer.« Das konnte er jetzt bei Gott nicht gebrauchen, dass der Seppi die Nerven so wegwarf. Wasserleichen, das war auch dem Brandner klar, fielen nicht in die Zuständigkeit der Salzkammergutpolizei. Er wollte die ganze Sauerei da so schnell wie möglich loswerden. Obwohl der Inspektor, wie nicht wenige im Salzkammergut, nicht allzu viel von den Linzern hielt. Erst recht nicht vom KfK, wie es amtlicherseits hieß, dem Kommando für Kapitalverbrechen. Die Deppen vom Leib und Leben, hieß es bei Brandner und Birngruber intern.

»Brandner hier, Salzkammergutpolizei«, seufzte der Inspektor, die Linzer Bereitschaft meldete sich. In wenigen Sätzen hatte er die Lage erklärt und wie immer nach Oberst Gruber verlangt.

»Schön«, flötete die dünne Frauenstimme.

Schön? Eine Leiche? Das wurde ja immer schöner da unten.

»Schön. Aber der Herr Oberst ist nicht im Haus. Schließlich ist Sonntag und …«

»Schön!«, unterbrach er die Kollegin vom Leib und Leben. »Jetzt passt’s mir einmal schön auf! Sonntag ham wir selber. Aber wir ham a Leich da! Direkt unterm Fenster, klar? Keiner ersauft von selbst im seichten Wasser. Sie schicken also das Mordkommando! Pronto, verstanden? Und überhaupt, mit dem Herrn Oberst bin ich per Du!« Er legte auf. Dieser Telefontussi hatte er es aber gezeigt. Beschweren würde er sich trotzdem beim Gruber. Wozu sonst kannte man sich von der Polizeiakademie?

Gleich nach Birngrubers Aufschrei unten am Ufer hatte der Brandner Frau Doktor Fuchs verständigt. Nun besah sich die Gmundner Amtsärztin die Leiche zu seinen Füßen. Der Birngruber hatte sich gleich auf das Bankerl gelegt und klagte laut über Übelkeit.

»Auf geht’s! Die Linzer kommen bald, da will ich fertig sein. Die wollen immer alles ganz genau wissen.« Fuchs drehte mit ihren Gummihandschuhen die Leiche im Wasser vorsichtig herum.

»Nicht schlecht«, kommentierte sie überrascht, Brandner wurde rot. Auch ihm war der große Busen nicht entgangen. Fuchs kniete sich dichter zur Toten und löste den Angelhaken vom Hinterkopf. Skeptisch sahen Brandner und Birngruber der Frau Doktor bei ihrer unverwechselbaren Praxis zu. Es war der fast tierische Einsatz ihres Riechorgans, der den Polizisten nicht recht geheuer war. Intern wurde die Frau Doktor deshalb nur Füchsin genannt.

»Riecht noch recht frisch«, stellte die Füchsin denn auch gierig schnuppernd fest. »Weiß man schon, wer sie ist? Vielleicht ein Hotelgast?«

»Lisa Voglhuber. Eine Sängerin«, bekannte der Brandner, möglichst um Sachlichkeit bemüht.

»Die Schlager-Sissi!«, entfuhr es der Frau Doktor erbost. »Großer Gott! Dass du von Musik nichts verstehst, ist mir ja klar.«

»Die Schlager-Sissi«, bestätigte er ohne darauf einzugehen. »Der Tod hat sie wohl kurz vor dem Einschlafen erwischt. Sieht ja schon bettfertig aus, so im Nachthemd.«

»Geh Brandner! Das ist ein Unterkleid.« Die Füchsin schüttelte geringschätzig den Kopf. Als ob er Spezialist für Damenunterwäsche wäre. Der Inspektor ärgerte sich. Wie denn auch? Er hatte ja nie Gelegenheit, sich diesbezüglich fortzubilden.

»Wer trägt denn heute noch so etwas?«, meinte Brandner verbissen. Doch die Füchsin reagierte nicht und räumte die schwarzen Haare ganz aus dem Leichengesicht.

»Wahrscheinlich ertrunken. Kein Wunder bei dem Gesöff …« Mit sichtlichem Ekel zeigte sie aufs Wasser hinaus. »Trinkwasser«, bemerkte der Brandner trotzig und deutete kaum einen Steinwurf entfernt auf die Boje, wo seine Stella auf den Wellen fröhlich vor sich hin schaukelte. »Alle Seen im Salzkammergut haben Trinkwasserqualität.« Ein halbes Leben lang hatte er darauf gewartet, dass die Bundesforste ihm eine Boje verpachteten. Jetzt ließ er sich von dieser Gschaftlhuberin auch nicht die Freude daran vertun. Nach jeder Bordmahlzeit wusch er wie alle Segler sein Geschirr im See. In heißen Sommern trank er sogar davon, wenn er beim Schwimmen besonders durstig war. Die Füchsin tat, als hätte sie seinen Einwurf nicht bemerkt, doch ein boshaftes Lächeln umspielte ihre Lippen.

»Ausgerechnet da«, meinte der Inspektor, nachdem er die Füchsin einige Zeit beim Hantieren mit ihren Metallwerkzeugen beobachtet hatte. Sein Blick fiel auf die hunderten in trauter Absicht an ein Schmiedegitter geschlossenen Vorhangschlösser neben der Toten. Aus aller Welt waren schon Liebespaare angereist und hatten sich hier in trauter Absicht verewigt. Mit Sprüchen wie Xaver liebt Uschi – Auf ewig Dein.

»Ausgerechnet am Liebesplatzerl«, nickte die Frau Doktor. »Das gibt Ärger! Todsicher.«

Brandner fand die Worte der Füchsin seltsam gewählt. Aber wahrscheinlich hatte auch sie sich, wie er, den Tourismuspräsidenten vorgestellt. Vor ein paar Jahren hatte der das neueste Glücksplatzerl des Salzkammerguts im TV noch groß präsentiert. Nun war es entweiht.

»Gemma, Burschen! Da kann ich nicht ordentlich arbeiten!« Wie eine Dirigentin vor ihrem Orchester wies die Frau Doktor die beiden Polizisten mit der untergehakten Leiche an.

»Dort auf die Trage. Und dann zur Brücke mit ihr!«

Brandner holte noch ordentlich Luft und nickte dem Seppi zu. Dann hoben sie die Tote wieder an. Da passierte es. Unter normalen Umständen wäre so eine Leiche alleine spielend zu halten gewesen, doch der Birngruber rutschte aus, und Brandner schaffte es in der Drehung gerade noch, zur Brüstung zu stolpern.

Nun hing die glitschige Sissi am Geländer, er schob keuchend an ihrem Hintern, damit sie ihm nicht wieder davonrutschte.

»Na sag mal! Deine Kleine, die will aber nicht!« Ein hoch aufgeschossener Mann mit niedriger rotblonder Stirn fotografierte sie von der Brücke herab. Brandner fragte sich, ob man das Bergen einer Leiche für einen Annäherungsversuch halten konnte. Schließlich trug er Zivil. Doch da ihm die Sissi zu entgleiten drohte, packte er sie gleich wieder ordentlich am Gesäß.

»Immer feste druff«, kam es feixend von oben.

»Gemma, Piefke! Auf Wiederschaun!«, rief der Brandner zurück. Wie kam der Mann da auf die Brücke? Wahrscheinlich hatte der Birngruber am Ufer wieder einmal nicht ordentlich abgesperrt.

»Ist ja wohl ein öffentlicher Weg hier! Ist das da eine Leiche?«

Mit ein paar Ordnungsrufen war der Depp da oben wohl nicht ruhigzustellen. Vertrieb man den nicht von der Brücke, hatte er ihnen bald alle Spuren versaut. Doch ließ er die Sissi los, dann segelte die gleich wieder ins Wasser zurück und sie mussten gar noch Polizei­taucher anfordern. Ein Läuten nahm dem Brandner die Entscheidung ab. Er stemmte sich gegen die ­Leiche und kramte nach seinem Handy.

»Jessas, ein Piefke«, knurrte der Birngruber schmerzverzerrt am Boden. »Hast leicht die Absperrung net gsehn?!«

»Kein Piefke. Sondern aus Oberbayern!«, begehrte der trotzig auf. Rot vor Zorn kraxelte der Birngruber unter dem Handlauf der Brücke hindurch. Schon steckte er fest. Der Deutsche knipste munter weiter.

»Jaja, beim Seeschloss …« Brandner senkte die Stimme. Schließlich brauchte der Rotschopf dort oben ja nicht alles Dienstliche mithören.

»Wissen Sie überhaupt, wer ich bin?!«

»Und wenn ma der Kaiser von China san!«, schrie der strampelnde Birngruber. »Jetzt pass einmal auf, du Grispindl! Nimm deine Haxn und hau di über die Häuser!«

»Sonst?«

»Sonst …«, der Birngruber schien zu überlegen. Endlich hatte er sich aus seiner Zwangslage befreit und begann sich hochzurappeln. »Gibt’s ein gschmalzenes Ordnungsmandat!« Der Deutsche wich etwas zurück, knipste noch ein paar Fotos und trat schleunigst den Rückzug an.

»Dorfpolizei«, kam es höhnisch aus Brandners Rücken. Die Füchsin lehnte mit verschränkten Armen an der Schlossmauer und sah vergnügt zu, bis er die Sissi endlich wieder ins Gleichgewicht gehievt hatte. »Gratulation! Jetzt ist die wirklich hin.«

Elegant turnte die Füchsin ans Wasser hinab, schob den immer noch keuchenden Brandner zur Seite und klappte den Koffer auf. Sie beugte sich über die Leiche und machte sich wieder gierig mit ihren Metallgeräten über ihr Opfer her.

Gerade die Füchsin, dachte der Brandner gekränkt, die musste doch immer gleich so deppert daherreden. Er ging zurück zum Liebesbankerl, um zu verschnaufen. Dann zückte er seinen Notizblock und tat, was er immer tat, wenn er am Ort eines Verbrechens war. Gustl Brandner zeichnete. Mit wenigen Bleistiftstrichen hielt er alles Wesentliche rund um die Leiche fest.»Da sind’s!«, rief der Birngruber. »Da! Die Chinesen!«

Brandner griff sich vom Seppi das Rohr. Tatsächlich. Ein Haufen Chinesen stieg aus einem Bus am Gmundner Ufer. Oder Japaner? Da kannte sich Brandner nie so ganz aus. Die fremdländische Schlange wälzte sich über die Esplanade und kam erst vor dem Eissalon zum Stehen.

»Jessas!« Der Inspektor setzte den Feldstecher ab. Kommen uns die Chinesen, hatte Stadtrat Deingast immer gesagt, dann geht’s erst los. Brandner war baff. Voller Weitblick hatte der Gmundner Gemeinderat Deal um Deal zugestimmt, alles abgenickt. Die neue Grünbergseilbahn lockte mit Wandern & Noodle süßsauer, der Feuerkogel mit Schi & Tai Chi. Sogar die neue Straßenbahn war international angelegt, eigene Übersetzer im Rathaus malten die Gmundner Fahrpläne also nun mit chinesischen Schriftzeichen aus.

»Ach wo!« Der Birngruber zog verächtlich die Nase hoch. »Alle weg bis zum Sommer!«

Nun ja, der Seppi machte sich da keinen Kopf, der war simpel gestrickt.

»Die bleiben uns, Seppi. Der Krapfenberger Toni versteht sein Geschäft!« Als Wunderwuzzi galt der neue Bürgermeister. Die Chinesen waren wohl nur der Anfang. Halleluja! Was da noch alles daherkam! Ernüchtert legte Brandner den Feldstecher zur Seite.

Jessas! Brandner schreckte auf und sah zur Brücke hinüber. Die nächste Prinzessin. Laut klackernd stöckelte eine junge Frau herüber zum Schlosshotel. Drei Mann im Schlepptau mühten sich ab, mit ihr Schritt zu halten. Brandner wollte eben den Birngruber wegen der mangelnden Absperrung zusammenpfeifen, da legte sich sein Ärger wieder. Die Dame sah gar nicht übel aus. Feine gebräunte Beine, braunes gewelltes Haar. Äußerst erfreulich sah die aus in ihrem blitzblauen Kostüm. Ganz seine Kragenweite. Er würde Milde walten lassen.

»Grüß Gott!«, kam es streng aus dem kirschroten Mund. Das Fräulein behielt ihre Hände bei sich, musterte aber ihn und den Birngruber mit Argusaugen.

»Servus! Fräulein …«, grüßte der Brandner leicht verwirrt.

»Frau für Sie«, knurrte sie knapp. »Frau Oberst Karl.«

Eine neue Frau Oberst? Brandner wunderte sich ja nicht zum ersten Mal über die Linzer, doch nun schickte die Tatortgruppe schon Schönheitsköniginnen daher. Jede Wette, dass dieses Fräulein hier noch ein Frischling war. Wie immer in peinlichen Situationen bekam der Brandner seinen roten Kopf.

»Dienst ist Dienst, was?«, blaffte Oberst Karl. »Sogar am Sonntag. Saß eben noch in der Vormittagsmatinee. Fantastischer Beethoven! Leider nur bis zur Pause.« Sie schnaubte wütend.

»Wo ist denn der Oberst Gruber geblieben?«, fragte der Inspektor vorsichtig.

»Kollege Gruber arbeitet schon Teilzeit, geht bald in Ruhestand. Wo ist der Patient?«

Brandners Blick wanderte zum Bootsplatz hinunter, wo sich die Füchsin noch immer an der Sissi zu schaffen machte. Mit unerbittlichem Fingerzeig befahl sie ihre drei Kofferträger zu sich, die begannen sich stumm anzuziehen. Für Brandner sahen sie in ihren weißen Ganzkörperoveralls beinahe wie Raumfahrer aus.

»Hat Sie schon jemand dort unten gesehen?« Die Frau Oberst deutete ans Gmundner Ufer hinüber.

Brandner verneinte.

»Damit das klar ist: Wir halten das Ganze noch geheim!«

Ihr strenger Ton schmeckte ihm gar nicht. Doch wenn er richtig gerechnet hatte, rangierte eine Frau Oberst drei Ränge über ihm. Brandner lenkte seinen skeptischen Blick nochmals zur Leiche. Dass Gmunden gerade voller neugieriger Touristen war, hatte die feine Frau Oberst natürlich nicht bedacht.

»Abdecken!«, befahl sie den stimmlosen Raumfahrern. Auf Kommando stapften die drei hinter der Frau Oberst zur Füchsin hinunter, wo sie warteten, bis die Frauen ein paar Worte gewechselt hatten. Im Nu bauten sie am Boden kniend eine Art Zelt rund um den Bootsanlegeplatz auf. Dann kreisten sie vom Ufer her mit blitzenden Fotoapparaten das bauchtiefe Wasser ab. Die Frau Oberst hatte fürs Erste genug gesehen und kam zur Brücke zurück. Kurz darauf folgte die Füchsin. Sie nickte Brandner nur kurz zu, etwas nachlässig wie er fand.

»Also, ich würde sagen, dass die seit vier bis acht Stunden tot ist. Das wäre zwischen ein und fünf Uhr früh.«

»Ist sie vergewaltigt worden?«, wollte die Frau Oberst wissen.

»Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Doch am Genick und Rücken hat sie ein paar Druckstellen.«

»Vielleicht ist der Täter vorher gestört worden. Da hat er sie dann zum Schweigen gebracht.«

»Es sieht überhaupt nicht nach Kampf aus«, entgegnete die Füchsin. »Jedenfalls hat sie sich scheinbar nicht gewehrt. Leichte Hämatome, dazu Schürfwunden auf der Brust. Von den Steinen.« Die Füchsin deutete ins seichte Wasser.

»Weiß man schon, wer sie ist?«

Die Füchsin sah zum Inspektor hin.

»Eine Sängerin«, warf er ein, zufrieden, die Identität bereits geklärt zu haben. »Lisa Voglhuber.«

»Meine Güte!«, rief die Frau Oberst aus. »Das ist doch nicht etwa …«

»Die Schlager-Sissi. Ganz genau.«

»Na kommen S’, Sie Talent!«, begann die Frau Oberst. »Aber zuerst ziehen wir uns schön brav die Uniform an, gell?« Gar nichts, dachte der Brandner, ziehen wir uns an, das tat er schon immer noch allein. Er platzte vor Zorn. Das mit der Uniform hatte auch noch die Doktor Fuchs unten an der Leiche gehört. Jetzt grinste die und steckte ihre perverse Nase wieder in die Leiche hinein. Weiberwirtschaft! Mit einem bösen Blick auf den Brückenbewacher Birngruber ging der Inspektor hinauf in sein Büro.

Wenig später stand er vor der Suite von Lisa Voglhuber, die über die Landesgrenzen hinaus als Schlager-Sissi bekannt war. Die Uniform zwickte ihn und nur das Zimmermädchen, das offenbar von der Rezeption hinaufgeschickt worden war, um allfällige Aufträge entgegenzunehmen, entschädigte den Brandner einigermaßen für den rücksichtslosen Einstand, den sich die Frau Oberst geleistet hatte. Das Mädchen hatte die Suite bereits aufgeschlossen. Nun saß sie wohl zur Bewachung des Eingangs auf dem geblümten Biedermeiersofa am Gang. Brandner lächelte, doch verabschiedete sie sich sofort stumm, vermutlich um ihrer weiteren Arbeit nachzugehen. Geknickt zog sich Brandner die Schuhe aus und betrat Sissis Suite.

»Nix da, Sie Talent!«, donnerte ihm die Neue entgegen. »Sie bleiben draußen. Mein Tatort, klar?! Und passen S’ auf, dass niemand reinkommt. Die meisten Spuren werden nämlich von Polizisten zerstört.« Oberst Karl hatte so laut geschrien, dass Brandner erschrocken an der Schwelle wieder zurücksprang. Na, Sie Talent!, äffte er die Frau Oberst nach, natürlich im Stillen. Und Tatort? Pah! Das war ja wohl noch etwas voreilig. Ernüchtert sank der Brandner auf das Sofa und schielte durch den Türspalt zur Frau Oberst hinein. Brandner kämpfte mit sich, um nicht in lautes Lachen auszubrechen. Karl hatte sich Gummihandschuhe über die Nagellackfinger und Einweglatschen über ihre Stöckelschuhe gestülpt. Der Rest der Frau Oberst war auch zur Raumfahrerin geworden! Auf Knien rutschte sie am Boden hin und her. Ein Blick auf sein Handgelenk zeigte bereits Mittagszeit. Bei dem Tempo ihrer Untersuchung konnte er ebenso gut eine kleine Pause einlegen. Brandner zog Rosis Jausenpaket aus der Uniformjacke, er bemerkte, wie hungrig er längst geworden war. Verflixte Weiberwirtschaft! Ein rechter Skandal war das! Wütend wickelte er Rosis Vollkornweckerl aus dem Butterbrotpapier. Früher hatten sie noch alles selbst geregelt, hier im Bezirk. Nun hatten sie also auch ihm so einen Papiertiger vor die Nase gesetzt. So eine Frau Chef in schickem Kostümchen! Statt dass der Herr Präsident endlich einmal den Ischler Posten besetzte. Da feierte der feine Kollege Gamperl ja schon seit Monaten Krankenstand. Er beugte sich wieder vor und sah durch den Spalt, wie die Frau Karl da drinnen am Boden herumkroch. Trotz des Raumfahreranzugs konnte er am gespannten Stoff die Umrisse des Obersten Hinterns deutlich ausnehmen. Mit einem Mal fand es Inspektor Brandner gar nicht mehr so schlimm, Wache zu schieben. Er brachte sich bequem in Position und gab Rosis duftendem Kalbslungenbraten den Rest.

3.

»Was ist denn da los?« Brandner schoss hoch, das letzte Gurkenscheibchen landete am Revers seiner Uniform. Die junge Frau stand mitten im Gang. Ein seidiger Morgenmantel, dachte Brandner, sonst nichts. Trotz ihrer Hornbrille sah er das Glänzen ihrer Rehaugen, ihren hellen Teint, wie Samt am zarten Hals, ihr ungeschminktes, fein geschnittenes Gesicht. Kurzum, Brandner sah Sterne, als Fräulein Klein vor ihn trat. Ein leichtes, doch vernehmliches Hinken passte als Einziges nicht ganz in dieses Bild. Sie zog das rechte Bein nach.

»Verzeihen Sie …« Brandner hatte sich erhoben und breitete seine Uniformarme vor der Türe zur Suite aus, die Dame hatte sich zielsicher darauf zubewegt. Es war klar zu erkennen, dass dieses Fräulein die Tote persönlich gekannt hatte. Dienst war Dienst, da setzte er nun besser sein Amtsgesicht auf. Typ scheues Reh, erkannte der Inspektor sogleich dank seines angeborenen Beschützerinstinkts. Natürlich war das Reh eingeschüchtert, er würde also zunächst einmal mit psychologischem Feingefühl an die Sache herangehen. Anstatt gleich mit der Mordsnachricht herauszuplatzen.

»Kann ich helfen?«, fragte er etwas freundlicher.

»Lucy Klein, ich bin die Assistentin von der Frau Voglhuber«, kam es hörbar besorgt vom Rehlein im Schlafrock.

»Unten getötet! … die wäre doch voll auf die Insel geklatscht.« Karls Telefonat drang vernehmlich aus der Tür. Brandner gab der Türe einen kleinen Schubs, sodass kein Spalt mehr blieb. Doch zu spät.

Mit einem sanften Aufschrei kam ihm das Fräulein entgegen. Sie sank vornüber. Geistesgegenwärtig ließ er sie neben sich auf das Gangsofa gleiten und tätschelte ihr behutsam die Hand. Da keine Reaktion kam, zog er kurzerhand den Notfalltropfen aus seiner Jacke, schraubte den Flachmann auf, kreiste und flößte damit dem Fräulein die übliche Dosis ein. Praktisch gesehen fiel ja nicht nur der Tatort, sondern wohl auch die Überbringung von Todesnachrichten nun in die Zuständigkeit der Frau Oberst.

»Was ist passiert?« Sie hatte den Aufschrei gehört und stand vor ihm.

»Sissis Assistentin. Sie haben laut telefoniert und Tod geschrien, da ist sie … – gegen den Schrecken«, fügte er noch erklärend hinzu und nahm vorsorglich selbst einen Zug, dann wanderte der Zirbenschnaps zurück in die Uniform. Die Frau Oberst wollte bereits zur Predigt ansetzen, da schlug Klein das erste Auge auf. Sie beugten sich über das röchelnde Fräulein.

»Großer Gott!«, schrie sie panisch. Verständlich, fand der Brandner. Auch ihm hatte die Frau Oberst als Raumfahrer zuerst ordentlich Angst eingejagt.

»Sie sind aufgewacht«, stellte Karl unnötigerweise fest.

»Meine Sissi?«

»Tot.« Diese Oberst, dachte der Brandner entsetzt. Die war wohl generell mehr der hartgesottene Typ. Psychologisch gesehen ziemlich verhaut, diese Karl Monika. Das Rehauge schloss sich wieder. Brandner war bereits dabei, erneut in seine Innentasche zu langen, da stemmte sich das Fräulein überraschend vom Sofa hoch.

»Mein Gott«, stammelte sie.

»Sehr gut«, urteilte die Frau Oberst zufrieden. »Wenn wir Sie jetzt bitten dürften. Der Inspektor führt sie hinunter. Frau Voglhuber wartet ja schon.«

Warten war der falsche Ausdruck, dachte der Brandner, wo es ja um eine Leiche ging. Die Schlager-Sissi da unten wartete höchstens noch auf die Ewigkeit. Doch das Fräulein nickte verwirrt und erhob sich. Wenn die ihm nur nicht gleich wieder zu Boden ging, dachte der Brandner. Seine Nase juckte bedenklich, und juckte die einmal, so kamen allerhand Sorgen auf ihn zu. Langsam ging es voran mit dem Fräulein, auch weil es einbeinig hinkte, das war ihm ja bereits aufgefallen. Endlich kamen sie an das Wasser.

»Nein«, flüsterte sie verzweifelt, als Inspektor Brandner bedächtig die Folie vom Gesicht der Leiche zog. Klarer Fall. Er hatte den Fernvideokurs Schockverhalten von Zeugen absolviert. Eindeutig. Der erste Schock. Er würde das ramponierte Fräulein versorgen müssen und griff wieder zum Schnaps.

»Sie ist es also«, fragte er sanft, mehr zur Bestätigung. Kleins Reaktion war schließlich eindeutig.

»Sissi«, murmelte die Assistentin, ohne noch einmal zum Wasser zu sehen. »Meine Schlager-Sissi …«

Gerade noch rechtzeitig konnte er sie wieder auffangen. Im Zurücksinken. Durch den dünnen Stoff waren ihre zarten jugendlichen Kurven zu spüren. Lange, zu lange, hatte sich der Brandner keiner schönen jungen Dame so vertraut gefühlt. Gar keinen Damen, kam es ihm in den Sinn. Doch hier war es anders. Schon im ersten Augenblick hatte er gespürt, dass dieses Fräulein etwas Besonderes war. Ganz besondere Augen! Nach etwas ganz Besonderem roch dieses Rehlein. Marillen! Lucy Klein roch nach reifen Marillen. Es drängte ihn, das wohlriechende Fräulein zu küssen. Natürlich beherrschte er sich.

»Darf ich?« Die Frau Oberst hatte den träumenden Retter unsanft beiseitegeschoben und winkte wieder ihre Raumfahrer herbei. Über den Zustand des Fräuleins schien die ja nicht allzu besorgt zu sein.

»Das wird schon wieder, Brandner. Bringen Sie sie zurück zum Hotel, die kümmern sich dann darum.«

Das Fräulein einfach so abgeben? An der Rezeption? Brandner war tief enttäuscht von Karls Herzlosigkeit. Er nahm das Fräulein nicht auf die leichte Schulter. Nachdem die Notfalltropfen gewirkt hatten und das Fräulein sein Bewusstsein halbwegs wiedererlangt hatte, schleppten sie sich Arm in Arm zum Hotel zurück. Gott sei Dank versprach ihm die Hausdame, das Fräulein Klein behutsam auf sein Zimmer zu bringen und bei ihm zu bleiben, bis er später käme, um nach ihm zu sehen.

Wieder am Fundort, beobachtete er, wie die drei Raumfahrer zum zweiten Mal das Wasser rund um das Glücksplatzerl abstreiften, die Frau Oberst hing schon wieder an ihrem Handy.

»Voglhuber … Schlager … berühmt«, konnte der Brandner hören.

»Ich wär’s dann.« Doktor Fuchs erhob sich und packte ihre Instrumente in die Arzttasche zurück. Sie kam zu ihm auf das Bankerl und zündete sich eine Zigarette an.

»Eindeutig ersoffen«, stellte sie fest und nahm einen tiefen genussvollen Zug. Von Schönreden hielt die Füchsin nichts, das war Brandner ja bereits bekannt gewesen. Endlich hatte auch die Frau Oberst zu Ende telefoniert und stieß dazu.

»Eindeutig Gewalteinwirkung«, fuhr die Füchsin fort. »An Genick, Hals und Hinterkopf. Offenbar wurde sie einfach unter Wasser gedrückt und scheint sich nicht gewehrt zu haben. Auch die Unterwäsche ist, wie gesagt, unversehrt.«

»Kein sexuelles Vergehen?«, fragte die Frau Oberst.

»Sieht nicht danach aus.« Die Füchsin zuckte mit den Achseln.

»Wann war sie tot?«

»Nach zwei Uhr. Es kann vielleicht auch schon fünf Uhr früh gewesen sein. Das kalte Wasser beschleunigt natürlich die Totenstarre, daher sind präzise Prognosen problematisch.«

»Meine Buben meinen, das Strömungsverhalten sei zu schwach. Es muss also direkt hier am Ufer passiert sein.« Die Frau Oberst deutete zum Wasser zurück.

»Gut möglich. Ich würde sagen, wahrscheinlich«, ergänzte Fuchs und hauchte den Rauch der Zigarette aus. Etwas seltsam, fand der Brandner. War das Opfer seinem Mörder wirklich freiwillig hierher ans Wasser gefolgt? Noch dazu im Unterkleid? Weder im Wasser noch am Kies war etwas von Schleifspuren zu bemerken.

»Wie gesagt. Genaueres weiß ich erst morgen nach der Obduktion.«

»Danke, Frau Doktor.«

»Also dann …« Die Füchsin deutete zur Leiche. »Aufs Tischerl mit ihr! Das heißt, wenn Sie mit der Dame nichts mehr vorhaben. Bringen Ihre Burschen sie mir hinauf zur Gerichtsmedizin?«

»Klar«, lächelte Oberst Karl lässig und schüttelte ihr die Hand. Die Füchsin warf ihren Tschick ins Wasser und nickte Brandner nur zu. Er verfolgte noch, wie sie am Schloss entlang über den Kies stöckelte. Aufregend beweglich schlüpfte sie unter der Absperrung durch. Na super. Zwei Frauen machten nun alles unter sich aus. Er stand daneben, wie ein Depp.

»Herrgott! Schrecklich!«

Erschrocken sah der Inspektor hoch. Direktor Schwan war von der anderen Seite um das Schloss gekommen und stand händeringend neben ihm. Völlig fertig sah der Hotelier in seinem englischen Tweedanzug aus.

»Dann stimmt’s also! Die Schlager-Sissi! Tot bei mir im Hotel!«

»Im Wasser«, korrigierte der Brandner und deutete zum Zelt mit den Raumfahrern. »Nicht oben in deiner Suite.«

»Wurscht, Brandner! Verstehst du denn nicht, was das heißt? Herrgott, stirbt mir die einfach weg! Da auf der Insel! Auch noch am Glücksplatzerl!«

»Besser nicht, Michi.« Er hielt ihn am edlen Stoff zurück, als der Direktor Anstalten machte, an das Wasser zu gehen. »Sie hat sich schon … ein bisschen aufgelöst.«

»Aufgelöst«, äffte der Schwan. »Aufgelöst hat die sich immer bei mir! Bei meiner Shiatsu-Massage. Weich war die, die Schlager-Sissi, ich sag dir … ein Traum.« Er knetete die Luft mit den Händen, wie um zu veranschaulichen, welche Gegenden der Verstorbenen ihn inspiriert hatten. Die Frau Oberst war vom Wasser gekommen und stand nun vor ihnen.

»Manche Gäste«, erklärte der Schwan lächelnd, »massiere ich nämlich persönlich. Schwan, ich bin der Direktor hier. Sehr erfreut!«

Höchst unangebracht war das, wie sich der Michi da aufführte. Scharwenzelte um die Frau Oberst herum, als läge keine zehn Schritte entfernt keine Leiche. Doch die Frau Oberst betrachtete den Schwan interessiert. Prompt setzte der noch sein Don-Juan-Lächeln auf. Da ließ die nun kein Auge mehr vom schönen Hotelier, und er nicht von ihr. Brandner kam sich vor wie in einem Groschenroman.

»Kommen S’, Brandner«, seufzte sie endlich. »Traummännlein. Jetzt lernen wir noch ein bisserl verhören!«

4.

Fragen verboten, hatte die Frau Oberst ausgegeben. Brandner überlegte noch, was ihn mehr ärgerte. Dass ihn diese Karl so herumkommandierte oder allgemein die neue Weiberwirtschaft bei der Polizei. Mit gesenktem Kopf trottete er hinter der Chefin in das Zimmer von Fräulein Lucy Klein. Plötzlich zuckte die Frau Oberst zurück. Etwas Dunkles flatterte ihnen um die Ohren.

»Ruhig, Lucius.« Das Fräulein, im Bett halb zugedeckt, hob ihre Hand. Brandner rieb sich die Augen. Eine zahme Elster? Ein Zwergrabe? Das seltsame Tier machte noch ein paar Krächzer und flog auf wunderbar sanfte Weise zum Fräulein zurück, wo Klein einen Käfig auf ihrem Nachttisch öffnete, in den Lucius hineinhüpfte. Sichtlich erschöpft sank sie auf den Polster zurück. Brandner bemerkte den feuchten Lappen auf ihrer Stirn.

Die Frau Oberst zog sich ohne zu zögern einen Stuhl ans Bett. Da es keinen weiteren gab, blieb Brandner schließlich stehen. Im Vergleich zu Sissis Suite nahm sich das Zimmer des Fräuleins ziemlich bescheiden aus.

»Also Fräulein Klein! Gestern Abend. Wie war das? Wo waren Sie?«

»Nun ja …« Sie griff sich an das Tuch auf der Stirn, um sich besser zu konzentrieren. »Sissi ist noch auf diese Aftershowparty gegangen. Ich bin aber lieber im Hotel geblieben.«

»Wo war die Party?«

»Ein Wirtshaus hier im Ort. In der Kirchengasse. Der Spies.«

»Erzählen Sie uns genau, wie der gestrige Abend verlaufen ist«, befahl die Frau Oberst sichtlich ungeduldig. »Also gleich nach Ende der Show.«

»Nun ja, die Sissi hatte gewonnen. Danach bin ich noch kurz mit ihr hinter der Bühne gestanden. Sie ging für die Ehrung noch einmal hinaus, sang ihr Lied ein zweites Mal. Das hat mindestens … es hat bis zirka dreiviertel elf gedauert. Dann ist die Sissi direkt zur Party gefahren, dieser Wachtmeister brachte mich im Tourbus zurück ins Hotel. Vielleicht gegen halb zwölf.«

Brandner nickte der Frau Oberst zu, der Birngruber hatte die Zeit ja bestätigt.

»Wo ist der Sissi-Bus? Ich habe ihn gar nicht gesehen auf dem Hotelparkplatz.«

Das Fräulein überlegte. »Dann ist wohl gerade die Vroni damit unterwegs. Ihre Schwester. Ich selbst …«, sie legte seufzend ihre Hand auf die Decke über der Hüfte, »ich darf ja nicht Autofahren.«

Brandner empfand Mitleid. Schon am Gang war ihm aufgefallen, dass das schöne und zugleich so traurige Fräulein ein Bein nachzog.

»Und dann?«, kam es scharf. »Wo waren Sie zwischen Mitternacht und fünf Uhr früh?«

Diese Frau Oberst! Die hatte das arme Fräulein nun erst so richtig verschreckt.

»Ehrlich gesagt«, fuhr Klein schüchtern fort, »ich war fix und fertig. Weil wir gewonnen hatten. Ich konnte nicht schlafen, war aufgekratzt. Da habe ich dann noch am Laptop gearbeitet. Die ganze Nacht.«

Na bitte! Das klang ja wohl mehr als verständlich. Brandner sah die Frau Oberst eindringlich an. Doch wie befohlen mischte er sich nicht in das Gespräch.

»Zeugen?«, fragte Karl knapp.

Nun traten gar Tränen in die Augen des Fräuleins. Sah die Frau Oberst denn nicht, dass das Rehlein schon kurz vor der nächsten Ohnmacht stand? Brandner konnte nicht mehr anders, er setzte sich demonstrativ zu ihr an das Bett. Wie konnte die Frau Oberst nur an Lucy Kleins Aussage zweifeln? Endlich schüttelte das Fräulein den Kopf und sah zu ihrem Laptop am Nachttisch, sie nickte ergeben. Die Frau Oberst klappte den Computer zusammen und nahm ihn wortlos an sich.

»Könnte Frau Voglhuber irgendwelche Feinde gehabt haben?«, fuhr sie etwas verbindlicher fort.