Sissis Tod - Bernhard Barta - E-Book

Sissis Tod E-Book

Bernhard Barta

3,9

Beschreibung

KAISERLICHES SCHAUSPIEL MIT TÖDLICHEN FOLGEN - der erste Fall von Inspektor Gustl Brandner Exklusiv: Mit 18 Zeichnungen des Autors! Mordalarm in der kaiserlichen Sommerfrische: Eine Leiche liegt unter dem Gipfel des Bad Ischler Siriuskogls. Eine Tragödie, denn es ist Hochsaison und die Tote ein berühmter Hollywoodstar. Eben noch drehte sie am neuen "Sissi"-Film über die österreichische Kaiserin. Der Fall seines Lebens für Inspektor Gustl Brandner. Unterstützt vom tollpatschigen Wachtmeister Birngruber ermittelt der Spross aus altehrwürdiger Dynastie am Filmset, am Stammtisch und in den hiesigen Nobelhotels - und scharrt tiefer und tiefer im Sumpf adeliger Kreise. "Unglaublich! Köstlich und treffend, wie meine Familie und Bad Ischl beschrieben sind!" Johann Habsburg-Lothringen, Urenkel des Kaisers Franz Joseph **************************************************************************************************************** LESERSTIMMEN: "Endlich etwas Neues im Krimigenre: Bernhard Barta schafft einen ganz besonderen Krimihelden, abseits klischeehafter Ermittler. Beschenkt mit einer großen, aber hochsensiblen Nase hat Inspektor Gustl Brandner in den meisten Fällen den richtigen Riecher. Ob ihm sein ausgeprägter Geruchssinn diesmal auf die Sprünge hilft und er "Sissis" Mörder finden kann?" "Gelungener Auftakt für eine amüsante Krimireihe im beschaulichen Salzkammergut!" "Bernhard Barta kann nicht nur gut schreiben, sondern hat auch ein beachtliches künstlerisches Talent. Insgesamt 18 originelle Zeichnungen schmücken seinen Alpenkrimi." **************************************************************************************************************** Bisher erschienen in der Krimireihe mit Inspektor Gustl Brandner: Sissis Tod Sissis Gold

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 260

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
3,9 (26 Bewertungen)
6
14
3
3
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Titel

Bernhard Barta

Sissis Tod

Ein Salzkammergut-Krimi

1.

„Franzl, nein!“ – die Frau brüllte aus vollem Hals. Im nächsten Moment landete Resi Gamsjäger unsanft auf dem Waldboden und der schlanke Jagdhund durchpflügte in wilden Sätzen das Unterholz.

Als sie wieder zu sich kam, glitzerten die Ischler Häuser unten im Tal wie Kinderspielzeug. Doch sie hatte kein Auge für die schöne alte Kaiserstadt an der Traun. „Franzl?!“ Panisch getrieben rannte die Resi den Siriuskogl hinauf durch die Bäume zum Aussichtsturm, von wo das Bellen kam. Der Wind stach ihr in die Augen und sie rutschte oft aus, denn die Morgenfeuchte klebte beharrlich am Koglwald. Dort unten, bei der Materialseilbahn, schlug der Franzl an. Fluchend kraxelte die Resi den Abhang hinab. An der Seilbahnstütze wurde sie schließlich schwanzwedelnd begrüßt.

„Jessasmaria! Sakrament!“ Da lag sie. Mitten im Moos. In panischer Angst riss die Resi den leckenden Franzl zu sich und haschte nach ihrem Mobiltelefon. Hals über Kopf machte sie sich von der Leiche davon.

Es war sechs Uhr neunzehn, als in Gmunden der Notruf schrillte. Wachtmeister Sepp Birngruber hatte Bereitschaft. Er war noch kurz am Austreten unter der Traunbrücke. Die Krügerl im Seehotel Schwan forderten ihren Tribut. Das war wieder nötig gewesen! „Aufs Haus! Damit das Dutzend voll ist!“, hatte der Schwan gelacht und dem Birngruber noch eines hingestellt. Er hätte gerne den Schmerz abgeschüttelt wie der Hund das Wasser. Er hielt sich den brummenden Kopf. Die Schwere blieb.

Nach seinem Bubengeschäft quälte sich der Birn­gruber die Treppe hinauf aufs Revier und Resi Gamsjägers vierter Anruf brachte die Polizeimaschinerie endlich in Gang.

„Bezirkspolizei Salzkammergut“, bellte er, „Birn­gruber!“

„Hallo!? Da ist die Resi ...“ Heftiges Schluchzen folgte. „Gamsjäger! Am Siriuskogl bin ich! Da ist die Leich!“ Schreckliches Weinen. Aufgelegt! Der Wachtmeister drückte die Rückruftaste, doch die Verbindung war tot. Mit einem Mal stocknüchtern rief der Birngruber beim Chef an. Wieso schaltete der auch das Diensthandy nie ein?! Naja, Sonntag war Sonntag! Überhaupt, der Brandner hasste ja jedes Telefon!

Rasch griff sich der Wachtmeister noch eine Wurstsemmel aus dem Kühlschrank, pfiff auf die Uniform und eilte zivil aus dem Büro. Wie ein gehetztes Reh lief er über den Rathausplatz. Am See wurde er langsamer, weil Mitte vierzig und mit respektablem Schwimm­reifen gesegnet, schnaufte über die Esplanade und endete im Schneckentempo vor der Villa Brandner auf Nummer zwölf.

Zur selben Zeit kämpfte Chefinspektor Gustav Brandner mit fünf nackten Männern im Lendenschurz. Ihm zu Ehren hatte man das schöne Feuer entfacht, der ganze Stamm war zum Festschmaus geladen, man erwartete eigentlich nur noch ihn. Mit einem Wort, ungemütlich war der Traum geworden, und er wäre wohl froh über Birngrubers Hilfe gewesen. Doch der drückte seit fünf Minuten zu ebener Erd den Klingel­knopf.

Rosi Marek hörte nichts, wie so oft. Laut singend und ohne Hörgerät schmeckte die Perle des Hauses das Sonntagsfrühstück ab, ihren legendären Kaiserschmarrn! Endlich fand Rosis Hand zum Türöffner. Breitbeinig wappnete sie sich zu Verdis Nabucco für ihre Standpauke in Sachen heiliger Sonntagsruh. Da kam das Ärgernis schon die Stufen zum zweiten Stock heraufgewankt.

„Mord, Mord …“, ächzte der Birngruber.

„Sakrament nu amal, Seppi! Was ist los?“, schnarrte die Rosi Teig rührend im rotweiß karierten Schürzenkleid. Sie stellte das Radio ab.

Kurz darauf weckten die beiden Chefinspektor Brandner unsanft im falschen Moment. Ein einziger Pfeil hatte ihm zum tollkühnen Abschuss des Häuptlings gefehlt. Statt dem stand plötzlich der dicke Birngruber vor ihm!

„Wir håm a Leich!“, keuchte der.

„Was heißt? Eine Leiche?“ Der Inspektor im Bett rieb sich die Augen.

„Na eine tote Leiche halt!“, rief der Birngruber ungeduldig. „In Ischl drüben! Eine Frau. Am Sirius!“

„Komm her, Birngruber!“, sagte der Brandner ruhig und kleidete sich bereits an. „Wer hat die Tote gefunden?“

„Die Resi, die Gamsjägerin!“

„Herrschaftszeiten!“, rief die Rosi erschrocken aus.

Auch das noch, dachte der Brandner. Die Frau vom Ischler Bürgermeister war Ebenseerin und daher für hysterische Anfälle bekannt.

„Hör zu, Seppi!“, bestimmte der Inspektor mit ruhiger Stimme. „Du rufst jetzt den Kollegen in Ischl an. Der Wachtmeister Gamperl soll hin, alles absperren! Und dann rufst du mir die Linzer von der Spuren­sicherung.“

Der Seppi nickte. Sie waren schon im Vorzimmer. Der Brandner schlüpfte in die Goiserer und streifte seinen Trachtenjanker über, den ihm die Rosi hinhielt.

„Was jetzt?!“, fragte die gute Seele und war noch ganz aus dem Häuschen. „Ich hab doch die frischen Rumzwetschken da!“

Gustl Brandner beschwichtigte die einzige Stütze seines häuslichen Reichs, welches ohne sie heillosem Chaos geweiht war. Dann trieb er den Birngruber, so gut es mit dessen Bauch ging, zurück zum Revier. Der würde bald eine neue Uniform brauchen, der Seppi, wenn er so weiterfraß, dachte der Brandner. Tatsächlich brauchte der Wachtmeister noch fünf Minuten, bis er vollständig adjustiert wieder zum Portal an der Traunbrücke herausgeächzt kam.

„Gemma, Seppi!“, rief der Brandner und trat aufs Gaspedal.

2.

Dreißig Minuten später raste der silbergraue VW Karmann-Ghia, Baujahr 1955, über die Ischler Hauptbrücke. Die Dienstwege waren lang geworden, seit man den Posten Bad Ischl und alle anderen im Salzkammergut dem Bezirkspolizeikommando Gmunden unterstellt hatte. Und somit dem Brandner. Krachend schaffte der Ghia die steile Waldstraße zum Siriuskogl hinauf. Sie parkten im Schotter vor der Hütte unter dem hölzernen Aussichtsturm.

„Griaß eich, Kollegen!“ Wachtmeister Gamperl salutierte nachlässig und verbarg seine Laune nur schlecht. „Hab schon gedacht, ihr kommt’s gar nicht mehr!“

„Was haben wir, Gamperl?“, fragte der Brandner gelassen. Vor der Absperrung zankten sich bereits erste Hüttengäste mit einem Bauern und bayerischen Wandertouristen um einen Schnappschuss.

„Da hinten liegt sie, die Leich“, grinste der Gamperl gfernzt und deutete zum oberen Gastgarten vor der Kulisse der Ischler Berge hinauf. „Schaut gut aus. A fescher Has!“

„Und? Wer ist sie?“ Brandner blickte streng.

Der Uniformierte zuckte mit den Achseln. „Keine Personalien. Aber das hab ich gefunden, Chef!“

Dieser nahm ihm wortlos den ausgebeulten Plastiksack ab, schlüpfte unter dem Absperrband rund um Turm und Hütte hindurch und stapfte mit seinen Gehilfen über den Schotter zur Holzbrüstung des Gastgartens. Von dort bot sich ein herrlicher Blick über das Ischler Tal.

„Da geht’s runter!“ Der Gamperl deutete zur Materialseilbahn am Ende der Brüstung. „Gleich nach dem Anruf vom Kollegen Birngruber …“, schnaufte er, als sie vorsichtig die Böschung hinabstiegen, „hab ich die Frau Bürgermeister mit einem Schnapserl versorgt und den Tatort abgesperrt.“

„Fundort“, verbesserte der Brandner.

„Fundort“, wiederholte der Gamperl.

Sie erreichten den ersten Pfeiler der Seilbahn und tasteten sich herum. Da lag sie. Ein gefallener Engel im Morgenlicht. Zart gebaut, doch mit zutiefst weiblichen Rundungen sah die Tote noch sehr lebendig aus. Das schwarze Abendkleid war nach oben gerutscht, Brandner und Birngruber wendeten sich taktvoll ab.

„Stimmt schon!“, grinste der Gamperl. „Das Höschen fehlt!“

Eingehend betrachtete der Inspektor das schöne, von dunklen Locken gerahmte Gesicht und roch daran. Geronnenes Blut, alter Schweiß, doch da war noch etwas …

Gustl Brandner war ein Nasenmensch. Schon als Kind hatten ihn die Mitschüler gehänselt, wenn der Gustl aufzeigte, um dem Lehrer zu melden, dass gleich wieder „ein Lustiger einen Koffer abstellen“ werde. Später hatte der Familienhausarzt an seiner Nase hochsensitive Geruchswahrnehmung diagnostiziert.

„Geh, Birngruber!“, sagte er. „Komm her! Riech einmal!“

Der Bär von einem Wachtmeister mühte sich auf die Knie und näherte seinen Zinken der Toten.

„Alkohol“, sagte der Brandner und witterte weiter durch Auf und Ab seiner Nasenflügel. „Und Parfüm. Strenge Note. Vielleicht sogar zwei verschiedene. Was meinst du?“

„Riech nichts. Tut mir leid, Chef!“ Zerknirscht rappelte sich der Birngruber auf. Brandner blickte nach oben. Zehn Meter über ihnen lag die Hütte mit dem Gastgarten. Er deutete Birngruber und sie stapften wieder hinauf. Gamperl seufzte und folgte ihnen.

Vor dem Hütteneingang fanden sie einen leutseligen jungen Mann.

„Bin der Koglwirt!“, stellte sich der Ziegenbart­träger mit zerknautschter Stimme vor.

„Sie haben also die Frau Bürgermeister gefunden?“, fragte der Brandner. Mit einer abwehrenden Geste, als wolle er alles Übel der Welt von sich schieben, nickte der Wirt verbissen und begann zu erzählen.

„Plötzlich ist die Gamsjägerin da herumgerannt! Hat geheult! Da bin ich halt aufgewacht und heraus.“

„Wann war das?“, wollte der Brandner wissen.

„Na so um sechs. Viertel nach vielleicht. War ja noch im Bett. Für normal geh ich da schon die Ziegen füttern! Aber heut wollt ich ausschlafen. Gestern ist’s spät geworden. So viele Gäste im Garten!“ Zufrieden zeigte er auf den Stapel leerer Weinkisten vor der Tür.

„Wie spät?“

„Na weit nach Mitternacht, eins vielleicht“, grinste der Wirt. „Hatte lauter Dirndln da, eine Polterei! In der Früh hab ich sie dann gehört, die Narrische. Hab ihr einen Nussschnaps serviert. Wirkt immer bei der Gamsjägerin!“ Den lachenden Helden schien das Ganze mit einem Mal furchtbar zu amüsieren.

„Kann ich jetzt gehen? Bald kommen die ersten Gäste. Koch ja selbst hier!“ Stolz deutete er auf sein Reich, den gepflegt geschotterten Gastgarten mit dem herrlich blühenden Duftkräuterbeet rund um den Aussichtsturm.

„Wo ist die Frau Gamsjäger jetzt?“, fragte der Brandner.

„Drin sitzt’s. Und sagt kein Wort!“

Der Brandner überließ dem Gamperl das Weitere, der nahm mürrisch die Personalien auf. Als Ischler Einmannbetrieb fühlte er sich wieder einmal wie der Lehrbub vom Dienst.

Resi Gamsjäger kauerte im hinteren Eck der Hütte. Dort saß sie auf der Holzbank am Fenster zum Schweinestall hinaus. In eine dicke Wolldecke gehüllt, stierte sie am Sanitäter vorbei, der setzte ihr abwechselnd das Blutdruckgerät und die Schnapsflasche an. Seit drei Jahren war Resi die Frau des Ischler Dorfkaisers Hans Gamsjäger. Der hatte die Resi in Altmünster auf der dortigen Bauernbühne kennengelernt. Als Lorelei. Am Premierenabend hatte die Sekretärin dann so richtig brilliert. Nach der Vorstellung. Im Bett des Bürger­meisters!

So gut hatte die Resi ihre Rolle gespielt, dass sich der Gamsjäger umgehend scheiden ließ und sein Pressesprecher ebenso umgehend bekannt gab, dass der Herr Bürgermeister heiratet! Zum vierten Mal. Zum letzten Mal. Zum allerletzten Mal! Am Stammtisch wettete man freilich schon wieder, wann der Gamsjäger das nächste Mal aushatschen werde.

Inspektor Brandner blickte den Sanitäter fragend an, doch der schien erleichtert, die originelle Zeugin endlich der Polizei übergeben zu können.

„Geht’s?“, fragte der Brandner und reichte der Resi sein Taschentuch. Die Resi nickte und wischte sich dicke Tränen aus ihren roten Augen. Einst gefeierte Bühnen­heldin, saß sie nun als Häufchen Elend vor ihm.

„Der Franzl braucht ja in der Früh seinen Auslauf“, begann sie klagend. „Wir sind also von zuhause den Ochsenweg rauf. Wie immer.“

Der Birngruber setzte sich daneben, schaltete das Mikro des iPads ein und tippte mit.

„Neumodernes Zeug“, murmelte der Brandner für sich und zeichnete Resis hübsches Pausbackengesicht fix wie ein Straßenkünstler in sein Notizbuch hinein. Wilderer, Banker, schrille Sirenen … Sein Büchlein hat­te es im Laufe der Jahre zu einer ansehnlichen Galerie krimineller Figuren gebracht.

„Gerade hab ich den Franzl noch einmal Gassi geschickt, da reißt sich der los!“ Resi schluchzte heftig und rief nach Schnaps. Der Brandner hielt ihr die Flasche hin.

„Ich hab ihn bellen gehört“, fuhr die solcherart beruhigte Zeugin fort. „Da unten bei der Seilbahn. Da bin ich halt runter! Da ist die gelegen! Ab dann weiß ich nichts mehr. Der Wirt hat mir ein Stamperl Nuss eingeschenkt und mich da nach hinten zu den Schweinen gesetzt. Dort würd’s mir gleich besser gehen, hat er gemeint ...“

Hinter Resis wogendem Dekolleté senkte sich ein kleiner Polizeihubschrauber auf den Schotterplatz vor dem Aussichtsturm. In einer Minute, dachte der Brandner, würden sich die Spurensicherer über den ganzen Kogl hermachen.

Oberst Gruber, der Leiter des Linzer Landeskriminalamts persönlich, stand in der Tür und winkte dem verblüfften Inspektor zu. Brandner bedeutete dem Birngruber, mit der Einvernahme fortzufahren, und folgte nach draußen.

„Servus, Gustl! Was haben wir?“, grüßte der Oberst.

„Ich komme auch eben aus Gmunden, Werner. Das haben wir bei der Toten gefunden“, begrüßte er Gruber verlegen und hob Gamperls Plastiksack, den er immer noch in der Hand hielt.

Sie setzten sich an einen der Holztische und leerten die Fundstücke darauf aus. Eine elegante Handtasche, schwarz mit Pailletten, kam zum Vorschein. Darin lagen ein Clip mit vierhundert Euro in Hundertern und eine Handvoll Visitenkarten männlicher Personen, darunter drei Herren, die Brandner bestens bekannt waren. Karl Grinser. Kurdirektor Bad Ischl. Der Schwerenöter steckte bekanntlich allem, was einen Rock trug, seine Karte zu. Hans Sandgruber, Präsident von Sandgruber & Sons International und Ernst von Moosberg, Fine Arts Schlosseinrichtungen en gros – en détail. Fein gedruckt stand es auf weißem edlen Papier. Der Brandner musste unwillkürlich schmunzeln über den Stammtischfreund.

Zuletzt fischte Gruber mit dem Plastikhandschuh ein kleines braunes Papierpaket aus dem Sack. Bussibussi, Dein J stand direkt unter dem Logo der Ischler Konditorei Zauner in schön geschwungener Federschrift.

„Da hatte jemand einen Verehrer!“ Der Oberst grinste anzüglich, dann wurde er ernst. „Weißt du schon, wer sie ist?“

Brandner schüttelte den Kopf. „Wieso bist du selbst da, Werner?“, fragte er endlich.

„Hm ...“ Der Linzer druckste herum. „Sagen wir, ein Bürgermeister fühlt sich etwas unwohl. Will, dass ich euch auf die Finger schau …“

Typisch Gamsjäger, dachte der Brandner. Natürlich hatte die Resi ihren Mann gleich nach dem Fund angerufen.

„Du weißt, Gustl, wie das so ist bei uns. Mit der Politik ...“, fügte Gruber resignierend hinzu.

Der Brandner nickte grimmig und verstaute die Habseligkeiten der Toten wieder im Sack. Gruber holte einen der weißen Tatortoveralls aus dem Heli und reichte ihn dem Inspektor mit versöhnlichem Blick. Dann trennten sie sich. Der Oberst instruierte seine Leute, die noch ein wenig warten mussten. Denn unten machte sich die Gerichtsmedizinerin an der Leiche zu schaffen.

„Griaß di, Frau Doktor!“, grantelte der Brandner, als er wieder hinuntergestapft kam. Er war kein Sonntag­morgenmensch.

„Gustl, mein Lieber! Gestern wieder versumpft, hm?“ Sie häkelte ihn wie üblich.

„Nur du siehst blendend aus“, brummte er. Die blonde Füchsin – er nannte sie nur im Stillen so – trug diesmal Creme und Rehbraun unter dem hautengen Overall, der ihre Vorzüge eher hervorstrich, als sie zu verbergen.

„Ausreichend Schlaf. Frischer Karottensaft. Nette Gesellschaft!“, grinste sie spitzbübisch. Am Stammtisch kursierten so viele Fuchs-Geschichten, dass er längst den Überblick verloren hatte. Zurzeit munkelte man über ein Gspusi mit Bezirksrichter Beugner und dem Linzer Polizeipräsidenten.

„Also, was haben wir?“, fragte Brandner sachlich.

Die Füchsin leckte die sinnlichen Lippen, zog an ihrer Muratti und hauchte ein Kurzprotokoll.

„Gestorben zwischen acht und zehn, würde ich sagen. Sieht noch verdammt gut aus, die Kleine. Genickbruch vom Sturz. Scheint so, als sei sie vom Gastgarten geschubst worden.“ Sie deutete über die Bergwiese zur Koglhütte hinauf.

„Wieso geschubst?“, wollte Brandner wissen. „Was ist mit Unfall oder Selbstmord?“ Berücksichtigte man den Fundort, so musste sie etwa von der Fahnenstange in der Mitte der Brüstung gestürzt sein, hatte sich am steilen Wiesenhang überschlagen und war auf der kleinen Ebene vor der Seilbahnstütze zum Stillstand gekommen.

„Der Genickbruch vom Sturz“, fuhr Fuchs fort, ohne auf seine Selbstmordtheorie einzugehen, „wäre schon tödlich gewesen. Allerdings war sie wohl schon vorher hinüber!“

„Bist du sicher?“

„Gustl!“, schimpfte die Füchsin, ihr Blick verfinsterte sich in gekränkter Berufsehre. „Die Leichenstarre ist schon seit ein paar Stunden eingetreten, und vor allem die ersten Totenflecken traten schon eindeutig früher auf als nach Mitternacht.“

„Außerdem …“ Sie zog ihn neben sich auf die Knie ins weiche Moos. „Da gibt’s noch was anderes.“ Ihr Flüstern ließ sein Ohr wohlig warm anlaufen, sie kraulte ihn kurz zärtlich am Genick und drängte seinen Blick zur Leiche.

„Schau hin, Gustl!“, hauchte sie.

Da bemerkte er es. Das Gesicht war stellenweise gerötet, vor allem am Hals. Knutschflecke!

„Würgemale am Hals und Schleifspuren am Rücken! Wohl eine heiße Nacht …“

Fuchs grinste frivol und paffte ihm mitten ins Gesicht.

„Was ist mit DNA-Spuren?“, fragte er aufgebracht und erhob sich abrupt von der Leiche.

„Genaueres kann ich dir erst nach der Untersuchung sagen!“, pfauchte Frau Doktor. Sie blies den letzten Rauch in die kühle Morgenluft und dämpfte ihre Muratti genau neben der Leiche aus. Der Brandner lief rot an und ärgerte sich darüber.

„Füchsin!“, dachte er, „eines Tages kriegen sie dich!“

„Wie nennst du mich?!“ Ihr Ton war schneidend.

Er hatte es laut gesagt, es war ihm einfach herausgerutscht.

„Kennst du die Tote? Wir haben keine Personalien“, meinte er obenhin und hoffte, sie ließe es durchgehen. Insgeheim faszinierte ihn ihre Missachtung aller kriminaltechnischen Vorschriften.

„Nicht jeder trägt Ausweis, Schatzi!“, meinte sie spöttisch und machte eine kunstvolle Pause.

„Vera Kaprisky! Die neue ‚Sissi‘ vom Film!“

Damit ließ sie ihn stehen, packte das Arztköfferchen und stöckelte in ihren knallgelben Pumps den Abhang hinauf.

Brandner blieb zurück und starrte in das bleiche Gesicht. Natürlich! Die Ischler Woche hatte die Story gebracht. Der Filmdreh! Eine internationale Coproduktion belebte im Kaiserdorf Ischl die letzten Jahre der österreichischen Herrscherin. Ab ihrem einunddreißigsten Lebensjahr hatte Elisabeth niemandem mehr erlaubt, sie zu fotografieren, in den „Sissi“-Filmen war ihre jugendliche Schönheit endgültig zum Mythos geworden. Nun ließ man sie endlich altern, die ewig untote Kaiserin. Diese Kaprisky hatte die Hauptrolle gespielt in „Sissis Tod“. Wie passend, dachte der Inspektor und blickte zur Leiche vor seinen Füßen hinab.

Der Totenschein! Rasch kraxelte der Brandner hinter der Füchsin die Wiese hinauf. Er hätte sich die Eile getrost sparen können. Frau Doktor erwartete ihn und sah rauchend und grinsend durch das heruntergekurbelte Fenster zu, wie er sich die Böschung heraufmühte.

„Gustl? Die Obduktion. Ich brauch drei Tage!“

„So lange?“, knurrte er. „Und der Totenschein?“

„Schick ich dir“, versetzte sie hämisch. „Hast ja eh genug zu tun! Besser du findest jetzt mal den Mörder! Das wird noch ein Riesenskandal!“

Sie gab Vollgas mit ihrem Opel Kadett GSI 16 V, ein Dankeschön ihrer jüngsten Affäre, einer Ralley-Legende. Schotter spritzte vor seinen Beinen und schon war die Füchsin zwischen den dunklen Baumreihen dahin.

Recht hat sie ja, dachte der Brandner und blickte in tiefer Sorge zur Leiche hinab. In einer Woche war Kaisergeburtstag. Dann wimmelte es hier vor sensationsgeilen Reportern. Hochsaison für die Schaulustigen! Der kleine Hügel hatte mit einem Mal traurige Berühmtheit erlangt.

Er zuckte zusammen, es tippte jemand auf seine Schulter.

„Ich wär so weit, Gustl!“ Der Zebauer rieb sich geschäftig die Hände.

„Ach du bist’s!“, grüßte Brandner. „Wo hast denn die Mannschaft?“

Der umtriebige Dorfbestatter trat normalerweise nur in Begleitung seiner düster gekleideten Gehilfen auf.

„Ach wo! Die Kleine da schupf ich auch so!“, prahlte der Todesspezialist. Großtuerisch reckte er den Arm in die Höhe und ließ seinen Bizeps spielen. Hinter dem Absperrband stand mit laufendem Motor der alte schwarze VW-Kleinbus. Statt gelber Käsekrainer wie einst für „Zebi’s feinen Würstelstand“ im Ischler Vorort Pfandl prangte nun ein weißes Kreuz auf dem schwarzen Lack. Vom Zebauer selbst künstlerisch gestaltet. Mittlerweile gehörte ihm das Salzkammergut­sterben komplett. „Wer erben kann, der kann auch zahlen“, lautete Zebis Devise. Wir haben immer eine Idee, hieß es im hauseigenen Bestattungsmagazin „Der hölzerne Sarg“. Für Zehrungen vermittelte Zebauer gleich Würstel mit Saft oder Kesselfleisch, auch das passende Festzelt baute er gerne dazu. Auf Wunsch auch im Pfusch!

„Heut wird’s nix, Zebauer!“ Der Brandner tätschelte dem kleinen Mann tröstlich die Schulter. „Die kommt zur Doktor Fuchs. Auf die Gerichtsmedizin!“ Mit hängenden Schultern schlurfte der Bestatter zurück zum Bus.

Inzwischen verrichteten die weiß gekleideten Beamten an der Fundstelle ihr trauriges Tagewerk. Sie schossen Bilder, erst in der Totalen, dann folgten Detailaufnahmen rund um den Körper. Brandner setzte sich an den Waldrand ins Moos und schaute aufmerksam zu. Auf eigens ausgerollten Plastikplanen bewegten sich die Linzer Stück für Stück von der Leiche weg und untersuchten jeden Quadratzentimeter des Wiesenbodens. Danach wurde nochmals fotografiert.

„Kleidung und Schuhe nehmen sie der Toten erst auf der Gerichtsmedizin ab“, erklärte Gruber. „Aus Pietätsgründen!“

Der Brandner nickte. Das Landeskrankenhaus Gmunden hatte ein ausgezeichnetes Labor. Nachdenklich stapfte er wieder die Böschung hinauf. Nach über drei Stunden packten die Linzer unten ihre Geräte zusammen und kamen zum Hütteneingang, wohin der Magen den Brandner schon nach der ersten Stunde getrieben hatte. Er tunkte mit dem Frankfurter Würstel den letzten Senf vom Teller.

„Fertig, Chef!“, ächzte der Birngruber aus der Tür tretend und holte seinen Flachmann heraus. „Jetzt brauch ich auch einen Schnaps!“

Die Gamsjägerin hatte ihm bis jetzt Geschichten erzählt.

„Was nun?“

„Jetzt fliegst du nach Haus!“, lachte der Brandner, der wusste, dass der Seppi für sein Leben gerne mit der Balloon & Airship Company über den Wolfgangsee flog. „Hab mich erkundigt, Seppi. Die Linzer machen in Gmunden Station zum Auftanken. Ein Sitzplatz ist frei!“

„Darf ich?“, fragte der Alpenstürmer aufgeregt.

Der Brandner grinste. „Ich warte mit dem Gamperl auf die Gerichtsmedizin. Die Kollegen holen die Leich ja gleich. Und Seppi, du machst dich sofort an die Recherche! Die Tote heißt wahrscheinlich Vera Kaprisky! Schauspielerin! Deutsche, glaube ich. Alles liegt auf meinem Schreibtisch, wenn ich komme! Klar?“

„Klar, Chef!“ Euphorisch tippte der Wachtmeister auf seine Dienstkappe und kletterte in das kleine Teufelsding, das der Brandner im Leben nicht freiwillig bestiegen hätte. Er drückte Oberst Gruber und den Linzer Kollegen die Hand, dann winkte er lächelnd seinem gewichtigsten Mitarbeiter, als der federleicht in die Lüfte ging.

Kaum zehn Minuten später kämpfte sich der Wagen der Gmundner Gerichtsmedizin die Waldstraße herauf. Während der Gamperl schon zahlreiche Schaulustige vor der Absperrung in Zaum hielt, kletterte der Brandner mit dem Arzt und dem Zivildiener wieder zur Leiche hinab. Vorsichtig packten sie die schöne Vera in den Kunststoffsarg. Doch Brandner bat sie noch kurz zu warten und zeichnete die Tote rasch in sein Notizbuch. Immer noch lag dieser Zauber in ihren Zügen. Zweifellos war sie etwas Besonderes gewesen. Ein letztes Mal sog er den Geruch von Leiche und Wald tief in seine Spürnase auf und prägte sich alles ganz genau ein. Da bemerkte er das iPhone zu seinen Füßen – es war ihm wohl beim Bücken herausgefallen. Kopfschüttelnd verstaute der Inspektor sein Telefon in der Rocktasche und wunderte sich wieder einmal sehr über sich selbst. Dann stapfte er hinter dem kleinen Trauerzug her zum Auto zurück, wo ihn der Gamperl schon ungeduldig erwartete.

3.

Es war kurz nach zwölf, als Chefinspektor Gustl Brandner auf dem Gmundner Revier an der Traunbrücke eintraf und sich schnurstracks ins Büro begab. Birngruber war nirgends zu entdecken und der Chef setzte sich nachdenklich an den Schreibtisch. Konzentriert betrachtete er die kleine Skizze im Notizbuch, als könnte ihm die Tote noch etwas erzählen. Was hast du nur gesucht? Dort oben. Flüsterte er ihr in Gedanken zu. Den Mythos des Todes? Wie unsere Kaiserin? Warum das elegante Abendkleid? Warum die hochhackigen Pumps dort oben im Wald?

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!