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In der New Yorker Carnegie Hall wird ein Violinkonzert aufgeführt, da kommt es zu einem Eklat. Der Geigenvirtuose Laster soll ein Solo improvisieren, doch stattdessen legt er sein Instrument nieder und hebt an zu einer Hommage an Schneidermann, den Komponisten des Stücks. Schneidermann ist nach dem letzten gemeinsamen Kinobesuch verschwunden. Vor der versammelten New Yorker High Society - darunter seine Exfrauen und deren Anwälte - erinnert Laster sich an all das, was die beiden durchlebt haben: Holocaust, Krieg und das Exil in Amerika. Mit seinem Loblied auf die Freundschaft fesselt er sein Publikum bis in die frühen Morgenstunden.In seinem Debütroman entwirft Joshua Cohen, einer der originellsten Autoren der jungen Generation und Absolvent der Manhattan School of Music, ein ungewöhnliches Künstlerporträt. Zugleich gibt SOLO FÜR SCHNEIDERMANN die Bühne frei für eine wilde Suada voller komischer Momente.
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Seitenzahl: 687
Inhalt
[Cover]
Titel
Motto
Solo für Schneidermann
Danksagung des Übersetzers
Autorenporträt
Übersetzerporträt
Über das Buch
Impressum
Alle Geräusche der Zeitlichkeit seien in meinem Stil gefangen. Das mache ihn den Zeitgenossen zum Verdruß. Aber Spätere mögen ihn wie eine Muschel ans Ohr halten, in der ein Ozean von Schlamm musiziert.~Musik bespült die Gedankenküste.Nur wer kein Festland bewohnt, wohnt in der Musik.Karl Kraus
Solo für Schneidermann
Ein Epigramm ist nichts als ein Witz, der in der Carnegie Hall zum Besten gegeben wird.Oscar Levant
KADENZ, italienisch, aus altitalienisch cadence, bedeutet so ziemlich dasselbe wie in dieser Sprache und ist ein musikalischer Fachbegriff (lässt man die militärischen Definitionen mal beiseite), ein Substantiv.
Eine Solopassage, in der ein Interpret seine Kunstfertigkeit zur Schau stellen soll.
Eine beiläufige Feuerwerksfanfare, eine Tangente ohne Taktmaß, ein Höhenflug im Brillantissimo.
Bezeichnet heute den Abschnitt eines Konzerts, üblicherweise am Ende eines I. Satzes, der dem Solisten und einzig und allein ihm vorbehalten ist, das Orchester ist verstummt, damit der Solist ohne Begleitung die Beherrschung seines Instruments präsentieren kann.
Dann endet die KADENZ, wobei der Solist den Abschluss oft mit einem langen Triller signalisiert, das Orchester setzt wieder ein und beendet den Satz.
Ursprünglich war eine KADENZ allerdings eine Gesangsverzierung, deren Praxis erst später in die Instrumentalmusik überging.
In der Oper wurden KADENZEN von Sängern als Fiorituren in Arien improvisiert – die Aufführungspraxis gestattete pro Arie drei KADENZEN oder Melismen (wie diese Gesangskoloraturen auch genannt werden), wobei die dritte die kunstvollste war.
Mich interessierte an der KADENZ zunächst, dass mein Freund, der Pianist Alexander Wald – dem ich Schneidermann widme –, sie in einer Plauderei als »längere Solopassage im Stil einer Improvisation« (Hervorhebung von mir) definierte.
Das heißt – so führte Wald aus –, die KADENZ wurde ex tempore gesungen oder gespielt, allerdings nur bis zum Aufkommen der Romantik (und dem mit ihr einhergehenden Aufkommen der berühmten virtuosen Instrumentalisten). Seit dieser Epoche schrieben die Komponisten sie im Stil einer Improvisation nieder, einem Stil, der einen Gutteil seiner Ausdrucksmittel von der Instrumentaltechnik übernahm.
Das heißt, die KADENZ richtete sich mehr auf die instrumentale Selbstdarstellung und weniger darauf, dass der Solist das thematische Material einer Komposition ergründete.
Irgendwann komponierten Dritte – die berühmten Virtuosen höchstpersönlich – ihre eigenen KADENZEN, schrieben sie oft als spezielles Übungsmaterial oder für ihre Schüler, und manche verbreiteten sich so weit und wurden so geschätzt, dass man heute meinen könnte, sie wären vom Komponisten des Konzerts schon in der Originalpartitur festgehalten worden; ein bedeutendes Beispiel ist Joseph Joachims KADENZ zu Brahms’ Violinkonzert, die später – zumindest für mein Ohr – von Heifetz’ KADENZ übertrumpft wurde.
Heute spielen nur noch sehr wenige Virtuosen Beethovens oder Mozarts KADENZEN – die ihre Entstehung ihrerseits der Improvisation in der großen Tradition der Komponisten-Interpreten verdankten – und bevorzugen die von ihren instrumentalistischen Vorfahren geschriebenen KADENZEN: Beispiele im Klavierrepertoire wären die von Busoni und Reinecke.1
Außerhalb der modernen oder ernsten aleatorischen Musik (die für die Welt ein so taubes Ohr hat wie die Welt für sie) und abgesehen von möglichen Analogien in der Populär-, Ethno- oder Weltmusik improvisiert meinem Freund Wald zufolge heute fast kein Virtuose mehr eigene KADENZEN.
1 Ferruccio Busoni (1866–1924) war zu seiner Zeit ein Ultramodernist: Der Komponist, Dirigent, Theoretiker und Pädagoge war auch ein eindrucksvoller Meisterpianist; einige seiner Ideen zu den Grenzen der menschlichen Fähigkeiten – sowohl in der musikalischen Praxis als auch in deren Wahrnehmung – ließen das Aufkommen der elektronischen Musik vorausahnen. Heute gilt er aber bestenfalls noch als historisches Phänomen; sein Name überlebt nur noch in Fußnoten, und seine Leistungen werden in der Regel auf seine zahlreichen Pianotranskriptionen und KADENZEN zu den Kompositionen klassischer Meister reduziert.
Carl Reinecke (1824–1910) war das deutsche Gegenstück zum Italiener Busoni: Während der progressive Busoni als direkter Wegbereiter der seriellen Zukunft angesehen werden kann, war Reinecke ein unerschrockener Romantiker, dessen opulente Kompositionen und dessen Klaviertechnik nach dem Ersten Weltkrieg kaum noch Zuhörer fanden und praktisch keinen Einfluss mehr hatten. Seine ernstzunehmenden Beiträge zur Musikgeschichte sind heute größtenteils vergessen – mit Ausnahme seiner KADENZEN, die sich im Repertoire gehalten haben, weil sie sich als Kontrast zu oder zum Verständnis von bedeutenderen Werken des Kanons eignen.
~ MUSIK ~
Guten Abend!
Bedeutende Virtuosi, gefeierte Virtuosen und Virtuosinnen dieses großartigsten Orchesters der Welt, Mitglieder und Mitgliederinnen dieses edlen Ensembles, Smokings und Abendkleider des New York Philharmonic Orchestra, Sie hinter mir, mit denen zu proben ich mich jetzt viel zu viele Spielzeiten herabgelassen und die ich noch immer nicht erobert habe, nehmen Sie dies als Ihren Einsatz!, die Langbögen zu zücken: Abstriche für die Ersten Geigen, Aufstriche für die Zweiten – die Bogenführung ist so wichtig, da Schneidermann sie Ihnen in die Partitur geschrieben hat, ja, ob Sie’s glauben oder nicht, eigenhändig, und was waren das für Hände! (obwohl ich ein bisschen geholfen habe, denn unter all dem, was er in diesem Land vermisste, war ein Verlag), und ja, hören wir die letzte Kadenz, ausgezogen bis zum letzten, hartnäckigsten Haar, bis zum Frosch und bis zum Kopf des Bogens, wie diese genannt werden.
okay! Sie können wieder Luft holen, wir wollen ja nicht, dass uns hier noch jemand erstickt, oder?
Könnte das Orchester bitte aufhören? das unterlassen?
Alle gestimmt?
Bitte Luft holen, das ist in Ordnung! Wenn Sie alle sitzen bleiben und zuhören, ich verspreche Ihnen, dass niemand verletzt wird. Glauben Sie mir, alles wird gut.
Guten Abend!
einen guten Abend den Kindern aller Altersstufen, einen guten Abend meinen Exfrauen, meiner Frau und meinen zukünftigen Frauen, einen guten Abend einigen meiner eigenen Kinder da draußen im Publikum, einen guten Abend meinem Anwalt, meinem Agenten, meinem Steuerberater, einen guten Abend den Managern meines Plattenlabels, einen guten Abend meiner Podologin (erst letzten Donnerstag sie hat mir erzählt, dass meine Onychauxis, sie hat sich zu einer Onychogryphose entwickelt, hat mich zu einer professionellen Nagelpflege geschickt),
einen guten Abend meiner Proktologin (die meine thrombotisch ausgetretenen Hämorrhoiden betüttelt, fragt lieber nicht), einen guten Abend meinen angeheirateten Exverwandten, Verwandten und zukünftigen Verwandten, Ihnen, den angehenden Musikern da draußen, den verhinderten Möchtegernmusikern, den musikalischen Dilettanten und Versagern, guten Abend dem höchst namhaften Mogul Mr. Samuel Rothstein jr., der da stumm in Reihe eins zwei drei vier FÜNF sitzt, guten Abend meinem Poolboy, den können wir auch meinen inoffiziellen Psychopharmakologen nennen, guten Abend auch dem Poolboy einer meiner Exfrauen, den können wir ihren Poolboy nennen, guten Abend meinem großartigen Geigenkollegen, dem Maestro Jacob Levine, meine Damen und Herren, Beifall bitte!, ich bitte um einen herzlichen Applaus!
guten Abend meinen Schülern, denen, die meine Schüler werden wollen, denen, die nie zu meinen Schülern zählen werden, guten Abend meinem schwulen Friseur und Maskenbildner, meiner Thai-Masseuse, meinem Rabbi, meiner Sadomaso-Domina, guten Abend meinem Enkel, der meine elektronischen Geräte repariert und sie wie neu blinken und piepsen lässt, meinen Dr. med. Therapeuten nicht zu vergessen, und wenn doch, auf welche Verdrängung ließe das schließen? und daher einen guten Abend auch dem Therapeuten meines Therapeuten, einen allerbesten Abend meiner Harfenistin, die ich in professioneller Diskretion begehre,
meinem Orchester, guten Abend.
Ihnen allen Dank, dass Sie mich mit Ihrer Anwesenheit beglücken. Es bedeutet mir unendlich viel, dass Sie alle sich eingefunden haben.
Hören Sie: Ich stehe hier auf der Bühne, unter dem Bühnenportal des berühmtesten und ehrwürdigsten Konzertsaals der Welt. Habe für Sie den I. Satz von Schneidermanns Violinkonzert gespielt. Den ersten der beiden Sätze des ersten, letzten und einzigen Violinkonzerts, das Schneidermann, mein Freund, je komponiert hat. Und spreche nun zu Ihnen, statt die Kadenz zu spielen. Sie verstehen. Oder dies ist meine Kadenz. Sie verstehen? Eine beiläufige Feuerwerksfanfare, eine Tangente ohne Taktmaß, ein Seelensolo im Brillantissimo und so weiter. In Fragen der Kunst haben Sie das letzte Wort, und während Sie sich entscheiden,
lassen Sie sich Zeit, so viel Sie wollen,
Sie alle haben für dieses Privileg mehr als genug bezahlt – gestatten Sie, dass ich tupfe mir den Schweiß von Bogen und Braue mit einem Taschentuch, das ich in meinem Hotel in der Uptown eingesteckt habe, vom Wägelchen des Zimmermädchens stibitzt, dem Füllhorn auf Rädern im Korridor meiner Herberge, ultra de luxe, einem Hotel namens Grand Irgendwas, schauen Sie es sich bei Gelegenheit an, mein Gott, wie prachtvoll! alles aus Marmor: spiegelsymmetrisch gemasert oder heißt es masersymmetrisch gespiegelt wie der Rücken einer Geige, das ganze Foyer verkleidet mit massivem prokonnesischem Cipollinomarmor, alles berstend mit geschwollenen Venen, als wäre das Gestein selbst fortwährend erregt, und das Zimmermädchen, hach, sie ist sonnenhäutig, eine native Naive mit den beiden niedlichsten Laiben Christi, die sich zur Anbetung anbieten unter ihrer zungenrosa Diensttracht verstaut, die ihr so angegossen passt wie ihr Name: María, zumindest laut ihrem verheißungsvollen Namensschild, einfach nur María, weil wir einfach gute Freunde sind, Mutter eines Kindes, und eines reicht auch, weil es so begabt (anstrengend) ist, ein gemischtrassiges Wunderkind mit einer riesigen Quasi-gegen-Kurzsichtigkeit-Brille zumindest auf dem grauschlierigen Schulschnappschuss, den sie mir gezeigt hat, seine Mutter ist zweimal geschieden, der dritte, er fiel tot um (das Herz), die erste Liebe sitzt in Sing Sing, nach drei Straftaten ist er für bewaffnete Raubüberfälle aus dem Rennen, aber das ist ein ganz anderer Schmonzes, sind ganz andere Leben, und morgen ich weiß hoffentlich mehr, oder ich weiß morgen hoffentlich auch nicht mehr, aber in jedem Fall hätte ich ihr gern das stradivariabelste ihrer F-Löcher gefüllt, sie ewig und drei Tage gut und hart lackiert:
Ewig … ewig …, wie es beim großen Christen Gustav Mahler heißt, aber nur, wenn Schlesinger dirigiert oder Leonard Bernstein – und das tun sie nicht. Sondern ich. Gewissermaßen. Mich.
Aber wer bin ich?
der amtierende Europäer in Amerika, in Europa der einzige passable Amerikaner.
Für wen halte ich mich?
überall für ein internationales Genie, einen Gewissens-und-Kulturträger, einst so geliebt wie geachtet.
Aber eigentlich bin ich niemand.
Seien Sie nicht schockiert! Die Kultivierten lassen sich so leicht schockieren!
Flüstern Sie nicht! Tratschen Sie nicht! Fragen Sie nicht herum!
In der Musik finden Sie nie Antworten, nur noch Fragen, darum ja, ich habe eine Sprechrolle, nicht ganz ausnotiert, ohne verbindliche Erwähnung im Programm, das Sie überflogen haben, auf das Sie sich vergeblich beziehen, mit dem Sie beim leisesten Piano meiner Pianissimi geraschelt haben und das Sie jetzt hektisch nach Hinweisen durchsuchen, ob ich eine Vorgeschichte psychischer Labilität mitbringe, eine schizoide Persönlichkeitsstörung, mit der es sich wegerklären ließe.
Meine Entscheidung, mich mit meiner Stimme statt mit meiner Geige an Sie zu wenden.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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