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Sommer, Sonne, Ferienliebe in bella Italia! Ob Fabios Küsse wohl genauso gut schmecken wie das italienische Himbeereis? Geschichte aus der "Freche-Mädchen-freche-Bücher!"-Anthologie "Sommer, Sonne, Ferienliebe" (ISBN 978-3-522-17686-6)
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Sabine Both, Jahrgang 1970, lebt und arbeitet als freie Autorin in Neuss. Eine rabaukige Kindheit, eine rebellische Pubertät und ein paar turbulente Jahre als Sozialarbeiterin haben genügend Stoff für jede Menge frecher Jugendromane angehäuft. Wenn Sabine Both gerade nicht auf den Spuren frisch verliebter Mädchen oder hormongesteuerter Jungen ist, küsst sie ihren Mann, beackert ihren Garten und bekocht ihre Freunde.
»Ich kann nicht mehr!« Karolin zieht ihr Kollaps-Gesicht und jammert neben mir auf der Rückbank in einer Tour.
»Schnauze«, grunze ich sie an.
Ich kann schließlich auch nicht mehr – nach zwei Tagen in einem Auto, das eher den Namen Schnellkochtopf verdient, weil Mama selbst den kleinsten Spalt im Fenster als hochgefährlichen Durchzug mit Todesfolge ansieht. Aber quengel ich deshalb alle fünf Minuten rum? Hunger! Pipi! Durst! Kleine Schwestern können schrecklich nerven.
Um auf zwei mal zwei Metern einen Hauch von Privatsphäre zu bekommen, ziehe ich mir trotz 45 Grad im Schatten die Jacke über den Kopf und stopfe die Hörer meines MP3-Players so tief in die Ohren, dass es wehtut.
Was tue ich hier? Wieso bin ich auf dem Weg nach Sizilien statt in einer dunklen, kalten Tropfsteinhöhle, weit weg von ferienverrückten Sonnenbrillenträgern? Ich habe keine Lust auf Sonne. Wieso bin ich nicht einfach bei Opa in Bad Neuenahr geblieben, zwischen Rentnern und Greisen? Da hätte es sicher irgendeinen angeschimmelten Großvater gegeben, der sich bereit erklärt hätte, mein Urlaubsflirt zu werden.
Ich hasse Urlaubsflirts. Nicht, dass ich jemals einen gehabt hätte – wenn man von dem Hosenscheißer absieht, mit dem ich im Alter von vier Jahren in Holland Quallenpudding im Sandloch gekocht habe –, aber ohne Urlaubsflirt gestaltet sich das Leben nach den Ferien einfach von Jahr zu Jahr schwieriger.
Durch das Klassenzimmer läuft eine tiefe Erdspalte. Auf der einen Seite scheint trotz Schulbeginn weiter die südliche Sonne – über den Mädchen mit Ferienflirt. Sie schmachten Urlaubsfotos mit schief grinsenden, braun gebrannten Typen an, die in Muskelprotzpose am Strand stehen. Sie cremen verblassende Knutschflecken mit Fettcreme ein, um den Haltbarkeitsfaktor zu erhöhen. Sie trocknen sich gegenseitig die Tränen, wenn sie alle paar Minuten von neuen Abschiedsschmerzen geschüttelt werden. Auf der anderen Seite der Schlucht hängen hässliche, graue Wolken – über den Mädchen ohne Ferienflirt. Ihre Bräune verblasst auf unheimliche Weise innerhalb der ersten beiden Unterrichtsstunden. Sie machen Hausaufgaben, obwohl es noch gar keine gegeben hat. Sie bestätigen sich gegenseitig, wie vielfach intellektueller und für den Verlauf des ganzen Lebens wichtiger es doch ist, griechisches oder römisches Kulturgut studiert als griechische oder römische Münder abgeküsst zu haben. Was für ein Selbstbetrug.
Wieso können Neckermann und Co. diese augenscheinliche Marktlücke nicht erkennen? Wieso erfindet niemand eine Agentur für Miet-Ferienflirts? Tageweise oder wochenweise buchbar zu einem Preis, den das Urlaubstaschengeld erlaubt. Ich würde sofort auf irgendwelche Mitbringsel verzichten, wenn ich dafür Fakten mit nach Hause bringen könnte. Ein Muskelprotzfoto. Einen lang anhaltenden Knutschfleck als Bonusangebot. Wenn ich die Schule hinter mir habe, werde ich mit dieser innovativen Idee Millionärin werden!
»Hanna, spiel mit mir Tante aus Marokko!« Karolin übertönt sogar Christina Aguileras Versprechen in meinem Kopfhörer: You are beautiful, no matter what they say!
»Guck doch mal, die Palmen!«, kreischt Mama und klopft wie wild gegen die Fensterscheibe. Als wenn die Palmen sie hören könnten!
»Idiot!«, brüllt zu allem Überfluss Papa dazwischen.
Er meint nicht die Palme, auch nicht meine Schwester oder meine Mutter, sondern einen Vespafahrer, der ihm die Vorfahrt genommen hat.
»Stronzo!«, schreit Papa gleich hinter Idiot, weil ihm wohl wieder eingefallen ist, dass er sich in Italien befindet und er in Italien immer italienisch sprechen wollte, damit der stinklangweilige Volkshochschulkurs für etwas gut gewesen ist.
Was heißt eigentlich ich kotz gleich auf Italienisch?
Eine schrecklich nette Familie. Papa links. Mama rechts. Und dazwischen meine Schwester und ich, im Schlenderschritt über die endlos lange Fußgängerzone von Taormina. Peinlichster Spießrutenlauf, vorbei an ätzenden Lampions, die von geschmacklos gestreiften Café-Markisen runterbaumeln, und übertrieben bunten Blumenkübeln an runtergekommenen italienischen Gemäuern.
»Wie idyllisch!«, kreischt Mama in einer Tour.
Muss sie denn so brüllen? Und was bitte ist idyllisch an dieser Horde Touristen im Ausgehlook – Muttis in gebatikten Wickelröcken und Papis mit weißen Tennissocken in speckigen Wildledersandalen? Und was um alles in der Welt ist idyllisch an Einheimischen, die uns mustern, als wollten sie sagen: Haltet das Maul und gebt jede Menge Geld aus!
Ich habe das Gefühl, mich unter meinem lappigen Pulli wie billige Schokolade auf einem aufgeheizten Armaturenbrett aufzulösen. Muss das denn in diesem dämlichen Paradies auch noch nach Einbruch der Dunkelheit so warm sein?
»Wieso hast du nichts Luftigeres angezogen?«, fragt Mama prompt mit einem skeptischen Blick auf die Schweißperlen, die aus meinen Pulloverärmeln tropfen. »Du hast doch dieses schöne, neue Sommerkleid.«
»Mir ist kalt!«, grunze ich. »Und dieses schöne, neue Sommerkleid findest auch nur du schön!«
Eher ertränke ich mich im Hotelpool, als mit diesem Nichts von einem Sommerkleid rumzulaufen. Man steckt ja schließlich auch keine Walrösser in zwei Quadratzentimeter rosa Herzchen auf hellblauem Grund.
»Du hast so eine hübsche Figur«, murmelt Mama.
Wer Badelatschen mit Blumengestecken und überdimensionale Muscheldiademe, die einen aussehen lassen, als wäre man in Ketten gelegt worden, hübsch findet, der ist auch schwachsinnig genug, mich hübsch zu finden. Und sowieso: Mütter sind verblendet und kein Stück objektiv, wenn es um ihr eigenes Fleisch und Blut geht.
Wir haben uns mittlerweile bis zum Marktplatz durchgeschoben. Mama gerät jetzt vollends in Ekstase.
»Nein, guckt doch mal, der Brunnen! Lasst uns ein bisschen auf die Stufen setzen und den Straßenmusikanten zuhören!«