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Nougatpralinen und Linzer Torte oder vielleicht doch lieber Lachs-Crêpe-Röllchen mit Meerrettichsahne? Womit könnte Romi wohl Pascals Herz erobern? Sie kocht für ihr Leben gern und natürlich auch für die Liebe. Aber wenn sich Pascal nicht allein mit gutem Essen ködern lässt, hilft vielleicht auch ein dreiwöchiges Fastencamp, um sich den Traumprinzen zu schnappen. Reihe "Freche Mädchen – freche Bücher!"
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© Thienemann Verlag GmbH
Sabine Both, Jahrgang 1970, lebt und arbeitet als freie Autorin in Neuss. Eine rabaukige Kindheit, eine rebellische Pubertät und ein paar turbulente Jahre als Sozialarbeiterin haben genügend Stoff für jede Menge frecher Jugendromane angehäuft. Wenn Sabine Both gerade nicht auf den Spuren frisch verliebter Mädchen oder hormongesteuerter Jungen ist, küsst sie ihren Mann, beackert ihren Garten und bekocht ihre Freunde.
Liebe geht durch den Magen. Da ist sich Romi absolut sicher. Wenn Pascal erst einmal ihre selbst gemachten Leckereien probiert hat, wird er mit ihr im siebten Schlemmerhimmel schweben. Ein paar Pfund hin oder her. Wäre da bloß nicht Kalissa mit ihren Modelmaßen, die ebenfalls in Pascal verknallt ist. Als Romi zufällig erfährt, dass ihr Angebeteter eher auf Kate-Moss-Typen abfährt, beschließt sie, an ihrem Äußeren zu arbeiten, um sich ihren Traumprinzen zu angeln …
Für Michi
Als ich wieder das Esszimmer betrete, geht ein Raunen durch den Raum. Mir gilt es nicht, denn von mir ist nicht viel zu sehen. Nicht die verschwitzt an der Stirn klebenden Haare. Nicht die dicken Schokoladenflecken auf der Schürze. Nicht mal das Strahlen, das auf meinem Gesicht liegt. Zu sehen ist nur ein grandioses Funkeln, weil ich kurz zuvor das Licht gelöscht habe und drei besonders lange Wunderkerzen um die Wette brennen.
So ist es mir am liebsten. Der Star des Abends soll, angekündigt von einem Thunfisch-Carpaccio mit Fenchelcreme und der herrlich knusprig gebratenen, innen leicht rosa belassenen Ente à la Romi, die Mousse au Chocolat sein. Wie in Sternenlicht getaucht, lasse ich sie auf meinen Händen in den Raum schweben, wo sie sofort ihren betörenden Duft verbreitet. Eine Ahnung von Mandeln, Zimt und etwas, das ganz sicher keiner am Tisch erschmecken kann. Meine Geheimzutat. So einfach und doch so schwer herauszufinden.
Ich kann mir das Rätselraten später schon vorstellen. Tante Louise wird wie immer auf etwas Orientalisches tippen und dafür von Onkel Mathias hochgezogene Augenbrauen ernten, weil Tante Louise dieses von ihm ungeteiltes Faible für alles Ägyptische hat, besonders für ägyptische Tauchlehrer. Oma und Opa werden es bei erstaunten Ohs und Ahs belassen. Und Papa wird schließlich auf den Tisch hauen, »Ich habs!« rufen und wie immer voll daneben liegen. Auch wenn sein Ehrgeiz der größte ist, Papas Zunge ist von allen die unbegabteste.
Durch die Wunderkerzenfunken hindurch lasse ich meine Augen über die erwartungsvollen Gesichter gleiten. Tante Louise bekommt eine ganz passable Sahnetorte hin, Onkel Mathias nennt sich selbst Grillkönig, weil er jedes Fleisch in ein und derselben Spezialgewürzmischung mariniert, Oma ist nicht schlecht im Einmachen von Gurken und Opa versteht sich auf das Brennen von Wacholderschnaps – den durfte ich allerdings noch nie probieren, weil ich für jede Art von Alkohol, wenn er nicht gerade einen Coq au Vin verfeinert oder für eine Zabaione unerlässlich ist, noch zu jung bin.
Aber alle Spezialitäten, auf die meine Verwandten sich verstehen, sind von Generation zu Generation weitergegebenen Rezepten zu verdanken. Aus dem Bauch heraus koche nur ich. Und darum enden meine Gedanken auch heute wieder bei dem Foto auf der Anrichte. Ich bin mir sicher, dass ich meine feine Zunge von der zierlichen blonden Frau mit der Wespentaille geerbt habe. Wenn schon sonst nichts, dann wenigstens das.
»Der Mann, der dich mal kriegt, der kann sich glücklich schätzen«, sagt Papa zufrieden.
Tante Louise leckt den blitzblanken Löffel ab, als hinge noch ein Rest Aroma daran. »Wenn du das dem, wie heißt der noch, vorkochst, dann kriegst du bestimmt mehr Lohn!«
»Ich werde da keinen Lohn bekommen«, erkläre ich Tante Louise. »Das wird ein Praktikum, da bekommt man kein Geld.«
»Der, wie heißt der doch gleich«, fügt Papa an, »nimmt normalerweise gar keine Praktikanten in seiner Küche. Er hat Romi nur deswegen angenommen, weil sie so ein tolles Bewerbungsschreiben, oder besser gesagt, so ein tolles Bewerbungspaket, geschickt hat.«
»Was denn?«
»Sie hat ihm eine Auswahl ihrer besten kalten Speisen ins Restaurant gebracht«, sagt Papa stolz. »Und der, der Dings, der hat tatsächlich probiert und war sehr angetan von dem jungen Talent!«
»Der Dings, wie heißt der noch mal, der heißt André Soubrié«, werfe ich ein, »und sein Restaurant hat schon seit Jahren zwei Michelin-Sterne.«
»Und was machste dann da?«, fragt Onkel Mathias.
»Ich darf bei allem zusehen«, erzähle ich und merke, wie ich vor lauter Vorfreude ganz heiße Wangen bekomme. »Und ich darf beiarbeiten, spülen, Gemüse schneiden, den Boden wischen.«
»Und das willste freiwillig in deinen Ferien machen?« Onkel Mathias schüttelt verständnislos den Kopf.
»Ja!«, sage ich aus tiefstem Herzen. »Es gibt nichts, was ich in den Ferien lieber machen möchte als das.«
Tante Louise hat sich mittlerweile darangemacht, ihr blitzsauber ausgelöffeltes Schälchen mit der Fingerspitze auszuputzen. »Und jetzt mal raus mit der Sprache, was ist alles drin in deinem Nachtisch?«
Darauf habe ich gewartet. Ich atme tief durch und räuspere mich. Über das Menü zu sprechen, ist mindestens genauso gut, wie es zu planen, zu kochen und zu verzehren.
»Sahne. Viel Sahne«, fange ich an und Tante Louise greift sich mit einem Seufzen an die knochige Hüfte, was so viel heißen soll wie: Das Kind ruiniert noch meine Figur! Und auf ihre Figur ist Tante Louise besonders stolz, weil auch der ägyptische Tauchlehrer gesagt hat, für ihr Alter wäre sie noch ziemlich gut in Schuss. Sie weiß ja nicht, dass Onkel Mathias nach mindestens vier Verdauungsschnäpsen, wenn Tante Louise aufs Klo geht, sagt, dass es sich anfühlt wie mit einem Knorpelfisch.
Es. Ich habe nicht nachgefragt, aber ich kann mir schon denken, was Onkel Mathias damit meint. Es mit einem Knorpelfisch machen. Da fällt mir eine Menge ein, was man stattdessen mit einem Knorpelfisch tun sollte. Etwa Knorpelfisch in Limettensoße baden. Oder Knorpelfisch zusammen mit Gemüse und Küchenkräutern in Alufolie dünsten.
»… und eine besondere Schokolade ist drin. Die habe ich im belgischen Supermarkt gefunden«, berichte ich weiter.
»Da hast du dich durch alle Sorten durchprobiert, was?«, fragt Onkel Mathias und erntet allgemeines Grinsen.
Ich zucke nur mit den Schultern. Leute, die quadratisch praktisch gut nicht von der zartesten Versuchung unterscheiden können, haben von den feinen Nuancen im Schmelz und im Kakaogehalt verschiedener Schokoladensorten nun mal keine Ahnung.
Während ich weiter die Zutaten der Mousse aufzähle, kann ich jede einzelne noch einmal auf der Zunge schmecken, nachfühlen, wie sie sich miteinander verbinden und am Ende eine ausgewogene Komposition ergeben. »Mandelöl und Puderzucker im gleichen Verhältnis mit Honig, Lavendelblütenhonig aus der Provence. Zehn Eier, das Eiweiß steif geschlagen, das Eigelb im Wasserbad aufgeschäumt mit einer Prise Kardamom und einer Prise Zimt. Und dann noch eine Sache, die ich nicht verrate.«
»Och«, macht Tante Louise. »Sag doch mal. Immer diese Geheimniskrämerei.«
Aber ich bleibe eisern. Eine Köchin muss ihre Geheimnisse haben. Das gewisse Etwas sollte stets eine offene Frage bleiben, an die sich die Zunge wehmütig erinnert. Nur wer es aus eigenen Stücken herausfinden kann, hat die Chance, den Kern des Gerichts zu erfassen. Genauso, da bin ich mir sicher, verhält es sich auch mit dem Kern eines Menschen.
»Jaja, sie war eine wunderbare Frau«, seufzt Papa, lässt sich von Opa noch mal das Schnapsglas nachfüllen und stößt zum x-ten Mal mit allen an. So läuft das jedes Mal, wenn ich drei Gänge gekocht habe. »Es muss schließlich verdaut werden«, sagt Opa immer nach dem Nachtisch und holt die Flasche aus dem Kühlfach. Und dann wird angestoßen. Das erste Mal noch auf die Köchin. Das zweite Mal auf die Familie. Und spätestens der dritte Schnaps geht auf Ehefrau, Schwiegertochter, Schwester, Schwägerin und, wenn ich mit einer Apfelschorle anstoße, auch auf die Mutter. Alles in einer Person. Elvira, die das Schauspiel wie immer mit einem milden Lächeln von der Anrichte aus beobachtet.
»Zu schade, dass du nicht bei uns sein kannst, Elvira!«, prostet Onkel Mathias zur Zimmerdecke.
»Viel zu früh bist du von uns gegangen, Kind«, hängt sich Opa dran. »Nicht mal dein Töchterchen hast du gesehen!«
Und dann prosten sie um die Wette und zählen dabei eine wundervolle Eigenschaft von Elvira nach der anderen auf und setzen Stein um Stein an das perfekte Mama-Mosaik, das ich mir, seit ich denken kann, im Kopf zusammengebaut habe.
Schließlich ist es wie immer Oma, die die Schnapsflasche vom Tisch nimmt und mit strengem Blick das Ende des Abends einläutet.
»Abräumen und abwaschen tun wir«, entscheidet sie. »Das Kind muss ins Bett. Morgen ist schließlich Schule.«
Wie ein unerwarteter Blitzschlag aus heiterem Himmel fährt es mir durch den Magen. Schule?! Die habe ich über das Wochenende völlig vergessen! Mit Pfannen und Töpfen hantierend, die Nase in köstlichen Dampfschwaden, verschwindet einfach alles um mich herum, sodass ich mich nicht länger wie eine Schülerin der achten Klasse am Gymnasium, sondern wie eine Sterneköchin im eigenen hochgepriesenen Restaurant fühle. So sehr haben sich meine Gedanken beim Reduzieren von Soßen und Blanchieren von Gemüse mit dem Entwurf der Menükarte und dem Kreieren neuer Gerichte beschäftigt, dass ich die Hausaufgaben völlig vergessen habe.
»Mist!«, sage ich noch einmal, als ich die Zimmertür hinter mir schließe und die Schultasche nach einem Zettel, auf dem ich hoffentlich notiert habe, was zu tun ist, durchsuche.
So habe ich mir den Ausklang des Abends nun wirklich nicht vorgestellt. Eigentlich wollte ich noch duschen, um die Küchendünste abzuwaschen, mich wie ein unbeschriebenes Blatt ins Bett zu legen und an die Sommerferien zu denken. An sechs Wochen im Land meiner Träume. André Soubriés Küche.
Ich habe sie schon so oft in Zeitschriften gesehen. Ein blitzblank gescheuertes Eldorado aus Edelstahl. Ein unüberblickbares Gewusel von Köchen. Ein Gardemanager, ein Entremetier, ein Sous-Chef, jede Menge Beiköche und Lehrköche. Über allem wacht mit Strenge und Genialität André Soubrié, der keinen Soßenkleks auf dem Tellerrand billigt und berühmt ist für seine hundert Variationen vom Petersfisch. Und mitten drin ich, in einer strahlend weißen Kochuniform, mit aufgerissenen Augen, Ohren und Nasenlöchern, wie ich alles in mich einsauge und lerne, lerne, lerne.
Als ich den Zettel endlich finde, steht zu meinem Schrecken allerdings nur eine endlos lange Einkaufsliste darauf. Eine Spalte für das, was ich auf dem Markt kaufen wollte, eine Spalte für das, was ich nur in Spezialgeschäften zu finden glaubte. Feinkost Müller. Geflügel Berg. Gewürze Simmerich. Wieso schreibe ich im Unterricht Einkaufszettel, wenn ich alles haarklein im Kopf habe?
Zum Glück finde ich dann aber doch noch einen Hinweis auf die Hausaufgaben. Gedicht, steht da zwischen zehn Eier und kalt gepresstes Olivenöl. Und wie durch eine fette Soße hindurch schimmert so etwas wie eine Erinnerung an die Deutschstunde in mein Bewusstsein.
Ein Liebesgedicht sollen wir schreiben, ein zeitgenössisches, eins mit Gefühl. Frau Mohrs Hausaufgabe hat in der Stunde zu allgemeinem Gekicher geführt, wie zuletzt nur der Aufklärungsunterricht von Herrn Pabst, bei dem wir an einer unreifen Gurke den Gebrauch von Kondomen lernen sollten. Ein Gedicht mit Liebe und Gefühl. Das ist zu viel gewesen für die Jungs in der Klasse. Ich habe den Blick unauffällig in die letzte Reihe zu Pascal schweifen lassen. Auch er hat gekichert und seinem Banknachbar Sven eine Kusshand zugeworfen. »Ich schreibe eins für dich!«, hat er gescherzt. Und ich musste denken: wieso nicht eins für mich, und: vielleicht irgendwann mal eins für mich?
»Ein Gedicht«, murmle ich unwillig, stelle mir zum Trost Pascals unwiderstehliche Wangengrübchen vor, spüre das Kitzeln im Bauch, das nur Pascals Wangengrübchen in mir auslösen können, und statt einer Idee für ein Gedicht schießt mir sofort das passende Rezept durch den Kopf.
Lauwarmes gefülltes Zitronen-Thymian-Biskuit an marinierten Erdbeeren. Ja, genau so fühlen sich Pascals Wangengrübchen in meinem Bauch an.
»Ein Lächeln von dir und mein Herz rastet aus – Es möchte zu dir, es will aus mir raus!« Ann-Katrin schnappt, kaum dass sie die letzten Zeilen ihres Gedichts herausgewürgt hat, mit hochrotem Kopf nach Luft. Endlich geschafft, steht ihr ins Gesicht geschrieben und: Ich lebe noch.
Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie sie sich fühlt. Die ganze Klasse hat jeden einzelnen von Ann-Katrins Reimen mit Gekicher begleitet. Dabei ist ihr Gedicht wirklich schön und keiner kann ahnen, dass es Simon aus der Parallelklasse gilt. Ann-Katrin hat weder seine blonden Locken noch seine langen Beine erwähnt. Sie hat ausschließlich über ihr Herz gedichtet und das kann schließlich jedem oder keinem gehören. Es muss nicht einmal ihr eigenes Herz gemeint sein.
Frau Mohr nickt anerkennend. »Sehr viel Gefühl und doch modern. Wirklich gut!« Sie lässt den Blick durch die Reihen schweifen, aber mein Puls bleibt jetzt ganz ruhig. Wenn Ann-Katrin dran war, dann wird Frau Mohr auf keinen Fall mich drannehmen, weil ich genau neben Ann-Katrin sitze. Manchmal allerdings sind solche Berechnungen leider falsch.
Frau Mohrs Blick zieht einen kompletten Kreis, der sich bei mir schließt.
»Jetzt dein Gedicht, Romi!«, sagt sie, und ich fühle mich ungefähr so, wie sich mein missglücktes Soufflé am zweiten Weihnachtstag gefühlt haben muss: als würde etwas in mir in sich zusammenfallen. Ich kann unmöglich vor Publikum bestehen, aber ich muss.
»Ein Gedicht!«, beginne ich also und merke, dass mein Kopf schon nach den ersten beiden Wörtern viel röter ist als der von Ann-Katrin am Ende des Vortrags. »Lauwarmes Zitronen-Thymian-Biskuit an marinierten Erdbeeren.« Ein Kichern geht durch die Klasse und Frau Mohr legt den Kopf schief. Noch lächelt sie, weil sie vielleicht denkt, moderne Dichtung ist eben manchmal etwas sonderbar. Ich atme tief durch und lese weiter.
»Für die Zironencremefüllung nehme ich den Saft von Zitronen und Orangen und bringe ihn mit Eigelb und Zucker zum Kochen. Die eingeweichte Gelatine lasse ich abtropfen und gebe sie langsam hinzu. Dann wird die Butter untergerührt und alles zusammen glatt gestrichen. Die Zitronencreme muss in kleinen Kugelformen gefrieren, um am Ende, im fertigen Küchlein verstaut, im Ofen leicht anzuschmelzen.«
Mit einem Mal merke ich, wie das Blut aus meinem Kopf sickert und wieder gleichmäßig durch meinen Körper fließt. Ich bin jetzt ganz bei meinem Dessert, schmecke das Aroma auf der Zunge, spüre das Kitzeln im Bauch und ahne in meinem Rücken Pascals Wangengrübchen.
»Für das Zitronen-Thymian-Biskuit nehme ich …« Ich berichte von Mandelgrieß, Eischnee, dem Extrahieren von Thymian-Aroma und wie die Masse schließlich in ringförmige Formen gegossen wird. Ich gebe jedes meiner Geheimnisse preis, bis auf die genaue Backzeit, weil die der Clou des Rezepts ist, der Kern, den jeder selbst herausfinden muss, mit Fingerspitzengefühl und Intuition. So lange, dass der Biskuit durch, so kurz, dass die Füllung noch leicht gefroren ist. »Wie ein kühles Bad an einem heißen Sommertag muss es sich auf der Zunge anfühlen«, lese ich, und nachdem ich auch noch alles über den Mandarinen-Erdbeerfächer und den Soßenspiegel vorgelesen habe, ende ich: »Dieses Dessert ist wirklich ein Gedicht!«
Ich bin ganz aufgekratzt. Und bestimmt ist auch Frau Mohr so sehr das Wasser im Mund zusammengelaufen, dass es ihr die Sprache verschlagen hat.
»Dein Dessert ist bestimmt ein Gedicht«, erklärt die allerdings ganz und gar nicht angetan. »Gereimt hat es sich aber nicht. Du weißt, dass ich das nicht gelten lassen kann.«
Ich nicke, und Frau Mohr fügt hinzu: »Romi, sei so gut und komm nach Schulschluss ins Schulbüro.«
»Was die wohl will?« In der Pause guckt Ann-Katrin mich mit diesem Blick an, den sie auch benutzt, wenn ich statt einem drei Krapfen verputze. Eine Mischung aus Ratlosigkeit und Sensationslüsternheit. »Ob du vielleicht irgendwie nachsitzen musst oder so? Gedichte schreiben bis zum Umfallen?«
Ich zucke nur mit den Schultern, denn meine ganze Aufmerksamkeit wird von Pascal, oder besser gesagt, von dem, was Pascal in der Hand hält und zum Mund führt, gefesselt. »Sollen das etwa Frikadellen sein?«
Ann-Katrin folgt meinem Blick. »Kann ich nicht erkennen. Der steht mindestens zehn Meter weit weg!«
Ich sehe trotzdem glasklar, dass dieser Fleischklops in seiner Hand den Namen Frikadelle nicht verdient hat. Seit ich in Pascal verliebt bin, beobachte ich ganz genau, was er wann in welcher Menge in den Mund steckt. Und ich komme immer mehr zu dem Schluss, dass er ein ziemlich schweres Leben haben muss. So wie es aussieht, ist seine Mutter eine miserable Köchin. Keine Salatblätter und Sandwichsoßen in den Käsestullen. Napfkuchen, der schon zerbröselt ist, bevor Pascal ihn an die Lippen führen kann. Schlaffe Hähnchenschenkel vom Vortag, die auch auf zehn Meter Entfernung nach Maggi-Gewürzmischung riechen.
»Diese Möchtegern-Frikadellen bestehen zu fünfzig Prozent aus Brötchen und sind völlig verbrannt. Ich wette, die sind trocken und ungenießbar.«
»Frag ihn doch, ob du mal beißen darfst!« Ann-Katrin grinst.
Und mir fällt es mit einem Mal wie Schuppen von den Augen. Wieso bin ich da bloß nicht eher draufgekommen? Wenn ich André Soubrié auf diese Weise für mich einnehmen konnte, wieso dann nicht auch Pascal?
»Viel besser«, erkläre ich. »Ich werde ihm zeigen, was eine wahre Frikadelle ist!«
Jetzt grinst Ann-Katrin nicht mehr. »Du willst was?«
»Ich werde ihm die tollsten Frikadellen braten, die er je gegessen hat.«
»Und die gibst du ihm dann?«
»Natürlich gebe ich sie ihm dann! Wozu sollte ich sie sonst braten!«
Ich werde sie ihm geben, er wird sie probieren, er wird nicht glauben, was seine vernachlässigte Zunge da für ein Feuerwerk erlebt, und wird ohne mit der Wimper zu zucken die Geheimzutat herausschmecken, den Kern erkennen. Den des Gerichts und auch meinen.
Ich muss nur noch schnell das Gespräch mit Frau Mohr hinter mich bringen, dann kann ich in Gedanken schon mal die Gewürzschublade nach Verbündeten absuchen.
»Ein bitte was?« Ich schaue Frau Mohr über den Schreibtisch hinweg verständnislos an.
»Ein Ferienhaus für Jugendliche mit Essstörungen.« Sie legt mir einen bunten Prospekt vor die Nase. »Romi, ich mache mir wirklich Sorgen um dich. Ich habe das Gefühl, deine Gedanken kreisen mittlerweile nur noch ums Essen. Dein Gedicht eben …« Sie unterbricht sich selbst und schaut mir viel zu tief in die Augen. »Es ist bestimmt nicht einfach, so ganz ohne Mutter aufzuwachsen. Du bist jetzt in einer Phase, wo du einen weiblichen Ansprechpartner gut gebrauchen könntest, nicht wahr, Romi?«
Spinnt die? Alles Bullshit!, will ich sagen, ich hab Papa und meine Großeltern und Tante Louise und Onkel Mathias und obendrein Ann-Katrin. Genug Ansprechpartner! Und außerdem, was geht das eigentlich Sie an?
Aber ich schnappe zu lange empört nach Luft und Frau Mohr redet auch schon weiter: »Ich denke, Romi, dass du Probleme hast, die Veränderungen deines Körpers anzunehmen. Ich befürchte, du willst deine weiblichen Rundungen verstecken, und darum isst du dir einen Schutzpanzer an. Du kompensierst deine Gefühle mit essen und … Romi, du fühlst dich doch selbst nicht mehr wohl in deiner Haut, stimmt’s?«
Ich will wieder lautstark protestieren, aber auch wenn Frau Mohr eine Frage gestellt hat, räumt sie einer Antwort keine Zeit ein.
»Ich verstehe dich, Romi«, sagt sie, obwohl sie rein gar nichts versteht. »Aber du kannst Hilfe bekommen.«
Sie tippt auf das Prospekt. Auf grüne Wiesen vor hohen Bergen. Auf eine Horde Jugendlicher, die alle in denselben blauen Jogginganzügen über einen Feldweg hetzen. Auf eine Pyramide aus Früchten.
»Im Haus am See sind sie auf so etwas spezialisiert. Die arbeiten freizeitorientiert und psychosomatisch. Das heißt, die suchen auch nach den seelischen Gründen für die Essstörung. Die machen viel Sport. Und die sind berühmt dafür, dass das Essen dort schmeckt, auch wenn es kalorienarm ist.« Frau Mohr verzieht die Mundwinkel zu so etwas wie einem Lächeln. »Das wird bestimmt ein Riesenspaß. Sechs Wochen Sommerferien mit anderen Jugendlichen, die die gleichen Probleme haben, und danach bist du ein ganz neuer Mensch.«
Endlich macht sie eine erwartungsvolle Pause.
»Ich will aber gar kein neuer Mensch werden!«, schleudere ich ihr schnellstens entgegen. »Und in den Sommerferien habe ich sowieso schon was vor!«
Ich springe auf, murmle noch etwas von »ich komm zu spät zum Mittagessen« und verlasse stolpernd das Büro.
Vor der Tür wartet Ann-Katrin und schaut mich mit großen Augen an. »Und? Was ist passiert?«
»Strafarbeit«, lüge ich, »Gedichte schreiben bis zum Umfallen!«
Ich habe längst entschieden, das Gespräch mit Frau Mohr einfach zu vergessen und mich wie geplant ganz und gar auf das Projekt Superfrikadelle für Pascal zu konzentrieren.
Klein geschnittene scharfe Peperoni, Stückchen von roter Paprika und Schafskäse aus Andalusien, ich menge alles untereinander. Dann ziehe ich die Gewürzschublade auf und fühle mich, als wenn sich das Tor zur Welt öffnet. Da sind sie, alle meine Schätze. Die geheimnisvollen aus Arabien, die betörenden aus Indien, die robusten aus Frankreich. Ich fahre mit dem Finger über die Etiketten, bis ich das richtige gefunden habe. Das spezielle, das, sobald es sein Aroma auf der Zunge entfaltet, automatisch das Herz höherschlagen lässt. Eine feine Prise davon mische ich unter die Füllung und atme tief den Duft ein.
In meinem Kopf spielen sofort alle Synapsen verrückt. Ich sehe Pascal neben mir am Herd stehen, so dicht, dass ich seine Körperwärme spüren kann. Das werden die besten Frikadellen der Welt, sage ich und er nickt begeistert, fragt, ob er schon mal kosten darf und will mit den Fingern in die Schüssel greifen. Aber ich gebe ihm einen leichten Klaps auf die Hand, eher ein Streicheln, und sage: Die Vorfreude ist die schönste Freude.
Aus dem Hackfleisch mit Semmelbröseln und Eiern rolle ich formvollendete Frikadellen. Ich arbeite ihnen ein Herz aus Füllung ein und werfe den Herd an. Siedend heiß ist das Olivenöl, als ich die Frikadellen vorsichtig hineingleiten lasse und zur Belohnung von einer warmen Duftwolke eingehüllt werde.
In die fährt allerdings ein kalter Windzug, als die Tür aufgerissen wird und Papa in die Küche tritt.
»Hmmm.« Er schnuppert gierig.
Dann scheint er sich an den eigentlichen Grund seines Kommens zu erinnern und sagt mit unheilvoller Stimme: »Frau Mohr hat mich gerade angerufen. Ich schätze, wir müssen reden.«
»Nein, müssen wir nicht!« Ich deute zur Tür. »Und außerdem – du störst!«
Aber statt zu gehen, kommt Papa näher, guckt geistesabwesend auf die vor sich hin bruzelnden Frikadellen und sagt: »Ich hab ja immer gedacht, das ist der Babyspeck, das wächst sich aus, aber Frau Mohr meint, dass es fünf vor zwölf ist.«
Ich schiebe Papa zur Seite und wende mit mächtigem Geklapper die Frikadellen in der Pfanne.
»Sie sagt, dass da die Prognose schlecht aussieht, bei Kindern in deinem Alter, bei deiner Größe und deinem Gewicht, wenn nicht frühzeitig professionelle Hilfe ansetzt. Übergewicht kann gesundheitliche Folgen haben. Gelenkprobleme. Diabetes. Bluthochdruck.«
Ich schiebe Papa noch ein Stück weiter zur Seite und breite auf der Arbeitsfläche Küchentücher aus, die den fertigen Frikadellen später das überschüssige Fett absaugen sollen.
»Sie sagt, dass du frühzeitig dein Bewusstsein ändern musst. Was deine Körperwahrnehmung angeht. Und was die Ernährung angeht.«
Papa guckt wie ein vernachlässigter Dackel. Er will, dass ich was sage. Also tue ich ihm den Gefallen.
»Bisher hat es allen immer ganz gut geschmeckt bei mir. Du sagst doch selbst immer, der Mann, der mich mal kriegt, kann sich glücklich schätzen«, erkläre ich grimmig. »Sogar André Soubrié war begeistert von meinen Kochkünsten. Ich wüsste also wirklich nicht, wieso ich mein Bewusstsein für Ernährung ändern sollte.«
Die erste Ladung Frikadellen ist fertig. Ich bugsiere sie aus der Pfanne auf die Küchentücher und beginne, die nächste Ration auszubraten.
»Ach, Romi«, seufzt Papa, weil er genau weiß, dass ich genau weiß, was er meint, und wir so nicht weiterkommen.
Ich muss also Fakten in den Raum werfen. »Ich habe schon etwas anderes vor in den Ferien. Vergessen?«
»Ja, verstehe, dein Praktikum.« Papa nickt und macht eine viel zu lange Pause, bevor er hinzufügt: »Aber das kannst du doch in den Herbstferien nachholen.«
Ich gebe ein spitzes Lachen von mir. »Pah! Meinst du, so einen wie André Soubrié kann man einfach versetzen?«
»Na ja, wenn man ihm sagt, dass es wichtig für deine Gesundheit ist. Und dass …«
Ich lasse Papa nicht weiterreden. »Und übrigens, die Herbstferien sind nicht sechs, sondern nur zwei Wochen lang«, erkläre ich. »Zwei Wochen sind viel zu kurz, da bekomme ich doch kaum was mit. Da schaffe ich es vielleicht bis zur Vorspeise, aber Hauptgang und Nachtisch lerne ich in zwei Wochen niemals!«
»Deine Gesundheit geht aber wirklich vor, Romi.« Jetzt ist es Papa, der mich vom Herd wegschiebt, um mich an den Schultern zu fassen und mir tief in die Augen zu schauen. »Und dein Wohlbefinden. Auch das seelische. Du willst doch sicher nicht, dass die Leute dich irgendwann schief angucken.«
»Mich guckt keiner schief an!« Ich schiebe Papa zur Seite. »Lass dir von der Mohr doch nicht so einen Mist erzählen!«
Papa schiebt zurück. »Das hat mit der Mohr nichts zu tun. Das habe ich selber schon gedacht.«
»Ach ja?«, frage ich spitz.
»Oh ja!«, sagt Papa und fügt hinzu: »Wolltest du nicht neulich dieses blaue Kleid haben und hast nicht reingepasst.«
»Ich pfeife auf das blaue Kleid.« Ich schiebe noch einmal mit Kraft, aber Papa ist stärker.
»Und was war in den letzten Ferien mit deinem Bikini-Boykott?«, fragt er.
»Ich pfeife auf Bikinis!« Und damit ist das Thema für mich ein für alle Mal gegessen. Mit einem finalen Stoß befreie ich mich aus Papas Griff, raffe kurzerhand die Frikadellen auf dem Küchencrêpe zusammen, rette sie und mich in mein Zimmer und nehme in Kauf, dass Ladung Nummer zwei in der Pfanne zu harten Briketts werden wird, wenn Papa sie nicht frühzeitig rettet.
Hauptsache, ich habe genug Frikadellen, um Pascal morgen satt und glücklich zu machen.