Sommerzauber auf Sylt - Daniela Gesing - E-Book

Sommerzauber auf Sylt E-Book

Daniela Gesing

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Beschreibung

Ein Sommer auf Sylt, zwei Frauen und der Traum von der großen Liebe "Es ist nie zu spät für einen Neuanfang!" Single Caro muss miterleben, wie ihre beste Freundin Verena nach zwanzig Jahren Ehe und zwei gemeinsamen Kindern von ihrem Mann schamlos betrogen wird. Verena ist am Boden zerstört. Um wieder zu sich zu kommen, fährt Verena – gemeinsam mit ihrem treuen Hund Rudi – zu ihrer Tante auf Sylt, die hier Ferienwohnungen an Gäste vermietet. Caro selbst hat ganz andere Sorgen: Überraschend steht ihr neuer Nachbar Ben vor der Tür, der sie mit seinem Umzug in den letzten Tagen furchtbar genervt hat, sie jetzt jedoch charmant um ein Date bittet. Und dann ist da noch ihr netter Kollege Micha an der Schule, der von der Referendarin umschwärmt wird. Caro ist hin- und hergerissen. Eigentlich hat sie den Glauben an die große Liebe längst aufgegeben. Caro entschließt sich zu Beginn der Ferien, ihrer Freundin nach Sylt zu folgen, um sich über ihre Gefühle klar zu werden. Verena, die wieder zu sich selbst finden muss, entwickelt nach und nach neues Selbstbewusstsein und spannende Pläne für ihre berufliche Zukunft. Eine große Hilfe ist ihr dabei Sylter Urgestein Hanno. Die beiden Freundinnen verbringen eine wunderschöne Zeit auf der Insel, bis plötzlich Verenas Mann Jan und einer von Caros Verehrern auf der Matte stehen. Wie werden die Weichen für die Zukunft der beiden Frauen gestellt werden? "Sie atmete die würzige Nordseeluft tief ein, dann ließ sie sich in einen freien Strandkorb sinken, schloss die Augen und genoss die warme Sonne auf ihrem Gesicht."

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Daniela Gesing

Sommerzauber auf Sylt

Roman

 

Über das Buch

Ein Sommer auf Sylt, zwei Frauen und der Traum von der großen Liebe

„Es ist nie zu spät für einen Neuanfang!“

Single Caro muss miterleben, wie ihre beste Freundin Verena nach zwanzig Jahren Ehe und zwei gemeinsamen Kindern von ihrem Mann schamlos betrogen wird. Verena ist am Boden zerstört. Um wieder zu sich zu kommen, fährt Verena – gemeinsam mit ihrem treuen Hund Rudi – zu ihrer Tante auf Sylt, die hier Ferienwohnungen an Gäste vermietet.

Caro selbst hat ganz andere Sorgen: Überraschend steht ihr neuer Nachbar Ben vor der Tür, der sie mit seinem Umzug in den letzten Tagen furchtbar genervt hat, sie jetzt jedoch charmant um ein Date bittet. Und dann ist da noch ihr netter Kollege Micha an der Schule, der von der Referendarin umschwärmt wird. Caro ist hin- und hergerissen. Eigentlich hat sie den Glauben an die große Liebe längst aufgegeben.

Caro entschließt sich zu Beginn der Ferien, ihrer Freundin nach Sylt zu folgen, um sich über ihre Gefühle klar zu werden. Verena, die wieder zu sich selbst finden muss, entwickelt nach und nach neues Selbstbewusstsein und spannende Pläne für ihre berufliche Zukunft. Eine große Hilfe ist ihr dabei Sylter Urgestein Hanno.

Die beiden Freundinnen verbringen eine wunderschöne Zeit auf der Insel, bis plötzlich Verenas Mann Jan und einer von Caros Verehrern auf der Matte stehen. Wie werden die Weichen für die Zukunft der beiden Frauen gestellt werden?

Inhalt

Über das Buch

Impressum

Widmung

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Caro

Verena

Die Autorin Daniela Gesing

Weitere Liebesromane im Verlag

Impressum

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.

Alle Akteure des Romans sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.

 

Copyright © 2024 by Maximum Verlags GmbH

Hauptstraße 33

27299 Langwedel

www.maximum-verlag.de

 

1. Auflage 2024

 

Lektorat: Bernadette Lindebacher

Korrektorat: Manuela Tiller

Satz/Layout: Alin Mattfeldt

Umschlaggestaltung: Alin Mattfeldt

Umschlagmotiv: © Michael Thaler / Shutterstock, RAYphotographer / Shutterstock,

Vector Tradition / Shutterstock

E-Book: Mirjam Hecht

 

Druck: CPI books GmbH

Made in Germany

ISBN: 978-3-98679-032-5

 

Die Autorin wurde beim Schreiben dieses Romans durch ein Stipendium der VG Wort im Rahmen von NEUSTART KULTUR unterstützt und gefördert.

 

 

 

Widmung

Für Conny, Ulli, Bea, Jasmin und Trixi

Caro

Caro saß vor ihrem Laptop und starrte auf den Bildschirm. Was in der letzten Zeit passiert war, hatte sie so wütend gemacht, dass sie drauf und dran war, ihre Meinung der gesamten Facebook-Gemeinde mitzuteilen. Ohne groß nachzudenken, tippte sie ein paar Zeilen in ihren Account, die es in sich hatten.

„Sagt mal, wie seht ihr das denn so? Eine Freundin von mir ist kürzlich nach zwanzig Jahren Ehe von ihrem Mann verlassen worden. Als sie ihm endlich auf die Schliche gekommen ist, meinte er zu ihr, kein Mann interessiere sich mehr für eine Frau über vierzig! Er hat fast ein Jahr lang ein Doppelleben mit seiner blutjungen Praktikantin geführt. Bin ich jetzt nur so geschockt oder gibt es wirklich kaum gute, ehrliche Beziehungen? Sind alle Männer so?“

Kaum hatte sie diese Nachricht gepostet, ploppten auch schon die ersten Antworten und Bemerkungen dazu auf. Caro bekam ein mulmiges Gefühl im Bauch, weil sie ein wenig voreilig etwas offengelegt hatte, was sie zutiefst wütend machte. Der Grund dafür war nicht nur das Mitgefühl für ihre Freundin Verena, der es zurzeit wirklich schlecht ging, sondern auch ihre eigene Lebenssituation. Caro war achtunddreißig, seit zweieinhalb Jahren Single und hatte selbst schon einige schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht.

Vorsichtig beugte sie sich nach vorn, um die ersten Einträge zu lesen.

LukasWa schrieb:

„Welcher Mann nimmt sich nicht lieber ’ne knackige Zwanzigjährige als so ’ne alte Schachtel!“

Wumms, das saß! Sie hätte damit rechnen müssen, dass ein Großteil der männlichen Facebook-Nutzer diese abwertende Meinung hatte. Der nächste Beitrag hingegen kam von einer Susi Groß, die mitteilte:

„Solche Typen muss man abhaken! Deine Freundin soll ihm keine Träne nachweinen! Was glaubst du, wie lange so ein junges Mädchen bei dem bleibt? Und wer so was macht, der hat seine Frau gar nicht verdient!“

Erleichtert lehnte Caro sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück. Recht hatte diese Susi, das hatte sie Verena auch schon alles erzählt. Aber das war natürlich leicht gesagt, wenn man nicht mit dem Mann seit zwanzig Jahren verheiratet war, verbunden durch zwei Kinder und ein Reihenhaus. Caros Freundin hatte es jedenfalls den Boden unter den Füßen weggezogen und sie war noch lange nicht drüber weg. Die Bemerkungen ihres Noch-Ehemannes hatten ein Übriges getan. Ihr Selbstbewusstsein war auf den Nullpunkt gesunken.

„Ich habe so etwas selbst schon erlebt“, postete eine Maria Weller. „Man glaubt immer, es passiert nur den anderen, aber dann steht man auf einmal selbst mitten in so einer Geschichte. Ich denke, man kann einen Menschen leider niemals richtig kennen, selbst wenn man jahrelang zusammenlebt. Aber deswegen alle Männer zu verurteilen … Es gibt mit Sicherheit auch gute, ehrliche Ehemänner. Aber wer dazu in der Lage ist, so etwas zu tun und zu sagen wie bei deiner Freundin, der gehört in die schlechte Kategorie!“

Caro fand es plötzlich richtig spannend, die ganzen Kommentare zu lesen. Es tat gut zu erkennen, dass andere Frauen ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Und zu lesen, dass es ein Leben nach dem großen Gau geben konnte. So wie es Miri26 beschrieb:

„Liebe Caro, sende deiner Freundin bitte herzliche Grüße von mir. Und sage ihr, dass das nicht das Ende der Welt ist, wenn einen die vermeintlich große Liebe verlässt. Ohne diese Trennung hätte ich niemals meinen jetzigen Mann kennengelernt, sondern ich wäre ewig mit meinem damaligen Ehemann zusammengeblieben, mit dem ich im Nachhinein betrachtet gar nicht wirklich glücklich war. Jetzt weiß ich erst, was mir damals gefehlt hat. Endlich werde ich beachtet, respektiert, habe jemanden, der hinter mir steht und mich mit allen meinen Ecken und Kanten liebt. Es ist nie zu spät für einen Neuanfang!“

Caro musste schwer schlucken. Konnte man wirklich so viel Glück haben? Warum war ihr das noch nie passiert? Und würde Verena wirklich über diese Demütigung hinwegkommen? Wenigstens hatte ihre Freundin sich eine Auszeit genommen und wollte zu ihrer Tante ans Meer fahren, nach Sylt. Vielleicht konnte sie dort klarer sehen und wieder zu sich selbst finden.

Caro seufzte und griff zu ihrem Glas Weißwein. Eigentlich trank sie so gut wie nie Alkohol, aber in der letzten Zeit hatte sie beschlossen, ihr Leben nicht mehr so asketisch zu führen, sondern sich ab und zu mal etwas zu gönnen. Es klingelte. Caro erschrak, klappte wie ertappt ihren Laptop zu, strich sich ihre blonden, halblangen Haare hinter die Ohren und schlurfte unwillig zur Tür. Es war schon nach acht, eigentlich erwartete sie niemanden. Mikesch, ihr Kater, lag träge in seiner Katzenhöhle. Neugierig sah sie durch den Türspion. Der Mann, der da vor ihrer Wohnungstür stand, war ihr gänzlich unbekannt. Sie musterte ihn ein wenig genauer. Groß, schlank, helle, wuschelige Haare, sympathisches Gesicht. Moment mal, war das nicht der neue Nachbar? Der, der sie mit seiner Bohrmaschine vorgestern zur Weißglut gebracht hatte, während sie über den Korrekturen der Klassenarbeiten gesessen hatte? Sie merkte, wie erneut eine Welle von Zorn in ihr aufstieg. Bevor sie die Tür öffnete, zählte sie bis vier, atmete tief ein und ebenso lange wieder aus. Doch sie konnte nicht verhindern, dass ihr Gesicht sich rot verfärbte. Der Nachbar starrte sie irritiert an, als er ihr schließlich gegenüberstand.

„Frau Sanders? Entschuldigen Sie die Störung, ich bin Ben Paulsen, Ihr neuer Nachbar. Ich … ähm …“ Er suchte offenbar nach Worten, das geschah ihm ganz recht. Wahrscheinlich wollte er ihr mitteilen, dass seine Renovierungsarbeiten heute bis tief in die Nacht gehen sollten. Und das, wo Caro morgen einen anstrengenden Tag hatte. Zeugniskonferenzen. Verärgert ballte sie ihre Hände in den Taschen der Strickjacke zu Fäusten und kniff ihre Augen warnend zusammen.

„Ich, also, ich feiere am Wochenende meinen Einzug. Eine kleine Party für alle Nachbarn, die mich als neuen Nachbarn kennenlernen wollen. Am Samstag um sieben Uhr“, stotterte er nervös. Er konnte ihr nicht in die Augen schauen. Offenbar wirkte sie grimmiger, als sie wollte. Dabei hatte er eine angenehme tiefe Stimme. „Ich weiß, dass es in den letzten Tagen öfter mal Lärm gab. Dafür möchte ich mich bei Ihnen entschuldigen!“

Jetzt war es Caro, die verwirrt war.

Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie lockerte ihre Gesichtszüge und setzte ein freundliches Lächeln auf. Man konnte förmlich spüren, wie erleichtert der neue Nachbar darüber war. Er wirkte gleich viel selbstbewusster.

„Ja, dann danke für die Einladung“, erwiderte Caro. Mehr fiel ihr so schnell nicht ein. „Soll ich irgendetwas mitbringen?“, fragte sie dann doch.

Ben Paulsen hob die Schultern und sah sie aus seinen braunen Augen eindringlich an.

„Können Sie backen?“

Caro musste grinsen. „Backen ist sozusagen mein Hobby. Was soll es denn sein?“

„Das habe ich mir gedacht“, antwortete Paulsen mit einem Lächeln. „Aus Ihrer Wohnung kommt immer so ein herrlicher Duft. Bringen Sie doch einfach etwas mit, was nicht so viel Arbeit macht und für ungefähr zwölf Personen reicht. Das wäre toll. Backen ist nicht so meine Stärke. Aber kochen kann ich gut!“

Da ergänzen wir uns ja toll, dachte Caro für sich und musste schmunzeln.

„Okay, dann bis Samstag. Und das mit dem Lärm, das war gar nicht so schlimm“, setzte sie hinzu, um erneut rot zu werden. Der neue Nachbar wirkte überrascht.

„Und ich hatte gedacht, Sie verwünschen mich in Gedanken täglich. Ich habe nämlich eine gesamte neue Küche montiert.“

Caro blinzelte verlegen. „War halb so schlimm!“, log sie und knetete ihren Nasenrücken. Wenn ihre Nase jetzt gleich noch um das Doppelte wuchs, hatte sie sich verraten. Doch der Nachbar schien nichts zu merken.

Ben reichte ihr die Hand und verabschiedete sich. „Ich muss noch ein paar Birnen in meine Lampen schrauben. Dann bis Samstag!“

Caro spürte seine warme, trockene Hand in der ihren. Für einen kleinen Moment prickelte es leicht in ihrem Bauch.

„Ich freue mich“, entfuhr es ihr. Ben Paulsen musterte sie interessiert, winkte ihr dann zu und verschwand. Als die Tür wieder zu war, lehnte Caro sich aufgewühlt an die Wand. Wieso hatte der Typ sie so verwirrt?

Verena

Verena spielte unruhig mit dem silbernen Armband, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte. Sie drehte die fünf verschiedenen Anhänger, die ihr Glück bringen sollten, zwischen Zeigefinger und Daumen hin und her, während sie aus dem Fenster blickte. Seit ein paar Minuten stand sie mit ihrem Auto, einem kleinen Renault, auf dem Sylt-Shuttle. Neben ihr hüpfte Rudi, eine lustige Mischung aus einem Labrador und einem Großpudel, auf dem Beifahrersitz hin und her. Während der langen Anfahrt hatte er friedlich auf seiner Decke geschlafen, natürlich angeschnallt. Doch jetzt schien er Verenas Unruhe zu spüren, die, gemischt mit Vorfreude auf den Aufbruch in ein neues Leben, auch für den Hund eine große Umstellung bedeutete. Sechs Jahre lang hatte er zusammen mit Verena und ihrem Noch-Ehemann Jan in einem Reihenhaus am Rande des Ruhrgebiets gelebt, bis Jan plötzlich von einem Tag auf den anderen ausgezogen war. Verena verspürte einen Stich in ihrem Herzen, wenn sie an Jan dachte. In diesem Sommer hatten sie eigentlich ihren zwanzigsten Hochzeitstag groß feiern wollen. An ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag hatte er ihr damals einen Antrag gemacht, ganz romantisch bei einer Reise nach Paris unter dem Eiffelturm. Sie verstand bis heute nicht, was danach eigentlich passiert war. Natürlich hatte sie bemerkt, dass Jan sich verändert hatte. Immerzu war er mit seinen Gedanken woanders, doch sie schrieb diese Veränderung seinem Stress auf der Arbeit zu. Ein neuer Chef, neue Kollegen, ein Großauftrag … Jan ging voll und ganz in seinem Job als Architekt auf. Dass er dabei seiner neuen Kollegin offenbar zu nahegekommen war und Verena schon eine ganze Weile heimlich betrogen hatte, verschwieg er ihr bis zu dem Tag, an dem sie beim Ausräumen des Wäschekorbs einen Zettel mit einer Liebesbotschaft in seiner Jeans gefunden hatte. Zuerst hatte sie nicht glauben wollen, was sie da las, aber nach dem ersten Schock stellte sie ihn zur Rede. Jan suchte gar nicht erst nach Ausflüchten. Er schien sogar froh zu sein, dass er sich endlich alles von der Seele reden konnte. Annika, die angehende junge Architektin, hatte sein Herz im Sturm erobert. Er hatte das nicht gewollt, es war einfach so passiert, er konnte sich nicht dagegen wehren. Sie war jetzt die Frau seines Lebens, außerdem, so offenbarte er, war sie im dritten Monat schwanger. Der Schock bei Verena saß tief. Niemals hätte sie geglaubt, dass Jan, ihre große Liebe, ihr etwas Derartiges antun würde.

Je näher sie ihrer Lieblingsinsel kam, desto entspannter fühlte sie sich. Jonas und Marie, ihre beiden Kinder, waren schon aus dem Gröbsten raus. Vor einem Jahr war auch Marie von zu Hause ausgezogen, um in Berlin zu studieren. Jonas, der ältere der beiden Geschwister, war als Erster vor zwei Jahren aus dem elterlichen Nest geflüchtet. Damals hatte sie geglaubt, dass nach dem ersten Schock über die Leere im Haus nun ein neuer Lebensabschnitt beginnen würde, in dem Jan und sie endlich mehr Zeit für Zweisamkeit hätten. Gemeinsame Abende auf der lauschigen Terrasse, lange Urlaube, tiefsinnige Gespräche … Nur Jan hatte da von Anfang an nicht richtig mitgezogen. Seine Arbeit war ihm schon immer über alles gegangen, aber jetzt kam er fast gar nicht mehr nach Hause. Offensichtlich bedeutete für ihn dieser Neuanfang ganz etwas anderes als für Verena. Er hatte sein weiteres Leben ohne sie geplant. Verena seufzte, streichelte den unruhigen Rudi und blickte aus dem Fenster. Die Fahrt über den Hindenburgdamm bedeutete für fast alle Urlauber den Beginn einer verheißungsvollen Ferienzeit, nur dass sich bei Verena trotz des strahlenden Sonnenscheins heute irgendwie nicht so recht das Gefühl einstellen wollte, das sie sonst immer an dieser Stelle überkam. Die Flut ließ das Meer ganz nah kommen, und im Sonnenlicht glitzerte die Wasseroberfläche traumhaft schön. Zu sehr schmerzten die Erinnerungen an vergangene glückliche Tage, als sie als Familie diese Fahrt voller Vorfreude genossen hatten. Verenas Tante Marlene betrieb in Wenningstedt eine Ferienwohnanlage, die sie von ihren Eltern geerbt hatte. Verenas Mutter war schon früh verstorben. Marlene hatte keine eigenen Kinder, und so hatte sie Verena als ihr einziges Patenkind von Anfang an unter ihre Fittiche genommen und zum Leidwesen von Verenas Vater maßlos verwöhnt.

Als Marlene von Jans Untreue und der unschönen Trennung erfuhr, hatte sie Verena sofort angeboten, zu ihr auf die Insel zu kommen und sich für ein paar Wochen dort zu erholen. Sie hatte Jan ohnehin nie wirklich gemocht. „Ein aufgeblasener, empathieloser, ehrgeiziger Unsympath“ wäre er, hatte Marlene geschimpft, wenn Verena früher weinend am Telefon darüber geklagt hatte, wie oft Jan sie mit den Kindern und dem Haushalt alleine ließe. Vielleicht hätte Verena die Zeichen schon viel früher sehen sollen. Eigentlich hatte sie ja gewusst, dass Jan und sie nicht wirklich zueinanderpassten. Aber irgendwie hatte sie immer geglaubt, dass er sich eines Tages noch ändern würde, liebevoller, großzügiger und lebenslustiger werden würde. Was für ein Quatsch, schimpfte sie sich jetzt selbst. Sie hatte nur einfach die Augen vor der Wahrheit verschlossen. Und einen großen Teil ihres Lebens mit ihm verschwendet. Jan hatte immer versucht zu verhindern, dass Verena beruflich weiterkam und auf eigenen Beinen stand. Eine Frau, die intelligent und erfolgreich war, das wäre eine Bedrohung für sein Selbstwertgefühl gewesen. Wie oft hatte er sie angeschrien, wenn sie ihr Studium zu Ende bringen wollte. Sogar als sie für ihre Leistungen ein Stipendium bekommen sollte, meinte er nur lapidar, wenn sie Geld verdienen wollte, sollte sie doch putzen gehen und sich nicht solche Flausen in den Kopf setzen. An der Betreuung und Erziehung der damals noch kleineren Kinder wollte er sich jedenfalls nicht beteiligen. Also hatte sie jedes Mal tief enttäuscht und verletzt aufgegeben, was sie jetzt fürchterlich bereute, weil ihre finanzielle Situation natürlich nicht gerade rosig war ohne ausreichendes eigenes Einkommen. Und an ihre Rente mochte sie erst gar nicht denken. Außerdem hatte Jan betont, dass das Haus, die Autos und alles sonst natürlich ihm gehörten, weil er immer am meisten verdient hatte. Auch wenn das so nicht stimmte, waren diese Aussagen ein weiterer Schlag in die Magengrube gewesen. Sie hatte ihm doch vertraut und alles für die Familie gegeben … Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie musste sich zusammenreißen, um nicht einen Heulkrampf zu bekommen. Rudi drängte sich an sie und schleckte ihr liebevoll über das Gesicht. Verena musste unwillkürlich lächeln über seine ungestüme Zuneigung und tätschelte ihm den Kopf.

„Du bist ein echter Freund! Wie gut, dass ich dich habe!“

Caro

Die Zeugniskonferenz war so langweilig und anstrengend wie immer. Der Direktor des Gymnasiums, Herr Dr. Carstensen, war ein Zyniker, der sich nicht viel darum scherte, was das Lehrerkollegium wollte. Caros Kollege Michael, ein engagierter Kunst- und Biolehrer, rollte entnervt mit den Augen, als Carstensen zu einer ellenlangen Ansprache über sein liebstes Thema, Recht und Ordnung an der Schule, ansetzte. Wenn es nach dem Direktor gegangen wäre, wären alle Schüler in Reih und Glied über den Schulhof gelaufen. Handys wären verboten, Lachen ebenso, und wer nicht mitkam, müsste gnadenlos ein Schuljahr wiederholen oder die Schule wechseln. Von AGs hielt er auch nicht viel, „die Schule sei nun mal kein Ort für freizeitmäßiges Vergnügen“. Modern konnte man seine Ansichten sicher nicht nennen, und Caro überlegte zum wiederholten Mal, ob sie sich nicht doch versetzen lassen sollte. Wenigstens gab es jetzt eine kurze Pause.

Micha stupste sie bereits zum zweiten Mal in die Seite.

„Hey, Caroline, wovon träumst du? Hast du auch das Gefühl, dass der olle Carstensen jedes Mal das gleiche dumme Zeug redet? Ich finde, wir beide als Lehrervertreter sollten mal ein Gespräch mit ihm suchen. So kann es doch nicht weitergehen! Das hier ist eine Zeugniskonferenz, und bestenfalls müsste man den Umgang der Schüler untereinander thematisieren. Wir haben hier im Stadtteil etliche Zuwanderungskinder, und ich musste bereits drei Mal eingreifen, weil ein paar oberschlaue Primaner abschätzige Bemerkungen abgegeben haben.“

Micha griff in seine Frühstücksbox und reichte Caro ein Stück selbst gebackenes Bananenbrot. Caro wandte sich erfreut ihrem Kollegen zu.

„Oh, vielen Dank, ich liebe alles, was du backst!“

Sie kannte keinen Mann, der mit so viel Leidenschaft genauso gerne backte wie sie selbst. Michael grinste, strich sich seine wilden dunklen Locken aus dem Gesicht und rückte seine neue schwarze Brille zurecht. Trug er ein neues Aftershave? Verwirrt registrierte sie den angenehmen, holzigen Duft, der ihn umgab. Was war bloß heute mit ihr los? Michael war ein guter Kollege, mehr nicht. Der neue Nachbar hatte offenbar ihre Partnersuch-Hormone aktiviert. Normalerweise registrierte sie die Attraktivität ihres Kollegen gar nicht. Verlegen schielte sie noch einmal nach rechts. Wieso war ihr bisher entgangen, dass Michael eigentlich ziemlich gut aussah und noch dazu einen hervorragenden Charakter besaß? Er war engagiert, feinfühlig, lustig, konnte kochen und war schon seit zwei Jahren Single, fast genauso lange wie sie selbst. Gerade als Caro sich überlegte, dass sie Micha endlich mal auf einen Kaffee zu sich nach Hause einladen könnte, platzte Julia, die hübsche blonde Referendarin, dazwischen.

„Michael, sieh mal, das sind meine Unterrichtspläne für morgen. Hast du nach der Konferenz noch Zeit? Wir könnten einen Kaffee zusammen trinken und uns darüber unterhalten. Schließlich habe ich bald meine Abschlussprüfung.“

Sie klimperte ein paar Mal mit ihren dichten Wimpern und warf ihre langen Haare nach hinten. Michaels Augen leuchteten begeistert auf.

„Prima, du bist wirklich fleißig, und das mit dem Kaffee ist eine gute Idee. Also in einer Dreiviertelstunde im Café Sole?“, fragte er lächelnd. Julia errötete leicht und reckte ihren linken Daumen in die Höhe.

Na prima, das hat ja gut geklappt, fluchte Caro innerlich. Immer kam ihr irgendeine dumme Tussi zuvor. Aber was soll’s, dachte sie, Michael war nur ein Freund und Kollege. Diese Freundschaft hatte einen hohen Stellenwert und sollte wahrscheinlich nicht durch einen verzweifelten Datingversuch zerstört werden. Wenn es halt nicht klappte mit einem neuen Mann und der ersehnten Familiengründung, dann sollte es eben so sein. Wie verrückt war das denn, jetzt schon einen Kollegen ins Visier zu nehmen? Sie schüttelte den Kopf über sich selbst. Den Rest der Konferenz überstand sie nur noch mit mäßiger Konzentration, und schließlich war sie froh, zurück nach Hause fahren zu können, um die Wohnungstür hinter sich zu schließen und ihre Wunden zu lecken. Wie Julia sich nach der Konferenz bei Michael einhängte und ihn anhimmelte, hatte ihr einen Stich versetzt. Als Michael sich plötzlich von Julia löste und auf Caro zutrat, weil er sie noch etwas fragen wollte, tat sie deshalb, als habe sie ihn nicht bemerkt. Sie packte ihre Tasche, drehte sich um und verließ wortlos den Raum. Micha schaute ihr ratlos und verwundert nach, wurde aber sofort wieder von der jungen Referendarin abgelenkt. Als Caro sich an der Tür noch einmal umdrehte, war er schon wieder in ein angeregtes Gespräch vertieft.

Verena

Wie beruhigend dieser wundervoll weite Blick hinaus aufs Meer aus dem Autozug doch war! Durch das geöffnete Fenster zog der Duft von Salzwasser, Deichwiesen und frischem Meereswind. Verena entspannte sich mit jeder Minute ein bisschen mehr. Während ihr Auto durch die Fahrt ganz schön durchgeschaukelt wurde, empfand sie ein Gefühl von Freiheit und konnte endlich wieder tief durchatmen. Vor ein paar Augenblicken noch hatte sie gedacht, dieses Gefühl der Ohnmacht und Traurigkeit ginge nie vorbei, aber jetzt war sie sich sicher, dass diese Auszeit auf ihrer Lieblingsinsel die richtige Entscheidung gewesen war. Lange Spaziergänge, Gespräche mit ihrer Tante, vielleicht der vorsichtige Ausblick auf einen Neubeginn … Wenn sie zu Anfang noch darauf gehofft hatte, dass Jan und sie wieder zusammenkommen würden, so war spätestens nach seinem Geständnis über die erneute Vaterschaft klar gewesen, dass es kein Zurück mehr gab. Und wenn sie ehrlich war, dann wollte sie das selbst auch gar nicht mehr. Jan war ein anderer geworden, ein Fremder, den sie nicht mehr kannte. Seufzend lehnte sie sich in ihrem Sitz zurück und dachte über den Satz ihres baldigen Ex-Mannes nach, dass Frauen über vierzig für Männer nicht mehr interessant seien. Maximal fünfundzwanzig wäre ein gutes Alter. Wie hatte sie diesem Mann einmal vertrauen können, wie hatte sie so viele Jahre in einem Bett mit ihm schlafen und ihr halbes Leben mit ihm teilen können? Wie lange dachte er schon so? Warum hatte sie nichts gemerkt? Immer wieder schossen ihr diese Fragen durch den Kopf. Diese schockierenden Aussagen hatten ihr Selbstwertgefühl komplett zerstört, die ersten Wochen hatte sie es nicht einmal mehr geschafft, einen normalen Stadtbummel zu machen, denn vor jeder blutjungen Verkäuferin hatte sie sich entsetzlich geschämt. Vorher war sie lebensfroh gewesen, mit sich und der Welt im Reinen, glücklich mit ihrer Familie. Über ihr Alter hatte sie sich keine Gedanken gemacht, es gab Wichtigeres, und ihre Figur war nie ein Anlass zur Sorge gewesen. Das wusste ihr Kopf, aber ihre Gefühle spielten immer noch verrückt.

Als der Zug endlich langsam in den Bahnhof Westerland einlief, überkam sie nun doch ein Gefühl von Vorfreude auf die Urlaubszeit. Tante Marlene wollte am Bahnhof auf sie warten. Sie würden dann gemeinsam zum Appartementhaus fahren, wo sie für die nächsten vier Wochen unterkommen konnte. Zum Glück hatte Verena ein eigenes Sparbuch, auf dem sie gegen Jans Willen einige Jahre Geld zurückgelegt hatte, das sie durch ihre eigene Arbeit erwirtschaftet hatte. Eine ansehnliche Summe, die sie nun gut gebrauchen konnte. Zum Glück hatte sie vor ihrem Literaturstudium schon eine Ausbildung zur Buchhändlerin abgeschlossen und immer mal wieder in Teilzeit gearbeitet.

„Siehst du, Rudi, jetzt sind wir wieder auf unserer Insel! Wir beide werden viel zusammen unternehmen, am Strand entlangspazieren, und du kannst Stöckchen holen und am Hundestrand im Wasser toben …“ Verena streichelte Rudi, der bei ihren Worten begeistert mit dem Schwanz wedelte, liebevoll über den Kopf. „Und von Männern habe ich erst mal die Nase voll!“, setzte sie hinzu. Zustimmend legte Rudi ihr eine haarige Pfote aufs Knie. Verena musste sich jetzt konzentrieren, denn der Zug stand bereits still und es konnte nicht mehr lange bis zur Entladung dauern. Da kam auch schon die Durchsage der freundlichen Bahnmitarbeiter, und kurz darauf starteten die ersten Autos ihre Motoren und rumpelten langsam über die Abfahrrampe. Vor und hinter Verena standen zwei Luxuskarossen, ein Porsche und ein Mercedes Cabrio. Das war hier so üblich, aber davon hatte sie sich noch nie beeindrucken lassen. Schließlich waren auch Reiche nur Menschen, die sich ihr Geld höchstwahrscheinlich hart verdient oder es geerbt hatten. Warum sollte sie neidisch darauf sein? Geld machte nicht automatisch glücklich, und gut war es ihrer Familie auch immer gegangen. Sie scheuchte Rudi auf seinen Platz und konzentrierte sich wieder auf die Abfahrt. Die Sonne brannte durch die Fensterscheiben. Wenigstens dauerte es noch, bis die Insel von den Sommerferienurlaubern übervölkert sein würde. Vielleicht würde Caro es sogar noch schaffen, sie hier zu besuchen. Nur wenige Hundert Meter weiter sah sie nun Tante Marlene winkend am Straßenrand stehen. Verenas Tante war klein, schlank, hatte einen modernen Kurzhaarschnitt und sah deutlich jünger aus als Anfang sechzig. Sie war die jüngere Schwester ihrer Mutter. Verena hielt in einer Parkbucht, winkte ebenfalls und öffnete von innen die Beifahrertür.

„Verena, Liebes, ich freue mich ja so, dass du gekommen bist!“

Ihre Tante drückte ihr rechts und links einen Kuss auf die Wange und nahm sie ausgiebig in den Arm, soweit es ihre Position im Auto zuließ. Dann warf sie einen forschenden Blick auf ihre Lieblingsnichte.

„Du hast abgenommen, stimmt’s?“, fragte sie besorgt. „Das sehe ich doch auf den ersten Blick. Du darfst dich wegen Jan nicht so fertigmachen. Glaub mir, es ist nicht das Ende der Welt, und es gibt noch jede Menge netter Männer in diesem Universum!“

Verena musste gegen ihre Tränen ankämpfen, aber als Tante Marlene sie in die Seite knuffte und ihr einen kleinen Teddybären überreichte, der als ‚Seelentröster‘ gedacht war, wie sie ihn ihr als Kind schon immer geschenkt hatte, musste sie unwillkürlich lächeln.

„Danke, Tantchen! Das ist wirklich lieb von dir. Es war einfach alles ein großer Schock! Ich hätte nie erwartet, dass so etwas passieren und Jan solche furchtbaren Dinge zu mir sagen würde. Aber jetzt lass uns das Thema erst einmal beenden. Ich will auf andere Gedanken kommen. Wir werden sicher zwischendurch noch Zeit für tiefschürfende Gespräche haben. Was hattest du denn am Bahnhof zu tun? Normalerweise holst du mich nicht hier ab?!“, fragte Verena neugierig.

„Ach, ich habe ein Cabrio für einen meiner Gäste gebucht. Er ist das erste Mal auf Sylt und kennt sich hier noch nicht aus. Da dachte ich, bei der Gelegenheit kann ich dich gleich abholen. Unser Internet funktioniert mal wieder nicht, deswegen musste ich die Buchung persönlich durchführen. Der Gast will am nächsten Wochenende die Insel mit dem Fahrzeug erkunden. Das Wetter soll ja noch eine Weile so schön bleiben!“ Tante Marlene strich sich eine vorwitzige Strähne aus der Stirn und streichelte Rudi, der schon die ganze Zeit aufgeregt fiepte. Seit der Überfahrt saß er nicht mehr angeschnallt auf seiner Decke auf dem Sitz, sondern unten im Fußraum, wo der Platz durch Tante Marlenes Beine nun ein wenig beengt war. „Bald sind wir zu Hause, Hase!“, erklärte sie ihm beruhigend, während Verena sich mit ihrem Citroën wieder in den Straßenverkehr einfädelte. Knappe zehn Minuten später parkte Verena ihr Auto auf dem Parkplatz vor Tante Marlenes Appartementhaus. An das private Wohnhaus schloss sich ein zweieinhalbstöckiges Ferienhaus an, in dem drei Appartements vermietet wurden. Oben unter dem Dach sollte Verena die nächsten Wochen verbringen. Die Wohnungen waren im letzten Jahr erst neu renoviert worden und wegen ihres moderaten Preises und der hervorragenden Lage heiß begehrt. Und trotzdem hatte Tante Marlene die Wohnung für sie freigehalten. Spontan umarmte Verena die ältere Frau noch einmal und bedankte sich überschwänglich.

„Wenn ich hierherkomme, fühle ich mich immer so frei und leicht. Ich danke dir, dass ich hier bei dir ausspannen darf! Ich verspreche auch, dass ich dir bei deiner Arbeit helfen werde, so gut ich kann!“

Tante Marlene winkte ab. „Ach, lass mal, so viel ist das nun auch nicht. Die Reinigung der Appartements und die Wäsche sind doch ein Kinderspiel. Und den Papierkram, den mache ich lieber selbst“, zwinkerte sie Verena belustigt zu. „Beim letzten Mal hast du mir mein ganzes Buchungssystem durcheinandergebracht“, lachte sie. Dann wurde sie wieder ernst. „Obwohl, vielleicht sollte ich dir das doch einmal beibringen, denn schließlich erbst du meine Häuser eines Tages …“, sagte sie leise. Zum Glück hatte Verena das nicht mehr gehört, denn sie war schon ausgestiegen und bewunderte den gepflegten Garten, in dem es üppig blühte.

Caro

Als Caro die Haustür zu dem Altbau öffnete, in dem sie wohnte, schlug ihr im Treppenhaus der penetrante Geruch von Wirsing entgegen. Frau Müller aus dem Erdgeschoss kochte fast täglich Eintöpfe für ihren Mann, der deftiges Essen liebte. Caro musste schmunzeln, wenn sie an das ältere Ehepaar dachte, das schon seit dreißig Jahren hier lebte. Die beiden gingen immer noch sehr liebevoll miteinander um, und Herr Müller revanchierte sich bei seiner Frau, indem er jeden Morgen für Frühstück sorgte, die Fenster putzte und am Wochenende im Gemeinschaftsgarten grillte. Auch sonst verhielt er sich für seine Generation ungewöhnlich partnerschaftlich. Sie sah die beiden abwechselnd einkaufen, Wäsche aufhängen oder putzen. So sollte es auch sein, dachte sie wehmütig. Schade, dass nicht alle Paare das hinbekamen. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie übersah, dass jemand mit einem großen Brett die Treppe herunterkam.

„Aua!“, schimpfte sie, als ihr Kopf unsanft von dem Stück Holz touchiert wurde. Entrüstet rieb sie sich die schmerzende Stelle. „Können Sie nicht aufpassen?!“

„O mein Gott, ich habe Sie gar nicht gesehen“, stotterte der neue Nachbar, der plötzlich hinter dem Brett zum Vorschein kam. „Soll ich Sie ins Krankenhaus fahren? Ist Ihnen schwindlig?“, fragte er besorgt. Doch in seinem Blick lag auch ein klein wenig Belustigung, wie Caro verärgert feststellte. Offenbar hielt er sie für einen kleinen Trottel, dem ständig irgendwelche Missgeschicke passierten.

„Schon gut, ich bin schließlich mit schuld“, murmelte sie genervt. „Aber wenn Sie das nächste Mal Möbel oder Bretter die Treppe runtertragen, passen Sie gefälligst auf!“

Ben, der Nachbar, hob die Augenbrauen ob ihrer patzigen Antwort. „Entschuldigung, Frau Sanders, das wird nicht wieder vorkommen!“ Dann packte er sein Brett und setzte seinen Weg ohne ein weiteres Wort fort. Caro schaute ihm perplex nach. So unhöflich hätte er jetzt auch nicht sein müssen. Seufzend schloss sie die Tür zu ihrer Wohnung auf, wo Mikesch, ihr kleiner schwarzer Kater, ihr maunzend entgegenkam. Wenigstens einer, der sich freute, sie zu sehen. Dieses Schuljahr hatte sie ganz schön ausgelaugt und sie freute sich unbändig auf die Ferien. Noch zwei Wochen, dann war es so weit. In der Küche stellte sie ihre Frühstückstasse vom Morgen in die Spüle, setzte einen Topf auf den Herd, füllte ihn mit Wasser und Salz und schaltete die Platte an. Eine ordentliche Portion Spaghetti mit Tomaten, Garnelen und Knoblauch war das beste Trostessen, das sie kannte. Sie nahm ein Brettchen aus der Schublade, wusch ein paar Tomaten ab, taute die Biogarnelen unter kochendem Wasser auf und rieb zwei Zehen Knoblauch. Küssen musste sie zum Glück heute niemanden mehr, das war der Vorteil des Singlelebens. Dann schnitt sie die Tomaten in kleine Stücke, gab etwas Olivenöl in eine Pfanne, ließ die Spaghetti in das kochende Wasser gleiten und briet die abgetrockneten Garnelen kurz im heißen Öl an, bis sie Farbe bekamen. Anschließend nahm sie sie wieder aus der Pfanne und gab nun die Tomaten und den Knoblauch mit ein paar Gewürzen und Kräutern hinein. Am Ende durften die Garnelen mit etwas Salz und Chili wieder zu den Tomaten. Wie herrlich das duftete! Ein paar Minuten später und nachdem sie Mikesch gefüttert hatte, saß sie mit den dampfenden Spaghetti am Tisch. Jetzt noch ein klein wenig grob gehobelter Parmesan, und fertig war das Lieblingsgericht! Während sie sich die Spaghetti in den Mund schob, las sie die Zeitung vom Morgen. In der Frühe war sie nicht dazu gekommen. Auf der vierten Seite im Lokalteil stockte ihr bei einem Artikel plötzlich der Atem. Sie verschluckte sich hustend an einer Garnele und griff hastig zu dem Glas Wasser neben ihrem Teller. Das war doch … Tatsächlich, ihre Mutter, zu der sie seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte! Offenbar war sie wieder in ihren alten Stadtteil gezogen und engagierte sich im neu gegründeten Seniorenzentrum. Caro wusste nicht genau, was sie darüber denken sollte. Natürlich hätte sie immer gerne eine liebevolle Mutter gehabt, die sich für sie interessierte und für sie da war, aber man konnte sich seine Eltern nun mal nicht aussuchen. Ihre Mutter hatte sie schon als Säugling zu ihrer Großmutter gegeben, wo sie aufgewachsen war. Ihr eigenes Leben war ihr immer wichtiger gewesen, und Caro hatte inzwischen aufgegeben zu hoffen, dass sich daran jemals etwas ändern würde. Seufzend legte sie die Gabel auf den Teller. Nun war ihr doch der Appetit vergangen, und die Beule am Kopf schmerzte auch wieder. Vielleicht sollte sie sich eine halbe Stunde hinlegen, dann sah die Welt bestimmt schon wieder besser aus. Doch gerade, als sie es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und die Augen geschlossen hatte, vermeldete ihr Handy zwei neue Nachrichten. Zuerst entschied sie, die Nachrichten später zu lesen, doch dann siegte ihre Neugier. Vielleicht war es ja Verena, die ihr mitteilen wollte, dass sie sicher auf Sylt angekommen war. Und tatsächlich, Verena hatte ihr ein Foto geschickt. Lächelnd stand sie am Strandübergang Risgap in der Sonne, mit einem Fischbrötchen von Gosch in der Hand. Caro freute sich sehr über dieses Selfie und beneidete Verena in diesem Moment um ihre Auszeit. „Liebe Grüße aus Wenningstedt“, hatte die Freundin geschrieben. „Mir geht es hier schon viel besser. Würde mich freuen, wenn du mich in den Ferien besuchst! Du weißt ja, meine Ferienwohnung hat zwei Schlafzimmer.“

Caro musste grinsen. So fröhlich hatte sie Verena seit ihrem Ehedesaster nicht mehr erlebt.

„Na klar, meine Süße! Ich komme, sobald ich hier wegkann. Grüß mir die Möwen!“, schrieb sie dazu und setzte einen zwinkernden Smiley dahinter. Dann scrollte sie zur nächsten Nachricht. Die war von Micha.

„Hallo Caro, was war denn vorhin mit dir los? Ich dachte, wir bereiten heute Abend noch zusammen die Materialien für die Kunst-AG vor? Achtzehn Uhr? Im Kunstraum? LG, Micha“

Caro stöhnte. Für solche Arbeiten war sich die junge Referendarin wohl zu fein. Oder sie hatte schon was Besseres vor. Dann durfte sie natürlich ran. Caro wollte schon eine harsche Absage in ihr Smartphone tippen, doch dann dachte sie an die begeisterten Gesichter der Schüler, die voller Tatendrang an der AG teilnahmen. „Mir ging es heute nicht so gut“, schrieb sie zögernd. „Aber ich werde nachher kommen. Bis dann, Caro“, fügte sie hinzu.