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**Liebe oder Zerstörung – Was bestimmt dein Schicksal?** Seit Emma in einer isländischen Höhle auf ein riesiges wildes Tier gestoßen ist, steht ihr Leben Kopf. Der von ihr befreite schwarze Wolf hat sich nicht nur in einen unglaublich attraktiven Kerl verwandelt, sie fühlt sich von ihm auch noch nahezu magisch angezogen. Aber Emma kann und will einfach nicht glauben, dass ihr geheimnisvoller Fremder eigentlich in der Welt der nordischen Götter zuhause ist – bis sie sich plötzlich selbst in Asgard wiederfindet und Wulfs Geheimnis aufdeckt. Er hat eine zerstörerische Bestimmung, die nicht nur seine, sondern auch Emmas Welt aus den Angeln zu heben droht… Die nordische Mythologie einzigartig und neu verpackt »Son of Darkness« ist ein Urban-Fantasy-Liebesroman in zwei Bänden, der mit überraschenden Wendungen aufwartet. Ein Must-Read für Fantasy-Fans von »Thor« und Mythen Asgards. Einmal angefangen zu lesen, kannst du dich dem Sog dieser außergewöhnlichen und magischen Welt nicht mehr entziehen! »Son of Darkness« ist eine lektorierte Neuauflage von Asuka Lioneras »Fenrir. Weltenbeben«. Diese Reihe ist abgeschlossen.
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Asuka Lionera
Son of Darkness 2: Goldene Bedrohung
**Liebe oder Zerstörung – Was bestimmt dein Schicksal?** Seit Emma in einer isländischen Höhle auf ein riesiges wildes Tier gestoßen ist, steht ihr Leben Kopf. Der von ihr befreite schwarze Wolf hat sich nicht nur in einen unglaublich attraktiven Kerl verwandelt, sie fühlt sich von ihm auch noch nahezu magisch angezogen. Aber Emma kann und will einfach nicht glauben, dass ihr geheimnisvoller Fremder eigentlich in der Welt der nordischen Götter zuhause ist – bis sie sich plötzlich selbst in Asgard wiederfindet und Wulfs Geheimnis aufdeckt. Er hat eine zerstörerische Bestimmung, die nicht nur seine, sondern auch Emmas Welt aus den Angeln zu heben droht …
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© rini
Asuka Lionera wurde 1987 in einer thüringischen Kleinstadt geboren und begann als Jugendliche nicht nur Fan-Fiction zu ihren Lieblingsserien zu schreiben, sondern entwickelte auch kleine RPG-Spiele für den PC. Ihre Leidenschaft machte sie nach ein paar Umwegen zu ihrem Beruf und ist heute eine erfolgreiche Autorin, die mit ihrem Mann und ihren vierbeinigen Kindern in einem kleinen Dorf in Hessen wohnt, das mehr Kühe als Einwohner hat.
Fenrir
Ein dunkler Schleier legt sich über meinen Verstand und ich bekomme nur am Rande mit, wie ich weggeschleift und in eine dunkle Zelle gesperrt werde. Ich rühre keinen Finger, um mich zu wehren.
Ich weiß nicht, warum sich Odins Männer die Mühe machen, mich irgendwo einzusperren. Als ob sie mich gefangen halten könnten …
Die lächerlichen Ketten, die sie mir um Hand- und Fußgelenke gelegt haben, würden mir nicht lange standhalten. Ein Ruck und schon hätte ich sie in ihre Einzelteile zerlegt. Weder die steinernen Mauern noch das eiserne Tor zu meinem Gefängnis stellen ein ernsthaftes Hindernis für mich dar.
Und doch unternehme ich keinen Fluchtversuch.
Mehrmals hintereinander balle ich die Hände zu Fäusten, um das Kribbeln in ihnen zu vertreiben. Aber das ist auch das Einzige, was ich mit ihnen anstelle.
Wieder und wieder durchlebe ich die letzten Sekunden in der Halle, nachdem ich mich zurückverwandelt hatte. Emmas angsterfüllter Blick, nachdem sie von Odin erfahren hatte, wer ich bin, hat sich so tief in mich eingebrannt, dass etwas in mir zerbrochen ist.
Ich habe die Kontrolle verloren. Das passierte nicht zum ersten Mal, aber diesmal habe ich wirklich versucht, mich zurückzuhalten. Nicht wegen der unzähligen Götter, Halbgötter und Helden, die sich in Odins Halle versammelt hatten. Sie alle waren mir egal. Ich wollte nur nicht, dass Emma mich so sieht … Sie weiß zwar, dass ich mich in einen schwarzen Wolf verwandeln kann, aber in ihrer Erinnerung handelt es sich dabei um einen mickrigen Midgard-Wolf – nicht um ein riesiges Wesen, das groß genug ist, um die Sonne und den Mond zu verschlingen.
Dieses Monster wollte ich nie werden. Ich habe nicht darum gebeten, der Auslöser für die letzte Schlacht – für Ragnarök – zu sein. Und doch bin ich es.
Die kurze Zeit, die ich gemeinsam mit Emma in Midgard verbracht habe, hat mich glauben lassen, ich könnte das Schicksal, das mir vor Ewigkeiten auferlegt wurde, ändern. Sie befreite mich von den goldenen Fesseln, die mich bis ans Ende der Welt gefangen halten sollten – und nichts geschah.
Ich dachte wirklich, das müsse etwas bedeuten. Ich wollte, dass es etwas bedeutete.
Zu Beginn hielt ich es für einen Fehler in der Geschichte. Es konnte nicht wahr sein, dass es Emma gelungen war, mich zu befreien – mit einem Taschenmesser! Das sollte nicht passieren.
Doch es war passiert.
Und mit jeder Stunde, die ich mit ihr verbrachte, wurde mir klarer, dass es kein Fehler war.
Sondern ein Wunder.
Ein Wunder, wofür ich schon vor Jahrhunderten aufgegeben hatte zu beten.
Emma ist mein persönliches Wunder, das ich mit niemandem teilen will. Aber um tatsächlich frei und mit ihr zusammen sein zu können, musste ich auch die anderen Götter – allen voran Odin – davon überzeugen, dass meine Befreiung nicht unweigerlich das Ende aller Welten bedeutet.
Ich wollte, dass sie verstehen, dass ich nicht der Weltenzerstörer bin, den sie von Anfang an in mir sahen. Ich wünschte, dass sie mich nur für einen Augenblick so ansehen könnten, wie Emma es tat: frei von jedweden Vorwürfen oder Angst.
Deshalb wagte ich es, nach Asgard, meine Heimatwelt, zurückzukehren. Sobald ich die Götter davon überzeugt hätte, dass ihnen von mir keine Gefahr drohen würde und ich nichts weiter wollte als ein gemeinsames Leben mit Emma, wäre ich zu ihr nach Midgard zurückgekehrt.
Aber es kam anders. Nicht nur, dass sie sich einfach an mich geklammert hatte und mir nach Asgard gefolgt war, auch das Aufeinandertreffen mit Odin verlief nicht so, wie ich es mir erhofft hatte.
Niemand wollte mir zuhören. Für die Götter Asgards bleibe ich das Monster, das sie seit meiner Geburt in mir sehen, und egal, was ich sage, ich kann sie nicht vom Gegenteil überzeugen.
Seit ich nach Asgard zurückgekommen bin, war der Drang, mich zu wandeln, in mir stärker geworden, doch es gelang mir, ihn zu unterdrücken. Nicht zuletzt, weil ich Emma nicht schaden wollte.
Doch als dieser Bastard Tyr seine verbliebene Hand an sie legte und Odin ihr Schmerzen zufügte, übernahm das Monster in mir die Kontrolle. Ich verlor den Verstand und genoss es, mich treiben zu lassen. Ich genoss es, all denen zu schaden, die mir mein ganzes Leben lang geschadet hatten, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wie ich mich dabei gefühlt habe.
Aber mit einem habe ich nicht gerechnet. Ich hätte nie gedacht, dass es einen Weg gibt, mich in meiner Raserei innehalten zu lassen.
Und dass ausgerechnet Emma dieser Weg ist …
***
Die Tür zu meiner Zelle wird aufgerissen. Ich muss nicht den Kopf drehen, um zu wissen, wer mich besuchen kommt. Seinen Gestank nach einer Mischung aus Blut und Weihrauch kann ich zehn Meter gegen den Wind riechen. Angewidert verziehe ich den Mund und starre auf die Mauer vor mir.
»Du bist also wirklich noch hier«, stellt Tyr fest, als er mich umrundet. »Ich hätte alles darauf gewettet, dass es keine Stunde dauert, bis du das Weite suchst und dich verkriechst.«
Direkt vor mir bleibt er stehen, packt mit der Hand mein Kinn und zwingt mich so, ihn anzusehen. »Vater wird dich für den Schaden, den du angerichtet hast, büßen lassen. Zum Glück ist niemand ernsthaft verletzt worden, aber Vaters Herz hängt nun mal sehr an dieser Halle.«
Mir ist es völlig egal, woran Odin hängt. Ein Herz hat er sowieso nicht. Doch ich bin klug genug, den Mund zu halten. Nicht weil ich Angst vor Tyr habe. Nein, die habe ich mit Sicherheit nicht. Ich habe Sorge, dass ich einen Gedanken laut ausspreche, den ich lieber noch für mich behalte …
Die Zeit mit Emma hat die Dunkelheit für eine Weile aus meinem Herzen und meinen Gedanken vertrieben, doch nun, da ich wieder in Asgard bin und all jenen gegenüberstehe, die mir das Leben zur Hölle gemacht haben, ist alles mit einem Schlag wieder da. Ich bin kurz davor, erneut von der alles verzehrenden Dunkelheit verschluckt zu werden, die während meiner Gefangenschaft in Midgard mein ständiger Begleiter war.
Emma brachte mir das Licht zurück, das ich nach Jahrhunderten im Schatten schon für einen Mythos gehalten hatte. Doch ein einziger furchtsamer Blick von ihr auf mich ließ diese Helligkeit wieder verschwinden.
»Ich weiß, an wen du denkst. Ich sehe es in deinen Augen«, sagt Tyr unvermittelt und lässt mich endlich los.
»Gar nichts weißt du.«
Meine Stimme klingt rau, als hätte ich lange nicht gesprochen. Wahrscheinlich habe ich das auch nicht. Während ich in Rachegedanken und Selbstmitleid versunken bin, ist mir mein Zeitgefühl völlig abhandengekommen. Ich fühle mich wie während meiner Gefangenschaft in der Höhle. Die Zeit verrinnt, doch ich bemerke es nicht. Ich bin umgeben von Schatten, die mich umschließen und mir Dinge zuflüstern, die irgendwann Wirklichkeit werden.
»Weltenzerstörer« nennen mich diejenigen, die die Voraussagungen der Nornen kennen. Wie recht sie haben … Ich werde mich rächen und alles vernichten, was ihnen lieb und teuer ist. Vor nichts und niemandem werde ich haltmachen, wie auch sie gegenüber mir und meinen Schwestern keine Zurückhaltung kannten. Für jeden einzelnen Tag, den ich gefesselt verbracht habe, werde ich sie leiden lassen.
Langsam und genüsslich werde ich dabei zusehen, wie die Angst in ihre Augen kriecht, ehe sich ihre Blicke ins Nichts abwenden werden …
»Ich rede von deinem kleinen Menschenweib«, fährt Tyr fort und reißt mich erneut aus meinen düsteren Gedanken. »Wie hieß sie noch gleich? Emma, nicht wahr? Wundervoll weiche Haut.« Mit einem schmierigen Grinsen reibt er die Finger der verbliebenen Hand aneinander.
Wütend knurre ich ihn an und zerre kurz an meinen Fesseln, ehe ich mich besinne. Ich darf mich nicht befreien. Nicht jetzt. Nicht, solange sie …
Ich weiß, was Tyr damit bezweckt. Er will mich reizen, mich dazu bringen, meine Fesseln zu sprengen, doch den Gefallen werde ich ihm nicht tun. Ich werde nicht noch einmal zulassen, dass er mich manipuliert. Das ist mir beim letzten Mal schon teuer zu stehen gekommen.
Nie wieder werde ich einem von ihnen vertrauen.
»Sie ist verschwunden, aber das weißt du sicherlich bereits.«
Schnell presse ich die Lippen zusammen, ehe sie sich zu einem Grinsen verziehen können. Ich wusste es nicht, habe es aber zutiefst gehofft.
Bevor ich die Kontrolle verloren habe, hatte ich nämlich Blickkontakt zu meiner Mutter aufgenommen und stumm nur ein Wort mit den Lippen geformt. Sie nickte, hatte verstanden.
»Nicht einmal Vater kann sie noch spüren. Und er fühlt jeden, der sein Reich betritt, egal ob Gott oder Sterblicher. Also tippe ich darauf, dass dein alter Herr seine Finger im Spiel hat, nicht wahr?«
O ja, das hat er. Es gibt nur einen Gott, der es schafft, sogar Odin an der Nase herumzuführen: Loki, der Trickster. Mein Vater. Er schafft es immer wieder, Götter und Sterbliche so zu verschleiern, dass sie selbst Odins Blick und Spürsinn entgehen. Einmal verwandelte er sogar eine Göttin in eine Haselnuss, um sie als Adler in seinen Krallen tragen zu können. Ich hoffe natürlich, dass er Emma nicht in etwas Lebloses verwandelt hat, sicher sein kann ich mir bei ihm nie. Immerhin trägt er seinen Beinamen nicht umsonst. Trickster – der Betrüger und Schwindler. Er liebt es einfach, Schabernack zu treiben und andere zu manipulieren. Oft genug gehen seine Tricks allerdings gehörig nach hinten los – nicht nur für ihn, sondern auch für diejenigen, die seine Zauber ertragen müssen. Dass er überhaupt noch lebt, ist ein Wunder. Ich will gar nicht wissen, wie viele Götter, Riesen, Elfen und auch Sterbliche er so sehr verärgert hat, dass sie nichts lieber täten, als ihn zu erdolchen. Selbst Odin stand oft genug auf der Schwelle, kurzen Prozess mit Loki zu machen, aber irgendwie hat Vater es immer wieder geschafft, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Eine Fähigkeit, die meine Schwestern und ich als seine Kinder leider nicht perfektioniert haben. Als ich klein war, glaubte ich, dass mein Vater schuld daran war, dass wir so leiden mussten, und ich hasste ihn aus tiefstem Herzen dafür. Heute bin ich mir nicht mehr sicher. Als Kinder eines Gottes und einer Riesin sind wir von Anfang an Außenseiter gewesen und wurden gemieden, wann immer wir es wagten, nach Asgard zu kommen.
»Deine Mutter ist ebenfalls aus Asgard verschwunden, weshalb ich davon ausgehe, dass auch sie mit dem Verschwinden deiner Sterblichen zu tun hat. Ich habe gehofft, dass du mir sagen wirst, wohin sie Emma bringen.«
Spöttisch ziehe ich eine Augenbraue nach oben. »Und du glaubst ernsthaft, dass ich dir darauf eine Antwort gebe? Selbst wenn ich es wüsste, wärst du der Allerletzte, der es erfahren würde.«
»Ach, komm schon, Fenrir. Bist du etwa immer noch böse wegen dieser Sache damals? Immerhin bin ich der Leidtragende!«
Er hebt den rechten Arm, der knapp unter dem Ellenbogen endet, als wäre mit dieser Geste alles gesagt. Doch das ist es nicht, denn der Stachel sitzt sehr viel tiefer.
Ich fletsche die Zähne. »Mach nur so weiter, dann beiße ich dir die andere Hand auch noch ab! Du wusstest genau, was sie mit mir vorhatten. Ich dachte damals wirklich, du wärst mein Freund. Der einzige, den ich hatte. Und du hast mich verraten.« Im düsteren Sog der Vergangenheit vergesse ich für einen Moment meine Vorsicht und spreche meinen gehüteten Gedanken doch aus: »Und du wirst sehen: Deine Hand ist nur ein geringer Preis, verglichen mit dem, was dich erwartet. Ich bedauere nur, dass nicht ich es sein werde, dem du in die Augen siehst, bevor du abtrittst.« Diese Freude haben die Nornen Garm zugedacht. Ich frage mich bis heute, womit er das verdient hat.
»Sei doch nicht immer so dramatisch!« Tyr verdreht die Augen. »Dass du befreit wurdest, heißt nicht, dass jetzt schon das Ende der Welten vor der Tür steht. Vater wird schon einen Weg finden, dich wieder zu bändigen.«
Ich stoße ein Knurren aus. »Du weißt, dass ich jeden töten werde, der es wagt, mir mit diesem Seil noch einmal zu nahe zu kommen. Dein Trick funktioniert kein zweites Mal.«
»Wie schade!« Er grinst mich breit an. »Beim letzten Mal hat es doch so gut geklappt.«
O ja, das hat es. Und ich ärgere mich heute noch darüber, wie verblendet ich war. Wahrscheinlich, weil ich zu jung war und die Gefahr nicht wahrgenommen habe, die von den anderen Göttern ausging.
Kurz nach unserer Geburt wurden meine Schwestern und ich unseren Eltern weggenommen. Schon damals fürchteten uns die Götter, fürchteten unsere Kraft und unsere Größe und die Monster, die wir waren, die wir in jungen Jahren noch nicht zuverlässig hinter einem menschlichen Äußeren verbergen konnten.
Natürlich kannten sie auch unsere furchteinflößenden Bestimmungen, doch sie wagten nicht, etwas dagegen zu unternehmen. Das Schicksal eines jeden Einzelnen ist heilig und niemand darf dieses Schicksal verfälschen. So befehlen es die drei Nornen. Obwohl sie also genau wussten, dass ich es sein würde, der ihrer Welt das Ende bringt, ließen die Götter mich am Leben, aus Angst vor dem Zorn der Nornen.
Die Götter beobachteten kritisch, wie ich immer größer und größer wurde, während ich mich frei durch Asgard bewegen konnte. Nicht ein einziges Mal tat ich jemandem etwas zuleide. Ich verletzte niemanden, ich bedrohte niemanden. Alles, was ich wollte, war, dazuzugehören. Ich wollte mit den anderen Göttern befreundet sein und später in den Kampf ziehen, doch sie mieden mich, wechselten die Seite, wenn sie mich kommen sahen, und sprachen nie ein Wort mit mir. Ich war jung und allein und verstand nicht, warum niemand etwas mit mir zu tun haben wollte.
Ich war einsam.
Der einzige Gott, der sich in meine Nähe wagte, war Tyr.
In meiner Unwissenheit dachte ich damals, dass er mein Freund sei. Sein Verrat hat sich in mir festgesetzt wie ein Geschwür und über viele Jahrhunderte meine Gedanken beherrscht. Dass ich dem stolzen und selbstverliebten Kriegsgott seine kostbare rechte Hand abgebissen habe, war nur ein kleiner Trost für mich, als ich abgeschnitten vom Äther in der Höhle am Ende der Welt festsaß. In besonders schlimmen Stunden rief ich mir den Geschmack seines Blutes ins Gedächtnis.
»Dann verrate mir doch wenigstens, warum du sie mit nach Asgard gebracht hast«, verlangt Odins Sohn zu wissen.
Kann er nicht einfach den Mund halten und mich wieder allein lassen? Ich will mich in der Dunkelheit verlieren, die verhindert, dass ich pausenlos Emmas fassungslosen Blick vor mir sehe in dem Moment, als sie erfuhr, wer ich wirklich bin. Ich will nicht an die Angst erinnert werden, die in ihren Augen aufblitzte, als ich mich verwandelt habe.
Ich bin mir sicher, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben will, seitdem sie weiß, dass ich es sein werde, der das Weltenende auslösen wird. Dass ich es sein werde, der die Sonne, den Mond und damit alles Licht der Welten verschlingen wird.
Dass ich es sein werde, der somit alle vernichten wird, die sie kennt und liebt.
Wer kann schon etwas empfinden für so eine Bestie?
Sie hat nichts darauf erwidert, als ich ihr sagte, dass ich sie liebe. Und mittlerweile bin nicht einmal ich selbst mir sicher, ob ich noch so fühle. Ihr Blick, so voller Angst und Abscheu, hat sämtliche Gefühle in mir mit einem Mal zerschmettert. Habe ich mich in ihr genauso getäuscht wie in Tyr, der damals zuließ, dass die anderen Götter die goldenen Fesseln um meinen Leib legten?
»Ich habe sie nicht wissentlich mit nach Asgard gebracht«, antworte ich auf seine Frage. »Sie ist mir gefolgt, ohne dass ich es verhindern konnte. Auch wenn ihr Götter mich für dumm haltet, so kenne ich doch die Gesetze und achte sie, meistens sogar mehr als ihr.«
»Wie dem auch sei«, gibt Tyr betont gelassen zurück und geht Richtung Zellenausgang. »Früher oder später werden wir sie finden. Odin hat seine Raben ausgesandt und du weißt: Denen entgeht nichts. Wenn wir sie haben, werden wir sie ihrer gerechten Strafe zuführen.«
Erneut knurre ich und kann mich nur mit Mühe davon abhalten, endlich meine Fesseln zu sprengen und Tyr sein Grinsen aus dem ach so perfekten Gesicht zu schlagen. Doch ich mahne mich zur Ruhe. Emma hat nur eine Chance, zu entkommen und so lange muss ich mich ruhig verhalten.
Auch wenn sie sich vielleicht von mir abgewandt hat, so kann ich mein Herz doch nicht belügen, das spüre ich beim Gedanken daran, dass ihr etwas zustoßen könnte, plötzlich mit heftiger emotionaler Wucht: Meine Liebe gehört ihr.
Ich weiß, dass es dumm ist, wieder jemandem zu vertrauen, noch dazu einer Sterblichen, die ich kaum kenne, aber ich kann nichts dagegen tun. Genauso gut könnte ich mich dazu entscheiden, mit dem Atmen aufzuhören.
Ich liebe sie und ich werde sie beschützen. Bis ans Ende aller Tage.
Emma
Kurz zuvor …
Ich folge der fremden Frau nun schon seit ein paar Stunden. Sie führt mich aus dem Palast und aus der Stadt heraus, ohne auch nur mehr als zwei Sätze mit mir zu sprechen. Als Odins Wachen Wulf aus dem Saal zerrten, konnte ich nichts anderes tun, als reglos sitzen zu bleiben, bis die Frau mich am Arm gepackt und aus den Hallen gelotst hat. Eigentlich müsste ich misstrauisch sein, nach all dem, was ich in meiner kurzen Zeit hier in Asgard erlebt habe, dennoch laufe ich ihr hinterher.
Weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll.
Es ist dieselbe Frau, die sich Wulf in den Weg gestellt hat, als er sich verwandelte und begann, die Halle zu verwüsten. Sie scheint ihn also zu kennen. Und irgendwas sagt mir, dass sie ihm wohlgesonnener ist als die Götter, denen ich bisher begegnet bin.
Wir nutzen keine Porträume, was mich stutzig macht. Stattdessen huschen wir durch die Gassen, pressen uns an Hauswände, bevor wir um die Ecken spitzen. Aber scheinbar ist niemand außer uns beiden unterwegs.
»Was ist mit Wulf?«, frage ich leise. »Wir müssen ihn holen.«
Die Frau bleibt stehen und dreht sich zu mir um. Zum ersten Mal sieht sie mich direkt an und ihre strahlend blauen Augen sind kalt und emotionslos, obwohl ihre Farbe mich so schmerzlich an Wulfs Augen erinnert. Sie ist groß, größer als ich, was bei Frauen sehr selten ist, und sie hat die Statur einer Boxerin, was ihrer Schönheit aber keinen Abbruch tut. Ich habe Mühe, den Blick nicht zu senken, recke stattdessen aber das Kinn, um meine Forderung zu unterstreichen. Der Anflug eines Lächelns umspielt ihre Lippen, als sie meine Geste bemerkt, doch es ist genauso schnell wieder verschwunden, wie es gekommen ist.
»Wir können nichts für ihn tun.«
Sie will sich abwenden und weitergehen, doch ich packe sie am Unterarm und halte sie zurück. Mit hochgezogenen Augenbrauen schaut sie auf meine Hand, die auf ihrer Haut liegt.
»Wir können ihn doch nicht bei diesen … diesen … Irren zurücklassen!«, beharre ich. »Wer weiß, was sie mit ihm tun werden, jetzt, wo er wieder normal ist.«
Die Frau gibt ein Schnauben von sich und zieht ihren Arm mit einem Ruck zurück. Da ich nicht darauf vorbereitet war, gerate ich kurz ins Straucheln.
»Das Schlimmste, was sie ihm antun können, wäre, ihn wieder zu fesseln. Aber mehr werden sie nicht wagen. Fenrir kommt zurecht, das musste er schon immer. Im Moment ist es viel wichtiger, dass ich dich unbeschadet aus Asgard schaffe, ehe der Zauber aufhört zu wirken.«
Bei diesen Worten fasse ich unvermittelt an die Kette, die mir seit ein paar Stunden um den Hals hängt, und fahre mit den Fingern über den eingefassten Stein. Kurz vor Ende des großen Tumults in Odins Halle, als die Götter sich darüber stritten, wer von ihnen sich Wulf nähern und ihn festsetzen sollte, hat mich die Frau an den Schultern gepackt und aus der Halle geschoben. Niemand hat es bemerkt – niemand, außer Wulf.
Vor der Halle hat die Frau mich dazu gezwungen, sie anzusehen, mir die Kette übergestreift und mir mitgeteilt, dass sie mich von hier wegschaffen würde. Ich habe bis jetzt weder eine Ahnung, was ich mit diesem Schmuckstück soll, noch, wohin wir überhaupt unterwegs sind. Vielleicht kann sie mich zurück nach Hause bringen?
Allerdings: Ich werde diese Welt nicht ohne Wulf verlassen.
Als sich die Frau nun also wieder in Bewegung setzt, bleibe ich stur stehen und verschränke die Arme vor der Brust.
»Ich werde nicht eher hier weggehen, bis wir Wulf gerettet haben.«
Genervt fährt die Frau wieder zu mir herum. »Glaub mir, Kindchen, Fenrir ist der Letzte, der deine Hilfe braucht. Es gibt kein Gefängnis, das ihn halten kann, und nur eine Fessel ist stark genug, um seine Kraft zu bändigen. Er bedarf deines Schutzes nicht. Und ich würde es sehr begrüßen, wenn du dich in Zukunft von ihm fernhalten würdest.«
Ich ziehe scharf die Luft ein. »Wie bitte? Sie kennen mich ja nicht einmal! Wieso glauben Sie, dass Sie sich ein Urteil über mich erlauben können?«
Sie tritt ganz nah an mich heran und starrt mich nieder. Ich schlucke krampfhaft gegen einen dicken Kloß in meinem Hals an, doch ich wende den Blick nicht ab.
»Ich brauche dich nicht zu kennen, um zu wissen, dass du für meinen einzigen Sohn nicht gut genug bist. Du bist nichts weiter als ein Mensch.«
»Ihr … Ihr Sohn?«, stammele ich. »Sie … Sie sind Wulfs …«
»Sein Name ist nicht Wulf. Er heißt Fenrir. Merk dir das endlich!«, herrscht sie mich an und ich zucke zusammen. »Ich bin nur hier, weil er mich darum gebeten hat. Ansonsten hätte ich dich in der Halle deinem Schicksal überlassen. Es war sehr dumm von dir, ihm nach Asgard zu folgen. An all den Problemen, die er gerade hat, bist ganz allein du schuld.«
»Aber ich … Ich wollte ihm nie schaden. Ich wusste doch nicht, dass er es war, als ich den Wolf von seinen Fesseln befreite. Ich … wollte nie irgendjemandem schaden.«
»Du hast es aber getan.« Sie mustert mich mit eiskaltem Blick. »Mit seiner Befreiung hast du etwas in Gang gesetzt, was keiner von uns je für möglich gehalten hätte. Der Ausgang des Ganzen ist völlig ungewiss.«
»Hätte ich ihn etwa in der Höhle zurücklassen sollen? Sie sind doch seine Mutter! Freuen Sie sich nicht darüber, dass Ihr Sohn frei ist?«
»Er ist nicht frei!«, schreit sie und ich mache unweigerlich einen Schritt zurück. Ihr geballter Zorn und ihre Abneigung gegen mich lassen mich zittern. »Und er wird niemals frei sein, bis er nicht seine Bestimmung erfüllt hat.«
Hilflos fahre ich mir mit den Händen durch die Haare. »Was habt ihr nur alle mit dieser verdammten Bestimmung?! Das ist doch Bullshit! Ich bin mir sicher, keinem von euch wäre es aufgefallen, dass er befreit worden ist, wenn er nicht hierher zurückgekommen wäre. Er wollte etwas verändern, nur deshalb hat er das Risiko auf sich genommen, meine Welt zu verlassen. Sie als seine Mutter sollten …«
»Hör mir gut zu, Kleine. Ich helfe dir nur, weil Fenrir es wollte. Bevor er sich wandelte, galten seine letzten Gedanken dir, die Götter allein – und offenbar nicht mal die – wissen warum. Ich bin nicht hier, weil es mir Spaß macht. Du bist für mich nichts weiter als ein dummes Menschenweib. Es ist mir gleichgültig, was du über mich denkst. Wenn ich wollte, könnte ich dich mit einer einzigen Handbewegung töten. War das deutlich genug für dich?«
Ich starre sie aus weit aufgerissenen Augen an. Ich gebe es zu: Diese Amazone jagt mir eine Heidenangst ein. Fast bin ich versucht, zurück in die Halle zu flüchten und mich Tyr, Heimdall, Odin und den anderen Großkotzen zu stellen, um nicht auch nur eine Sekunde länger in Gegenwart dieser Furie zu verbringen. Unvorstellbar, dass jemand wie sie Wulfs Mutter sein soll … Aber die Ähnlichkeit ist nicht von der Hand zu weisen: dieselben Augen, dieselbe kantige Gesichtsform, die auch bei ihr als Frau mehr als attraktiv wirkt, und die Rohheit, die sie mit jeder Bewegung ausstrahlt, nur noch verstärkt.
Ich stoße geräuschvoll den Atem aus und reibe mir mit der Hand über die Stirn. »Hören Sie, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mir helfen wollen …«
»Von wollen kann keine Rede sein«, unterbricht sie mich barsch.
Schnell beiße ich die Zähne zusammen, um nicht zu einer schlagfertigen Erwiderung anzusetzen, und zähle in Gedanken bis fünf.
»Fein, wie auch immer. Trotzdem bin ich Ihnen dankbar. Denn Sie haben recht: Ich bin nur eine Sterbliche. Und ja, Sie machen mir durchaus Angst. Das hält mich aber nicht davon ab, mich um Wulf zu sorgen. Ich habe ihn nicht aus dieser Höhle gerettet und mit zu mir genommen, um ihn jetzt hängen zu lassen. Auch wenn Sie sagen, dass die anderen Götter ihm nichts anhaben können, würde ich mich doch sehr viel wohler fühlen, wenn wir ihm beistehen würden.«
Und ich wäre nicht mehr allein mit dir, du alte Hexe, füge ich in Gedanken hinzu.
Ich habe das Gefühl, dass ihr Blick sich um ein paar Grad erwärmt hat. Trotzdem rangiert er noch knapp unter dem Gefrierpunkt.
»Ich habe keine Ahnung, was er an dir findet, aber ihm muss sehr viel an dir liegen, wenn er uns damit beauftragt, dich in Sicherheit zu bringen.«
»Uns?«, frage ich verwirrt.
Die Frau nickt. »Außerhalb der Stadtmauern wird sich mein Mann um dich kümmern und ich werde zurückgehen, um zu sehen, was ich für meinen Sohn tun kann.«
Erleichtert schließe ich die Augen. Sie wird ihm also helfen. Vielleicht ist sie doch nicht so gefühlskalt, wie ich bisher angenommen habe.
Erneut dreht sie sich um und noch einmal traue ich mich, sie am Arm festzuhalten.
»Danke«, murmele ich. »Mir liegt sehr viel an Ihrem Sohn. Ich will nicht, dass er meinetwegen etwas riskiert. Das könnte ich mir nie verzeihen.«
Sie legt ihre Hand auf meine. Es fühlt sich warm an, ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe.
»Dafür ist es wohl leider zu spät, Mensch. Fenrir hatte schon immer ein Talent dafür, die anderen Götter gegen sich aufzubringen, ob bewusst oder unbewusst, aber indem er sich mit dir einließ und dich auch noch hierhergebracht hat, hat er eine Grenze überschritten. Die anderen werden ihm diese Verfehlung nicht vergeben.«
Ich schlucke hörbar. »Das wollte ich nicht. Ich … ich bin ihm doch nur gefolgt, weil …«
Als ich kein weiteres Wort herausbekomme, stellt sie sich direkt vor mich, legt einen Finger unter mein Kinn und zwingt mich, sie anzusehen. »Weil was?«
Heiße Tränen brennen in meinen Augen, doch ich blinzele sie zurück. Der Kloß in meinem Hals hingegen will einfach nicht verschwinden. »Weil ich … nicht mehr ohne ihn sein will. Es ist mir egal, ob er ein Gott oder ein Wolf oder sonst was ist. Für mich ist er … einfach nur Wulf. Und ich weiß, dass ich ihm folgen werde, egal in welche Welt es ihn verschlagen wird.«
»Du liebst ihn.« Es ist keine Frage von ihr, sondern eine Feststellung, also nicke ich nur. Wieder schnaubt sie durch die Nase und nimmt die Hand von meinem Kinn. »Ich kann nicht sagen, dass ich seine Entscheidung, jemanden wie dich auszusuchen, gutheiße, aber ich freue mich für meinen Sohn. Auch wenn es nicht von Dauer sein wird, ist es schön zu sehen, dass er doch zu anderen Gefühlen außer Rache und Vergeltung fähig ist.«
»Was meinen Sie mit ›nicht von Dauer‹?«
Ein eisiger Schauer läuft mir den Rücken hinunter, als ich die Worte ausspreche, und meine Hände beginnen zu zittern. Sie kann das nicht ernst meinen, oder doch?
Wulfs Mutter schließt für einen Moment die Augen und verzieht den Mund. Als sie mich wieder ansieht, sagt sie: »Was auch immer geschieht, wir alle haben eine Bestimmung, die wir erfüllen müssen. Niemand kann davor fliehen, niemand kann sie ändern. Fenrirs Beiname, ›der Weltenzerstörer‹, ist nicht nur ein klangvoller Titel, der seinen Gegnern auf dem Schlachtfeld das Fürchten lehren soll. Er ist durchaus wörtlich zu nehmen. Am Letzten Tag, nach dem Fimbulwinter und zu Beginn des Kampfes zwischen Göttern und Riesen, werden sich mein Sohn und Odin auf den Ebenen der Ewigkeit gegenüberstehen. Sie werden kämpfen, genau wie die anderen Götter und Riesen untereinander. Sie alle haben einen Feind, den sie einer uralten Bestimmung zufolge vernichten müssen. Und Fenrir wird den Allvater töten.«
»Was?«
Ich verschlucke mich beinahe an dem Wort und schlage schnell die Hände vor den Mund. Das … das kann nicht sein! Wulf soll jemanden töten? Noch dazu das Oberhaupt der Götter?
Als ich mich einigermaßen gefasst habe, frage ich: »W–Was wird passieren, wenn der Allvater stirbt?«
»Nicht nur der Allvater wird sterben. Viele Götter werden den Tod finden, ebenso wie Elfen, Zwerge und Riesen. Auch meine Kinder. Und mit ihnen werden die Welten, wie wir sie kennen, untergehen. Nach einem Krieg unter Göttern und Riesen, gepaart mit einem drei Jahre andauernden Winter und einem Weltenbrand, wird keine der neun Welten mehr existieren können.«
Vor meinem inneren Auge ziehen Bilder von verwüsteten Landstrichen herauf, ein Himmel, der verhangen ist mit dickem, schwarzem Rauch, und ich meine fast die eisige Kälte auf mir zu spüren, die sich bis zu meinen Knochen frisst.
»Dann … dann wird alles … vernichtet werden?«
»Nicht alles«, sagt die Frau und schüttelt leicht den Kopf. »Jedes Ende ist auch der Beginn eines Neuanfangs. Es wird sich eine neue Welt erheben. Eine Welt ohne Götter und Übernatürliches, frei von Habgier, Neid und Hass. Eine Welt, in der alle Lebewesen gleich sind und in Frieden leben können. Aber um diese Welt zu erschaffen, müssen wir alle in den Krieg ziehen. Und unser eigenes Leben opfern.«
»Das ist doch Wahnsinn!«, bricht es aus mir heraus. »Glauben Sie wirklich, Sie opfern sich für eine höhere Sache? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Wulf das will. Wie können Sie das zulassen? Wie können Sie zulassen, dass er getötet wird?«
»Hast du es immer noch nicht verstanden, du dummer Mensch? Hier geht es weder darum, was mein Sohn noch was ich will. Ich bin eine Mutter. Nie würde ich wollen, dass meine Kinder leiden oder gar sterben. Aber es ist nun mal ihre Bestimmung und seit Beginn ihres Lebens weiß ich, was auf sie zukommen wird.«
»Und Sie haben sich damit abgefunden? Einfach so? Sie legen die Hände in den Schoß und schauen zu, wie sich alle gegenseitig umbringen? Eine schöne Mutter sind Sie!«
Den letzten Satz hätte ich mir wohl besser verkneifen sollen. So schnell, dass ich ihr mit dem Blick nicht folgen kann, stürmt die Frau auf mich zu, drückt ihren Unterarm gegen meinen Hals und presst mich mit dem Rücken gegen eine Hauswand. Meine Füße strampeln sinnlos ein paar Zentimeter über dem Boden und meine Finger kratzen über ihren Arm, in der Hoffnung, den eisernen Griff dadurch lockern zu können.
Doch es hat keinen Sinn. Hilflos röchele ich nach Luft.
»Wage es nie wieder, dir ein Urteil über mich oder meine Familie zu bilden!«, faucht sie und bedenkt mich mit einem Blick, der selbst einen aktiven Vulkan erkalten lassen würde. »Du hast nicht den Hauch einer Ahnung, was wir in den letzten Jahrtausenden durchgemacht haben. Du weißt nichts. Hörst du? Nichts! Du verdrehst meinem Sohn den Kopf, kommst hierher und denkst, dass du über uns richten kannst? Doch das lasse ich nicht zu! Am liebsten würde ich dich hier zurücklassen oder dich an Odin ausliefern. Du bist es nicht wert, dass ich meine Zeit mit dir vergeude, während ich eigentlich meinem Sohn helfen sollte.«
Vergeblich schnappe ich nach Luft. Wieder und wieder öffne ich den Mund, doch viel zu wenig Sauerstoff strömt in meine Lungen, die nach dem Lebenselixier schreien und dadurch all meine anderen Empfindungen übertönen.
Genauso plötzlich, wie sie mich gepackt hat, lässt sie mich auch wieder los und ich gleite kraftlos an der Mauer hinunter. Jeder Atemzug sticht in meiner Luftröhre und meinen Lungen wie tausend Nadeln und doch atme ich immer wieder röchelnd ein.
Diese alte Hexe! Was habe ich ihr für einen Grund gegeben, mich so zu behandeln? Die Vorstellung, zurück in den Palast zu gehen und Wulf auf eigene Faust zu retten, wird immer verlockender. Eigentlich ist alles besser, als weiterhin in ihrer Gegenwart bleiben zu müssen.
Ich komme wackelig auf die Beine, muss mich aber weiterhin an der Hauswand abstützen. Geflissentlich weiche ich ihrem Starren aus und massiere mir vorsichtig den malträtierten Hals.
»Komm jetzt, wir müssen weiter«, sagt Wulfs Mutter kühl, nachdem ich mich etwas beruhigt habe, doch ich mache keinen einzigen Schritt. »Willst du hier Wurzeln schlagen?«, fragt sie, als sie bemerkt, dass ich ihr nicht folge.
»Woher weiß ich, dass Sie mich nicht in eine Falle locken?«
»Wie bitte?«
Sie dreht sich halb zu mir um und beinahe wäre ich zurückgewichen. Die grimmige Aura, die von ihr ausgeht, lässt mich meine Worte noch einmal ganz genau überdenken.
»I–Ich … Sie haben mich schon verstanden.« Ich bin stolz darauf, dass meine Stimme nur ein klein wenig zittert. »Ich kenne Sie nicht, Sie kennen mich nicht. Das Einzige, was ich weiß, ist: Sie mögen mich nicht, denn das ist nicht zu übersehen. Warum sollte ich Ihnen also vertrauen?«
»Weil ich deine einzige verdammte Chance bin, lebend aus dieser Stadt zu kommen«, knurrt sie und ich sehe ihr an, wie viel Überwindung es sie kostet, nicht gleich wieder auf mich loszugehen. »Ich bin hier, weil ich es meinem Sohn versprochen habe. Das bedeutet nicht, dass ich seine Entscheidung gutheißen muss. Um alles Weitere werde ich mich kümmern, wenn du die Stadtmauern hinter dir hast, denn dann bist du nicht mehr mein Problem.«
Wundervoll. Dann werde ich an den Nächsten weitergereicht, der mich bestimmt auch am liebsten unter seinem Stiefel zerquetschen will, nur weil ich ein Mensch bin und zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort war. Die Krux an der ganzen Sache ist aber, dass ich keine Wahl habe. Wenn ich nicht mit ihr gehe, bleibe ich allein in einer riesigen Stadt zurück, in der ich mich nicht auskenne und in der ich jederzeit einem dieser freakigen Götter über den Weg laufen könnte, gegen die ich mich nicht zur Wehr setzen kann.
Ich fühle mich, als müsste ich mich zwischen Pest und Cholera entscheiden.
»Na fein«, presse ich zwischen zusammengebissen Zähnen hervor. »Lassen Sie uns gehen.«
»Sehr gute Entscheidung, Mensch. Ich dachte schon, du willst hier stehen bleiben, bis alle Götter auf uns aufmerksam geworden sind.«
Ihr spöttischer Tonfall bringt bei mir das Fass endgültig zum Überlaufen.
»Verdammt noch mal! Ich heiße weder ›Mensch‹ noch ›Sterbliche‹ noch ›Menschenweib‹. Ich habe einen Namen, okay? Ich bin Emma. Und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich so nennen würden. Alles andere empfinde ich nämlich als sehr beleidigend.«
Nachdem die Worte aus mir herausgesprudelt sind, beiße ich mir schnell auf die Zunge. Mist! Jetzt wird sie mich wieder schnappen und irgendwo gegendrücken. Vorsichtshalber mache ich einen Schritt zurück, obwohl ich weiß, dass sie diese kurze Entfernung spielend überbrücken wird.
Doch erneut überrascht die Frau mich. Denn sie fängt plötzlich an zu lachen und zwar so sehr, dass sie sich den Bauch halten muss.
»So ungern ich es auch zugebe, aber du bist sehr unterhaltsam, Mensch. Nur sehr wenige Götter wagen es, so mit mir zu reden. Aber ein sterbliches Wesen würde nicht einmal im Traum daran denken. Entweder bist du also sehr mutig – oder sehr dumm. Mir ist es am Ende egal, denn wie ich sagte, sobald wir die Stadtmauern erreicht haben, bist du nicht mehr mein Problem. Ich hoffe sehr, dass ich nie wieder etwas von dir hören oder sehen werde.«
Ich bin kein gewalttätiger Mensch, aber dieser Frau würde ich liebend gern den Hals umdrehen. Wenn sie gleich vom Erdboden verschluckt werden würde, würde ich ihr lächelnd hinterherwinken. Ich mag weder ihre Einstellung noch ihr Verhalten mir oder Wulf gegenüber. Sie hat nichts von einer liebenden Mutter.
Aber in einem Punkt hat sie recht: Ich weiß nicht viel von dem, was sie und ihre Familie durchgemacht haben.
Wer weiß, wie ich mich verhalten hätte, wenn mir meine Kinder weggenommen und verbannt worden wären. Oder wenn ich wüsste, dass sie in einem sinnlosen Kampf den Tod finden würden, ohne dass ich es verhindern könnte. Vielleicht wäre ich dann auch so wie sie: verbittert, zynisch und unberechenbar.
Das ist keine Entschuldigung für ihr Verhalten mir gegenüber, aber je länger ich mir darüber Gedanken mache, umso tiefer wird der Abgrund, der sich vor mir auftut, während ich über Wulfs Vergangenheit nachgrübele. Ich kenne nur Bruchstücke, nichts weiter als ein paar Puzzleteile, die partout nicht zusammenpassen wollen und kein Bild ergeben.
»Sie werden mich noch öfter zu sehen bekommen«, teile ich ihr mit und straffe die Schultern. Mein Blick, mit dem ich dem ihren begegne, ist garantiert genauso eisig wie ihrer. »Es ist egal, was Sie machen: Ich werde erst aus Wulfs Leben verschwinden, wenn er mich bittet zu gehen. Keine Sekunde früher. Und wenn Sie Ihren Sohn nicht wieder verlieren wollen, sollten Sie sich lieber an mich gewöhnen. Denn ich war diejenige, die ihn befreit hat, und ich kann es auch wieder tun.«
Etwas blitzt in ihren Augen auf, das mich entfernt an Mordlust denken lässt, doch ich wende den Blick nicht ab, auch wenn es mir schwerfällt. Ich werde mich von ihr nicht unterkriegen lassen! Ich habe Göttern getrotzt, mich einem riesigen Wolf in den Weg gestellt, bin zwischen den Welten gereist – da werde ich mich nicht von einer gluckenden Mutter voller Vorurteile einschüchtern lassen!
Es vergehen mehrere donnernde Herzschläge, die mir fast die Rippen brechen, als plötzlich ein Lächeln auf ihrem Gesicht erscheint.
»Du hast Mut, das muss ich dir lassen. Manch andere Sterbliche wäre eingeknickt und hätte sich meinen Sohn aus dem Kopf geschlagen. Es imponiert mir, dass du das nicht tust. Trotzdem – mag ich dich nicht.«
Ich strecke das Kinn vor. »Das müssen Sie auch gar nicht. Es gibt nur einen, der mich mögen muss.«
Sie verzieht den Mund, nickt aber mit sichtlichem Widerwillen. »Das stimmt.« Ich atme auf, versteife mich jedoch sofort, als sie mich von oben bis unten mustert, als denke sie wieder darüber nach, mich gleich auseinanderzunehmen. Zu meiner Verwunderung dreht sie sich aber nach rechts und überlegt einen Moment. »Komm mit. Wenn ich dich hier rausschaffe, solltest du nicht in diesen Fetzen herumlaufen müssen. Das ist eine Beleidigung für die Augen und wird die Göttin erzürnen. In gewissen Dingen ist sie noch strenger als ich.«
»Welche Göttin?«, frage ich verwirrt, als ich zu ihr aufschließe und wir gemeinsam die Straße überqueren.
»Die, zu der wir dich bringen. Dort wirst du in Sicherheit sein, zumindest vorerst. Niemand außer meiner Familie wagt sich in ihre Welt, geschweige denn in ihre Nähe. Aber wenn du mit mir schon nicht zurechtkommst, wirst du dir an ihr die Zähne ausbeißen.« Sie schürzt die Lippen. »Fenrir zuliebe werde ich tun, was ich kann, aber eine Garantie gibt es nicht.«
Ich verkneife mir die Frage, wofür ich eine Garantie brauche. Es gibt Dinge – vor allem hier in Asgard –, über die ich lieber nicht genauer Bescheid wissen will.
Sie öffnet die Tür zu einem der kleineren Häuser. Neugierig spähe ich hinein. Im Inneren stapeln sich Kleidung und Schuhe, ebenso wie Waffen und Schilde.
»Was ist das hier?«, frage ich und drehe mich um die eigene Achse, während ich versuche, alle Eindrücke in mir aufzunehmen.
»Hierher wird die Kleidung und die Ausrüstung für die niederen Götter und ihre Kinder gebracht. Ich denke, wir finden etwas, das dir passen könnte. Du hast nicht zufällig Erfahrung mit einer dieser Waffen?« Als ich heftig den Kopf schüttele, murmelt sie: »Hätte mich auch gewundert.«
Ich übergehe ihren Kommentar und wühle mich durch die Kleiderstapel. Mir fällt auf, dass es sich ausschließlich um feine Stoffe handelt. Eine Mischung aus Seide und Taft. Dünn, aber doch so edel und fließend, dass ich ehrfürchtig die Finger darüber gleiten lasse.
»Hier, probier das an!«
Wulfs Mutter hält ein Kleid hoch, das mir die Sprache verschlägt. Vom Schnitt her erinnert es mich an die langen Gewänder, die die Römerinnen früher getragen haben, wenn man den archäologischen Überlieferungen Glauben schenken darf. Verschiedene Schattierungen eines satten Grüns wie das einer Sommerwiese und eines dunklen Tannengrüns fließen in edlen Stoffbahnen nach unten.
Ich nehme ihr das Kleid ab und verschwinde hinter einem hohen Stapel. Dort lege ich den Überwurf ab und schäle mich aus Shirt und Jeans. Ebenso entledige ich mich meiner Sneakers. Von oben steige ich in das Kleid und schiebe mir die Träger über die Schultern.
Weiter hinten im Raum entdecke ich einen Spiegel und stelle mich davor. Vorsichtig lasse ich meine Hände an den Seiten hinabwandern. Das Kleid passt, als wäre es für mich gemacht worden. Noch nie habe ich ein Kleidungsstück getragen, das meine Vorzüge so gut betonte und die Problemzonen kaschierte, als wären sie einfach nicht da. Kein Vergleich zur Jeans, über deren Bund mein Hüftgold quillt wie der Teig über eine Muffinform. Fließend, aber trotzdem eng, umschließt der Stoff meinen Körper und endet knapp über meinen Fußknöcheln. Hinzu kommt, dass die Farbe hervorragend mit meinen Augen harmoniert und sie zusätzlich zum Leuchten bringt.
»Gar nicht mal so schlecht«, murmelt Wulfs Mutter hinter mir. »Aber da fehlt noch etwas Entscheidendes.«
Sie tritt direkt hinter mich und sofort macht mich ihre unmittelbare Nähe wieder nervös. Sie legt eine Art Brustpanzer um mich, der aus mehreren einzelnen Platten eines bronzenen Materials besteht. Trotzdem ist er unerwartet leicht. Es folgt ein weiterer Panzer, der über Hals und Brustbein gelegt wird und sich bis über meine Schultern erstreckt. Als Letztes legt sie mir einen ebenso bronzenen Gürtel um die Hüfte, an dem eine Scheide für einen Dolch befestigt ist, die allerdings leer ist.
Atemlos bestaune ich die Frau im Spiegel, die so aussieht wie ich, die aber unmöglich ich sein kann. Sie ähnelt eher einer Kriegerin aus einem Wikingerfilm als einer mittellosen Archäologin, gestrandet in einer fremden Welt.
Mit den Fingern fährt Wulfs Mutter mir durch die Haare und entwirrt so die Knoten, ehe sie beginnt, einzelne Strähnen an den Schläfen zu flechten und anschließend am Hinterkopf festzustecken.
»Beweg deine Arme, um zu sehen, ob die Rüstung dich stört«, weist sie mich an, nachdem sie fertig ist.
Gehorsam hebe ich beide Arme, bewege sie vor und zurück und beuge mich nach unten.
»Nein, ich … merke sie überhaupt nicht«, antworte ich erstaunt. »Sie ist so leicht und gar nicht starr.«
Im Spiegel schenkt mir Wulfs Mutter ein Lächeln, das wirklich echt zu sein scheint. »Das ist die Rüstung der Walküren, Odins Schildjungfern, die den von ihnen ausgewählten, besonders heldenhaften Gefallenen den Weg vom Schlachtfeld nach Walhalla zeigen«, erklärt sie. »Sie kämpfen gewöhnlich mit Speeren, doch es bedarf viel Übung, diese Waffe zu führen. Vielleicht kommst du mit einem Dolch besser zurecht, ich kann hier jedoch keinen finden. Versuche einfach fürs Erste, in keine Situation zu geraten, in der du einen brauchen könntest.«
»Danke«, sage ich. »Für Ihre Hilfe und für alles, meine ich.«
Eine Weile mustert sie mein Gesicht im Spiegel, dann nickt sie. »Ich bin übrigens Angrboða«, sagt sie. »Wenn ich dich ab jetzt Emma nennen soll, solltest du auch meinen Namen kennen.«
»Angr…« Ich verschlucke mich an dem seltsamen Laut. »Kann … Kann ich Sie vielleicht einfach Angy nennen?«
Sofort verengen sich ihre Augen zu Schlitzen. »Nein«, stellt sie rigoros klar.
Ich nicke, beschließe aber insgeheim, es trotzdem wenigstens in Gedanken zu tun, um nicht jedes Mal fieberhaft überlegen zu müssen, wie man den Namen noch mal ausspricht. Abgesehen davon werde ich ihren Namen in einem offenen Gespräch einfach zu umschiffen versuchen. »Und was sind Sie? Ich meine, sind Sie eine Göttin?«
Wieder lacht sie. »Nein, zum Glück nicht. Ich bin eine Riesin und stamme aus der Welt Jötunheim.«
»Und wieso sind Sie dann hier in Asgard?«
»Weil mein Mann zu den Göttern gehört, wenn auch nicht von Geburt an. So wird mir die zweifelhafte Ehre zuteil, mich frei in Asgard bewegen zu dürfen.«
Es ist nicht zu überhören, dass sie nicht freiwillig hier ist, doch ich erspare mir fürs Erste weitere Fragen. Ich bin schon zufrieden damit, wenigstens eine verständliche Antwort bekommen zu haben.
»Wir sollten gehen. Wir haben schon viel zu viel Zeit vertrödelt«, sagt Angy.
»Was ist mit meinen Sachen?«, frage ich und blicke auf den kleinen Kleiderhaufen hinunter.
»Brauchst du diese Lumpen noch? Sie haben dich nicht halb so gut gekleidet wie das, was du jetzt trägst.«
»Das mag sein …« Sie hat recht, trotzdem schmerzt es mich, meine Sachen zurücklassen zu müssen. Schließlich sind sie alles, was ich noch aus meiner Welt habe. Also raffe ich sie zu einem kleinen Bündel zusammen, hänge es mir über die Schulter und folge ihr aus dem Raum zurück auf die Straße.
»Bis zu den Mauern ist es nicht mehr weit«, erklärt sie. »Ich bin sicher, dass mein Mann schon auf uns wartet.«
»Darf ich fragen, wer Ihr Mann ist?«
»Darfst du. Ich bin die Frau von Loki.«
Fenrir
Ich weiß nicht, wie viele Stunden bereits vergangen sind. Hier in Asgard gibt es zwar auch Sonnenauf- und Sonnenuntergang, aber die Zeiten dazwischen variieren. Sie sind nicht so verlässlich wie in Midgard.
Ob es meiner Mutter inzwischen gelungen ist, Emma aus der Stadt zu bringen? Ich kann nur hoffen, dass sie unterwegs nicht behelligt wurden. Emma fällt hier in Asgard auf, nicht zuletzt durch ihre Kleidung. Sie tapst umher wie ein neugeborener Welpe, der an jedem zweiten Grashalm stehen bleiben muss, um ihn zu beschnüffeln. Emma gehört nicht hierher und nichts kann diese Tatsache ändern, egal wie sehr ich es mir wünsche.
Sobald ich meine Ketten sprenge, wird Alarm geschlagen. Ganz Asgard, alle Götter, Halbgötter, Mischwesen, selbst die Recken in Walhalla und die Walküren werden damit beauftragt werden, mich zurückzubringen. Ich kann nicht riskieren, dass Emma dann immer noch durch die Stadt streift und möglicherweise zwischen die Fronten gerät.
Mich allein kann ich ohne Probleme aus der Stadt bringen. Ich kenne die Wege, weiß, welche Transporter ganz nah an die Stadtmauern heranführen. Aber nachdem Emma so labil auf diese Reisemöglichkeit reagiert hat, wäre es zu gefährlich, sie mehrmals hintereinander teleportieren zu lassen.
Also bleibe ich hier, spiele den geschwächten Gefangenen, während ich nur auf die richtige Gelegenheit warte zu fliehen. Nichts und niemand wird mich daran hindern.
Allerdings lässt mich die Tatsache, dass sie mir die einzige Fessel, die mich halten kann, nicht angelegt haben, misstrauisch werden. Ich habe es in der Halle doch ganz deutlich gesehen: das goldene, von den Zwergen geschmiedete Seil Gleipnir. Ich habe seine Macht gespürt, die mein Blut erstarren ließ und mich gedanklich augenblicklich in die eiskalte und dunkle Höhle versetzte, die für so lange Zeit mein Gefängnis gewesen ist. Ich wusste nichts von einem zweiten Seil dieser Art. Aber wahrscheinlich ist es nur logisch, ein weiteres in der Hinterhand zu haben – wenn man es mit einem wie mir zu tun hat. Für alle Fälle.
Die Tür zu meiner Zelle wird geöffnet und ich drehe meinen Kopf, so weit ich kann herum. Auch diesmal weiß ich, noch bevor ich ihn sehe, sofort, wer eintritt. Auch sein Geruch steigt mir in die Nase und lässt mich augenblicklich rotsehen.
»Du vertraust diesen Ketten anscheinend sehr, wenn du dich in meine Nähe traust, Allvater«, spotte ich und bete, dass er tatsächlich den Fehler macht und sich in meine Reichweite begibt. Ein kurzer Ruck würde genügen, sodass ich zumindest eine Hand frei hätte, die ich um seinen feisten Hals legen und zudrücken könnte. Allein der Gedanke daran zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht.
»Heute ist nicht der Tag, an dem es zu Ende geht, Bestie«, tönt der Allvater, leider aus sicherer Entfernung, was mich frustriert schnauben lässt.
»Ich allein bestimme, wann der Tag ist, vergiss das nicht! Auch wenn du der Allvater bist, hast du Ragnarök nicht unter Kontrolle.«
»Große Töne für einen Gefesselten. Du kannst von Glück reden, dass mir die Bestimmungen der Nornen heilig sind, sonst hätte ich dich schon als Welpe ersäufen lassen.«
Ich höre, wie er ein paar Schritte in der Zelle macht, doch leider nähert er sich mir wieder nicht. Also beschränke ich mich darauf, ihn weiter zu reizen und ihn vielleicht aus der Reserve zu locken.
»Wahrscheinlich sind sie das Einzige, das dir überhaupt heilig ist. Als Allvater hast du auf ganzer Linie versagt. Eine komplette Welt glaubt nicht mehr an dich. Du und die anderen Götter, ihr seid dort nichts weiter als ein Mythos. Und ich stehe vor dir, befreit von einer der Ungläubigen. Lässt dich das nicht an der Unfehlbarkeit der Nornen zweifeln? Ich für meinen Teil zweifele zumindest. Und wenn du nicht auch auf deinem gesunden Auge blind wärst, tätest du das ebenfalls.«
Der alte Gott schnaubt abfällig. »Willst du mir ernsthaft weismachen, dass die Bestimmungen der Nornen fehlerhaft sind? Das ist unmöglich!«
Ich balle meine Hände, die von den zu engen Fesseln kribbeln, zu Fäusten. »Warum bist du dir denn so sicher, dass wirklich alles eintreten muss, was die drei Schicksalsseherinnen von sich geben? Was ist so falsch an der Annahme, dass wir …«
»Wage nicht, das in meiner Gegenwart auszusprechen, was du gerade denkst! So etwas wie einen freien Willen oder die Möglichkeit, sein Schicksal zu ändern, gibt es nicht.«
Noch vor wenigen Tagen habe ich genauso gedacht wie er, wie alle anderen Götter auch. Für mich gab es nicht mehr als meinen vorhergesagten Weg der Zerstörung und des Todes – einsam, grausam, endgültig.
Doch dann zeigte mir jemand, den meine Bestimmung mit keiner Silbe erwähnt hatte, einen Weg aus der alles umschlingenden Dunkelheit, die mich umgeben hat. Mit aller Kraft klammere ich mich nun an die Hoffnung, dass es tatsächlich möglich ist. Dass ich es schaffen kann, vollends aus der Dunkelheit hinaus und ins Licht zu treten. Dass ich in der Lage bin, meinen Hass zu vergessen, ebenso wie alles, was mit Asgard und den Göttern zu tun hat. Ja, ich will nichts mehr mit ihnen zu tun haben, will sie und ihre Welt hinter mir lassen und stattdessen in Frieden leben. Mit Emma, irgendwo, wo uns niemand kennt, wo wir einfach nur wir selbst sein können, frei von Bestimmungen, Fesseln und Vorurteilen.
Mein größtes Ziel ist es, diesen Ort für uns zu finden und ihn notfalls mit bloßen Händen gegen all jene zu verteidigen, die uns schaden wollen.
»Denk doch, was du willst, Allvater!«, gebe ich zurück.
Es hat keinen Sinn, mit dem alten Mann zu streiten, für den es keine andere Wahrheit außer seiner eigenen gibt.
»Der Grund meines Besuches«, sagt Odin, ohne auf meine Antwort einzugehen, »ist übrigens der, dass wir sie gefunden haben. Deine Menschenfrau.«
Ich erstarre und mein Herz setzt für einen Schlag aus. Das ist unmöglich! Das … das darf einfach nicht sein!
»Du lügst!«, presse ich hervor und kann mich nur mit Mühe davon abhalten, meine Fesseln zu zerreißen und die Antwort aus ihm herauszuprügeln. »Du wärst nicht hier, wenn es so wäre. Du …« Meine Stimme bricht und ich schlucke gegen die beklemmende Enge in meinem Hals an. »Du würdest nicht seelenruhig hier stehen und dich mit mir unterhalten, wenn du sie wirklich erwischt hättest.«
Bitte sag mir, dass ich recht habe! Bitte sag, dass du sie nicht gefunden hast!
Auch wenn meine Mutter Emma ganz bestimmt nicht in ihr Herz geschlossen hat, bin ich doch davon überzeugt, dass sie mir zuliebe Emma bis zum letzten Atemzug verteidigen würde. Und es wäre selbst für Odin nicht ohne Weiteres möglich, meine Mutter zu töten, die ihm übrigens schon lange ein Dorn im Auge ist.
»Bringt sie rein!«, bellt Odin den Wachen vor der Tür zu.
Ich bin unfähig, klar zu denken. Als ich die leisen Schritte aus dem Korridor höre, die sich meiner Zelle nähern, kneife ich fest die Augen zusammen und zwinge mich dazu, ruhig zu atmen. Jedes Geräusch wird vom Rauschen meines eigenen Blutes übertönt.
Ich werde ihn umbringen. Wenn er auch nur einen Finger an sie gelegt hat, werde ich ihm hier und jetzt den Kopf abbeißen. Ich werde …
Neben Odin steht eine weitere Person, eindeutig eine Frau. Nach und nach erkenne ich den dunkelgrünen Überwurf wieder, den ich … Emma bei unserer Ankunft in Asgard gegeben habe. Über die Schultern fließen ihre hellbraunen Haare mit den aufgehellten Strähnen.
Sie ist es. Es ist Emma. Er hat sie tatsächlich gefunden.
Mit einem ohrenbetäubenden Schrei, der aus den Tiefen meines Selbst zu kommen scheint, reiße ich mich von meinen Fesseln los und gehe auf den Allvater los.
Emma
Natürlich! In der Halle nannte der Allvater ihn ›Fenrir Lokison‹. In dem Moment stand ich so unter Schock von allem, was innerhalb weniger Sekunden um mich herum geschehen war, dass ich es aus meinem Kopf verbannt habe. Aber jetzt, als Angy mir erzählt, sie sei Lokis Frau, fällt es mir wieder ein.
Das innere Fangirl in mir läuft gerade auf Hochtouren. Loki! Der Loki, den ich in Thor nicht nur einmal angeschmachtet und im wahrsten Sinne des Wortes vergöttert habe, ist ihr Mann! Und dadurch …
»Wulf ist Lokis Sohn!«, bricht es aus mir heraus und ich schlage mir beide Hände vor den Mund, um einen entzückten Aufschrei zu unterdrücken.
O ja, ich befinde mich gerade mitten in meinem Fangirl-Modus.
»Du bist ja eine ganz Schnelle«, spottet Angy, allerdings ausnahmsweise mit einem gutmütigen Grinsen. »Und wie oft soll ich dir noch sagen, dass mein Sohn Fenrir heißt?«
»Das ist wohl die Gewohnheit, Entschuldigung«, murmele ich, während sich meine Gedanken überschlagen. Ich meine, der Loki! Wenn ich in Schnappatmung verfalle, wird mir das doch niemand übel nehmen, oder?
Aber … was, wenn er genauso ein Widerling ist wie die anderen Götter, denen ich bereits begegnet bin? Hat Wulf damals nicht gesagt, ich würde von Thor sehr enttäuscht werden, wenn ich ihm tatsächlich über den Weg laufen würde? Was, wenn der echte Loki nicht im Entferntesten mit meinen (Wahn-)Vorstellungen mithalten kann?
»Du hast ihn bereits gesehen«, sagt Angy, als könne sie meine Gedanken lesen. (O Gott, kann sie das etwa?!) »In der Halle, als du und Fenrir angekommen seid. Wir waren beide da und sehr überrascht darüber, dass unser Sohn mit dir den Gang entlangschritt.«
Fieberhaft durchforste ich mein Gedächtnis, doch meine Erinnerungen an die Ereignisse in der Halle sind überschattet von Wulfs Verwandlung in einen riesigen Wolf und seiner anschließenden Zerstörungswut. Und meinem Verrat an ihm, als ich ihn dazu zwang, sich zurückzuverwandeln. Es waren zu viele Eindrücke, die da mit einem Mal auf mich eingeprasselt sind, sodass ich sie nicht mehr im Detail abrufen kann.
Doch dann blitzt plötzlich ein Bild vor meinem inneren Auge auf. Angy, die zusammen mit einem Mann von ihrem Platz aufspringt und Wulf anstarrt. Der Mann neben ihr … Er hat mich tatsächlich an Wulf erinnert. Die kohlschwarzen Haare … allerdings schulterlang und glatt.
Erleichtert atme ich aus. Wenigstens ist mein Loki nicht so abstoßend wie Heimdall. Wobei Tyr auch nicht schlecht aussieht, aber dafür ein echtes Ekelpaket ist. Oh, hoffentlich ist das bei Loki nicht auch der Fall! Ich meine, er war ja schon in den Filmen ein wahrer Schlingel, aber … eben auf die coole Art. Wenn er wirklich eine Enttäuschung für mich ist …
»Da seid ihr ja endlich!«, ruft eine männliche Stimme direkt vor uns.
Ich ramme meine Füße in den Boden. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich meine Umgebung komplett ausgeblendet habe. Ein Kardinalfehler, wenn man sich – wie ich! – in einer fremden, gefährlichen Welt befindet, in der an jeder Ecke ein psychopathischer Gott lauern kann. Erschrocken presse ich das Bündel mit meinen Habseligkeiten an die Brust.
Angy lässt mich sofort stehen, eilt zu dem Mann, der im Halbschatten einer Hauswand steht, und legt die Arme um seinen Hals.
»Ihr seid spät dran«, tadelt er uns, schaut dabei aber nur in meine Richtung. Ich stehe noch immer mitten auf der Straße und trete unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Ich dachte schon, ihr seid ohne mich los.«
»Machst du Witze?«, sagt Angy, löst sich von ihm und macht eine abwertende Geste in meine Richtung. »Ich bin froh, wenn ich sie gleich nicht mehr am Hals habe.«
Gerade als ich protestieren will, erscheint ein gutmütiges Lächeln auf dem Gesicht des Mannes. »Dafür, dass du sie nicht magst, erfreut sie sich aber bester Gesundheit. Normalerweise bist du doch nicht so nachsichtig, meine Liebe.«
Der Mann macht einen Schritt aus dem Halbschatten heraus – und mir stockt der Atem. Beinahe werfe auch ich mich ihm an den Hals, weil ich ihn in der ersten Sekunde für Wulf halte. Doch zum Glück fallen mir rechtzeitig die Unterschiede auf: die längeren Haare, die schmalere Statur und die »falsche« Augenfarbe. Wulfs Augen sind von einem strahlenden Himmelblau, die des Mannes vor mir eher von rauchgrauer Färbung. Das schelmische, schiefe Grinsen dazu macht mir unzweideutig klar, wen ich vor mir habe – Loki, den Trickster.
Zögerlich mache ich einen Schritt auf ihn zu und kämpfe wieder darum, mein inneres Fangirl im Zaum zu halten. Ich befürchte, es könne unpassend rüberkommen, wenn ich ihn kreischend um ein Autogramm bitten würde. Nicht jetzt. Denn eins ist sicher: Ich werde Asgard nicht ohne ein Autogramm von Loki verlassen!
»Verzeih meiner Frau, wenn sie unfreundlich zu dir war«, sagt der Gott zu mir und beinahe seufze ich laut auf. Seine Stimme ist so voll und tief, dass allein ihr Klang mir weiche Knie beschert. »Sie gewöhnt sich nicht gern an neue Leute.«
Hinter ihm gibt Angy ein genervtes Schnauben von sich, verschränkt die Arme und wendet sich ab.
Loki streckt mir die Hand hin und nach kurzem Zögern ergreife ich sie.
»Ich bin Loki«, stellt er sich unnötigerweise vor. »Meine Frau Angrboða kennst du bereits und ebenso meinen Sohn.« Der Griff um meine Finger verstärkt sich und er zieht mich ein Stück zu sich heran, um mich zu mustern. »Viel wichtiger ist jedoch die Frage, woher du ihn kennst?«
Sein übermütiges Grinsen hat einen verschlagenen Zug angenommen und augenblicklich fühle ich mich unwohl. Ich möchte zurückweichen und den Blick abwenden, doch es ist unmöglich. Er hält mich gefangen, genau wie Wulf es mit seinem Blick tut. Sie sind sich so ähnlich, gleichzeitig aber auch verschieden. Ich könnte Stunden damit zubringen, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten auf eine Liste zu schreiben, ohne dass mir langweilig werden würde.
»Da du offensichtlich seinem Zorn Einhalt gebieten kannst, nehme ich an, dass auch du es warst, die ihn befreit hat?« Mit einem flauen Gefühl im Magen nicke ich knapp. »Was erhoffst du dir davon, dass du ihn kontrollieren kannst?«
»K–Kontrollieren?«, frage ich verwirrt. »Ich … Bis vorhin wusste ich nicht einmal, dass er sich in so ein Ungeheuer verwandeln kann. In der Höhle ist er nichts weiter gewesen als ein mit einem Seil gefesselter schwarzer Wolf.«
»Glaubst du ihr?«, fragt Angy, die direkt hinter ihn getreten ist und über seine Schulter schaut, um mich ebenfalls zu mustern. Wie ein Insekt, das sie gleich zerquetschen will, denke ich. Ich kann es mir bildlich vorstellen.
Panisch blicke ich vom einen zur anderen und überlege, was ich sagen soll, um sie zu überzeugen. »Ich würde nie etwas tun, das ihm schaden könnte«, stelle ich klar. »Bis wir hierhergekommen sind, hatte ich keine Ahnung, wer er ist.«
»Das bringt mich zur nächsten Frage«, fällt mir Loki ins Wort, ohne auf meine Worte einzugehen. »Wie bist du nach Asgard gekommen? Hast du ihn dazu gezwungen, dich mitzunehmen?«