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Die 18. Ausgabe des Raumfahrt-Klassikers. Nehmen Sie teil am großen Abenteuer unserer Zeit... Raumfahrt im 21. Jahrhundert: Spannender als Science Fiction. In den SPACE-Jahrbüchern halten wir für Sie die aktuellen Entwicklungen in der Raumfahrt fest. Sachkundig, pointiert, aktuell und spannend Wettstreit der Mondlander *** JUICE: Endstation Ganymed *** Tom Cruise und das Ende der ISS *** Bis zum Mars und weiter: Chinas Weg ins Sonnensystem *** Gangayaan: Indiens bemanntes Raumschiff *** Atomkraft für die Raumfahrt *** Psyche: Mission zu Eisen und Nickel grey_star Cliff Alister McLane und die Frauen *** Science Fiction-Wettbewerb 2020 *** Raumfahrtchronik und Raumfahrtstatistik *** Raumfahrt-Panorama *** und vieles mehr..
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Seitenzahl: 441
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ePub-Edition Oktober 2020
Copyright © by VFR e.V., München
Alle Rechte vorbehalten
Initiator: Verein zur Förderung der Raumfahrt e.V., www.vfr.de
Herausgeber: Thomas Krieger
Organisation: Peter Schramm
Lektorat: Heimo Gnilka, Margit Drexler, Thomas Krieger, Peter Schramm, Stefan Schiessl
Titelmotiv: Die RIME Antenne (Radar for Icy Moons Exploration) der Raumsonde JUICE wird in einer anechoischen Kammer vermessen, ESA
Layout & Satz: Stefan Schiessl, www.exploredesign.de
Web: www.space-jahrbuch.de / eMail: [email protected]
ISBN 978-3-944819-49-5 (ePub)
irgendwie erinnert mich das Jahr 2020 an einen Song aus meiner Jugend. Er stammt von Barry McGuire und trägt den Titel „Eve of destruction“. Zwei bemerkenswerte Zeilen aus dem Text lauten: “You may leave here, for four days in space, but when you return, it‘s the same old place”. In gewisser Weise trafen diese Worte auch für den Orbitalflug von Bob Behnken und Doug Hurley bei der SpaceX Demo-Mission 2 zu.
Fast schon beneidete man die beiden. Das Timing ihrer Mission, zufällig wie es sein mochte, war exquisit. Einfach mal den Planeten für zwei Monate verlassen und darauf hoffen, dass sich die Dinge bei der Rückkehr gebessert haben.
Hatten sie aber nicht. Es war danach weiterhin der gleiche, alte Ort. Ein Ort des Umbruchs, der an die zweite Hälfte der sechziger Jahre erinnerte. Ein Ort der Unruhen und Bürgerrechtsproteste in den USA, eine Pandemie die weltweit grassiert, und zum Zeitpunkt, an dem ich dies hier schreibe schon fast 30 Millionen Menschen weltweit befallen und fast einer Million Menschen das Leben gekostet hat. Eine dadurch hervorgerufene Rezession, die stark an die von 1929 erinnert, und die weiter wachsende Sorge um das aus dem Ruder laufende Klima.
Man war versucht, sich zu fragen, was denn in diesem Jahr noch alles hätte schief gehen können, unterließ es aber dann vorsichtshalber, denn es wäre gut möglich gewesen, dass man darauf tatsächlich eine Antwort bekommen hätte. Gleich wie schlimm die Dinge schon sind, unsere Lebenserfahrung zeigt, dass sie immer noch schlimmer werden könnten. Und wer weiß was tatsächlich noch kommt. Das Jahr läuft zum Zeitpunkt, an dem diese Zeilen entstehen, noch dreieinhalb Monate.
Auch die Raumfahrt war vom Virus betroffen. Ohne diesen wäre es ein Rekordjahr an Starts geworden. Aber manche Nationen wie etwa Indien oder zeitweise auch Europa fuhren ihre Aktivitäten zum Teil komplett herunter. Bei fast allen anderen kam es zumindest zu Verzögerungen, wie in China oder den USA.
Dennoch, es gab auch positive Ereignisse. Zum ersten Mal seit der Einstellung der Shuttle-Flüge waren US-Astronauten wieder von amerikanischem Boden in die Erdumlaufbahn geflogen. Für die USA schien der Orbitalflug von Bob Behnken und Doug Hurley wie eine Salbe auf die Wunde der Unruhen in den Städten, der hohen Arbeitslosigkeit und der politischen Zerrissenheit des Landes. Den beiden zuzusehen, wie sie ihren Weg zur Internationalen Raumstation und 62 Tage später wieder zurück zur Erde machten, das war schon eine Freude. Für Amerika war es endlich wieder ein verbindendes Element in diesen schwierigen Zeiten.
Damit genug des Räsonierens. Die Welt läuft weiter. Auch in der Raumfahrt. Auch die bereits begonnenen Programme gehen weiter, mögen sie auch gelegentlich ein wenig ins Stolpern geraten.
Das beweist auch unser diesjähriger Leitartikel in dem wir den „Wettstreit der Mondlander“ vorstellen. Aus fünf Angeboten wählte die NASA drei Unternehmen und Konsortien aus. Sie gehen jetzt in die nächste Phase im Kampf um den lukrativen Auftrag für den ersten bemannten Mondlander nach Apollo.
In zwei Artikeln stellen wir interessante Raumsondenprojekte vor, die im Berichtsjahr wichtige Meilensteine absolviert haben. Das ist zum einen die europäische Jupitersonde JUICE, der wir den Titel „JUICE – Endstation Ganymed“ widmen. Zum anderen ist es die US-Raumsonde Psyche, die fast zur selben Zeit wie JUICE starten soll. Die Reise geht bei ihr zu dem Metall-Asteroiden Psyche, der dem Raumfahrzeug auch seinen Namen gegeben hat.
Dann wollen wir den Status der Internationalen Raumstation beleuchten. Wussten Sie, dass der US-Schauspieler Tom Cruise da im kommenden Jahr hin will? Und dass das Ende der ISS unausweichlich eines Jahres kommen wird? Und wann das ist und was danach kommt? Wenn Sie an diesen Fragen interessiert sind, ist unser Beitrag „Tom Cruise und das Ende der ISS“ genau der Richtige für Sie.
Den meisten von Ihnen dürfte nicht bekannt sein, dass Indien derzeit ein eigenes bemanntes Raumfahrtprogramm aufbaut, und zukünftig sogar eine Raumstation betreiben will. Wir berichten darüber in „Indiens bemanntes Raumfahrtprogramm“.
Im Berichtsjahr wurden drei Raumsonden zum Planeten Mars gestartet. Alle drei werden ihr Ziel im Februar 2021 erreichen. Eine besonders komplexe Mission ist die der chinesischen Tianwen 1-Raumsonde. Wir berichten darüber und über die weiteren interessanten Pläne Chinas für die Erforschung des Sonnensystems.
Wenig bekannt ist, dass es die Seefahrt braucht, damit Raumschiffe fliegen können. Ein ausführlicher Beitrag befasst sich mit den Schiffen, welche die Raumfahrt überhaupt erst möglich machen.
Wie immer gibt es auch in diesem Jahr einen interessanten Beitrag zur Raumfahrtgeschichte. Dieses Mal geht es um Rudolf Nebel, einen heute fast vergessenen Raumfahrtpionier aus dem fränkischen Weißenburg.
Sind sie Gegner der Atomkraft? Dann sollten sie den Artikel „Atomkraft für die Raumfahrt“ am besten überspringen. Wir erläutern nämlich darin, dass wir langfristig auf Atomkraft nicht verzichten können, wenn wir unseren kosmischen Vorgarten jemals verlassen wollen.
In „Nicht unbedeutend“ berichten wir über die unbekannteren Mitglieder eines exklusiven Clubs. Wir beschäftigen uns darin mit den sogenannten „kleinen“ Nationen, die in der Lage sind, eigene Satelliten mit eigenen Trägerraketen von nationalen Weltraumbahnhöfen aus in den Orbit zu senden.
In „Vision 2040 – Jahr 1“ stellen wir Ihnen erste Ergebnisse zu unserem „Projekt Zeittunnel“ vor. Spannend zu sehen wie Sie, unsere Leser, sich die Entwicklung der Raumfahrt in der Zukunft vorstellen.
Wie schon im letzten Jahr weicht auch die Filmbesprechung für die Ausgabe SPACE 2021 vom normalen Standard ab. Das ist Covid geschuldet, denn dank (oder undank) dieser Epidemie haben es praktisch keine Science-Fiction Filme so rechtzeitig in die Kinos geschafft, dass wir einen richtigen „Blockbuster“ besprechen konnten. Deswegen haben wir uns einen „Straßenfeger“ der 60er-Jahre vorgenommen und einen Blick auf DIE SF-Serie meiner Jugend geworfen: „Raumpatrouille – Die Abenteuer des Raumschiffs Orion“.
Jedes Jahr ändern wir SPACE ein wenig. Unauffällig nur, um unsere Traditionsleser nicht zu verschrecken, aber doch genug, um auch neue Leser zu gewinnen. In diesem Jahr haben wir den klassischen Chronik-Teil mit den Starts (und bemannten Landungen) des Jahres um etwa 20 Prozent gekürzt. Dafür haben wir das „Raumfahrt-Panorama“ etwas ausgebaut. Dieser Teil beschäftigt sich mit Meldungen aus der Raumfahrt des vergangenen Berichtsjahres, der nichts mit Startaktivitäten zu tun hat, sondern mit Ereignissen und Personen.
Unser diesjähriger Science-Fiction Wettbewerb befasste sich mit dem Schwerpunkt „Weltraum-Tourismus“. Wie immer finden Sie die drei besten Beiträge im Buch. Freuen Sie sich darauf. Es sind drei sehr unterschiedliche Geschichten.
Neben den Artikeln widmen wir einen wesentlichen Teil des Buches wie immer einer ausführlichen Dokumentation aller Raumfahrtstarts in der SPACE-typischen Berichtsperiode, die für den aktuellen Band vom September 2019 bis August 2020 läuft. Wir haben damit in den bislang erschienenen 18 Bänden jede einzelne Mission, die seit dem 5. Januar 2003 in den Orbit oder darüber hinausging, im Detail dokumentiert.
Für die Zahlenfreaks unter unseren Lesern, und davon gibt es eine ganze Reihe wie wir wissen, haben wir wie jedes Jahr einen Block von über 20 Seiten zur Statistik des Jahres erarbeitet.
Gegen Schluss des Editorials findet sich auch immer der Platz, allen zu danken, die wesentlich zum Entstehen dieser Ausgabe beigetragen haben. Allen voran den beiden Hauptprotagonisten, unserem Grafiker, Layouter und Ideengeber Stefan Schiessl, der dafür sorgt, dass dieses Werk ein haptisches und optisches Erlebnis wird. Dank auch an Peter Schramm, den „General Manager“ des Projektes „SPACE“. Unterstützend tätig war in diesem Jahr wieder Lothar Karl, der Organisator des VFR-Science Fiction Kurzgeschichten-Wettbewerbs. Ein weiterer herzlicher Dank geht nach Berlin an unsere Lektorin Margit Drexler und nach Weilheim, wo Heimo Gnilka ebenfalls darüber wacht, dass das Buch so fehlerfrei wie möglich die Leserin und den Leser erreicht. Und zu guter Letzt wollen wir auch den Autoren unserer beiden Gastbeiträge danken, nämlich Alexandra Lein, der Projektleiterin des Antriebssystems der Jupitersonde JUICE und dem Historiker Thomas Wägemann vom Stadtarchiv Weißenburg.
Ein großes Dankeschön richten wir wie stets an dieser Stelle an unsere Sponsoren. Sie tragen jedes Jahr den Teil der Erstellungskosten, die mit den Verkäufen alleine nicht zu decken wären.
Ein paar Zeilen noch zu unserem Kontaktangebot. Wir haben es um zusätzliche Möglichkeiten erweitert, mit uns in Verbindung zu treten. Sie können uns zum Beispiel unter www.vfr.de mit der Mail-Adresse [email protected] schreiben. Noch ein wenig persönlicher und direkter geht es über unser Facebook-Konto www.facebook.com/SPACE.Jahrbuch, das fast tägliche Updates erlebt. Abonnieren Sie es und kommentieren Sie mit. Oder sehen sie sich unser spezielles SPACE-Portal unter www.space-jahrbuch.de an, wo sie neben interessanten Dingen um das Thema Raumfahrt auch Informationen zu unserem Jahrbuch und sein Entstehen erhalten und wo sie beim „Projekt Zeittunnel“ mitmachen können. Diese Seite ist auch der Ort, an dem sie die Bände vergangener Jahre nachbestellen können, die im Buchhandel möglicherweise schon vergriffen sind.
Wenn Sie Kritik für uns haben oder Lob, Tipps oder Meinungen, ein Problem oder eine Frage zu den Inhalten, wenn Sie sich schon mal die Ausgabe für das nächste Jahr reservieren wollen oder gerne der Tochter oder dem Sohn eins der Bücher schenken wollen, gerne auch signiert, wenn sie eine Prognose zum zukünftigen Verlauf der Raumfahrt abgeben wollen: nehmen Sie über eine der vielfältigen Möglichkeiten Kontakt mit uns auf. Wir freuen uns auf Ihr Feedback.
Und jetzt hinein ins Raumfahrtgeschehen. Wir wünschen Ihnen viel Freude bei der Lektüre von SPACE 2021. Bleiben Sie uns weiterhin treu und gewogen.
Im Namen des SPACE-Teams, Ihr Eugen Reichl
Eine Barke, 110 x 80 Meter groß, modifiziert für den Meeresstart einer Langer Marsch 11, wird ins Startgebiet geschleppt.
Bis zum März 2020 war der Weg zur Mondoberfläche umständlich aber klar und verlief wie folgt: Im Rahmen der ARTEMIS III-Mission fliegt eine vierköpfige Crew mit einem Orion-Raumschiff zum Mini-Gateway, einer rudimentären Kleinraumstation, die sich in einem sogenannten Halo-Orbit um den Mond befindet. Die Bezeichnung „Halo-Orbit“ geht zurück auf den NASA-Wissenschaftler Robert Farquhar, der erstmals Umlaufbahnen um Lagrangepunkte vorschlug. Es ist keine spezifische Abkürzung, sondern bezieht sich auf die Form des atmosphärischen Lichteffektes, die durch Reflexion und Brechung von Licht an Eiskristallen entstehen.
In diesem Halo-Orbit also legt die Orion an einem der Docking-Adapter des sinnigerweise HALO genannten Wohnmoduls des Gateway an. In diesem Fall ist HALO ein Akronym und bedeutet: HAbitation and Logistics Outpost. An einem weiteren Docking-Adapter dieses Moduls sollte dann schon idealerweise der Mondlander warten, der einige Wochen zuvor von der Erde kommend unbemannt dorthin geflogen ist. Nun ziehen zwei der vier Astronauten in diesen Lander um und machen ihn startklar. Die beiden anderen richten sich im Gateway ein. Die Mondcrew fliegt ab, landet auf dem Erdtrabanten, erledigt ihren etwa einwöchigen Forschungsauftrag und kehrt dann wieder zum Gateway zurück. Alle vier steigen wieder in die Orion und fliegen gemeinsam zurück zur Erde. So weit, so umständlich. Kritiker, allen voran Robert Zubrin von der Mars Society, wiesen schon früh darauf hin, dass für eine „simple“ und möglichst zeitnahe Mondlandung der Umweg über den Außenposten unnötig sei. Um Präsident Trumps Ziel einer Landung vor dem Ende des Jahres 2024 realisieren zu können, ist dieses Vorgehen sogar ziemlich kontraproduktiv. Genauso gut kann der Mondlander direkt in einen hohen Mondorbit transportiert werden (ein niedriger Orbit geht leider nicht, denn einen solchen kann die Orion aus eigener Kraft nicht erreichen). Also ist es am vernünftigsten, die Orion legt direkt dort an, ein oder zwei Astronauten bleiben zurück um die Orion zu steuern, die anderen zwei oder drei landen derweil auf dem Mond. Damit, so befand die NASA nach einigem Nachdenken, könne man das Gateway aus dem „kritischen Pfad“ nehmen und sei nicht darauf angewiesen, dass die ersten Module Ende 2024 auch an Ort und Stelle wären (im vorhin beschriebenen Halo-Orbit nämlich). Erst für nachfolgende Missionen, derzeit vorgesehen für ARTEMIS IV oder V in den Jahren 2025 oder 2026 soll der Gateway mit eingesetzt werden. So lange wird er dann auch nicht von Menschen besucht. Er sei aber, so die NASA, auf jeden Fall notwendig: Als Forschungsplattform, als Zwischenstation für den Crew-Wechsel, als Andock-Knoten für die Mondfähren, die in dieser späteren Phase wiederverwendbar und betankbar sein sollen, als energiesparende Möglichkeit, die Inklination der Mondumlaufbahnen späterer Landevehikel zu ändern, und später vielleicht auch als Absprungbasis für Flüge zu erdnahen Asteroiden oder zum Mars.
Somit gehen die Vorbereitungen zur Errichtung des Gateway unverändert weiter, allerdings nun ohne den zeitlichen Druck, ihn unbedingt für die erste Mondlandung zu brauchen. Im Berichtszeitraum von SPACE 2021 hat die NASA dazu eine Reihe wichtiger Entscheidungen getroffen und Verträge auf den Weg gebracht. So wurde der Vertrag mit Maxar Industries (vormals Space Systems Loral) für die Lieferung des Energie- und Antriebsmoduls (Power and Propulsion Element, oder kurz PPE) unterzeichnet. Northrop Grumman erhielt den Auftrag für das schon erwähnte HALO-Modul, und SpaceX wird für die Versorgung des Gateway zuständig sein, und dafür den Dragon XL bauen und entwickeln. Damit weiterhin alles schnell geht, die Kosten aber im Rahmen bleiben, hat die NASA auch den Entschluss gefasst, PPE und HALO auf einer einzelnen Rakete zu starten. Die wird über eine erhebliche Leistungsfähigkeit verfügen müssen, um beide Module gleichzeitig auf den Mondtransfer zu bringen. Das Space Launch System kann es nicht sein, denn diese Rakete mit seiner geradezu absurden Komplexität und enorm langen Fertigungsdauer wird nur für die bemannten ARTEMIS-Missionen zur Verfügung stehen können. Bleiben also die Vulcan der United Launch Alliance (wobei hier die Frage ist, ob die für einen solchen Einsatz notwendige Version überhaupt schon 2023 zur Verfügung steht), die New Glenn (wobei auch hier die Frage offen ist, ob sie bis 2023 schon einsatzfähig ist) und die Falcon Heavy. Seien wir realistisch: wenn die Module tatsächlich bis 2023 fertig sind, dann kann es eigentlich nur die Falcon Heavy sein, denn die ist als einzige bereits heute einsatzbereit.
Aber wir stellten ja fest: So ganz dringlich ist die Sache mit dem Gateway nun nicht mehr, denn die erste, vielleicht auch die zweite Mondlandung der Nach-Apollo-Zeit werden jetzt direkt angegangen, ohne Umweg über den Gateway.
Nachdem auf der Gateway-Seite der Druck weggenommen ist, verschärft sich aber nun der Druck umso mehr, das eigentliche bemannte Mondlandesystem rechtzeitig zur Verfügung zu haben. Ende April 2020 wählte die NASA drei Unternehmen aus, die sich in den darauffolgenden zehn Monaten im „Endkampf“ um den lukrativen Auftrag für Entwicklung und Bau des HLS befinden. HLS, das ist in der NASA-Terminologie die Abkürzung für das „Human Landing System“. Die drei ausgewählten Unternehmen sind Blue Origin, Dynetics und SpaceX. Alle drei haben nicht nur sehr interessante, sondern vor allem auch drei extrem unterschiedliche Konzepte vorgelegt, mit denen sie das Ziel erfüllen wollen, zwei Menschen vor Ablauf des Jahres 2024 auf dem Mond zu landen. Insgesamt gibt die NASA für diese zehnmonatige Programmphase 967 Millionen Dollar aus. Das entspricht etwa 830 Millionen Euro. Die Geldmittel sind dabei recht unterschiedlich verteilt und spiegeln den momentanen „Glauben“ der Raumfahrtbehörde an die Realisierbarkeit der unterschiedlichen Konzepte wider. Blue Origin, das im Rahmen eines Konsortiums ein dreistufiges Transfer-, Lande- und Aufstiegsmodul in sehr klassischem Design vorsieht, erhält mit 579 Millionen Dollar etwa 60 Prozent der Gesamtmittel. Dieses Design ist konservativ in seiner Auslegung, das Konsortium beinhaltet eine ganze Reihe der „klassischen“ Raumfahrtfirmen und Teile der Konstruktion sind schon weit gediehen. Insofern glaubt die NASA, dass dieses Konzept am leichtesten und schnellsten zu realisieren ist.
Dynetics erhält 253 Millionen Dollar. Dieser Entwurf ist schon deutlich progressiver. Es ist ein zweistufiges Konzept mit einem verblüffend konstruktiven Ansatz, der das Problem des „Herauskletterns“ aus der Mondfähre elegant löst. Und schließlich SpaceX. So, wie man es von diesem Unternehmen erwartet, der mit weitem Abstand revolutionärste Entwurf. Das Konzept eines riesigen, auf dem Spaceship-Konzept basierenden, einstufigen und mehrfach wiederverwendbaren Landers mit schier unfassbaren Reserven. Dieses Design klassifizierte die NASA, wer will es ihr verdenken, als das am wenigsten realistische Unterfangen und ordnete ihm deshalb nur 135 Millionen Dollar zu.
Zwei Angebote fielen in der Bewertung durch und wurden von der NASA keiner weiteren Betrachtung für würdig befunden. Eines davon war das von Boeing. Das Unternehmen ist tief gefallen, in den letzten Jahren.
Das Angebot von Blue Origin profitiert von den Erfahrungen von Lockheed Martin, Northrop Grumman und den Draper Laboratories, die je ein Element dieses dreistufigen Vehikels bauen sollen. Blue Origin bezeichnete diese Verbindung von drei erfahrenen Unternehmen als das „National Team“ und trifft damit genau den Duktus der Trump-Regierung. Grundgedanke des Entwurfes war es, dass jedes Element separat entweder an Bord einer New Glenn- oder einer Vulcan-Trägerrakete ins All gebracht werden kann. Diese beiden Raketen haben auch starke Verbindungen zu den drei Unternehmen. Blue Origin baut die New Glenn und das Haupttriebwerk für die Vulcan-Rakete der ULA, Northrop Grumman baut die Feststoffbooster für die Vulcan und Lockheed ist eine der beiden Muttergesellschaften der ULA, welche die Vulcan bauen und betreiben wird. Der Begriff vom National Team soll vermitteln: Wir sind eine eingespielte Mannschaft hochqualifizierter Unternehmen.
Alternativ könnten auch alle drei Komponenten der Kombination mit einem einzelnen Space Launch Vehicle (SLS) der NASA gestartet werden, doch ist absehbar, dass bis Ende 2024 davon nur drei Einheiten gebaut werden können, und die werden ausschließlich für den Transport der Orion-Kapsel benötigt. Der Lander des „National Teams“ kann sowohl direkt mit dem Orion-Raumschiff im Mondorbit gekoppelt werden, als auch mit dem Mini-Gateway, das ja bis Ende 2024 ebenfalls zur Verfügung stehen sollte. Die ersten ein- oder zwei Landungen des Artemis-Programms, das sind die Missionen 3 oder 4 sollen jedoch nach neuer Beschlussfassung ohne den Gateway erfolgen. Das bedeutet, es wird ein Direkt-Docking mit dem Orion-Raumschiff in einem weiten lunaren Orbit stattfinden.
Sobald die ARTEMIS III-Mondoberflächencrew in den Lander gewechselt ist, wird das auf dem Cygnus-Versorgungsmodul für die ISS basierende Transferelement von Northrop Grumman den Lander und die Aufstiegsstufe auf eine niedrige Mondumlaufbahn bringen. Danach koppeln Transferelement und das weiterhin miteinander verbundene kombinierte Lander- und Aufstiegselement voneinander ab. Nun übernimmt das von Blue Origin entwickelte Landeelement und bewerkstelligt den Abstieg zur Mondoberfläche. Diese Abstiegsstufe wird von zwei Blue Origin BE-7 Triebwerken angetrieben. Diese Raketenmotoren befinden sich bereits in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium.
Nachdem nach einer Woche Aufenthalt auf der Mondoberfläche die Aktivität der Landeastronauten beendet ist, bewerkstelligt die von Lockheed Martin zu entwickelnde Aufstiegsstufe den Rückstart in die Mondumlaufbahn. Der Lander bleibt zurück. Die Aufstiegsstufe steuert dann das wartende Orion-Raumschiff direkt an. Die Mondcrew steigt in die Orion um, wo sie von den dort verbliebenen Astronauten in Empfang genommen werden. Dann zünden sie das Haupttriebwerk und kehren wieder zur Erde zurück. Das Aufstiegselement ist im Prinzip mehrfach wiederverwendbar. Ob diese Wiederverwendbarkeit aber bei den „Single Sorties“ ohne die Verwendung des Gateway genutzt wird, ist derzeit noch nicht klar. Theoretisch könnte die Aufstiegsstufe sobald sie die Astronauten an der Orion abgesetzt hat und die Treibstoffreserven noch ausreichend sind, selbständig am – dann möglicherweise schon existierenden – Mini-Gateway anlegen. Im August 2020 schickte Blue Origin der NASA bereits ein 1:1 Mock-Up der Lander- und Aufstiegskombination ins Johnson Space Center. Mit diesem Modell kann die NASA bereits heute schon simulieren, wie sie Ausrüstung, Crew, Nachschubmaterialien, Experimente und Bodenproben aus dem Lander heraus und wieder hineinbringen kann. Außerdem wird das Cockpit-Layout nach ergonomischen Aspekten erprobt, die Sichtverhältnisse für die Landecrew aus den Fenstern, Sicherheits- und Praktikabilitätsaspekte überprüft und vieles mehr. Es sind viele Dinge, die eine Computersimulation nicht leisten kann und für die man das „echte“ Ding braucht. Das Mock-Up ist 12 Meter hoch und gibt schon eine recht gute Vorstellung von der realen Größe dieser Einheit. Eine unbemannte Testmission soll 2023 im selben Landegebiet erfolgen, in dem im Jahr darauf die bemannte Landung vorgesehen ist.
Am 28. August stellte die japanische Raumfahrtbehörde JAXA und der Automobilhersteller Toyota das Design für den bemannten Lunar Rover der ARTEMIS-Astronauten vor. Es wird als „Lunar Cruiser“ bezeichnet werden, in Anspielung auf ein populäres Automodell von Toyota, der „Land Cruiser“ SUV. Im Gegensatz zu diesem wird sein lunares Gegenstück aber mit Brennstoffzellen betrieben werden. Der Vertrag zwischen JAXA und Toyota war bereits im Juni 2019 unterzeichnet worden. Der Lunar Cruiser ist eine der japanischen Beteiligungen am ARTEMIS-Programm. Er soll etwa ab 2028 eingesetzt werden, wenn die lunare Basis ihren ersten Betrieb aufnehmen wird. Toyota wird das Projekt nicht ganz alleine stemmen, vielmehr sind eine Reihe namhafter weiterer japanischer Unternehmen wie etwa Mitsubishi Heavy Industries mit dabei. In Anlehnung an das „National Team“ von Blue Origin bezeichnet Toyota dieses Konsortium als „Team Japan“.
Der recht ungewöhnlich aussehende Entwurf von Dynetics trägt einen formellen NASA-Namen. Der lautet: DHLS. Das steht für Dynectics Lunar Human Landing System. Aber es hat auch noch einen wesentlich schöneren Namen, der von Dynetics selbst stammt: ALPACA. Ein Akronym für „Autonomous Logistics Platform for All-Moon Cargo Access“.
Es ist ein zweistufiges Design, oder, will man ganz genau sein, ein zweieinhalbstufiges. Es sieht einem flachen Bungalow ähnlicher als einem Raumschiff. ALPACA verfügt über zwei horizontal angedockte Treibstoffmodule, die wiederum ihrerseits modular aufgebaut sind, so dass sich der Lander beim Abstieg zum Mond von leeren Tanks trennen kann. Angetrieben wird das Gerät von acht baugleichen Raketentriebwerken, die für die Landung wie für den Aufstieg verwendet werden. Auf jeder Seite der Crew-Kabine befinden sich vier davon. Diese Raketenmotoren entwickelt Dynetics selbst. Wie der Entwurf von Blue Origin kann auch das System mit unterschiedlichen Trägerfahrzeugen auf den Transfer zum Mond gebracht werden, aber auch genauso nur mit dem SLS in einem Stück. Und genauso wie bei Blue Origin kann das DHLS entweder direkt mit dem Orion-Raumfahrzeug gekoppelt werden, oder der Transfer der Crew und der Ausrüstung geschieht über das Mini-Gateway.
Besonders hoch bewertet wurden von der NASA für diesen Entwurf zwei Aspekte, nämlich zum einen, dass der Lander für Astronauten sehr leicht zu verlassen ist, weil die Crew-Kabine sehr tief sitzt. Anders als bei den Entwürfen der Konkurrenten müssen sie sich nicht erst auf eine Klettertour über viele Meter einlassen, bevor sie den Boden erreichen. Der andere Aspekt war, dass sich der Dynetics-Entwurf schnell in einen unbemannten Frachtlander umwandeln lässt. Dynetics baut sein Fahrzeug in Zusammenarbeit mit nicht weniger als 25 anderen Aerospace-Firmen, von denen noch nicht einmal alle aus den USA stammen. Der größte Partner ist die Sierra Nevada Corporation. Sie wird das Besatzungsmodul entwickeln. Hier sollen die Erfahrungen einfließen, die Sierra Nevada gegenwärtig mit der Entwicklung des Dream Chaser-Raumfahrzeugs macht, mit dem ab dem kommenden Jahr Versorgungsflüge zur Internationalen Raumstation durchgeführt werden, und mit dem Lunar Gateway-Habitat, das ebenfalls bei Sierra Nevada entsteht. Andere klangvolle Namen der US-Aerospace-Szene, die mit im Boot sind, sind Maxar oder L3Harris. Im Dynetics-Team mit dabei ist auch – aus europäischer Sicht interessant – Thales Alenia Space. Die Draper Laboratories, die schon Teil des Blue Origin Teams sind, sind auch bei Dynetics mit dabei. Eine gute Strategie von Draper, garantiert zu gewinnen. Pro Mission benötigt Dynetics drei Starts mit der Vulcan von United Launch Alliance. Diese Starts sollen im Abstand von zwei Wochen erfolgen. Die erste Rakete startet ALPACA, die beiden anderen jeweils ein Treibstoffmodul. Alle drei Module werden auf langsamen, indirekten Bahnen (mit einer Flugzeit von bis zu drei Monaten) zum Mond entsendet und treffen erst dort aufeinander, wo sie sich dann automatisch verkoppeln. Vom Zeitpunkt, an dem das erste Vehikel startet bis zum Abschluss einer Mission können so bis zu zehn Monate vergehen. Der eigentliche Aufenthalt auf dem Mond soll dabei anfänglich nicht länger als acht Tage dauern. Bei späteren Missionen kann das bis auf 42 Tage gesteigert werden. Die ALPACA-Kapsel kann für kurzdauernde Aufenthalte zwei Menschen für eine Woche beherbergen. Sollen später dann, wie geplant, vier Personen zur Mondoberfläche absteigen, dann wird es in der Kabine ein wenig zu eng. In diesem Fall müsste eine Unterkunft auf dem Mond errichtet werden. Das ALPACA-Modul ist mehrfach wiederverwendbar. Ist eine Mission abgeschlossen, wartet das Habitat-Modul in der Mondumlaufbahn auf die „Nachlieferung“ neuer Treibstoffmodule von der Erde und kann danach eine weitere Mission durchführen.
Das dritte Vehikel, das die NASA auswählte, ist eine Variante des Starships von SpaceX. Es ist der einzige der drei Entwürfe, der nicht nur voll wiederverwendbar sondern auch zusätzlich einstufig ausgelegt ist. Das lunare Starship verfügt gegenüber der Erdorbit-Version über eine Reihe von Modifikationen, mit denen es den Anforderungen der NASA-Ausschreibung angepasst wurde. Direkt am Mond ist diese Variante die Einfachste, benötigt aber in der Flugvorbereitung in der Erdumlaufbahn eine ganze Reihe von Orbitalstarts und ein noch nie zuvor erprobtes Betankungsmanöver, um das Vehikel flugklar zu bekommen. Zunächst starten mehrere Starship-Tanker in die Erdumlaufbahn um ein weiteres Starship, das Depot, zu betanken. Ist das Depot aufgefüllt folgt das bemannbare lunare Starship. Im Erdorbit findet das Rendezvous mit dem Depot statt, das lunare Starship erhält eine volle Ladung Treibstoff, und begibt sich schließlich auf die translunare Transferbahn. Die Treibstoffzuladung ist so groß, dass damit alle Manöver am Mond bewältigt werden können. Vom Einbremsen in die Mondumlaufbahn, der Landung selbst bis zum Rückstart in den Mondorbit. Auch das Starship kann entweder am Orion-Raumfahrzeug oder an das Mini-Gateway anlegen. Wobei es sich bei der immensen Größe dieses Vehikels eher umgekehrt verhält. Das Gateway und/oder die Orion legen am Starship an. Wie seine Erdorbit-Variante vertraut auch das lunare Starship für größere Geschwindigkeitsänderungen (wie den Einschuss in die lunare Transferbahn oder das Bahnmanöver für das Einschwenken in die Mondumlaufbahn) dem Raptor-Triebwerk von SpaceX. Für die Landung gibt es aber spezielle Raketenmotoren, die nahe der Spitze des Raumfahrzeugs angebracht sind. Damit soll die Staubbildung bei der Landung verringert werden, die sich als eines der größeren Probleme bei der Durchführung einer Mondlandung herausgestellt hat. Diese Starship-Variante ist nicht dafür vorgesehen, wieder auf der Erde zu landen. Stattdessen soll sie in einer Mondumlaufbahn bleiben und dort vielfach wiederverwendbar sein. Das Starship übertrifft alle NASA-Anforderungen um ganze Größenordnungen. Unter anderem hat es eine Nutzlastkapazität für die Landung von etwa 100 Tonnen. Das ist mehr als das Fünffache der Mitwettbewerber.
SpaceX bot der NASA außerdem einen Testplan an, der sich deutlich von dem der anderen Unternehmen unterscheidet. In einem Zeitraum von nur gut zwei Jahren, bis Ende 2022 will SpaceX eine Flugdemonstration des Starship mit seinem Super Heavy-Booster durchführen, die Wiederverwendung eines bereits geflogenen Starship demonstrieren, einen Treibstofftransfer zwischen zwei Starships im Orbit demonstrieren, eine Langzeitmission mit einem Starship durchführen und einen Flug in den cislunaren Raum. All das, bevor dann Ende 2022 oder Anfang 2023 eine lunare Landedemonstration durchgeführt werden soll. Nicht verwunderlich, dass sich die NASA bei diesen Ankündigungen, die direkt einem Science-Fiction Roman entsprungen zu sein scheinen, skeptisch und verhalten zeigte. Es war aber trotzdem mutig von ihr, SpaceX Fördermittel zu gewähren. Die werden aber tatsächlich nur einige wenige Prozent der Gesamtkosten abdecken. Somit ist das eher ein symbolischer Akt der NASA. Noch gar nicht angesprochen ist eine implizite Möglichkeit dieses Missionsdesigns: Im Prinzip braucht es – in einem nur wenig erweiterten Plan – die Orion gar nicht mehr. Die Starship-Crew könnte genauso gut bereits in der Erdumlaufbahn zusteigen oder überhaupt von der Erde aus mit dem Starship starten. Das Einbeziehen einiger zusätzlicher Elemente, wie ein zusätzliches Erdrückkehr-Starship oder auch nur einfach eine Crew-Kapsel von SpaceX könnte das ganze Szenario mit dem superteuren Orion/SLS-System auflösen. Diese Möglichkeit ist sozusagen der „Elefant im Raum“, den bislang von offizieller Seite noch niemand ansprechen mag.
Sehen wir von derlei Spekulationen einmal ab und halten uns nur an das, was die NASA gegenwärtig plant. Danach soll im Februar 2021 die endgültige Entscheidung über den oder die Lieferanten des HLS fallen. Dann steht ein administrativer Meilenstein an, der als „Continuity Review“ bezeichnet wird. Eines, wahrscheinlich aber eher zwei Unternehmen werden dann ausgewählt, ein Vehikel für die Durchführung einer unbemannten Demo-Mission zu bauen.
Aus diesen wahrscheinlich zwei Bewerbern wird nach der Demo-Mission ein einzelner Anbieter ausgewählt, der den Mondlander für die ARTEMIS III-Mission im Jahre 2024 bereitstellt. Also genau das Vehikel, welches die Orion-Crew dann verwendet, um damit zur Mondoberfläche abzusteigen, sich dort etwa eine Woche aufzuhalten und wieder in die Mondumlaufbahn zurückzukehren. Insgesamt will die NASA für das komplette Entwicklungsprogramm des Mondlanders bis Ende 2024 18,4 Milliarden Dollar ausgeben.
Zum Zeitpunkt, an dem diese Zeilen entstehen, wird am Kennedy Space Center eben die erste Orion für die noch unbemannte ARTEMIS I-Mission vorbereitet. Die SLS-Trägerrakete wird gleichzeitig im Stennis Testzentrum der NASA für den entscheidenden Green Run-Test präpariert. Dabei wird die erste Stufe auf dem Prüfstand für achteinhalb Minuten gefeuert. Danach werden die Testdaten ausgewertet und – sollte der Versuch zufriedenstellend verlaufen sein – die Rakete ebenfalls zum Kennedy Space Center transportiert. Der Start in eine weite Mondumlaufbahn ist derzeit für Ende 2021 vorgesehen. Die Mission wird nach derzeitiger Planung etwa 26 Tage dauern.
Etwa im August 2023 folgt mit ARTEMIS II die erste bemannte Mission des ARTEMIS-Programms. Sie wird nach gegenwärtiger Planung (Stand September 2020) auf einer sogenannten freien Rückkehrbahn zum Mond und zurück fliegen. Dabei werden vier Astronauten an Bord sein und etwa 10 Tage zusammen an Bord der engen Kapsel verbringen müssen. Dann kommt die Stunde der Wahrheit. Die ARTEMIS III-Mission, die erstmals zur Mondoberfläche führt, und dabei einen der beschriebenen Landevehikel einsetzt, ist derzeit für den Oktober 2024 angesetzt. Sie wird etwa 30 Tage dauern.
Im Mai 2012 wurde JUICE, der JUpiter ICy Moon Explorer, als erste große Mission im Rahmen des Cosmic Vision Programms der Europäischen Raumfahrtbehörde (ESA) ausgewählt. Generelles Ziel des Vorhabens ist Jupiter. Aber nicht nur alleine ihm gilt bei dieser Expedition die Aufmerksamkeit der Wissenschaftler, mehr noch gilt sie dreien seiner vier großen Monde: Europa, Callisto und vor allen Dingen Ganymed. Aufgabe der Mission ist nichts weniger als die Suche nach einem Ort, an dem in unserem Sonnensystem außerhalb der Erde Leben möglich ist.
Bereits 2005 wurde der aktuelle Planungszyklus der ESA gestartet, die auf den vorausgegangenen Programmen „Horizon 2000“ (1984 – 1994) und „Horizon 2000 plus“ (1995 – 2004) aufbaut. Nur durch langfristige Planung ist die kontinuierliche Arbeit mit einer großen Anzahl Beteiligter aus den ESA-Mitgliedsstaaten möglich. Das aktuelle Programm trägt den Namen „ESA Cosmic Vision 2015-2025“, und wie seine Vorgänger beschäftigt es sich mit Fragen der Astronomie und Astrophysik, der Erforschung des Sonnensystems und den Grundlagen der Physik. Einer der diesem Programm zugrunde liegenden Gedanken ist es dabei, mit einem Einsatz von nur einem Euro pro Jahr und ESA-Bürger mehr über das Universum zu erfahren und ganz nebenbei die europäische Raumfahrtindustrie auf Weltstandard zu halten. 80 Cent von jedem Euro für dieses Programm gehen dabei an die Industrie. Vier große Fragestellungen bilden die Grundlage der aktuellen Vision: Wie ist das Universum entstanden und woraus besteht es? Welche Rolle spielen dabei die grundlegenden physikalischen Gesetze des Universums? Wie ist unser Sonnensystem aufgebaut? Wie entstehen Planeten und ermöglichen Leben wie wir es kennen?
Um diesen großen Fragen auf den Grund zu gehen, werden im Cosmic Vision-Programm nach und nach auf der Grundlage von Vorschlägen aus den Mitgliedsstaaten Missionen ausgewählt. Um mit dem diesem Programm zugewiesenen finanziellen Rahmen möglichst viel Wissenschaft betreiben zu können, wechseln sich immer zwei kleine oder mittelgroße mit einer großen Mission ab. Eine kleine Mission ist beispielsweise CHEOPS. Das Akronym steht für CHaracterizing ExOPlanet Satellite und beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit unsere Erde ein typischer Planet ist, oder ob sie vielleicht eine Ausnahme darstellt. Das Antriebssystem für CHEOPS wird übrigens von der ArianeGroup GmbH aus Lampoldshausen geliefert. Eine Mission der mittleren Kategorie ist EUCLID. Auch sie ist mit 20 Newton-Triebwerken aus Lampoldshausen ausgerüstet. Benannt nach dem Mathematiker Euklid von Alexandria wird sich dieses Weltraumteleskop mit der Erforschung von dunkler Energie und Materie befassen. JUICE schließlich ist eine große Mission. Ein Vorhaben, das bei der NASA unter dem Begriff „Flagship-Mission“ laufen würde.
Der Jupiter ist der größte Planet unseres Sonnensystems. Ein Gasriese mit fast 80 Monden. Die Erforschung des Jupiters und drei seiner vier großen Monde, nämlich Ganymed, Europa und Callisto wird uns helfen, das komplette System besser zu verstehen. Mit JUICE können wir möglicherweise herausfinden, ob dort einst die Voraussetzungen für das Entstehen von Leben gegeben waren oder vielleicht es sogar heute noch sind. JUICE wird Jupiters große Begleiter miteinander vergleichen und sich gegen Ende seiner Reise insbesondere auf Ganymed konzentrieren. Ganymed ist der größte Mond unseres Sonnensystems. Er ist noch größer als der Planet Merkur. Er verfügt über einen festen und einen flüssigen Kern, ein eigenes Magnetfeld und möglicherweise, aber auch das soll JUICE herausfinden, einen Ozean unter einem etwa 40 Kilometer dicken Eispanzer. JUICE wird das erste Raumfahrzeug überhaupt sein, das auf die Umlaufbahn des Mondes eines anderen Planeten einschwenkt. Eine solche Reise stellt besondere Anforderungen an die Sonde. Vor allem hinsichtlich Energieversorgung, Strahlung, Magnetismus und der „Planetary Protection“. Letztere ist eine Vereinbarung der raumfahrtbetreibenden Nationen, Planeten und Monde, die potentiell Leben tragen könnten, vor biologischer Kontaminierung von der Erde zu schützen.
JUICE benötigt eine Solarzellenfläche von fast 100 Quadratmetern. Die ist notwendig, um auch am Ende der Mission, weit weg von der Sonne und dem harschen Strahlungsfeld des Jupiters ausgesetzt, noch über genügend Energie zu verfügen. Sie erzeugen auf Höhe der Erdbahn etwa 20 Kilowatt an elektrischer Leistung. In der Umlaufbahn um den Jupiter werden es nur noch 820 Watt sein. Um zum Jupiter zu gelangen, also zu einem der äußeren Planeten unseres Sonnensystems, muss JUICE allerdings zunächst in das innere Sonnensystem fliegen. Es ist nämlich eine Gravitationsunterstützung durch die Planeten Venus, Erde und Mars notwendig. In der Nähe der Venus wird die Sonneneinstrahlung dabei so intensiv, dass die Solarpaneele von unserem Zentralgestirn abgewendet werden müssen, um nicht beschädigt zu werden. Um das hohe Strahlungsniveau im Jupitersystem überleben zu können, werden soweit möglich hoch strahlungsresistente Materialien ausgewählt. Alle sensiblen Bauteile, beispielsweise in der Elektronik, werden mit metallischen Schutzschilden abgeschirmt. Übrigens ist auch eine besondere magnetische Reinheit erforderlich, denn eines der Hauptziele der Mission, die Erforschung der magnetischen Felder im Jupitersystem, kann nur dann erreicht werden, wenn die sensiblen Instrumente nicht durch die eigenen Magnetfelder der Raumsonde gestört werden. Um die möglicherweise „habitablen“ Eismonde vor Viren, Bakterien oder Sporen von der Erde zu schützen erfüllen die Missionspläne die schon erwähnten „Planetary Protection Guidelines“ zu 100 Prozent. Dabei geht es darum, andere Himmelskörper nicht mit biologischem Material von der Erde zu kontaminieren. Wenn wir uns ansehen, welch großen Einfluss vergleichsweise kleine Eingriffe in Ökosysteme auf der Erde haben (denken Sie nur an die ökologischen Schäden die beispielsweise die aus Europa eingeführten Katzen in Australien anrichten, oder die Ziegen auf den Galapagos-Inseln) kann man sich vorstellen, was mit biologischem Material von der Erde auf anderen Planeten und Monden passieren könnte. Dazu kommt, dass künftige Missionen fälschlicherweise Lebensformen finden und dem Planeten (oder in diesem Fall dem Mond) zuordnen könnten, die gar nicht von da stammen, sondern von uns selbst dorthin gebracht wurden. Als wäre das nicht schon Herausforderung genug, spielt auch die Zeit eine entscheidende Rolle. Um die bestmögliche Planetenkonstellation für den Start zu treffen, muss die Mission bereits zehn Jahre nach der Auswahl durch die ESA fliegen. Nur so ist ein maximaler Aufenthalt im Jupitersystem möglich. Für ein derartig großes und komplexes Unterfangen ist das eine enorme Herausforderung. Missionen vergleichbarer Komplexität sind da – angefangen von den ersten Projektstudien bis hin zum Start – durchaus schon mal doppelt so lange in Vorbereitung.
Als Hauptauftragnehmer wählte die ESA für die Realisierung des Projektes Airbus in Toulouse aus, die sich mit ihrem Systemvorschlag gegenüber anderen bedeutenden Mitkonkurrenten durchgesetzt hatte. Der offizielle Programmstart erfolgte im Juli 2015. Danach führte Airbus eine Ausschreibung durch, in dem die Entwicklung und der Bau der Subsysteme ausgeschrieben wurden. Im nachfolgenden Wettbewerb setzten sich neben der ArianeGroup GmbH in Lampoldshausen für das Antriebssystem noch folgende weitere Hauptauftragnehmer durch: Airbus Spanien: Struktur/Abschirmung/Thermal-Design. Airbus in den Niederlanden für die Solargeneratoren. CRISA in Spanien: Elektrik. Antwerp Space: Kommunikation. Airbus Friedrichshafen ist verantwortlich für die Auslegung des elektrischen Systems, die Betreuung der Instrumente und die AIT-Aktivitäten an und mit der Raumsonde (AIT ist die Abkürzung für Assembly Integration & Test).
Das Angebot der ArianeGroup GmbH in Lampoldshausen für das Antriebs- und Lageregelungssystem wurde vom Hauptauftraggeber am höchsten bewertet. Hier war sicher die jahrzehntelange Expertise in vielen vorangegangenen ESA-Missionen wie Exomars, Herschel/Planck, das Automated Transfer Vehicle (ATV) und das Orion-Antriebsmodul mit ausschlaggebend. Und natürlich das Wissen, dass dort immer ein bisschen mehr möglich gemacht wird als anderswo. Flexibilität ist eine der großen Stärken der Spezialisten im Hardthauser Wald (in dem Lampoldshausen liegt). Somit konnten für den Standort Lampoldshausen die Arbeiten offiziell mit der Auftragserteilung im Juni 2016 durch den Hauptauftragnehmer Airbus Toulouse beginnen. Als Nutzlast hat JUICE insgesamt elf Instrumente aus den verschiedenen beteiligten ESA-Mitgliedsstaaten an Bord. Deutschland ist dabei mit zwei Instrumenten an der Mission beteiligt, nämlich mit GALA (dem GAnymed Laser Altimeter) vom Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt (DLR) und mit SWI (für Submillimeter Wave Instrument) vom Max Planck Institut in Göttingen. Mit GALA wollen die Wissenschaftler die Topographie des Mondes, sowie die durch die Gezeiten verursachten Änderungen seiner Form untersuchen. Durch diese Messungen erhofft man sich einen indirekten Nachweis der Existenz eines Ozeans unter der dicken Eisschicht. Mit SWI wird die Stratosphäre und die Exosphäre des Jupiters untersucht und die Exosphären und Oberflächen der Eismonde. Die anderen Forschungsinstrumente an Bord der Sonde kommen aus Frankreich, Italien, Holland, Schweden und England. Sie werden von den dortigen Agenturen und Institutionen entwickelt und national finanziert. Für manche dieser Experimente könnte es übrigens aus heutiger Sicht zeitlich sehr eng werden, das „Fenster“ für die finale Integration noch zu erreichen. Hier gilt: Wer nicht rechtzeitig fertig wird, bleibt daheim.
Die großen Herausforderungen der Mission an die Raumsonde gelten insbesondere auch für das Antriebssystem. Sollte ein Instrument bei der Ankunft im Jupitersystem nicht funktionieren, wäre das ein herber Verlust, aber die Forschungsreise könnte trotzdem fortgesetzt werden. Funktioniert jedoch das Antriebssystem nicht, dann bedeutet das automatisch das Aus für die Mission. Deswegen stand das CPS (für: Chemical Propulsion System) schon während der Vorstudienphasen im Brennpunkt der Aufmerksamkeit der ESA. So mussten neue Tanks für die große erforderliche Menge an Treibstoff entwickelt werden. Es mussten viele Redundanzen eingebaut werden für den Fall, dass einzelne Komponenten versagen sollten. Und es wurde eine große Anzahl von Tests, beispielsweise mit dem Haupttriebwerk, durchgeführt, um sicher zu stellen, dass das komplette System den besonderen Bedingungen der Reise und des mehrjährigen Aufenthaltes im Jupitersystem widerstehen kann. Die JUICE-Plattform ist bislang die größte Satelliten-/Raumsondenstruktur die in Lampoldshausen mit einem Antriebssystem ausgestattet wurde. Das CPS von JUICE besteht dabei aus den folgenden Hauptkomponenten:
Zwei Tanks für insgesamt drei Tonnen Treibstoff (Hydrazin) und Oxidator (Stickstofftetroxid), die innerhalb der Zentralstruktur der Sondenplattform übereinander installiert sind.Drei Helium-Drucktanks für die Bedrückung der Treibstofftanks. Sie werden benötigt, um den Triebwerken über die komplette Missionsdauer hinweg ausreichend Treibstoff für den Betrieb zuzuführen.Ein Triebwerk mit einer Leistung von 400 Newton für die Hauptmanöver, wie zum Beispiel das Abbremsen zum Einschwenken in das Jupitersystem.Für Lageregelung und Orbitanpassungen sind sechs 10 Newton- und vier 22 Newton-Triebwerke an Bord. Dieses System ist aus Redundanzgründen doppelt vorhanden. Es gibt also ein zweites, paralleles System mit weiteren sechs 10 Newton- und vier 22 Newton-Raketenmotoren. Die insgesamt acht 22 Newton-Triebwerke bilden außerdem den Plan B für das Abbremsmanöver. Sollte aus irgendeinem Grund das 400 Newton-Triebwerk versagen, wäre das alles entscheidende „Orbit-Insertion-Maneuvre“ auch mit diesen Triebwerken möglich.Redundante Ventile und Regler zur zeitweisen Isolation und Regelung von Druck und Treibstoff.Filter, welche die empfindlichen Bauteile vor potenziellen Partikeln schützen.Eine große Anzahl von Sensoren zur Überwachung von Druck und Temperatur.Ein weit verzweigtes Rohrleitungssystem, welches das gesamte CPS miteinander verbindet.Seit der Projektauswahl bei der ESA im Mai 2012 steht der Starttermin Juni 2022 eisern und unverrückbar fest. Das ist gelinde gesagt ungewöhnlich in der Raumfahrt, wenn nicht gar einzigartig. Aber jetzt wird doch langsam die Zeit knapp. Jede noch so kleine Abweichung in der Fertigung bringt den kompletten Zeitplan in Gefahr und erfordert neue Wege, um es dennoch zu schaffen. So wurde entschieden, nicht wie geplant lediglich das Antriebssystem in Lampoldshausen zu integrieren, sondern auch vorher und teilweise sogar parallel den Harness (das ist die komplette elektrische Verkabelung) vorzubereiten. Auch Teile der MLI, das ist die „Multi Layer Insulation“, quasi der „Pullover“ des Satelliten und das, was später so schön silbern und golden glänzt wurden dort angebracht. Daneben wurde auch an der Struktur noch geändert und ergänzt. Zeitweise arbeiteten vier Teams von unterschiedlichen Firmen an unterschiedlichen Subsystemen gleichzeitig an der Satellitenstruktur. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Am Wochenende und über die Feiertage. Teilweise sogar im Mehrschichtbetrieb.
Um Zeit zu sparen war das CPS schon so weit wie möglich vorintegriert und getestet worden. Im September 2019 wurde die Satellitenplattform angeliefert und danach wurde in Rekordzeit das Antriebssystem in diese Struktur integriert. Es waren sieben unglaublich intensive Monate. Bevor JUICE zur nächsten Station geschickt wurde, musste das komplette System noch ausgiebig getestet werden. Im April 2020 verließ die Struktur den ArianeGroup-Standort Lampoldshausen in Richtung Friedrichshafen. Dort erfolgt nun die finale Integration. Weitere Subsysteme werden dort fertiggestellt und integriert, die Instrumente werden dort eingebaut und die Sonde wird für die abschließenden Gesamttests vorbereitet. Diese werden nahezu das gesamte Jahr 2021 in Anspruch nehmen. Bei allen Herausforderungen zeigte sich hier die Kraft einer gemeinsamen Vision und einer gemeinsamen Aufgabe. Es war egal, von welcher Firma und aus welchem ESA-Mitgliedsland jemand kam und welche Muttersprache jemand sprach. Alle, wirklich alle kämpften um das gemeinsame Ziel, den Zeitplan für einen Start im Jahr 2022 einzuhalten.
Bei den finalen Abnahmetests auf Satellitenebene in Friedrichshafen wird das CPS noch einmal durch die Experten aus Lampoldshausen überprüft. Anfang 2022 geht es dann per Flugzeug nach Französisch Guyana zum Europäischen Weltraumbahnhof in Kourou. Hier wird das Antriebssystem bei den sogenannten Final System Performance Tests nochmals auf mögliche Transportschäden gecheckt. Dann, kurz vor dem Start, wird es mit den Treibstoffen betankt und danach unter Betriebsdruck gesetzt.
Anfang Juni 2022 soll JUICE mit einer der letzten Ariane 5-Raketen auf seine lange Reise gehen. Das Antriebssystem wird dabei schon unmittelbar nach dem Start betriebsbereit gemacht und danach bis zum letzten Tag der Mission im Einsatz bleiben. Im Verlauf des Fluges zum Jupiter sind fünf sogenannte „Swing-by-Manöver“ notwendig. Ein physikalischer Trick, bei dem die Raumsonde durch Vorbeiflüge an Planeten quasi „Schwung“ holt, um zusätzlich Fahrt aufzunehmen. Drei dieser Manöver finden im Gravitationsfeld der Erde statt, eines an der Venus und eines am Mars. Sie sind aufgrund des hohen Gewichtes der Raumsonde – sie wiegt beim Start fast fünf Tonnen – erforderlich. Bei diesem Gewicht ist ein „Direktschuss“ zum Jupiter mit einer Ariane 5 unmöglich. Aber auch mit der „Schwungtechnik“ dauert es fast siebeneinhalb Jahre, bis das Ziel erreicht ist.
Im Juni 2022 erfolgt durch die Ariane 5 ECA der Einschuss in eine Sonnenumlaufbahn mit einer hyperbolischen Überschussgeschwindigkeit von 3,15 Kilometer pro Sekunde (also 3,15 Kilometer pro Sekunde mehr, als es für eine Fluchtbahn aus der Erdgravitation notwendig ist). Nach einer Umkreisung der Sonne auf dieser Bahn erfolgt im Mai 2023 ein erstes Gravitationsunterstützungsmanöver mit einem Vorbeiflug an der Erde in einem Abstand von 12.700 Kilometern. Fünf Monate und eine halbe Runde um die Sonne später erfolgt ein Swing-by an der Venus, dieses Mal in einem Abstand von 9.500 Kilometern. Eine weitere Sonnenumkreisung danach erfolgt im September 2024 der zweite Erdvorbeiflug. Jetzt in einem Abstand von nur 1.950 Kilometern und bei schon viel höherer Geschwindigkeit als beim Abflug am Heimatplaneten vor mehr als zwei Jahren. Weitere fünf Monate später wird am Mars Schwung geholt, der im Februar 2025 in einem Abstand von 1.100 Kilometern passiert wird. Im November 2026 wird das letzte Mal Schwung geholt. Wieder an der Erde und dieses Mal in einem Abstand von 3.700 Kilometern. Danach hat JUICE genug Fahrt aufgenommen, um in einer weiten Kurve die Marsbahn hinter sich zu lassen, den Asteroidengürtel zu durchqueren, und schließlich den Jupiter anzusteuern.
Den erreicht die Sonde im Oktober 2029. Ein naher Vorbeiflug an Ganymed nimmt schon geringfügig Fahrt weg, bevor dann siebeneinhalb Stunden später das entscheidende Brennmanöver für das „Einbremsen“ in die Jupiter-Umlaufbahn erfolgt. Das ist der alles entscheidende Moment für das Antriebssystem aus Lampoldshausen. Danach hat JUICE zunächst eine enorm langgestreckte elliptische Trajektorie erreicht. Die Bahnanalytiker nennen so etwas einen „capture orbit“, eine Geschwindigkeit, die gerade eben ausreicht, um in eine Umlaufbahn einzutreten. Diese Bahnellipse ist zunächst so weit, dass die Sonde erst im Mai 2030 dem Jupiter wieder sehr nahe kommt. Nun wird die Bahn um den größten Planeten des Sonnensystems nach und nach immer enger. Im Oktober 2030 wird ein erster Vorbeiflug an Europa erfolgen, im April 2031 an Callisto und Ende Januar 2032 noch einmal an Europa und sogar an Io. Im September 2032 erfolgt das „Einbremsen“ in einen elliptischen Orbit um Ganymed. Dieser Orbit wird im Februar 2033 zirkularisiert. Das nominale Einsatzende ist momentan mit Februar 2034 kalkuliert. Reicht der Treibstoff, dann kann das noch verlängert werden. Dann wäre eine erweiterte Mission mit einer weiteren Absenkung der Umlaufbahn auf 200 Kilometer möglich. Die Orbitalkontrolle übernimmt dabei immer noch das Antriebssystem aus Lampoldshausen. Seine finale Aufgabe wird es sein, ganz zum Ende der Mission hin, JUICE gezielt auf Ganymed zum Absturz zu bringen.
Alexandra Lein – Master of Science, ArianeGroup Lampoldshausen – Projektleiterin für das Antriebssystem JUICE. Kam mit Umwegen über die öffentliche Wirtschaft, Automobilindustrie und Medizintechnik zur Raumfahrt. Seit nunmehr 12 Jahren ist sie bei der ArianeGroup GmbH in Lampoldshausen.
Zuvor hatte sie es vehement abgelehnt und die einzelnen Vorstöße der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos in diese Richtung stets etwas angesäuert kommentiert. Im Mai 2019 änderte die NASA aber überraschend ihre Haltung: Von nun an will auch sie Weltraumtouristen zulassen. Für 35.000 Dollar pro Tag kann jeder, der ein kommerzielles Vorhaben beabsichtigt, die Internationale Raumstation (ISS) besuchen. Das sind allerdings nur die Übernachtungsgebühren. Dazu kommen noch die Kosten für den Transport in einem Crew Dragon-Raumschiff von SpaceX oder einem Starliner von Boeing. Die berechnen 50-70 Millionen Dollar pro Person. Obendrauf gibt es ein ganzes Sammelsurium nicht gerade niedriger Nebenkosten. Insgesamt ist so ein Flug zum Außenposten der Menschheit alles andere als ein Schnäppchen. Aber grundsätzlich: Es geht.
Eine wichtige Voraussetzung für den Weg in diese Richtung brachte das Jahr 2020 mit dem Einsatz des ersten bemannten kommerziellen Zubringersystems zur ISS. Die US-Astronauten Bob Behnken und Doug Hurley erreichten im Mai die Raumstation erstmals in der Geschichte der Raumfahrt an Bord eines weitgehend privatwirtschaftlich entwickelten und gebauten Vehikels. Die Privatwirtschaft, in dem Fall also SpaceX, wird das System auch selbst betreiben. Die NASA wird zukünftig nur noch die Sitze buchen.
Privatwirtschaftlich und kommerziell ausgerichtet soll in Zukunft auch die ISS werden – zumindest teilweise. Weltraumtourismus gilt dabei als eindeutig kommerzieller Zweck. Es ist also nun kein Problem mehr, dass SpaceX im Mai 2020 verkündete, dass für den Herbst 2021 drei nicht genannte „Passagiere“ einen Trip zur Raumstation gebucht haben – Passagiere, die keine Berufsastronauten sind.
Im selben Monat gab die NASA bekannt, dass sie mit Tom Cruise in Kontakt stehe, um einen Film an Bord der Internationalen Raumstation zu drehen. Keine Reportage und keine Dokumentation – nein, einen Action-Film. Es wäre nicht außergewöhnlich wenn dessen Titel „Top Gun 3“ oder „Mission Impossible – The sky is no limit“ oder so ähnlich lauten würde. Die NASA verkündete, dass sie „exited“ sei, mit dem berühmten Filmstar zusammen zu arbeiten. Wörtlich hieß es, „We need popular media to inspire a new generation of engineers and scientists to make NASA’s ambitious plans a reality”. Also: Wir brauchen die Mainstream-Medien um eine neue Generation von Ingenieuren und Wissenschaftlern zu inspirieren, die ambitionierten Pläne der NASA Wirklichkeit werden zu lassen.
Tom Cruise wird, so scheint es momentan, mit dem Filmregisseur und Kameramann Doug Liman und einer noch unbekannten dritten Person zur Raumstation fliegen. Das Transportmedium wird eine Crew Dragon von SpaceX sein. Der Start wird auf einer Falcon 9 erfolgen. Die Flugdauer wird wahrscheinlich 30 Tage nicht überschreiten. Das ist das Maximum, das die NASA gegenwärtig für kommerzielle Besucher erlaubt.
Die Internationale Raumstation befindet sich heute überwiegend unter NASA-Management. An dieser Stelle werden die Russen ein wenig mosern, denn auch in Moskau gibt es ein Kontrollzentrum, aber angesichts der generellen Kostenverteilung ist es so. Die vielen Versuche, die Betriebskosten der ISS zu senken haben in der Vergangenheit nur wenige Früchte getragen. Nach wie vor zahlt die NASA etwa vier Milliarden Dollar jährlich für ihren Betrieb. Ein Betrag, der für die zukünftigen ehrgeizigen Pläne der US-Weltraumbehörde für den Mond und den Mars fehlt. Diese Kosten müssen also runter und dafür muss die ISS für eine möglichst breite Palette von Anwendern attraktiv werden. In dieser Richtung ist einiges in Bewegung gekommen. Schauen wir uns dazu den Zeitraum von Mitte September 2020 bis etwa Ende des Jahres 2021 an. Schon diese Zeitspanne wird, verglichen mit der Vergangenheit, einen geradezu tumultuösen Betrieb auf der ISS mit sich bringen. Gleichzeitig ist es eine Zeit, in der wir mit dem Start des Tianhe-Zentralmoduls der chinesischen Raumstation die Eröffnung eines zweiten, parallelen Außenpostens im Orbit erleben werden. Zwei Raumstationen, die gleichzeitig in Betrieb sind. So etwas hat es bislang noch nicht gegeben. Sehen wir uns dazu die Details an, soweit sie zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Artikels bekannt sind.
Anfang September 2020, zum Zeitpunkt an dem diese Zeilen entstehen, befindet sich lediglich die dreiköpfige Crew von Sojus MS-16 mit Chris Cassidy, Anatoli Iwanischin und Iwan Wagner an Bord der ISS. Zuvor hatten Bob Behnken und Doug Hurley die Crew Dragon DM-2 Mission erfolgreich abgeschlossen und waren am 2. August im Golf von Mexiko gelandet. Die Rückkehr von Sojus MS-16 ist, nach 195 Tagen im Orbit, für den 22. Oktober 2020 geplant. Ein schwieriger Zeitpunkt, denn nur wenige Tage zuvor werden kurz hintereinander zwei neue Mannschaften an Bord der ISS erwartet. Eine sehr knappe Zeit für die Übergabe der Raumstation.
Derzeit sieht es so aus, dass die dreiköpfige Crew von Sojus MS-17, bestehend aus den beiden russischen Kosmonauten Sergei Ryschikow und Sergei Kud-Swertschkow, sowie der NASA-Astronautin Kathleen Rubins am 14. Oktober zur ISS starten sollen. Die haben dann etwa sieben Tage Zeit, die Raumstation von Cassidy, Iwanischin und Wagner zu übernehmen. Recht viel länger kann die Sojus MS-16 Crew tatsächlich nicht an Bord bleiben, denn die technische Gewährleistung ihres Raumschiffs läuft nach 200 Tagen im All ab, und die haben sie zu diesem Zeitpunkt bis auf fünf Tage ausgeschöpft. Bei bemannten Raumflügen wird nur im äußersten Notfall am Mindesthaltbarkeitsdatum gedreht. Sojus MS-16 ist noch kaum zwei Tage zurück auf der Erde, da soll auch schon der SpaceX Crew-1 Flug auf die Reise gehen. Mit den Astronauten Michael Hopkins, Victor Glover, Soichi Noguchi und Shannon Walker. Klappt das, dann ist Ende Oktober 2020 zum ersten Mal in der 21jährigen Geschichte der ISS die Sollstärke von sieben Langzeitbesatzungsmitgliedern erreicht. Zusammen bilden sie nun die Expedition 64.
Irgendwann während des ersten Drittels ihres Aufenthaltes, derzeit sieht es nach Dezember aus, sollte Boeing den zweiten unbemannten Testflug seines Starliners durchführen, die Mission OFT-2. Die erste Mission erreichte ja wegen eines Software-Problems nicht die Raumstation, so dass der Testflug nun wiederholt werden muss. Wenn es diesmal klappt wird es an der ISS ein interessantes Bild zu sehen geben. Alle drei bemannten Raumtransportsysteme befinden sich dann gleichzeitig an der ISS: Sojus, Crew Dragon und Starliner. Während also letzterer noch unbemannt unterwegs ist, wird es für SpaceX sicher eine Genugtuung darstellen, dass ihr Raumschiff nun schon den zweiten bemannten Einsatz durchführt.
Im zweiten Drittel ihres Aufenthaltes werden sie etwas erleben, das es nur in einer kurzen Transferphase zwischen der dem Untergang geweihten russischen Raumstation Mir und der noch sehr infantilen Internationalen Raumstation um den Jahreswechsel 2000/2001 gab: Zwei Raumstationen gleichzeitig im Orbit, denn das Tianhe-Basismodul der chinesischen Raumstation soll im Februar oder März starten. Anfang April 2021 findet erneut ein sehr dicht getakteter Schichtwechsel auf der Station statt. Zu diesem Zeitpunkt könnte die ISS dann kurzfristig mit 14 Personen belegt sein. Zunächst startet am 30. März die SpaceX Crew-2 Mission mit Robert Kimbrough, Megan McArthur (der Ehefrau von Bob Behnken), Akihido Hoshide von der JAXA und Thomas Pesquet von der ESA. Nur zwei Tage später folgt nach gegenwärtiger Planung Sojus MS-18. Und das wird mit Oleg Nowitzki, Pjotr Dubrow und Andrei Borisenko zum ersten Mal seit 21 Jahren eine rein russische Crew sein. Wenige Tage danach, das Datum steht noch nicht genau fest, kehrt die Space X Crew-1 (mit Glover, Hopkins, Walker und Hoshide) wieder zur Erde zurück, gefolgt von der Besatzung von Sojus MS-17 am 9. April 2021. Die drei russischen Neuankömmlinge werden gut zu tun haben, denn im April soll zunächst das Nauka-Modul mit einer Proton M-Trägerrakete gestartet werden. Am 23. April legt Progress MS-16 zusammen mit dem Pirs-Modul von der ISS ab. Dadurch wird der Dockingknoten frei, an dem dann Nauka wenige Tage danach anlegen kann. Nauka ist das erste neue Großmodul der ISS seit vielen Jahren.