Sperrgebiet - Nadine Morgenbrink - E-Book

Sperrgebiet E-Book

Nadine Morgenbrink

4,9

Beschreibung

Nach Gernots Scheidung wirkt das Leben in München düster und grau. Bis er Mona kennenlernt. Die lebensfrohe junge Frau aus Namibia führt Gernot zurück ins Leben. Und bald schon will sie ihm ihre Heimat im südlichen Afrika zeigen. Aber die Reise ins Blütenmeer des Namakwa-Lands endet für Gernot als Albtraum.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Epilog

1

Kein Mensch wollte bei diesem Wetter freiwillig in den Englischen Garten. Es war Mitte Juni und kalt. Viel zu kalt. Der Regen hatte die Wege in kleine Rinnsale verwandelt. Seit Tagen goss es in Strömen. Es hätten herrliche Sommerregen sein können, aber diese Kälte!

Gernot zog den Kragen seiner Jacke so hoch es ging um den Nacken zu schützen. Einen Schirm hatte er nicht bei sich. Er wurde nass. Überall. „Das Leben spüren“, dachte er für sich und schüttelte unmerklich den Kopf. „Alles Scheiße“, fügte er noch schnell an und bemerkte stumm, dass bei diesem Dreckswetter ausschließlich Hundebesitzer unterwegs waren. Mit seinen braunen, aufgeweichten Lederschuhen kickte er ab und an einen Ast aus seiner Laufbahn. „Ich fass’ es einfach nicht“, sagte er dann halblaut. Wenn ihn einer der Hundebesitzer oder einer seiner Freunde so gesehen hätte, sie hätten Mitleid gehabt. Ein Häuflein Elend dieser Mann.

Nasses, braunes Haar. Eine Brille, die beschlagen war und voller Wassertropfen, ihm die Sicht vernebelnd. Die Jeans dunkelblau und sicherlich bald auszuwringen. Vom aufgeweichten Schuhwerk war bereits die Rede. Seine Jacke hatte ihre besten Tage auch schon erlebt. „Unmodischer Schrott“, hätte Sabine gesagt. Aber Sabine, das war nun Gernots Vergangenheit und fortan emotionaler Schrott. Seit eben. Sie war seine Vergangenheit und seine ruinierte Gegenwart und vermutlich auch noch seine ruinierte nahe Zukunft. Für alle Zeiten würde der Name Sabine für ihn nur mehr mit Unglück und Wut verbunden bleiben.

„Mies für die Harthauser Sabine“, fiel ihm ein, „die Süße war an der Uni eigentlich immer ganz nett gewesen.“ Jetzt teilte die Kommilitonin von einst das Schicksal desselben Vornamens wie Sabine Grassl, geschiedene Markmeier. Und was würde aus ihm, Gernot Markmeier? Er war doch eigentlich nichts ohne Sabine. Aber es hatte so kommen müssen, das war ihm seit Monaten klar gewesen.

„Dreckswetter, Drecktstag, Drecksleben“, fluchte er in die graue Luft hinein, kurz bevor er sich in der Mauerkircherstraße unter Bäumen etwas vor dem Regen schützen konnte. An einer kleinen Wohnanlage machte er Halt und rief laut aus: „Wegen dir, du blöde Kuh, verlier ich jetzt auch noch die Wohnung.“ Dann mischten sich unter die nassen Regentropfen auf seiner Haut salzig schmeckende Tränen der Wut, der Trauer und des Abschieds.

Der Schlüssel drehte sich im Schloss und Gernot hatte das schmerzhafte Gefühl, dass diese Wohnung bald seine Vergangenheit sein würde. Nur wohin? Job los, Frau fort. Wohnung verloren. Reif für die Schlafstatt unter der Isarbrücke? „Kann ich mich gleich zu den Bettelbanden an den Marienplatz setzen und einen Zettel ‚brauche Hilfe‘ vor mich stellen“, krächzte er vor sich hin. Dann spürte er aber, dass nun der Moment gekommen war, aufzuhören, Selbstgespräche zu führen. „Reiß dich zusammen“, doch noch ein weiteres Mal alleine zu sich.

Er wählte Teds Nummer. Ted hieß eigentlich Theo und wohnte in Bamberg. Sie hatten gemeinsam in Nürnberg studiert und waren einst dickste Freunde. Ted - am heutigen Tag womöglich ein böses Omen - war einmal mit Sabine Harthauser zusammen gewesen. Nur kurz und es war lange her und spielte auch in diesem Moment nicht wirklich eine besondere Rolle.

Warum er Ted anrief, war klar. Gernot hatte Nürnberg verlassen, weil Sabine Grassl, diese Überfrau, eine Stelle in München bekommen hatte. In einer Kanzlei. In der Kanzlei. Da musste ihr Freund natürlich mit. Sie heirateten. Keine Kinder. Aber Karriere. Ihre Karriere. Sie wurde immer und ausschließlich mit den interessanten Fällen betraut. Gernot blieb Anwalt für die kleinen Leute. Gartenzwergfälle - so nannten sie das. Gernot, das männliche Mauerblümchen aus der Mauerkircherstraße.

Dann kam dieser verpatzte Fall. Der feine Herr Wirtschaftsboss wollte raus aus der Nummer. Gernot sollte den Fall übernehmen. Steuerhinterziehung, Betrug und Bestechlichkeit. Eine ganz große Kiste. Aber Sabine wollte den Fall nicht übernehmen. „Der Kerl ist nichts für mich, Schatz“, hatte sie gesagt. Der Alte, wie sie den gemeinsamen Chef nannten, stand bei ihm im Büro. „Markmeier, das ist Ihre Chance.“ Die Chance war so groß, dass am Ende bei jedem Verhandlungstag die Klatschpresse vor Ort war. Er vergeigte alles. Aber im tiefsten Inneren taten ihm die drei Jahre und elf Monate für den werten Herrn überhaupt nicht Leid. Der Alte aber bellte und ließ Gernot im Büro antanzen.

„Freispruch, Markmeier, Freispruch, das war unser Credo und jetzt kommen Sie daher und wollen mir weismachen, dass drei Jahre und elf Monate das maximal Mögliche waren.“ Er schüttelte verächtlich die grauen Haaren und fuhr fort: „Mit Vierzig kann man noch einmal durchstarten, lassen Sie sich das von einem Sechzigjährigen gesagt sein, aber man darf seine Chance nicht so kläglich vergeben.“

Auch Sabine hatte ihn schief angesehen. Und dann übertrug der Alte ihr wieder einen so lukrativen Fall, dass Gernot seine Frau oft tagelang gar nicht mehr zu Gesicht bekam. Abends kam sie spät aus der Kanzlei, war müde und geschafft. Die Freizeit verbrachte sie im Fitnessstudio oder mit Tanja, ihrer besten Freundin. Gernot aß alleine. Gernot kaufte alleine ein und Gernot kümmerte sich alleine um die Gartenzwergfälle.

Eines Tages bemerkte er abends, dass das Handy seiner Frau vibrierte. Es lag da so einsam auf der Arbeitsplatte in der Küche, neben der Espressomaschine und vor der Saftpresse. Da, wo sonst nur Orangenschalen oder Kaffeebohnen lagen. Sabine war wieder einmal im Fitnessstudio. Es war schon kurz nach zehn. Gernot wischte in der Küche. Er warf nur einen kurzen Blick auf das Display. Es war eine Kurznachricht. „Lust noch auf ein wenig Bettsport? -JW-“ Ihm blieb die Spucke weg. -JW- Josef Wachter. Der Alte. So kürzte der seinen Namen auf jedem Dokument ab. Auch die zwei Striche vor und nach dem Namen. Seine Sabine, neunundreißig Jahre jung, hatte etwas mit dem gemeinsamen Chef, dem Alten?

„Ich fass es nicht.“ Gernot musste sich setzen. Kippte zitternd etwas Rum in ein Glas. Brennend spürte Gernot den Alkohol die Kehle hinablaufen, langsam den brennenden Schmerz im Herz und die rasende Wut besänftigen.

Als Sabine nach Hause kam, nahm sie ihr Handy als wäre nichts. Sie roch frisch geduscht. Sah blendend aus. „Wie war’s beim Sport“, fragte Gernot etwas scheinheilig. „Wie immer“ - die lapidare Antwort. Sie nahm eine Banane aus dem Kühlschrank, setzte sich aufs Sofa und legte die Beine hoch. Sie las etwas auf ihrem Handy. Es musste die Nachricht von - JW- sein. In Gernot stieg Wut hoch. Sie machte keine Anstalten, mit ihrem Mann ein Gespräch zu beginnen. Das war schon eine Weile so. Er schob es auf die viele Arbeit. Nun war er sich sicher, es war nicht der Job. Es war das Abstellgleis, auf dem er stand. Wie eine ausrangierte alte Dampflok. Aber seine Sabine setzte da auf eine noch viel ältere Dampflok aus dem Museum.

Sie tippte in ihr Handy. Gernot hielt es nicht mehr aus. „Schreibst du dem Chef, dass du dich gern von ihm noch flach legen hättest lassen, wenn du das Handy dabei gehabt hättest.“ Für ihn völlig überraschend und hart war ihre Antwort. Sie setzte sich kerzengerade auf. In ihrem Gesicht sah man sofort: da wurde jemand ertappt bei etwas sehr, sehr Unangenehmen. Aber sie blieb ruhig. Ganz die berechnende Anwältin. „Du hast mein Handy kontrolliert und meine Nachrichten gelesen“, fuhr Sabine Gernot scharf an und machte dabei eine Handbewegung, die ihrem Mann in der Magengrube schmerzte und so verletzend war, dass er alleine deswegen hätte heulen können. Sie war mit nur einer Bemerkung von der Betrügerin zur Anklägerin geworden. Er kontrollierte also ihr Handy und damit war er schuldig im Sinne der Anklägerin. Was auch immer er da festgestellt hatte, es spielte schon keine Rolle mehr. Sie zischte sich in Rage, sprach von dreistem Vertrauensbruch und ließ ihm keine Luft zum Atmen. Was war bloß aus seiner Sabine geworden, aus der netten Studentin von einst? Mit der alten Sabine hatte er Pferde stehlen können. Die Sabine von heute war karrierebesessen und hatte ein Verhältnis mit dem gemeinsamen Chef.

Es kam wie es kommen musste. Sie entfernten sich immer weiter. Der Auszug aus der gemeinsamen Wohnung war der erste Schritt. Sabine ging. Sie war beleidigt. Immer fort mantra-artig die Wiederholung vom Vertrauensbruch. Allen gemeinsamen Freunden und Kollegen erzählte sie, dass Gernot sie heimlich ausspionieren würde und Geschichten über sie verbreitet hätte. In der Kanzlei war es für ihn kaum mehr auszuhalten.

Wachter schnitt ihn noch mehr und seine abscheulich lüsternen Blicke auf Sabines Hintern waren nun für Gernot so offensichtlich, dass er jedes Mal schreien wollte: „Sag mal geht’s noch, spannst du nicht, wie der Kerl tickt?“ Aber er biss sich auf die Zunge, bearbeitete stumm seine Gartenzwergfälle und hielt still. Er spürte, dass er Sabine verloren hatte.

Als er sie eine Woche nach ihrem Auszug in der Kanzlei fragte, wo sie nun wohne, hieß es nur knapp: „Bei einem Mann, der mir vertraut und nicht mein Handy ausspioniert.“ Gernot platzte der Kragen und er schrie Sabine an. Laut, wütend, erbost, voller Enttäuschung. Mitten im Flur der Kanzlei. Vor den anderen. Alle bekamen es mit. Der Alte. Die Sekretärin. Conny und Friedrich, die anderen Anwälte. Professor Kramny auch, der nur ab und an in der Kanzlei war, weil er eigentlich in Berlin lebte und dort lehrte und sogar die Bundeskanzlerin beriet. Alle bekamen es mit. Sogar drei Mandanten, die gerade im Warteraum saßen und darauf warteten, ein Gespräch zu führen.

„Ich glaub, ich halt’ das nicht mehr aus!“, schrie er. „Du machst hier einen auf Unschuldslamm, tust so, als wärst du das Opfer meiner Spionage, dabei lag dein Handy auf dem Küchentisch, ich habe zufällig draufgeschaut und gesehen, dass unser gemeinsamer Chef fragt, ob du Bock auf einen Fick hättest. Kannst du mir erklären, wer da jetzt bitte der Arsch ist! Du oder ich?“ Alles hielt inne. Die ganze Kanzlei wie gebannt. Die Mandanten sahen erschrocken auf. Die adrette Frau im Kostüm, hübsch und sehr selbstbewusst, reagierte kühl und verletzend: „Du solltest dich ein wenig besser im Griff haben, Gernot, wenn du mir das Wasser reichen willst.“ Dann drehte sich Sabine einfach um und verschwand in ihrem Büro. Wachter folgte ihr und Gernot blieb alleine mit den Wartenden im Vorraum zurück. Er entschuldigte sich bei ihnen mit einem unverständlichen Murmeln und verzog sich dann in sein Büro.

Der Alte war auf dem Flur zu hören. Er lachte laut auf. Dann Sabine. Sie sprachen mit einander und Gernot wusste, sie sprachen über ihn. Er packte seine Aktenmappen zusammen. Heute hielt ihn hier nichts mehr.

Draußen bat ihn die Sekretärin zu sich. „Der Alte will sie dir nicht mal selbst geben, Gernot. Es tut mir so leid für dich.“ Es war die Kündigung. Fristlos mit sofortiger Wirkung wurde die Zusammenarbeit zwischen den Rechtsanwälten beendet. Wegen Rufschädigung und so weiter. Sein Verhalten trüge dazu bei, dass der gute Ruf der Kanzlei nachhaltig geschädigt werden könnte. Er stand ohne Job da. Ein Anwalt, der von einem auf den anderen Tag aus einer der einflussreichsten Kanzleien Münchens geflogen war, hatte keine Chance auf einen baldigen Neuanfang, wenn der Chef der Kanzlei und seine Gespielin ihn systematisch schlecht redeten und das genau war der Fall.

Gernot setzte sich an einen Tisch in seinem Lieblingslokal, bestellte einen Grappa, ein Achtel Rotwein und eine doppelte Portion Panna Cotta. „Was ist los“, wollte Franco, der Kellner, von seinem Kunden wissen. Und da ahnte Gernot schon, was kommen würde: „Franco, das Ende vom Lied ist, ich bin der Depp, der Schuldige und der Ausgespielte. Sabine ist fort, mit dem Alten durchgebrannt und ich bin entlassen worden. Schuldumkehr in besonders dreister Manier, aber ich bin chancenlos. Sie werden alle zusammenhalten. Der Alte kennt doch jeden Richter, jeden Staatsanwalt.“

Der Kellner nickte und stellte ihm zu Grappa und Rotwein noch einen starken Espresso. Er kannte das ungleiche Paar lange genug. Und man hatte es ihnen angemerkt, an Körpersprache und Ausdruck: Sie ein wenig dominant und tonangebend, er der Untergebene.

*

Gernot ließ sich auf sein Sofa fallen. Ted ging nicht sofort an sein Telefon. Dann klackte es und er hörte die Stimme des alten Freundes. „Was gibt’s, mein Guter“, fragte Ted mit der üblichen guten Laune nach. Es gab aber keine guten Nachrichten. Gernot fing an zu erzählen. Von den Schwierigkeiten gleich nach der Trennung hatte Gernot berichtet und auch, dass ihn der Alte aus der Kanzlei geworfen hatte. Ted war also im Bilde. Aber dass der Scheidungstermin nun so rasch anstand und dass man am Ende einen Schuldigen hatte, der als so eindeutiger Verlierer dastand, das war für Ted eine Überraschung. „Lass dir das doch nicht gefallen“, forderte er seinen Kumpel auf, etwas gegen diese himmelschreiende Ungerechtigkeit zu tun. „Sabine ist fremdgegangen, hat dich ausgenutzt und obsiegt jetzt auf ganzer Linie, das kann es doch nicht sein!“ Etwas resigniert fügte Gernot an: „Du solltest doch wissen, mein Lieber, dass man auf hoher See und vor Gericht…“

Weiter brauchte er nicht reden. Ted krächzte ein Rauchlachen durch die Leitung. „Du hast ja Recht, Gernot. Du hast wie immer Recht. Aber es nützt dir nichts, dass sie die guten Kontakte hat. Was sind deine Pläne jetzt?“

Gernot fasste seinen Plan kurz zusammen: Jobsuche intensivieren, Wohnung verkaufen und in eine kleinere Wohnung ziehen. Sabine auszahlen. Zwischendurch überlegte er ernsthaft, ob er sich nicht die Hilfe eines Therapeuten suchen sollte. „Ted, ich schlafe schlecht, ich träume wirre Scheiße. Sabine hat mein Leben ernsthaft durcheinander gebracht. Ich war nicht zufrieden. Aber ich war aufgeräumt. Hatte einen Job. War als Anwalt anerkannt, wenngleich ich nicht der Held war. Die Kanzlei hat einen guten Namen. Ich hatte eine Frau. Und jetzt ist alles weg. Frau weg. Wohnung fort. Du weißt schon, die schwarzen Löcher fressen ihre Umgebung einfach so auf und übrig bleibt unendliches Nichts.“ Ted schwieg eine Weile. „Du wirst dir aber nichts antun?“, fragte er gerade heraus. „Dafür ist die Wut auf Sabine und -JW- viel zu groß“, entgegnete Gernot sehr zur Erleichterung seines Freundes.

„Pass auf, mein Lieber, ich bin in zwei Wochen an einem Samstag in München. Da spielt der Club bei 1860 und das lasse ich mir nicht entgehen. Wir könnten nach dem Spiel noch etwas trinken gehen.“ Gernot nickte, der Plan seines Freundes war gut. Eine Gelegenheit zum Reden war immer gut und er würde in der Zwischenzeit auf Wohnungssuche gehen und sich um eine Arbeit kümmern.

Abends, wenn Gernot allein war, spürte er den Schmerz in sich. Er vergoss Tränen der Sorge um die Zukunft. Er fühlte die Leere um sich und was am Schlimmsten war, es brach alles auf einmal zusammen. „Nutzlos, ausgenutzt, zu nichts mehr fähig“, hämmerte es dann in seinem Kopf. Er wollte dagegen ankämpfen, kam aber selten weiter als bis zum Kühlschrank. Bier und Erdnussflips. Wie einer, der sich nicht im Griff hat, sank er in sich zusammen. Es kostete unendliche Kraft, sich am Tage hinzusetzen und das Leben zu sortieren. „Du schreibst eine Bewerbung“, trötete sein Gewissen. „Du suchst eine neue Wohnung“, hauchte die Stimme aus dem Off in sein Ohr. „Du isst nicht nur dieses Zeugs“, warnte ihn seine Vernunft. Und immer fort der gute Geist des Weitermachens: „Vergiss sie endlich! Vergiss die Vergangenheit, die Zukunft hat begonnen!“ Dann erschien ihm im Traum aber immerfort die Richterin. Kurze Haare, mieses Lächeln. „Eine wahre Emanze“, hatte er -JW- sagen hören und ihm still zugestimmt und sich mit dem Schicksal schon zu arrangieren begonnen, als sie den Fall „Markmeier gegen Grassl-Markmeier“ aufrief. Dann fiel das Urteil und Sabine hatte gegrinst. Ein beinahe fieses Grinsen. Eine sanfte Bewegung ihrer Hand über Wachters Arm, die „Danke, mein Guter“ signalisierte und dann noch das zustimmende Nicken des Alten in Richtung der Emanze. Gernot drückte sich aus dem Saal. Er hatte sich selbst vertreten, wollte sich das Geld sparen und wusste von Anfang an, dass kein Anwalt in dieser Stadt gegen den Alten angekommen wäre.

2

Ted klingelte an der Türe. Er hörte wie Gernot den Flur entlang kam und fluchte. Dann wurde die Türe geöffnet. Ted blieb vor dem Eingang stehen und streckte dem Freund die Hände entgegen um ihn zu mustern. Mit beiden Armen packte er ihn an den Schultern. „Siehst weniger übel aus, als ich vermutet hatte“, flachste er und musste ein „Halt die Klappe. Wie hat der Club gespielt?“ hinnehmen. (Das Spiel, so berichtete Ted, sei eine langweilige Nullnummer gewesen).

Nach einer kurzen weiteren Phase der Begrüßung trat Ted ein - in einen leeren Flur. In eine fast leere Wohnung. „Oh, da ist nicht mehr viel übrig außer ein paar Kisten“, fügte er an.

„So ist es. Ich stolpere hier dauernd über die Kartons und stoße an jeder Ecke auf eine Dreckserinnerung an früher. Ich hab soviel fort geworfen, das glaubst du kaum.“ Ted nickte einfach schweigend und setzte sich auf einen Stuhl im Wohnzimmer. Zwei Klappstühle, ein mickriges Tischchen, das war geblieben. In der Ecke eine Matratze. Mehr war nicht mehr in der geräumigen Wohnung, in der es hallte, wenn man sprach. „Gemütlich ist was anderes“, grinste Ted.

„Wo ziehst du hin?“

Gernot erzählte von den letzten zwei Wochen. Er werde ab sofort in einer kleinen Zweizimmerwohnung in der Schellingstraße leben. „Schön im Zentrum, viele Studenten um mich rum.“

„Und die Jobsuche?“

„Auch erfolgreich abgeschlossen. Bin seit einer Woche bei einem Autovermieter als Hausjurist unter Vertrag. Nicht vergleichbar. Aber es passt und ich verdiene genug.“

„Es geht also aufwärts“, meinte Ted.

„Ja, aber Sabine…“ Weiter ließ Ted den Freund nicht kommen. „Sabine ist für dich gestorben, mein Bester. Sie hat sich aus dem Staub gemacht und dich grob verarscht. Ich kenne keine Sabine“, sagte er. Dann zwinkerte er und wollte wissen, was man denn nun mit dem gemeinsamen Abend anzufangen gedenke.

Gernot hatte nur einen Programmpunkt: Er wollte dem Freund die neue Wohnung zeigen. Also fuhren sie mit Teds Wagen in die Innenstadt, parkten im engen Innenhof des Wohnhauses. Was in der Mauerkircherstraße großzügig, modern und luxuriös war, hatte hier den Charme der bröckelnden Innenstadt. Alles wirkte etwas heruntergekommen, aber lebendig. Nichts war hier zu spüren von der aufgesetzten Sterilität der alten Wohnumgebung. Eine alte Frau, die ihr ganzes Leben in diesem Haus verbracht hatte, öffnete das Fenster als sie die beiden erblickte. „Sie sind der Neue, stimmt’s?“, rief sie den beiden zu. Gernot nickte. „Sie wohnen aber nicht mit einem Mann in der Wohnung, oder?“, hakte sie neugierig nach. „Keine Sorge“, grinste Ted. „Bin nur zu Besuch, ein Freund aus früheren Tagen.“ Die alte Frau lachte. „Wäre mir übrigens auch völlig egal, wenn’s anders wäre.“

Die Wohnung lag in einem Haus mit sechs Parteien. Gernot klärte Ted auf. Ein Studentenpärchen, die Alte, Witwe seit ein paar Jahren. Der Herr Eder, den alle immer fragten, ob er auch einen Pumuckl beherbergte. Ebenfalls Rentner. Seine Tochter kam einmal die Woche mit den Enkeln vorbei. Dann noch ein Ehepaar, das an der Universität arbeitete. Sehr belesen und intellektuell, freundlich, aber ein wenig reserviert. Zudem noch ein Alleinstehender, der viel unterwegs war. Der Eder hatte Gernot schon bei der ersten Begrüßung im Haus gesagt, dass „der Kerl eh nie daheim ist, weil er noch ein Haus irgendwo in Kolumbien hat. Ein Spinner ist das, wenn Sie mich fragen.“ Gernot hatte sofort gespürt, dass dieses Haus etwas morbid Charmantes hatte. Irgendwie verströmte es auch ein wenig Nostalgie. Alle in diesem Haus waren kauzig und liebenswürdig zugleich. Die alte Frau schimpfte auf den Eder. Der schimpfte auf die Studenten, weil die ihre Musik immer so laut hatten. Die aber trugen sowohl der Alten als auch dem Eder die Einkäufe nach oben und halfen ihnen auch so ab und an. Und wenn das Dozentenehepaar im Sommer auf dem Balkon saß und merkte, dass die Blumen auf dem Balkon nebenan verkamen, dann machte er die Arme lang und bedachte die grünen Sträucher und Gewächse auf dem Balkon des Kolumbianers mit einem Schluck Wasser.

Das Parkett knarzte. In der Wohnung hatte Gernot bereits einen Esstisch stehen und zwei Stühle. Auch das Sofa aus der alten Wohnung hatte einen netten Platz gefunden. Sonst merkte man sofort, dass hier einer erst dabei war sich häuslich einzurichten. Es standen noch überall Kisten herum und die Lampen fehlten; stattdessen hingen Birnen von der Decke.

Ted sah sich um und nickte immer wieder anerkennend. „Das sieht doch alles prima aus. Du wirst hier dein neues Leben beginnen. Und du wirst es nicht bereuen und irgendwann wirst du vergessen haben, was dich eigentlich hier her geführt hat.“ Gernot nickte und musste schmunzeln. „Du warst schon immer ein besessener Optimist.“

Sie plauderten noch eine Weile ehe Ted fragte, was denn nun für den Abend geplant sei, denn er bekäme nun doch anständigen Hunger. Gernot hatte sich zwar nichts überlegt und schlug dann einfach ein afrikanisches Steakhaus in der Innenstadt vor. Da wollte er schon so lange einmal hin, aber die letzten Monate habe es eben nicht einmal einen geeigneten Anlass gegeben, sich auf zu machen um ein ordentliches Steak zu essen und den Appetit darauf hatte er auch nicht gehabt.

„Jetzt hast du ihn und wir gehen da hin!“, meinte Ted und sie verließen die neue, leere Wohnung in Richtung U-Bahnstation. Es war mittlerweile auch wieder freundlicher. Die nasse Kälte, die für Juni so ungewöhnlich war, hatte München wieder verlassen und alles sah nach Frühsommer aus. Auch das machte es Gernot nun leichter, den Hauch von Leben, den er spürte, auch zu genießen.

Das Lokal war nicht groß, lag in einer Seitenstraße und war noch nicht wirklich voll. Ted blickte durchs Fenster und sah zwei besetzte Tische. „Haben die irgendwo eine Karte hängen“, fragte er etwas skeptisch. Der Blick auf die aufgelisteten Steaks aber überzeugte ihn sofort. „Wow, Zebra, Kudu und Springbock, das klingt ja mal richtig exotisch.“

Die beiden Männer ließen sich einen Tisch am Fenster zuweisen und studierten die Speisekarte. Sie orderten eine gemischte Vorspeisenplatte. Danach bestellte sich Ted ein Kudu-Steak, während es Gernot bei einem Steak vom namibischen Rind beließ. Dazu gab es Wein aus der Region Stellenbosch in Südafrika. „Afrika, das wäre mal was“, meinte Ted, der wegen seiner Arbeit selten Urlaub machte und dessen Frau nicht viel Lust auf Fernreisen hatte. Für Gernot hatten lange Reisen bislang auch nicht auf der Tagesordnung gestanden. Sabine - wollte er diesen Namen nicht eigentlich vergessen? - bevorzugte die Schnellladung der ausgelaugten Batterien. Das funktionierte am besten in einem Spa-Hotel in Südtirol oder an der Adria. Sie waren zweimal in den USA und besuchten einen befreundeten türkischen Anwalt in Istanbul. Afrika, ja, das wäre auch etwas für Gernot. Aber war es da nicht gefährlich und lauerten da nicht überall Krankheiten und wilde Tiere?

In der Zwischenzeit hatte sich der Gastraum gut gefüllt und die Musik war kaum mehr zu vernehmen, stattdessen überall das Geschnatter der Samstagsabendgesellschaften. Lachen. Hüsteln. Flüstern. Und wieder Lachen. Der Vorspeisenteller überzeugte die beiden Herren und sie freuten sich auf den weiteren Gang. Das Gespräch war in der Zwischenzeit vom Fußball zu den längst vergangenen Tagen gewechselt. Damals. Im Studium. Weißt du noch? Wir. In den Kneipen.

Der Kellner kam zurück zu ihrem Tisch, im Schlepptau zwei Damen. „Wäre es eventuell möglich, dass sich die beiden Damen zu Ihnen setzen würden? Wir haben nur noch zwei Tische frei und die sind reserviert. Die Herrschaften müssten gleich auftauchen.“

Während Gernot das im Grunde gar nicht passte, weil er in Ruhe mit Ted über die Vergangenheit quatschen wollte, scannte Ted die Damen in Windeseile und entschied ohne seinen Kumpel zu fragen: „Sehr gerne doch!“ Und dann nahmen die beiden Frauen neben der Männergesellschaft Platz. Die eine, eine dunkelhaarige Schönheit, bedankte sich höflich und funkelte ein wenig mit den Augen, was Ted augenscheinlich sehr gut gefiel. Die beiden Damen waren etwa Anfang bis Mitte dreißig. Die Dunkelhaarige trug einen langen Rock und dicken Lippenstift, sie war etwas fülliger und wirkte alles in allem aufgesetzt. Die andere war sportlich, schlank, hatte schulterlanges, blondes, wildes Haar und ihre blauen Augen strahlten unbezähmbare Freiheit aus. Sie saß schräg gegenüber Gernot, der nun nicht mehr wusste, ob es sich gehörte, ein Gespräch mit den Damen zu beginnen oder ob dies vielleicht gar als aufdringlich empfunden worden wäre.

Die Dunkelhaarige übernahm das Kommando. „Gaby, hi, Jungs“, sagte sie und Gernot war es fast unangenehm, von dieser Frau als Junge bezeichnet zu werden. Die Blonde nickte den beiden nur zu. Dann bestellten die Frauen Windhoek Lager Bier aus Namibia und Steaks. Bald begannen Gernot und Ted wieder ihr Gespräch über das Hier und Jetzt und das Damals und Dort fortzusetzen und sie kümmerten sich nicht weiter um die Ladies, die ebenfalls kaum Interesse an den beiden Männern hatten.

Dann, als sie alle mit ihren Steaks beschäftigt waren, fing die Brünette plötzlich ein Gespräch an.

„Und, schmecken euch die Steaks?“

„Klar“, entgegnete Ted.

„Meine Freundin Mona kommt aus Namibia und findet, hier gibt’s die besten Steaks der Stadt.“

„Gib Ruhe, Gaby“, sagte die eben Angesprochene.

Ted nickte zustimmend. „Das ist ja prima, Gernot und ich haben gerade über Afrika geredet. Dann kannst du uns ja sicher einiges über Afrika erzählen!“, meinte Ted in Richtung der hübschen blonden Frau.

Sie blickte von ihrem Teller auf und lächelte die beiden Männer an. „Wo beginnen, wo enden?“, fügte sie dann an. „Was wollt ihr denn wissen?“

Ted gab seinem Freund einen Kniff in die Seite. Gernot zuckte zusammen. Sollte das nun eine Aufforderung sein, dass er endlich ins Gespräch einsteigen sollte oder war es der unausgesprochene Hinweis, dass diese Frau ziemlich hübsch war? Aber dazu hätte es Teds Hieb in die Niere nicht gebraucht.

Mona begann von alleine zu erzählen. „Ich komme aus Namibia. Als ich geboren wurde, war es noch ein Teil von Südafrika. Wir sind also irgendwie auch Südafrikaner. Ich komme aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Lüderitz. Schon mal gehört?“

Die beiden Männer zuckten mit der Schulter. Der Forschere aber tat sogleich, als wüsste er wenigstens halbwegs, wo diese Stadt liegen musste. „An der Küste?“ Mona lächelte. „Ja, an der Küste.“ Sie rief nach dem Kellner und bat ihn, den Chef des Lokals zu holen. Dann sprach sie mit ihm auf Afrikaans. Es klang für Gernot und Ted wie eine sonderbare Mischung aus Holländisch und Deutsch. Sie verstanden kaum etwas und dennoch klang es sehr vertraut.

Der Manager verschwand in einem Nebenraum und kam mit einer Landkarte wieder hervor. „Bitte“, sagte er dann auf deutsch. „Darf ich?“, fragte Mona und breitete die Landkarte zwischen Steaks und Salat aus. Ihre Freundin Gaby wischte sich den Mund mit der Serviette ab und machte das eine, aufgerollte Ende der Karte mit einem Salatschälchen fest.

Ted beugte sich sogleich interessiert nach vorne und bestaunte die Landkarte. Gernot war dieses offensichtlich total übertriebene Interesse seines Freundes total peinlich. Er wollte schon fast etwas sagen, als Mona Gernot direkt ansprach: „Du hattest das Steak aus Namibia, richtig?“ Gernot nickte nur.

Mona fuhr mit ihrem Finger zart über Landkarte und markierte ein Gebiet auf dem ausgebreiteten Papier. „Da gibt es die Farmen, auf denen die Rinder gezüchtet werden, von denen dieses Fleisch kommt“, meinte sie. „Ist aber weit weg von meiner Heimat hier unten.“ Und wieder führte sie eine vorsichtige Bewegung auf dem Papier aus und tippte einen Fingerbreit neben der Stadt Lüderitz ins beige Nichts. „Da ist ja nur Wüste“, sagte Gernot nun. „Fast nur Wüste, du hast Recht.“

Ted wollte wissen, seit wann Mona in Deutschland lebte und ob Gaby auch aus Namibia stammte. „Ich bin aus Bochum und lebe erst seit acht Monaten in München“, meinte Gaby und ergänzte für ihre Freundin: „Und Mona pendelt zwischen hier und Afrika hin und her. Ihre Eltern und ihr Bruder sind immer noch in Namibia.“

„Ich habe Namibia nie wirklich ganz verlassen können“, fügte Mona selbst nun an und wischte sich sanft mit der Serviette über den Mund, schob den Teller beiseite und wollte dann wissen, ob die beiden schon einmal in Afrika waren. Beide schüttelten wie Schuljungen die Köpfe und bekundeten sodann ihr Interesse mehr zu erfahren. Vor allem Gernot war wie von einem Feuer gepackt. Er hörte einen Löwen brüllen, fühlte den Wind der endlosen Weite wehen und führte das sogleich auf diese Frau zurück, die zauberhaft unnahbar und dennoch so anziehend auf ihn wirkte.

„Also Namibia und Südafrika, das ist wie ein ganzer Kontinent für sich. Wir haben in Namibia eine der ältesten Wüsten der Welt. Wir haben Berge und das eiskalte Meer. Bei uns gibt’s Städte, die schauen aus, wie kleine Nordseebäder und wir haben im Norden Gegenden, da bist du tief im Busch.“ Das, was Mona mit einem Strahlen um die Augen erzählte, klang wie Werbung aus einem Tourismusprospekt, war aber mit der Sehnsucht nach der eigenen Heimat vorgetragen. „Was machst du dann hier in München, Mona?“, fragte Gernot nun sichtlich aufgetaut und interessiert. „Ich arbeite in einem Architekturbüro und plane nebenbei noch Häuser in Windhoek und Swakopmund, da haben wir ein Partnerbüro.“ Wieder fuhr sie mit dem Finger über die Landkarte und zeigte den beiden Männern Swakopmund. „Da gibts Schwarzwälderkirschtorte und Sauerkraut direkt neben der Wüste und einem afrikanischen Markt. Das ist eine ganz seltsame Mischung, aber wunderschön“, schwärmte sie.

Ted warf einen erneuten Blick auf die Landkarte. Er war nun auch interessiert an der Weite des Landes. Namibia schien vielversprechend vielfältig zu sein.

Etwas südlich des Ortes Lüderitz fiel ihm eine Markierung auf, die sich bis zur Grenze Südafrikas erstreckte. Sperrgebiet. Das klang spannend. „Da steht Sperrgebiet, was hat das zu bedeuten?“, wollte er von Mona wissen.

„Das ist heute ein Nationalpark, früher war es hier kaum möglich rein zu kommen. In der Gegend werden Diamanten gewonnen. Seit 1908 kann man in diese Gegend Namibias ohne Genehmigung nicht einreisen. Nur die Straßen von und nach Lüderitz sind offen. Mittlerweile aber wird alles nicht mehr so streng gehandhabt.“

Ted nickte und Gernot bohrte noch einmal nach. „Gibt es in Namibia noch viel Diamanten?“

Mona zuckte mit den Schultern. „Also in Oranjemund, da wo ein Teil meiner Familie lebt, lebten sie bis vor ein paar Jahren alle vom Diamantenabbau. Die ganze Stadt gehörte einem Konzern, der die Diamanten abbaute. Jetzt ist es eine normale, kleine Stadt. Ich glaube aber, Namibia verdient immer noch gut damit.“

Mona warf ihre blonden Haare über die Schultern und schaute auf die Uhr. Es war bereits kurz vor neun. „Wollt ihr noch was trinken gehen?“, fragte sie unvermittelt. Gernot war verblüfft über diese Frage. Bis eben war es eher Gaby, Monas Begleiterin, die den Eindruck erweckte, sie wäre auf Konversation aus. Dass nun Mona das Angebot machte, etwas zu unternehmen, war für ihn eine angenehme Überraschung. Aber er war sich nicht sicher, ob es klug war, sich darauf einzulassen.

Wie immer übernahmen andere für Gernot die Initiative. „Na klar, gerne doch!“, sagte Ted und bestellte auch sogleich die Rechnung. Gaby, die ebenso überrascht schien, fügte an, dass sie nur mehr ein Stündchen mitkommen wolle, denn sie sei „hundemüde, meine Liebe.“ Mona nickte. „Ist ja gut, in einer Stunde schaffen wir ein Weinchen und gut ist’s.“

Der Kellner kam, man bezahlte und vor der Tür fragte man sich, wohin es nun gehen sollte. Gernot konnte den Blick kaum von Mona lassen. Sie gefiel ihm ausgesprochen gut. Alles an ihr fühlte sich nach Abenteuer und Freiheit an. Sie schien ihm wie die typische weiße Afrikanerin, die auf einer Farm täglich ihren Mann stand und dennoch unglaublich weiblich und attraktiv war.

Gaby schlug eine Bar vor, die nicht allzu weit entfernt lag und wo man sich immer noch ganz gut unterhalten konnte. Sie hatte bemerkt, dass Mona Interesse an einem der beiden Männer zu haben schien, war sich aber tatsächlich nicht ganz sicher, ob es der Forschere oder der Zurückhaltendere war. War Ted doch eher der Typ, den Frauen liebten, weil er Scherze machte, Komplimente verteilte und am Ende der Draufgänger wäre, war Gernot vielleicht eine Spur geheimnisvoller.

Sie nahmen an einem kleinen Tisch im Innenhof Platz. Es war noch immer angenehm mild und warm. Die Kneipe war eine Oase inmitten der großen Stadt. Überall standen Blumenkästen. Alles wirkte wunderbar stimmig und die vier fühlten sich sofort wohl. Gernot bemerkte, dass es „schade war, dass ich hier noch nie war.“ Er setzte sich neben Mona und Ted nahm gegenüber Platz.

Nach dem ersten Glas Whiskey bemerkten Gaby und Ted, dass sie nun eine Zigarette gebrauchen konnten, während Mona und Gernot betonten, dass sie nicht rauchten. Die beiden Raucher verschwanden nach draußen vor die Straße. Gernot fühlte sich tatsächlich für einen Moment unsicher, wie er das Gespräch mit der schönen Mona am Laufen halten sollte. Er, der Schüchterne, wie ein überrumpelter Schuljunge, saß gegenüber einer jungen attraktiven Frau und war verlegen.

„Was machst du beruflich?“, fragte Mona nach. Gernot überlegte. Anwalt klang gut, aber verstaubt. Anwalt war er auch keiner mehr. Das hatte ihm Sabine versaut. -JW- hatte dafür gesorgt, dass er in München keinen Fuß mehr in eine Kanzlei setzen würde.

„Ich berate eine große Autofirma in Rechtsfragen.“ Mona nickte. Sie schien kein weiteres Interesse am Beruf ihres Gegenübers zu haben.

„Ich hoffe, es ist dir nicht zu direkt, aber bist du alleine?“ Gernot empfand diese Frage tatsächlich als etwas aufdringlich, merkte aber sogleich, dass sie ihm auch schmeichelte, denn sie signalisierte Interesse an ihm. „Wieder“, gab er zur Antwort, knapp und kurz. Sie nickte nur. „Du willst nichts davon erzählen, stimmt’s?“ merkte sie an.

„Es gibt nicht allzu viel zu erzählen. Ewigkeiten lang war ich mit einer Frau zusammen, wir waren verheiratet, haben zusammen in der gleichen Kanzlei gearbeitet. Sie wollte Karriere und ging dabei über Leichen beziehungsweise mit dem Chef ins Bett und ich blieb als Gelackmeierter auf der Strecke. Ganz einfach.“

„Das ist eine miese Sache“, sagte Mona und lächelte Gernot mit einem so verzaubernden Lachen an, dass er nicht wusste, ob er sofort glühendrot anlief oder nur das Gefühl hatte. Mona schien Interesse an Gernot zu haben und er genoss es sichtlich.

Er erfuhr noch viel über Afrika und die Weiten der Wüsten Namibias. Mona erzählte und erzählte. Nach dem zweiten Drink wurde es zudem lustiger und nach dem vierten Cocktail konnten Gernot und Mona nicht umhin, sich ihre uneingeschränkte Sympathie nun auch durch erste körperliche Zuneigungen zu zeigen. Gernot genoss es, dass Monas Hand sich vorsichtig auf seinen Oberschenkel tastete und auch er wurde forscher.

Die beiden merkten nicht mehr, dass Ted und Gaby auf einmal verschwunden waren. „Das sind erwachsene Leute“, hatte Gaby zu Ted gesagt, der gegen Mitternacht aufbrechen wollte, um noch die lange Strecke nach Hause anzutreten. Und auch Gaby war müde geworden. Die beiden verabschiedeten sich mit einem „War nett, dich kennengelernt zu haben“ und einer freundlichen Umarmung. Dann ging jeder seiner Wege. Aber beide schienen noch denselben Gedanken gehabt zu haben. In ihren Autos sitzend, schrieben sie noch Nachrichten an Mona und Gernot, in denen sie sich verabschiedeten und den beiden noch viel Spaß wünschten.

*

Um ein Uhr morgens sperrte die Kneipe zu. Der freundliche Besitzer bat die beiden nun auch nach Hause zu gehen. Mona nahm Gernot an die Hand und fragte: „Zu dir?“ Er nickte, merkte trotz des vernebelten Gefühls des Alkohols, dass er ihr aber etwas erklären musste. „Bin gerade erst umgezogen, sieht schrecklich aus.“ Mona legte ihm die Hand um die Schulter, zog ihn eng an sich heran und flüsterte ihm dann ins Ohr. „Werde heute Nacht keine Zeit mehr haben, deine Wohnung anzuschauen.“

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