Spiel des Deserteurs - J. H. Gelernter - E-Book
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Spiel des Deserteurs E-Book

J. H. Gelernter

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Beschreibung

Thomas Grey – Spion und Abenteurer im Namen der britischen Krone England, 1803: Eine französische Invasionsflotte steht kurz davor, die Strände Südenglands zu stürmen, als ein Mitglied aus Napoleons innerstem Kreis den britischen Marinegeheimdienst in der Hoffnung kontaktiert, mit brisanten Informationen nach London überlaufen zu können. Das internationale Schachturnier in Frankfurt gibt ihm die seltene Gelegenheit, außerhalb Frankreichs zu reisen. Der Geheimdienst schickt seinen besten Spion – und Schachspieler – Kapitän Thomas Grey, um die Flucht des Franzosen nach England zu arrangieren. Doch Greys Mission ändert sich dramatisch, als der Überläufer verlangt, dass seine pro-napoleonische Tochter ihn begleitet und erwartet, dass Grey nicht nur als Geleitschutz, sondern auch als Entführer fungiert.

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Über das Buch

England, 1803. Eine französische Invasionsflotte steht kurz davor, die Strände Südenglands zu stürmen, als Joseph Leclerc, ein Mitglied aus Napoleons innerstem Kreis, den britischen Marinegeheimdienst kontaktiert. Er hofft, mit brisanten Informationen nach London überlaufen zu können, denn das internationale Schachturnier in Frankfurt gibt ihm die seltene Gelegenheit, Frankreich unauffällig zu verlassen. Der Geheimdienst schickt seinen besten Spion – und Schachspieler – Captain Thomas Grey, um die Flucht des Franzosen nach England zu arrangieren. Doch Greys Mission ändert sich dramatisch, als Leclerc verlangt, dass seine pronapoleonische Tochter ihn begleitet und erwartet, dass Grey nicht nur als Geleitschutz, sondern auch als Entführer fungiert.

J.H. Gelernter

Spiel des Deserteurs

Ein Captain-Grey-Roman

Dieses Buch ist mit Hochachtung

Yusaku Maezawa

gewidmet

 

In der Hoffnung, jemand möge ihm ausrichten, dass ich für eine kurzfristige Mondfahrt zur Verfügung stehe.

1

22. November 1803

Bei Thineh, an der Nordküste Sinais

 

 

Um von England nach Indien zu reisen, umrundet man einmal mit einem Schiff die Südspitze Afrikas, verbringt vier Monate auf hoher See, wenn die Winde vorteilhaft wehen, und sechs Monate, wenn nicht.

Wenn man keine sechs Monate übrighat, oder nicht einmal vier, kann man eine Durchquerung des Landesinneren beim Isthmus von Suez wagen.

Vorausgesetzt, man findet Schiffe, die einen von einem zum anderen Ende bringen, und man hat Glück und begegnet entlang Ägyptens schlecht gesicherter Ostgrenze keinen barbarischen Sklavenhändlern, könnte man die Reise von Großbritannien zum Britischen Raj um die Hälfte verkürzen – von einer zweimonatigen Reise war auch schon berichtet worden. Auf den Befehl des Amtes der Admiralitäts- und Marineangelegenheiten Seiner Majestät hin war es die Überlandroute, auf der Thomas Grey mit einer Eilmeldung nach Indien gereist war. Er war als königlicher Postbote in den Dienst beordert worden, um Briefe des Geheimdienstes Seiner Majestät in London zum Generalmajor Seiner Majestät Wesley irgendwo östlich von Bombay zu bringen, wo dieser an der Spitze einer anglo-indischen Armee stand.

Grey erreichte Wesley bei Assay und nach einer kurzen Verwirrung, weil der General seinen Namen unergründlicherweise von Arthur Wesley zu Arthur Wellesley hatte ändern lassen, wurden die Briefe zugestellt. Nun war Grey auf dem Nachhauseweg, mit einem Antwortschreiben und einem Bericht von Wellesley für Whitehall. Grey nahm dieselbe Überlandroute des Isthmus, diesmal in umgekehrter Richtung. Und endlich näherte er sich der letzten Etappe seiner Reise.

Nachdem er über das Rote Meer zum Mittelmeer gekommen war – vom Suez-Hafen durch die Sinai-Wüste bis zur Küstenstadt Thineh –, saß Grey nun bequem an einem Strand, weniger als eine Meile östlich vom östlichsten Arm des Nildeltas entfernt. Der Sand war warm und die Brandung sanft; Grey aß ein Fladenbrot, das er in Dattelhonig dippte, und sah der Fregatte Seiner Majestät Juno, 32, dabei zu, wie sie hundert Yards vor der Küste vor Anker ging. Grey wurde gerade mit seinem Frühstück fertig, als die Juno damit fertig wurde, ihre Achter-Jolle herabzulassen. Es war früher Morgen, kurz nach Tagesanbruch am vereinbarten Datum, zur vereinbarten Stunde des ersten geplanten Rendezvous-Versuchs der HMS Juno mit Mr Grey. In einer Woche hätte es einen zweiten Versuch und in der Woche darauf einen dritten gegeben. Aber, sehr zu Greys eigener Zufriedenheit – er war ein Mann, dem Wettrennen Freude bereiteten – hatte er die Juno nach Thineh um fast zwei Tage geschlagen.

Bei Suez hatte Grey zwei Kamele erworben – das zweite, um den Beduinen zu tragen, der ihn führte – und den Isthmus in der wunderbar kurzen Zeit von drei Nächten und zwei Tagen überquert. Vier Tage waren normalerweise Standard, doch das Wetter war entgegen der Jahreszeit kühl gewesen, was bedeutete, dass die Männer nicht nur bei Nacht, sondern auch bei Tag reiten konnten, abgesehen von der Stunde vor Mittag und den zwei Stunden danach. Jeden Tag, als die Sonne ihren Zenit erreichte, breiteten Grey und sein Führer ein Schatten spendendes Tuch aus und schliefen die wenigen Stunden über, die Kamele neben ihnen. Vielleicht war es kindisch, aber schlafende Kamele schafften es immer, Grey zu amüsieren – ihre eigenartige Weise, sich auszuruhen, indem sie ihre gebogenen Hälse und spindeldürren Beine in willkürliche Richtungen abspreizten, wirkte immer, als wären sie Stoffpuppen, die von einem hohen Gebäude heruntergefallen waren. In jedem Fall hatten die kurzen Zwischenstopps Grey dabei geholfen, zwei Tage im Voraus in Thineh anzukommen. Dankbar hatte er die Kamele dem Beduinen als Geschenk überlassen – der sich zwar nicht wegen des kühlen Wetters rühmen konnte, aber trotzdem ein sehr liebenswerter Bursche war, der Grey während der Reise mit Geschichten über archäologische Ausgrabungsstätten der Franzosen unterhalten hatte: Einer seiner Cousins war bei Napoleons Expedition als Übersetzer mit dabei gewesen (der Beduine sprach zwar kein Englisch, sein Französisch war jedoch, genau wie Greys, perfekt). Dieser Cousin war zu der Zeit in Rosetta gewesen, als der große Stein entdeckt worden war; diese Geschichte hatte Grey besonders interessiert. Als er London nämlich vor vier Monaten verlassen hatte, war der Stein Gesprächsthema in ausnahmslos jedem Club und Kaffeehaus gewesen; gerade erst war die Übersetzung des griechischen Teils des Steins veröffentlicht worden.

Grey fragte sich, ob wohl irgendjemand während seiner Abwesenheit die Hieroglyphen entziffert hatte. In den Büroräumen des Geheimdienstes – im Admiralitätsgebäude, neben dem großen Paradeplatz Horse Guards Parade – war kaum ein Mann zu finden, der nicht mit einem Bleistift das Oberflächenrelief des Steins auf Papier durchgepaust und diese Frottage samt eines aufgeschlagenen Griechisch-Wörterbuchs daneben auf seinem Schreibtisch liegen hatte. Greys guter Freund Aaron Willys – der Stabschef des Vorsitzenden des Marinegeheimdienstes, Sir Edward Banks – war gezwungen gewesen, eine neue Karriere aus dem Konfiszieren der Dinger zu machen und die Geheimdienstmänner zurück an ihre Arbeit zu beordern. Willys persönlich hatte Greys Frottage (die er im Montagu House Museum selbst durchgepaust hatte) mit einem Stumpen verbrannt. Zwischen Daumen und Zeigefinger hatte Willys das hauchdünne, brennende Papier baumeln lassen und Grey angebrüllt, ob der Gentleman denn wüsste, dass gerade ein scheiß Krieg herrschte?

Bei der Erinnerung musste Grey lächeln. In jedem Fall hatte er die Kamele dem Beduinenführer überlassen, der die Freundlichkeit erwiderte, indem er Grey einlud, die übrige Wartezeit bis zur Ankunft der Juno bei dem Zeltlager seiner Familie zu verbringen. Sein Stamm kampierte zu dieser Jahreszeit an den Ufern des Nils, ein paar Meilen südwestlich von Thineh. Grey hatte dankbar angenommen und einen halben Tag sowie eine ganze Nacht die ausgezeichnete Gastfreundschaft der Beduinen genossen.

Auch bei dieser Erinnerung lächelte Grey.

Gerade kam die Jolle, ein fünfeinhalb Meter langes Boot mit sechs Ruderern, die sich zusammen gegen die Strömung in die Riemen legten, über die Sturzwellen. Grey stand auf, rollte die Hosenbeine hoch und watete – mit verstauten Stiefeln und seinen Siebensachen über der Schulter – hinaus, um ihr entgegenzugehen.

»Sind Sie Mr Grey, Sir?«, fragte ein junger Leutnant am Heck des Bootes, während zwei der Ruderer in der Brandung standen und das Boot festhielten, bis Grey angekommen war.

»Das bin ich, Sir«, antwortete Grey, warf seinen Seesack einem der Ruderer mit trockenen Füßen zu und zog sich über das Seitendeck aus dem hüfttiefen Wasser.

»Ich bin Hopper, Sir«, stellte sich der Leutnant vor, dann sagte er zu den Ruderern in der Brandung: »Stoßt ab.«

»Erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen, Mr Hopper«, erwiderte Grey. Die zwei Männer in der Brandung schoben die Jolle wieder hinaus über die Sturzwellen und wurden von ihren Kameraden an Bord gezogen, dann ruderten sie alle zusammen auf die HMSJuno zu. Der ganze Vorgang ging auf vorzügliche Weise effizient vonstatten, und Grey hatte gerade genug Zeit, seine Jacke anzuziehen und sich halbwegs präsentabel zu machen, bevor auch schon die Ruder am Fallreep hochgezogen wurden. Grey erklomm die Strickleiter mit der Leichtigkeit eines Mannes, der viele Jahre auf hoher See verbracht hatte – für die erste Dauer seines Arbeitslebens war er einer der Marinesoldaten in rotem Mantel gewesen, welche die Besatzung aller englischen Kriegsschiffe vervollständigten.

Da Grey vom Marineoffizierskorps für den Marinegeheimdienst rekrutiert worden war, behielt er der Höflichkeit halber weiterhin den Rang eines Kapitäns bei, ein Titel, den er nur selten benutzte – Diskretion war als Spion nun mal besser. Da er nun, wie sonst auch immer, als Mr Grey reiste, unterließ er es, auf dem Achterdeck zu salutieren und schüttelte stattdessen dem Kapitän der Juno die Hand, der ihn am oberen Ende der Landungstreppe begrüßte.

»Eine Freude, Sie an Bord zu haben, Mr Grey. Ich hoffe, wir haben Sie nicht warten lassen.«

»Ganz im Gegenteil, Captain Crowther, Ihre Pünktlichkeit ist tadellos. Ich danke Ihnen, dass Sie mich aufnehmen.«

»Sicher doch, Mr Grey. Kann ich Ihnen einen Tee anbieten?«

»Danke, ja«, antwortete Grey.

»Mr Burnes«, wandte sich Crowther an einen jungen Leutnant auf dem Achterdeck, »wenn die Jolle hochgehievt ist, lichten Sie den Anker und setzen Sie den Kurs Richtung Norden, bis das Land außer Sicht ist, dann West zu Nord. Sie haben die Verantwortung über das Deck.«

Captain Crowther führte Grey in die Kapitänskajüte, welche die gesamte Breite des hintersten fünfeinhalb Meter langen Kanonendecks einnahm, womit diese auf jedem Kriegsschiff der einzige Innenraum war, den man eventuell als geräumig bezeichnen konnte. Auch wenn die der Juno Grey und Crowther dazu zwang, leicht den Kopf einzuziehen.

»Bitte nehmen Sie doch Platz«, bat Crowther und setzte sich selbst auf die Backskiste. »Mein Tisch und meine Stühle mussten letzte Nacht nach unten geräumt werden, da Wind aufgekommen ist. Mit dem Tee sollten sie wieder hochgebracht werden.«

So war es auch, und während Captain Crowther Karten und Papiere wieder auf seinem Schreibtisch sortierte, nippte Grey an seinem Tee und bedauerte es, keine letzte Tasse Kaffee mehr getrunken zu haben, bevor er sich von seinen Beduinen-Gastgebern verabschiedet hatte.

»Wie ich meinen Befehlen entnehme –«, begann Crowther, wurde aber von einem Klopfen an seiner Kabinentür unterbrochen. »Herein«, antwortete er.

»Bitte um Verzeihung, Sir«, sagte ein Seekadett von ungefähr zwölf Jahren, »Mr Solomon berichtet, dass alle Säcke mit rotem Korn trocken sind und nur einer mit weißem feucht, und Mr Bibble berichtet, dass das Wasser nur noch fünfzehn Zentimeter im Welldeck steht.«

»Sehr gut, Mr Matthews; wenn es ganz abgelaufen ist, lassen Sie Mr Burnes für das Frühstück alle Mann an die Pumpen schicken. Und sagen Sie Walpole, dass er einheizen und eine warme Mahlzeit servieren kann.«

»Ja, Sir. Danke, Sir.«

»Obwohl man niemals damit falschliegt, lieber zu viel als zu wenig Disziplin und gute Manieren an den Tag zu legen«, belehrte Crowther seinen jungen Seekadetten, »ist in diesen Fällen ein bloßes ›Ja, Sir‹ ausreichend.«

»Ja, Sir. Danke, Sir.«

Der Junge errötete, und der Kapitän lächelte milde. »Und jetzt ab mit Ihnen, es gibt Arbeit zu erledigen.«

»Ja, Sir.«

Crowther schenkte sich eine zweite Tasse Tee ein und setzte sich Grey gegenüber. »Es ist sein erstes Mal auf See, und verständlicherweise ist er immer noch nervös. Er muss sich noch etwas mausern. Jedenfalls … wo war ich gerade?«

»Sie hatten Ihren Befehlen etwas entnommen«, erinnerte ihn Grey.

»Ach ja: Wie ich meinen Befehlen entnehme, tragen Sie Depeschen mit sich, aber diese – meine Befehle – lassen es offen, ob es sich dabei um offizielle Eilmeldungen handelt oder nicht. Das soll heißen, ich muss wissen, ob ich anordnen soll, jede Kontaktaufnahme von anderen Schiffen mit dem Signal ›Zustellung von Nachrichten‹ abzublocken.«

Für zwei königliche Schiffe, die sich auf See trafen, war es normal, ihren Verpflichtungen nachzukommen und zu klären, welcher der Kapitäne den höheren Rang besaß. In diesen Fällen war es nicht ungewöhnlich, dass der höhere Offizier dann den ihm unterstellten einlud – das heißt, ihm befahl –, mit allen möglichen Neuigkeiten, die er vielleicht hatte, herauszurücken, die Chronometer abzugleichen und Post einzusammeln. Der einzige Umstand, unter dem ein Schiff der königlichen Marine so einen Befehl ignorieren konnte (oder jeglichen Befehl, den ein höherer Kapitän vielleicht aussprach), war, wenn es gerade eine Nachricht zustellte. Dann konnte eine Schaluppe die Anordnung eines Dreideckers unter dem Kommando zweier Admirale missachten. Natürlich war das ein Signal, von dem Kapitäne gerne Gebrauch machten.

Grey dachte einen Augenblick lang nach und trank einen kleinen Schluck Tee. »Ja«, entschied er. »Ich glaube, das wäre gerechtfertigt.«

»Sehr gut«, antwortete Crowther. »Mr Winthrop«, rief er, und die Tür wurde von einem Marinesoldaten geöffnet, der draußen stand.

»Ja, Sir?«

»Lassen Sie Mr Hopper rufen.«

»Ja, Sir«, gehorchte der Marinesoldat und schloss die Tür wieder.

 

Die Briefe von Wellesley, die Grey bei sich trug, betrafen die Bemühungen von Napoleons Frankreich, den Stillstand in seinem Krieg mit England zu brechen. Nachdem Frankreich den Rest Europas unterworfen hatte, hatte es einen schnellen Sieg über das Vereinigte Königreich erwartet – und warum auch nicht? Trotz der Mobilisierung von Armeen als Antwort auf den Jakobinischen Terror hatten die Alliierten rasch Belgien, die Niederlande, das Piemont, die Schweiz und Italien verloren; die Erste und Zweite Koalition wurden beide gleichermaßen zu Stücken zerschlagen und bloß Napoleons Entscheidung, die französische Armee ins Landesinnere zu lenken, um die Diktatur der Jakobiner durch seine eigene zu ersetzen, hatte Wien und Berlin bis jetzt die Guillotine erspart. Europa östlich des Rheins hatte ein französisches Reich westlich des Rheins akzeptiert, vorausgesetzt, dass es auch dortblieb. Nur das Vereinigte Königreich Großbritannien und Irland lehnten es ab, sich zu unterwerfen und den Boden vor den Füßen des jungen Bonaparte zu küssen.

Im Moment standen die britischen Inseln alleine da – die letzte Großmacht, die sich weigerte zu glauben, dass sich der kleine Korse hinter dem Rhein abgrenzen würde, und die nicht bereit war, eine Welt unter seiner Herrschaft zu akzeptieren. Glücklicherweise hatten Gerüchte einer französischen Invasionsflotte England noch vor der Flotte selbst erreicht – und jetzt musste sich diese einer stark aufgerüsteten Südküste stellen –, übersät mit Martello-Belagerungstürmen, die scheinbar im Stundentakt von den Ingenieuren Seiner Majestät hochzogen wurden und hinter denen eine neue Heimatarmee aus fünfzigtausend Reservisten stand.

Trotzdem konnten die Türme und Soldaten bloß standhalten, wenn die Königliche Marine wie seit 1066 den englischen Ärmelkanal kontrollierte. England konnte nur auf den Stränden gewinnen, wenn es die Meere unter seiner Kontrolle behielt. Der Korse selbst hatte sich dazu recht offen geäußert und vor seiner »Englandarmee« verkündet, die schon gespannt darauf wartete, ihre Armada von Landungsbooten zu besteigen: »Wenn wir für sechs Stunden die Herren über den Ärmelkanal sind, dann sind wir auch Herren über die Welt.«

Aber die Königliche Marine wich nicht von der Stelle. Und jetzt versuchte Napoleon, sie zum Zurückweichen zu zwingen, indem er woanders auf der Welt Feuer legte, die England mit viel Zeit und Aufwand würde löschen müssen. Wellesley und seine indischen Alliierten hatten den General Pierre Cuillier-Perron und das Maratha-Reich für den Moment unter Kontrolle. Und das Parlament erhielt den Frieden mit den Vereinigten Staaten aufrecht, sogar als Napoleon Louisiana an die Amerikaner verkaufte, zusammen mit einem beträchtlichen Teil Nordamerikas, den England für sich beanspruchte. Doch sogar so war es nur eine Frage der Zeit. Entweder würde England Alliierte finden, die es ihm ermöglichen würden, eine zweite Front zu eröffnen – ein Landkrieg auf dem Kontinent –, oder ein Sturm würde schon eines baldigen Tages das Ärmelkanal-Geschwader so weit von seinem Blockadekurs abtreiben, dass die französische Invasionsflotte aus dem Hafen schlüpfen konnte. Dann würde der Einmarsch beginnen, und England wäre gezwungen, in einem hässlichen, teuren Verteidigungskrieg auf den Stränden und den Landeplätzen zu kämpfen, in den Feldern, den Straßen und in den Hügeln, bis das Königreich entweder unterworfen oder verhungert wäre oder einen blutigen, blutigen Pyrrhussieg erzwungen hätte.

Es war bloß eine Frage der Zeit. Außer, England schaffte es, eine Dritte Koalition zu bilden und Napoleon dazu zu zwingen, selbst in einem Verteidigungskrieg zu kämpfen.

»Sir?«, erkundigte sich Leutnant Hopper und öffnete die Tür zur Kapitänskajüte.

»Richten Sie Mr Burnes aus, dass er jedes Signal mit ›Zustellung von Nachrichten‹ beantworten und seinen Kurs halten soll. Sobald wir nach Westen abdrehen, setzen Sie das volle Segel, und halten Sie sich ebenfalls bereit, die Leesegel anschlagen zu lassen.«

»Sehr wohl, Sir.«

»Großartig«, sagte Crowther zu Grey, nachdem sich Hopper wieder zurückgezogen hatte. »Großartig. Wir sollten es in null Komma nichts zurück zum Felsen von Gibraltar schaffen und von dort aus dann nach England. Kann ich Ihnen etwas zum Frühstück anbieten?«

2

Die Reise gen Westen durch das Mittelmeer verlief schnell und reibungslos; es stellte sich heraus, dass die Levante, welche die Juno unmittelbar bevor Grey an Bord kam, durchgeschüttelt hatte, der letzte starke Wind war, den das Schiff östlich von Gibraltar erleben würde. Die Juno hielt nur kurz am Felsen, um Wasser zu laden und einen Limettensaft von suspekter Natur zu ersetzen, segelte dann hinaus auf den Atlantik, umrundete das Kap Trafalgar und fuhr Richtung Norden, entgegen einer unwesentlichen Strömung, wobei sie durch die Westwinddrift, die von einem nautischen Strich achterlicher als querab her wehte, sogar schneller als zehn Knoten war.

England war vielleicht noch eine Woche entfernt, und Greys Verlangen nach Haus und Herd wurde nur leicht von dem Bedauern getrübt, das er immer am Ende einer Seereise verspürte. Nachdem er so viele seiner prägenden Ausbildungsjahre auf hoher See verbracht hatte, war es ihm ein Leichtes, wieder in die Schiffsroutine zu verfallen, sich wieder davon zu lösen allerdings nicht. Da sie glatt dahinsegelten, waren die Decks frei, sodass die Marinesoldaten exerzieren konnten und Grey sie damit verwöhnt hatte (wobei es eigentlich angemessener wäre zu sagen, dass sie ihn damit verwöhnt hatten), an den militärischen Übungen mit den Entermessern teilzunehmen – Fechten und Zweikampf auf dem Vorderdeck – und die Baker Rifles herauszuholen. Danach hatte sich Grey auf das Achterdeck zurückgezogen, wo er an der Heckreling lehnte und ›Über die Flora von Lappland und den Boden, auf dem sie gedeiht‹ las, von einem Botaniker namens Kefauver, mit dem Grey bekannt war. Er hatte soeben ein langes Kapitel über Cladonia rangiferina, die ›Rentierflechte‹ beendet, von der sich die Huftiere der Tundra prinzipiell ernähren. Gerade wollte er mit der Erörterung zu dem phosphorhaltigen Boden fortfahren, auf dem diese Flechten wachsen, als ein Ruf von oben aus dem Fockmast ertönte: »An Deck! Segel auf Steuerbord querab!«

Alle Augen richteten sich nach Osten, auf den Golf von Biskaya und Frankreich – obwohl weder Frankreich noch der Horizont, hinter dem es sich tatsächlich verbarg, zu sehen war. Ungefähr zehn Meilen entfernt, nahe über dem Wasser, waberte ein dichter Nebel, über dem sich eine Front aus Gewitterwolken auftürmte. Das Wetter im Golf war traditionsgemäß schrecklich, also überraschte das niemanden – allerdings ließ der Anblick eines Segelschiffs Richtung Westen, das aus dem Sturm herausfuhr, dieselbe Idee in den Köpfen aller Männer auf der Juno aufkommen: Das musste ein Blockadebrecher sein, der aus Rochefort herausgeschlüpft war, zweifelsohne ein Schmugglerschiff, voll bis unters Deck mit Wein und Kognak; wenn das kein gottloses, jakobinisches Glück war, aus einem Sturm heraus geradewegs in die Arme eines englischen Kriegsschiffs zu segeln.

Aber dann kam den auf dem Achterdeck der Juno auf und ab gehenden Offizieren noch ein zweiter Gedanke: Augenscheinlich stellten sie gerade Nachrichten zu. Gab ihnen das den Spielraum, Schmuggler aufzugreifen?

»Mr Grey: Auf ein Wort, bitte, wenn Sie so freundlich wären«, bat Captain Crowther, der an der leewärtigen Reling stand. Als Grey sich ihm näherte, um sich zu ihm zu stellen, zogen sich die anderen Offiziere auf die luvwärtige Seite zurück, um ihnen den Anschein von Privatsphäre zu vermitteln.

»Mein ständiger Befehl lautet«, erklärte Crowther Grey, »jeden Blockadebrecher, dem ich begegne, als Prise zu nehmen oder zu versenken. Allerdings unterliegen meine Befehle in diesem Falle den Ihren. Wenn Sie glauben, dass die Briefe, die Sie mit sich führen, keine Seeschlacht oder keinen Tag Verspätung riskieren können, müssen Sie mir das jetzt sagen.«

»Könnte ich mir kurz Ihr Fernrohr ausleihen, Captain?«

»Sicher.«

Grey hielt sich das Fernrohr ans Auge und besah sich das französische Schiff genauer, das vielleicht sechs Meilen leewärts lag und in der Vergrößerung auch nicht viel deutlicher zu sehen war als mit bloßem Auge. Trotzdem konnte Grey zwei Masten und ein Rahsegel ausmachen.

»Eine Sloop mit Briggtakelung, Sir?«

»Das glaube ich zumindest, Mr Grey.« Damit wäre es ein ziemlich aufwändiges Schmugglerschiff. Aber natürlich gab es da noch die andere Möglichkeit.

»Eine Kriegs-Sloop, Sir?«

»Möglich, Mr Grey.«

»Die vielleicht selbst Nachrichten zustellt?«

»Denkbar, Mr Grey.« Grey betrachtete sie noch einen Augenblick länger, schob dann das Fernrohr zusammen und gab es dem Kapitän zurück.

»In diesem Falle, Captain Crowther«, sagte Grey, »sollten wir sie uns schnappen.«

Crowther lächelte und konnte nicht widerstehen, Grey vertraulich auf die Schulter zu klopfen. Er wandte sich an seine Offiziere auf der Luvseite, von denen alle angestrengt versucht hatten, dem Beschluss zu lauschen.

»Alle Mann auf ihre Posten, Mr Burnes. Klarmachen zum Gefecht.«

Jetzt lächelte Burnes. »Sehr wohl, Sir.« Er wandte sich an den Bootsmann am hinteren Ende des Achterdecks und bellte: »ALLEMANNAUFIHREPOSTEN.«

Der Bootsmann wiederholte den Ausruf, der Marinesoldat neben ihm vollführte einen Trommelwirbel, der das Schiff zur Aktion aufrief, und alle Mann machten sich rasch an die Arbeit. Ohne Zweifel traf das auch an Bord des französischen Schiffs zu, obwohl dessen Offiziere eine schwierigere Entscheidung zu fällen hatten. Rochefort war sogar bei klarem Wetter ein schwer anzulaufender Hafen; wenn das Ufer auf der Leeseite im Nebel lag, war er tödlich. Das und die Tatsache, dass man ein zweites Mal an einem englischen Blockadeschiff vorbeimusste, ließen der Sloop keinen Raum, um sich zurückzuziehen. Die einzige Frage, die es für sie noch zu klären gab, war, ob sie nach Norden oder Süden fahren sollte. Grey war sich sicher, dass ihre Offiziere in diesem Augenblick über die Segelqualitäten der Juno diskutierten: Ob sie achterlicher oder vorlicher als querab verhältnismäßig schneller wäre; ob Norden oder Süden die bessere Fluchtchance darstellte.

Aber sie schienen sich damit alle Zeit der Welt zu lassen – sie waren immer noch auf ihrem ursprünglichen Kurs, geradewegs auf die HMSJuno zu. Könnten sie einen Kampf in Betracht ziehen? Sicher nicht, überlegte Grey. Wenn es eine Kriegs-Sloop wäre, könnten sie vielleicht zehn oder zwölf oder sogar vierzehn Kanonen mit sich führen, keine davon schwerer als knapp zwei Kilo, was eine komplette Breitseite mit der Stärke von gerade einmal zwölfeinhalb Kilo ausmachte. Die Juno konnte mehr als acht Mal so ein Gewicht in Metall abfeuern. Ihre Breitseite, die Karronaden auf dem Achter- und Vorderdeck eingeschlossen, lag ungefähr in der Größenordnung von hundertvier Kilo. Hundertvier gegen zwölfeinhalb. Und mehr als zweihundert Männer gegen weniger als neunzig. Nein, ein Kampf käme für die Franzosen einem Selbstmord gleich.

Sie kamen jedoch immer noch auf sie zu. Mit keiner hohen Geschwindigkeit – vielleicht fünf Knoten. Aber nichtsdestotrotz taten sie es. Bald schon war die Sloop nahe genug, sodass mit dem Fernglas ein paar Details zu erkennen waren. »Batavische Farben, Sir«, meldete Leutnant Hopper, der Decksoffizier war und sein eigenes Fernglas auf die Sloop gerichtet hatte.

»Sehr gut«, entgegnete Crowther. Ganz hinten auf dem Achterdeck trug gerade eine unerfahrene, zur Arbeit im Mittelschiff eingeteilte Landratte einen Hühnerkäfig die Kajütstreppe hinunter; Grey hörte, wie der Mann lautstark kommentierte – für den Fall, dass es seinen Kameraden noch nicht aufgefallen war: »Mit den Holländern ham wir aber doch gar kein’ Krieg.«

»Halt den Mund, Nibley«, gab ein Steuermann zurück. »Ihre Farben heißen gar nichts; bring die verdammten Vögel runter, sonst mach ich dir selbst gleich Beine.«

Tatsächlich bedeuteten ihre Farben nichts – jedes Schiff konnte auf legitime Weise in der Hoffnung, den Feind zu verwirren, unter falscher Flagge segeln, solange es seine echten Farben zu erkennen gab, bevor es einen Schuss abfeuerte. Das war gang und gäbe; bald schon würde die batavische Flagge verschwunden und die Trikolore oben sein.

Und so war es auch.

»Batavische Flagge eingeholt, Sir. Französische Flagge wird gehisst.«

Die Franzosen hielten immer noch auf sie zu. Grey kniff die Augen zusammen, um sie besser sehen zu können.

»Sir …«, sagte Hopper einen Augenblick später. »Ich war mir nicht – das heißt, ich bin mir nicht ganz sicher –, aber ich glaube – zuerst dachte ich, dass die Flagge bloß falsch herum im Wind flattert –, aber ich glaube, Sir, dass ihre Farben umgekehrt sind. Rot innen und Blau außen.«

Mit zwei Schritten war Captain Crowther neben ihm. Um keine Zeit zu verlieren, nahm er sich das Fernrohr des Leutnants – »Mit Ihrer Erlaubnis, Mr Hopper« – und spähte für bessere Sicht durch die Linse.

»Sie haben recht, Leutnant.« Er gab das Fernrohr zurück, drehte sich mit hinter dem Rücken verschränkten Händen um und sah dabei leicht enttäuscht aus. »Nun gut, wir werden sie zwar immer noch als Prise nehmen, aber einen Kampf wird es heute nicht geben, Mr Grey. Sie segeln unter dem Seenotsignal.«

Er wandte sich an den Steuermann. »Halten Sie diesen Kurs. Genau auf sie zu.«

Es dauerte nicht viel länger als eine halbe Stunde, bis sie die französische Sloop in Seenot erreicht hatten – Crowther ließ die Juno so schnell sie nur konnte übers Wasser fliegen und die Segel immer wieder neu trimmen, um jedes kleine bisschen Geschwindigkeit aus der steifen westlichen Brise herauszuholen. Kein Seemann, der etwas taugte, würde je den Fall eines Schiffs in Seenot weniger dringlich behandeln als die Aussicht auf ein Prisengeld. Grey dachte über den seltsamen Ehrenkodex auf hoher See nach – es war die Pflicht und auch oft die Freude eines Marinesoldaten, jeden Feind, dem er vielleicht begegnete, zu bekämpfen und auch manchmal zu töten. Allerdings musste derselbe Feind nur um Hilfe bitten, und ihm würde mit dem Eifer einer Krankenschwester geholfen werden, die nichts von Flaggen und Kriegen verstand; nur, dass alle Männer Brüder waren.

Als sich die Juno den Franzosen näherte, wurde langsam der Grund für ihre Seenot sichtbar: Ihre Segel hingen alle schief; Geitaue waren gerissen, und der Stoff flatterte im Wind. Ihre Takelage war verheddert und hing lose herunter, und die Decks – die aus der Entfernung seltsam nackt ausgesehen hatten – waren nun sichtlich mit ausgestreckt daliegenden Körpern übersät. Ein Mann, vermutlich der französische Schiffsarzt, bewegte sich zwischen ihnen hindurch. Als die Schiffe in Rufweite waren – ungefähr zehn Yards voneinander entfernt und parallel mit der jeweiligen Steuerbord-Breitseite zueinander, rief Crowther hinüber: »Ahoi, le sloop francaise … Que-est-que le … trouble. Avec vous?«

Auf der französischen Sloop antwortete ein Unteroffizier in gebrochenem Englisch – der Navigator, wie Grey annahm.

»Monsieur, während dem Sturm wurden wir schrecklich durchgerüttelt, der Wind kam vom Land und machte das Meer sehr kurz und sehr wütend. Wir konnten es nicht mit den Wellen aufnehmen, Monsieur, und wurden herumgeworfen. Schlimm herumgeworfen. Der Kommandeur und der Leutnant können nicht stehen, sind nicht wach. Der Kadett ist tödlich. Mit gebrochenen Händen und Beinen, wir haben nicht genug Männer, um das Schiff wieder zum Fahren zu bringen.«

»Wir schicken unseren Schiffsarzt und eine Prisenmannschaft herüber«, antwortete Crowther, »und werden uns an Ihrem Bug und Heck vertäuen; werft Eure Taue herüber.«

Die Mannschaft der Juno stand immer noch auf ihren Kampfposten; mit ausgefahrenen Kanonen und den Decks klar zum Gefecht. Crowther gab nun den Befehl, die Schiffe von hinten beginnend aneinander zu befestigen und die französische Sloop zu vertäuen. Die Mittelschiff-Matrosen und Vorderdecksmänner der Juno fingen Affenfäuste, die verknoteten Enden von Wurfleinen, von ein paar französischen Mannschaftsmitgliedern auf, die noch auf den Beinen waren und diese herüberwarfen; mit deren Hilfe beförderten sie dann schwere französische Palstek-Knoten herüber, deren Schlaufen, eine nach der anderen, an Junos Ankerwinde festgemacht wurden. Die Mittelschiff-Matrosen machten sich an die Arbeit und drehten die Ankerwinde, wodurch sich die Seile spannten und die Schiffe aneinandergezogen wurden; schließlich befestigten sie die Palstek-Knoten an Junos Poller und die beiden Schiffe waren nur noch drei Meter voneinander entfernt.

Da die französische Sloop – deren Name jetzt genannt worden war: die Marianne – ein viel kleineres Schiff war, lag ihr Achterdeck nur knapp höher als das Kanonendeck der Juno; eine Landungsbrücke wurde von ihrem Hauptdeck zur Eingangspforte von Junos Kanonendeck gelegt. Leutnant Hopper und eine Handvoll Matrosen gingen voraus, gefolgt von Junos Schiffsarzt, dessen Offizieren und einer Notmannschaft, die nun langsam von dem englischen Schiff auf das französische überging.

Hopper sollte das Kommando übernehmen; da die französischen Offiziere verhindert waren, würde es der Navigator sein (er war der befehlshabende Franzose), der Hopper das Kapitänsschwert darbieten würde – die Zeremonie, welche die französische Kapitulation formell besiegelte.

Der Navigator zog das Schwert aus seiner Scheide und hielt es Hopper auf beiden offenen Handflächen hin, damit dieser es entgegennehmen konnte. Hopper steckte seine Pistole in den Gürtel und streckte den Arm danach aus. Doch da legte der französische Navigator plötzlich seine rechte Handfläche oben auf den Griff des Schwertes, umklammerte es fest und rammte es dann in Hoppers Bauch. Und damit brach die Hölle los.

Die verwundeten Franzosen, die das Hauptdeck übersäten, erwachten aus ihrer Notlage und erhoben sich, wie durch ein Wunder geheilt; ungefähr ein Dutzend trugen Musketen und Pistolen bei sich, die sie auf die Prisenmannschaft auf der Laufplanke, auf die Matrosen auf dem Landungssteg der Marianne und auf die Offiziere der Juno auf dem Achterdeck abfeuerten. Ein paar der Invaliden rannten zu Mariannes Kanonen, die offensichtlich präpariert und geladen waren – schnell wurden sie ausgerichtet und abgefeuert, direkt in Junos eigene Geschützpforten, wodurch sieben ihrer dreizehn Steuerbord-Kanonen zerstört und mit einem Streich vielleicht dreißig Männer der Geschützmannschaft getötet wurden. An Bord der Juno herrschte Chaos, da ein Großteil der Männer ihre Gefechtsposten verlassen hatten – einige rannten zurück auf ihre Plätze, andere zu den Waffenschränken, und weitere schnappten sich Handspeichen und Belegnägel und rannten los, um die Enterer, die jetzt über die Laufplanke nach oben in Junos Kanonendeck strömten, damit zurückzudrängen.

Die Geschützmannschaften der Marianne luden in Windeseile nach, während die der Juno zurück zu ihren oder anderen Kanonen rannten, die noch abgefeuert werden konnten. Junos erste Schüsse, die vom Vorder- und Achterdeck abgegeben wurden, krachten in die Marianne, kurz darauf gefolgt von einem einzelnen Zwölfpfünder vom Kanonendeck. Die überlebenden Geschützmannschaften der Marianne erwiderten den Kugelhagel und setzten drei weitere von Junos Geschützen außer Gefecht.

Dies waren die letzten Schüsse der Marianne; die Juno verpasste ihr noch drei weitere Kugelsalven – machte Roheisen und Streichhölzer aus ihren Kanonen und dem Vorderdeck –, bevor klar wurde, dass die übrige Mannschaft an Bord des französischen Schiffs nur noch wenige Mann zählte. Der Kampf wurde nun Mann gegen Mann fortgeführt und fand auf Junos Kanonendeck statt.

Und er war blutig. Obwohl die Franzosen zahlenmäßig weit unterlegen waren, hatten sie das Überraschungsmoment auf ihrer Seite; die ersten Männer der Marianne, welche die Laufplanke passiert hatten, schlachteten zwanzig von Junos Männern mit Schwertern, Spießen und Äxten ab, bevor die sich auch nur besinnen konnten, und noch ein weiteres Dutzend, bevor sie sich bewaffnen konnten. Der Chancenvorteil der Juno hatte sich von zwei zu eins auf drei zu zwei verschlechtert und schwand weiterhin, während die Franzosen einen gut geplanten und unfassbar kriminellen Hinterhalt ausführten.

Grey war die ganze Zeit über mit den Offizieren der Juno auf ihrem Achterdeck gestanden und hatte Hopper dabei zugesehen, wie er die französische Kapitulation annehmen wollte. Als Hopper getötet wurde – als die Franzosen das Feuer eröffnet hatten –, griff Grey nach seinem Schwert – das er nicht trug, weil er namentlich ein Gast auf Crowthers Achterdeck gewesen war und deshalb keine Uniform getragen hatte. Er wandte sich dem hinteren Ende des Decks zu, wo eine kleine Waffentruhe vor dem Steuerrad stand. Dort erblickte er den Unteroffizier der Matrosen der Juno, der aus einem Nackenschuss blutete und bewusstlos dalag. Grey schnappte sich den Entersäbel aus seiner schlaffen Hand und drehte sich wieder zurück zur Reling. Da sich die französische Entermannschaft auf die Aktion vorbereitet hatte, war sie schon zum größten Teil drüben. Grey griff nach dem Segel des Besanmasts, zog sich hinauf auf die Reling und sprang, anderthalb Meter nach links und drei Meter nach unten, auf die Laufplanke zwischen den beiden Schiffen.

Er stürzte mitten in das letzte Dutzend der französischen Enterer hinunter, stieß bei der Landung einen von der Planke ins Wasser und fiel dem Mann fast hinterher, schnappte sich aber das Hemd eines zweiten Franzosen, um sich daran festzuhalten, und warf den Mann dann seitlich seinem Freund nach. Nun brachte Grey den Entersäbel zum Einsatz – der Kampf zwischen einem erfahrenen Fechter und einer Gruppe überhitzter Matrosen war nicht fair. Es war Grey ein Leichtes, dem ersten Mann, der auf ihn zugerannt kam und dabei wild einen Bootshaken schwang, damit in den Bauch zu stoßen. Als er ins Wasser fiel, erstach Grey den nächsten; der riss im Fallen Greys Säbel mit sich und zwang ihn dazu, diesen in einem bestimmten Winkel zurückzuziehen und mit der Rückhand nach dem nächsten Mann zu schlagen, wodurch er dessen Kopf glatt von den Schultern abtrennte.

Der Franzose, der als Nächstes dran war, trug einen langen Spieß, mit dem er frontal nach Grey stach. Grey lehnte sich zur Seite, fiel fast rücklings ins Meer, griff nach dem Schaft der Lanze und zog sie ruckartig in Richtung der Juno auf sich zu, womit er sich selbst Halt verschaffte und den Franzosen ungelenk nach vorne taumeln ließ. Grey presste sich mit dem Ellbogen die Lanze an die Seite und warf den Mann seitlich ins Wasser. Dies war der letzte Enterer, der von der Marianne aus herüberkam. Nun wandte sich Grey den Rücken der Männer zu, die es schon hinübergeschafft hatten. Er zückte erneut sein Schwert, um sich auf den nächsten der Männer zu stürzen, die sich ihren Weg über die Planke auf das Kanonendeck der Juno erzwungen hatten – da er aber merkte, dass er unfähig war, einen Mann hinterrücks zu erstechen – sogar einen, der das Seenotsignal als Tücke nutzte, etwas, das so weit unter der Würde liegt, sodass davon ausgegangen werden könnte, es existierte nur in der Hölle –, schnappte er sich diesen stattdessen am Kragen und warf ihn von der Planke. Noch ein Mann im Wasser, noch einer und noch einer – bis einer hinter sich etwas bemerkte und Grey hörte. Und zwar mitten in der Kakophonie aus Schreien; den Schreien seiner Kameraden, die ins Meer zwischen den Schiffen fielen, oder vielleicht deren Rufen, während sie sich abmühten, sich an Griffen oder Trümmern oder auch an leblosen Körpern festzuhalten – wenige europäische Seemänner konnten schwimmen –, darum kämpfend, nicht unter eines der beiden auf und ab schaukelnden Schiffe gesogen oder, noch schlimmer, zwischen ihnen zermalmt zu werden. Dieser nächste französische Enterer drehte sich mit einer erhobenen Axt in der Hand um; als Grey seinen Säbel nach oben riss, trennte er ihm den Arm mit der Axt ab und stieß ihn im Schwung nach unten ins Meer.

Grey war nun am Ende der Laufplanke zur Juno, mit allen Franzosen vor ihm an Bord; von oben vom Achterdeck hörte er Geschrei; er ließ das Schwert in den Gürtel gleiten, griff nach den Püttings am Heck und hievte sich hinauf. Während er sich Hand um Hand weiter nach oben zog, rutschte er allerdings mit den Füßen an der Seite des Schiffs ab, und diese baumelten in der Luft – mit den Füßen tastete er nochmals nach den Püttings, zog sich dann auf die Reling und darüber und schließlich zurück aufs Achterdeck. Ein paar der Franzosen waren über die hintere Schiffsluke nach oben gelangt und attackierten gerade die wenigen Männer, die immer noch beim Steuerrad standen. Leutnant Burnes hieb, stieß und parierte wie ein Irrer mit seinem Schwert in der Hand und hielt so ein halbes Dutzend Männer der Marianne in Schach; hinter ihm versuchte der klägliche Rest einer Geschützmannschaft eine der hinteren Karronaden nach vorne zu bringen.

Grey eilte Burnes zu Hilfe, und der Steuermann drehte sich vom Steuerrad weg, um einem Mann der Marianne, der vom Mittelschiff aus hochgeklettert war, eins überzuziehen. In der nächsten Sekunde schrie eine Stimme hinter ihnen »RUNTER, RUNTER«, Burnes schnappte sich den Steuermann am Gürtel und zog ihn hinunter aufs Deck. Grey fiel flach neben ihn auf den Boden, und über ihren Köpfen riss ein Kettenschuss blutige Löcher in den französischen Angriff, zerfetzte Brustkörbe und trennte Arme, Beine und Köpfe ab.

Ein schrecklich entstellter Mann stolperte in Höllenqualen und instinktiv nach nur dem kleinsten Trost suchend rückwärts auf die Reling zu, die in der Nähe seines Schiffs war. Grey folgte ihm und erlöste ihn von seinem Elend; gleichzeitig gellte ein Schrei von irgendwo unter ihnen – eine englische Parole, irgendein wahnsinniger Hurraschrei –, und in Greys Brust regte sich etwas: Vielleicht wendete sich das Blatt nun langsam. Mit Burnes auf den Fersen folgte Grey einer Spur aus geronnenem Blut die hintere Schiffsluke hinunter und stürzte sich in die immer kleiner werdende Menge aus Franzosen. Die standen nun zusammengedrängt vor dem Landungssteg, hinter dem Hauptmast, und schienen zu wissen, dass sie in einer verlorenen Schlacht kämpften. Erneut stieß jemand mit einem weiteren langen Spieß frontal nach Grey – wieder machte er einen Schritt zur Seite und zog am Schaft. Der Lanzenstoßer wurde nach vorne gerissen, und Burnes stach ihm zweimal in die Lungen. Als der Mann Blut spuckte, löste sich ein französischer Offizier aus der Gruppe seiner Männer und eilte auf den Landungssteg zu, mit den Händen bedeckte er eine tiefe Wunde in seinem Bauch. Grey trat nach vorne, um ihm hinterherzujagen; im selben Moment wurde Grey hinterrücks festgehalten, nach hinten gewuchtet und, sich halb drehend, auf ein blutiges, zusammengerolltes Tau geworfen. Es war Burnes, der ihn zurückgerissen hatte – die Franzosen hatten eine Kanone von ihrem Halterungstau losgeschnitten, die an ihm vorbeirauschte und eine Spur der Verwüstung aus überrollten Körpern hinterließ. Da wogte das Schiff zur Seite, wodurch die lose Kanone gerade langsam genug wurde, damit ein Dutzend Engländer sie aufhalten und zur Seite umwerfen konnte, bevor sie noch durch eine Luke und den Laderaum darunter stürzen und ein Loch in die Unterseite von Junos Schiffsbauch reißen konnte.

Burnes zog Grey wieder hoch auf die Füße. »Danke«, rief Grey, bevor er durch die Eingangspforte auf die Laufplanke rannte, um hinüber auf das französische Schiff zu gelangen. Der flüchtende französische Offizier hinterließ eine dicke Blutspur. Dieser konnte Grey sogar trotz der Splitter von Planken und Fetzen der Takelungen folgen, welche die Kanonen und Karronaden der Juno verursacht hatten. Die Spur führte hinauf zum Achterdeck der Marianne, auf ihr Poopdeck – an Leutnant Hoppers Leiche vorbei – und in die Kapitänskajüte. Hier war der Offizier, auf Händen und Knien, und wühlte in den Überresten eines Schreibtischs, offensichtlich auf der Suche nach etwas.

Grey konnte jetzt erkennen, dass der Offizier der französische Kapitän war. Er konnte nicht anders, als erfreut über die Zerstörung seiner Privatkabine zu sein. Der Offizier hatte ein aussichtslos schwaches Blatt gehabt und versucht, durch Betrug zu gewinnen. Er hatte bekommen, was er verdiente. Die zweifelsohne einst wunderschön geschwungenen Heckfenster waren pulverisiert worden – oder besser gesagt, ungefähr ein Drittel des Poopdecks war in die Kapitänskajüte gestürzt. Kanonenkugeln rollten in beinahe fröhlichen Kreisen von Backbord nach Steuerbord, von Steuerbord nach Backbord, wie riesige Murmeln in einer Schachtel. Grey stieg vorsichtig über die wogende Flut aus Kugeln auf den Kapitän zu, der immer noch die Überreste seines Schreibtischs durchsuchte.

Sein Schwert hatte er halb erhoben, jedoch mehr zur Warnung als zur Drohung.

»Herr Kapitän«, sagte er auf Französisch, »Sie werden verstehen, dass Ihre Schandtat mich davon abhalten wird, Ihre Kapitulation zu akzeptieren, deshalb muss ich Sie bitten, Ihre Hände auf den Kopf zu legen und mich zurück zum Schiff Ihrer Majestät Juno zu begleiten.«

Der Kapitän ignorierte ihn; steckte bis zu den Ellbogen in seinem früheren Schreibtisch und tastete nach etwas. Grey legte die Kante seines Schwertes an den Hals des Kapitäns.

»Monsieur le capitaine«, warnte er erneut. »Que cherches-tu?«

Der Kapitän unterbrach seine Suche und schaute zu Grey auf.

»Tes bras«, zischte Grey. Langsam zog der Kapitän die Arme aus den Überresten seines Schreibtischs. Mit dem Ellbogen hob er einen Teil einer schweren Eichenschublade seitlich hoch, sodass er in der Bewegung mit dem rechten Arm etwas zu fassen bekam.

Grey drückte ihm die Klinge des Säbels in den Hals. »Doucement.«

Der Kapitän zog seine Arme jetzt noch langsamer zurück. Grey erwartete, dass er mit der rechten Hand eine Pistole oder einen Degen herausziehen würde. Als sie zum Vorschein kamen, umklammerten sie allerdings einen breiten, flachen Leinenbeutel. Ein Beutel von der Größe und Form eines großen Quartos.

 

Alle Kriegsschiffe – englische, französische oder sonstige – führten einen mit Wachs versiegelten und mit Blei beschwerten Leinenbeutel mit sich, der ein Buch mit privaten Signalen enthielt. Die Signale erlaubten es den Kriegsschiffen, Freunde von Feinden zu unterscheiden; das Wachs schützte es vor Wasserschäden; das Blei sollte es versenken, wenn eine Prise bevorstand. An der Stelle des französischen Kapitäns hätte Grey diesen vor der erzwungenen Kapitulation über Bord geworfen. Aber natürlich hatte der nie wirklich beabsichtigt, zu kapitulieren.

»Fallen lassen«, befahl Grey und drückte ihm die Schwertklinge fester in den Hals. Da spuckte dieser nach Grey und warf gleichzeitig den Leinenbeutel aus dem gähnenden Loch in der Hinterseite der Kajüte.

In einer einzigen fließenden Bewegung schlitzte Grey dem Kapitän den Hals auf und ließ das Schwert fallen. Er hob eine herumrollende Kanonenkugel vom Boden auf, ging mit drei Schritten auf das zerborstene Heck der Marianne zu und sprang ins Meer.

 

Ungeachtet italienischer Astronomen ist Wasser keine Luft und schwerere Objekte fallen darin schneller. Die Kanonenkugel und Greys Hände, die sie umschlangen, kamen zuerst auf dem Wasser auf; der Rest seines Körpers folgte, und die zwölf Pfund schwere Eisenkugel zog ihn sofort in einer verblüffenden und immer höheren Geschwindigkeit nach unten.

Grey blinzelte und versuchte, seinen Blick unter Wasser zu fokussieren; das Wasser war klar und die Sonne stand hoch über seinem Kopf – sie ließ das weiße Leinen sechs oder vielleicht sieben Meter unter ihm aufleuchten.

Die mit Blei beschlagenen Buchdeckel zogen es nach unten. Aber Greys Bleikugel war schneller. Er kam näher. Doch jetzt schwand das Licht langsam – der Beutel verwischte zu einem dunklen, blauen Fleck vor schwarzem Hintergrund. Grey nahm eine Hand von der Kugel; von dem Blei wurde sein Körper jetzt straff in einer geraden Linie von seiner linken Hand über seine seltsam verdrehten Hüften bis hin zu seinem schlackernden rechten Bein nach unten gezogen. Mit der rechten Hand griff er nach dem Beutel …

Es war jetzt dunkel, kohlrabenschwarz. Grey fuhr mit der Hand durch das Wasser vor ihm, wo er dachte, dass der Beutel sein müsste … knapp hinter seinen Fingerspitzen … war er zu weit gesunken? Hatte er ihn verpasst? Schwarz in schwarz, kein Licht, er hatte keine Orientierung mehr.

Er spürte, wie etwas die feine Haut zwischen seinem Daumen und Zeigefinger streifte. Schnell schloss er die Finger darum. Es war der Beutel mit dem Signalbuch. Sofort ließ er die Kanonenkugel fallen. Das Blei in dem Beutel war nicht so schwer, als dass es ihn hinunterziehen würde, aber es schien schwer genug zu sein, um seinen Auftrieb zu verhindern. Wo war überhaupt oben? Er drehte den Kopf hin und her. Dort vor ihm war ein kühler Schimmer zu sehen, wie ein Himmel kurz vor Tagesanbruch, in der Mitte ein stecknadelgroßer Lichtpunkt. Das war die Oberfläche. Er klemmte sich den Beutel zwischen die Zähne – spürte, wie sie sich in das Wachs bohrten –, nestelte mit den Fingern nach dem Kragen seines Hemds und der Jacke, zog sie sich über den Kopf, trat seine Stiefel weg und streifte sich die Hose ab. Er spürte, wie sein Körper langsam zu dem Punkt aus Licht auftrieb, nun, da er leichter war. Er trat aus, ruderte mit den Armen, tiefe, lange Züge. Der kleine Lichtpunkt wurde zu einem Fischauge, und nach ungefähr einer Minute durchbrach Greys Kopf die Wasseroberfläche.

Instinktiv schnappte er nach Luft; ließ den Beutel zwischen den Zähnen los und fing ihn behutsam mit beiden Händen auf. Einen kurzen Moment lang ließ er sich auf dem Rücken treiben.

Jubel brandete hinter ihm auf. Er drehte sich um. Dieser galt aber nicht ihm, sondern den französischen Farben – den verkehrten französischen Farben –, die auf der Marianne eingeholt wurden. Wie seltsam – er hatte die Schlacht beinahe vergessen. Mit langen, leichten Zügen schwamm er zu Mariannes Fallreep und kletterte langsam hinauf, rutschte mit seinen bestrumpften Füßen ab, da er an dem Holz keinen Halt fand, zog die Strümpfe aus, kletterte weiter und hievte sich mit dem französischen Beutel zwischen den Zähnen, aber ansonsten unversehrt wie an dem Tag seiner Geburt, an Deck.

Es war nicht das erste Mal, dass Grey mit etwas weniger Kleidung am Leib als zuvor aus tiefem Wasser kam. Nacktheit gab keinen Anlass zu Kommentaren unter Männern, die unzählige Jahre lang Schulter an Schulter schliefen, jeder mit gut dreißig Zentimeter Platz, um seine Hängematte aufzuhängen, und schon so lange des Prinzips der Privatsphäre beraubt, dass es genauso gut zu einem anderen Leben hätte gehören können. Grey ging auf den nächsten, saubersten toten Franzosen zu und – ein schnelles Gebet für den Toten murmelnd; der Vorstellung abgeneigt, einen Mann anscheinend nach Beute zu durchsuchen – barg eine Jacke, die größtenteils frei von Blut war, und band sie sich um die Lenden. In dem Pulk aus Engländern, die jetzt leicht unorganisiert auf dem Deck der Marianne herumwanderten, fiel ihm der junge Matthews ins Auge, und er winkte ihn zu sich herüber.

»Könntest du dir einen Weg zum Segelraum bahnen und mir ein Hemd und eine Hose aus meinem Seesack holen? Und mir sagen, wo ich Captain Crowther finden könnte?«

Der junge Matthews salutierte vor Grey und antwortete: »In der Kapitänskajüte, Sir.«

»Welcher?«

»Der französischen, Sir, bitte um Verzeihung.«

»Danke, Matthews. Und jetzt los mit Ihnen.« Matthews rannte über die Planke zur Juno hinüber, und Grey ging zurück zu der zerstörten französischen Kajüte.