Spieler wie wir - Cornelia Jönsson - E-Book

Spieler wie wir E-Book

Cornelia Jönsson

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Beschreibung

Franzi und Pauline, beide Mitte zwanzig, wohnen gemeinsam in Berlin-Kreuzberg. Neben ihrer Überlebensarbeit im Theater, an der Uni, im Café sind sie vor allem mit ihrem Lust- und Liebesleben beschäftigt. Pauline verfällt der dominanten Ann, erlebt sexuelle Erfüllung und schmerzhafte Abhängigkeit. Anns Mann, Fotograf mit Faible für junge Frauen, wird eifersüchtig. Ann ist überfordert und verlässt Pauline. Franzi ist seit vier Jahren mit Marius, Jurist, Mitte dreißig, zusammen. Ihr Sexleben stagniert. Er blüht mit der devoten Katharina auf, während Franzi ihre dominante Seite entdeckt. Schließlich teilt Marius seine Geliebte mit seiner Freundin und beide mit anderen Männern. Auf ihrem Weg geht es den Charakteren nie darum, Scheitern zu vermeiden, sondern darum, authentisch zu scheitern. Und natürlich ergründen sie nebenbei diesen seltsamen Zustand, den wir Liebe nennen.

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Cornelia Jönsson

SPIELER WIE WIR

Roman

Für alle meine Spielgefährten

Spieleröffnung

1

Franzi und Pauline trinken Prosecco zu schwarzem Kaffee, immer im Wechsel einen Schluck Heißes und einen Schluck Kaltes. Es ist elf Uhr vormittags, und die beiden feiern in der Küche Franzis Striemen. Sie feiern noch etwas anderes, etwas, das Pauline heute Nacht immer wieder aus dem Schlaf gerissen und das ihr den Magen verkrampft hat. Aber davon hat ihre Mitbewohnerin bislang keine Ahnung.

Franzi stürmte vor gut einer halben Stunde arschwackelnd und tassenschwenkend in Paulines Zimmer: »Guten Morgen, Pauline, kuck mal, kuck mal!«

Verschwommen nahm Pauline, die sich eigentlich gerade an einem ganz anderen Ort weit entfernt von ihrer gemütlichen WG befand, die große Gestalt ihrer Mitbewohnerin wahr. Die langen dunklen Haare lagen ihr strähnig auf dem beachtlichen Busen, die muskulösen Arme hielt sie hoch, während sie sich drehte, um Pauline ihre Rückseite zu präsentieren. Da waren zwei schöne Pobacken, glatt und weiß, mit ein paar violetten Linien darauf. Das sah hübsch aus, aber die innerlich abwesende Pauline wusste nicht so ganz, was von ihr erwartet wurde. Mit ihrer morgendlichen Langsamkeit fiel ihr schließlich doch wieder ein, dass sie sich seit Monaten rotweingetränkte Nächte hindurch Jammertiraden über Marius’ und Franzis Sexualität anhört, die daran krankt, dass sie nicht passiert.

Marius hat sich vor gut zwei Jahren mit einem Freund als Rechtsanwalt für Strafrecht selbstständig gemacht, was gerade in Berlin kein Zuckerschlecken ist. Franzi wiederum arbeitet, nachdem sie ihr Studium der Theaterwissenschaft abgebrochen hat, als freie Produktionsleiterin von Theaterprojekten, unter anderem für eine Gruppe, die Theaterstücke mit Gefangenen erarbeitet. Auch das ist nicht gerade einfach. Die Sexualität, die früher einfach so passiert war, hatte unter Erfolgsdruck und Existenzängsten ihre Leichtigkeit eingebüßt. Entweder ist er zu müde oder sie, oder er hat noch zu tun, oder sie muss telefonieren, oder er ist angespannt, oder sie hat Bauchschmerzen, oder er ist zu schwach, um dominant zu sein, oder sie zu schwach, um schwach zu sein. Aber letzte Nacht hat es plötzlich wieder geklappt.

»Das hat sich einfach so ergeben«, sprudelt es aus Franzi heraus, während sie sich dunkle Strähnen aus dem braun gebrannten Gesicht streicht. Die großen dunklen Augen glänzen, die ausgeprägten Kiefer- und Wangenknochen wirken weicher als sonst, die breiten Lippen ungewöhnlich voll. »Es war überhaupt nicht geplant oder so, ich meine, eigentlich wollten wir ins Kino gehen, in diesen Film mit dieser Dingsda, du weißt schon, aber ich bin so dermaßen erschöpft gewesen, also habe ich mich kurz hingelegt.«

Franzi hatte den ganzen Tag über und eigentlich die gesamte Woche schon renoviert. Ihr Gefängnistheater-Team war gerade sehr günstig an ein kleines, dringend benötigtes Büro gelangt, das allerdings momentan eher wie eine Mischung aus Baustelle und Rattenheim wirkte. Franzi war also völlig erledigt bei Marius angekommen, hatte sich unter die heiße Dusche gestellt, sich fürs Kino angezogen und sich dann doch noch einmal ganz kurz aufs Bett gelegt. Marius lief durch die Wohnung auf der Suche nach einem frischen Hemd, dem schnurlosen Telefon, einem funktionierenden Feuerzeug. Jedes Mal, wenn er dabei an Franzi vorbeikam, versuchte er, sie wach und aus dem Bett zu kriegen. Schließlich setzte er sich zu ihr auf die Bettkante. »Franzi, wir müssen los, sonst verpassen wir den Film!«

»Hmm, ich steh schon auf«, brummelte Franzi und tat nichts dergleichen.

Marius zerwuschelte sich im Bad das kurze braune Haar und rasierte sich sein Gesicht. Möglich, dass es etwas voller geworden ist in letzter Zeit. Marius ist nicht dick, aber er hat einen kräftigen Körperbau. Und er kommt momentan einfach nicht zum Sporttreiben. Er zahlt nicht wenig von seinem sauer verdienten Geld an ein Fitnessstudio, aber er findet die Zeit nicht, dort hinzugehen.

Marius zupfte an den dichten dunklen Locken auf seiner Brust. Einige davon waren tatsächlich schon grau. Oder silbern, vielleicht. Er verabschiedete sich von seinem Spiegelbild und wendete sich wieder den dunklen Haarbüscheln unter der weißen Bettwäsche zu, die von der Anwesenheit seiner Freundin zeugten.

»Na los, Süße!«, sagte Marius, zog ihr die Decke weg und unterstrich seine Worte mit ein paar Klapsen auf ihren Hintern. Franzi machte »mhhmmm«.

Marius schlug fester zu. »Muss ich dich aus dem Bett prügeln?«

»Jaaaaa!«

Marius schob Franzis Rock hoch und zog ihr die Strumpfhose samt Slip hinunter, bis knapp über die Kniekehlen. Das liebten sie beide. Den Strumpfhosenbund, der in das pralle Oberschenkelfleisch schnitt, der, schwarz und glänzend, die Blöße des weißen, nackten Hinterns hervorhob. Franzi fühlte sich so ge- oder entkleidet wie ein kleines ungezogenes Mädchen, das den Po versohlt bekommt, oder auch ein bisschen wie sein Vergewaltigungsopfer. Überwältigt so oder so und gedemütigt in jedem Fall. Marius’ große Hand schlug zu. Die Arschbacken wackelten fröhlich und färbten sich rot, wo Finger sie getroffen hatten. Marius schlug, und Franzi bewegte ihren Hintern. Schob das Becken etwas nach oben, Marius und seinen Schlägen entgegen. Seufzte und stöhnte, während Marius sich in Fahrt schlug.

»Das gefällt meiner kleinen Schlampe, was?«, fragte er.

Franzi seufzte bejahend.

»Willst du mehr?«

Sie wollte. Sie hörte, das Gesicht in die Kissen gepresst, Marius seine Gürtelschnalle öffnen. Das Öffnen einer Gürtelschnalle bedeutet: Gewalt, Sex, Erleichterung. Der Gürtel gehörte, ebenso wie die heruntergezogene Strumpfhose, zu den zärtlich geliebten Objekten, die Marius und Franzi vor Jahren als Quell ihres gemeinsamen Vergnügens entdeckt hatten. Sie schätzten die breitflächige Wirkung des Instruments wie die Brutalität der Geste.

Marius fing sachte an und wurde prägnanter von Schlag zu Schlag. Er erwischte damit exakt den Rhythmus, den Franzi jetzt brauchte. Ohne Vorankündigung, das erste Mal seit Monaten, glitt sie in diesen Zustand hinein, in dem sie unersättlich war und ansatzweise grenzenlos. Es tat weh, aber es war alles andere als unangenehm. Es stellte sich eine Verbindung her zwischen ihrem Arsch und ihrer Klitoris, die Schläge auf Ersteren schwangen in Letzterer nach.

Kurz darauf im Arbeitszimmer wand sie sich stöhnend, bettelte um mehr, bettelte um den Rohrstock, über den Schreibtisch gebeugt, knickte ein, wenn er sie traf, und schob mit dem Kopf Akten vom Tisch, als Marius’ Finger sie fickten, während ihre Brüste an Papier rieben. Sie trotzte Marius Klammern ab für ihre Schamlippen, die ihr weh taten, als sie kniend seinen Schwanz lutschte, mit dem Hintern dabei unter seiner Peitsche zuckte und seinen zwingenden Griff in ihrem Nacken, ihrem Haar genoss. Er ergoss sich auf ihr Gesicht, was sie nicht mochte, aber tolerierte.

*

»Wie stehst du zu Sperma, Pauline?«, fragt Franzi, an das sonnengewärmte Küchenfenster gelehnt.

»Männliches Sperma fällt nicht in mein Interessengebiet«, erwidert Pauline und sieht verträumt aus. Sie zündet zwei Zigaretten an, gießt Prosecco nach. Pauline hat ein ungutes Gefühl dabei, sich um elf Uhr morgens zu betrinken, während ihre Promotion darauf wartet, begonnen zu werden. Aber sie haben schließlich etwas zu feiern, und zwar nicht nur Franzis Striemen.

Franzi mustert ihre Freundin misstrauisch. Die kleine Gestalt mit angezogenen, leuchtend weißen Beinen, den hellbraunen, halblangen Haaren, die ihr schmales Gesicht verdecken, so gut es geht, und den seltsam glänzenden grünen Augen.

»Was ist los, warum kuckst du die ganze Zeit so postorgasmisch?«, will Franzi wissen.

»Ich hatte doch gestern dieses Bewerbungsgespräch bei Ann.«

Allein durch das Aussprechen des Namens wird Pauline feucht.

Ann ist Mitte vierzig, ungefähr zwanzig Jahre älter als Franzi und Pauline und ungemein sexy. Franzi hatte Ann kürzlich beim SM-Stammtisch in einem Zusammenhang, der ihr inzwischen entfallen ist, erzählt, dass Pauline von Männern genug habe, sich nach einer dominanten Frau sehne, aber die passende noch nicht getroffen habe. Das fand Ann nun sehr interessant, weil sie ihrerseits durchaus Lust verspürte, eine schöne junge Frau zu unterwerfen. Ihr Mann bot ihr regelmäßig seine Damen an, doch sie wollte ihr eigenes Spielzeug.

»Pauline würde sich sicher gerne mit dir treffen, ganz bestimmt!«, versicherte Franzi.

»Gut«, antwortete Ann, »dann soll sie sich Dienstag um 14 Uhr bei mir vorstellen.«

Pauline fiel es schwer zu glauben, dass diese Superfrau sie tatsächlich sehen wollte. Sie sagte alle Termine ab, die auch nur im Entferntesten den betreffenden Zeitraum berührten, dann schlug sie sich stundenlang mit Kleiderbergen, Haarspangen, Lippenstiften und Düften herum. Schließlich sah sie nahezu perfekt aus beim Verlassen des Hauses und völlig derangiert, als sie eine halbe Stunde später verschwitzt und regennass bei Ann ankam.

Pauline konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie so ein »Bewerbungsgespräch« ablief. Franzi auch nicht. Franzi hatte Marius ganz romantisch kennengelernt, auch beim SM-Stammtisch, wo sie unter den Letzten waren, weil sie sich so angeregt unterhalten hatten – und zwar nicht über Sex, sondern über Gerechtigkeit, Freiheit und ähnlich noble Themen. Als alle aufbrachen, hatte er – ziemlich unsicher plötzlich – gefragt, ob sie nicht noch mit ihm woandershin auf ein Glas, er sei noch gar nicht müde und es sei ja auch noch so früh – es war drei – und sie gingen wirklich noch woandershin, auf ein Glas, bis er Franzi im Morgengrauen nach Hause begleitet hatte, wo sie Pauline zu einer Unzeit mit frischen Brötchen weckte. Beim nächsten Stammtisch sprachen sie schon über Eltern, Geschwister, Verflossene. Er fragte Franzi und Pauline, als alle gingen, ob sie nicht noch auf ein Glas woandershin, es sei doch noch so früh. Pauline hatte tatsächlich Lust, merkte aber auch, dass sie jetzt besser gehen sollte, und wusste am nächsten Morgen, dass sie recht gehabt hatte, als ihr Franzi beim Zähneputzen erzählte, wie ähnlich Marius ihr sei, rein seelisch und geistig und so.

*

Ann war sehr freundlich und vor allen Dingen unwahrscheinlich schön. Kurzes schwarzes Haar, kantige Brille mit Metallrand, grauer Nadelstreifenanzug – sie kam aus der Universität –, ruhige blaue Augen. Sie bot Pauline Limonade mit Eiswürfeln an. Sie führte sie in ihr Arbeitszimmer, platzierte sie auf dem Sofa und setzte sich ihr gegenüber auf einen Stuhl. Der Raum war groß und luftig, links von der Tür stand Anns Schreibtisch, dünne Glasplatte auf schlanken Beinen, ein paar Bücher, Zettel und Stifte lagen ordentlich darauf. Parallel zu einem DIN-A4-Block ein metallenes Lineal, das Pauline den Atem raubte. Ein Macbook samt Drucker auf dem Computertisch, dazwischen ein schwarzlederner Drehstuhl. Das Sofa stand im rechten Winkel zum Schreibtisch, der Bücherwand gegenüber. Kein Beistelltisch, kein Sessel. Viel zu wenig Möbel für viel zu viel Raum.

Das sei natürlich kein Bewerbungsgespräch, erklärte Ann, sie wolle Pauline nur etwas näher kennenlernen, vor allen Dingen erfahren, was sie sich eigentlich wünsche.

»Na ja, einer Frau zu dienen, endlich«, murmelte Pauline, knallrot wahrscheinlich und heiser sowieso.

Ann stellte unerträglich viele Fragen, über Paulines Fantasien, Träume, Erfahrungen. Pauline schaffte es, eine geschlagene Stunde vor ihr zu sitzen und nichts zu sagen, ohne unhöflich zu wirken. Sie starrte auf das Bücherregal, alles französisch in ihrem Blickfeld – auf den Parkettboden, kein einziges Staubkorn – auf Anns Hände manchmal, lang und schmal, leicht faltig – selten, aus Versehen, auch in ihr Gesicht.

Ihre ernste Schönheit schockierte Pauline. Die swimmingpoolfarbenen Augen, ihre scharf geschnittenen Wangenknochen, die ruhige Mimik. Auf manche ihrer Fragen antwortete Pauline mit leise genuschelten Banalitäten, manchen hielt sie durch beharrliches Schweigen stand. Sie versuchte, sich hinter ihrem vollen, hellbraunen Haar zu verstecken, aber sie hatte seit ein paar Wochen diesen blöden Pony. Ann blieb geduldig, freundlich und schön. Ihre letzte Frage lautete: »Was versprichst du dir von einer älteren Frau?«

Die Lippen rot, geschürzt. Kleine, feine, goldene Linien zum weichen, feuchten Rot hinlaufend. Mit roten Lippen wird sie doch keine Vorträge halten, dachte Pauline plötzlich, keine Sitzungen leiten.

»Komm rein, ich bin auch gerade erst nach Hause gekommen«, hatte sie in der offenen Tür gesagt. Hat sich doch aber vorher die Lippen gerötet, für mich, für mich, oder? Hat sich mit dem Rot berührt und mich gedacht dabei.

»Ich sehne mich halt nach älteren Frauen, irgendwie, immer schon.«

Es lächelte nicht, das Rot. Es nickte bloß der schwarze Glanz, der schmale Kopf. Ann gab Pauline die Hand zum Abschied – warm und fest ihr Händedruck – und sagte, sie werde sich melden.

Das war alles und das feiern Franzi und Pauline jetzt, nachdem die Striemen von Marius zu Ende gefeiert sind. Pauline schwankt zwischen aufgekratzter Vorfreude auf das, was kommen wird mit Ann, und fürchterlicher Angst, alles falsch gemacht zu haben.

»Wahrscheinlich wird sie mich nie anrufen!«, befürchtet Pauline.

»Natürlich ruft sie dich an!«

»Aber wann denn?«

Franzi verdreht die Augen. Sie sieht nervöse Stunden mit dem griffbereiten Telefon auf sich zukommen. Sie schenkt nach.

2

Marius, Franzi und Pauline sind auf dem Weg ins Klit. Ann wird auch kommen. Mittwochabend begann Pauline, nervös zu werden. Von ihrer Promotion, der Bibliothek oder dem Callcenter, in dem sie jobbt, wollte sie nichts wissen. Sie ließ jedes Essen kalt werden, sie vergaß sogar das Rauchen. Sie half Franzi und ihren Kollegen beim Renovieren, hieb sich mit dem Spachtel blaue Flecken auf die Hände und konnte manchmal kaum noch atmen. Als Freitag zum x-ten Mal das Telefon klingelte und zum x-ten Mal nur Marius dran war, brach sie in Tränen aus.

»Süße, wir haben ganz andere Sorgen«, sagte Franzi, »Lichtblick und die Telekom haben schon wieder Mahnungen geschickt, aber wir haben einfach keine Kohle.«

»Na und«, entgegnete Pauline, »es ist Anfang Juni, es ist permanent hell, also wozu brauchen wir Lichtblick!«

»Hey, wenn Strom und Telefon abgeschaltet sind, kann dich deine Ann mit Sicherheit nicht mehr anrufen!«

Pauline stöhnte. »Ich geh nächste Woche wieder in dieses dämliche Callcenter, ich versprech’s!«

Samstagmorgen um neun rief Ann dann endlich an. Pauline leugnete, noch geschlafen zu haben, und sagte ansonsten ein paar Mal »ja«, mehr nicht. Als Franzi ewige drei Stunden später endlich ebenfalls geruhte, das Bett zu verlassen, verkündete Pauline: »Sie geht heute Abend ins Klit und sie würde sich freuen, mich dort zu sehen, bitte, du musst mit mir dahin gehen!«

Kurz vorher versuchte Pauline dann doch noch, sich zu drücken, entdeckte plötzlich ihren wissenschaftlichen Ehrgeiz, war mittendrin in der Arbeit und irgendwie auch nicht so richtig in Partylaune. Aber Marius schaltete ihren Computer aus, und Franzi zwang sie in die Badewanne.

In Marius’ Auto unternimmt Pauline letzte Fluchtversuche. Es sei ja im Grunde gar nicht klar, ob sie wirklich auf Frauen stehe, vielleicht habe sie bislang einfach nur unglaubliches Pech mit Männern gehabt. Jetzt baue ihre arme Seele auf Frauen in der Hoffnung, diese seien weniger verletzend. In Wahrheit versuche sie aber bloß, keine Nähe – Marius unterbricht sie. Das sei konservativer als das Geschwätz seiner Kollegen, was sie da gerade von sich gebe, lässt er sie wissen, und Franzi klatscht Beifall. »Keine Chance, Süße«, sagt sie, »du entkommst deinem Glück nicht!«

3

Es ist 22 Uhr. Es wimmelt bereits von aufgekratzten Schwarzgewandeten. Die ersten Schöße beginnen zu kochen, rote Haut trifft heiße Hände, aber von Ann keine Spur.

»Vielleicht ist sie krank geworden«, raunt Pauline Franzi zu, die schon wieder die Augen verdreht.

»Wenn du das mit deinen Augen nicht mal bleiben lässt, schielst du bald ganz fürchterlich!«, orakelt Pauline.

Gegen Mitternacht kommt Ann. Betritt den Raum mit ihrem Mann. Trägt eine enge schwarze Wildlederhose, hohe Stiefel, weiße Bluse. Geht aufrecht und wird sofort von irgendjemandem begrüßt. Beginnt, Hände zu nehmen und Küsse zu verteilen, lächelt sich dabei langsam durch zu Pauline. Steht dann tatsächlich vor, direkt vor ihr. Lächelt, sagt: »Hallo Pauline, hallo Franzi« und geht weiter.

Geht weiter.

Geht weiter.

Ihr gerader Rücken, ihr schwarzes Haar. Ihr Arm auf fremden Schultern. Pauline starrt ihr reglos mit glühenden Wangen hinterher, und irgendetwas summt in ihrem Kopf.

»Das wird ihr Eröffnungsspiel sein. Ich glaube, die ist ganz schön grausam«, mutmaßt Franzi eilig, gibt dem Kellner ein Zeichen mit zwei Fingern und drückt Pauline kurz darauf einen Wodka in die Hand.

Pauline versinkt in düsteres Schweigen, also folgt Franzi Marius ohne allzu schlechtes Gewissen nach oben. Andreas und Simone warten dort, Letztere nackt. Andreas hantiert gerne mit Seilen. Marius ist nicht in der Lage, auch nur einen einzigen anständigen Knoten zu machen, aber er versucht, Andreas irgendwie dabei zu helfen, die beiden Frauen an einem Holzbalken unter der Decke aufzuhängen. Marius’ unbeholfene Handgriffe machen Franzi aggressiv. Wie soll sie sich einem in die Hand geben, der sogar Karabinerhaken fallen lässt? Sie ist froh, als ihr die Augen verbunden werden. Sie spürt Seile in ihr Fleisch drücken, einen Zug am Bein plötzlich. Schwebend beginnt sie, sich zu entspannen. Immer dicht an Simone, ihren warmen Atem im Haar. Sphärische Klänge von unten, vereinzelt Peitschenknallen aus der Ferne, Schreie. Vor allen Dingen Simones schwerer Atem, ihr süßer Duft. Franzi sucht ihre Lippen, ganz spontan, und vertieft sich zum ersten Mal in einen langen Kuss mit Simone, während Wachstropfen ihre Haut heiß treffen und später auch Schläge. Ihr gefallen die Schmerzen im Hintergrund ihres Bewusstseins, während sie wirklich fasziniert ist von Simones Lippen.

Später, als die Männer sie wieder befreien, konzentriert sie sich auf die Brüste der anderen, die harten kleinen Nippel auf der Zunge, Simones Zucken, wenn sie zubeißt. Die schwarzen Tücher werden gelöst.

Franzi sieht Simone in die Augen, während sie ihre Brüste quält.

Unten überlegt Pauline, ob sie einfach wieder nach Hause gehen oder aber Ann ansprechen, vielleicht auch anschreien sollte. Sie beschränkt sich darauf, zu ihr hinzusehen, mit weichen Knien, und fast umzukippen, als sie ihr Lachen hört. Pauline geht zur Bar. Sie bestellt Wasser. Dreht sich um, den ersten Schluck noch im Mund, und sieht direkt in Anns Augen. Ihr Blau schmerzt auf Paulines Netzhaut. Pauline will sich jetzt in Luft auflösen, aber sie steht mittendrin in Anns Blick. Eine Bühne wächst unter ihren Füßen, Scheinwerferbataillone brennen ihr auf der Haut, Menschen entfernen sich diskret – sie steht direkt in diesem Blick. Sieht nach unten, sieht Anns Stiefel. Ihre schwarzen, starken, strengen Stiefel. Sie riecht das Leder. Sieht auf und prallt auf Blau. Das Blau hat sich auf sie eingeschossen. Paulines Blick rennt, springt, hastet, stolpert, hüpft und fällt quer durch den Raum. Anns hingegen ruht auf Pauline und rührt sich nicht.

Plötzlich.

Wirklich.

Tatsächlich.

Kommt Ann auf sie zu.

Setzt einen schwarzen Stiefel vor den anderen, ohne dass der Blick sich bewegt, und steht, kurz nachdem Paulines Atem aussetzte, direkt vor ihr. Nur ein ganz schmaler Körper würde jetzt noch zwischen sie passen. Das Blau strahlt. Ein schwarzer Strich auf dem Oberlid. Roter, ruhiger, schmaler Mund. Feine, kleine Linien in den Augen- und Lippenecken. Sie sieht Pauline unverwandt an. Ihr Blick hakt sich in ihren Blick. Packt ihn, hält ihn und lässt ihn nicht mehr los. Ihre Hand. Mit einem Mal ihre Hand. In einem schwarzen Lederhandschuh. Auf Paulines Dekolleté. Zittert plötzlich, das Dekolleté, und zuckt. Ann breitet Gänsehaut auf Paulines Oberfläche aus. Pauline schluckt. Die Flüssigkeit im Mund schlucken, bevor sie hinausläuft.

»Du willst mir also dienen?«, fragt Ann. Pauline nickt. Ann kopiert ihr Nicken. »Ja«, sagt sie, »das willst du. Das sehe ich.«

Höher der Handschuh an Paulines Hals. Streichelt schwarz um ihn herum, drückt sachte zu.

»Hast du dir das gut überlegt?«, fragt Ann.

Überlegen. Überlegen. Was denn überlegen. Pauline ist alles entfallen.

»Ich will, dass du mir aufs Wort gehorchst«, sagt Ann, »umgehend und bedingungslos. Du tust alles, was ich möchte. Was du möchtest, ist irrelevant.«

Pauline nickt.

»Willst du das auch?«

Pauline nickt.

»Dann wiederhole, was ich gesagt habe.«

»Ich gehorche dir aufs Wort, ich tue alles, was du möchtest.« Pauline ist heiser. »Was ich möchte, ist irrelevant.« Pauline ist heiß. Ann lächelt. Nickt und lächelt. Pauline ist heiß.

»Gut. Dann lege ich dich jetzt an meine Leine und du gehörst mir. Willst du das?«

Pauline nickt.

»Ich höre.«

»Ja, ich will das.«

Wie das Rot lächelt und das Blau brennt. Der schwarze Handschuh greift in die schwarze Hosentasche. Eine silberne Leine. Der schwarze Handschuh kehrt zurück an Paulines Hals, an ihr Halsband. Ann konzentriert sich. Wie rührend. Die silberne Kette fließt über die schwarzen Handschuhfinger.

»Dann mal auf die Knie.«

Ein schwarzer Zeigefinger deutet gestreckt auf den Boden. Pauline ist heiß, und sie hat Pudding in den Knien, die sich willig beugen, die hinunterstürzen, die den kalten Boden küssen, die von dem schwarzen Stiefel auseinandergedrückt werden. Der Handschuh wühlt in Paulines hellbraunem, halblangem Haar. Stößt ihren Kopf hinunter. Zum Stiefel hin. Paulines Lippen auf dem Leder. Das Leder auf den Lippen. Pauline küsst. Sie öffnet den Mund, sie leckt. So viel Wasser. So ein schöner Stiefel. So ein schöner Fuß. Pauline leckt.

Ann blickt hinab auf den zierlichen, kleinen, gebeugten Körper. Sieht, spürt Pauline lecken wie wild und kommen dabei. Paulines Kopf rutscht vom Stiefel und knallt auf den Boden – Ann reißt an der Leine. Sie greift unter Paulines Kinn, sieht sie an und lacht, lacht wärmelos. Krault ihr Kinn, Pauline ist schon wieder heiß. Der schwarze Zeigefinger streckt sich dem Boden entgegen.

»Der andere.«

Pauline leckt. Sie leckt, als ginge es um ihr Leben. Der Zug an der Leine. Der Griff ins Haar. Ann reißt Pauline aus ihrer Stiefelwelt. Ganz schön laut plötzlich hier. Und immer noch so voll. Ganz schön viele Blicke.

»Willst du etwas trinken?«

Ann lächelt mit Wärme. Weiße Zähne. Temperaturerhöhung in den Swimmingpools. Wasser. Pauline ist durstig. Pauline ist übel.

»Wie geht es dir?«

»Gut.«

Pauline ist schon wieder heiser. Inhaliert Anns Duft. Klar. Direkt. Schnörkellos. Der schwarze Lederhandschuh streichelt den flatterigen, dünnen Arm.

»Ist dir warm genug?«

Und wie. Ann lächelt. Gibt Pauline eine Zigarette aus deren eigenem Päckchen und Feuer. Was sie ihr alles gibt.

»Echt aufregend, ich fühle mich wie unter Drogen«, sagt Ann und, »du bist so schön, meine Kleine, so schön!«

Sie sagt noch alles Mögliche. Redet über die Party, den Club, die Menschen. Ihren Mann und seine Freundinnen. Pauline sieht die Worte an sich vorbeiziehen und hört immer wieder meine Kleine.

Plötzlicher Temperaturabfall in den Swimmingpools. Frostbildung auf der Gesichtslandschaft. Pauline wollte Ann gerade fragen, wo denn ihre Brille heute sei, jetzt frieren die Worte ihr in der Kehle ein. Und liegen da herum, die Buchstabenbrocken blockieren die Luftzufuhr. Aufmerksamer Blick, wird alles registriert. Jetzt nur nicht rühren.

»Hast du noch Lust?«

»Oh ja!«

»Komm!«

Ann greift Paulines Handgelenk mit festem Druck (und Wärme, ob sie will oder nicht). Führt sie nach hinten, um die Ecke in einen kleinen Raum, dessen Vorhang sie zuzieht.

Pauline steht vor Ann oder Ann vor ihr. Pauline muss den Kopf etwas zurücklegen, um Ann ansehen zu können, so groß ist sie und ihr so nah.

»Möchtest du ein Safeword?«, fragt Ann.

»Nein.«

Ann lächelt. Nur kurz, dann streift sie ihre Handschuhe ab. Sie umfasst Paulines kleines Kinn mit ihren langen, schmalen Fingern. »Erstens: Du rührst dich ab jetzt nicht mehr ohne meine Erlaubnis. Zweitens: Du senkst ab jetzt deinen Blick. Hast du das verstanden?«

»Ja. Ann.«

»Dann wiederhole, was ich gesagt habe.«

»Ich rühre mich nicht ohne deine Erlaubnis und ich senke, ich senke den Blick.«

Ann legt Pauline über eine Pritsche. Schiebt ihr langsam den Rock hoch. Berührt ihren Po. Will ihre Beine gespreizter und den Arsch weit nach oben gestreckt. Sie streicht mit einer Gerte über Paulines weiche weiße Haut. Und züchtigt sie. Ob sie wisse, warum sie geschlagen werde. Pauline weiß es nicht. Sie denkt, vielleicht weil es Ann Spaß macht, aber sie traut sich nicht, das zu sagen. Anns Schläge werden härter. Sie lacht leise, wenn Pauline aufstöhnt.

»Schlampen wie du, die sich ohne Slip anderen Frauen zu Füßen werfen, sind dazu da, geschlagen zu werden«, erklärt Ann.

Pauline soll sich auf die Liege setzen.

»Und zwar wie eine echte Schlampe«, verlangt Ann. Sie spreizt Paulines Beine mit ihrem eigenen Knie. Sie befestigt mit Ketten verbundene Klammern an Paulines Brüsten, ihren Schamlippen. »Schlampenschmuck«, flüstert sie.

Sie schlägt Paulines Schenkel mit der Gerte. Pauline legt die Hände zum Schutz darauf. Aber sie darf sich ja nicht rühren ohne Erlaubnis. Paulines Reue, Anns kalte Wut und Paulines Furcht schaukeln sich gegenseitig hoch. Ganz schnell steht Pauline wieder vornüber gebeugt, knallt Anns Gerte härter als zuvor auf ihren Hintern. Ganz schnell, bleibt keine Zeit zum Luftholen. Danach wird Pauline zu Boden geworfen, Anns Stiefel zwischen den Beinen, wo es heiß ist, ihr Griff zwingend im Haar.

»Ich erwarte Gehorsam von dir.«

»Ja, Ann.«

Alles bleibt, wie es ist.

»Ich gehorche dir ab jetzt, Ann.«

Alles bleibt, wie es ist.

»Bitte Ann, verzeih mir, bitte!«

Ann setzt sich auf die Liege, die Beine übereinandergeschlagen, und lässt Pauline auf ihrem Stiefel wippen. Hoppe, hoppe, Reiter, wenn er fällt, dann schreit er … sie findet Paulines Klitoris, eine spezifische Form kleiner Tritte und, ja, Pauline schreit.

Ann schiebt die inzwischen schon völlig zittrige Pauline in einen gynäkologischen Stuhl, antiquarisch, schnallt sie fest. Sie sagt: »Mein Opfer.«

Wieder Klammern an den Schamlippen. Sie inspiziert Paulines Geschlecht. Sie dringt mit zwei Fingern ein und stößt ein paar Mal zu. Zieht sich zurück.

»Willst du mich um etwas bitten?«

Pauline ist fast wahnsinnig vor Erregung und jetzt raubt ihr die Erniedrigung die letzte Kraft. Sie keucht, bibbert, keucht.

Ann fragt: »Wie lange soll ich noch warten?«

Pauline stößt den Satz hervor: »Bitte lass mich kommen« und bricht dabei in Tränen aus vor Scham. Weint weiter vor Erleichterung, als es endlich vorbei ist. Ann streichelt sie, hilft ihr auf die Beine, zieht ihr den Rock herunter und das Oberteil an. So fürsorglich, denkt Pauline, ihr wird übel. Sie stürzt auf die Toilette, kniet schon wieder nieder. Sie übergibt sich.

Kurz kaltes Wasser ins Gesicht gespritzt und das Erschrecken über ihr eigenes Spiegelbild. Die Haare zerzaust, die Lippen dunkel geschwollen, die Wimperntusche auf der Nase – Schlampen wie du.

Der Club ist erstaunlich leer inzwischen. Von Franzi und Marius keine Spur. Ann päppelt Pauline mit Wasser auf, dann fährt sie sie, in strahlendem Sonnenschein schon, nach Hause.

4

Am nächsten Nachmittag unterstützt Marius Franzi bei der Arbeit in ihrem Baustellen-Büro. Thorsten, der Regisseur, und Sven, der Autor der Knaststücke, sind glücklicherweise ebenfalls zugegen, denn die Stimmung zwischen Marius und Franzi ist nicht allzu harmonisch. Franzi hat sich letzte Nacht mit Marius angelegt, weil er sie im Club nicht gevögelt hat, überhaupt nie in Clubs vögelte, weil er nämlich völlig verklemmt sei, und im Anschluss zu Hause aber auch nichts mehr mit Sex wäre, weil er ja immer so wahnsinnig früh müde werde.

Marius fühlt sich unter Druck gesetzt.

*

Pauline verlebt die nächste Woche schwebend, hellwach und reglos. Ann hat angerufen, gleich am nächsten Morgen. Hat »hallo Kleine« gesagt. Sie wollte wissen, ob Pauline sich wieder berappelt hätte, ob es ihr gut gehe. Sie selbst fühlte sich bombig. Pauline wurde ganz schwach durch die Bombenlaune, die Ann durchs Telefon schickte.

Ann möchte Pauline am Freitag auf einer Party im Diesseits wiedersehen. Die Tage bis dahin erscheinen Pauline überflüssig. Die Welt dreht sich unter ihren Füßen, sie verhält sich ruhig. Sie sitzt in der Bibliothek mit Foucault auf dem Schoß und starrt vor sich hin. Sie sitzt an ihrem Schreitisch, die Finger auf den Tasten, und starrt vor sich hin. Sie steht im Supermarkt mit leerem Einkaufswagen und starrt vor sich hin. Sie vergisst das Essen, das Callcenter, ihr Shampoo im Haar. Franzi wird zur Lebensretterin, denn Pauline läuft vor Lastwagen und merkt es nicht.

Pauline verbringt einen verregneten Nachmittag mit Franzi im Büro. Sie kratzen Tapetenfetzen von der Wand. Im Radio werden die Charts rauf und runter gespielt.

Pauline hat Anns Worte im Ohr. Mein Opfer. Schlampenschmuck. Ihre eigene Bitte am Ende – Gott.

Franzi denkt über die seltsam weiche Beschaffenheit von weiblichen Lippen, insbesondere Simones, nach und auch über diesen herrlichen Abdruck, den ihre winzigen Brustwarzen auf ihrer eigenen Zunge hinterlassen haben. Sie blickt zur Seite, wo Pauline in rotem Kleid – sie hat ihre Arbeitsklamotten vergessen – hingebungsvoll an der Tapete pult. Ihre Brustwarzen zeichnen sich in aller Deutlichkeit unter dem dünnen Kleidstoff ab, da sie ja hochkonzentriert von Anns Händen träumt. Sie könnte vielleicht mal mit ihr, überlegt Franzi, wo man doch eh schon so vertraut miteinander – sie verwirft den Gedanken.

Später machen die beiden pubertierende Jungs aus der Nachbarschaft heiß. Pauline steht auf der Leiter, so breitbeinig es geht. Franzi drückt von unten ihren Kopf in Paulines Schoß. Beide lassen ihre Hüften kreisen. Die Jungs an der Schaufensterscheibe reißen Münder und Augen auf.

5

Endlich Freitag, Pauline hätte es kaum noch für möglich gehalten. Als sie im Diesseits ankommen, ist sie schon völlig am Ende vor Nervosität. Franzi hat zu enge Schuhe an und Marius eine miese Verhandlung hinter sich.

Die Musik aus harten Rhythmen ist eine Einladung zum Tanzen oder Ficken, der keiner folgt. Die Gäste wirken leicht angespannt, die Arbeitswoche steckt den meisten noch in den Knochen. Ann ist natürlich nicht da.

»Die braucht ihren Auftritt«, mutmaßt Marius. Als sie kommt, ist sie immerhin netter als beim letzten Mal. Sie begrüßt Franzi und Pauline als Erste und stellt sie ihrem Mann Z. vor. Groß, dünn, mit Glatze, in schwarzem Anzug, sagt Z.: »Du bist also Pauline.«

Er mustert sie von oben bis unten, von unten bis oben. Ann führt Smalltalk, Pauline zittert, Z. kuckt. Bis Ann sagt: »Gut, wir sehen uns später, Kleine.«

Sie streicht dabei kurz über Paulines Wange. Damit ist Paulines Bedarf an Glückseligkeit für die nächste Stunde gedeckt. Danach beginnt sie wieder, sich nach Ann zu sehnen, die immer irgendwo anders ist, mit irgendjemand anderem. Franzi knutscht ein bisschen mit Simone, was ihr großen Spaß macht. Sie würde gerne ihre Brüste berühren, traut sich aber nicht. Dann verliert sie Simone aus den Augen und Marius im Übrigen auch. Roland ist da. Pauline hätte ihn nicht bemerkt, aber er heftet sich an ihre Fersen, kaum, dass Ann von ihr lässt. Er küsst sie auf die Wange, ganz knapp am Mund vorbei. Wie das sein könne, dass sie immer schöner werde, und wann er sie endlich wieder erwarten dürfe, zum Abendessen, er koche auch Lamm und er habe noch ein paar Flaschen von diesem Wein – und Ann sieht endlich zu Pauline, mit einem Lächeln, das man jedem schenken könnte. Pauline aber will nicht jede sein für Ann, ist selbst erstaunt darüber, wie wenig sie das möchte.

Pauline überlegt wieder, ob sie nicht einfach zu Ann hingehen sollte, möchte aber nicht aufdringlich sein. Folgt ihr stattdessen mit gebührendem Abstand, Roland stets im Schlepptau. So nimmt der Abend seinen Lauf. Franzi betrinkt sich mit schlechtem Weißwein für fünf Euro das Glas, während Marius mit einem blonden Mädchen flirtet und Pauline Ann anstarrt.

*

Später geht Franzi zu Marius und dem Mädchen. »Das ist Franzi, meine Freundin, das ist Katharina.«

Katharina lächelt brav, sagt: »Hallo« und gibt Franzi die Hand. Franzi sagt: »Hallo Katharina. Marius, ich will jetzt gehen.« Weil ihre Aussprache nicht mehr ganz deutlich ist, folgt Marius ihr Richtung Ausgang. Für Katharina nur noch ganz schnell ein Wangenkuss im Gehen, eine Visitenkarte und die Aufforderung: »Melde dich!«

An der Bar versucht Marius, auch Pauline zum Mitkommen zu überreden, die sich weigert.

»Meinst du, das hat noch Sinn hier heute Abend?«, fragt er mit einem Blick zu Ann, die sich ein paar Meter entfernt angeregt mit Wer-weiß-wem unterhält.

Aber Pauline bleibt stur vor Verlangen an die Bar genagelt, während Marius seine schwankende Freundin nach Hause transportiert und Katharina die neue Visitenkarte behutsam in ein freies Fach ihres Geldbeutels schiebt.

*

Es ist wirklich schon spät, als Ann endlich Erbarmen hat. Sie mustert Pauline von weitem. Der schmale Körper in dem schwarzen Kleid, die dünnen Beine, die runden Brüstchen. Das volle, halblange hellbraune Haar. Die dunkel geschminkten grünen Augen wirken klein und etwas gerötet vom Rauch. Die Lippen tragen nur noch dezente Spuren von rotem Lippenstift. Pauline sieht angespannt aus, sie kratzt mit der einen Hand die andere, sie atmet tief ein.

Das ist mein Werk, denkt Ann mit einem intensiven Pochen zwischen den Beinen. Ich habe sie nicht einmal angefasst heute Abend und trotzdem bereits zutiefst berührt. Ich quäle ein Menschenkind, ohne das Geringste zu tun. Ich bin groß. Sie tritt vor Pauline, die am Tresen lehnt wie beim letzten Mal. Sie umfasst ihr Kinn. Sie holt Paulines kleine rechte Brust aus ihrem Kleid und berührt sie, ganz leicht. Pauline ist bereits völlig erschöpft, ein Nervenbündel und den Tränen nahe. Sie zittert. Sie kann Anns Blick nicht standhalten.

»Hast du auf mich gewartet?«, fragt Ann.

Pauline nickt.

»Ich möchte, dass du mir gehörst«, flüstert Ann.

»Ja, Ann«, stottert Pauline, »ich möchte dir ja gehören.«

»Das bedeutet, ich mache mit dir, was ich will.«

»Ja, Ann, bitte, mach mit mir, was du willst, ich gehöre dir!« Paulines Stimme ist seltsam hell, sie klingt wie ein Kleinkind. Sie schämt sich. Ann lächelt. Nimmt ihren schwarzen Seidenschal von den Schultern, verbindet Pauline die Augen damit. Pauline riecht Ann und wird high. Spürt, wie ihr die Hände hinter dem Rücken gefesselt werden.

»Komm!«

Ann schiebt Pauline nicht sanft, aber behutsam vorwärts, setzt sie auf einen Stuhl, an den Tisch, an dem sie wohl vorher auch saß, vermutet Pauline.

»Das ist Pauline, mein neues Spielzeug«, hört sie Ann sagen.

Stimmen machen Komplimente und anzügliche Bemerkungen, denen Ann mit schneidender Stimme Einhalt gebietet. Jemand, wahrscheinlich Z., spricht von einer Ausstellung. Ann redet über die sich im Laufe der Jahrhunderte ständig ändernden Vorstellungen vom idealen Frauenkörper, die von der Selbstwahrnehmung der jeweiligen Gesellschaft zeugten, da der weibliche Körper in der Regel auch den Körper der Gemeinschaft symbolisiere oder so ähnlich. Pauline spürt sie ganz dicht neben sich und fühlt sich geborgen. Als Ann sie nach langer Zeit fragt, ob es ihr gut gehe, traut sie sich zu sagen: »Ich muss mal … also, aufs Klo.«

Anns Lachen. »Aber natürlich. Komm.«

Dirigiert sie wieder durch den Raum, öffnet eine Tür, schiebt sie über Steinboden, öffnet noch eine Tür und verriegelt sie. Streift Paulines Kleid hoch. Schiebt ihr den Slip hinunter. Drückt sie auf die Klobrille, wo Pauline schreckensstarr verharrt. So hat sie sich das nicht vorgestellt, ganz und gar nicht.

»Was ist, ich dachte, du musst pinkeln?« Anns Stimme: schroff, ungeduldig. Pauline bekommt Angst.

»Ich zähle bis drei«, sagt Ann.

Als sie damit fertig ist, gibt sie Pauline eine Ohrfeige, die sich gewaschen hat. Pauline sieht Sternchen und fängt an zu heulen. Anns Hand ruht jetzt harmlos auf der heißen Wange.

Paulines Betteln: »Bitte, ich kann das nicht, bitte!«

Ann ist verständnisvoll, wahnsinnig gnädig. Lässt sie ein paar Sekunden allein. Pauline entleert ihre prall gefüllte Blase und wartet dann, die Hände gebunden, die Augen verbunden, auf Ann. Die wischt Paulines Möse sauber, als sie zurück ist.

»Ich kann so viel Klopapier nehmen, wie ich will, du bleibst nass!«, konstatiert sie. »Du bist dauernass, oder? Du bist eine kleine, dauernasse Schlampe, die dringend gefickt werden will, oder?«

»Ja, Ann.«

Wie sie brennt, die Scham. Im ganzen Körper, besonders in der Möse. Anns Finger auf ihrer Klitoris, in ihrer Vagina. Pauline kommt keuchend auf der Kloschüssel, über ihrer eigenen Pisse.

6

Am Abend darauf gehen Pauline und Franzi ins Theater, zur Premiere eines Stücks, in dem Svens Freundin mitspielt. Beim Tanzen danach legt Franzi ausführlich dar, warum ihr die Aufführung nicht gefallen hat. Pauline kann dazu nichts sagen, sie hat nichts mitbekommen.

»Wie war’s denn gestern noch mit Ann?«, fragt Franzi.

Pauline erzählt. Die Worte, die sie ausspricht, jagen ihr schon wieder heiße Schauer durch den Leib.

»Die ist ja ganz schön krass, oder?«, ruft Franzi durch die Musik hindurch.

»Und wie!«, kreischt Pauline, mit Glück in der Stimme oder Wahnsinn, wer kann das schon sagen.

7

Wieder Samstagabend, Pauline öffnet in der Küche das Fenster und den Weißwein. Plopp. Sommerabendgeräusche wehen herein, schreiende Kinder, bellende Hunde, lachende Frauen und Autos, klar. Im Ofen brutzelt zwischen Kirschtomaten, Oliven und Kapern ein marinierter Petersfisch. Pauline kann sich nicht vorstellen, davon zu essen, überhaupt jemals wieder etwas anderes als Anns Finger in sich aufzunehmen, aber sie kocht für Franzi. Die hat den ganzen Tag über mit Thorsten und Sven Anträge formuliert. Irgendeine Stiftung soll ihr Gefängnistheater finanzieren.

Jetzt liegt sie schlaff auf dem Küchensofa.

»Samstagabend zu Hause abhängen, wie weit ist es mit uns gekommen, Pauline!«

»Also ein Abend mit mir ist frustrierend?«

»Du weißt, was ich meine.«

Pauline weiß das eigentlich nicht zurzeit. Mit Ann den Abend verbringen, das wäre gut. Alles andere ist unnötig, ob zu Hause oder im Paradies.

Mit Gräten zwischen den Zähnen berichtet Franzi kurz darauf von Marius’ Fantasien: Er will Katharina treffen.

»Du weißt ja, theoretisch verfolgen wir schon lange das Prinzip der offenen Beziehung, und jetzt, wo du mit dieser verheirateten Frau – da haben wir beschlossen, das mal in die Tat umzusetzen. Ich dachte an die nähere Zukunft und den Fall, dass … aber er kommt gleich mit dieser Katharina – «

»Wer ist denn Katharina?«

»Du musst sie im Diesseits gesehen haben. Groß, dünn, blond. Anfang zwanzig und Jurastudentin.«

»Kann mich nicht erinnern.«

»Du hast ja nichts außer deiner Ann gesehen. Und so wahnsinnig auffällig ist diese Katharina auch wieder nicht. Aber irgendwie findet Marius sie gut, und heute haben sie sich auf einen Kaffee getroffen, wogegen ja nichts spricht. Und nächstes Wochenende spielen wir jetzt also zu dritt.«

»Das ist doch toll! Aufregend, oder?«

»Hmm.«

»Du magst Katharina nicht.«

»Ich bitte dich, Jura-Streberin, Anfang zwanzig! Wenn die nicht blond wäre, würde die kein Mensch … «

»Jetzt vergiss mal deinen Dunkelhaar-Komplex. Du musst nichts machen, aber wenn du’s machst, dann lass dich gefälligst darauf ein und gib ihr eine Chance!«

»Jaaaa, du hast ja recht.«

8

Keine Woche, und es ist so weit. Franzi hat den ganzen Tag über Anträge, Konzepte, Selbstdarstellungen geschrieben, außerdem in den umliegenden Trödelläden nach dem Nötigsten für das Büro gesucht und ein Gespräch wegen eines weiteren Jobs bei einem anderen Projekt geführt. Sie hat nicht mehr viel Zeit, sich zurechtzumachen, als sie nach Hause kommt.

Pauline hilft ihr im Bad. Franzi rasiert ihr rechtes Bein, Pauline auf dem Boden kauernd das linke. Franzi cremt ihre Vorderseite ein, Pauline die Rückseite.