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'111 Gründe, SM zu lieben' ist ein Buch für alle, die Spaß am Spiel mit der schmerzhaften Seite der Lust haben. Sie werden sich selbst wiedererkennen, sie werden ihr eigenes Leben in ganz neuer Weise lieben lernen, sie werden mit Argumenten gefüttert, die sie nutzen können, um Schwiegermutter und Chef von der Unbedenklichkeit ihres nicht ganz gewöhnlichen Tuns zu überzeugen. Aber man muss nicht Sadomasochist sein, um sich in diesem Buch wiederzufinden, um Anregungen für ein amüsanteres, freieres Leben zu bekommen, um sich gemeinsam mit Partner oder Freunden schiefzulachen. Während sie ihren sadomasochistischen Alltag lebt, denkt die Protagonistin darüber nach, warum sie diesen Weg für sich gewählt hat. Ihre Erkenntnisse sind stellenweise ernst und anrührend, manchmal altbekannt und nachvollziehbar, manchmal auch völlig absurd und zum Schreien komisch.
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Seitenzahl: 247
Cornelia Jönsson
STATT EINES VORWORTES:
Es ist früh am Morgen. Ich sitze auf dem Boden in unserer noch etwas leeren neuen Wohnung zwischen halboffenen Kartons, tippe ganz leise vor mich hin und warte gespannt darauf, mit welchen Geräuschen mich hier der Tag begrüßen wird.
Mein Freund Tom und ich wollen gern möglichst oft beieinander sein. Morgens beim Aufstehen, abends, wenn der Letzte ins Bett kriecht, in der Zeit dazwischen. Aber wir konnten uns nicht vorstellen, uns tatsächlich in der klassischen Pärchen-Wohnungs-Idylle mit einem Bett und einem Sofa einzunisten, hoffnungslos unserer Zweisamkeit ausgeliefert, die Tür mit Riegel vor der Außenwelt verschlossen.
Kai schlurft herein. Das lange braune Haar zottelig, die langen Beine in zu kurzen Schlafanzughosen. Er blinzelt in die Sonne, küsst mich auf den Kopf und freut sich über den Kaffee in der Küche. Kai ist der Freund von Mona und Mona ist meine Herrin.
Natürlich steht es jedem Paar frei, seine Beziehung für andere Menschen zu öffnen, für One-Night-Stands, für Geliebte, für Zweitpartner, Expartner, Mehrpartner oder einfach für Freunde. Allerdings sind es in meinem Bekanntenkreis hauptsächlich Sadomasochisten, die so leben und lieben. Woran das liegt, weiß kein Mensch. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass wir uns besonders intensiv mit Sex auseinandersetzen und demzufolge nicht mehr allem Aberglauben erliegen.
Wir haben die Lust etwas entzaubert. Ich verliebe mich nicht in jeden, der mich vögelt, und ich entliebe mich nicht von einer alten Liebe, bloß weil eine neue hinzukommt. Vielleicht sind unsere Bedürfnisse außerdem tatsächlich zu komplex, um von einem Einzigen befriedigt zu werden.
Kai beispielsweise merkte nach den ersten paar Jahren mit Mona, dass er selbst auch viel lieber im Bett dominant sein wollte. Mona aber hatte gar keine Lust, devot zu sein. Sie lieben und begehren sich, dennoch fehlt etwas Entscheidendes. Außerdem mag Mona nicht nur Männer, sondern auch Frauen, genau wie ich. Mein Freund Tom wiederum teilt meine Faszination für ältere Frauen, die ich nicht befriedigen kann. Kai mag junge devote Mädchen, aber nicht solche, die aussehen wie ich. Darüber hinaus gibt es Sadisten, die nicht dominant sind, Tops, die keine Sadisten sind, wehleidige Subs, es gibt devote Sadisten und dominante Masochisten.
Tom und ich sind ein Paar, seit einem halben Jahrzehnt schon. Manchmal dominiert er mich, manchmal dominiert er irgendeine ältere Frau, die ihm in die Klauen gerät. Ich bin außerdem seit fast zwei Jahren mit Mona zusammen, die wiederum seit Ewigkeiten mit Kai verheiratet ist, der ab und zu devote junge Frauen trifft. Manchmal dominieren mich Kai und Mona oder auch Tom und Mona oder alle drei gemeinsam, manchmal küssen sich Mona und Tom, aber das kommt nicht so häufig vor.
Als Tom und ich beschlossen, zusammenzuziehen, ohne im standardisierten Partnerparadies zu stranden, kam uns die Idee, eine Wohngemeinschaft zu gründen. Bloß: Was würden unsere Mitbewohner von dem nächtlichen Knallen der Peitsche und meinen darauf folgenden Schreien halten? Manches wird durchaus komplizierter, entdeckt man die Abgründe seines Begehrens. Aber Probleme sind ja zumindest diesen amerikanischen Ratgeberbüchern zufolge in der Regel nichts weiter als noch nicht ganz geschlüpfte Lösungen – und so teilen wir seit heute Morgen eine neue Wohnung mit Mona und Kai.
Inzwischen trinkt Mona, die dunklen langen Locken locker das blasse Gesicht umrahmend, die schlanke Gestalt in einen seidenen Morgenmantel gehüllt, an Kais Schulter gelehnt ihren ersten Kaffee und wirft mir eine Kusshand zu. Tom kräht aus dem Bad nach einem Handtuch. Ich gehe zu ihm, küsse seine goldbraune, sommersprossige Nase, streiche ihm über das kurze nasse blonde Haar, nehme sein bestes Stück in die Hand, das sich sofort zu regen beginnt.
Ich liebe sie alle, ich liebe die Freiheit, meine Lust teilen zu können, mit wem ich will, ich liebe die Möglichkeit, viele zu lieben1. Und ich liebe die Verheißungen, die für mich in einer Wohngemeinschaft mit drei dominanten Menschen liegen. Das hier könnte ein Paradies werden, auch wenn es momentan noch etwas kahl ist und die Tapeten schlapp von den Wänden baumeln.
KAPITEL EINS
Nachdem Tom in seine Kanzlei zu seinen Ganoven, Mona in ihre Boutique zu ihren Korsetts und Kai in die Firma zu seinen geliebten Computern aufgebrochen sind, mache ich mich ans Auspacken. Ich beginne damit, den Inhalt der Kiste mit der Aufschrift »Spielzeug« auf dem bislang einzigen Möbelstück im Gemeinschaftszimmer, einer schweren, alten Kommode aus Eichenholz, zu drapieren.
Seile, weich und anschmiegsam oder ruppig-kratzig. Schwere Ketten. Biegsame Rohrstöcke. Gerten mit dünnen, harten Schwänzen oder weichen, breiteren. Eine Hundepeitsche, eine Bullenpeitsche. Ein kuscheliger Flogger aus weichem Nappaleder von Charon (www.schlagzeilen.com), den meine Herrin liebt an Tagen, an denen sie sich all ihre Kraft, ihre Energie, ihre Wut und Aggression aus dem Leib schlagen will, ohne mich umzubringen. Maßgefertigte Nippelringe, Hand-, Arm- und Fußfesseln von Nónón de Florette (www.nonon.de). Butterfly Brustklammern von McHurt (www.mchurt.de). Diverse Dildos in Schwarz, Rosa, Blau, schmal, dick, groß, mit Harness und ohne von Sexclusivitäten (www.sexclusivitaeten.de).
»Es ist unglaublich, wie viel Geld wir in unseren Sex stecken!«, stöhnte mein Freund vor ein paar Tagen beim Einpacken. »Mit dem ganzen Spielzeug ist es ja noch nicht getan – hinzu kommen diese sündhaft teuren Klamotten – Korsetts, Kleider, Anzüge, Strümpfe, Handschuhe und so weiter, außerdem völlig wahnwitzige Eintrittspreise für Clubs – wie viele Urlaube wir von all dem Geld schon hätten finanzieren können!«
Ich widersprach dem zwischen seinen Worten mitschwingenden Unmut vehement: »Denk doch nur mal an all die armen Menschen, die sich im Urlaub Malaria holen, Durchfall oder gebrochene Beine, die von Quallen, Skorpionen und Räubern angefallen werden – oder zwei Wochen lang bei strömendem Regen in irgendeinem Strandidyll versauern und sich dabei von einem Streit zum nächsten hangeln. Zurück kommt schließlich ein total gestresstes, absolut urlaubsreifes, im schlimmsten Fall sogar getrenntes Paar. Da haben wir doch großes Glück, dass unsere Sexualität so viel kostet, dass wir uns diesen Urlaubs-Horror nicht leisten können, oder?«
Richtig überzeugt wirkte Tom nicht.
Davon abgesehen machen wir durchaus trotz der teuren Spielsachen manchmal Urlaub. Das Schöne ist nun wieder, dass unsere Neigungen uns einen etwas unkonventionelleren Zugang zu Großstädten ermöglichen. Weil wir diese nämlich nicht nur nach Sehenswürdigkeiten abgrasen, sondern eben auch nach Fetischläden und vor allen Dingen Fetischclubs.
Manchmal ist das ganz einfach, man googelt von zu Hause aus nach Paris, Fetischparty oder etwas Vergleichbarem und es öffnen sich die dunklen Seiten. Manchmal muss man aber auch vor Ort recherchieren. In Dessous-Läden, Gothicläden, Sexshops Nachforschungen anstellen, sich zu weiteren Dessous-Läden, Gothicläden, Sexshops leiten lassen, von da aus zu harmlos anmutenden Cafés und Privatadressen, bis sich einem schließlich das sadomasochistische Mekka in vollem Glanze erschließt.
Das klappt natürlich nicht immer und überall. In Tel Aviv, Kairo oder Kabul würde ich es gar nicht erst versuchen. In Tokio wiederum würde ich erst anfangen, wenn ich gute fünf Monate Urlaub hätte, weil ich sonst eh nicht weit käme.
Leider ist die heterosexuelle Szene noch nicht sonderlich international. Bei den Frauen sieht es dank der Osterkonferenzen (dazu mehr unter www.schmacht.org) etwas anders aus. Wir haben also gute Chancen, bei einschlägig Bekannten übernachten zu können und so ganz persönliche zwielichtige Stadtführungen zu bekommen.
Reisen wir nicht in große Städte, sondern ans Meer oder in die Berge, dann gibt es natürlich erst recht keine sadomasochistische Szene zu ergründen. Dafür sind Szenarien des Schmerzes und der Unterwerfung in malerisch einsamer Natur einfach unübertrefflich tief romantisch und wild ergreifend.
Dazu kommt die prickelnde Angst vor Entdeckung in Hotels und auf Campingplätzen, die herrliche Schmach des mit blauem Hintern am Strand Brütens. Manchmal machen SMer aber auch Urlaub, ohne dabei die geringsten sadomasochistischen Hintergedanken zu hegen. So traurig das auch sein mag.
Zum Mittagessen treffe ich meine Freundin Ronja beim Vietnamesen. Sie isst bloß ein paar Frühlingsrollen, sie ist heute Abend mit Marc zum Essen verabredet und man soll ja nicht so viel … »Marc?«, wundere ich mich. »Ich denke, der war so langweilig!«
»Nein!« Ronja verdreht genervt die Augen. »Das war doch Marco. Den hab ich natürlich schon längst abserviert. Marc kennst du noch gar nicht. Hab ihn ja selbst erst gestern Nacht aufgetan. Ich hab ihm geschrieben, früher hätte ich nach meinem Traummann gesucht, inzwischen habe ich erkannt, dass man Traummänner nicht finden, bestenfalls entdecken kann, und das vielleicht genau dann, wenn man am wenigsten damit rechnet. Seitdem suche ich jemanden, der mich gründlich durchprügelt und noch gründlicher fickt. Alles Weitere ergibt sich. Marc fand das machbar, deshalb treffe ich ihn heute Abend zum Essen.« Ronja spuckt ein Ingwerstück zurück in ihren Tee.
»Du hast echt Glück, dass du auf SM stehst«, sage ich.
Sie stöhnt.
»Gott, ja, woher beziehen Vanillas bloß ihre Dates?«
»Na ja, manche von denen haben wahrscheinlich einfach nicht so viel Sex«, vermute ich.
Ronja nickt zustimmend. Sie hat sich jetzt doch noch eine Nudelsuppe bestellt. Sex kostet ja enorm viel Kraft, man sollte also wirklich genug Kohlenhydrate vorher essen. »Oder sie verlieben sich in jemanden, doch nach Wochen stellt sich plötzlich raus, der ist total mono und vergeben oder er ist schwul oder so.«
Ich nicke. Wir verfallen beide in mitfühlendes Schweigen für all die armen ungedateten Singles. Bis die Suppen kommen. Dann wechseln wir zu gefräßigem Schweigen.
Auf welch verdrehte Weisen wir uns in unserer düsteren Vanilla-Vergangenheit verabredet hatten! Ich weiß noch, da gab es diesen Jungen aus dem Erstsemestertutorium, den ich echt gerne geküsst hätte und wer weiß was noch über den Sommer, aber das konnte ich ihm so nicht sagen. Also habe ich ihm eine Fahrradtour vorgeschlagen. Wir haben, glaube ich, fünf Fahrradtouren gemacht, sind in der Zwischenzeit permanent gemeinsam durch die Uni geschlurft, haben über Gott und die Welt gesprochen, bis ich endlich nach der letzten Fahrradtour abends im Biergarten den Mut aufbrachte, einen Kussversuch zu unternehmen. Er war ganz überrumpelt und ziemlich abweisend. Er wusste gar nicht, was das jetzt sollte. Wir seien doch Freunde.
Oder dieser andere kurz darauf, der ebenfalls ganz niedlich war und mir während einer langweiligen Einführungsvorlesung einen Zettel zuschob: Darf ich dich a) ins Theater, b) ins Kino, c) zum Essen einladen? Ich kreuzte a und c an. Es war ein sehr flirtiger, unterhaltsamer Abend. Es ergaben sich Küsse gegen später. Und dann eine dieser bedeutsamen, lustschwangeren Gesprächspausen. »Wenn du mich jetzt fragen würdest, ob wir zu dir oder zu mir gehen«, sagte ich da, »dann würde ich antworten: Lass uns zu dir gehen, meine Mitbewohnerin schnarcht nämlich.«
Dafür, dass er mich nicht geschlagen hat, war die Nacht äußerst erfreulich. Aber danach gab er keine Ruhe. Sprach von Liebe und Partnerschaft und dass ich ihn schamlos ausgenutzt hätte.
Für uns SMer ist das einfacher. Ronja hat ein ansprechendes Profil in der Sklavenzentrale (www.sklavenzentrale.de – intern als Einwohnermeldeamt der SM-Szene bekannt) und wahrscheinlich in noch viel mehr Foren, das sie regelmäßig überarbeitet und erneuert. Das bedeutet, sie kann die Jungs gar nicht zählen, die ihr schreiben. Die meisten sind nicht ernst zu nehmen. Es bleiben aber genug übrig für zwei bis drei Dates die Woche (wobei nicht jeder Ronja gleich zum Essen ausführen darf – die meisten müssen sich erst einmal bei einem Kaffee oder einem Treffen auf einer SM-Veranstaltung, wo Ronja noch dreißig, vierzig andere Leute kennt, qualifizieren).
Natürlich machen alle Beteiligten klare Ansagen. Wenn du den Mann fürs Leben suchst, such weiter, hat ihr in der zweiten E-Mail einer geschrieben, den sie letzten Monat traf. Ronja und er harmonieren sexuell nicht so gut miteinander, aber sie werden wohl Freunde bleiben. Ob Freundschaft, Liebe, Sex, SM oder alles oder einiges davon oder was auch immer gesucht wird, wird vorab geklärt. Und natürlich wartet Ronja bei all ihren heißen Dates stets auf den Don Juan, der sich in ihren Armen zum Traumprinzen mit güldenem Gemächt mausert. Lange dauert das sicher nicht mehr, denn alchemistische Kräfte hat sie allemal.
Nach dem Essen setze ich mich in ein Café, um an meinem neuen Roman zu schreiben. Zu Hause gibt es bislang noch keine Tische und vor allen Dingen keinen Internetanschluss. Die Frühsommersonne wärmt mir den Pelz, der Kaffee mitsamt der halbverdauten Nudelsuppe den Magen. Ich habe meinen Laptop bereits aufgeklappt, Word geöffnet, die Datei mit dem Roman aufgerufen und Kapitel drei geschrieben. Jetzt fühle ich mich plötzlich sehr müde und ausgelaugt.
Ich könnte meine E-Mails checken. Meine Herrin und mein Freund haben mir geschrieben, juhu! Sie schreibt: Liebes, denkst du an einen neuen Milchschäumer und Olivenöl? Kuss! In seiner Mail steht: Ich komme heute später, gehe mit Martin was trinken. Wie überaus aufregend. Und unfassbar liebevoll. Ich widme mich wieder meinem Roman. Kapitel drei. Es ist immer noch Winter. Ein Marienkäfer krabbelt über den Rand meines Cortadoglases und ein Spatz nagt an meinem Keks. Laura friert nach wie vor. Sie zieht sich ihren Striemenmantel enger um das wunde Fleisch.
Fein, ich bin zufrieden mit mir. Und mehr fällt mir jetzt gerade auch nicht ein. Ich werde mich fünf Minuten entspannen, um danach umso eifriger weiterzuschreiben. Meiner unerfreulichen Mailbox habe ich mich gerade eben schon gewidmet. Also schaue ich jetzt in der Sklavenzentrale vorbei. Die Sklavenzentrale ist ein riesiges Forum voller SMer. Man kann da persönliche Nachrichten erhalten von Freunden und solchen, die es werden wollen.
Ich habe ein paar blöde und ein paar nette Nachrichten. Blöd sind die, in denen etwas steht wie: Hey, du süße Schnecke, wollen wir mal ficken? Nett ist: Hallo meine Liebe, ich bin aus dem Urlaub zurück, ganz erholt und entspannt – lass uns mal wieder einen Kaffee trinken oder so, melde dich! Man kann auch Mitglied in ungefähr zehntausend verschiedenen Sklavenzentrale-internen Zirkeln werden: Zirkel für Liebhaber der weiblichen Dominanz oder Liebhaber der weiblichen Submission, für Petplayer, Hundeliebhaber, Reiter, für Künstler, Pornodarsteller, Ärzte und Pseudoärzte. Für Leute, denen Respekt in Beziehungen besonders wichtig ist, und für Menschen, die keine Striemen vor der Ehe dulden. In diesen Zirkeln gibt es Foren, in denen man sich tummeln kann. Es gibt auch öffentliche Foren, in denen man gemeinsam mit allen anderen Mitgliedern seine Zeit verschwenden kann.
Ich kann mich also ganz schön lange mit Hilfe der Sklavenzentrale vom Arbeiten abhalten. Und im Anschluss noch mal bei Lustschmerz (www.lustschmerz.de) vorbeischauen. Wie lenken sich denn bloß die armen Vanillas von der Arbeit ab? Nach Lustschmerz klicke ich das lesbische Lesarion (www.lesarion.de) an. Und dann dieses Forum für Polyamore (www.polyamore.de). Danach das für Bisexuelle (www.bine.net).
Zum Glück bin ich so multipervers. Sonst gäbe es kein Entkommen vor Laura und ihrem Striemenmantel. Aber was mache ich, wenn ich die Bisexuellen durchhabe? Vielleicht gibt es ja auch Foren für nicht schreibende Autoren, für Milchschaum- Coabhängige, für Radieschenhasser und Olivenölfetischisten?
Was mir meine devianten sexuellen Neigungen unter anderem so liebenswert macht, ist die Tatsache, dass ich durch sie endlich zu einer Subkultur gehöre.
Ich fand das Wort Subkultur schon immer faszinierend. Es hat etwas Wildes, Abgründiges, Verheißungsvolles, Rebellisches. Der Begriff Kultur lässt an Kunst denken, an Ästhetik, an Riten. Auch an etwas Gewachsenes, Ernstzunehmendes. An etwas, was fast schon Anspruch auf die Aussendung von Botschaftern in andere Kulturen hat. Die Vorsilbe Sub suggeriert, dass es sich bei dieser Kultur um eine tief-, wenn nicht gar abgründige handelt. Leben im Untergrund, Unterwandern des Gängigen, das Brodeln unter der glatten Oberfläche. Wie verlockend. Aber früher waren immer nur die anderen Teil einer Subkultur, ich selbst passte nirgendwo rein. Denn es scheint Subkulturen auszuzeichnen, dass ihr Netz aus Normen, Verhaltenskodizes und Vorgaben an Erscheinungsbild und Gesinnung noch engmaschiger ist, als das der Hauptkultur.
Ich war vielleicht gedanklich durchaus radikal genug für linke Subkulturen, aber ich wollte mir nicht die Haare verfilzen und die T-Shirts batiken lassen. Ich hätte sowohl mein Denken als auch mein Äußeres in der Punkszene unterbringen können, aber ich trank zu wenig. Für die Hippies wiederum kiffte ich nicht genug. Den Lesben war ich zu bisexuell und den Schwulen zu weiblich. Die Skater wollten mich auf rollende Bretter zwingen und die Hip-Hopper zum andauernden Hören dieses komischen Sprechgesangs. Die Gruftis nötigten mich zum Tragen Albtraum verursachender Schmuckstücke. Nazis verbieten sich von selbst, Gaukler gibts kaum noch und schwarz bin ich auch nicht.
Jetzt habe ich endlich doch noch meine Subkultur gefunden. Sie hat zwar auch gewisse Normen – zum Beispiel soll man möglichst viele schwarze Klamotten tragen –, aber im Grunde genommen genügt es ganz und gar, von Qualen und Erniedrigungen zu träumen und dabei geil zu werden. Besonders, wenn man ein hübsches, kluges Mädchen ist. Ich finde das toll, dass ich eine Subkultur gefunden habe, die so offen ist.
Mein Freund sagt, das läge daran, dass diese Subkultur gar keine Subkultur sei. Sadomasochisten pflegten eine besondere Fasson von Sex, aber den Rest ihres Lebens würden sie doch in der herrschenden Kultur fristen. In ganz normalen Bürojobs, Kegelclubs, Urlaubssilos und so weiter. Ich widerspreche ihm in diesem Punkt vehement. Denn es gibt durchaus SMer, die ihr ganzes Leben dem Thema ihrer Lust widmen, die mit dem Verfassen sadomasochistischer Texte oder dem Entwerfen von Korsetts ihren Lebensunterhalt bestreiten, die außerdem in Wohngemeinschaften mit anderen SMern wohnen und quasi ihr gesamtes soziales Netz aus der sadomasochistischen Szene rekrutieren. Gut, sagt mein Freund, aber das sei doch nicht normal! Natürlich nicht, entgegne ich, sonst wäre es ja auch keine Subkultur!
Wobei die Vorsilbe Sub übrigens, wie ich inzwischen weiß, von Submission kommt und das Wort Kultur von Kult, also Anbetung.
Als ich etwas später die Treppen zu unserer Wohnung hinaufgehe, mit Handtasche, Laptoptasche und Einkaufstüten beladen, stolpere ich irgendwie über meine eigenen Füße. Das passiert mir öfter mal. Und zufällig kommt Mona mir gerade entgegen. Das passiert in solchen Momenten auch öfter mal. Ich lande direkt vor ihren Füßen auf den Stufen, während Gemüse, Milchschäumer, aufgeplatzte Milchtüte und Olivenöl sich wieder auf den Weg nach unten machen. Mona bricht in schallendes Gelächter aus. Wie peinlich, denke ich, und: wie geil.
Mona sagt, dafür könnten wir submissiven Menschen dankbar sein. Situationen, die bei anderen einfach nur den Wunsch auslösen, im Erdboden zu versinken, wirken bei uns sexuell stimulierend. Aber das ist natürlich Blödsinn. Das funktioniert nur, wenn der Zeuge unserer Schmach unser Top ist. Wir stehen ganz und gar nicht darauf, beim Zuschnell- oder Schwarzfahren erwischt zu werden, uns beim ersten Date Tomatensauce über den weißen Pullover zu kleckern und Kräuter zwischen den Zähnen zu haben, bei einer Party dezent von jemandem darauf hingewiesen zu werden, dass unser Hosenschlitz schon eine ganze Weile lang offen steht, wir vergessen haben, uns das linke Auge zu schminken, oder gerade der Gastgeberin auf die Stiefeletten gekotzt haben.
Wir sind nämlich gar nicht immer nur submissive Menschen. Wir sind manchmal etwas ganz anderes. Ich zum Beispiel bin ziemlich oft einfach nur Lotte.
»Waaaaas?« Tom rauft sich die Haare. »Seit wann haben wir eigene Friseure? Und was, um Gottes willen, sollen wir mit eigenen Friseuren anfangen?«
Tom sollte mich definitiv öfter ausreden lassen. Weil ich das so ja gar nicht gemeint habe. Ich wollte nur sagen, dass wir nicht zu irgendeinem Friseur gehen. Sondern zu diesem süßen schwulen, dominanten Friseur, zu dem alle queeren Sadomasochisten gehen. Genauso wie wir nicht zu irgendeinem Therapeuten gehen, sondern zu einem (der wenigen) szenebekannten und -vertrauten.
Tom kauft sogar seine Anzüge nicht irgendwo, sondern in der Boutique eines Paares, das wir aus der Szene kennen. Und lässt sich mit seinen Steuererklärungen von einer masochistischen Frau helfen, die quasi die gesamte Szene diesbezüglich betreut. Und Kai verbringt einen Großteil seiner Freizeit damit, die Computer unserer Lustgenossen auf Vordermann zu bringen.
Das gehört eben zum Leben in einer Subkultur dazu.
Wenn wir Partys veranstalten, engagieren wir natürlich Servicekräfte aus der Szene, die dafür kein Geld, aber Schläge bekommen. Wir waren kürzlich bei Matthias zum Essen eingeladen, gemeinsam mit ungefähr zehn weiteren Personen. Matthias hatte ein vorzügliches Menü gekocht und war trotzdem völlig entspannt, weil er nämlich nicht allein gekocht hatte, sondern zusammen mit Miriam und Suna.
Miriam und Suna sind sehr hübsch anzusehen, ganz besonders, wenn sie nichts weiter als weiße Schürzen und Halsbänder tragen. Damit das Kochen nicht in Arbeit ausartete, unterbrach Matthias es immer wieder, um einer der beiden mit Kochlöffel oder Butterbrett den Hintern zu versohlen. Oder sie sich gegenseitig Chili von der Möse lecken zu lassen.
Nicht nur für Matthias, auch für uns Gäste war die Anwesenheit des Service-Personals äußerst angenehm. Ich bin selten in einem Restaurant so zuvorkommend bedient worden. Immerzu wechselten Miriam und Suna Teller und Aschenbecher aus, füllten Gläser und Krüge, lächelten dabei in einem fort, knicksten brav und murmelten Dankeschöns und Entschuldigungen. Man durfte sie anfassen, wenn man wollte, sie in ihre Nippel kneifen, ihnen auf den Po hauen oder zwischen die Beine greifen. Das hat wirklich Spaß gemacht. Und war äußerst bequem.
Ich liege über Toms Knien und färbe mich rot. Untenrum, hinterrücks. Toms Hand klatscht immer wieder auf meinen wackelnden Arsch, der dann zuckt und versucht, sich aus der Schusslinie zu bringen, nur um sich ein paar Millisekunden später wieder freudig emporgestreckt anzubieten. Dann liege ich nicht mehr über Toms Knien, sondern vor ihm auf dem Bett. Ich höre ihn seine Gürtelschnalle öffnen, ich spüre, wie sie mich brennend trifft. Und wie kurz darauf Tom seinen Schwanz in mich stößt.
Etwas später kuscheln wir uns unter der Bettdecke aneinander, er haucht Küsse in mein Kopfhaar, ich in sein Brusthaar.
Vor einer guten Stunde hatten wir uns noch angeschrien. Weil das doch unser gemeinsamer Abend werden sollte. Und plötzlich muss Tom sich mit Martin treffen. Nur ganz kurz, was dann doch Stunden dauerte, während derer ich allein zu Hause hockte und mich von Karton zu Karton wühlte auf der Suche nach Büchern. Mona und Kai waren weg (weil das ja ein Tom/Lotte- Mona/Kai-Abend werden sollte), Freundinnen ohne funktionierenden Telefonanschluss nicht kontaktierbar, genauso wenig wie der Krisennotdienst oder wenigstens Mama.
»Das ist doch toll, dass du sadistisch bist!«, sage ich jetzt zu Tom. »Wenn du wütend bist, kannst du mich einfach schlagen, bis deine Wut verpufft ist und meine in Erregung umschlägt.« Tom schüttelt den Kopf. So funktioniere das nicht, sagt er. Die Geilheit aller Beteiligten sei ein guter Grund zu schlagen, ebenso wie das faszinierend-diffuse Machtkonstrukt, welches von den Hieben errichtet werde. Wut hingegen sei kein guter Grund. Er hatte das einmal mit seiner Exfreundin probiert. Es hat sich vorher schlecht angefühlt, war währenddessen nicht besser und am Ende richtig schlimm geworden. Erst war er wütend auf sie, dann wütend auf sich selbst, weil ihm das Schlagen keinen Gewinn verschaffte, und danach hatte er ein elend schlechtes Gewissen.
Ich widerspreche ihm. Mona hat mir nämlich einmal davon erzählt, wie sich böse Gefühle in ihr anstauen, den Tag, vielleicht auch die Woche über. Klar kann man dann schreien, Türen in Schlösser und Telefone auf Hörer knallen, es ist auch okay, sein Buch gegen die Wand zu donnern oder den Kopf gegen die Matratze. Und man kann natürlich joggen gehen oder sogar zum Boxen. Aber das hilft Mona nicht wirklich. Sie braucht es manchmal, wehzutun, Folgen zu hinterlassen, sich einzuprägen. Sie will ihre zerstörerische Energie außerhalb ihrer selbst leuchten sehen, als die Wunde, die in ihr war und die jetzt von einem zauberhaften Gegenüber in Lust umgedeutet wird. Und sie liebt diesen Zustand, wenn sie sich alles Harte aus dem Leib geprügelt hat und plötzlich ganz weich wird, Zärtlichkeit und Schmusigkeit in Reinform.
So ähnlich ist das auch bei Tom, bloß anders. Er sagt, er spüre die destruktiven Kräfte, über die Mona spricht, gar nicht im Alltag. Er habe gelernt, Frauen auf Händen zu tragen und seine Stimme nicht zu erheben. Sein Beruf sei es, Konflikte friedlich zu lösen. Er ist das dritte von fünf Kindern. Er hat gelernt, zu vermitteln, Kompromisse einzugehen. Er ist nicht böse. Er würde niemals eine Frau schänden. Erst, wenn sich ihm eine nahezu aufdrängt, wenn sie darum bettelt, missbraucht zu werden, spürt er die Lust am Bösesein sich in ihm entfalten.
Und dann, wenn er schlägt, wenn er quält, wenn er sich gibt, was er braucht, dann merkt er plötzlich, dass er auch das ist, der aggressive, egoistische, brutale, grausame Mann, der sich nimmt, was er will, ohne Rücksicht zu nehmen. Es bringt ihn mit sich selbst in Kontakt und in Frieden, sich selbst so zu erleben. Danach liegt er wirklich handzahm in meinem Arm.
Tom schnarcht bereits leise in meine Armbeuge und ich frage mich, ob alle Menschen sooft überlegen, ob sie ihre Wut auf was auch immer in ihre Beziehungen und ihre Betten tragen. Ob sie treten, weil sie selbst sooft getreten wurden. Ob ihre Dominanz die einzige Möglichkeit für sie ist, ihr eigenes Vergnügen über oder wenigstens neben statt immer bloß unter das der anderen zu stellen. Ob der Thron der einzige Ort ist, an dem sie genügend Kontrolle abgeben und ausreichend die Fassung verlieren können, um es zum Höhepunkt zu schaffen. Fragen sich alle Menschen so etwas oder ist das eher typisch für Tops?
So wie sich Bottoms vielleicht fragen, ob sie sich jetzt gerade wirklich nur schlagen lassen, weil es geil ist, oder eher, damit Dämme in ihnen einbrechen und sie endlich weinen können. Oder weil sie glauben, bestraft werden zu müssen für absurde Verfehlungen. Weil sie nie fleißig genug Klavier spielen geübt haben, der Mutter Migräne beschert, dem Vater mit sechzehn das Auto demoliert, die kleine Schwester per Puppe ohnmächtig geschlagen haben. Weil sie denken, der Liebe nur dann wert zu sein, wenn sie sie sich durch Leid und Gehorsam verdienen. Denken SMer mehr über ihre destruktiven Gefühle nach, über die Frage, ob sie ganz normal verrückt oder schon fast pathologisch gestört sind, ob ihre Beziehungen auf gesunde Weise konfliktreich oder einfach nur zerstörerisch sind?
Die Erkenntnis, dass ich nicht ganz normal bin, begleitet mich, seit ich denken kann. Bei Doktorspielen waren die anderen ausschließlich auf Genitalien fixiert, während ich auf Klapse auf Popos aus war.
Später träumten die anderen Mädchen von muskulösen Jungs, die sie ganz einfühlsam am Strand im Sonnenuntergang flachlegten. Ich hingegen hatte Bilder im Kopf von Kerlen, die mich schlugen und erniedrigten, bevor sie mich fickten. Die Bilder brachten mir Orgasmen ein und die Angst, wahnsinnig zu sein. Ich zog mich manchmal für Wochen aus der Realität zurück in Träumereien von Internaten voll strenger Lehrerinnen. Ich verstand nicht, was mich so unglaublich gefangen nahm an diesen Fantasien, nicht einmal, dass sie sexuell konnotiert waren, aber ich begriff, dass ich hierdurch den Bereich des Normalen definitiv verließ.
Inzwischen weiß ich, dass es keine Normalität gibt und schon gar nicht als erstrebenswerten Zustand, ich weiß außerdem, dass an meinen sadomasochistischen Sehnsüchten nichts verrückt ist und ich damit erst recht nicht allein bin. Aber das Misstrauen gegenüber meinen Gefühlen, die Angst vor mir selbst und dem, was in mir im Verborgenen heranwachsen könnte, ist geblieben. Weshalb ich regelmäßig mein eigenes Verhalten, meine Emotionen, meine Beziehungen kritisch hinterfrage. Und dabei zu den obskursten Ergebnissen komme, wie Tom behauptet. Um mir im Anschluss minutenlang Namen von uns bekannten SMern aufzuzählen, die mit Sicherheit weder an sich selbst zweifeln noch sich mit irgendetwas kritisch gedanklich beschäftigen. Aber dafür kann ich nichts.
KAPITEL ZWEI
Es muss so gegen acht sein, als ich mein rechtes Auge einen Spaltbreit öffne. Ich sehe nichts außer dem roten Stoff des Lakens. Ich probiere es mit dem linken Auge. Es zeigt sich der Rest des Bettes, ein Stückchen Zimmer und kein Mann. Dafür morgendliche Geräusche aus Küche und Bad. Dann nähern sich Schritte – die meines Freundes, ich erkenne sie. Im Anzug, die Krawatte lose um den Hals hängend, den Kanzlei-Stress bereits vor Augen. Ein Kuss auf meine Stirn, meinen Mund. Wie gut er riecht. »Schatz«, sagt er, »ich muss los. Deine Herrin hätte gerne einen Kaffee ans Bett gebracht, und zwar flott.« Mist. Ich war zu langsam. Ich hätte drei Minuten früher wach werden und nach ihm rufen sollen. Eine angenehme Begleiterscheinung von SM ist: Man kann sich nach Strich und Faden bedienen lassen. Der Nachteil dabei: Wo einer bedient wird, muss auch einer dienen. Die Frage ist nun: Wer macht was? Das wird permanent neu ausgehandelt.
Natürlich diene ich meiner Herrin, wenn sie mit mir spielt, selbstverständlich kommandiert sie mich schamlos durch die Gegend und ich tanze im Akkord nach ihrer Pfeife. Aber dann gibt es diese vielen, vielen Situationen, in denen ich gefesselt, geschwächt, angebunden, hilflos gemacht, völlig erschöpft oder ziemlich erschlagen bin. Dann werde ich von meiner Herrin bedient. Möchtest du etwas trinken, fragt sie, ich nicke schwach und sie rennt. Luft, hauche ich, sie reißt die Fenster auf. Ich lasse den Kopf kreisen, sie massiert mir meinen Nacken. Frierst du, fragt sie, mich in Decken wickelnd. Geht es dir gut, kann ich etwas für dich tun.