Lust auf Schmerz - Cornelia Jönsson - E-Book

Lust auf Schmerz E-Book

Cornelia Jönsson

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Beschreibung

33 Frauen – jung, alt, hetero, bi, lesbisch, dominant, submissiv, masochistisch, sadistisch, extrem, verhalten, erfahren und entdeckend erzählen davon, wie sie ihre eigene sadomasochistische Neigung entdeckten und verwirklichten. Sie berichten davon, wie sich plötzlich ganz neue Räume öffneten, wie Welten in ihrem Inneren aufgesprengt, wie ferne Paradiese erreichbar wurden. Sie erzählen, was ihnen die Erfüllung ihrer sexuellen Leidenschaft bedeutet und was sie verändert. Sie sprechen darüber, wie ihre erotische Identität nach ihrem Alltags-Ich greift, wie sich alles wandelt oder aber auch nur in anderem Licht erscheint, plötzlich klar und verständlich wird durch die Eroberung der eigenen Lust. Sie berichten von Geheimnissen und Doppelleben, von Outings, von Ängsten und Ausgrenzungen, von der Suche nach Freundschaft, nach Lust und natürlich immer nach Liebe.

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Seitenzahl: 250

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Cornelia Jönsson

Lust auf Schmerz

33 Frauen erzählen, wie sie ihren Sadomasochismus entdeckten

Schwarzkopf & Schwarzkopf

33 Strauchlerinnen 33 Frauenfußpaare im Dickicht 33 Einsamkeiten 33 Orientierungsverluste 33 Neuanfänge 33 Abzweigungen 33 Wege weg vom Weg 33 Tauchgänge 33 Blicke in die Tiefe 33 Verdunkelungen 33 Wahrheiten 33 Suchende 33 Frauen die anders sind 33 Frauen die sich selbst neu erfinden 33 Ausbrüche 33 Einbrüche 33 Durchbrüche 33 Ankommende 33 Entdeckerinnen neuer Kontinente 33 Reisende in unbekanntes Gebiet 33 Dompteurinnen ihrer eigenen Bestien 33 Frauen die sich ins Angesicht blicken 33 Frauen die die Straße der meisten verlassen 33 Frauen die ihren eigenen Weg gehen 33 Geschichten die sich selbst schreiben 33 Bilder die sich dem Malen nach Zahlen entziehen 33 Versuche es anders zu machen 33 Frauen die ihre Lust entdecken 33 Frauen die den Schmerz suchen 33 Frauen die ihre Lust da finden wo Schmerz sich ausbreitet 33 Frauen die ihre eigenen Abgründe hegen 33 Frauen für die böse so gut ist 33 Frauen die Verbotenes denken 33 Frauen die erregt was entsetzt 33 Frauen die sich nehmen was sie brauchen 33 Ehrlichkeiten 33 Lieben 33 Lüste 33 Hingaben 33 Risiken 33 Dunkelheiten 33 Reisen ohne Zielvorgabe 33 Fluchten aus der Sicherheit heraus in die Gefahr hinein 33 Stürme auf das Jetzt 33 Körperentdeckungen 33 Ruhen 33 Jägerinnen ihres eigenen Begehrens 33 Beuten ihrer eigenen Gelüste 33 Spurensucherinnen 33 Erforscherinnen dessen was unter allem liegt 33 Kontrollverluste 33 Aufgaben 33 Anmaßungen 33 Erleuchtungen 33 Entschlüsse 33 Konsequenzen 33 Einverständniserklärungen mit dem eigenen So-Sein 33 Einwilligungen ins Glück 33 Ausnahmezustände 33 Ausnahmewege 33 alternative Lebensentwürfe 33 Abweichungen 33 Lustforscherinnen 33 Meisterinnen des Schmerzes

Vorwort

Das vorliegende Buch enthält 33 Geschichten von 33 Frauen, die vollkommen unterschiedlich sind und sich dennoch darin gleichen, dass sie alle an einem bestimmten Punkt ihres Lebens einsam wurden durch die Erkenntnis, anders zu begehren, als es die meisten tun. Sogar auf eine Weise zu begehren, die auch heute noch mancherorts als schlecht, pervers oder böse empfunden wird.

Jede der 33 Frauen hat den Mut aufgebracht, sich ihrem ureigenen Empfinden in all seiner Andersartigkeit zu stellen und es – oft gegen Widerstände – lebendig werden zu lassen.

Manche der porträtierten Frauen sind noch sehr jung und haben ihre sadomasochistische Neigung von Anfang an in ihr Liebesleben integriert. Andere sind den Schritt von der Fantasie in die Realität erst gegangen, nachdem sie jahrzehntelang in SM-freien Beziehungen gelebt haben.

Für einige Frauen ist SM inzwischen auch Teil ihres Berufes, für andere gehört BDSM ausschließlich ins Schlafzimmer. Viele der Interviewten stoßen beim Ausleben ihres Sadomasochismus immer wieder auf Schwierigkeiten emotionaler oder praktischer Natur. Aber keine möchte je wieder darauf verzichten.

Da all diese Geschichten sehr intim sind, wurden sämtliche Namen geändert.

Die Form der Texte ist unterschiedlich – mal lesen sie sich wie Geschichten, mal sind es Porträts und manchmal auch Interviews. Je nachdem, was zu der jeweiligen Frau und ihrem speziellen Bedürfnis nach Anonymität am besten passte.

Metamorphosen:

Britta

Alter: 47 | Beruf: erst Arzthelferin, dann Krankenpflegerin, jetzt im Einzelhandel tätig | Wohnort: Hamburg | Familienstand: Ehemann und ziemlich große Kinder | Lieblingsgetränk: Weißwein | Lieblingsessen: Pasta | Lieblingsbuch: »Das Lächeln der Fortuna« | Lieblingsmusik: Opern und instrumentale Klassik

Statt viele Worte zu verlieren, legte sie eine Augenbinde und eine Reitgerte, frisch erstanden bei Orion, unter die eheliche Bettdecke. Ihr Mann nahm beides zur Kenntnis und sagte: »Das kann ich nicht. Ich liebe dich.«

Britta liebte ihren Mann ebenfalls. Aber Britta ist auch Sadomasochistin. Und das nicht erst seit gestern. Mit 16 begann sie, davon zu träumen, von ihrem Freund sexuell dominiert zu werden. In ihrer Fantasie war sie stets nackt in seiner Gegenwart. Mit den Jahren häuften sich die Männer in ihren erotischen Träumen. Ziemlich bald wollte sie von vielen gleichzeitig benutzt werden, wobei sie selbst mystisch-düster als Opferlamm auf einen Stein gebunden oder aber, der tatsächlichen sadomasochistischen Praxis etwas näher, auf einen gynäkologischen Stuhl geschnallt war. In ihrer Ehe lebte sie ihre Neigung indirekt aus. Indem sie sich mittels ihrer Vergewaltigungsfantasien in Stimmung brachte, um mit ihrem Mann Sex haben zu können. Der wusste allerdings nichts von den wilden Geschehnissen im Kopf seiner Liebsten und sie selbst hatte andauernd ein schlechtes Gewissen deswegen.

Britta fand sich nackt in ihrem eigenen Schlafzimmer wieder, wo ein Fremder sie mit einer Reitgerte züchtigte. Das war ein Irrtum, diese SM-Geschichte, dachte sie, während er sie schlug und es so höllisch wehtat. Genau das ist es, was ich immer schon dringend wollte, dachte sie glückselig, als er wieder weg war. Man lässt keine fremden Männer in sein eigenes Haus. Erst recht nicht, ohne sich covern zu lassen. Das weiß Britta inzwischen und das war ihr auch vor sechs Jahren im Grunde schon bewusst. Aber die Intensität ihrer Begierde vernebelte ihr den Verstand. Wer kennt das nicht. Nachdem ihr Mann nicht allzu begeistert auf ihre Geschenke unter der Bettdecke reagiert hatte, suchte sie sich den Schlüssel zur Schatzkammer ihrer Lust im Netz. Natürlich wurde sie fündig. Mit nichts weiter als High Heels, Strapsen und einem Mantel bekleidet, saß Britta im Auto des fremden Mannes. Er hatte ihr die Augen verbunden. Auch das sollte man nicht tun. Britta tat es aber trotzdem, weil sie das Opferlamm, das in ihr wohnte, nicht länger gefangen halten konnte. Es wollte raus. Ganz dringend. So dringend, dass Britta nicht nur ihre Sicherheit, sondern auch ihre Ehe riskierte. Denn der Fremde hatte per E-Mail von ihr verlangt, in einem Mantel mit nichts weiter als Strapsen darunter an einer Straßenecke auf sie zu warten. Es war klar, dass die Ehefrau und Mutter es niemals unbemerkt schaffen würde, sich so aufzubrezeln. Also weihte sie ihren Mann ein. Oder fast. Dass sie ihre Neigung einfach nicht unterdrücken könnte, sagte sie ihm, und dass sie im Netz ein ähnlich gestricktes Pärchen kennengelernt habe, welches sie zu einer privaten Party eingeladen habe, für die sie sich eben entsprechend kleiden müsste. Das schien ihr eine angemessene Dosis von Wahrheit zu sein. Tatsächlich reagierte ihr Mann erstaunlich verständnisvoll und unterstützend. Er schnappte sich die Kinder und schleppte sie zu McDonald’s, während die Mutter halb nackt das Haus verließ, um sich von einem fremden Mann entführen zu lassen.

Britta hatte ein Haus, einen Mann und drei Kinder. Außerdem Arbeit und Freunde. Alles war gut und Britta zufrieden. Aber es gab diesen drängenden Wunsch in ihr, dahin zu gehen, wo ihr Schmerz wohnt. Es zog sie so sehr dorthin, dass ihr das Familienidyll vor den Augen verschwamm und jeder noch so kleine, alltägliche Gedanke mit Bildern der Unterwerfung um ihre Aufmerksamkeit buhlen musste. Sie ließ sich von dem Fremden in einem leeren, fast nachbarschaftslosen Haus auf den Dachboden führen und an zwei Balken fixieren. So etwas ist gefährlich und das merkte Britta. Der Mann schlug auf sie ein wie ein Irrer. Die unterschiedlichsten Schlaginstrumente verletzten ihre Haut. Sie schrie das verabredete Safeword. Er machte weiter. Sie baumelte in ihren Fesseln, weil sie sich nicht mehr auf ihren Beinen halten konnte. Er machte weiter. Er band sie los, sie fiel zu Boden, wo sie zusammengekauert liegen blieb. Er machte weiter. Bis er sie schließlich brutal vergewaltigte. Danach kam er wohl wieder zur Besinnung und stotterte ein paar völlig idiotische Ausreden.

Britta war nicht mehr an Gesprächen interessiert. Sie ließ sich nach Hause fahren. In den Armen ihres Mannes brach sie in Tränen aus. Sie fühlte sich beschmutzt, benutzt und unendlich beschämt. Ihr Mann pflegte ihre Wunden. Dass die Geschichte mit der Party nicht ganz richtig war, verzieh er ihr, und dass ihre Neigungen zu stark waren, um sich unterdrücken zu lassen, dass sie vielmehr ihr Denken vollkommen annektierten, verstand er. Gemeinsam suchten sie nach einem Spielpartner für sie, der ihr keinen Schaden zufügte.

So gut, wie sie klang, war die Verabredung, Brittas Sadomasochismus außerhalb der Ehe zu hegen, nicht. Nach zwei Jahren an sich guter Spielerfahrungen wurde Britta klar, dass sie SM nicht mehr außerhalb einer Liebesbeziehung leben wollte. »Fremdzulieben« verlangte ihrer Ehe allerdings um einiges mehr ab als die Spiele in andrer Männer Sandkästen.

Britta und ihr Mann trennten sich in Liebe. Weil ihr Verlangen nach einer sadomasochistischen Liebesbeziehung nicht mehr kompromissbereit war. Und er das nicht konnte.

Er fand eine neue Freundin, ihre Eifersucht stieß ihre Lust von ihrem inneren Thron und sie erklärte sich bereit, auf SM zu verzichten, wenn ihr Mann nur zu ihr zurückkäme.

Dieser hatte inzwischen festgestellt, dass BDSM eigentlich doch eine ziemlich feine Sache war.

Seit 2005 leben die beiden SM in ihrer Ehe.

Nachdem der Mann im Bilde war, wurden die beiden älteren Kinder informiert. Die waren damals schon fast erwachsen. »Man sollte sich nie einbilden, dass 16-jährige Mädchen glauben, man würde mit einer Freundin ins Kino gehen, wenn man im Badezimmer in Latexrock, Korsage und High Heels vor dem Spiegel steht«, sagt Britta.

Die Kinder nahmen das gut auf. Sie schätzen die interessanten Freunde der Eltern, mit denen sie über ganz andere Dinge sprechen können als mit den eigenen Freunden. Sie sind tolerant und weltoffen.

Das jüngste Kind allerdings tappt noch im Dunkeln. Weil es erst zehn ist. In dem Alter sollte man Kinder nicht mit so etwas belasten, denkt Britta. Dabei steckt der Kleine vielleicht schon mittendrin.

Als er gerade eingeschult worden war, vergnügte sich Britta in der Sklavenzentrale, während ihr Sohn im selben Zimmer herumsprang. Sie hatte ganz vergessen, dass er schon lesen konnte. Bis er das Wort Sklavenzentrale buchstabierte und sich wunderte. Allerdings war allgemein bekannt, dass der ABC-Schütze ganz gern mal Mädchen auf den Hintern schlug. Also erklärte ihm die Mutter, die Sklavenzentrale sei eine Plattform für Leute, die, wie er, gerne anderen auf den Po hauen. Ob er sich denn da auch anmelden könne, fragte der Sechsjährige – und wurde auf später vertröstet.

Außer dem Mann und den Kindern hat Britta nur noch ihre Schwester in das Wesen ihrer Lust eingeweiht. Und die redet nicht mehr mit ihr.

Nachdem ihre Fantasien es geschafft hatten, sich in die Realität durchzukämpfen, lugte Britta schließlich vorsichtig in die Hamburger SM-Szene hinein. Wobei sie erst einmal in einschlägige Internet-Chatrooms linste und sich dann unter Begleitung eines Chatters ihres Vertrauens ins Café Sittsam wagte. Der Ort erwies sich als erstaunlich harmlos. Herzklopfen bei der Arbeit und am familiären Esstisch waren unnötig gewesen. Es passierte nichts Schlimmes. Genau genommen passierte gar nichts. Keine Prügeleien, keine rituellen Opferungen, keine peinlichen Befragungen, keine Schändung. Bloß schwarzgewandete freundliche Menschen, die ganz normal waren. Oder zumindest nicht weniger normal als Britta selbst. Nachdem sie ihrer Lust, ihrer erotischen Identität, ihrem Schmerz und ihrer Hingabe ans Tageslicht verholfen hatte, begann Britta jetzt, ihr Freizeitleben zu verändern. Auf den neuen Bettgefährten folgten neue Freunde. Die wiederum alte Bekannte verdrängten.

Durch den frisch erlangten Blick der Sadomasochistin erschienen Britta viele ihrer Vanilla-Freunde inakzeptabel intolerant. Abfällige Äußerungen über Homo- und Transsexuelle konnte sie nicht mehr hinnehmen, seit solche Menschen ihren Freundeskreis bevölkerten. Überhaupt – die Ablehnung des Abweichenden war nicht mehr zu tolerieren, seit sie selbst abwich.

Und dann: Grillen und Tanzen im Garten und im Wohnzimmer verlieren eben an Anziehungskraft, wenn man sich genauso gut in den örtlichen Szenelokalen mit etwas tieferem Dekolleté und etwas höheren Absätzen sadomasochistisch vergnügen kann. Wobei man sich mit seinen Tischnachbarn nicht bloß über Beruf, Kinder und Autos, sondern eben auch über Striemen, Brandwunden und Sexstellungen unterhält.

Es häutete sich ihr Freundeskreis. Es starben die Freundschaften ab, die schon lange bloß noch Hülle gewesen waren, und es zeigten sich frische, andersartige.

An ihrem Arbeitsleben hat sich nichts geändert, seit Britta ihren Sadomasochismus lebt. Von Montag bis Freitag zu den regulären Geschäftszeiten kleidet sie sich unauffällig und plaudert über dies und das.

Ihre Neigung hat allerdings dazu geführt, dass sie mit dem Schreiben begonnen hat. Zu Beginn mit dem erklärten Ziel, ein bisschen Ordnung in den chaotisch wuchernden Urwald ihres Begehrens zu bringen, um sich eine gewisse Übersicht zu verschaffen. Das ist ihr inzwischen weitgehend gelungen. Jetzt schreibt sie um des Schreibens willen. Nicht mehr für sich über sich, sondern über Submissivität ganz generell, damit in anderen Menschen Ableger ihrer eigenen Verzauberung blühen.

Das Gute an den erfundenen Geschichten ist, dass sie stets verfügbar sind. Auch in Zeiten des erotischen Diäthaltens. Also auch jetzt, wo Britta und ihr Mann zwischen Wäsche, Schule und Arbeit relativ selten Raum für ihr sadomasochistisches Spiel finden.

Wo wir beginnen:

Joe

Alter: 18 | Beruf: Abiturientin | Wohnort: Dresden | Lieblingsbuch: »Vaterland« (derzeit) | Lieblingsgetränk: Piña Colada | Lieblingsmusikerin: Annett Louisan | Lieblingsort für Sex: Strand, auch wenn es kitschig ist | Lieblingsspielzeug: ihr Partner, wenn er alles richtig macht

Wie hat dein sadomasochistisches Leben begonnen?

Virtuell. Ich wohnte mit meinen Eltern und meinen beiden jüngeren Schwestern in einem Einfamilienhaus mit Garten am Rande von Dresden im typischen Vorort-Idyll. Wir benutzten alle denselben Computer, was auch lange Zeit kein Problem darstellte – bis ich eines Tages, mit ungefähr 13, das Internet für meine Zwecke entdeckte. Ich fand die Sklavenzentrale und diverse andere Communitys, aber auch kostenpflichtige, unseriöse und pornographische Seiten. Einmal in diesem Informationsparadies angekommen, kannte ich kein Halten mehr: Wie ein ausgetrockneter Schwamm sog ich alles auf, was ich zu sehen oder zu lesen bekam, und war süchtig nach immer mehr Wissen über das, was ich war und was ich damit jetzt machen konnte.

Aber natürlich blieb meine Abenteuersafari durch den virtuellen SM-Dschungel nicht lange unentdeckt: Meiner Mutter fielen die merkwürdigen Spam-Mails zuerst auf und auch der Internet-Verlauf dokumentierte meine »Schandtaten«. (Mein PC-Wissen hatte nicht einmal ausgereicht, um mir eine eigene Mail-Adresse einzurichten, geschweige denn, meine Spuren zu verwischen.) Sie reagierte verwundert und neugierig. Sie wollte wissen, was ich gesucht hatte, was mich beschäftigte und was mir diese neue Leidenschaft bedeutete. In meinem Durst nach Antworten erzählte ich ihr nur zu bereitwillig alles, was ich wusste und noch viel mehr darüber, was ich alles noch nicht wusste. Anschließend durchlief meine Mutter vom ersten Abtun – Das ist so eine pubertäre Phase, das wächst sich aus – über Besorgnis – Das sind doch alles perverse, alte Säcke! Dafür bist du doch zu schade! – und Ungläubigkeit – Dir geht es doch nur um die Aufmerksamkeit – alle Phasen der Verarbeitung.

Dann standen wir einmal beim Kochen gemeinsam in der Küche und schwatzten. Ich machte eine freche Bemerkung und streckte ihr die Zunge heraus. Daraufhin drohte sie mir scherzhaft mit dem Kochlöffel, ließ ihn dann aber doch wieder sinken und meinte mit einem verschmitzten Grinsen: »Ach das nützt ja bei dir eh nichts – am Ende gefällt dir das noch!«, woraufhin wir uns fast auf dem Boden kugelten vor Lachen. In diesem Moment wusste ich, dass sie sich damit abgefunden hatte und dass sie es als einen Teil von mir akzeptierte.

Wie kam es zum ersten realen Kontakt?

Mit 14 habe ich dann zum ersten Mal versucht, reale Kontakte zu knüpfen. Dabei ging es mir zunächst nur um das Erleben einer Session. Ich fand schließlich einen passiven jungen Mann, der sich eine Spanking-Session mit mir wünschte.

Da ich bei meinen Eltern und er bei seiner Freundin wohnte, trafen wir uns in einem weitläufigen Park. Es war Januar und der Schnee lag knöchelhoch. Es war hundekalt. Morgens hatte ich einen Kochlöffel aus der Küche geschmuggelt und am Abend davor hatte ich einen Gürtel von meinem Vater verschwinden lassen. Nachdem der Mann sich über einen großen umgefallenen Baumstamm gebeugt hatte, schlug ich ihn damit etwa eine Stunde. Wir waren beide absolut unerfahren und schüchtern. Wir sprachen kaum und verabschiedeten uns anschließend fast wortlos. Das Treffen bestätigte mir zunächst, dass meine SM-Neigung tatsächlich vorhanden war, befriedigte mich aber nicht ansatzweise. Ich war einfach noch zu unerfahren, um zu wissen, was genau ich brauchte und wie ich es bekommen konnte. Trotzdem war dieses Erlebnis für mich etwas Besonderes, weil ich zum ersten Mal merkte: Das gibt es ja wirklich! Das ist keine Spinnerei von Internet-Junkies, das ist Realität. Und ich hatte erstmals die Hoffnung, irgendwann Teil dieser Realität sein zu können.

Hast du Kontakte zur Szene und wie wichtig ist dir das?

Die erste Community, bei der ich mich anmeldete, war die Sklavenzentrale. Dort hatte ich zwar schon bald einige virtuelle Kontakte, aber im Großen und Ganzen konnte ich mit dieser Art von Szene noch nichts anfangen, weil der Altersdurchschnitt einfach weit über meinen 14 Jahren lag und ich ja weder auf eine Party noch zu einem Stammtisch gehen konnte.

Einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer jungen Szene in meiner Umgebung machte ich mit der Entdeckung der SMJG (Sadomasochistische Jugendgruppe / BDSM-Jugend). Dort brauchte ich endlich mein Alter nicht mehr zu vertuschen, konnte sein, wie ich wirklich war, und fand recht schnell Zugang zu den anderen. Ich besuchte die Stammtische in Dresden und lernte dadurch einige wirklich liebe Menschen kennen, mit denen ich dann später auch Spielpartnerschaften aufbaute.

Mit meinem achtzehnten Geburtstag vor einigen Monaten war mir dann endlich der offizielle Weg in die Sklavenzentrale offen und ich erlebte einen wahren Boom, was den Umfang meiner Kontakte anging. Innerhalb kürzester Zeit lernte ich massenhaft Leute aus ganz Deutschland und schließlich auch meinen Schatz kennen. Seitdem gehe ich auf Partys, habe Sessions mit Frauen und Männern, Sklaven und Herren, Dominas und Zofen und begegne ständig wieder neuen, interessanten SMern.

Ich halte die SM-Szene für einen Querschnitt durch die Gesellschaft. Genau wie im »normalen Leben« gibt es Spinner und Intellektuelle, Sanftmütige und Kloppies, Normale und Abgedrehte.

Die SM-Szene ist mittlerweile derartig groß, dass es kaum noch möglich ist, keine Nische für sich zu finden, in der man sich wohlfühlt. Wer in dieser Szene keinen Anschluss findet, der würde auch in keiner anderen welchen finden.

Ich habe einen Kreis von Menschen aufgebaut, mit denen ich mich sehr gern umgebe, und mit der Masse der SM-Szene habe ich zumindest keine Probleme.

Es gibt auch einen Teil in der SM-Szene, mit dem ich absolut nichts anfangen kann, und das ist die irreführenderweise oft als Old-School bezeichnete Bewegung (hat meiner Meinung nach mit Zeit und Alter nichts zu tun), die meint, SM sei eine todernste Sache und habe mit Sex erst mal gar nichts zu tun, Switchen sei eine Todsünde und das Recht auf Herrschaft obliege ausschließlich dem Mann/der Frau (Zutreffendes bitte ankreuzen). Wenn sich diese Menschen dann noch in Geheimbünden und Bruderschaften mit dogmatisch-elitären Ansprüchen und hierarchischen Ordnungen zusammenfinden, ist das im besten Falle zum Brüllen komisch und im schlimmsten Fall besorgniserregend.

Wann und wie wurde dir klar, dass du Sadomasochistin bist?

Ich bin einer der vielen Menschen, die ihre SM-Neigung bereits in der oft zitierten Kindheit deutlich spürten. Bei mir äußerte sich das in einer fast fanatischen Liebe zu Machtspielen. Dabei war ich meistens an entsprechenden Situationen nicht beteiligt, sondern genoss das Zuschauen.

Mich faszinierten Kämpfe und das damit schließlich verbundene Okay, … du hast gewonnen – bitte hör auf genauso wie Geschichten von Wilhelm Busch, in denen es um das Bestrafen von ungezogenen Kindern ging, und allgemein Situationen, in denen ein Machtdefizit für mich sichtbar wurde (nein, bitte, Mami, nicht nach Hause, ich bin jetzt auch ganz lieb).Wann genau mir das alles zum ersten Mal bewusst wurde, kann ich heute nicht mehr rekonstruieren. Meine erste Erinnerung in dieser Hinsicht ist eine Szene, wie ich in der ersten Klasse in meinem Deutsch-Arbeitsheft eine ganze Seite voll mit Bildern aus der Schule früher mit Eselsmütze, Rohrstock und Ohrenziehen entdeckte, die mich in helle Aufregung und Erregtheit versetzte. Da muss ich ungefähr sieben gewesen sein. Benennen konnte ich meine Gefühle dann erstmals mit 13.

Erinnerst du dich an deine erste sadomasochistische Fantasie?

Mein bester Freund in der Grundschule erzählte mir einmal, dass es bei ihm zu Hause noch den Po voll gäbe, wenn er Mist gebaut hatte. Ich stellte mir immer vor, dabei zuzuschauen und ihn zu sehen, wie er mit nacktem Arsch über den Knien seiner Mutter liegt und sich windet und heult. Heute kommt mir das ziemlich übel vor, aber damals musste ich nehmen, was ich kriegen konnte an Inspiration.

Kannst du dir heute noch ein Leben, eine Beziehung oder Sex ohne SM vorstellen?

Ich habe einmal einen sehr treffenden Vergleich gehört: »SM ist wie Musik … klar kann man ohne Musik leben, aber es wäre doch beschissen!« Ich kann ohne SM überleben, aber vollends leben möchte ich ohne jeden SM nicht.

Da SM schon sehr lange ein Teil meines Lebens ist, kann ich nicht sagen, ob ich ohne SM an Kreativitätsverlust leiden würde oder nicht. Ich halte mich für ziemlich kreativ, also kann SM meinen Schaffensdrang zumindest nicht negativ beeinträchtigt haben. Ich glaube aber, dass Macht mich sehr inspiriert und dass es schwer wäre, diese durch eine andere Inspiration zu ersetzen. Noch dazu halte ich sowohl Dominanz als auch Unterwerfung für naturgemäß hoch ästhetisch und spannend, so dass sich daraus viele Impulse ziehen lassen.

Wie beeinflusst SM dein Leben?

Seit ich SM lebe, bin ich um einiges sensibler geworden für menschliche Bedürfnisse, für zwischenmenschliche Beziehungen und für gesellschaftliche Prozesse. Außerdem habe ich meinen Freundeskreis ausgemistet und umgebe mich nur noch mit Menschen, die meinen Neigungen und meinem Wesen tolerant gegenüberstehen.

Ich habe endlich einen Partner gefunden, mit dem ich SM in meine Beziehung integrieren kann, und ich bin sehr glücklich darüber. Mit dem Teil meiner Familie, der von meinen Eigenarten weiß, bin ich nach meinem Outing noch enger verschweißt als vorher, den anderen gegenüber hat sich nichts verändert – ich hatte niemals ein schlechtes Gewissen wegen meiner Fantasien und deswegen kann ich auch mit meinen Schwestern unverkrampft umgehen. Mein Schulalltag wurde von meinen Leidenschaften überhaupt nicht tangiert (wenn man mal davon absieht, dass ich oft ziemlich verschlafen zur ersten Stunde kam, weil ich in der Nacht davor erst um drei mit dem Chatten aufgehört habe).

Wie lebst du derzeit deinen Sadomasochismus?

SM und Sex gehen für mich Hand in Hand, SM ohne Sex gibt es für mich nicht, weil ich SM als sexuelle Sonderform erlebe – nicht als Alltagskonzept. Ich lebe es in meiner Beziehung als devoter und mit einigen Spielpartnern als dominanter Part oder in beiden Rollen.

Außerdem gehe ich gerne auf SM-Partys … ich mag es, mich zu verkleiden, aufzufallen und Leute wiederzusehen, die ich sonst nicht treffe.

Siehst du einen Zusammenhang zwischen deinem SM und Kindheitserlebnissen?

Überhaupt nicht … meine Kindheit war nicht nur völlig unbeschwert und gewaltfrei, sondern verlief auch ohne irgendwelche Machtkämpfe. Meine Eltern haben mich zwar nicht antiautoritär, aber doch sehr demokratisch und harmonisch erzogen.

Verbindest du bestimmte Ängste oder Sehnsüchte mit SM?

Ich verbinde mit SM die Sehnsucht nach Angst. Nichts macht mir mehr Spaß, als in den Augen meines hilflosen Opfers die Angst zu sehen oder selbst vor Angst zu bibbern, während mein Gegenüber mit einem diabolischen Grinsen näherkommt …

Hast du Erfahrungen mit Abstürzen gemacht, und wenn ja, welche?

Meinen schlimmsten Absturz hatte ich mit meinem jetzigen Freund. Während einer SM-Session, in der ich devot war, traf ich mit der Hand aus Versehen seinen Hoden. Der Schmerz machte ihn natürlich wütend und er schlug mir mehrmals ins Gesicht.

Prinzipiell ist das bei mir kein Tabu, aber durchaus eine Sache, die mit Vorsicht zu genießen ist. Dazu kam noch, dass ich diese Handlung nicht mehr eindeutig dem Spiel zuordnen konnte und so fühlte ich mich plötzlich nicht mehr als gezüchtigte Sklavin, sondern als Frau, die von ihrem Freund geschlagen wird. Ich war fix und fertig und brach in Tränen aus. In seinen Armen und mit lieben, tröstenden Worten im Ohr beruhigte ich mich dann aber auch relativ schnell wieder.

Gehen deine SM-Fantasien und deine realen SM-Erlebnisse stark auseinander?

Bisweilen kann ich genau das ausleben, was ich mir auch vorstelle. Aber meistens sind die Fantasien dann schon relativ abgehoben: Kerker, Burgen, Kasernen, Kreuzritter, Soldaten, Leibeigene usw. Es beginnt ja schon mit Vergewaltigungsfantasien: Theoretisch ist alles, wovon man vorher schon weiß, keine Vergewaltigung mehr, und eine normale Vergewaltigung lässt sich a) nicht provozieren und b) nicht sexualisieren, weswegen einem das auch nichts nützen würde … ein Teufelskreis!

Welche Beziehungsform brauchst du, um BDSM gut leben zu können?

Am liebsten ist mir immer eine offene Beziehung, in der man seine Fantasien ausleben kann, über alles redet und auch Spielen zu dritt oder Einzelgängen gegenüber locker eingestellt ist. Reine Spielbeziehungen gibt es bei mir nicht mehr, weil ich immer auch eine freundschaftliche Verbundenheit spüren will, wenn ich mit jemandem in dieser Weise intim werde.

Fühlst du dich diskriminiert oder benachteiligt wegen deiner Neigung?

Eigentlich nicht. In manchen Situationen oder Gruppen kann ich zwar nicht über mein Sexualleben reden, aber das gilt ja für Vanillas ganz genauso.

Manchmal, wenn SM in der Werbung benutzt wird (Burger King), oder wenn Comedians dieses Thema strapazieren, dann fühle ich mich falsch verstanden und würde gern einschreiten, aber im Endeffekt wird in der Öffentlichkeit ja fast jedes Thema auch mal falsch dargestellt. Über »normalen Sex« wird auch genug Mist verbreitet.

Grausamkeit, mein Königreich:

Annegret

Alter: 35 | Beruf: Einzelhandelsfachkraft | Wohnort: Kleinstadt in Sachsen

Ich bin Königin. Ach, was sage ich, ich bin Kaiserin oder Herrscherin – auf jeden Fall die mächtigste aller Fürstinnen.

Mein Schloss kann seine Farbe ändern je nach meiner Stimmung. Ist es blutrot, klappern die Zähne in meinem Reich, dass man es bis ins Weltall hört.

Es müssen beständig Arbeiten an meinem Schloss verrichtet werden von meinen Untertanen aller Geschlechter. Besonders hart sind die Bauarbeiten für meine Untertanen, wenn meine Stimmung blau ist. Dann kleben ihre Hände am Mauerwerk fest, so kalt ist es. Sie müssten in solchen Situationen eigentlich Handschuhe tragen. Es darf aber niemand in meinem Reich Handschuhe tragen außer mir. Ist mein Schloss hingegen schwarz, krallen sich die Arbeiter daran, so gut es geht. Man läuft Gefahr, getötet zu werden, läuft man mir über den Weg, während mein Schloss schwarz ist.

Was das Wetter in meinem Reich angeht: Es ist fast immer schlecht. Außer an den wenigen Sommertagen, an denen mein Schloss golden glänzt, und zwar nicht nur wegen meiner eigenen Stimmung, sondern auch wegen der vielen vor Glück glänzenden Augenpaare darin.

Das mit dem schlechten Wetter, den Bäumen, die dunkel und skelettartig im Wind knacken, mit den Feldern, die harter Frost erstickt hat, das mit dem Meer, das andauernd über seine Ufer tritt, so dass weder Wohnen in Ufernähe noch Fischen möglich ist – das alles ist nicht so schlimm, wie es klingt, denn ich kümmere mich ja um das Wohlergehen meiner Untertanen. Um ihre Grundsicherung. Dass sie genug zu essen haben, dass sie nicht übermäßig frieren und gesund bleiben. Reich ist allerdings keiner außer mir. Im Gegenteil, arm sind alle, außer denen, die in meiner unmittelbaren Nähe an meinem Reichtum partizipieren können, doch sie zahlen den entsprechenden Preis dafür.

»Sechzehn dreiundzwanzig«, sage ich, schmeiße die Münzen, die mir aufs Band gelegt werden, in die Kasse, reiße den Bon ab und werfe die Worte »Schönen Feierabend« dem sich entfernenden Rücken nach. Derzeit wird im großen Festsaal geputzt. Mir ist heute nach Tanzen zumute. Ich kontrolliere die Arbeit. Es glänzen bereits die Fenster, es scheint ausnahmsweise die Sonne hindurch auf den Boden, der stellenweise das Leuchten zurückwirft, so dass es sich sternengleich im Fenster bricht. Größtenteils sieht der Boden allerdings noch stumpf aus, staubig sogar. Es robben um die dreißig Männer und Frauen darüber, nackt bis auf die roten Lederbänder um Hand- und Fußgelenke, um Oberarme und Oberschenkel, um Hüften und Hals, mit Hilfe derer sie sich bei Bedarf fixieren lassen. Die robbenden Menschen lecken mit ihren eifrigen Zungen den Boden sauber. Auf einen prallen weiblichen Arsch lasse ich meine Peitsche herabsausen, die ich stets bei mir trage. Der Arsch zuckt, das dazugehörige Weib schreit. Ich habe mich für ihren Arsch entschieden, weil er noch von der letzten Züchtigung verlockend geschwollene Striemen in Rot aufweist. Neben ihr kniet ein Kerl mit schönen blau-lila Flecken auf dem Po. Ich peitsche beide im Wechsel. Als die Frau, weil ich einen Hieb zwischen ihren Pobacken platziere, zusammenbricht, sage ich »Weiterlecken« und meine Stimme ist so laut und so schneidend, dass ein Fensterglas zerbricht und die Scherben sich in Rücken darunter bohren.

Die Frau leckt weiter, während ich sie gezielt zwischen die Pobacken und die Schamlippen schlage. Dann schreite ich zu denen, denen das Glas auf den Rücken geregnet ist. Ich trete vereinzelt auf Hände auf meinem Weg, höre gedämpftes Aufstöhnen und anschließendes »Danke, Herrin!«.

Einem Kerl reiße ich ein paar Glasscherben aus der Haut, die ich aufs Fensterbrett lege, er küsst mir dankbar sein Blut von den Handschuhfingern, einen anderen fordere ich auf, ihm die Wunden zu lecken. Ich schäle mich aus meinem Kittel, hänge ihn in den Spind, steige in die Stiefel, ziehe meine Jacke an. Ich stinke nach meinem Schweiß und nach dem Saft aus einem Wurstglas, das vorhin zerbrochen ist, außerdem nach chemischem Reinigungsmittel. Der Ball am Abend ist großartig. Das Gesinde wuselt zuhauf nackt und brandwundig durch die Küche, die Kellner und Kellnerinnen marschieren in langen Ketten durch den Saal, riesige silberne und goldene Tabletts hoch über ihren Köpfen balancierend, und es wimmelt von fürstlichen Damen und Herren in Festgarderobe.

Und alle, alle, alle, das Gesinde, die Kellner, die Gäste, alle tragen Kleider, die ihre primären und sekundären Geschlechtsmerkmale nicht bedecken. Ich bin als Einzige vollständig angezogen. Ich greife nach Schwänzen und in Mösen, wie es mir beliebt. Ich tanze mit einem geschminkten Mann, dem ich meine langen Fingernägel in die Brustwarzen bohre, bis dunkelrotes Blut über meine weißen Finger quillt und sein Blick in meinem Blick trübe wird. Die Kinder sitzen zu Hause vorm Fernseher, vor sich auf Brettchen die Ränder von Tiefkühlpizzen und eine fast leere Flasche Cola. Ich schalte den Fernseher aus, sage ihnen, sie sollen sich an ihre Hausaufgaben setzen, werfe die Pizzareste weg, schreie, weil der Backofen noch an ist, stelle ihn aus, quetsche die Pizzaverpackungen in den Abfalleimer, schicke den Jungen den Müll wegbringen, schenke mir selbst eine Cola ein und setze mich mit meinen Zigaretten vor den Fernseher.

Im Folterkeller bekommen zehn Männer Stacheldraht um ihre Schwänze gelegt, weil sie ohne meine Erlaubnis und ohne meinen ausdrücklichen Wunsch in meiner Gegenwart steif geworden waren.