Sport trifft Gehirn - Neuronales Training für kleine Köpfe - Astrid Buscher - E-Book

Sport trifft Gehirn - Neuronales Training für kleine Köpfe E-Book

Astrid Büscher

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Beschreibung

Im Gegensatz zu vielen Tierarten verfügt der Mensch bei seiner Geburt über alle notwendigen Anlagen im Gehirn, aber seine Funktionalität ist, was Denken, Sehen, Hören und Bewegen angeht, noch ziemlich primitiv. Ein Baby verfügt bei der Geburt über ein enormes Potential an Synapsen und Nervenzellen. Diese entfalten aber erst ihre Funktionsfähigkeit mit der Vernetzung mit anderen Nervenzellen. Dies geschieht durch vielfältige Sinneswahrnehmung und wiederholte körperliche Aktivität. Ein früher und lang anhaltender Bewegungsmangel hat nicht nur Auswirkungen auf der motorischen Ebene, sondern bestimmt Verhalten, kognitive Entwicklung und somit die Gesundheit. Dieses Buch richtet sich sowohl an pädagogische Fachkräfte und Kinderübungsleiter als auch an interessierte Eltern und Großeltern. Im theoretischen Teil informiert es leicht verständlich über Meilensteine der frühkindlichen Entwicklung und die Funktionsweise von Gehirn und Nervensystem. Aufbauend auf diesem Wissen zeigen die Autoren, welche Gehirnareale bei Schwierigkeiten in Schule, Alltag und Sport beteiligt sein können, um dann im Praxisteil vielfältige spielerische Neuroübungen für Kinder vorzustellen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der visuellen, vestibulären und propriozeptiven Wahrnehmung sowie der Atmung. Dieses Buch möchte Hilfestellungen und Tipps geben und mit den vorgestellten Übungen Kindern mit Spaß und Abwechslung zu mehr Konzentration, Aufmerksamkeit, Selbstbewusstsein und Koordination verhelfen.

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Seitenzahl: 154

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Neuronales Training für kleine Köpfe

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Details sind im Internet über <https://www.dnb.de> abrufbar.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie das Recht der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form – durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren – ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, gespeichert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

© 2024 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen

Auckland, Beirut, Dubai, Hägendorf, Hongkong, Indianapolis, Kairo, Kapstadt, Manila, Maidenhead, Neu-Delhi, Singapur, Sydney, Teheran, Wien

Member of the World Sport Publishers’ Association (WSPA)

ISBN 9783840338687

E-Mail: [email protected]

www.dersportverlag.de

INHALT

Vorwort

Einleitung

1Frühkindliche Entwicklung

1.1Das wichtige erste Lebensjahr

1.2Abweichungen in der Entwicklung

1.3Ursachen und Symptome

1.4Möglichkeiten und Chancen frühkindlicher Bewegung

2Gehirn und Nervensystem

2.1Aufbau und Funktion des Nervensystems

2.2Aufbau, Funktion und Unreifen des Gehirns

2.2.1Das Großhirn

2.2.2Das Zwischenhirn

2.2.3Das Kleinhirn

2.2.4Der Hirnstamm

3Brain Basics

3.1Energie und Aktivierung

3.2Input, Interpretation und Output

3.3Von der Neuroanatomie in die Praxis

4Atmung – die energetische Grundlage

4.1Anatomie und Physiologie

4.2Zusammenhang zwischen Atmung und Neurologie

4.3Atemmuster

4.4Auswirkungen des Lebensstils auf die Atmung

4.5Testungen

4.6Atemübungen

5Die kindliche Wahrnehmung

5.1Visuelles System

5.1.1Entwicklung im ersten Lebensjahr

5.1.2Sehen ist mehr als klare Sicht

5.1.3Bedeutung für Sport, Schule und Alltag

5.1.4Testungen

5.1.5Neuroübungen

5.2Vestibuläres System

5.2.1Entwicklung im ersten Lebensjahr

5.2.2Das Navi in unserem Körper

5.2.3Bedeutung für Sport, Schule und Alltag

5.2.4Testungen

5.2.5Neuroübungen

5.3Propriozeptives System

5.3.1Entwicklung im ersten Lebensjahr

5.3.2Software-Update für den Körper

5.3.3Bedeutung für Sport, Schule und Alltag

5.3.4Testungen

5.3.5Neuroübungen

6Bewegtes Lernen in Schule und Alltag

6.1Fach Deutsch

6.2Fach Mathe

6.3Merkfähigkeit und komplexes Denken

7Erfolgsfaktoren

7.1Prinzip der Ganzheitlichkeit

7.2Prinzip Spiel, Spaß, Motivation

7.3Prinzip Erfolg

7.4Prinzip Üben und Wiederholen

7.5Prinzip weniger ist mehr

Anhang

1Danksagung

2Literaturverzeichnis

3Bildnachweis

VORWORT

Die Weichenstellungen in der Kindheit haben einen lebenslang prägenden Einfluss auf die geistige und körperliche Gesundheit. Neueste Forschungen belegen eindrucksvoll, dass Bewegung nicht nur körperlich, sondern auch geistig und hinsichtlich des Wohlbefindens nachhaltige Vorteile bietet. Dieses Wissen ist keineswegs neu, sondern war bereits in der Antike vorhanden getreu dem Grundsatz „mens sana in corpore sano“.

In unserer zunehmend von Technologie geprägten Welt erfahren Kinder jedoch oft zu wenig Bewegung. Die Folgen dieser bewegungsarmen Kindheit erlebe ich täglich bei Patienten unter anderem in Form von motorischen Defiziten und Adipositas. Viele dieser Symptome sind durch das einfache „Medikament“ Bewegung vermeidbar!

Das vorliegende Buch vermittelt die faszinierende Verbindung zwischen einem gesunden Geist und einem gesunden Körper. Es ist eine wertvolle Lektüre, die die essenzielle Bedeutung körperlicher Aktivität unterstreicht. Die Anfangskapitel präsentieren grundlegende Konzepte und wissenschaftliche Erkenntnisse zur Wechselwirkung zwischen Bewegung und Gehirnentwicklung. In späteren Kapiteln finden Leser praktische Ratschläge, wie Bewegung im Leben von Kindern integriert werden kann.

Letztendlich ist es eine inspirierende Quelle für jeden, der sich für das Wohlergehen zukünftiger Generationen einsetzt. Es zeigt Wege auf, wie wir gemeinsam gesunde, glückliche und ausgeglichene Kinder fördern können. Begleiten Sie uns auf einer spannenden Entdeckungsreise zur Bedeutung von Bewegung für die neurologische Entwicklung von Kindern.

Prof. Dr. med. Jannos Siaplaouras

Facharzt für Kinder- und JugendmedizinKinderkardiologie, EMAH, SportmedizinProfessor für Pädiatrie und interprofessionelle Versorgung, Hochschule Fulda

EINLEITUNG

Eine gesunde und glückliche Kindheit, das wünschen wir uns alle für unsere Kinder. Doch schaut man sich die aktuellen Zahlen aus den neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen an, weisen diese in eine besorgniserregende Richtung. Der schon seit vielen Jahren zu beobachtende Bewegungsmangel steigt und betrifft laut Daten der WHO aus dem Jahr 2022 immer mehr Kinder und Jugendliche. In der Gruppe der 11-17-jährigen Kinder bewegen sich mittlerweile 81 Prozent der Jugendlichen zu wenig (Global Status Report on Physical Activity, 2022). Parallel dazu steigen die Zahlen von Schulkindern mit Lernschwierigkeiten (Forschungsinitiative ESF, 2017) sowie psychosozialen Problemen.

Wie kommt es zu dieser Entwicklung?

Was haben veränderte Alltags- und Umweltbedingungen damit zu tun und welchen Einfluss hat Bewegung auf die Gesundheit unserer Kinder?

Unsere Umwelt und sozialen Interaktionen haben sich in den letzten Jahren drastisch verändert. War der Alltag noch in den 1980er-Jahren bestimmt durch verschiedene Aufenthaltsorte des täglichen Lebens, Institutionen wie Schule, Familie und Vereine und ihre vielfältigen Menschen, so leben unsere Kinder heute – außerhalb der sozialen Medien – mit deutlich geringeren sozialen Kontakten und Freiräumen. Sie halten sich immer weniger im Freien auf und sind stark geprägt und vereinnahmt durch gesellschaftliche Strukturen.

Vor allem die exponentielle Entwicklung der Technologien und die deutliche Reduktion gemeinsamer, realer Erlebnisse stellt den Körper und insbesondere das kindliche Gehirn und das Nervensystem vor enorme Herausforderungen. Denn unser Gehirn, die Steuerzentrale für alles, was wir tun, denken und empfinden, hat sich in seinen Grundzügen seit Millionen von Jahren nicht verändert.

Die auf unsere Kinder täglich hereinprasselnden Informationsmengen überschreiten jedoch heutzutage in jeder Sekunde ihre Aufnahmekapazität. Denn Aufmerksamkeit ist eine begrenzte Ressource und kann effektiv nur auf eine Sache gerichtet werden. Handy, Smartwatch, Leuchtreklamen, Musik, YouTube® und Co. verführen die Kinder permanent dazu, zwischen Aufgaben zu wechseln. Sie verlernen, sich mit Dingen intensiv zu beschäftigen, ihre Aufmerksamkeit gezielt zu steuern und digitale Pausen einzulegen (Busch, 2021).

Eine weitere Auswirkung der zunehmenden Technologien ist das Ausbleiben von Bewegung. Neben der fehlenden Notwendigkeit durch Autos, E-Roller, Aufzüge und Rolltreppen spielen fehlende Räume für freies Spiel, durchgeplante Freizeitkalender und der Reiz von sozialen Medien, Streamingangeboten und Computerspielen eine entscheidende Rolle.

Kinder verbringen immer mehr Zeit bewegungs- und sprachlos vor Fernsehern, Tablets und Co. Es fehlt ihnen dadurch die wertvolle Interaktion mit physisch anwesenden Freunden und Familienmitgliedern, durch die sie unter anderem lernen, ihre Impulse zu kontrollieren und gemeinsam ein Ziel zu verfolgen und auch zu erreichen.

So sieht beispielsweise der Neurobiologe Prof. Dr. Gerald Hüther in der mangelnden Fähigkeit der mit anderen Personen geteilten Aufmerksamkeit, der sogenannten Shared Attention, eine Ursache für ADS und ADHS (Hüther, 2013).

Und es fehlen ihnen darüber hinaus die mit der Bewegung einhergehenden positiven physischen und psychischen Auswirkungen auf den Körper. Regelmäßige Bewegung wirkt sich positiv auf die körperliche und motorische sowie die psychosoziale und kognitive Entwicklung aus.

Ein früher und lang anhaltender Bewegungsmangel hat somit nicht nur – wie viele vielleicht glauben – Auswirkungen auf der motorischen Ebene, sondern bestimmt in entscheidendem Maße Verhalten, kognitive Entwicklung und somit die Gesundheit. Kinder sind Heranwachsende mit ganz spezifischen Reifungs- und Entwicklungsprozessen. Damit sich Knochen, Muskeln, das Herz-Kreislauf-System und das Gehirn optimal entwickeln können, brauchen Kinder vielfältige Wahrnehmungs- und Bewegungsreize (Bös et al., 2009).

Diese veränderten Alltags- und Umweltbedingungen führen zu ganz neuen Belastungen für das kindliche Nervensystem mit den zu beobachtenden Folgen wie Unkonzentriertheit, Hyperaktivität, Stressempfinden und, damit einhergehend, Lernproblemen.

Dieses Buch hat das Ziel, dem Wunderwerk Gehirn und Wahrnehmung mehr Aufmerksamkeit und Bewusstsein zu geben und den Lesern die Wichtigkeit von neuronalen Aufnahme- und Verarbeitungsprozessen möglichst einfach nahezubringen.

Es möchte mit den folgenden Inhalten praxisnahe Hilfestellungen, Tipps und Übungen zur Unterstützung einer gesunden Kindheit und sinnerfassenden Schullaufbahn geben. Dabei versteht es sich als umfangreiches, aber praxisnahes Nachschlagewerk für Übungsleiter, Lehrer, Erzieher sowie interessierte Eltern und Großeltern.

1

FRÜHKINDLICHE ENTWICKLUNG

Im Gegensatz zu vielen Tierarten verfügt der Mensch bei seiner Geburt zwar über alle notwendigen Anlagen im Gehirn, aber seine Funktionalität ist – was Denken, Sehen, Hören und Bewegen angeht – noch ziemlich primitiv. Die Entwicklung der Hirnstrukturen und auch deren Funktion erfolgt zwar nach einem genetisch festgelegten Bauplan, aber am Ende entscheidet die Umwelt, also epigenetische Faktoren, über Qualität und flexible Nutzbarkeit der Funktion.

Dabei bedient sich die Natur des Grundsatzes „vom Einfachen zum Komplexen“. Ein Baby verfügt bei der Geburt über ein enormes Potenzial an Synapsen und Nervenzellen. Diese entfalten aber erst ihre Funktionsfähigkeit mit der Vernetzung mit anderen Nervenzellen. Dies geschieht durch Aktivierung oder, anders ausgedrückt, durch Sinneswahrnehmung und körperliche Aktivität in Form von permanenter Nutzung.

Ein gesunder Säugling bzw. ein gesundes Kleinkind macht dies ganz eigenständig, wenn wir es zulassen und die passenden Rahmenbedingungen schaffen. Dazu gehört eine abwechslungsreiche Umgebung, Raum für Bewegung und, ganz besonders wichtig, die Interaktion mit Bezugspersonen, wie Eltern, Großeltern und Geschwistern (Eliot, 2012).

Laut Emmi Pikler (5. Auflage 2018, S. 17) lernt der Säugling nicht nur, „sich auf den Bauch zu drehen, nicht nur das Rollen, Kriechen, Sitzen, Stehen oder Gehen, sondern er lernt auch das Lernen. Er lernt, sich selbstständig mit etwas zu beschäftigen, an etwas Interesse zu finden, zu probieren, zu experimentieren. Er lernt, Schwierigkeiten zu überwinden. Er lernt Freude und Zufriedenheit kennen, die der Erfolg – das Resultat seiner geduldigen, selbstständigen Ausdauer – für ihn bedeutet.“

Dieses Lernen kann aber nur erfolgen, wenn der Säugling – und später das Kind – ausreichend Gelegenheit und Zeit erhält, Dinge auszuprobieren. Den ersten beiden Lebensjahren sollte dabei besonders viel Aufmerksamkeit und Beachtung geschenkt werden.

1.1DAS WICHTIGE ERSTE LEBENSJAHR

Im ersten Lebensjahr besteht Lernen vor allem in der Bewegungsentwicklung und der Entwicklung der Sinne. Dies erfolgt, wie Spitzer und Herschkowitz (2022) schreiben, vorwiegend durch den Hirnstamm. Frühkindliche Reflexmuster ermöglichen in dieser Zeit die Ansteuerung von Muskelgruppen und können als eine Art unwillkürlicher Trainingsreiz für die Reifung von Motoneuronen und somit die spätere Willkürmotorik gesehen werden.

Dabei hat jedes Kind seinen eigenen, individuellen Zeitplan im Entwicklungs-prozess. Abweichungen vom „normalen“, ärztlich und wissenschaftlich vorgegebenen Entwicklungsprozess sind völlig normal. Allerdings gibt es abweichende Muster, von denen bekannt ist, dass sie im weiteren Reifungsprozess zu Problemen führen können.

Ein besonderes Augenmerk sollte daher im ersten Lebensjahr auf den neuromotorischen Aufrichtungsprozess gelegt werden. Hierunter ist die selbstständige Aufrichtung des Säuglings gegen die Schwerkraft, aus der liegenden Position in den Stand, zu verstehen, die mit der Geburt beginnt.

Abb. 1: Neuromotorischer Aufrichtungsprozess

Durchläuft das klinisch gesunde Kleinkind diesen Prozess ohne Störungen und mit eigenständiger Erarbeitung der einzelnen Phasen, erfolgt meistens auch die weitere Entwicklung ohne Abweichungen. Im Rahmen dieses Aufrichtungsprozesses erlernt und trainiert das Kind auch seine Sinneswahrnehmung – Sehen, Gleichgewicht und Eigenwahrnehmung – und ein ausgeglichener Muskeltonus entwickelt sich.

Das Kind schafft die Grundlagen für eine weitere, gute kindliche Entwicklung. Die anfänglich noch primitiven, subkortikalen (Hirn-)Funktionen reifen und die Vernetzung mit den kortikalen Strukturen nimmt zu. Gleichzeitig nehmen frühkindliche Reaktionen und Reflexmuster, die das anfängliche Überleben sichern, ab.

1.2ABWEICHUNGEN IN DER ENTWICKLUNG

Abweichungen in der neuromotorischen Aufrichtung, die laut Beobachtungen aus der Praxis in der weiteren Entwicklung zu Problemen in der Motorik, Sensorik und Leistungsfähigkeit führen können, sind beispielsweise:

Dritter bis vierter Monat: Unreifer Ellbogen-Becken-Stütz und abweichende Hand-Mund-Koordination

In dieser Phase werden durch permanente Bewegungswiederholungen insbesondere die Muskeln im oberen Rumpf und im Hals-Nacken-Bereich trainiert. Nach regelmäßigem Training in den ersten drei Monaten, kann der Kopf in einer stabilen Mittelstellung gehalten werden. Der Unterarmstütz führt zu einer Öffnung und Ausreifung des Schultergelenks sowie zur Stärkung der Nacken-Schulter-Muskulatur.

Die Hände sind geöffnet. Dies bildet bereits die Grundlage für eine freie Schulterbeweglichkeit und eine gute Kraftübertragung für spätere grafomotorische Fertigkeiten wie Stifthaltung und lockere Linienführung. Durch den Beckenstütz und den damit verbundenen sensorischen Reiz auf den Unterbauch werden Verdauung und Darmreifung reguliert.

Die Extension der Wirbelsäule und die Abduktion der Hüfte werden ebenso trainiert wie die Aufrichtung der Hüfte, welche die Grundlage für späteres aufrechtes Sitzen bildet. Durch die freie Kopfbeweglichkeit werden Augenbewegungen wie isolierte Augenfolgebewegungen, Konvergenz und Divergenz trainiert und das beidäugige Sehen entwickelt sich.

Eine beispielsweise durch den Geburtsvorgang hervorgerufene geringe Kopfbeweglichkeit und Verspannungen im Nackenbereich können hier bereits zu einer eingeschränkten Blickmotorik mit ziellosen Augensprüngen und eingeschränktem beidäugigen Sehen führen.

Das Zusammenführen der Hände vor dem Gesicht und das Zusammenspiel der Füße in Bauch- und Rückenlage trainiert die Außenrotation der Beine, das Zusammenspiel der Sensomotorik sowie einen ausgewogenen Muskeltonus und damit eine physiologische Festlegung der Mittellinie des Körpers.

Fünfter bis siebter Monat: Unreifes Auge-Hand-Mund-Fuß-Zusammenspiel und abweichender Hand-Becken-Stütz

In dieser Phase werden insbesondere die tief liegende Wirbelsäulenmuskulatur, die Aufrichtung des Becken- und Schultergürtels sowie die Stützkraft der Hand trainiert. Unreifen in diesem Bereich können mit geringer Körperspannung, Beckenfehlstellungen sowie Bein- und Fußfehlstellungen einhergehen.

Eine gute Vorbereitung für das Krabbeln und das spätere Sitzen und Gehen ist so nicht gegeben. Zudem können sich weitere unphysiologische Tonusmuster mit Verspannungen im Nacken, eingeschränkter Atmung und geringer Fingerdifferenzierung entwickeln.

Achter bis zehnter Monat: Drehen, Langsitz und Krabbeln

Diese Phase ist gekennzeichnet durch ein Training der diagonalen Muskelzüge sowie des koordinierten Zusammenspiels der rechten und linken Körperseite. Das freie Sitzen erfordert ein Zusammenspiel von Motorik, Propriozeption und Gleichgewicht und stärkt die Rückenmuskulatur bei freier Arm- und Kopfbeweglichkeit. Dies sind alles wichtige Voraussetzungen für die weitere physiologische Entwicklung und das spätere Lernen.

An dieser Stelle ist deutlich zu sehen, dass Abweichungen in der motorischen Entwicklung immer auch Auswirkungen auf das zentrale Nervensystem haben, das heißt, die Reifung weiterer Körper- und Hirnfunktionen verläuft ebenfalls abweichend (Bein-Wierzbinski, Gehring, Knopp & Sepke, 2011).

Die Autoren möchten an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die oben genannten Auffälligkeiten nicht überbewertet werden sollten. Wie so oft ist hier ein aufmerksames Beobachten und Begleiten der kindlichen Entwicklung eine gute Wahl. Alle Eltern, Großeltern und Erzieher begleiten und fördern die Kinder in bester Absicht. Wichtig ist es uns aber, auf mögliche Anzeichen von Unreifen hinzuweisen, denn nur, was man weiß, kann man auch beobachten und bei Bedarf mit Ärzten oder Therapeuten besprechen.

Dazu ein Beispiel aus der Praxis: Ein Kind, welches beim Erlernen von Lesen und Schreiben Probleme hat, weil die Augen – trotz überprüfter Sehschärfe – kein klares Bild von den Buchstaben erzeugen, wird auf die Frage:

„Bewegen sich die Buchstaben oder werden diese immer wieder unklar?“, mit Ja antworten. Voraussetzung ist, dass wir diese Frage stellen.

Wenn den Bezugspersonen diese Möglichkeit nicht bekannt ist, werden sie diese Frage nicht stellen und sich weiterhin wundern, warum das Kind Probleme beim Lesen und Schreiben hat. Ein intensives Üben und Wiederholen der Buchstaben wird hier in der Regel keine grundlegende Verbesserung bringen.

1.3URSACHEN UND SYMPTOME

Ursachen für Entwicklungsverzögerungen können vielfältiger Natur sein. Neben organischen Störungen, die immer in die Hand von Ärzten gehören, sind in den letzten Jahren immer mehr Störungen zu beobachten, die bei organisch völlig gesunden Kindern mit normaler bis überdurchschnittlicher Intelligenz auftreten.

Diese Kinder zeigen Funktionsdefizite mit zum Teil aktiven Reflexmustern und haben Probleme mit der Informationsaufnahme und -verarbeitung (Forschungsinitiative ESF, 2017).

Die zutage tretenden Symptome reichen von LRS, Dyskalkulie, Leseschwäche über AD(H)S, Konzentrationsproblemen und Bewegungsungeschicklichkeit bis hin zu Ängsten, Schmerzen, Schwindel und vielem mehr. Allesamt Symptome, deren Ursache häufig in einer Unreife des Gehirns mit gestörter Wahrnehmung und Wahrnehmungsverarbeitung zu finden sind. Nach Meinung der Autoren sollte der Fokus nicht auf den Symptomen liegen, da diese nur das Ergebnis vorangegangener fehlerhafter Aufnahme- und Verschaltungsprozesse sind. Im schlechtesten Fall könnte dies zu einer Verstärkung des Problems führen.

Daher ist es wichtig, auf der Ebene des Nervensystems und somit vor allem der Wahrnehmungsverarbeitung zu handeln, welche die Grundlage für jegliches Funktionieren bildet.

Betrachten wir aber zunächst noch einmal die frühkindliche Entwicklung im ersten Lebensjahr. Jedes Kind lernt Gehen, Laufen, Radfahren und vieles mehr, auch wenn die Entwicklung im ersten Lebensjahr nicht nach Lehrbuch verlaufen ist. Zu beobachten ist jedoch, dass diese Kinder sich sogenannter Kompensationen oder Ersatzbewegungen bedienen.

Können Positionen nicht eingenommen werden, findet das Kind, oder, besser gesagt, das kindliche Gehirn, Wege, über unausgewogene Muskel-(Dauer-)Spannungen oder unökonomische Bewegungs- und Haltungsmuster diese muskulären Teilleistungsdefizite oder Unreifen zu kompensieren (Bein-Wierzbinski et al., 2011).

Solche Kompensationen führen aber – wie bereits erwähnt – zwangsläufig auch auf neuronaler Ebene zu Anpassungen in den Wahrnehmungssystemen. Zu nennen sind hier beispielsweise:

•Probleme bei der reflektorischen Stabilität und somit des Gleichgewichts (insbesondere vestibuläre Kerne im Hirnstamm);

•muskuläre Ansteuerungsprobleme insbesondere mit Auswirkungen auf die Feinmotorik und das ökonomische Zusammenspiel von Ober- und Unterkörper sowie der rechten und linken Körperseite (insbesondere Frontallappen und Kleinhirn);

•fehlerhafte Blickmotorik mit Bildaufnahme- und Bildverarbeitungsproblemen bis hin zum eingeschränkten binokularen Sehen (insbesondere Okzipitallappen und Frontallappen) sowie

•gestörte Eigen- und Fremdwahrnehmung mit Auswirkungen auf das Sozialverhalten (insbesondere Zwischenhirn).

Je frühzeitiger diese Unreifen in der Entwicklung erkannt werden, desto eher können weitere Kompensationen und daraus resultierende Symptome behoben oder zumindest gemindert werden. In dieser frühen Entwicklungsphase können Eltern und Bezugspersonen insbesondere für eine anregende, aber nicht reizüberladene Umgebung sorgen.

Babys und Kleinkinder benötigen hier insbesondere:

•regelmäßige und liebevolle Interaktion mit gleichbleibenden Bezugspersonen, die als Vorbild agieren;

•Körperkontakt (z. B. halten, tragen, massieren);

•Sicherheit und Motivation;

•Abwechslung;

•Raum und Zeit, Bewegungen zu üben (z. B. Krabbeldecke auf dem Boden);

•herausfordernde Bewegungsmöglichkeiten drinnen und draußen (klettern, schaukeln, rollen) und

•vielfältige Erfahrungen (kochen, backen, heimwerken, basteln, bauen).

1.4MÖGLICHKEITEN UND CHANCEN FRÜHKINDLICHER BEWEGUNG

Kinder bewegen sich gerne und mit Freude. Wir sollten diese wunderbare Eigenschaft nutzen, denn wenn etwas Spaß macht, ist die Chance sehr groß, dass man es für immer macht. In der Kindheit werden unsere Lebensgewohnheiten geprägt, wir behalten die dort gemachten Bewegungserfahrungen im motorischen Gedächtnis.

Selbst wenn im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter dann eine bewegungsarme Zeit durchlaufen wird, können Personen, die sich in ihrer Kindheit mit Spaß bewegt haben, dies auch im Erwachsenenalter wieder tun. Kinder benötigen dafür nicht viel, aber sie benötigen Vorbilder, die sich gemeinsam mit ihnen bewegen. Vorbilder, die selbst mit dem Rad fahren und Treppen hinaufsteigen, die über Baumstämme balancieren und die die Herausforderungen Klettergerüst, Wandertour und kleine Handwerks- und Hausarbeiten gemeinsam mit ihren Kindern meistern.

Es genügt nicht, diese Dinge und Aktionen nur anzuschauen, sondern Kinder müssen sie greifen und begreifen. Sie müssen anfassen, fühlen, riechen, schmecken, hören und sehen, um sich ein möglichst genaues Bild der Umwelt und des eigenen Körpers zu machen. Wichtig ist auch, dass Kinder den Sinn von zu erledigenden Aufgaben begreifen und diese mit Spaß und Eigeninitiative, begleitet durch die nötige Hilfe, erledigen.

Möglichst vielfältige Sinnes- und Körpererfahrungen bilden vielfältige Nervenverbindungen und somit eine gute Grundlage für die Funktionsfähigkeit des Gehirns. Zudem fördert Bewegung die Durchblutung und Stoffwechselvorgänge im Gehirn und damit Aufmerksamkeit und Konzentration.

Bei Kindern, die bereits in der frühen Kindheit Kompensationsmuster und Unreifen zeigen, können grundlegende Bewegungsübungen sowie neurozentrierte Übungen zur gezielten Aktivierung oder Hemmung von Hirnarealen deutliche Verbesserungen bewirken. Diese Aussage stellt unmissverständlich klar, dass das Gehirn und mit ihm die vielfältigen Wahrnehmungsprozesse unbedingt im Mittelpunkt aller therapeutischen und pädagogischen Bemühungen stehen müssen. Unreifen in der Entwicklung sind im Grunde Probleme der Informationsaufnahme oder deren Verarbeitung im zentralen Nervensystem, insbesondere im Gehirn.

Der Fokus auf die Bedeutung der frühkindlichen Entwicklung hat bereits die entscheidende Rolle der ersten Lebensjahre für die neuronale und kognitive Entwicklung hervorgehoben. Daher müssen gezielte Übungen konsequent darauf abzielen, nicht nur die manifesten Symptome in Form von Kompensationsmustern oder motorischen Defiziten zu adressieren, sondern auch die darunterliegenden unreifen Hirnstrukturen.