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Sprachförderung ist nach wie vor eines der gefragtesten Themen im pädagogischen Alltag. Die Relevanz des Themas ergibt sich auch vor dem Hintergrund der Integration hier lebender zugewanderter Kinder. Die aktualisierte Neubearbeitung des bewährten Titels beschreibt unter Berücksichtigung neuester Erkenntnisse, wie Kinder Sprache erwerben. Dabei wird dem mehrsprachigen Spracherwerb ein breiter Raum eingeräumt. Das Buch gibt Anregungen und zeigt anhand vieler Fallbeispiele, wie Erzieherinnen die Kinder bei dieser faszinierenden Aufgabe begleiten und unterstützen können.
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Seitenzahl: 282
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Uta Hellrung
Sprachentwicklung und Sprachförderung
beobachten – verstehen – handeln
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2012 Alle Rechte vorbehalten www.herder.de Umschlagkonzeption und -gestaltung: SchwarzwaldMädel, Simonswald Umschlagfoto: © Corbis Photography – Veer.com Fotos im Innenteil: Hartmut W. Schmidt, Freiburg ISBN (E-Book): 978-3-451-34666-8 ISBN (Buch): 978-3-451-32662-2
Vorwort
1. Wie sich Kommunikation und sprachliche Fähigkeiten entwickeln
1.1 Was ist Sprache und Kommunikation?
1.2 Wie funktioniert Sprechen und Verstehen?
1.3 Was ist normal? Die Schwierigkeit von Altersnormen
1.4 Vom ersten Tag an – Die frühe Kommunikation
1.5 »Was ist Figur?« – Der Wortschatz
1.6 Deutlich sprechen – Die Aussprache
1.7 Die Melodie der Sprache – Die Prosodie
1.8 »Das hat sich gleich angehört« – Die phonologische Bewusstheit
1.9 »Hab schon abgeschneidet« – Die Grammatik
1.10 »Ich verstehe, was du sagst« – Das Sprachverständnis
1.11 Zeit lassen – Die Sprechflüssigkeit
1.12 Sprachliche Fähigkeiten gebrauchen – Die Pragmatik
1.13 Schnittstellen in der Sprachentwicklung
1.14 Mehrsprachig aufwachsen
2. Sprachentwicklung und kindliche Gesamtentwicklung
2.1 Mit allen Sinnen – Die Wahrnehmung
2.2 Die Entwicklung der Motorik
2.3 Das Wissen über sich selbst und die Welt – Die kognitive oder geistige Entwicklung
2.4 Mit anderen in Kontakt treten – Die sozial-kommunikative Entwicklung
2.5 Die Rolle des Inputs – Sprachvorbild und soziales Umfeld
3. Sprachförderung im Kindergarten
3.1 Was ist Sprachförderung?
3.2 Wer braucht Sprachförderung?
3.3 Wer braucht Sprachtherapie?
3.4 Was bedeutet alltagsintegrierte Sprachförderung?
3.5 Sprachförderndes Verhalten
3.6 Reflektieren der eigenen Arbeit
3.7 Sprachförderung bei Kindern, die Deutsch als Zweitsprache lernen
3.8 Sprachförderung bei Kindern unter drei Jahren
3.9 Förderung der phonologischen Bewusstheit
3.10 Förderung der Literacy
3.11 Zusammenarbeit mit Eltern
3.12 Ermittlung des Sprachstandes/Feststellung von Förderbedarf/Diagnostizieren/Beobachten/ Dokumentieren
3.13 Spielideen zur allgemeinen Sprachförderung
4. Behandlungsbedürftige Störungen von Sprache, Sprechen und Stimme
4.1 Störungen der Sprachentwicklung
4.2 Myofunktionelle Störungen
4.3 Stottern
4.4 Poltern
4.5 Stimmstörungen
4.6 Die Rhinophonie
4.7 Der Weg zur Logopädin / Sprachtherapeutin
Literatur
Noch vor zehn Jahren, bei der Arbeit an der ersten Auflage dieses Buches, war nicht abzusehen, welche Bedeutung das Thema »Sprachförderung« in der bildungspolitischen Diskussion, aber auch im Alltag von Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen1 erhalten würde.
Kinder lernen in wenigen Jahren die Bedeutung vieler tausend Wörter. Sie lernen, wie diese Wörter nach den Regeln ihrer Muttersprache ausgesprochen werden müssen, und sie eignen sich Wissen darüber an, wie man diese Wörter zu Sätzen kombiniert. Kinder lernen aber auch, Sprache zu verstehen und je nach Situation und Gesprächspartner angemessen zu benutzen. Ich bin immer wieder neu fasziniert davon, wie mühelos die meisten Kinder diese gewaltige Aufgabe bewältigen. Das gelingt wohl vor allem deshalb so gut, weil genetische Voraussetzungen, die die Kinder bereits mit auf die Welt bringen, und das intuitive Verhalten ihrer Bezugspersonen perfekt zusammenpassen.
Über viele dieser intuitiven Verhaltensweisen verfügen auch die pädagogischen Fachkräfte, die professionell mit Kindern umgehen und ihre Sprachentwicklung begleiten. Da sie im Kindergarten aber mit vielen Kindern gleichzeitig zu tun haben und auch auf Kinder treffen, die sich nicht so leicht mit dem Spracherwerb tun oder Deutsch als zweite Sprache lernen, kommt es darauf an, sprachförderndes Verhalten bewusst einzusetzen.
Erzieherinnen und Sozialpädagoginnen, die die Sprachentwicklung von Kindern begleiten, sollen in diesem Buch Informationen
• zum ein- und mehrsprachigen Spracherwerb,
• zu den Entwicklungsbereichen, die eng mit dem Spracherwerb zusammenhängen,
• und zu behandlungsbedürftigen Sprachentwicklungsstörungen finden.
Außerdem gibt es viele Anregungen, um das eigene sprachfördernde Verhalten den Kindern gegenüber zu reflektieren und weiter zu professionalisieren. Das bedeutet vor allem, die Dialogangebote der Kinder aufzugreifen und so mit ihnen in einen kommunikativen Austausch zu kommen. Dabei ist mir besonders wichtig, dass die Freude an Sprache und Kommunikation im Vordergrund der Sprachförderung steht – bei allen Beteiligten.
Uta Hellrung
1
In diesem Kapitel erfahren Sie:
• was uns mit Sprache alles möglich ist
• wie die Sprachverarbeitung funktioniert
• auf welchen Ebenen man Sprache betrachten kann
• wie schon ganz kleine Kinder mit ihren Bezugspersonen kommunizieren
• wie Kinder Sprache erwerben und welche Fähigkeiten sie dafür mitbringen
• wie sich Bezugspersonen von Kindern im Spracherwerb verhalten
• wie Kinder zwei oder noch mehr Sprachen erwerben können.
Betrachtet man ein Kindergartenkind im Hinblick auf seine sprachlichen Fähigkeiten, so muss man darüber staunen, welch enorme Leistung es bis zu diesem Zeitpunkt bereits bewältigt hat. Es hat eine riesige Menge an Wörtern erworben und kann diese in entsprechenden Situationen verstehen und benutzen. Es kann die meisten dieser Wörter richtig aussprechen. Dazu muss es alle Laute bilden können und wissen, wie diese in unserer Sprache kombiniert werden. Es hat gelernt, wie Wörter zu Sätzen kombiniert werden und dabei Regeln und Ausnahmen unserer Grammatik kennengelernt. Und schließlich arbeitet es daran, seine Gedanken in flüssige Sprache umsetzen zu können. Ganz entscheidend aber ist, dass das Kind begriffen hat, welche Möglichkeiten ihm die Sprache eröffnet. Mit der Sprache kann es eigene Wünsche und Vorstellungen differenziert äußern, neues Wissen über die Welt erwerben und den Kontakt mit seinen Bezugspersonen aktiv gestalten.
Den meisten Kindern scheint diese gewaltige Aufgabe recht mühelos zu gelingen. Die Regeln unserer Sprache müssen Kinder nicht explizit lernen, ganz im Gegensatz zu Erwachsenen, die sich eine Fremdsprache oft mühsam aneignen müssen. Kinder lernen ihre Muttersprache und sogar mehrere Sprachen implizit. Würde man sie nach den zugrunde liegenden Regeln fragen, könnten sie keine einzige in Worte fassen. Trotzdem können sie sie ständig anwenden und machen erstaunlich wenige Fehler dabei. Ganz ohne Anstrengung gelingt es ihnen auch, eine riesige Zahl neuer Wörter zu lernen. Eine solche Menge an Vokabeln könnte kein Erwachsener in einer Fremdsprache in so kurzer Zeit erwerben.
Kinder sind bereits von Geburt an mit Fähigkeiten ausgestattet, die ihnen den Zugang zur Sprache eröffnen und diesen riesigen Lernerfolg ermöglichen. Schon lange bevor ein Kind seine ersten Wörter äußert, erweitert es ständig sein Wissen über den Klang und die Struktur unserer Sprache und über die Bedeutung der Wörter.
Ganz wichtig für den weiteren Spracherwerb sind auch die kommunikativen Erfahrungen, die Kinder im ersten Lebensjahr machen. Sie lernen, dass sie mit ihren Lauten die Aufmerksamkeit der Bezugspersonen auf sich lenken können und dann bestimmte Wünsche und Bedürfnisse erfüllt werden, und sie lernen, dass Sprechen und Kommunizieren an sich etwas ist, das Spaß macht und viele Möglichkeiten für neue Spiele eröffnet.
Mit anderen in Kontakt treten
Kommunizieren bedeutet vor allem, mit anderen in Kontakt zu treten. Wenn wir kommunizieren, können wir andere auffordern, etwas Bestimmtes zu tun, sie über ein Ereignis informieren, ihnen unsere Pläne oder Überlegungen mitteilen, etwas über ein Erlebnis erzählen oder über eine Geschichte, die wir gehört haben. Wir können Gedanken und Gefühle ausdrücken, von Erfahrungen berichten, Wünsche und Ideen kundtun oder Streitigkeiten lösen und Kompromisse aushandeln (vgl. Funk et al. 2010). Um Kommunikationsprozesse zu erklären, wurden verschiedene Modelle entwickelt. Ein gängiges Kommunikationsmodell ist das »Nachrichten«-Modell, in dem eine Nachricht vom Sender zum Empfänger geschickt wird. Es werden also Informationen zwischen den Gesprächspartnern übermittelt. Dabei geht es zum einen um Inhalte, die übermittelt werden sollen. In jeder Nachricht stecken aber auch Anteile, die die Beziehung zwischen Sender und Empfänger betreffen.
Zeichen und Symbole
Zur Übermittlung von Inhalten brauchen wir Zeichen und Symbole. Die meisten Menschen verwenden die Zeichen und Symbole der Lautsprache, nämlich gesprochene Wörter. Aber wir können uns auch mithilfe der Schriftsprache verständigen. Viele Menschen kommunizieren auch über die Gebärdensprache. Sprachliche Symbole sind willkürlich. Ferdinand de Saussure, ein Schweizer Sprachwissenschaftler (1857-1913), prägte dafür den Begriff der »Arbitrarität«. Dass sprachliche Zeichen »arbiträr« sind bedeutet, dass die Beziehung zwischen dem Bezeichnenden, also z.B. der Wortform auf der einen Seite und dem Bezeichneten, also dem, was das Wort meint, auf der anderen Seite nicht naturgegeben ist. Man könnte auch sagen: Die Beziehung zwischen dem Wort und seiner Bedeutung wurde von Menschen festgelegt. Sie ist deshalb willkürlich und beruht auf Konvention und Vereinbarung. Diese Konventionen sind natürlich von Sprache zu Sprache unterschiedlich. Deshalb kann das gleiche Tier im Deutschen mit »Hund«, im Französischen mit »chien«, im Englischen mit »dog« und im Spanischen mit »perro« bezeichnet werden. Anders als das lautmalerische »dingdong« lässt z.B. das Wort »Glocke« (oder »bell«) nur etwas über seinen Inhalt erkennen, wenn der Sprecher es als Symbol für das, was es bezeichnet, gelernt hat.
Unendlicher Gebrauch von endlichen Mitteln
In der Regel kommunizieren wir natürlich nicht mit Einzelwörtern. Das Besondere an Sprache ist, dass man mit ihr unendlich viele neue Sätze konstruieren kann, und zwar auch solche, die man noch nie gehört hat. Dafür braucht Sprache ein System. Wenn man Wörter mit anderen Wörtern kombiniert, verändern diese sich nach bestimmten Regeln. Verben erhalten z.B. in Kombination mit dem Pronomen »du« (2.Person Singular) die Endung »-st« (du spielst, du läufst, du lachst). Substantive ändern ihre Form, je nachdem ob sie im Singular oder Plural gebraucht werden (Tier/Tiere, Jacke/Jacken, Auto/Autos) und in Abhängigkeit davon, in welchem »Fall« sie stehen (der Hund, des Hundes, den Hund, dem Hund). Wir können auch mehrere Wörter zu neuen Wörtern kombinieren (»Spielkreislieder«). Und schließlich stellt die Sprache uns auch für die Kombination von Wörtern zu Sätzen bestimmte Regeln zur Verfügung: »Ich spiele im Garten« und nicht »Spiele im Garten ich« (vgl. Szagun 2010).
Kinder lernen also im Spracherwerb die festgelegten, konventionellen Symbole ihrer Sprache – die Wörter. Sie erwerben die Regeln, die gebraucht werden, um aus Wörtern Sätze zu bilden. Das Wichtigste aber ist vielleicht, dass sie all die Möglichkeiten entdecken, die ihnen Sprache und Kommunikation eröffnen.
Gemeinsamer Hintergrund
Wenn wir kommunizieren, dann tun wir das in der Regel vor einem gemeinsamen Hintergrund (vgl. Tomasello 2009). Wenn ein Freund den anderen fragt »Hat es geklappt?«, dann bezieht er sich auf einen Sachverhalt, den beide kennen und von dem beide wissen, dass auch der andere ihn kennt. Wenn eine Frau ihrer Freundin erzählt: »Ich habe doch den grünen genommen«, teilen sie ein gemeinsames Wissen. Im Falle der beiden Freundinnen wird sich das gemeinsame Wissen vielleicht auf einen Einkaufsbummel beziehen, bei dem eine der beiden Frauen einen grünen und einen blauen Pullover anprobiert hat. Da beide Frauen sich an dieses Ereignis erinnern können, müssen die entsprechenden Inhalte gar nicht sprachlich ausgedrückt werden. Weil die Sprecherin sich auf dieses Wissen bezieht, reichen sehr knappe sprachliche Informationen aus, damit die Freundin weiß, wovon die Rede ist.
Der »gemeinsame Hintergrund« zweier Kommunikationspartner kann sich auf unmittelbar Wahrnehmbares beziehen (»Guck mal da oben«), auf vorausgegangene gemeinsame Erlebnisse (»Weißt du noch, das Eis in Venedig?«), auf ein gemeinsames Ziel (»Versuch nochmal andersrum«) oder auch auf gemeinsames kulturelles Wissen. Die meisten Menschen wissen, wie ein Fußballspiel funktioniert. Deshalb genügen in diesem Zusammenhang häufig sehr knappe sprachliche Wendungen (»Tor für den FC«).
Je mehr zwischen den Kommunikationspartnern als geteiltes Wissen vorausgesetzt wird, umso weniger muss also offen ausgedrückt werden. Kinder nutzen diesen gemeinsamen Hintergrund im Spracherwerb z.B., um Hypothesen darüber zu bilden, was ein Wort, das sie nie vorher gehört haben, bedeutet.
Innere Sprache
Sprache ist aber nicht nur in der Kommunikation mit anderen wichtig. Sprache ist auch notwendig, damit wir unsere eigenen Gedanken strukturieren oder uns mit neuen Zusammenhängen auseinandersetzen können. Mithilfe von Sprache können wir uns Dinge merken, unsere Gedanken strukturieren, Für und Wider abwägen und mit unseren Gedanken weit über das Hier und Jetzt hinausgehen. So können wir uns mit Ereignissen und Fragen auseinandersetzen, die sich auf die Vergangenheit bzw. Zukunft beziehen oder andere Länder und Kontinente betreffen. Wir können sogar ganze Gedankenwelten schaffen, die mit der aktuellen Situation gar nichts zu tun haben. Allein das Hören des Wortes »Urlaub« reicht aus, um uns in völlig andere Welten zu träumen.
Natürlich haben die meisten Menschen eine Vorstellung darüber, was beim Sprechen und beim Verstehen von Sprache passiert. Trotzdem ist wahrscheinlich den Wenigsten bewusst, wie viele verschiedene Leistungen notwendig sind, damit sich jemand im Gespräch äußern, aber auch seinen Gesprächspartner verstehen kann. Sprachwissenschaftler haben verschiedene Modelle entwickelt, um Sprachproduktion und Sprachverarbeitung nachvollziehbar zu machen. Das folgende Beispiel illustriert die einzelnen Schritte im Sprachverarbeitungsmodell von Willem Levelt (1993):
Kai sagt zu seiner Mutter den Satz: »Ich schenke dir das Bild!«
Zunächst einmal muss Kai überhaupt den Wunsch haben, etwas zu sagen. Er hat eine kommunikative Absicht, weil er seiner Mutter eine Freude machen möchte. Nun muss in Kais Kopf eine Entscheidung darüber getroffen werden, welche Informationen für seine Äußerung relevant sind. Dabei muss berücksichtigt werden, was die Mutter schon an Vorinformationen hat: »Das Bild« bezieht sich in diesem Fall auf etwas, was vor ihr auf dem Tisch liegt und von Kai aus dem Kindergarten mitgebracht wurde. Anschließend werden für die Übermittlung dieser Informationen die entsprechenden Wörter gesucht. Dabei muss Kai Wörter aus seinem Wortspeicher im Gedächtnis aktivieren. Dieser Wortspeicher wird auch »Mentales Lexikon« genannt. Hier sind alle Wörter gespeichert, die Kai kennt. Dabei sind mit jedem Wort unterschiedliche Informationen verknüpft. Zum einen gibt es hier Informationen über die Wortbedeutung, also darüber, wie ein Bild normalerweise aussieht, darüber, dass es verschiedene Bilder gibt, dass es Bilder auf Papier und auf Wänden gibt, dass man im Kindergarten selbst Bilder malen kann usw. Zu einem Worteintrag im mentalen Lexikon gehören zum anderen grammatische Informationen. Mit dem Wort »Bild« ist die Information verknüpft, dass es sich um ein grammatisches Neutrum handelt (das Bild). Bei den Verben sind die grammatischen Informationen besonders wichtig, weil sie die Grundlage für die grammatische Satzplanung liefern.
Das Wort »schenken« benötigt z.B. drei »grammatische Mitspieler« (vgl. Tracy 2008; Jampert et al. 2009):
• jemanden, der etwas verschenkt (ich)
• jemanden, dem etwas geschenkt wird (dir)
• und etwas, das verschenkt werden soll (das Bild).
Wenn Kai das Wort »schenken« aus seinem mentalen Lexikon aktiviert hat, werden automatische »Leerstellen«, also Lücken für diese Mitspieler mitgeliefert.
Aber das mentale Lexikon verfügt auch über Informationen über die Wortform, also den Namen des Objektes mit seinem Klang. Die Wortform enthält die sogenannte »phonologische Struktur«, z.B.Informationen über die Silbenanzahl, die Lautstruktur und die Betonung des Wortes. Wenn im mentalen Lexikon die Wörter »gefunden« wurden und die Wortformen mit ihrer phonologischen Struktur und dem genauen Plan zur Aussprache der Wörter aktiviert wurden, kann dieser Plan in Bewegung umgesetzt werden. Kai spricht seinen Satz: »Ich schenke dir das Bild!«
All diese Verarbeitungsschritte müssen natürlich unglaublich schnell aufeinanderfolgen. Beim flüssigen Sprechen, also z.B. in einem normalen Gespräch, werden etwa zwei bis drei Wörter pro Sekunde gesprochen. Das heißt, dass all die zuvor beschriebenen Verarbeitungsschritte innerhalb von Sekundenbruchteilen stattfinden. Diese hohe Geschwindigkeit ist nur dadurch zu erreichen, dass ein großer Teil der Sprachverarbeitung unbewusst und nahezu automatisch abläuft.
Auch um Sprache verstehen zu können, müssen wir vielfältige Leistungen erbringen. Kais Mutter antwortet auf den Satz ihres Sohnes: »Ich freue mich riesig darüber. Gehen wir nachher noch ein Eis essen?« Kai muss den Antwortsatz der Mutter zunächst einmal hören. Sein Ohr muss also Schallwellen aufnehmen. Bei der ersten akustischen Verarbeitung im Gehirn muss dann entschieden werden, ob es sich bei dem Gehörten um Geräusche oder Sprachlaute handelt. Während die Verarbeitung von Störgeräuschen unterdrückt wird, müssen die für die Sprachverarbeitung relevanten Informationen herausgefiltert werden. Die Prosodie, also die Sprachmelodie, lässt Kai den zweiten Teil der Äußerung als Frage erkennen. Außerdem registriert er den fröhlichen und wohlwollenden Tonfall seiner Mutter. Schließlich beginnt das phonologische Entschlüsseln. Dabei muss z.B. der Lautstrom
»ichfreuemichriesigdarüberwollenwirnachhernocheineisessengehen?«
in Teile zerlegt werden. Nun wird es möglich, aus den Kombinationen von Lauten Wörter zu erkennen, die für Kai Bedeutung haben. Um von der Lautkombination auf die Bedeutung zu kommen, muss Kai wieder sein mentales Lexikon aktivieren. Hier muss er die Bedeutung der Wörter sozusagen »nachschlagen«. Um eine ganze Äußerung, also z.B. einen kompletten Satz, verstehen zu können, reicht es jedoch nicht aus, jedes Wort einzeln zu verstehen. Wir benötigen grammatisches Wissen, um die Wörter zueinander in Beziehung zu setzen und so die Bedeutung der Äußerung insgesamt zu erschließen (»grammatisches Entschlüsseln«). Oft unterscheidet sich dabei die Bedeutung einer ganzen Äußerung beträchtlich von der Bedeutung der einzelnen Wörter. Das Wort verschlingen bekommt z.B. in der Äußerung ein Buch verschlingen eine ganz neue Bedeutung, ebenso wie das Wort schenken völlig unterschiedliche Tätigkeiten bezeichnet in:
• Er schenkt ihr eine Blume.
• Er schenkt ihr ein Glas Wein ein.
• Er schenkt ihr reinen Wein ein.
Wenn Kai die Worte der Mutter grammatisch entschlüsselt hat, folgt noch das sogenannte »Diskursverständnis«. Kai muss aufgrund des gemeinsamen Hintergrundes, aus dem sprachlichen und situativen Kontext erschließen, auf welchen Sachverhalt sich ihr Satz und ihre Frage beziehen. Er weiß, dass sich »darüber« in diesem Fall auf sein Bild bezieht. Die anschließende Frage der Mutter – »Gehen wir nachher noch ein Eis essen?« – kann Kai aufgrund früherer Erfahrungen verstehen. Kai war mit seiner Mutter schon häufiger in der Eisdiele direkt um die Ecke und diese Erfahrungen nutzt er, wenn er sich nun ein inneres Bild des Gesagten aufbaut. Da Kai mit seiner Mutter auch das Wissen um bestimmte Gesprächsregeln teilt (vgl. Rausch 2003), weiß er, dass auf die Frage nun von ihm eine Antwort erwartet wird.
Sprachverarbeitungsmodell in Anlehnung an Levelt 1993
Um entscheiden zu können, ob ein Kind altersgerecht in seiner Sprachentwicklung ist, muss man genau wissen, wie die Sprachenwicklung verläuft. Man muss aber auch wissen, in welchem Alter normalerweise welcher Erwerbsschritt stattfindet.
Wann muss ein Kind laufen können? Julias Mutter berichtet stolz, dass ihre Tochter bereits mit zehn Monaten laufen konnte. Die Mutter von Felix war schon ein wenig besorgt, weil ihr Sohn fast anderthalb Jahre alt war, als er die ersten freien Schritte wagte. Im weiteren Verlauf entwickelten sich beide Kinder ganz unauffällig.
»Normale Entwicklung« umfasst ein breites Spektrum. Auch in der Sprachentwicklung sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Kindern beträchtlich. Szagun (2010) stellt in einer Studie fest, dass es Kinder gibt, die bereits mit 18Monaten 185 verschiedene Wörter benutzen können, während andere auf eine ähnlich hohe Zahl erst mit 29Monaten kommen. Der Entwicklungsunterschied beträgt hier also elf Monate!
Gerade bei der Sprachentwicklung stellt sich darüber hinaus noch ein weiteres Problem. Die ersten Schritte sind ja relativ leicht zu erkennen. Aber wann kann man vom ersten Wort sprechen?
Lisa sagt immer »ba«, wenn sie einen Ball sieht. Florian kann zwar »Ball« sagen, benutzt dieses Wort aber auch für Apfelsinen, eine Abbildung vom Mond und überhaupt für alles, was rund ist. Wer von den beiden Kindern spricht nun das erste Wort?
Wenn man über »normale« Entwicklung spricht, muss man sich also darüber im Klaren sein, dass Altersangaben zum Teil unterschiedliche Definitionen zugrunde legen und dass die Variationsbreite in der Entwicklung groß ist.
Zum Glück gibt es mittlerweile viele Untersuchungen, in denen große Stichproben von Kindern im Hinblick auf Aussprachefähigkeiten oder andere sprachliche Fähigkeiten untersucht wurden. Anhand solcher Untersuchungen kann man dann sagen: »Im Alter zwischen 3;6 und 3;11Jahren können 75Prozent der Kinder das/sch/ korrekt aussprechen.« Oder: »Im Alter zwischen 4;6 und 4;11Jahren können 90Prozent der Kinder das/sch/ richtig aussprechen« (Fox/Dodd 1999). Hier bietet der Vergleich gleichaltriger Kinder die Chance zu erkennen, welche Kinder in ihrer Entwicklung wirklich Probleme haben.
Aber nicht nur in der Geschwindigkeit, auch in der Art und Weise, wie Kinder Sprache erwerben, gibt es Unterschiede. Nelson (1973, zitiert in Szagun 2010) hat schon früh auf verschiedene Spracherwerbsstile hingewiesen. Während eine Gruppe von Kindern sich eher auf Objekte bezieht, nimmt die andere Gruppe vor allem Bezug auf Menschen und soziale Interaktionen. Folgerichtig verwendet die erste Gruppe viele Nomen und die zweite Gruppe viele Pronomen, aber auch feststehende Ausdrücke (z.B. »stop it«, »do that«, »thank you«).
Marie ist zwanzig Monate alt. Sie redet gerne und viel. Sie produziert lange Monologe, die in der Satzmelodie der Erwachsenensprache ähneln, in denen aber nur einzelne Wörter zu verstehen sind. Mit der Zeit kann man immer mehr Wörter erkennen. Immer häufiger tauchen in Maries Redestrom Wörter wie »da«, »rein« oder kurze Redewendungen wie »ich auch« auf.
Jan ist auch zwanzig Monate alt. Er kommentiert draußen alles, was er sieht. Seine Wörter sind gut zu verstehen, seine Äußerungen bestehen aber selten aus mehr als zwei Wörtern: »Jan Bus«, »Auto fahren«, »große Bett«.
Während Jan das Lexikon als Einstieg in die Welt der Sprache benutzt und Wörter erwirbt, die er dann kombiniert, imitiert Marie ganze Phrasen anhand der Satzmelodie. Marie verwendet viele Funktionswörter und feststehende Ausdrücke. Deshalb gibt es in ihrer Sprache auch schon früh verschiedene grammatische Formen, die sie aber noch nicht verallgemeinern kann. Jan benutzt dagegen überwiegend Inhaltswörter (Nomen, Verben, Adjektive). Diese kombiniert er. Wenn in Jans Sprache grammatische Formen auftauchen, dann hat er diese als Regeln erkannt und kann sie nun konsequent anwenden. Marie geht also »ganzheitlich« an die Sprache heran, während Jan analytisch vorgeht. Er zerlegt die Sprache in einzelne Elemente, die er dann wieder kombinieren kann. Natürlich gibt es diese Spracherwerbsstile nicht in »Reinform«. Beide Strategien kommen bei jedem Kind vor, aber es scheint Vorlieben für die eine oder die andere Strategie zu geben (vgl. Grimm 1995; Szagun 2010).
Wann beginnt die Sprachentwicklung? Lange bevor ein Kind sein erstes Wort äußert, hat es begonnen, mit seinen Bezugspersonen zu kommunizieren. Der Dialog zwischen Mutter und Kind beginnt im Grunde genommen schon vor der Geburt. Bereits zu Beginn der Schwangerschaft gibt es eine Informationsübermittlung auf biochemischem Weg. Die Mutter verspürt z.B.Übelkeit oder Heißhunger. Auf diese Weise wird der Fötus vor ungünstigen Stoffen geschützt bzw. bekommt wichtige Nährstoffe.
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