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«Es muss nicht Sylt sein, in Neuharlingersiel passiert doch auch genug.» Dora Heldt Von wegen friedlicher Lebensabend! Kaum sind die Bewohner in die nigelnagelneue Beninga-Seniorenresidenz eingezogen, schwimmt eine Leiche im Teich. Da ein Unfall ausgeschlossen werden kann, muss die Kripo Wittmund ermitteln, wer der jungen Frau des erfolgreichen Unternehmers Erich Beninga nach dem Leben trachtete. Ihr über vierzig Jahre älterer Ehemann hätte ein Motiv, denn in Neuharlingersiel munkelt man, sie habe ein Verhältnis gehabt. Doch die Dame hat sich auch anderweitig eine Menge Feinde gemacht, wie Dorfpolizist Rudi Bakker, Postbote Henner und Lehrerin Rosa herausfinden. Erschwerend kommt hinzu, dass Rudis Ex-Frau Denise in die Sache verwickelt ist. Das Trio beginnt, fleißig Nachforschungen anzustellen, denn in der Seniorenresidenz gab es jede Menge Streit. Und es dauert nicht lange, bis man eine zweite Leiche findet. «Ich liebe diese Reihe!!!» Gisa Pauly
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Seitenzahl: 310
Veröffentlichungsjahr: 2025
Christiane Franke • Cornelia Kuhnert
Ein Ostfriesen-Krimi
Von wegen friedlicher Lebensabend!
Kaum sind die Bewohner in die nigelnagelneue Beninga-Seniorenresidenz eingezogen, schwimmt eine Leiche im Teich. Da ein Unfall ausgeschlossen werden kann, muss die Kripo Wittmund ermitteln, wer der jungen Frau des erfolgreichen Unternehmers Erich Beninga nach dem Leben trachtete. Ihr über vierzig Jahre älterer Ehemann hätte ein Motiv, denn in Neuharlingersiel munkelt man, sie habe ein Verhältnis gehabt. Doch die Dame hat sich auch anderweitig eine Menge Feinde gemacht, wie Dorfpolizist Rudi Bakker, Postbote Henner und Lehrerin Rosa herausfinden. Erschwerend kommt hinzu, dass Rudis Ex-Frau Denise in die Sache verwickelt ist. Das Trio beginnt, fleißig Nachforschungen anzustellen, denn in der Seniorenresidenz gab es jede Menge Streit. Und es dauert nicht lange, bis man eine zweite Leiche findet.
«Es muss nicht Sylt sein, in Neuharlingersiel passiert doch auch genug.» Dora Heldt
Christiane Franke wurde an der Nordseeküste geboren und lebt immer noch gerne dort. Neben ihren gemeinsamen Projekten mit Cornelia Kuhnert schreibt sie weitere Krimis und Romane, die im Emons Verlag und im Goya Verlag erscheinen.
Cornelia Kuhnert lebt in Hannover und hat dort als Lehrerin gearbeitet. Sie hat bereits zahlreiche Kriminalromane veröffentlicht und Anthologien herausgegeben.
Neben ihrer Bestsellerserie um Henner, Rudi und Rosa veröffentlichen die Autorinnen bei rororo eine Krimireihe um Heißmangelbetreiberin Martha Frisch, die in den Fünfzigerjahren in Leer ermittelt.
Mehr über die Autorinnen unter: www.kuestenkrimi.de
«Zum Brüllen komisch, echter ostfriesischer Humor (nicht zu verwechseln mit platten Ostfriesenwitzen). Situationskomik aus dem prallen Leben!» Klaus-Peter Wolf
«Das Autorinnen-Duo schreibt fluffig-liebenswerte Geschichten mit viel Sympathie für die Figuren.» Nicola Förg
«Wer geglaubt hat, dass er Ostfriesland kennt, der wird hier eines Besseren belehrt – und das mit einer saftigen Portion Spannung und vor allem Humor!» Margarete von Schwarzkopf
«Küste ist Kult. Wie so oft macht es die richtige Mischung – und die gelingt Christiane Franke und Cornelia Kuhnert besonders gut.» Krimi – Das Magazin
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2025
Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
Covergestaltung yellowfarm gmbh, Stefanie Freischem
Coverabbildung Getty Images; Beate Margraf, Ewald FR/ImageBroker/Mauritius Images; Shutterstock
ISBN 978-3-644-02014-6
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Grete Kleinmeier ist mit sich und der Welt zufrieden. Seit Kurzem bewohnt sie ein helles und großzügiges Apartment in der exklusiven Seniorenresidenz «Beningaburg». Die Entscheidung hierherzuziehen hat sie getroffen, ohne mit ihren Kindern darüber zu sprechen. Und das hat sich als ausgesprochen weitsichtig erwiesen, denn sosehr die drei sich untereinander auch misstrauisch beäugen, was die mütterlichen finanziellen Zuwendungen betrifft, umso einiger waren sie sich in dem Punkt, dass man in ihrem Alter keine achttausend Euro monatlich für eine Unterkunft ausgeben sollte.
Grete freut sich geradezu diebisch darüber, mit jedem Monat, den sie hier verlebt, das Erbe ihrer Kinder zu schmälern. Auf diese Art müssen die drei sich nach ihrem Tod wenigstens nicht übers Geld in die Haare kriegen. Ist ja dann kaum noch etwas übrig.
Im Gegenteil. Sollte es dem lieben Gott gefallen, sie noch über zwanzig Jahre leben zu lassen, wäre es durchaus möglich, dass ihre Kinder am Ende noch zur Kasse gebeten werden.
Das wäre nur gerecht, denkt sie, als sie auf dem Muschelkalkweg zum kleinen Teich flaniert. Schließlich haben sie und ihr verstorbener Mann die Söhne lange genug finanziert. Das eigene Auto nach dem Abitur – kein Gebrauchter, natürlich nicht. Das in die Länge gezogene Studium, die großzügigen Starthilfen bei der Existenzgründung, die Zuschüsse zu den drei Eigenheimen. Niemand kann den Kleinmeiers vorwerfen, sie hätten ihre Kinder am langen Arm verhungern lassen.
Aber nun ist sie an der Reihe. Diese Residenz ist genau das Richtige, und sie schiebt jeden Anflug eines schlechten Gewissens beiseite und genießt stattdessen den Blick auf die gepflegte Grünanlage, an deren Rand die Pfingstrosen blühen. «Moin, Frau Kleinmeier.» Denise Bakker kommt ihr schnellen Schrittes entgegen.
«Moin, Frau Bakker», grüßt sie zurück. Die Pflegedienstleiterin ist eine nette Person, wenngleich sie das Personal mit strafferer Hand führen sollte. Es kann schließlich nicht angehen, dass in den letzten Wochen gleich drei Bewohner bestohlen worden sind. Dem müsste man doch auf den Grund gehen, aber Frau Bakker kümmert sich nicht. Grete will sie erneut darauf ansprechen, aber die junge Frau läuft zügig an ihr vorbei. Nun denn, es ist ja auch nicht Gretes Angelegenheit. Bei ihr selbst ist zum Glück noch nichts abhandengekommen.
Sie steuert auf die Holzbank am idyllisch gelegenen Teich zu und glaubt, ihren Augen nicht zu trauen. Hektisch blinzelt sie. Dann schreit sie, so laut sie kann, um Hilfe.
Der Wind der letzten Tage hat sich über Nacht verabschiedet, Schäfchenwolken ziehen gemächlich über den blauen Himmel. Das Thermometer an der Hauswand zeigt jetzt am Nachmittag knapp zwanzig Grad. Gut, es hängt in der Sonne, aber zwanzig Grad sind zwanzig Grad.
Noch in seiner Polizeiuniform setzt sich Rudi Bakker auf die Bank vor dem Gehege und streckt die Beine weit von sich. Die schwarzen und grauen Araucana-Hühner wälzen sich auf dem Sandboden, und der Hahn Zorro schreitet majestätisch vor ihnen auf und ab, während erste Kirschblütenblätter wie Schneeflocken auf ihn herabrieseln.
«Moin.» Henner Steffens, sein bester Kumpel, kommt durch die Gartenpforte, zieht aus seiner Jutetasche zwei Flaschen Ostfriesenbräu und reicht ihm eine. «Zeit fürs Wochenendbier.»
«Jo.» Henner setzt sich neben Rudi, und zusammen lassen sie die Bügelverschlüsse ploppen.
Von allen Wochentagen liebt Rudi den Freitag am meisten. Zufrieden starren die beiden auf die Hühnerschar und grinsen, als Zorro sich aufplustert und mit gerecktem Hals laut kräht. Im selben Moment schmettert die Fanfare in Rudis Hosentasche los. Er zieht sein Handy heraus und wirft einen Blick aufs Display. Denise. Seine Ex-Frau. Oh nein. Seit ein paar Wochen ist sie zurück in Neuharlingersiel. Das war vielleicht ein Schock, als sie zu Ostern plötzlich auf dem Steffens-Hof auftauchte und verkündete, sie wolle wieder hier leben. Dabei hatte sie ihn vor Jahren verlassen, weil ihr Ostfriesland zu langweilig war, Rudi zu «lahmarschig» und Sven zu anstrengend. Aber Sven und er sind auch ohne sie bestens klargekommen, immerhin steht die ganze Steffens-Sippe hinter ihnen. Bislang sind sie sich auch kaum über den Weg gelaufen, er hat sie nur einmal beim Einkaufen im Edeka-Markt gesehen und einmal bei Bäcker Hinrichs getroffen. Die Fanfare schmettert weiter.
«Geh doch endlich ran.» Henner nimmt einen Schluck Bier.
«Lieber nicht.»
«Warum?»
«Ist Denise.»
Das Handy verstummt. Die beiden Männer sehen sich an und prosten sich zu.
«Siehste», sagt Rudi. «Nerven bewahren. Das hilft.»
Doch schon im nächsten Augenblick dröhnt sein Telefon erneut los.
«Vielleicht ist es wichtig», murmelt Henner.
Das glaubt Rudi den ganzen Tag nicht, aber bevor Denise noch länger nervt, nimmt er das Gespräch lieber an.
«Na endlich! Hier ist eine Leiche!»
Rudi zieht die Stirn kraus. «Das müsstest du doch gewohnt sein. So ein Seniorenstift ist schließlich die Endstation für die meisten Bewohner», meint er. Immerhin arbeitet Denise seit über zwanzig Jahren in der Altenpflege.
«Die Tote ist keine von denen. Es ist die Chefin.»
Rudi atmet tief durch. «Die Beninga?» Das darf doch nicht wahr sein. Isabell Beninga ist die vierzig Jahre jüngere Frau von Erich Beninga, der mit seinem Hörgeräte-Konzern einer der erfolgreichsten Unternehmer Norddeutschlands ist.
«Genau. Ich steh hier am Teich, sie treibt mit dem Gesicht nach unten zwischen den Seerosen.»
«Ich komme. Pass auf, dass niemand Spuren zertrampelt.» Rudi steckt das Handy wieder in die Hosentasche. «Eine Wasserleiche im neuen Altenheim. Musst das Bier allein austrinken.»
Die sogenannte Beningaburg hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit einer Burg. Doch als Nachfahre einer ostfriesischen Häuptlingsdynastie wollte Erich Beninga, der Investor dieser Fünf-Sterne-Einrichtung, nicht nur Maßstäbe bei der Unterbringung älterer Menschen setzen, sondern auch sich selbst ein Denkmal. So stand es jedenfalls in der Zeitung. Das Gebäude befindet sich auf einem weitläufigen Grundstück. Mittelpunkt der Parkanlage ist ein Teich, der von Schilf und Bänken gesäumt ist.
An diesem Teich stehen nun Rudis Ex-Frau Denise und Fräulein Klostermann, die den Arm um eine andere alte Frau gelegt hat. Was macht seine ehemalige Lehrerin denn hier? Die wohnt doch im Seniorenheim mitten in Neuharlingersiel.
«Fräulein Klostermann, Sie hier?»
«Nu guck nicht so verwundert. Hier ist alles neuer und schöner. Das gönne ich mir auf meine alten Tage. Aber erst mal sagt man ja wohl vernünftig ‹Guten Tag›.» Käthe Klostermann hat nie aufgehört, Rudi zu duzen, obwohl er ja nun schon ewige Jahre aus der Grundschule raus ist.
«Moin.» Rudi nimmt aus Pietätsgründen die Uniformmütze vom Kopf und wirft einen Blick auf den Teich. Ganz in Ufernähe treibt bäuchlings eine Frau. «Die Kollegen der Spurensicherung müssten gleich hier sein.» Er deutet auf die beiden alten Frauen und schaut dabei Denise an, die nervös an einer E-Zigarette zieht. «Hab ich nicht gesagt, du sollst aufpassen, dass hier keine Spuren zertrampelt werden?»
«Wir zertrampeln nichts», weist ihn Fräulein Klostermann schroff zurecht. «Wir bewegen uns nicht mal auf der Stelle. Ich bin zu Grete geeilt, als sie um Hilfe geschrien hat.»
Überrascht blickt Rudi die beiden alten Damen an. «Sie haben die Tote entdeckt?»
Frau Kleinmeier nickt. «Ich wollte wie jeden Nachmittag nach dem Tee hier auf der Bank sitzen und meine Gedanken schweifen lassen. Das kann ich im Stift nicht. So feudal auch alles ist, die Wahrheit kann man nicht verdrängen. Wir alle, die wir hier leben, sitzen unsere Zeit ab, bis der Herrgott uns zu sich ruft. Deswegen liebe ich die Zeit vor dem Abendessen am Teich. Meistens bin ich allein hier. Aber heute schwamm da die tote Frau Beninga.»
«Und dann hat sie wie am Spieß geschrien», sagt Denise und zieht erneut an der E-Zigarette.
«Ich hab das auch gehört», ergänzt Fräulein Klostermann. «Frau Bakker war etwas schneller als ich, und als ich hier ankam, saß Grete wie ein Häufchen Elend auf der Bank, und Frau Bakker hatte das Handy schon am Ohr, um dich anzurufen.»
In diesem Moment kommt der Wagen mit Hauptkommissar Haueisen und Oberkommissar Schnepel über den Weg aus Muschelkalk gefahren, dicht gefolgt vom Bulli der Spurensicherung.
Kröver, der Chef der Abteilung, hat seinen Einweganzug bereits an. «Eine Wasserleiche?», fragt er, während er sich die Kapuze überzieht.
«Jo.»
«Wissen wir, wie lang die schon im Teich liegt?», will Haueisen wissen.
«Am Vormittag hab ich sie noch im Haus gesehen», sagt Frau Kleinmeier.
«Das ist gut.» Kröver klingt zufrieden. «Dann wird es eine einfache Bergung.» Er bemerkt den fragenden Ausdruck auf Fräulein Klostermanns Gesicht. «Wenn eine Leiche schon länger im Wasser ist, wird es schwierig, sie rauszuholen. Die Haut beginnt, sich abzulösen … Aber so genau wollen Sie das sicher nicht wissen.»
«Nein», sagt Fräulein Klostermann resolut und wendet sich ab.
«Dürfen wir jetzt endlich gehen?», fragt Denise.
«Natürlich», antwortet Haueisen. «Wir sprechen später. Lassen wir die Kollegen hier ihre Arbeit machen. Bakker, Sie bleiben hier.»
Das war ja nun nichts mit einem gemütlichen Feierabendbier. Tut Henner ja auch leid für Rudi, aber als Polizist ist man eben ständig in Bereitschaft. Im Unterschied zu ihm. Er muss nur die Post sortieren und verteilen. Henner streckt die Beine aus, nimmt einen Schluck und beobachtet die Hühner, die im Sand scharren. «Ich wollt, ich wär ein Huhn, dann hätt ich nichts zu tun», summt er vor sich hin. Obwohl er natürlich nicht mit einem Huhn tauschen möchte. Er fühlt sich wohl in seiner Haut und ist rundum zufrieden mit sich und seinem Leben. Noch ein Schluck, und die Bierflasche ist leer. Er sollte nach Hause gehen. Wer weiß, wie lange es bei Rudi dauert. Und so langsam müsste Rosa ihr Fahrrad in Gang gebracht haben. Er hat nämlich keine Lust, zu irgendwelchen Hilfsdiensten verdonnert zu werden. Denn das macht seine Mitbewohnerin gerne. Seit Rosa Moll vor ein paar Jahren in die Wohnung über ihm gezogen ist, muss er sich davor hüten, von ihr nicht allzu sehr vereinnahmt zu werden. Zugegeben, manches Mal gefällt es ihm ganz gut, aber manchmal braucht er einfach seine Ruhe.
Schon von Weitem sieht Henner Rosa auf der Bank vorm Haus sitzen, vor sich ihr Fahrrad, das mit den Rädern nach oben auf Lenker und Sattel steht. Mist. Sie ist immer noch nicht fertig.
«n’ Abend», brummt er und starrt auf die mit Wasser gefüllte Plastikwanne neben dem Rad.
«Das ging aber schnell. Was ist los? Habt ihr euch gestritten?»
«Nee.»
Rosa hält den schwarzen Fahrradschlauch in der einen Hand, mit der anderen streicht sie über den roten Flicken. «Gib mir mal bitte die Luftpumpe. Ich will prüfen, ob ich das Loch nun richtig dicht gekriegt habe. Nach meinen ersten drei Versuchen hat es immer noch im Wasser geblubbert. Da musste ich alles von vorn machen.»
Henner bückt sich und reicht ihr die Pumpe. «Warum kaufst du dir nicht einfach so einen unkaputtbaren Fahrradschlauch bei Klattenberg? Rudi und ich haben die längst.»
«Wussten Sie gleich, dass die Tote Frau Beninga ist?», will Haueisen von Frau Kleinmeier wissen, als sie zum Hauptgebäude der Seniorenresidenz gehen. Die alte Dame hat sich inzwischen wieder gefangen, sie hat es sogar abgelehnt, sich bei der anderen unterzuhaken.
Schnepel grient insgeheim. Hat der Chef denn nicht genau hingeguckt? Die Tote trug einen schwarzen engen Rock mit Schlitz und eine pinkfarbene Bluse. Außerdem war sie sehr schlank, und das, was er an Bein sehen konnte … oh, là, là.
«Natürlich bin ich sicher», empört sich Frau Kleinmeier. «Ich habe sie doch heute Vormittag schon gesehen. Da trug sie dieselben Sachen. Wollte wohl wieder nach Hamburg abdampfen. Dass Herr Beninga ihr das gestattet, kann ich nicht verstehen. Immerhin ist sie seine Frau und sollte an seiner Seite sein. Außerdem waren ihre Blusen für meinen Geschmack viel zu tief ausgeschnitten.» Sie dreht sich zu Fräulein Klostermann um. «Stimmt’s, Käthe?»
Die nickt. «Es waren zwar alles sündhaft teure Sachen, aber Frau Beninga schaffte es immer, darin auszusehen, als wolle sie sich den Männern anbieten.»
«Vielleicht steht ihr Mann auf so was», vermutet Schnepel. Er jedenfalls tut es.
«Ich bitte Sie!», gibt Fräulein Klostermann zurück. «Erich ist fünfundachtzig!»
Nun ist Schnepel überrascht. Die Tote hatte lange dunkle Haare, die im Wasser um ihren Kopf hin und her schwebten. Nach alt und grau sah an der nichts aus. Was wollte die mit so einem alten Knacker?
Auch Haueisen stutzt. «Fünfundachtzig? Und wie alt war seine Frau?»
Frau Kleinmeier überlegt. «Anfang vierzig, oder was meinst du, Käthe?»
«Ja, das würde ich auch schätzen.»
«Finden wir Herrn Beninga im Haupthaus?», fragt Haueisen. Er schaut geradeaus. Am Eingang des beeindruckenden Gebäudes tragen zwei runde Sandsteinsäulen einen großzügigen Balkon. Die neu gebauten Flügel links und rechts imponieren durch ihre großen, bodentiefen Fenster.
«Nein. Die Beningas bewohnen weiter hinten einen Bungalow.» Frau Kleinmeier zwinkert Haueisen zu. «Sie glauben doch nicht, dass so eine junge, attraktive Frau ständig alte und gebrechliche Menschen um sich haben will. Sie ist ohnehin kaum hier. Hält sich lieber in der schnieken Wohnung mit Alsterblick in Hamburg auf. Die hat ihren Mann hierher abgeschoben, damit sie sein Geld und ihr Leben in vollen Zügen genießen kann. So sieht das nämlich aus, nicht wahr, Käthe?»
Das kann Schnepel verstehen. Würde er auch so machen. Allerdings findet er alte reiche Frauen nicht wirklich verlockend. Nie würde er mit einer Mumie ins Bett gehen.
Sie haben den Eingang der Seniorenanlage beinahe erreicht, als ihnen ein Mann mittleren Alters in Anzug mit Weste und Einstecktuch entgegeneilt. «Frau Kleinmeier», ruft er. «Wie schrecklich. Kommen Sie, ich begleite Sie hinein.» Er greift nach ihrem Arm, doch die alte Dame zieht die Hand schnell zurück.
«Lassen Sie das, Herr Buttkamp. Der Anblick der toten Frau Beninga war zwar ein Schock, doch ich bin weder senil noch hilflos.»
Der Mann zuckt für einen Sekundenbruchteil zusammen.
«Sie sind?», fragt Haueisen schroff.
«Buttkamp. Jochen Buttkamp. Der Residenzleiter. Frau Bakker hat mich angerufen und mir von dem Unglück erzählt. Ich habe Herrn Beninga gleich aufgesucht. Er ist am Boden zerstört.»
Schnepel grient. Frau Bakker. Die scharfe Braut am Teich war also Rudis Ex-Frau. So eine hätte er dem nie zugetraut. Kein Wunder, dass sie abgehauen ist, bei einem Langweiler wie Rudi. Schnepel hat zwar mitgekriegt, dass sie wieder zurück ist. Nur gesehen hat er sie noch nie.
«Sie sind von der Polizei?», fragt der Geschäftsführer.
Was für eine blöde Frage, denkt Schnepel, doch da Haueisen seinen Ausweis zückt, holt er seinen ebenfalls aus der Jackeninnentasche.
Der Mann wirft nicht einmal einen Blick darauf, macht stattdessen eine fahrige Kopfbewegung, dass die braune Haarsträhne, die ihm in die Stirn gefallen ist, wieder zur Seite fliegt. «Herr Beninga möchte seine Frau sehen. Er kann es gar nicht fassen. Und ich auch nicht.»
Nur Haueisen bleibt ungerührt. «Die Kollegen sind gerade dabei, sie aus dem Teich zu bergen. Wo finden wir Herrn Beninga?»
«Ich bringe Sie gern zu ihm. Aber seien Sie bitte rücksichtsvoll. Er ist … wie soll ich das sagen … er hat manchmal ein paar unklare Momente. Beginnende Demenz, wenn Sie verstehen. Da müssen wir sehr achtsam sein.»
«Papperlapapp. Sie mit Ihrer Demenz. Für Sie sind wir alle nicht mehr ganz klar im Kopf. Ich komme besser mit», sagt Fräulein Klostermann schulmeisterlich. «Immerhin kennen wir uns seit über siebzig Jahren.» Herausfordernd schaut sie Haueisen an. «Erich und ich sind schon zusammen zur Volksschule gegangen. Es kann nur helfen, wenn jetzt jemand bei ihm ist, dem er vertraut und den er gut kennt.»
Verärgert schaut Rosa Henner an. «Den Tipp hättest du mir auch schon vorhin geben können. Dann hätte ich mir die Arbeit mit dem Flicken gespart und das Rad gleich zu Klattenberg gebracht. Aber du hattest es ja so eilig, zu Rudi zu kommen.» Eindringlich mustert sie Henner. «Warum bist du denn nun eigentlich schon wieder da? Ist was passiert?» Rosa spürt augenblicklich ein Kitzeln in ihrer Nase. Das hat sie immer, wenn etwas im Busch ist.
«Rudi musste plötzlich weg.»
«Warum denn?» Ihre Augen funkeln neugierig.
«Denise hat angerufen.»
Schlagartig ist das Kribbeln weg. Denise. Seit Rudis Ex-Frau wieder in Neuharlingersiel aufgetaucht ist, ist Rosa in Habachtstellung. Erst kürzlich hat sie die beiden mit ihrem gemeinsamen Sohn Sven bei Bäcker Hinrichs einen Kaffee trinken und lachen sehen. Sogar ein Stück Kuchen hatte jeder vor sich. Dabei hat Rudi stets behauptet, Denise könne ihm den Buckel runterrutschen, so schnöde, wie sie Sven, ihn und Ostfriesland damals verlassen hat. Dass sie etwas im Schilde führt, ist Rosa klar. Nur was? Gesagt hat Rudi ihr gegenüber natürlich nichts. Auch keine Andeutungen gemacht. Aber Rudi hat es ja mit Geheimnissen, selbst wenn man ihm das auf den ersten Blick nicht ansieht. Man denke nur an Schnepels Fast-Ex-Ehefrau Susanne. Erst ist Rudi mit der ganz dicke, und dann ist es plötzlich wieder aus gewesen. Warum, hat Rosa nicht herausgekriegt. Aber da Susanne Schnepel inzwischen in Bremen lebt, hat Rosa sich auch nicht weiter dafür interessiert. Weg ist weg. Und jetzt Denise. Das gefällt Rosa gar nicht. Denn es wäre sicher vorbei mit ihrem gemütlichen Singletrio, wenn Rudi und Denise wieder ein Paar wären.
«Interessant.» Rosa zieht das Wort in die Länge, um ihren Unmut deutlich zu machen. «Und du lässt dir das einfach bieten, dass er springt, wenn sie anruft?»
Verdutzt schaut Henner sie an. «Ich verstehe nicht, was du meinst. Denise hat angerufen, weil im Teich der neuen Seniorenresidenz eine Leiche schwimmt. Da musste er doch los.»
Die Kollegen haben die Tote gerade vorsichtig aus dem Wasser geborgen und auf eine große dunkelblaue Plane gelegt, als ein alter, schmutziger Jeep neben dem Fahrzeug der Spurensicherung hält. Die Fahrertür öffnet sich, und eine Frau Anfang dreißig mit grün und blau gefärbten Strähnen im dunklen, kinnlangen Haar steigt aus. Gekleidet ist sie ganz in Schwarz, auf der Jeans glänzen Metalldreiecke.
«Moin. Irina Buschkowski, Rechtsmedizin. Ich vertrete Doktor Emterbäumler. Der fällt wohl längerfristig aus.» Sie reicht Kröver und Rudi die Hand, stellt ihren dunklen Koffer ab und tritt an die Plane. Isabell Beninga liegt auf dem Rücken. An einem Fuß steckt noch ein pinkfarbener halbhoher Schuh, der andere ist nackt, man sieht die passend lackierten Zehennägel. Die ebenfalls pinkfarbene Bluse gibt den Blick auf den Brustansatz frei. Perlstecker schmücken ihre Ohren, eine Perlenkette den Hals. Zwei Fingerbreit über der Schläfe klafft eine Wunde.
«Na, die hat ja nicht lange was von ihrem Leben gehabt», meint die Rechtsmedizinerin lapidar und schaut zu Kröver. «Habt ihr außer der Verletzung an der Schläfe etwas entdeckt, was Aufschluss über die Todesursache geben könnte?» Sie bückt sich, öffnet den Koffer, zieht einen weißen Schutzanzug heraus und schlüpft hinein.
«Nein.» Kröver zeigt sein Womanizer-Lächeln, das bei Irina Buschkowski allerdings nicht verfängt. Die trägt nun auch Einmalhandschuhe und Überzieher an den Schuhen und hockt sich neben die Tote. Vorsichtig befühlt sie den Hals, betrachtet die Verletzung, hebt den Kopf der Toten und begutachtet sorgfältig Isabell Beningas Hinterkopf. «Also, die Verletzung stammt von einem stumpfen Gegenstand. Vielleicht von einem der Steine hier.» Sie deutet auf die kohlkopfgroßen Wackersteine, die zwischen den hohen Gräsern am Teichufer liegen. «Habt ihr schon überprüft, ob an einem der Steine Blut klebt?»
«Wir haben die Tote gerade erst aus dem Teich geborgen», sagt Kröver gelassen. «Hexen können wir auch nicht.»
«Das ist allerdings bedauerlich.» Ohne den Anflug eines Lächelns öffnet die Rechtsmedizinerin die Bluse der Toten. «Hier sehe ich keine Verletzung, Genaueres kann ich erst nach der Obduktion sagen. Sie kann durch einen Schlag ohnmächtig geworden sein, ist ins Wasser gefallen und ertrunken. Darauf deutet zumindest zum jetzigen Zeitpunkt alles hin. Wenn sie ohne Fremdeinwirkung gefallen und auf einen Stein aufgeschlagen wäre, hätte man sie vermutlich am Ufer des Teichs gefunden.» Irina Buschkowski erhebt sich und streift die Einmalhandschuhe ab. «Ihr könnt sie mir in die Rechtsmedizin bringen. Ich melde mich, sobald ich sie obduziert habe.»
Zum Glück hat der Chef ein Machtwort gesprochen und die alte Schachtel nicht mit zu dem Witwer genommen. Wäre ja noch schöner, sich von diesen alten Fregatten rumkommandieren zu lassen, denkt Schnepel zufrieden.
Der Bungalow liegt hinter dem Hauptgebäude auf der anderen Seite des Teichs. Buttkamp klopft an. «Herr Beninga, die Herren von der Polizei möchten Sie gerne sprechen.»
Es dauert einen Moment, bis Erich Beninga die Tür öffnet. Er ist groß und schlank. Sein graues Haar ist akkurat, aber nicht zu kurz geschnitten. Zur braunen Cordhose trägt er einen kamelhaarfarbigen Pullunder über einem weißen Hemd. Seine Hände zittern, als er Buttkamp, Haueisen und Schnepel hereinbittet.
Etwas unsicher geht er ins Wohnzimmer vor, wo er sich auf einen cremefarbenen Stoffsessel fallen lässt. «Nehmen Sie bitte Platz. Ich kann gerade nicht so lange stehen. Der Schock. Ich vermag es einfach nicht zu glauben.» Mit fast flehentlichem Blick schaut er Haueisen an. «Es besteht wirklich kein Zweifel? Ist meine Frau wirklich tot?»
Mausetot, denkt Schnepel.
«Es tut uns sehr leid, aber es gibt keinerlei Zweifel. Natürlich müssen Sie sie noch offiziell identifizieren, aber das können wir in Ruhe machen, es muss nicht sofort sein.» Haueisen blickt den Mann mit einem aufmunternden Blick an.
«Nein.» Das klingt wie ein Peitschenknall. «Ich will sie hier sehen. Am Teich. Ich würde es nicht ertragen, ihr im Leichenschauhaus Adieu sagen zu müssen. Aufgeschnitten und wieder zugenäht. Auf gar keinen Fall.» Unter Mühen steht Beninga auf. «Buttkamp, wir beide nehmen das Golfcart. Die Herren von der Polizei sind ja noch gut zu Fuß.»
«Sehr gern, Herr Beninga. Kommen Sie, ich stütze Sie.»
Während der Geschäftsführer Erich Beninga unterhakt, klingelt Haueisens Handy. «Ja, Bakker?»
«Die Rechtsmedizinerin hat die erste Untersuchung vor Ort abgeschlossen. Wir haben den Bestatter angerufen, um Isabell Beninga nach Oldenburg bringen zu lassen.»
«Warten Sie noch. Herr Beninga möchte seine Frau sehen.» Ohne Bakkers Antwort abzuwarten, beendet Haueisen das Gespräch.
Rudi schiebt das Handy in die Tasche seiner Polizeihose. «Wir sollen mit dem Abtransport noch warten. Der Witwer ist auf dem Weg.» Irgendwie kann er verstehen, dass der alte Beninga seine junge Frau hier zum Abschied sehen möchte. Im Grünen und im Sonnenschein. Er wirft einen Blick auf die Plane. Sie war eine wirklich hübsche Frau. Eine, nach der man sich auf der Straße umdrehte. Die Rechtsmedizinerin hat die Bluse der Toten auf Rudis Bitte hin wieder zugeknöpft. Sogar einen Knopf mehr als vorher. Das schien ihm angebracht.
Ein Golfcart rauscht heran, in einiger Entfernung folgen Haueisen und hinter ihm Schnepel. Rudi grient. Sein Kollege hat noch nie eine gute Kondition gehabt. Bei einer Verfolgungsjagd zu Fuß hätte der Straftäter gute Karten, Schnepel abzuhängen.
Keine fünf Meter von ihnen entfernt stoppt das Golfcart. Zwei Männer steigen aus, der Ältere hält sich am Rahmen des kleinen, elektrisch betriebenen Gefährts fest, bevor der Jüngere ihn beim Gehen am Ellenbogen stützt.
Jetzt ist auch Haueisen angekommen, Schnepel folgt schnaufend. Vor der Leiche bleiben die Männer stehen. Erich Beninga zittert, bemüht sich aber um eine aufrechte Haltung.
«Isabell», flüstert er. «Sprotti, meine Sprotti.»
Betreten stehen Rudi, Haueisen und Schnepel hinter dem Witwer und dessen Begleitung. Auch Kröver und sein Team halten pietätvoll mit dem Zusammenräumen ihrer Ausrüstung inne, um das stumme Abschiednehmen nicht zu stören.
Langsam nähert sich der schwarze Kombi des Bestatters. Pöppelmeyer wartet jedoch mit dem Aussteigen, bis der Witwer sich umdreht und auf wackeligen Beinen zum Golfcart zurückgeht.
Auf Zehenspitzen ist Rosa durch die Wohnung gelaufen, um ja nicht zu verpassen, ob Rudi bei Henner vorbeischaut. Doch das «geheime» Dreimal-klingeln-Zeichen blieb aus, allerdings hat Rosa vor einer Viertelstunde die Haustür ins Schloss fallen hören. Also wird Henner noch einmal zu Rudi gegangen sein. Das ärgert sie insgeheim. Er kann sich doch denken, dass Rosa alles, was mit der Wasserleiche zu tun hat, brennend interessiert. Also muss sie selbst aktiv werden. Sie sperrt ihren Beo in den Käfig, zieht die weiße Steppjacke an und macht sich auf den Weg. Bei Rudi ist alles dunkel, das sieht sie schon von Weitem. Dann werden die beiden wohl im Dattein sein, ihrer Lieblingskneipe am Hafen. Und richtig. Als Rosa den Gastraum betritt, sitzen Rudi und Henner einträchtig an der Theke, Henner hat den Ellbogen auf die Galionsfigur gelegt, die den Tresen ziert.
«’n Abend.» Zufrieden schiebt Rosa ihren Po auf den Hocker neben Rudi. Berthold ist heute nicht da, dafür lacht Frank sie hinter der Theke an. «Eine Weißweinschorle wie immer?»
«Unbedingt.» Rosa grinst und wendet sich Rudi zu. «Also?»
«Was also?» Rudi tut, als wisse er nicht, wovon Rosa redet, doch damit kommt er bei ihr nicht durch.
«Die Wasserleiche bei der Seniorenresidenz. Wer ist es, wie kam sie in den Teich, war es Selbstmord, Unfall oder Mord? Und was hat deine Ex-Frau damit zu tun?»
«Ach Rosa.» Rudi stöhnt auf. «Erstens hab ich Feierabend, und zweitens darf ich dir nichts sagen. Das weißt du genau.»
«Unsinn. Morgen steht sowieso alles in der Zeitung, also stell dich nicht so an. Spätestens in einer halben Stunde wird die Vorabendausgabe online gestellt.»
Frank stellt ihr die Weinschorle hin.
«Danke. Zum Wohl.» Rosa hebt das Glas, trinkt einen Schluck, und auch Rudi und Henner greifen zu ihren Gläsern.
«Prost.»
«Und?», wiederholt Rosa.
«Die Tote ist Isabell Beninga, die Frau von Erich Beninga», verrät Rudi.
«Dem Eigentümer von HörGut?»
«Jo.»
«Und wie kommt die in den Teich?»
«Das müssen wir herausfinden.»
«Nun sei nicht so einsilbig. War die Frau senil, hat die sich im Teich ertränkt?»
«Nee, die war noch gar nicht alt.»
«Nicht?»
«Nein. Aber mehr sag ich dazu jetzt nicht. Ich hab schließlich Feierabend. Wer weiß, was das Wochenende noch bringt.»
Eigentlich hat Rosa erst um elf Uhr den Termin im Frisörsalon von Henners Schwester Gudrun, aber sie hält es vor Neugierde nicht länger aus. Den ganzen restlichen Abend kreisten ihre Gedanken darum, weshalb die junge Frau des ostfriesischen Hörgeräte-Moguls als Wasserleiche im Teich trieb. Natürlich hat sie, kaum dass sie zu Hause war, die Zeitung im Internet gelesen. Die Tote war eine bildhübsche Frau, ein Archivbild des Ehepaares beherrschte die Titelseite. Der Altersunterschied zwischen den Eheleuten war gigantisch. Über vierzig Jahre, hat Rosa vorhin bei Bäcker Hinrichs aufgeschnappt, nachdem sie ihr Fahrrad bei Diana Klattenberg abgegeben hat. In zwei Stunden kann sie es mit neuen Schläuchen wieder abholen.
Die Glöckchen über der Tür bimmeln, als Rosa den Frisörsalon betritt. Sofort rast Gudruns Hund auf sie zu und springt an ihr hoch.
«Aus, Schecki», ruft Gudrun, und die Promenadenmischung gehorcht tatsächlich. Verwundert mustert Rosa den Hund, beugt sich hinab und streicht ihm über das helle Fell. «Was ist mit dir denn passiert? Hat man dir einen Irokesenschnitt verpasst?»
«Sieht man doch», ruft Gisela Frerichs, Neuharlingersiels größte Tratschtante, deren Hinterkopf in der Mulde des Waschbeckens lehnt. «Das hat Mercedes Schneider ihm angetan.»
«Was heißt hier angetan?», fährt Gudrun Gisela über den Mund. «Das trägt der moderne Hund heutzutage, meint Mercedes. Und die kennt sich schließlich aus. Ihre selbst gebackenen Hundekuchen sind der Hit! Seit ich die beim Gassigehen in der Tasche habe, frisst Schecki mir im wahrsten Sinne des Wortes aus der Hand.»
«Männer.» Gisela seufzt theatralisch. «Sie sind so einfach gestrickt und mit Kleinigkeiten bestechlich.»
Die anwesenden Frauen prusten laut los vor Lachen. Rosa nimmt auf dem freien Stuhl neben Gisela Platz und zieht das belegte Brötchen aus der Bäckertüte. «Kann ich vielleicht einen Kaffee haben? Ich hab noch nicht gefrühstückt.»
«Und einen Prosecco für uns Mädels», ergänzt Gisela, was von allen augenblicklich beklatscht wird.
«Ihr nun wieder.» Gudrun schmunzelt. «Aber klar. Steven, bring doch bitte einen Kaffee mit Milch, die Flasche Prosecco aus dem Kühlschrank und …», sie zählt durch, «… fünf Sektgläser.»
«Gerne», hört Rosa eine männliche Stimme aus dem Personalraum.
Gleich darauf tritt ein junger Mann in den Salon, auf einem Schiefertablett balanciert er eine Tasse und ein Minimetallkännchen mit Milch. «Bitte schön.» Er stellt es vor Rosa. «Prosecco kommt gleich.»
Verblüfft schaut sie den jungen Mann an. Er hat dunkle, schräg geschnittene Haare, die Augen sind stärker geschminkt, als Rosa es bei sich selbst machen würde. Auf den Fingern entdeckt Rosa kleine Tattoos, die Nägel glänzen türkis lackiert.
«Hi. Ich bin Steven.»
Gudrun registriert Rosas überraschten Gesichtsausdruck und lacht laut auf. «Steven kommt aus Berlin. Er hat da in einem großen Salon gearbeitet, aber wegen seines Asthmas hat es ihn an die Nordsee verschlagen. Ich freue mich, dass er mich ab jetzt unterstützt und ein bisschen Großstadtflair in unsere Frisuren bringt.»
«Das ist ja ein Ding.» Rosa lacht Steven an. «Aber ich lasse mir gern ein bisschen Berliner Chic verpassen. Von mir aus kannst du gleich anfangen, wenn du Zeit hast.»
Steven grinst. «Sehr gern.»
Während er ihr die Haare wäscht, redet Rosa weiter. «Habt ihr schon von der Wasserleiche in der Seniorenresidenz gehört?»
«Hab ich in der Zeitung gelesen.» Gisela hebt den Kopf, das Wasser rinnt ihr über die Stirn. «Das war die Frau von dem Hörgerätefuzzi.»
Gudrun drückt Giselas Kopf wieder zurück, damit sie den Rest der Spülung auswaschen kann.
«Was aber nicht in der Zeitung stand: Denise Bakker hat die Polizei benachrichtigt», sagt Rosa. «Ich meine, sie hat Rudi angerufen.»
Sofort hebt Gisela wieder den Kopf.
«So kommen wir nicht weiter.» Gudrun drückt Giselas Kopf erneut runter, beim Reden lässt die sich aber trotzdem nicht stoppen.
«Stimmt, die arbeitet ja neuerdings in diesem Nobelseniorenstift als Pflegerin.» Gisela senkt die Stimme. «Aber die ist bestimmt nicht nur wegen der Arbeit zurück nach Neuharlingersiel gekommen.»
Das hat Rosa auch schon überlegt, doch alle acht Schwestern von Henner halten es für ausgeschlossen, dass Denise wieder was mit Rudi anfangen will. Darüber haben sie ausführlich bei einem Treffen des Häkelbüdel-Clubs gesprochen.
«Wer ist im Seniorenstift geschwommen?», fragt Tante Hildegard, die mit Lockenwicklern auf dem Kopf neben Gisela sitzt und eine Tasse Tee vor sich stehen hat. «Ich wusste gar nicht, dass die da ein Schwimmbad eingebaut haben.»
«Haben sie auch nicht. Wann gehst du endlich zum Ohrenarzt?», fragt Gudrun.
«Da war ich doch! Vor zwei Wochen erst. Der hat mir gesagt, ich höre auf der einen Seite nur noch die Hälfte … und auf der anderen auch nicht viel mehr. Ich war bei HörGut. Heute Mittag kann ich die Hörgeräte zum Ausprobieren abholen. So ganz neumodische Dinger. Ich soll sogar mein Smartphone zur ‹Anprobe› mitbringen.» Lachend schüttelt sie den Kopf. «Was haltet ihr davon, wenn ihr heute Nachmittag zu mir kommt. Dann können wir testen, ob ich mit den Dingern wirklich besser höre.» Tante Hildegard greift zu ihrer Teetasse. «Und jetzt möchte ich endlich wissen, wer im Seniorenstift schwimmt.»
«Das hast du falsch verstanden.» Rosa spricht bewusst deutlich. «Die Frau von dem Beninga lag tot im Teich. Die Polizei hat sie zur Obduktion nach Oldenburg gebracht.»
«Die Beninga?», wundert sich Tante Hildegard. «Die war doch noch so jung.»
«Sterben geht nicht immer nach dem Alter.» Gudrun dreht den Wasserhahn zu.
«Oh, das tut mir aber leid für den Beninga», seufzt Tante Hildegard. «Da stirbt dem vor vier Jahren seine erste Frau an Krebs, und nun auch noch die zweite. Hätte er bestimmt nicht mit gerechnet. Wenn man in dem Alter eine so viel Jüngere heiratet, denkt man doch, die kann einen pflegen, wenn’s drauf ankommt. Aber das Leben geht manchmal seltsame Wege. Die arme Frau.»
«Wie man’s nimmt», sagt Gisela. «Diese Isabell hat schon ein paar Jahre in dem Konzern gearbeitet, als die erste Frau Beninga gestorben ist. Danach hat sie sich wohl schamlos an den Alten rangeschmissen.» Gisela macht eine kurze Pause. «Hab ich zumindest gehört.»
«Von wem?», fragt Rosa und beißt von ihrem Brötchen ab.
«Weiß ich nicht mehr. Ist aber auch egal. Kaum war die erste Frau Beninga ein paar Wochen unter der Erde, wurden die beiden händchenhaltend in Hamburg fotografiert. Das Bild war groß in der Welt am Sonntag. Und kein halbes Jahr später haben sie geheiratet. Im kleinen Kreis.» Bei «kleinen» hebt sie die Hände, um das Wort in Tüddelchen zu setzen. «Mit dreihundert Leuten.»
Gemütlich sitzt Rudi mit Sven am Frühstückstisch. Sein Sohn ist übers Wochenende gekommen. Das macht er nicht mehr so oft, meistens bleibt er in Emden, wo er sich inzwischen einen neuen Freundeskreis aufgebaut hat. Darum genießt Rudi dieses Zusammensein umso mehr. Muddern hat extra Svens Lieblingskörnerbrot gebacken. Dazu gibt es Fenchelsalami, selbst gemachten Kräuterfrischkäse und ihre phänomenale Holunderblütenmarmelade.
«Denise hat gefragt, ob wir uns heute sehen.» Sven beißt von seinem Brot ab. «Sie hat Frühschicht und am Nachmittag frei. Ich weiß gar nicht, was das soll. Erst interessiert sie sich jahrelang nicht für mich, und nun macht sie einen auf heile Familie.»
Rudi überlegt. Am liebsten würde er genau in diese Kerbe schlagen. Auch er findet es ziemlich dreist, dass Denise so tut, als wäre der Kontakt zwischen Mutter und Sohn all die Jahre eng gewesen. Aber vielleicht versucht sie, Versäumtes wiedergutzumachen. Das jedenfalls hat Muddern vermutet, als er vor ein paar Tagen bei ihr Rat gesucht hat.
«Gib ihr eine Chance», sagt Rudi deshalb halbherzig. «Und guck, wie es dir damit geht. Wenn du absolut keinen Draht zu ihr hast, dann musst du dich nicht weiter mit ihr treffen. Du bist inzwischen erwachsen, keiner kann dich dazu zwingen.»
«Amira sagt, ich soll mir Mühe geben. Es sei wichtig, sich mit meinen familiären Wurzeln auseinanderzusetzen.» Amira ist Svens neue Freundin. Sie studiert Pädagogik. «Ich weiß aber nicht, worüber ich mit Denise reden soll.» Sven lehnt es schon länger ab, Denise mit Mama anzureden. «Wir haben einfach keinen gemeinsamen Nenner. Jedes Mal, wenn sie von ihrem Leben erzählt, von dem, was sie in all den Jahren gemacht hat, wo sie mit irgendwelchen Typen im Urlaub war, bin ich fassungslos darüber, dass sie von mir erwartet, ich soll das gut finden.» Sven bleibt ganz ruhig, während er redet, als hätte er mit seiner Mutter längst schon emotional abgeschlossen.
Die Fanfare von Rudis Handy schmettert los. Er steht auf, tritt an die Arbeitsplatte, wo das Telefon zum Aufladen liegt, und wirft einen Blick aufs Display. «Mein Chef», sagt er und nimmt das Gespräch an.
«Haueisen hier. Die eifrige junge Rechtsmedizinerin war heute Nacht noch lange aktiv. Sie hat bestätigt, dass Isabell Beninga einen heftigen Schlag mit einem dieser Wackersteine gegen den Kopf bekommen hat. Daran ist sie allerdings nicht gestorben. Sie muss anschließend in den Teich geschubst worden sein und ist dort ertrunken. Ein Unfall war es nicht.»
«Verdammt», rutscht es Rudi raus, denn dass Denise mitten im Zentrum des Geschehens arbeitet, macht die Angelegenheit für ihn nicht angenehmer.
«Wir treffen uns in einer halben Stunde bei der Seniorenresidenz. Genauer: am Bungalow der Beningas. Wir müssen nun doch ausführlicher mit dem Witwer reden. Und übrigens, seine Frau war schwanger.»