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Sam Smiths zweiter Fall: spannender, gefährlicher, internationaler!
Im zweiten Jahr seiner Ausbildung zum Geheimagenten steht ein Auslandspraktikum auf dem Plan, das Sam nach Barcelona führt – mitten hinein in sein zweites Abenteuer. Eines Abends liegt ein Diamant vor seiner Zimmertür und die Polizei verdächtigt Sam des Diebstahls. Nun beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, denn Sam wird nicht nur von der Polizei gehetzt, sondern auch von den wahren Tätern. Werden die Schüler der Spy School auch diesmal ihrem Ruf als Geheimagenten der Extraklasse gerecht werden können und ihren Freund retten?
Action, Spannung und Abenteuer von der ersten bis zur letzten Seite!
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Seitenzahl: 238
© privat
Jonas Boets war immer schon ein großer Fan der Bücher von Anthony Horowitz. Diese und die James-Bond-Filme sowie »Mission Impossible« haben ihn zu seiner Serie Spy School inspiriert. Jonas Boets hat darüber hinaus etliche erfolgreiche Thriller für Jugendliche veröffentlicht.
Von Jonas Boets ist bei cbj bereits erschienen:Spy School – In geheimer Mission (Band 1)
Jonas Boets
Diamantenfieber
Aus dem Niederländischen von Verena Kiefer
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Erstmals als cbt Taschenbuch August 2012
© 2006 Jonas Boets
Die Originalausgabe erschien
unter dem Titel »Sam Smith«
bei Uitgerverij Manteau, Antwerpen
© 2012 der deutschsprachigen Ausgabe cbt, München
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Übersetzung: Verena Kiefer
Covergestaltung: Guter Punkt
Covermotive: iStockphoto (geengraphy, Derkien, Meinzahn, michalz86); Adobe Stock (yanik88)
skn · Herstellung: AnG
Satz- und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-641-30606-9V002
www.cbj-verlag.de
Der Auftrag
Aus den Augenwinkeln bemerkte Sam die drohende Gefahr. Zwei ganz in Schwarz gekleidete Gestalten mit Skimasken kamen näher. Sam sah nur ihre spähenden Augen. Ihre Finger umklammerten ein Gewehr mit langem Lauf und bei beiden war am rechten Hosenbein eine Ausbuchtung zu erkennen, die auf eine Reservepistole schließen ließ. In wenigen Sekunden würden sie ihn entdecken und alles wäre umsonst gewesen.
Sam stützte sich auf die Ellenbogen und robbte aus seinem Versteck: Ein Holunderstrauch und Insekten hatten ihm in der letzten Viertelstunde nicht ganz so angenehme Gesellschaft geleistet. Seine Augen suchten die Umgebung ab. Er befand sich am Waldrand, vor ihm lag eine offene Fläche. Zurück konnte er nicht mehr, er würde seinen Verfolgern direkt in die Arme laufen. Dann also weiter. Der nächstgelegene Waldrand war nicht fern. Die Bäume mit dem dichten Blattwerk konnten seine Rettung bedeuten.
Sam richtete sich auf und sprintete los. Aber die Wiese war feucht und schon nach wenigen Metern rutschte er aus. Schlammverdreckt lief er weiter durch das hohe, sumpfige Gras. Als er den Wald erreicht hatte, hechtete er mit einem Satz ins Gebüsch. Kleine spitze Äste und herausragende Wurzeln stachen ihn und ließen ihn fast aufschreien, aber er beherrschte sich, er durfte nicht entdeckt werden. Er unterdrückte den Schmerz, ging in die Hocke und spähte durch die Blätter.
Die beiden Maskierten kamen aus dem Wald, die Gewehre noch immer im Anschlag. Sie waren kleiner, als Sam zuerst gedacht hatte, kaum größer als er selbst. Sie blieben kurz stehen und sprachen miteinander. Sam konnte sehen, dass einer der Männer dem anderen Anweisungen gab. Derjenige, der die Befehle erteilt hatte, nickte seinem Kameraden kurz zu und setzte sich in Bewegung bemerken. Er ging auf das andere Waldstück zu, weit entfernt von der Stelle, an der Sam sich versteckt hatte. Der zweite sah dem Davongehenden kurz nach, schob die Mütze ein wenig hoch und spuckte auf den Boden. Dann ging er weiter. Aber statt seinem Kameraden zu folgen, lief er in die andere Richtung. Sam schluckte. Der kam direkt auf ihn zu!
Sam versuchte, Ruhe zu bewahren und einen Ausweg zu finden. Weiter in den Wald hinein laufen war gefährlich. Der Typ, der die Anweisungen erteilt hatte, war schon nahe und würde jede Bewegung bemerken. Aber wenn er hier hinter den Sträuchern sitzen blieb, würde ihn der andere entdecken. Sam schaute sich um: Er konnte weder nach vorn noch zurück, weder nach rechts noch nach links. Grübelnd starrte er zu den Bäumen hinter sich.
Das Gewehr im Anschlag betrat der Maskierte den Wald. Ohne den Kopf zu bewegen, musterte er seine Umgebung. Langsam ging er weiter. Sam hielt den Atem an. Er umklammerte den Ast des Baums, auf den er geklettert war, noch fester. Sein Verfolger stand genau unter ihm. Wenn er bloß nicht nach oben schaute!
Der Maskierte sah sich noch ein wenig suchend um, ging dann aber weiter. Sam zählte innerlich bis dreihundert und ließ sich dann an dem Baum herunterrutschten. Wie er aussah! Arme und Beine völlig verschrammt von den rauen Ästen. Seine braune Kleidung voller Schlamm, aber das kümmerte ihn weniger. Mehr Sorgen machte er sich um den kleinen Rucksack, den er bei sich trug. Er prüfte, ob noch alles darin war. Zum Glück, sein Sprung ins Gebüsch hatte nichts beschädigt.
Sam sah auf seine Uhr. Der Timer stand auf 58:45 und zählte rückwärts. Er hatte noch ausreichend Zeit für seinen Auftrag. Während er sich immer wieder sorgfältig umschaute, bewegte er sich weiter durch den Wald. Er blieb auf der Hut, wer weiß, vielleicht kam ja jemand auf die Idee, sich auf eine neue Erkundungsrunde zu machen. Schnell erreichte er das andere Ende des zweiten Waldstücks. Sam kniete sich hin und öffnete seinen Rucksack. Er zog ein kleines Fernglas heraus, mit dem er die Umgebung absuchte. Wieder schaute er auf eine weite Lichtung, aber diese war nicht so verlassen wie die vorige. In deren Mitte stand ein kleiner Bauernhof. Das Gebäude war ziemlich heruntergekommen. Alles wies daraufhin, dass es schon vor geraumer Zeit von seinen Bewohnern verlassen worden war: Manche Läden hingen nur noch schief vor den Fenstern, dem Dach fehlte etwa die Hälfte seiner Ziegel, das Tor zum Garten war von Rost zerfressen und die wilde Mischung aus Pflanzen und Unkraut um den Hof glich mehr einem Dschungel als einem Vorgarten.
Aber der Hof hatte offenbar vor Kurzem neue Bewohner bekommen. Vor der Tür sah Sam einen der beiden Maskierten Wache schieben. Der andere war nicht auszumachen, er war vermutlich drinnen. Sam begutachtete die Haustür. Das Schloss wirkte alt und lange unbenutzt.
Sam entwarf einen Plan. Erst musste er wissen, wie die Lage auf dem Hof war. Wie viele Leute saßen drinnen, welche Hinterhalte gab es? Dann musste er irgendwie die Wache ausschalten. Leicht war das nicht, denn der Mann hatte ein Gewehr und Sam nicht.
Aber nicht vorgreifen, dachte Sam. Erst auskundschaften, dann die Strategie festlegen. Er verstaute das Fernglas und bewegte sich lautlos an den Bäumen entlang bis zur Rückseite des Hofs. Hier konnte ihn die Wache nicht sehen. Sam legte sich flach auf den Bauch und robbte durch das hohe Gras auf das Haus zu. Mit jedem Meter erhöhte sich die Spannung in seinem Körper. Jetzt würde er sein Können unter Beweis stellen müssen.
Das Haus war nicht umzäunt, sodass Sam bis zu einem Fenster an der Rückseite gelangte. Vorsichtig richtete er sich auf und sah hinein. Das Innere stand der äußeren Baufälligkeit in nichts nach. Nur an den Stellen, an denen Bilder gehangen hatten, war zu erkennen, dass die Wand einst weiß gewesen sein musste. Mitten im Zimmer stand ein schwerer Holztisch, an dessen Seiten Stücke herausgebrochen waren. Die Sessel im Wohnzimmer waren ausgebleicht und stark verschlissen. An manchen Stellen quoll die Füllung hervor. Auf diesen Sesseln saßen zwei Personen, beide ganz in Schwarz gekleidet, maskiert. Sam vermutete, dass einer der beiden die Befehle im Wald erteilt hatte. Ihre Gewehre lagen neben ihnen auf dem Sitz. Sie sprachen nicht, sondern starrten angespannt vor sich hin. Warteten sie auf etwas?
Sam sah sich weiter im Zimmer um. Er war schließlich nicht gekommen, um einen alten Bauernhof zu bewundern. Auf einem kleinen Glastisch zwischen den Sesseln lag ein schwarzer Aktenkoffer. Ha! Genau den suchte er.
Sam versuchte, sich den Grundriss des Wohnzimmers einzuprägen. Um von der Tür bis zum Holztisch zu kommen, waren etwa fünf Schritte nötig und weitere dreieinhalb bis zum Glastisch. Er hoffte, dass er einigermaßen richtig lag, sonst würde er später Probleme kriegen.
Er hatte genug gesehen. Sam robbte zurück und überlegte, wie er wohl die Wache überlisten könnte. Als er sich wieder unter dem schützenden Blätterdach des Waldes befand, checkte er die Zeit. Ihm blieben vierzig Minuten, das musste reichen. Er ging zwischen den Bäumen durch zu einer Stelle, die rechts vom Bauernhof lag, aber doch gerade noch im Blickfeld der Wache. Unterwegs sammelte er Holz auf – zum Glück lagen überall tote Äste herum. Er zog einen Knäuel haarfeine Schnur aus seinem Rucksack und bündelte das Holz schnell und geschickt. Dann kletterte er in einen Baum und klemmte das Bündel zwischen zwei Äste. Beim Herunterklettern rollte er vorsichtig die Schnur ab, die noch immer an den Ästen befestigt war. Dabei bewegte er sich zu der Stelle, von der aus er anfangs den Hof beobachtet hatte. Er befand sich jetzt der Haustür ziemlich genau gegenüber.
Der Wachmann stand noch am selben Platz. Sam belauerte ihn mit seinem Fernglas. Der Mann wirkte nervös und schaute sich scheu um. Das musste Sam nutzen.
Aus seinem Rucksack nahm er ein paar Metallkugeln, eine Art Taucherbrille und ein weißes Tuch. Die Kugeln steckte er sich in die Hosentasche und die Brille setzte er auf. Danach band er sich das Tuch vor den Mund. Er nahm die Schnur und zog daran, bis er den Widerstand des Holzbündels spürte und die Schnur ganz gespannt war.
Sam holte tief Luft. Das war der Moment. Mit einem kräftigen Ruck zog er an der Schnur. Weiter oben im Wald fiel das Astbündel zu Boden. Der Wachmann wandte den Kopf in diese Richtung. Schnell begann Sam an der Schnur zu ziehen, damit der Wachposten dachte, dort liefe jemand herum.
Es funktionierte! Der Mann konnte sich nicht mehr beherrschen und rannte auf den Wald zu. Sam wartete, bis er gut zwanzig Meter vom Hof entfernt war und sprintete los. Er behielt die Wache ständig im Auge, aber die war so auf die Bäume vor sich fixiert, dass Sam vorläufig nichts zu befürchten hatte.
Gebückt lief er durch das Unkraut des Vorgartens zur Haustür. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und spähte durch das Fenster ins Wohnzimmer. Zum Glück, die Situation war unverändert. Die beiden Maskierten saßen noch immer auf demselben Platz. Sam wandte sich zur Tür und drückte leicht dagegen. Sie war offen. Er wühlte in seiner Hosentasche, zog die Metallkugeln heraus, kontrollierte, ob seine Brille noch richtig saß und zog das Tuch vor seinem Mund noch fester. Dann nahm Sam drei Kugeln, drückte bei jeder einen Knopf, schob die Tür einen Spalt auf und rollte die Kugeln ins Wohnzimmer. Zwei Sekunden später war der gesamte Raum von Rauch erfüllt. Er hörte lautes Husten und Rufe.
Sam rannte hinein. Man konnte wirklich nichts mehr erkennen. Nach vier Schritten stieß er gegen einen großen Holzgegenstand. Der Tisch! Er stand näher, als er geschätzt hatte. Er drehte sich um, machte noch dreieinhalb Schritte und streckte den Arm aus. Sofort spürte er den Aktenkoffer. Er griff ihn sich und wandte sich wieder zur Tür.
»Verdammt, was passiert denn da?«, hörte er eine Mädchenstimme.
»Woher soll ich das denn wissen«, schnauzte ein Junge.
»Pass du auf den Koffer auf, dann versuche ich, hier rauszukommen!«
Sam hatte inzwischen die Tür erreicht und schlüpfte nach draußen. Hinter ihm ging die Diskussion weiter.
»Der Koffer ist weg!«, hörte er.
»Au, mein Knie! Scheiß-Tisch!«
Den Koffer in der Hand, schloss Sam die Tür. Die beiden sollten ruhig noch ein wenig durchräuchern. Er setzte die Brille ab und ging seitlich am Haus entlang. Bevor er um die Ecke bog, schaute er sich noch kurz um. Dem Wachmann war inzwischen klar geworden, dass man ihn hereingelegt hatte. Er lief zum Haus zurück und einen Moment standen er und Sam sich Auge in Auge gegenüber. Aber noch bevor sich der Bewacher von seiner Überraschung erholen konnte, machte Sam sich davon. Ein Schuss fiel.
Sam legte einen athletischen Sprint hin und wurde erst langsamer, als er den Wald erreicht hatte. Der Wachmann folgte ihm mit einigem Abstand. Die beiden anderen waren nicht zu sehen, die stolperten vermutlich noch über die Möbel.
Geschickt verfolgte Sam seinen Weg zwischen den Bäume hindurch. Er sah auf die Uhr: Ihm blieben noch mehr als zwanzig Minuten, um den vereinbarten Ort zu erreichen. Jetzt wurde es wieder heller, er näherte sich dem Waldrand.
Als er die letzten Bäume hinter sich gelassen hatte, kam Sam zu einem geteerten Weg, der zwischen dem Wald und einer großen Weide verlief. Die Beschreibung, die er bekommen hatte, stimmte. Diesen Weg musste er überqueren und auf der anderen Seite der Weide sollte sein Fluchtauto auf ihn warten. Wieder hörte er einen Schuss. War sein Verfolger näher gekommen oder feuerte er nur ins Blaue? Sam zwang seine Beine vorwärts. Die Weide war mit Stacheldraht eingezäunt. Mist, er hatte keine Zange dabei. Dann eben auf die altmodische Art und Weise!
Sam warf den Aktenkoffer und seinen Rucksack über den Zaun und legte sich auf den Rücken. Vorsichtig schob er sich unter dem Draht durch, aber seine Hose blieb doch an einem Stachel hängen. Im Wald machte er eine Bewegung aus, sein Verfolger holte auf! Der Stacheldraht hatte aber nicht vor, seinen Fang einfach wieder frei zu geben. Eine Kuh betrachtete sich die Sache aus der Nähe und Sam zog so lange an seiner Hose, bis der Stoff riss. Er war frei.
Sam stand auf, nahm seinen Rucksack und den Koffer und lief im Zickzack zwischen den Kühen hindurch. Endlich sah er das Auto. Ein graues Mercedes-Cabrio, dessen Verdeck heruntergelassen war. Vorn saß ein Mann im grauen Anzug. Als er Sam herbeirennen sah, schaute er ruhig auf seine Uhr und nickte zufrieden.
Sam warf den Aktenkoffer in den Wagen und sprang über die Tür in den Beifahrersitz. Er blickte zur Seite und sah, wie sich sein Verfolger nicht weit entfernt die Lunge aus dem Leib rannte. Als er sah, dass Sam den Wagen erreicht hatte, verlangsamte er seinen Schritt.
»Bravo, Herr Smith«, sagte der Mann am Steuer. »Sie haben Ihren Auftrag ausgezeichnet erfüllt. Den Koffer dürfen Sie mir geben.«
Sam nickte und reichte ihm den Koffer. »Vielen Dank, Herr Summer, ich hoffe nur, dass sich die auf dem Hof keine Rauchvergiftung zuziehen. Ich musste drei Rauchbomben benutzen, um die Überraschung komplett zu machen.«
»Machen Sie sich keine Sorgen«, antwortete Summer. »Die Rauchbomben der Schule verursachen nur heftige Hustenanfälle und lassen die Augen schrecklich tränen. Sonst bleiben keine Schäden.«
Er betrachtete Sam von Kopf bis Fuß und lächelte. »Ihre Kleidung dagegen hat sehr wohl etwas abbekommen, sehe ich. Aber das ist schnell behoben. Das Wichtigste ist, dass Ihr Auftrag erfüllt ist.«
Sam begutachtete seine schmutzige, zerrissene Hose. Nicht gerade das passende Outfit für diesen Wagen. Aber das konnte ihm egal sein, so erleichtert war er nach dem geglückten Auftrag.
»Ah, da sind Ihre Gegner«, sagte Summer.
Sam schaute zur Weide. Die drei Personen vom Bauernhof kamen herbeigeschlendert, die Gewehre über der Schulter.
»Verflixt, Sam, ich habe dich nicht einmal gesehen«, sagte eine ihm bekannte Stimme. Das Mädchen zog sich die Mütze von Kopf und schüttelte ihre langen schwarzen Haare.
»Sorry, Daphné.« Sam lachte. »Das nächste Mal klingele ich, wenn ich vorbeikomme!«
Daphné grinste. Auch die anderen nahmen jetzt die Mützen ab, es waren Richard James und James Richards aus seiner Klasse. Richard rieb sich ständig die ziemlich roten Augen.
»Tut mir auch leid wegen der Rauchbomben, Leute, aber ich hielt sie für die beste Lösung«, sagte Sam.
»Mhm, kein Problem«, murmelte Richard, der lieber schnell ein Taschentuch gefunden hätte, als sich Sams Entschuldigungen anzuhören. Summer unterbrach sie.
»Okay, meine Dame, meine Herren, genug geschwatzt. Es ist Zeit für die Evaluation des Auftrags, aber das machen wir nicht hier, sondern in der Schule. Herr Smith fährt mit mir, der Rest wird gleich von Herrn Spring eingesammelt. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Farbpistolen gesichert sind, wenn Sie in den Wagen steigen. Herr Spring möchte absolut keine Sauerei!«
Daphné, Richard und James nickten und drückten auf einen Knopf an ihren Waffen.
»Anschnallen, Herr Smith«, sagte Summer zu Sam und startete den Wagen. »Sie haben doch nicht vergessen, dass Sicherheitsbewusstsein bei der Fahrt eine wichtige Eigenschaft eines Geheimagenten ist?«
Sam genoss den Fahrtwind in den Haaren. Sein erster Auftrag im neuen Jahr war gelungen. Er konnte fast nicht glauben, dass es nun schon ein Jahr her war, seit er sein altes Leben aufgegeben und sich für eine neue Existenz an der Spy School entschieden hatte. Innerhalb eines einzigen Jahres hatte er mehr erlebt als in seinem ganzen Leben davor.
Während der Fahrt zur Schule in London spukten Sam die Erinnerungen an die vergangenen Monate durch den Kopf. Alles hatte damit begonnen, dass Summer und Spring an ihn herangetreten waren und ihm vorgeschlagen hatten, eine Ausbildung zum Geheimagenten zu machen. Obwohl er dafür alles aufgeben musste, war seine Entscheidung schnell gefällt.
An der Schule hatte sich ihm eine neue Welt eröffnet. Eine Welt, in der er Fächer bekam wie Bomben entschärfen, Verfolgungstechniken, Technische Tricks und Wie man sich aus misslichen Lagen befreit. Zum Glück hatte er bald Daphné Wickman kennengelernt. Sie hatte ihm alles über die Spy School beigebracht und seither waren sie unzertrennlich. Am Ende des ersten Schuljahres hatte Sam im Dezember, wie der Rest der A-Klasse, gute Beurteilungen bekommen und wurde in die B-Klasse versetzt.
Jetzt war es Mitte Januar und Sam hatte gerade seinen ersten echten Auftrag des Schuljahres hinter sich gebracht.
Das zweite Jahr war viel praxisorientierter als das erste. Man hatte ihn am frühen Morgen dieses Tages irgendwo auf einer Wiese ausgesetzt und ihm nur einen Rucksack mitgegeben. Sein Auftrag lautete, sich eines schwarzen Aktenkoffers mit wertvollen Papieren zu bemächtigen, der wahrscheinlich von einigen »Kriminellen« bewacht wurde. Er bekam zwei Stunden Zeit, dann musste er das Fluchtauto erreicht haben. Er hatte nicht gewusst, wer seine Gegner waren, bis sie eben die Mützen abgenommen hatten.
Daphné war vermutlich weniger zufrieden mit ihrem Part, aber zum Glück zählten vor allem die Aufträge, die man als Geheimagent erledigen musste und viel weniger die, in denen man die Rolle des Kriminellen übernahm.
Letztere waren trotzdem lehrreich, weil man lernte, wie der Gegner zu denken.
Bald sollte er ein Auslandspraktikum absolvieren. Dann würde er Leute vom dortigen Geheimdienst kennenlernen. Sofern die etwas preisgeben würden, denn nicht alle Länder wollten Informationen weitergeben. Auf jeden Fall würde er versuchen, möglichst viel mitzukriegen.
Sam lehnte sich in dem weichen Autositz zurück und schloss die Augen. Aber jetzt erst mal ein Nickerchen, auch zukünftige Geheimagenten werden mal müde.
Taschenspielertricks
Zwei schwarze Jeans, fünf graue und schwarze T-Shirts, zwei Pullover – ein grauer und ein schwarzer – zwei Paar schwarze Schuhe, sieben graue Unterhosen und eine blaue mit lauter kleinen Garfields, acht paar schwarze Strümpfe, eine graue Regenjacke und einen Kulturbeutel mit Zahnbürste, Zahnpasta, Seife, Kamm und einem Waschlappen. Sam betrachtete den Koffer auf seinem Bett. Damit musste er die kommenden Wochen überstehen. Ab und zu würde er etwas waschen lassen müssen, aber Summer hatte gesagt, das sei kein Problem.
Der Anblick des Koffers mit den schwarzen und grauen Sachen hatte etwas Trübseliges. Aber das war nun einmal das Outfit eines Geheimagenten. Er durfte nicht auffallen und musste so neutral wie möglich gekleidet sein. Nur die blaue Unterhose mit den Garfields aus seinem früheren Leben gab der Sammlung ein wenig Farbe.
Sam trug seinen grauen Anzug. Der erste Eindruck bei seinem Praktikumbegleiter war sehr wichtig. Damit die Beziehungen zwischen der Schule und dem Ausland optimal blieben, mussten sich die Schüler während der Praktika von ihrer besten Seite zeigen. Ihre Gastgeber vor den Kopf stoßen war vollkommen undenkbar. An der Schule kursierten Gerüchte, der Kalte Krieg zwischen Russland und den Vereinigten Staaten sei entstanden, weil sich ein Schüler der CIA-School einen Scherz mit seinem russischen Begleiter erlaubt hatte. Fast ein halbes Jahrhundert lang gab es enorme Spannungen zwischen beiden Ländern, aber niemand erinnerte sich noch an die Ursache: eine Spinne auf einem Butterbrot.
Vor seiner Abfahrt hatte Sam noch Unterricht bei Frau March. Normalerweise trug niemand im Unterricht einen Anzug, aber heute war eine Ausnahme, weil die meisten Schüler gleich nach der Stunde aufbrachen. Sam war gespannt auf sein Reiseziel. Das würden sie erst später mitgeteilt bekommen. Die Lehrer wollten nicht, dass sich ihre Schüler auf die Reise vorbereiten konnten. Nach einem Jahr hatte sich Sam daran schon gewöhnt; die Spy School bot viele Überraschungen.
»Klopf, klopf, darf ich reinkommen?«, holte ihn eine Stimme aus seinen Gedanken. Sam sah auf.
»Eigentlich fragt man erst, ob man hereinkommen darf und kommt dann rein, und nicht umgekehrt, Daphné«, sagte Sam und lachte. »Aber ausnahmsweise nehme ich es mal nicht so genau, obwohl Höflichkeit ja eine wichtige Eigenschaft eines Geheimagenten ist, wie du weißt.«
»Ja, ja, und blöde Witze machen wahrscheinlich auch!«, antwortete Daphné und warf sich auf Sams Bett. Sie war anders als sonst, merkte Sam sofort. Nach einem Jahr kannten sie sich durch und durch. Sie grübelte ganz offensichtlich über etwas nach.
»Okay, spuck’s aus. Was ist los?«
»Nichts, was soll sein?«, sagte Daphné, aber sie schaute ihn dabei nicht an.
»Ich seh’s dir doch an.«
Sie seufzte. »Ist ja schon gut. Ich bin einfach ein wenig nervös vor der Reise ins Ausland. Es ist schließlich das erste Mal, dass wir uns so lange allein durchschlagen müssen.« Sie hob den Kopf. »Aber vielleicht übertreibe ich und alles wird halb so schlimm.«
»Jetzt beruhigst du dich schon selbst!«, sagte Sam. »Das ist eigentlich mein Part. Bald brauchst du mich gar nicht mehr.«
»Wer weiß.« Daphné lachte. »Hoffentlich erkenne ich dich noch, wenn wir wieder da sind! Du erstaunst mich doch immer wieder, Sam Smith. Ich bin noch keine Minute hier, du hast kaum was gesagt, und trotzdem fühle ich mich um einiges besser! Wie machst du das nur?«
»Reine Magie, Daphné. Aber ich kann dir mein Geheimnis nicht verraten, denn sonst müsste ich dich töten. Der Magier-Ehrencode ist uns heilig!«
Daphné lachte wieder. »Du bist ganz schön verrückt, Sam. Aber dein Nonsens über Magie erinnert mich daran, dass ich dich eigentlich zum Unterricht abholen wollte. Frau March mag es nicht, wenn wir zu spät kommen.«
Sam und Daphné verließen das Zimmer und machten sich auf den Weg durch die Gänge der Schule. In den ersten Wochen hatte sich Sam ständig verlaufen, aber jetzt waren sie im Nu im richtigen Raum. Ihre Mitschüler saßen schon auf ihren Plätzen, Frau March selbst war noch nicht da. Sam und Daphné saßen aber kaum, als sie hereinkam.
»Guten Morgen, B-Klasse. Ich sehe, Sie sind alle bereit zum Aufbruch ins Ausland. Schön, dann habe ich genügend Zeit, Ihnen noch etwas beizubringen. Auch an einem Tag wie diesem muss gearbeitet werden!«
Im ersten Jahr hatte Frau March sie in Mathematik unterrichtet. In diesem Jahr gab sie das Fach Magie. Die Schüler sollten nach ihrer Ausbildung nicht auf einer Bühne stehen und Kaninchen aus dem Hut zaubern oder Frauen durchsägen können, sondern eine gewisse Geschicklichkeit entwickeln. Sie sollten lernen, wie sie die Aufmerksamkeit ihres Gegners so ablenken konnten, dass dieser nicht mehr auf die Handlung achtete. Wie ein Zauberer konnten sie dann zum Beispiel mit wieselflinken Fingern Dinge verschwinden lassen oder zum Vorschein bringen.
»Letztes Mal hatten wir gerade mit einigen Kartentricks begonnen«, sagte March. »Haben Sie die ein wenig geübt?«
Alle nickten.
»Gut, dann werden wir mal schauen, ob das stimmt. Herr James, können Sie uns kurz den Trick zeigen, bei dem die gezogene Karte schließlich in der Brusttasche des Gefoppten steckt?«
Richard James stöhnte hörbar. Irgendwie wurde immer er herausgepickt, um praktische Übungen vorzuführen. Und eher würde eine Herde Elefanten in die Spy School stürmen, als dass Richard auf Anhieb einen Test bestünde. Richard nahm das Kartenspiel, das vor ihm lag, mischte die Karten und breitete sie vor seiner Nachbarin aus: Ann Jones. Die zog eine Karte und zeigte sie dem Rest der Klasse. Es war eine Herzzehn. Ann steckte die Karte wieder zwischen die anderen und Richard nahm den Stapel in beide Hände. Das war der Moment, in dem er die Karte unbemerkt in seinen Ärmel gleiten lassen musste. Die Tatsache, dass ihn zehn Augenpaare genau beobachteten, machte es nicht leichter.
Richard mischte die Karten erneut. Die Herzzehn steckte deutlich vorn und blieb dort auch die ganze Zeit. Richard sah keine Chance, die Karte verschwinden zu lassen und begann immer schneller zu mischen. Sam bezweifelte, dass das gut gehen würde. Das Mischtempo nahm schnell zu, bis Richard die Kontrolle über die Karten verlor und ihm der ganze Stapel aus den Händen flutschte. In hohem Bogen flogen die Spielkarten durch die Luft und landeten exakt vor Frau Marchs Füßen. Eine Karte war jedoch auf dem Tisch liegen geblieben: die Herzzehn. Richard sah verblüfft auf sein Pult. Die Klasse applaudierte begeistert.
»Bravo, Herr James«, sagte March, »Sie haben soeben Ihren höchstpersönlichen Kartentrick erfunden. Und er funktioniert wunderbarerweise, muss ich sagen, aber ich frage mich, ob es Ihnen wohl auch gelänge, ihn zu wiederholen.«
Richard wurde rot, aber er strahlte auch ein bisschen dabei. Schließlich konnte niemand erklären, wie er das geschafft hatte. Und er selbst schon gar nicht.
Während der restlichen Stunde vertieften sie das heimliche Verschwindenlassen der Karten. Man konnte sie zum Beispiel in den Ärmel stecken oder aber auch in die eigene Brusttasche. Man konnte die Karte auch unbemerkt über das Genick in den Pullover rutschen lassen oder in die Unterhose stecken. Auch Strümpfe waren ein gutes Versteck. Unter Tisch konnte man nur schwer im Auge behalten werden.
Am Ende der Stunde sah Frau March auf die Uhr. »In der uns verbleibenden Zeit werde ich Ihnen noch einen schönen Trick zeigen«, sagte sie.
Sie legte drei Karten nebeneinander auf ihren Tisch, zwei schwarze und eine rote Dame, die Herzdame.
»Sie werden ihn wahrscheinlich schon auf der Straße gesehen haben, wo schlaue Betrüger den Leuten Geld aus der Tasche zu ziehen versuchen. Sie sollen sagen, wo die rote Dame ist. Der Spieler darf die Karten erst kurz sehen, dann werden sie umgedreht und auf dem Tisch vermischt.«
March drehte ihre Karten um und begann sie dann umeinanderzuschieben. Rasend schnell bewegten sich die Karten über- und untereinander. Sam versuchte, die rote Dame im Auge zu behalten. Er gab es schnell auf. Plötzlich hielt Frau March die Hände still. Die drei Karten lagen wieder ordentlich nebeneinander.
»Bevor Sie zu raten beginnen«, fuhr Frau March in ihren Erklärungen fort, »muss ich Sie kurz warnen. Auch wenn der Betrüger noch so schnell ist, hat der Kunde doch eine Chance von eins zu drei, dass er richtig rät. Und das kann ein großes Risiko sein, wenn es um viel Geld geht. Trotzdem nehmen die meisten Zauberkünstler und Taschenspieler ihren Beruf ernst und geben dem Kunden eine ehrliche Chance. Sie gehen davon aus, dass er meist danebenliegt.«
March zeigte auf die Karten.
»Wer glaubt, dass die rote Dame die Karte links außen ist?«
Sam und drei seiner Mitschüler hoben die Hand. Wenn er ganz ehrlich war, hatte Sam wirklich keine Ahnung. Die rote Dame konnte überall liegen. March drehte die Karte um: Die Pikdame lachte die Klasse traurig an.
»Falsch«, sagte Frau March. »Schade, dass ich hiermit kein Geld verdiene! Wer meint, es sei die mittlere Karte?«
Nur Ann Jones Finger hob sich. March hielt die Karte hoch und diesmal war es die Kreuzdame, die sie anlächelte.
»Tut mir leid, Frau Jones, auch Sie irren sich.«
March nahm die letzte Karte und hielt sie mit dem Bild zu sich nach oben.
»Wer glaubt, dass dies die rote Dame ist?«
Die restlichen fünf Schüler der B-Klasse, allen voran eine strahlende Daphné, zeigten erfreut auf. Sie hatten ihre clevere Lehrerin von Anfang an durchschaut!
»Gut, die Finger dürfen wieder runter. Nun, bevor Sie sich für Meister im Durchschauen von Kartentricks halten, nur noch kurz Folgendes: Die echten Betrüger gehen kein Risiko ein und machen das einfach so.«
Langsam drehte Frau March die letzte Karte um. Die fünf, die gerade noch so breit gelächelt hatten wie Wassermelonen, machten jetzt ein verdutztes Gesicht. Die Karte zeigte wieder eine Pikdame.
»Echte Betrüger sorgen dafür, dass es keine rote Dame mehr gibt. Nach dem Spiel drehen sie nur die Karte um, auf die ihr Gegner zeigt. Und das wird immer eine schwarze Dame sein. Dass keine rote Dame mehr im Spiel ist, weiß der Gegner nicht. So hat er weniger Chance zu gewinnen als ein Backstein beim Hundert-Meter-Brustschwimmen.«
James Richards hob die Hand. Sam sah ihn kurz an und musste insgeheim grinsen wegen all der vielen Male, die er Richard James und James Richards verwechselt hatte. Die beiden hatten nicht nur gleichartige Namen, sondern sahen sich auch noch ähnlich. Mit eineiigen Zwillingen hätte Sam weniger Probleme gehabt.
»Was kann ich für Sie tun, Herr Richards?«, fragte March.
»Wie lassen denn die Betrüger – und Sie auch eben –, die rote Dame verschwinden?«, fragte James.
Frau March sah wieder auf ihre Uhr.
»Hm, Präsident-Generaldirektor Autumn ist noch nicht da, ich kann es Ihnen also noch erklären.«