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Die junge Aurelie Buffay ist gerade mit dem College fertig geworden und nicht auf der Suche nach der großen Liebe, sondern nach einem guten Job im Musikbusiness. Als sie den äußerst attraktiven Benjamin Bing kennenlernt, der noch dazu bei ihrem Lieblings-Plattenlabel als Songwriter arbeitet, scheint es, als wären Liebe und Zukunft gesichert. Doch Benjamin ist nicht der, für den er sich ausgibt. Er verbirgt ein Geheimnis, dass letztendlich nicht nur Aurelie in Gefahr bringt, sondern auch ihren besten Freund George. Schaffen sie es Benjamin aufzuhalten, oder stürzen alle ins Verderben? Ein spannender Erotikthriller über Liebe, Freundschaft und Gefahr.
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Seitenzahl: 298
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Für meine Schwester Sabine, Fan und Testleserin der ersten Stunde
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Epilog
Kennt ihr dieses total alberne Gefühl, wenn man nachts unterwegs ist und denkt, man wird verfolgt?
Ich kenne das nur zu gut. Ein Gefühl, dass sich nicht abschütteln lässt. Es stellen sich alle Härchen auf und man beginnt zu denken, dass man total paranoid ist, bis dann endlich die rettende Wohnung erreicht ist, und man sich in Sicherheit fühlt.
02:30 Uhr nachts. Meine Arbeit im Reggies war zu Ende und ich konnte endlich nach Hause fahren. Von der Bar aus brauchte ich fast 30 Minuten mit dem Zug zu meiner Haltestelle, und dann noch einmal 10 Minuten Fußweg zu meiner kleinen, gemütlichen Zweizimmerwohnung, mitten im Industrieviertel. Klar gibt es schönere Fleckchen in Chicago, sehr viel schönere, aber die sind mit mehr Kosten verbunden und hier hatte ich alles, was ich brauchte, direkt vor der Haustür.
Der Zug war nicht sonderlich voll. Kein Wunder um die Uhrzeit. Ich stieg aus und die Anzahl der Leute, die den gleichen Weg gingen, verringerte sich noch mal. Als ich um die Ecke bog, in Richtung meiner Wohnung, war ich alleine auf der Straße.
Alleine? Nicht ganz. In einiger Entfernung hörte ich Schritte. Und da war es wieder. Es überkam mich mit einer Wucht, dass ich schon in leichte Panik geriet. Dieses Gefühl, verfolgt zu werden! Mein Atem beschleunigte sich und ich ging etwas schneller. Leicht verunsichert blickte ich über meine Schulter, um nachzusehen, wer hinter mir war. Ich sah nur eine große, männliche Person, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und die Hände in den Taschen.
Irrte ich mich, oder schien der Typ leicht betrunken zu sein? Ich glaubte zu sehen, dass er etwas schwankte.
Also wurde ich doch nicht verfolgt, redete ich mir ein und musste über mein albernes Gehabe lächeln. Aber mein Körper sprach eine andere Sprache. Ich bekam überall Gänsehaut und meine Härchen stellten sich so weit auf, wie nie zuvor. Was hatte Ben noch mal gesagt?
„Ich lasse dich nie wieder gehen! Nie wieder, hörst du?!“ Sein Tonfall war so drohend gewesen, dass ich es mit der Angst zu tun bekam.
Hatte er seine Äußerung, mich überwachen zu lassen, wahr gemacht? War es am Ende er selbst, der da hinter mir lief?
Meine Schritte wurden abermals schneller. Nicht rennen, ermahnte ich mich. Doch die Panik in mir wuchs immer mehr. Wie lang war dieser verdammte Weg denn noch? Sonst war ich im Nullkommanichts zu Hause, doch heute kam es mir so vor, als müsste ich zehn Kilometer weit laufen. Ich griff in meine Jackentasche, um die Sicherheit des Haustürschlüssels zu suchen. Ja, da war er! Jetzt war es nicht mehr weit.
Ich schaute ein letztes Mal verstohlen über meine Schulter. Der Fremde war nicht mehr da. Erleichtert atmete ich aus. Dumme Gans, schimpfte ich mich selbst. So etwas würde Ben doch niemals tun. Oder doch?
Er hat sich verändert in den letzten Wochen, erinnerte mich mein inneres Ich.
Sehr sogar, das kannst selbst du nicht leugnen! Böse sah es mich an.
Ja, das hatte er, es stimmte, ich konnte es nicht leugnen. Deshalb wollte ich ja eine Auszeit, damit ich über uns nachdenken konnte, ob das Ganze eine weitere Zukunft hat. Erneut kamen mir seine Worte in den Sinn.
„Ich lasse dich nie wieder gehen! Nie wieder.“ Dazu erinnerte ich mich an seinen Blick aus diesen wunderschönen blaugrünen Augen, der auf einmal hart und kalt war.
Ah, endlich! Ich sah meine Haustür und holte erleichtert meinen Schlüssel aus der Tasche. Nachdem ich den Fremden mit dem Kapuzenpulli nicht mehr gesehen hatte, entspannte sich mein Körper.
Ich wollte den Schlüssel gerade ins Schloss stecken, als sich schlagartig wieder alle Haare aufstellten. Die Gänsehaut reichte von Kopf bis Fuß und ich spürte ein Kribbeln am ganzen Körper.
Ich wollte mich noch umdrehen, um zu sehen, was diese körperliche Reaktion ausgelöst hatte, als ich von hinten gepackt wurde, sich eine Hand auf meinen Mund legte, sodass ich nicht schreien konnte, und ich ein Zischen an meinem Ohr hörte:
„Ich hab doch gesagt, ich lasse dich nie wieder gehen!
NIE WIEDER!“
Ich bin Aurelie Buffay, 22 Jahre jung, habe gerade meinen Collegeabschluss gemacht und versuche jetzt einen guten Job zu finden. Am liebsten in der Musikbranche.
Zurzeit bin ich Kellnerin im Reggies Grill&Bar. Die Arbeit ist in Ordnung, man trifft viele interessante Leute. Meine Arbeitskollegen sind alle nett und haben mich herzlich aufgenommen.
Ich würde nicht sagen, dass ich eine klassische Schönheit bin, mit meinen rotblonden Haaren, den vielen Sommersprossen im Gesicht und meinen graublauen Augen. Allerdings weiß ich meine Reize gut einzusetzen und die Männer, die mich interessierten, konnte ich bis jetzt noch immer um den kleinen Finger wickeln. Meine Sommersprossen allerdings sind ein gut gehütetes Geheimnis von mir, denn ich gehe nie ohne Make-up aus dem Haus. Ich hasse diese kleinen Pünktchen, die wirklich überall in meinem Gesicht sind. Zwar sind sie auch auf meinen Schultern, aber da bei weitem nicht mehr so schlimm. Ich habe es schon als Kind gehasst, wenn alle immer sagten, wie niedlich ich doch damit aussehe. Tja, es hat sich ausgeniedlicht!
Mein Make-up verdeckt alles, dadurch wirkt meine Haut natürlich viel heller, was dann wiederum gut zu den rotblonden Haaren passt und mir doch das Gefühl gibt, jemand anderes zu sein.
Ich genoss meine Freiheit und das Spiel mit den Männern. Nicht dass ich schon viele Freunde gehabt hätte, ich bin ziemlich wählerisch und hier und da entpuppte sich auch schon ein Kandidat als Lachnummer. Meine „Beziehungen“ hielten meist nur zwischen drei und sechs Monaten, bis mich meine Freunde langweilten und ich weiterzog. Ich bin ja erst 22 und hab noch etwas Zeit.
Wenn es nach meinem Vater gehen würde, hätte ich noch Zeit bis ich 70 bin. Das liegt aber auch nur daran, weil meine große Schwester damals mit 16 durchgebrannt ist, um irgendeinen Elvis-Imitator in Las Vegas zu heiraten. Was man mit einem gefälschten Ausweis nicht alles schaffte. Das war jetzt 10 Jahre her, sie ist mit Ehemann Nummer drei verheiratet und wohnt irgendwo in den Südstaaten. Sie ruft alle paar Wochen mal durch, damit wir wissen, wie es mit dem aktuellen Ehemann läuft, aber das war's dann auch schon. So wollte ich dann doch nicht enden und hatte daher immer nur kurze Beziehungen, bevor es zu ernst mit dem falschen Mann wurde.
Als ich Dienstagmittag in die Arbeit kam, waren schon die ersten Gäste da. Meist eher Stammgäste, die in der Mittagspause eben schnell einen Burger oder Chicken Wings oder auch einfach nur Mac'n'Cheese essen wollten. So richtig los ging es immer erst abends, besonders dann wenn wir Live-Acts im Haus hatten, was eigentlich jeden Abend der Fall war.
Heute allerdings sah ich in der Nähe des Eingangs einen jungen Mann sitzen, circa Ende 20, mit chaotisch zerzausten, blonden Haaren. Er trug eine Lederjacke, die Ärmel hochgekrempelt und einen passenden stylischen Schal um den Hals. Er kritzelte wild auf einem Stück Papier herum und schien am Rande der Verzweiflung zu sein.
„Na, der sieht doch aus, wie mein nächster Fehltritt …“, sagte ich zu mir selbst und musste an den Song von Taylor Swift denken: „Blank Space“.
Mein inneres Ich, von mir Betty genannt, machte bereits einen Luftsprung und bereitete sich auf den Angriff vor.
„Hallo mein Süßer. Ich bin Aurelie, deine Bedienung heute Mittag. Was darf ich dir bringen?“ Als er den Kopf hob und mich mit diesem total frustrierten Blick aus den tollsten blaugrünen Augen, die ich je gesehen hatte, ansah, traf es mich wie ein Schlag.
Betty klappte das Kinn runter und ihre Zunge rollte über den Boden, wie bei einer Comicfigur.
Er war glatt rasiert. Das war mal erfrischend, denn momentan war dieser Dreitagebart bei Männern total angesagt.
„Ihr schenkt mittags nicht zufällig schon Alkohol aus, oder?!“, fragte er mich.
„Äh, nein, erst abends. Aber wenn der Chef wieder nach hinten verschwindet, könnte ich dir ein Gläschen Tequila besorgen.“ Ich lächelte und zwinkerte ihm aufmunternd zu.
„Oh nein, lass mal, das war wieder so klar. Es ist und bleibt einfach F u c k i n g-Dienstag! Dann nehme ich eben ein Wasser.“ Bedrückt schaute er wieder auf sein Blatt Papier und zerknüllte es.
„Es ist was? Fucking-Dienstag?“, fragte ich amüsiert.
„Du findest das wohl lustig, wie? Ich erklär es dir mal. Die Vergangenheit hat mir gezeigt, dass der schlechteste Tag der Woche Dienstag ist. Nicht Montag, wie viele meinen. Nein, es ist der Dienstag! Wenn etwas schiefläuft oder kaputt geht, dann ist es meist ein Dienstag. Und wenn dann noch Dienstag, der 18te ist, tja, dann bleib lieber gleich zu Hause im Bett! Aus dem Tag kann nichts werden.“ Er holte tief Luft und stieß sie mit einem Seufzer aus. Dann schaute er mich noch mal an und es war, als hätte er mich vorher nicht wirklich registriert.
Jetzt lächelte er und es schien, als fiele ihm gerade auf, was er da eigentlich gesagt hatte. Seine Mundwinkel gingen wieder nach unten und etwas stotternd fügte er schnell hinzu: „Also nicht, dass du jetzt denkst, ich wäre abergläubisch oder so. Es hat sich ja auch ziemlich doof angehört, aber es stimmt wirklich. Dienstag ist ein schrecklicher Tag. Wobei … heute könnte er doch noch gut werden“, sagte er grinsend und musterte mich von oben bis unten.
„Okay?! Das kommt mir zwar jetzt doch seltsam vor, aber was soll's. Das sind wahrscheinlich Sachen, die mir noch nicht aufgefallen sind. Ein Glas Wasser also. Sonst noch etwas?“, fragte ich ihn immer noch amüsiert und tippte mit meinem Bleistift auf den Bestellblock.
„Was kannst du mir denn zu essen empfehlen?“ „Empfehlen? Oh, das kann ich gar nicht alles aufzählen. Unsere Küche ist super, und ich muss es wissen, schließlich esse ich hier auch jeden Tag.“ Ich schnalzte mit der Zunge und tat so, als wollte ich ihn mit dem Ellbogen anstupsen.
„Aber für einen Fucking-Dienstag würde ich dir wohl unsere begehrten Mac'n'Cheese empfehlen, helfen in allen Lebenslagen!“
„Das klingt doch wirklich gut. Die nehme ich.“ Er nickte mir zufrieden zu und sah mir hinterher, als ich zurück zum Tresen ging und die Bestellung zur Küche weiterleitete. Uff, was für ein heißer Typ, den muss ich mir unbedingt krallen, dachte ich und grinste verschmitzt in mich hinein.
Betty kam aus dem Nicken nicht mehr heraus und holte gleich den Brautstrauß. Na, na, mal langsam, Süße. Das geht dann doch etwas zu schnell. Wieder musste ich grinsen.
Als ich ihm die Makkaroni mit Käse brachte, war er gerade am Telefon und schon schien seine etwas bessere Stimmung von vorhin fast wieder weg zu sein.
„Nein, ich schaffe den Song nicht bis morgen, ich hab noch nicht die richtige Idee gefunden! Ich brauche noch circa drei Tage. Ja, das weiß ich. Nein, es geht nicht schneller. Jetzt müssen die eben etwas warten!“
Damit legte er auf und wollte das Handy schon auf den Tisch knallen, als er mich mit seinem Essen neben sich stehen sah.
„Oh, entschuldige bitte, Probleme bei der Arbeit.“ Er setzte ein entschuldigendes Lächeln auf und fing an zu schnuppern.
„Das riecht ja köstlich! Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen!“
„Na dann, guten Appetit!“ schmunzelte ich und stellte den Teller vor ihm ab.
„Und nicht stressen lassen!“ Ich zwinkerte ihm zu. Nicht stressen lassen? Ich Trottel, das war keine Glanzleistung!
So krieg ich ihn nie, schalt ich mich und auch Betty schüttelte den Kopf, verschränkte die Arme und tippte mit ihrem Fuß auf den Boden.
Ja, ja, ich weiß, ich streng mich an.
Sobald er fertig war, räumte ich in Windeseile seinen Teller ab und fragte mit einem Unschuldsblick, ob er noch etwas haben möchte.
„Nein, danke. Ich bräuchte dann aber die Rechnung, da ich leider schon los muss.“
„OH! Wie schade, ich werde sie gleich fertig machen. Vielleicht noch einen Kaffee zum Mitnehmen?“
„Kaffee? Ja, das klingt tatsächlich gut. Schwarz mit einem Stück Zucker, bitte.“
„Kommt sofort mit der Rechnung. Welchen Namen soll ich auf den Becher schreiben?“ Jetzt kam ich mir sehr schlau vor, es passierte nicht sehr oft, dass jemand Kaffee bei uns mitnahm, aber bei Starbucks fragen sie dich schließlich auch nach deinem Namen.
Begeistert klatschte Betty in die Hände.
„Benjamin“, sagte er leicht verdutzt. Ah, Benjamin also. Das ist doch schon mal ein Anfang. Während ich so tat, als würde ich die Rechnung schreiben, kritzelte ich meinen Namen und meine Handynummer auf den Kaffeebecher.
Ich brachte ihm beides und er bezahlte bar, mit einem guten Trinkgeld für mich. Dass auf seinem Becher mehr stand als nur sein Name, würde ihm wohl erst außerhalb der Bar auffallen. Er sah noch mal durchs Fenster herein und winkte mir zu. Ich lächelte zurück und machte innerlich einen kleinen Luftsprung. Er würde sich sicherlich melden, oder? Wenn jemand noch mal extra winkt, dann meldet er sich doch, oder?
Die darauffolgenden Stunden vergingen nur sehr langsam, und ich schaute immer wieder auf mein Handy. Keine Nachricht. Kein Anruf. War das Ding auch an?
„Wartest du auf eine wichtige Nachricht?“, fragte Liz, meine Kollegin und Freundin.
„Wichtig? Naja, nein, eigentlich nicht. Ich habe heute Mittag einen total heißen Typen bedient und meine Nummer auf seinen Kaffeebecher geschrieben. Ich hatte gehofft, er würde sich melden“, erklärte ich ihr leicht deprimiert.
„Gibt es da bei Männern nicht dieses unausgesprochene Gesetz, dass man sich erst nach drei Tagen meldet?!“, überlegte Liz laut.
„Drei Tage? Oh man, so lange kann ich unmöglich warten, aber da ich nur seinen Vornamen kenne, bleibt mir wohl nichts anderes übrig!“ Ich schaute noch einmal auf mein Handy, das immer noch keine neuen Nachrichten anzeigte und steckte es wieder zurück in meine Tasche.
Betty hingegen hatte sich schon ins Bett gelegt und wollte für heute nichts mehr machen.
Als meine Schicht abends zu Ende war, überlegte ich, was ich noch unternehmen könnte. Es war erst 20:00 Uhr und irgendwie hatte ich heute keine Lust, nach Hause zu gehen. Dann müsste ich nur die ganze Zeit mein Handy anstarren und mit purer Willenskraft versuchen, es zum Klingeln zu bewegen. Nein, ich wollte was unternehmen. Aber was? Ich könnte noch zu einem meiner Lieblingsorte fahren, dem Navy Pier. Er wird zwar unter der Woche um 20:00 Uhr geschlossen, aber die Atmosphäre dort ist trotzdem toll und ich kann noch eine Runde spazieren gehen. Mit dem ATC Bus 29 brauchte ich etwa 23 Minuten, das wäre in Ordnung, also machte ich mich auf den Weg zur Haltestelle.
Als ich am Pier ankam, der heutzutage eine der größten Attraktionen in Chicago ist, waren immer noch viele Leute unterwegs und ich sog die gute Laune und die Luft in mich auf.
„Uh, es ist immer wieder toll hier!“
Ich ging den Steg hinunter bis zum Ende und freute mich über den Anblick des Lake Michigan. Es war jedes Mal ein bisschen wie Urlaub für mich, wenn ich hierherkam, deshalb genoss ich den Ausblick umso mehr, und Benjamin war für eine kleine Weile vergessen. Ich schaute auf die Uhr. Oh, schon so spät. Jetzt sollte ich aber wirklich nach Hause fahren, dachte ich. Ich schlenderte zurück zur Bushaltestelle, als ich auf einer Bank einen verärgerten, wild auf einem Blatt Papier rumkritzelnden Mann sitzen sah. Er hatte zerzaustes, blondes Haar und trug eine Lederjacke.
Betty blinzelte mit einem Auge aus dem Bett.
War das nicht Benjamin, von heute Mittag? Ich schlenderte zu ihm rüber und fragte ganz souverän
„Song immer noch nicht fertig?“ Er schaute sich suchend um, wer der Angesprochene wäre, dann zu mir. In seinem Kopf fing es an zu rattern, dass sah man ihm an, und dann erkannte er mich.
„Ah, die Kellnerin von heute Mittag! Ähm … ähm … Moment.“
Er kramte in seiner großen Umhängetasche und zog den Kaffeebecher raus, auf den ich ja meine Nummer geschrieben hatte. Yes, er hatte ihn noch. Innerlich machte ich eine Faust und zog den Arm siegessicher zum Körper. Dann war ich noch nicht aus dem Spiel.
„Aurelie, richtig?“, er grinste mich verschmitzt an.
„Stimmt genau.“, erwiderte ich erfreut.
„Ich muss sagen, das war ein cleverer Schachzug mit dem Kaffeebecher. Das kenne ich sonst nur von Starbucks. Ich wollte mich schon melden, aber es gibt da eine unausgesprochene Männerregel, dass man sich erst nach drei Tagen bei einer Frau melden darf. Und leider bin ich heute auch sehr im Stress gewesen.“
Er zwinkerte mir entschuldigend zu.
„Ah ja, die berühmte Drei-Tage-Regel. Das gleiche hat meine Freundin Liz heute auch zu mir gesagt.“ Wir sahen uns an und mussten beide lachen.
„Dann ist wohl was Wahres dran, wobei ich mir eher dachte, ich komme morgen noch mal zum Essen vorbei. Wo es doch so viele Spezialitäten bei euch gibt.“
„Okay, dann bis morgen“, sagte ich und blickte dabei erneut auf meine Uhr. „Ich muss jetzt leider gehen, sonst verpasse ich den ATC. Aber ich bin gespannt, morgen mehr über diesen mysteriösen Song zu hören.“ Ich winkte ihm zu und ging Richtung Haltestelle.
Die ganze Nacht bekam ich kein Auge zu. Ich musste ständig grinsen und Betty probierte tausend Sachen vorm Spiegel an und machte sich hübsch.
Am nächsten Tag machte ich mich total überdreht auf zur Arbeit. Gott sei Dank begann meine Schicht erst mittags, sodass ich doch noch etwas Schlaf bekommen hatte und einigermaßen frisch dort auftauchen konnte.
Jedes Mal, wenn sich die Tür öffnete, schaute ich hoffnungsvoll hinüber, aber bis jetzt war Benjamin noch nicht da.
„Nicht so ungeduldig“, kicherte Liz. So kannte sie mich gar nicht, da ich ja noch nicht so lange im Reggies arbeitete.
“Er wird schon noch kommen, und wenn nicht, dann hat er dich eh nicht verdient.“ So einfach war das bei Liz. Und dann kam er durch die Tür. Locker lässig mit Sonnenbrille, die Sonnenstrahlen schienen mit ihm durch die Tür zu kommen.
Er setzte sich an den gleichen Tisch wie gestern und hatte auch die gleiche Lederjacke an, nur diesmal ohne Schal und wieder frisch rasiert. Die Haare nicht so stark verwuschelt, sondern mit Seitenscheitel, locker gekämmt, aber kein Gel. Er konnte sie also jederzeit wieder zerzausen. Ach, wie gern würde ich sie zerzausen. Ich knetete verträumt mein Wischtuch und biss mir kurz auf die Lippen, als ich von Liz einen Stoß in die Rippen bekam.
„Na, geh schon rüber, oder soll ich heute deine Tische übernehmen?“, fragte sie mit Unschuldsmiene und lachte dann.
„Natürlich nicht!“ erwiderte ich leicht schockiert, grinste dann aber ebenfalls.
„Hallo mein Süßer!“
„Also, an diese Anrede könnte ich mich wirklich gewöhnen.“ Um seine Lippen schlich ein süffisantes Lächeln.
„Was darf ich dir denn heute bringen?“, fragte ich schnell, bevor mein Mund irgendwas Dummes sagen konnte.
Betty schien schon leicht beleidigt zu sein.
Sie zog eine Schnute und verschränkte die Arme.
„Heute hätte ich gern einen Burger. Ich lass mich auch überraschen, es sollten aber keine Tomaten drauf sein.“
„Gut. Burger ohne Tomaten, ich sehe, was der Küchenchef machen kann. Dazu wieder ein Wasser?“
„Hm, ich denke schon. Muss auf meine Linie achten.“ Und mit diesem Satz prustete er los und schlug sich mit der Hand auf den Oberschenkel, welcher sich unter der Jeans muskulös abzeichnete.
„Sorry, aber der ist immer wieder ein Brüller“, brachte er gerade noch raus, bevor er sich verschluckte und einen Hustenanfall bekam.
„Tja, kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort.“ Ich nickte ihm zu und konnte mein Lachen kaum unterdrücken.
„Hey Phil, einmal Spezialburger ohne Tomaten“, rief ich zur Küche hinüber, während ich das Glas Wasser vorbereitete. Ich überlegte, wie ich ihm diesen kleinen Seitenhieb, der wohl auf alle Frauen bezogen war, heimzahlen konnte, denn offensichtlich hatte er Humor.
Ich nahm also einen Kaugummi und kaute mit offenem Mund, sichtlich gelangweilt, darauf herum, während ich ihm sein Wasser brachte.
„Hier ist schon mal das Wasser, der Burger dauert noch etwas“, sagte ich so monoton wie es ging und spielte mit einer Haarsträhne.
„Benötigen Sie sonst noch etwas?“ Er starrte mich nur an, als käme ich vom Mond und sein Mund ging auf, aber nicht wieder zu.
„Hat es Ihnen jetzt die Sprache verschlagen?“, fragte ich wieder total eintönig.
Als er jetzt zumindest seine Augen wieder unter Kontrolle hatte und blinzelte, konnte ich mich nicht mehr zusammenreißen und fing an zu lachen.
„Kleiner Scherz, für den Seitenhieb mit der Linie.“ Sein Mund ging wieder zu und er musste kichern.
„Schön und einfallsreich, das gefällt mir.“ Sein Lächeln wurde unwiderstehlich, während er mir direkt in die Augen schaute und ich innerlich dahinschmolz. Meine Wangen glühten, was man unter dem Make-up Gott sei Dank nicht sehen konnte.
Betty hingegen fächelte sich theatralisch Luft zu.
Ich drehte mich um und brachte ihm noch seinen Spezialburger. Irgendwann kam leider der Zeitpunkt, an dem er die Rechnung verlangte und ich ihm nichts mehr anzubieten hatte, damit er noch etwas bleiben konnte. Ich hatte den Eindruck, er überlegte auch, welchen Grund er noch hätte, etwas länger sitzen zu bleiben, als die Tür aufgestoßen wurde und ein angetrunkener Mann hereinpolterte. Er schrie rum und fuchtelte wild mit den Armen. Vor Schreck hätte ich fast meinen Bestellblock fallen lassen.
Benjamin dachte wohl, er müsse mich beeindrucken, denn er stand auf und ging langsam auf den Mann zu.
„Hey Kumpel, beruhig dich mal wieder. Hier will keiner von deinem Geschrei gestört werden“, redete er sachte auf den Fremden ein.
„Geh mir aus dem Weg, du Schnösel“, giftete dieser nur und wollte Benjamin aus dem Weg schubsen.
Er schien etwas muskulöser zu sein als Benjamin. Ich presste mir die Hände auf den Mund, weil ich irgendwie befürchtete, dass gleich etwas Schlimmes passieren würde.
„Sachte, sachte, ich wollte dir nur helfen, denn Leute wie du sind hier nicht willkommen, also bitte verschwinde wieder und schlaf erst mal deinen Rausch aus, dann kannst du ja wiederkommen“, versuchte Benjamin es noch mal. Das war wohl zu viel für den Trunkenbold. Er holte aus und verpasste Benjamin einen Kinnhaken, sodass dieser zu Boden ging und benommen den Kopf schüttelte.
„Phiiiiiillllll!!“ schrien Liz und ich gleichzeitig. Unser Küchenchef war auch unser Aushilfsbodyguard, wenn Mike noch nicht da war. Phil stieß die Küchentür auf und wischte sich die Hände an der Schürze ab. Er sagte kein Wort. Er ging nur auf den Schläger zu, packte dessen Arm, drehte ihn auf den Rücken, sodass sich der andere nicht mehr bewegen konnte und schob ihn Richtung Tür, die ich ihm gleich aufhielt, sodass er den Typen hinausbefördern konnte.
„Und sollte dir in den Sinn kommen, noch mal unser Lokal aufsuchen zu wollen, dann mach dich auf die Bekanntschaft mit der Polizei gefasst!“, war alles, was Phil sagte, dann ging er wieder zurück in seine Küche. Ich lief inzwischen zu Benjamin zurück, der sich schon wieder erholt hatte und verzog das Gesicht, als ich seine aufgeplatzte Lippe sah.
„Oh Gott, tut es sehr weh? Hat er dich noch irgendwo erwischt?“ Ich wollte mit dem Finger über seine Lippe fahren, um ihm Trost zu spenden, als er verlegen antwortete:
„Nein, alles gut, er hat mich nur überrascht, sonst wäre ihm dieser Schlag gar nicht erst gelungen. Das ist alles!“
Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und lachte etwas verlegen.
„Allerdings ... etwas Eis wäre nicht schlecht.“
„Eis? Oh Eis, ja klar, Eis!“ Ich rannte in die Küche und holte einen Kühlbeutel für Benjamins Lippe.
„Das schreit ja förmlich nach einem ‚Dankeschön-Essen’ für die schnelle Hilfe.“ Mit diesen Worten reichte ich ihm den Kühlbeutel.
„Für morgen vielleicht?“, fragte ich hoffnungsvoll.
„Da kann ich wohl schlecht Nein sagen.“ Er versuchte ein Lächeln, verzog aber gleich das Gesicht vor Schmerz. „Nimm ihn doch mit. Den Beutel kannst du mir morgen zurückgeben.“
„Danke. Dann wohl bis morgen?!“
„Jap! Bis morgen!“ Damit verließ Benjamin unsere Bar und ich war immer noch etwas schockiert von dem Vorfall, der gerade hier passiert war.
„Na, wenn er dich mal nicht gerade beeindrucken wollte.“ Liz stupste mich an. „Auch wenn es etwas in die Hose gegangen ist!“ Sie kicherte und ging zu einem Pärchen, das bezahlen wollte.
„Das hat er trotzdem!“, sagte ich zu mir selbst und ein glückseliges Lächeln trat auf meine Lippen.
Während Betty sich als Torero verkleidet hatte und ein rotes Tuch schwenkte.
Am nächsten Morgen stand ich schon früh auf, heute galt es, das richtige Outfit auszusuchen, die Haare zu machen und, und, und ...
Betty war schon vor Stunden im Badezimmer verschwunden.
„Also mal sehen, heute ist Donnerstag. Und Donnerstag ist bei uns Oldies-Tag ...“ Sollte ich da eines meiner Rockabilly-Kleider anziehen? In die Arbeit? Ne, lieber nicht. Aber ich hatte ein Shirt und einen Minirock, die dem Style der 50er-Jahre ähneln sollten, dazu machte ich einen Pferdeschwanz und rollte ihn mit dem Lockenstab etwas ein.
Ein schwarzes Halstuch sollte den Look abrunden. Zufrieden schaute ich mich im Spiegel an. Dabei sah ich die Uhr im Hintergrund. Bitte? War es tatsächlich schon so spät? Wie lange war ich denn im Bad gewesen? Ich schnappte mir meine Jacke und meine Tasche und rannte aus meiner Wohnung, um pünktlich zur Arbeit zu kommen.
Liz wartete schon auf mich. Auch sie hatte sich im Rock’n‘Roll-Stil gekleidet. Es war kein MUSS im Reggies, kam aber gut bei den Gästen an. Mir persönlich machte das nichts aus, denn ich stand auch privat auf diesen Stil und auf die 50er-Jahre.
„Heute ist dein Prinz ja schon den dritten Tag hintereinander da“, grinste Liz mich an.
„Hach ja, heute muss es klappen! Ich hab mich extra schick gemacht! Heute muss er mich nach einem Date fragen!“ Ich warf den Kopf hin und her, sodass mein Pferdeschwanz wippte und tat so, als ob ich mir die Haare mit der Hand nach hinten werfen würde.
Betty hingegen warf die Angel aus, um den dicken Fisch zu fangen.
Liz zwinkerte mir zu, als mein Handy vibrierte.
„Oh je, er sagt doch nicht etwa ab?“, fragte sie besorgt. Ich schaute nervös auf mein Handy.
„Nein!“ Ich atmete erleichtert aus. „Das ist nur George. Er meldet sich aus dem Urlaub zurück.“ George war mein bester Freund. Wir sind zusammen aufgewachsen. Er war der Nachbarsjunge und ist 2 Jahre älter als ich. Als Teenager zog er mit seinen Eltern in einen anderen Teil von Chicago, das hielt uns aber nicht davon ab, Kontakt zu halten und trotzdem beste Freunde zu bleiben.
George war wie ein Bruder für mich. Auch wenn wir uns nicht jeden Tag sahen, so blieben wir immer übers Handy in Kontakt, und schrieben uns ziemlich oft unter Tags und manchmal auch in der Nacht. George war super! Er sah relativ normal aus, war zwar nicht sonderlich muskulös, aber er trainierte regelmäßig. Er hatte braune Augen und braune kurze Haare.
Allerdings war er auch der totale Nerd, mit einer schwarzen Hornbrille. Er stand auf den ganzen Star Wars- und The Avengers-Mist, den ich nicht leiden konnte und mich daher auch nicht damit auskannte. Ich zog ihn immer auf, dass er doch keine 13 mehr wäre. Er dagegen spielte regelmäßig die Sommersprossen-Karte aus.
Hey Georgie, wie war der Urlaub?
Ich tippte es schnell ins Handy ein. „Georgie“ durften ihn nur seine Mutter und ich nennen und darauf war ich schon ein bisschen stolz.
Danke, der war super, genau was ich gebraucht hatte. Comic Con der feinsten Sorte. :-)
George flog jedes Jahr zur Wizard World Comic Con nach Philadelphia und das nannte er dann „Urlaub“. Er blieb immer eine Woche, um etwas abschalten zu können, denn beruflich war er (wie sollte es als Nerd auch anders sein) Informatiker und saß vor den Computern verschiedener Firmen, um diese auf Vordermann zu bringen oder zu reparieren.
Betty warf ihm eine Kusshand zu.
Super, das freut mich. Sorry, bin in der Arbeit und hab keine Zeit zum Schreiben. Außerdem muss ich meinen nächsten Freund rumkriegen. *grins*
Ah, ein neuer Verehrer. Brauchst ihn mir nicht vorstellen, der ist ja eh nicht lange aktuell. *zwinker*
Diese Anspielungen immer, dabei wusste er ganz genau, wie ich zu dem Thema Beziehung stand. Er kannte ja meine Schwester und ihren Drang zu neuen Ehemännern.
Okay, ich melde mich abends, dann können wir telefonieren. Bye Bye.
Los, Tiger, schnapp ihn dir. Bis abends! *Küsschen*
Hach ja. Wenn ich nur etwas mehr auf Nerds stehen würde, wäre George der Richtige für mich. Aber leider stand ich auf die etwas heißeren Typen.
Betty machte sich wieder bereit und stand schon in den Startlöchern, um den Fisch endlich im Netz zappeln zu sehen.
Los jetzt, das Date kriegen wir und dann sehen wir weiter.
Die Mittagszeit war schon fast vorbei und ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben, dass Benjamin noch kommen würde, als die Tür aufging und er keuchend hereinkam.
„Was ist denn mit dir los? Du siehst aus, als wärst du einen Marathon gelaufen!“, fragte ich leicht irritiert.
„Keinen Marathon. Ich war vor dem Arie Crown Theatre und hab total die Zeit vergessen. Und dann bin ich einfach nur noch losgerannt! Ich meine, Joggen ist was ganz anderes als Sprinten und ich hab 'ne halbe Stunde hierher gebraucht. Joggen ist mir eindeutig lieber, ich sollte das wieder öfters machen“, brachte er zwischen den tiefen Atemzügen raus.
„Du bist vom Arie Crown Theatre hierhergelaufen? Wieso hast du denn nicht den Zug genommen?“ Ich lachte und schüttelte nur den Kopf.
„Hey, so ein Gratis-Mittagessen lass ich mir doch nicht entgehen, und der Zug wäre zu spät gekommen!“ Er grinste mich schelmisch an und ging zu seinem Tisch. Inzwischen war das schon irgendwie sein Stammtisch, obwohl er erst zum dritten Mal bei uns zu Mittag aß.
„Na dann, was darf ich dir bringen, Süßer?“
„Ah, da war's wieder, hab mich schon gefragt, wann die Anrede kommt.“ Er lachte mich an und ich konnte nicht anders, als zu lächeln und leicht rot zu werden.
„Nach Sport soll man ja viel Eiweiß essen, also am besten bringst du mir ein Steak und etwas Salat. Ich hab einen Bärenhunger!“
Nach dem verspeisten Mittagessen läutete sein Handy und ich konnte nicht anders, als vorzugeben, in der Nähe einen Tisch sauber machen zu müssen. Wieder redete er von einem Song, der jetzt fertig zu sein schien und am Wochenende abgeliefert werden sollte.
„Entschuldige, wenn ich so neugierig bin, aber um was für einen Song geht es denn hier?“ Ich konnte nicht anders, ich war einfach zu neugierig. Sollte Benjamin etwa in der Musikbranche arbeiten? Vielleicht könnte er mir ja helfen, einen Job zu finden oder mir zumindest Tipps geben, wie ich es anstellen sollte. Oder wo ich mich bewerben könnte.
„Ach, tja, weißt du, ich will ja nicht angeben, aber ich bin Songwriter bei Chess Records, zwei Blocks weiter. Ich musste diese Woche noch einen Song fertig schreiben, was Anfang der Woche noch schwierig schien, aber dank eurer guten Küche hab ich es doch noch geschafft.“ Er lachte verlegen, fuhr sich mit der Hand durch die Haare und ließ sie ein paar Sekunden an seinem Hinterkopf verharren.
„B … b … bei Chess Records? Ist das dein Ernst? Das ist mein Lieblingsladen, in dem ich gerne arbeiten würde! Wow, ich bin echt sprachlos!“
Ich starrte ihn ungläubig an, während Betty bereits auf dem Siegerpodest thronte und einen Pokal in die Höhe hielt.
„Ach echt? Naja, ich kann dir zwar keinen Job dort besorgen, aber wenn du willst, erzähl ich dir Samstag beim Abendessen gern mehr über mich und mein Leben als Songwriter.“
Er schaute mir tief in die Augen und setzte ein kaum wahrnehmbares Lächeln auf, welches ihn so verdammt sexy aussehen ließ, dass Betty geradewegs auf ihrem Siegerpodest dahinschmolz.
„Vorausgesetzt, du musst Samstag nicht arbeiten.“ Er schaute kurz zu Liz, die ihm mit beiden Daumen bedeutete, dass ich frei hätte und alles gut sei.
„Samstagabend? Wie … bei einem … Date?“ Ich sagte es noch mal ganz leise, legte meinen Kopf schief und setzte mein zuckersüßestes Lächeln auf.
„Ganz genau. Was hältst du davon? Sagen wir, ich hol dich gegen 19:00 Uhr ab? Natürlich nur, wenn du möchtest und mir deine Adresse gibst.“ Wieder sah er mich so verführerisch an, dass ich ihm schon fast meine Adresse gegeben hätte, da ich allerdings nicht abgeholt werden wollte, sagte ich stattdessen:
„Danke, aber abholen brauchst du mich nicht, treffen wir uns doch einfach hier.“ Ich deutete mit meiner Hand im Raum umher.
„Okay, also Samstag 19:00 Uhr hier! Denk aber nicht, dass ich deswegen jetzt mein Essen morgen Mittag hier ausfallen lasse“, mit diesen Worten stand er auf, schnappte sich seine Tasche, sah mir noch mal in die Augen und ging zur Tür.
„Bis morgen, Rotschopf.“ Er zwinkerte mir zum Abschied zu und dann war er weg.
Rotschopf? Na, ob mir das gefiel, konnte ich noch nicht sagen, dass er morgen Mittag trotzdem noch kam, allerdings schon. Leider musste ich das Steak aus meiner eigenen Tasche bezahlen, da der Chef niemals ein Gratis-Essen ausgeben würde. Vermutlich dachte Benjamin sich das auch, denn er hatte mir Trinkgeld auf den Tisch gelegt. Um meine Lippen kräuselte sich ein Schmunzeln. Der restliche Tag, und auch der Abend, waren nicht wirklich aufregend.
Freitagmittag war die Hölle los, sodass ich leider nicht viel Zeit für Benjamin hatte. Ich konnte ihn gerade mal fragen, was wir denn an unserem Date machen wollten. Essen und Kino oder eine Veranstaltung besuchen, eine Ausstellung?
„Was ist dein Lieblingsort?“
„Das ist einfach, der Navy Pier!“
„Gut, dann gehen wir zum Navy Pier.“
Damit hatte ich also unser Date ausgesucht. Das passte wunderbar, denn dort fühlte ich mich wohl und konnte sein, wie ich bin.
Ich kassierte ihn ab und sah, dass er beim Gehen noch kurz mit Liz redete, konnte sie aufgrund der vielen Gäste aber nicht fragen, über was sie sich unterhalten hatten.
Samstag früh war ich irgendwie nicht aus dem Bett zu kriegen. Ich musste ja nicht in die Arbeit, und um mich für das Date herzurichten, war es noch zu früh. Da ich doch ein recht ordentlicher Mensch war, musste ich auch nicht aufräumen, zumal ich eh nicht so viel zu Hause war, als dass große Unordnung herrschen konnte. Ich schaltete also den Fernseher an und frühstückte im Bett, während ich eine Wiederholung von Oprah ansah. Ich liebte Oprah, sie war einfach toll und ich wäre zu gern mal in einer ihrer Shows zu Gast.
Betty hatte noch ihre Schlafmaske auf und rührte sich nicht.
Als ich gegen Mittag dann doch endlich mal aufstand, fiel mir ein, dass ich noch eine DVD zu George bringen musste. Ich schrieb ihm kurz eine Nachricht, dass ich vorbeikommen und ihm die DVD bringen würde, aber nicht blieb.
Die Antwort, ob er zu Hause war, musste ich nicht abwarten, denn erstens hatte George keine Freundin, was hieß, dass er höchstens beim Einkaufen sein konnte und zweitens hatten wir gegenseitig einen Schlüssel für Notfälle vom anderen. Zugegeben, das war jetzt kein Notfall, aber ich machte das immer bei George, da ich ja nicht Gefahr laufen würde, ihn mit jemandem im Bett zu erwischen.
Ich zog mir also eine Jogginghose und einen Pulli an und ging zur Haltestelle der L-Trains, eine der Hochbahnen in Chicago. George wohnte ein paar Blocks weiter, in der Nähe des Malcom X Colleges. Die Fahrt dorthin dauert nur 15 Minuten, also war ich schnell genug wieder zu Hause, um genügend Zeit zum Vorbereiten zu haben.
Bei George angekommen, sperrte ich die Tür auf, schrie: „Ich bring dir nur deine DVD, die du heute wieder zurück wolltest“, warf sie auf den Tisch im Wohnzimmer und wollte schon wieder gehen, als ich gegen Georges Brust knallte, da er plötzlich hinter mir stand.
„Wie? Nur ein kurzer Ruf und du bist schon wieder weg?“