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Werden Kirk und Spock hinter das Geheimnis der Alpträume kommen?
Im 21. Jahrhundert stranden die ersten Außerirdischen auf der Erde: Zwei Vulkanier, die in die Hände des Militärs fallen. Da die Menschheit noch nicht bereit für die Fremden ist und eine Massenpanik befürchtet wird, ist man mit allen Mitteln bestrebt, die Vulkanier zu verbergen, selbst, wenn das ihren Tod bedeutet.
Zweihundert Jahre später werden diese Ereignisse in dem Roman "Fremde vom Himmel" beschrieben. Kirk und Spock haben nach der Lektüre heftige Albträume und beschließen, dem Geheimnis gemeinsam auf den Grund zu gehen. Die Spur führt zurück zu einer Mission aus der Zeit, in der Kirk gerade das Kommando über die Enterprise übernomen hat.
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Seitenzahl: 633
Im 21. Jahrhundert stranden die ersten Außerirdischen auf der Erde. Zwei Vulkanier überleben die Havarie ihres Raumschiffs und geraten in die Hände des Militärs. Die Menschen sind für die Konfrontation mit einer ihr überlegenen Zivilisation noch nicht reif. Die Regierung der soeben erst geeinten Erde befürchtet eine Panik unter der Bevölkerung. Um den Frieden nicht zu gefährden, ist man sogar bereit, die Vulkanier »verschwinden« zu lassen.
Diese Geschichte der ersten Begegnung zwischen Menschen und Vulkaniern wird zweihundert Jahre später in dem Buch »FREMDE VOM HIMMEL« beschrieben. Und dieses Buch treibt Admiral Kirk und seinen ehemaligen Ersten Offizier Spock an den Rand des Wahnsinns. Kirk und Spock haben keine Wahl: Sie müssen diesen Albträumen auf die Spur kommen. Und diese Spur führt sie zurück zu einer Mission aus der Zeit, als Kirk gerade das Kommando über die Enterprise übernommen hatte.
MARGRET WANDER BONANO
FREMDE VOM HIMMEL
Star Trek™
Die Anfänge
Meiner ›Crew‹ gewidmet:
Für Russell, Danielle und Michelangelo
(»Denn nirgends werde ich dringender gebraucht als
Das Buch Fremde vom Himmel betrifft zwei verschiedene Zeitabschnitte im Leben von Kirk und Spock.
Buch 1 beginnt in den verworrenen Jahren zwischen der Konfrontation mit V'ger in Star Trek: Der Film und Spocks Tod in Der Zorn des Khan.
Buch 2 schildert einen jüngeren Captain James T. Kirk, der gerade Kommandant des Raumschiffs Enterprise geworden ist, und seinen vulkanischen Ersten Offizier, der erst noch sein Freund werden muss. Die Geschehnisse sind unmittelbar vor der Fernsehepisode ›Where No Man Has Gone Before‹ (dt. ›Spitze des Eisbergs‹) angesiedelt, in der der Zuschauer Gary Mitchell, Lee Kelso und Dr. Elizabeth Dehner kennenlernte.
Leonard McCoys Gedanken verloren sich im einundzwanzigsten Jahrhundert.
Es kümmerte ihn nicht besonders. Die Ereignisse, an denen er teilzunehmen glaubte, fesselten ihn so sehr, dass er gar nicht in die Gegenwart zurückkehren wollte. Sein Denken und Empfinden galt einem Buch, das auf mehreren Welten ernste Kontroversen schuf – einem Buch, dem er zunächst mit Skepsis begegnete, das jedoch inzwischen seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte.
»Faszinierend«, murmelte er vor sich hin und blätterte die elektronischen Seiten auf dem Sichtschirm des Büromonitors weiter, dankbar dafür, dass er derzeit keine Patienten hatte. Er lauschte dem Klang seiner eigenen Stimme und schüttelte verwundert den Kopf. »Nun, ich meine, es ist interessant. Ach, zum Teufel auch, hier kann mich niemand hören. Faszinierend ist durchaus angebracht. Eine tolle Geschichte!«
Sie wird Jim umhauen, dachte McCoy, freute sich auf die Lektüre und hoffte, dass ihn niemand störte.
Niemand sollte den manchmal recht positiven Einfluss von Zufällen auf die allgemeine Struktur historischer Entwicklungen unterschätzen.
Es mag übertrieben erscheinen zu behaupten, die Föderation der Vereinten Planeten verdanke ihre Existenz einem vulkanischen Erkundungsschiff, das im irdischen Jahr 2045 Havarie erlitt – insbesondere dann, wenn man die menschlichen Reaktionen auf jenes Ereignis berücksichtigt. Trotzdem: Ohne die Ankunft der Fremden vom Himmel und der von ihnen ausgelösten Ereignisketten wäre es durchaus möglich gewesen, dass sich die Erde gegenüber einem unermesslich weiten und bis dahin als unbelebt geltenden Universum vollständig abgeschirmt und isoliert hätte.
Jedes Schulkind in der Föderation weiß, dass der erste Kontakt zwischen Menschen und Extraterrestriern durch die Mission der UNSS Icarus gelang, die im Jahre 2048 nach Alpha Centauri flog. Die Herstellung friedlicher Beziehungen zwischen den beiden humanoiden Völkern ermöglichte es den Terranern, ihre letzten xenophobischen Ängste vor ›kleinen grünen Männchen‹ und ›Schleimmonstern aus dem All‹ zu überwinden.
Der geschichtliche Rest jener Epoche erscheint wie ein schöner Traum. Die Kooperation zwischen Erde und Centauri wie Zefram Cochranes Genie führten im Jahre 2055 zum Durchbruch in der Warp-Technologie. Als logische Folge der anschließenden Kontakte mit Vulkan, Tellar und Epsilon Indi, Heimatwelt der Andorianer, entstand die Föderation der Vereinten Planeten.
Nach der offiziellen Version kam es im Jahre 2065 zur ersten Begegnung mit Vulkaniern, als der irdische Kreuzer UNSS Amity die Besatzung eines in Not geratenen vulkanischen Schiffes rettete, das manövrierunfähig im Solsystem trieb. Die Menschheit sah sich plötzlich mit einem nicht nur in philosophischer und kultureller Hinsicht völlig andersartigen Volk konfrontiert. Doch über fast zwanzig Jahre hinweg hatte sie Gelegenheit gefunden, sich an die Centaurier zu gewöhnen, und dieser Umstand erleichterte es ihr, sich von dem Ballast aus Vorurteilen und Furcht zu befreien. 2068 wurden diplomatische Beziehungen mit der ersten vulkanischen Delegation aufgenommen, und seitdem gibt es in Hinsicht auf die Allianz zwischen Erde und Vulkan nicht die geringsten Probleme.
Alle Einzelheiten der damaligen Vorgänge sind in historischen Speichermodulen und dem Logbuch der Amity enthalten. Sie werden oft als Beispiel für den menschlichen Altruismus zitiert, der alle Differenzen überwand und die Hand zur Freundschaft ausstreckte.
Tatya stemmte sich auf einem Ellenbogen in die Höhe und blickte aus weit geöffneten, porzellanblauen Augen aus dem Fenster des Schlafzimmers. Aufregung erfasste sie.
»Yoshi? Wach auf, Yoshi. Sieh dir das an!«
Der Mann schlief wie üblich auf dem Bauch, murmelte leise vor sich hin und versuchte, tiefer unter die Thermodecke zu kriechen. Doch Tatya rüttelte ihn an der Schulter. Daraufhin rollte sich Yoshi zur Seite und glitt mit einer fließenden Bewegung vom Wasserbett. Leichtfüßig wanderte er durch den Raum und blieb nackt vor dem Fenster stehen.
»Ein Meteor«, sagte er und strich sich das lange schwarze Haar aus der Stirn. »Meine Güte, ich war den ganzen Tag draußen und habe Abschirmungen repariert – und du weckst mich wegen irgendeines Meteoriten. Ich bitte dich …«
»Es ist kein Meteorit«, widersprach Tatya heftig. In diesem Bereich der Welt, die zu zwei Dritteln aus Wasser bestand, sah sie mehr als genug Sternschnuppen. Sie trat an Yoshis Seite, ebenso nackt wie er. Es spielte keine Rolle; nur Fische konnten sie beobachten. Die beiden Gestalten unterschieden sich: rechts der kleine und hagere Yoshi, schmal, die Haut wie Gold, links Tatya, breitschultrig und blass, das dichte blonde Haar zu zwei Zöpfen zusammengeflochten. Sie hob den Arm und deutete auf das seltsame Glühen, das über den Himmel zog. »Das Ding ist nicht hell genug und bewegt sich zu langsam. Zu gleichmäßig. So als folge es einem genau festgelegten Kurs.«
»AeroMar hätte uns sicher verständigt, wenn es zu einem Unfall gekommen wäre.« Yoshi gähnte und kehrte ins warme Bett zurück. »Glaub mir, Tatya, es handelt sich um einen Meteor. Oder Raumschrott. Irgendein alter Satellit stürzt aus dem Orbit. Warte ab, morgen kannst du's auf dem Kom-Schirm lesen: VERSAGEN DER AUTOMATISCHEN BERGUNGSKONTROLLE. WICHTIGE DATEN GINGEN ÜBER DEM SÜDPAZIFIK VERLOREN.«
Er überlegte, ob er sich das Kissen über den Kopf stülpen sollte – als könnte er sich auf diese Weise vor Objekten schützen, die vom Himmel fielen.
»Eines Tages hat es keinen Sinn mehr, einfach unter die Decke zu kriechen und zu hoffen, dass solche Überraschungen weit entfernt im Meer verschwinden«, brummte Yoshi. »Irgendwann werden wir voll getroffen. TANGFARM ZERSTÖRT. ZWEI TOTE. Hat es denn noch nicht genügt, dass wir hier unten das ökologische Gleichgewicht empfindlich stören? Müssen wir jetzt das ganze Sonnensystem in eine verdammte Müllhalde verwandeln?«
»Zyniker!«, erwiderte Tatya, lächelte und streckte sich neben ihm aus.
Das sonderbare orangefarbene Schimmern am sternenbesetzten Firmament verblasste. Vielleicht war es tatsächlich nur ein Meteorit oder Raumschrott gewesen, aber AeroMar hätte trotzdem eine Warnung herausgeben müssen. Tatya glaubte fast, das dumpfe Zischen zu hören, mit dem das Objekt im Ozean versank.
Was für närrische Vorstellungen, fuhr es ihr durch den Sinn. Aber wenn man auf einer kleinen Plattform lebte, weit draußen auf dem Meer, umgeben von vielen Hektar Tang, wenn man wochen- und monatelang nur mit einem anderen Menschen sprechen konnte … Unter solchen Bedingungen gingen einem die komischsten Gedanken durch den Kopf. Nur Personen mit besonderer psychischer Stabilität wurden den abgelegenen agronomischen Stationen zugeteilt; die Auswahl war fast so streng wie bei Weltraummissionen. Tatya und Yoshi bildeten ein harmonierendes Paar, hatten sich an die Einsamkeit gewöhnt. Und doch …
»Yoshi?«
Unter der Decke bewegte sich etwas.
»Nehmen wir einmal an, es handelt sich um ein … ein fremdes Raumschiff. Vor fünfundsiebzig Jahren schrieb der Wissenschaftler und Autor Isaac Asimov, es gebe wahrscheinlich Zehntausende von Welten der Klasse M, die intelligentes Leben hervorgebracht haben könnten. Und die Expedition, die wir nach Alpha Centauri schickten …«
»… wird erst in neun Jahren zurückkehren, wenn überhaupt«, murmelte Yoshi schläfrig. »Ein fremdes Raumschiff? Andere intelligente Wesen würden vermutlich nur einen kurzen Blick auf diesen Planeten werfen – und die Reise fortsetzen. In all den Millionen Jahren unserer Geschichte haben wir noch immer nicht gelernt, uns gegenseitig zu respektieren. Wir fallen nach wie vor übereinander her. Drei Weltkriege, Colonel Green …«
»Das ist vorbei«, beharrte Tatya. »Es gibt keine Nationalstaaten mehr, nur noch eine geeinte Erde. Irgendwann wird es uns gelingen, die Lichtmauer zu durchbrechen, und dann sind unsere Chancen, andere Lebensformen zu entdecken, hundert- oder sogar tausendmal größer!« Sie stützte sich ab, und das Wasserbett erzitterte. Eine besondere Art von Begeisterung leuchtete in ihren Augen. »Früher oder später muss so etwas geschehen. Vielleicht erleben wir es noch.«
»Höhere Geschwindigkeiten als die des Lichts sind bisher nur in der Theorie möglich«, entgegnete Yoshi, der Zyniker – und begann zu schnarchen. Er konnte nicht ahnen, dass sich seine Prophezeiung erfüllen sollte: Es hatte wirklich keinen Sinn, unter die Decke zu kriechen und sich Hoffnungen hinzugeben; es war bereits etwas vom Himmel gefallen, und dadurch kündigten sich Konsequenzen von großer Tragweite an.
Tatya entdeckte das Wrack am nächsten Morgen.
Zusammen mit Yoshi unternahm sie die wöchentliche Tour im Tragflächenboot. Sie fuhren an der Peripherie der Farm entlang, kontrollierten die Barrieren, entfernten einige Quallen und Tintenfische, die während des letzten Sturms in die Abgrenzungsgespinste der Tangkulturen geraten waren, und vergewisserten sich, dass keine Boote in den Anbauflächen dümpelten. Manche Freizeitkapitäne übersahen die Warnbojen oder schenkten ihnen schlicht und einfach keine Beachtung. Ab und zu mussten die beiden Agronomen Besatzungsmitglieder eines privaten Schiffes oder Semiflugzeugs retten, das sich in den Wehren und Reusen verfing und aufgrund erschöpfter Batterien keinen Notruf senden konnte.
Diesmal aber sah Tatya etwas ganz anderes.
»Schalt den Motor aus!«, rief sie, um das laute Brummen des Triebwerks zu übertönen.
Schon vor einigen Monaten hatten sie einen neuen Akustikdämpfer angefordert, doch der entsprechende Antrag verlor sich irgendwo in den Labyrinthen der Bürokratie. Die Tang-, Algen – und Sojabohnenfarmen – Basis der synthetischen Nahrungsmittelproduktion, die den Hunger besiegte – genossen Priorität bei der Ersatzteilversorgung. So lauteten jeweils die Vereinbarungen. Doch Papier war geduldig.
Yoshi hörte sie nicht. Tatya trat an seine Seite, drückte den Schubregler nach unten und beantwortete den fragenden Blick ihres Partners, indem sie nach Steuerbord zeigte.
»Dort!«
Langsam glitt das Tragflächenboot ins Wasser zurück, und nicht weit entfernt zeichneten sich unmissverständliche Konturen ab. Das Wrack schien schwer beschädigt zu sein, doch die beiden Agronomen sahen auf den ersten Blick, dass es sich um ein Raumschiff handelte. Die Gesetze der Aerodynamik erforderten gewisse Formen, und das fremde Objekt war ganz offensichtlich für Reisen im All bestimmt. Tatya erinnerte sich an die irdischen Schiffe, die durchs Sonnensystem flogen, den Mondbasen und kürzlich eingerichteten Marskolonien Versorgungsgüter brachten, Erkundungsaufträge durchführten und im Asteroidengürtel nach erzhaltigen Himmelskörpern suchten, die mit mobilen Treibsätzen aus der Umlaufbahn gesteuert und in den erdnahen Raum gebracht werden konnten. Sie kannte auch die Fähren, die zwischen der Erde und den Orbitalstationen und Habitaten verkehrten. Das Wrack wies jedoch erhebliche Unterschiede zu terrestrischen Schiffen auf.
»Es wurde nicht von Menschen gebaut«, stellte sie mit jener unerschütterlichen Sicherheit fest, die Yoshi jedes Mal zum Widerspruch herausforderte.
»Seit wann bist du eine Expertin auf diesem Gebiet?«, begann er und verzog das Gesicht, als er das Ruder drehte und den Motor abschaltete. Nur noch wenige Meter trennten das Tragflächenboot vom geschwärzten Rumpf im Wasser.
An einem Teil der riesigen Hülle bemerkte Yoshi Reste von seltsamen Schriftzeichen, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Eine eigentümliche Unruhe zitterte in ihm, und rasch wandte er den Blick ab.
Das Boot trieb langsam näher, und Tatya streckte die Hand aus, berührte die Symbole so vorsichtig, als seien es lebende Wesen. »Erscheint dir das etwa vertraut?«
»Hm, das Ding erweckt den Eindruck, als könne sich jemand drin aufgehalten haben«, sagte Yoshi und ignorierte die Frage seiner Partnerin. »Vielleicht sollten wir nachsehen.«
Das Tragflächenboot schwankte hin und her, als er sich erhob und nach einem Seil griff. Er stemmte den einen Fuß an die niedrige Reling, suchte mit dem anderen Halt auf dem Rumpf des Wracks und band den Strick um eine lukenartige Vorrichtung, die beim Absturz aufgesprungen war. Neugierig blickte er ins Innere des havarierten Schiffes.
»Nun?«, drängte Tatya hinter ihm.
»Wahrscheinlich ist es ein streng geheimer Prototyp, von dem wir Zivilisten nichts wissen«, erwiderte Yoshi vage und trachtete danach, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, als er ins Boot zurückkehrte. »Der Spalt ist zu schmal. Man kann überhaupt nichts erkennen.« Er aktivierte den Hilfsmotor, beobachtete, wie sich das Seil spannte. Es knarrte und knirschte leise, als das Schott in der Außenhülle des Wracks weiter aufschwang. Anschließend kletterte Yoshi erneut über die Reling und versuchte, die Dunkelheit im Innern des fremden Objekts mit seinen Blicken zu durchdringen. Helles Sonnenlicht spiegelte sich auf dem Meer wider und blendete ihn. Zunächst sah er nur das matte Leuchten kleiner Monitore, davor einige reglose Gestalten, vermutlich tot. Das Glühen des ›Meteors‹ am nächtlichen Himmel … Durch die Reibungshitze musste eine enorm hohe Temperatur im Wrack entstanden sein; niemand konnte sie überlebt haben. Doch einige Sekunden später zuckte Yoshi so plötzlich zurück, als sei die Hülle noch immer heiß.
»Lieber Himmel, Tatya … Ich glaube fast, es lebt noch jemand da drin!«
»Willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Nein! Ich meine es ernst. Ich verstehe es ebenfalls nicht, aber …«
»Mach Platz!«
Tatya stieß ihn beiseite und schob sich an die Öffnung heran. Sie hatte eine medizinische Ausbildung hinter sich – zumindest ein Stationsmitglied brauchte entsprechende Kenntnisse –, und wenn sich die Chance ergab, ein Leben zu retten, ganz gleich wessen …
Der Erste Maat Melody Sawyer von der CSS Delphinus reichte Kapitän Nyere einen Becher Synthokaffee, setzte ihren eigenen an die Lippen und trank einen Schluck. Sie gab sich gelassen und achtete darauf, die Neugier zu verbergen. Tief in ihrem Innern vibrierte Aufregung, und einmal mehr fragte sie sich, ob das Gleißen, das sie während der vergangenen Nacht am Himmel beobachtet hatte, in irgendeinem Zusammenhang mit den neuen Anweisungen des Captains stand.
Jason Nyere probierte den Kaffee und schnitt dabei wie üblich eine Grimasse des Abscheus. Eine Ironie des Schicksals wollte es, dass in den Frachtkammern der Delphinus Dutzende von Paketen mit echtem Kaffee lagerten, für das Personal der Agrostationen bestimmt. Irgend jemand sah offenbar einen kostbaren Schatz in diesen Vorräten, hatte die Behälter versiegelt und die betreffenden Räume mit elektronischen Schlössern gesichert – um eventuellen Plünderungen vorzubeugen. Wer nicht die Bereitschaft mitbrachte, Sprengladungen einzusetzen, konnte sich keinen Zutritt verschaffen. Sawyer fand solche auf den ersten Blick übertrieben anmutende Sicherheitsmaßnahmen nur zu verständlich: Die Besatzung des Schiffes musste sich mit einer Brühe begnügen, die aus kultiviertem Tang hergestellt wurde und so schmeckte, als habe jemand fünf Tage altes Spülwasser mit den Flüssigkeitsfiltern einer Entsorgungsanlage gemischt.
Der Captain deutete auf die noch leere Schirmfläche des Kom-Monitors, drehte den Kopf und musterte die Frau an seiner Seite aus schiefergrauen Augen.
»Die neue Order hat bestimmt Priorität Eins«, knurrte er und hoffte, dass Sawyer genug Takt besaß, seine Kabine zu verlassen und ihm einen entsprechenden Befehl zu ersparen.
»Ist Ihnen der Kaffee auf den Magen geschlagen?«, fragte sie, um Nyere abzulenken. Sie überhörte seinen deutlichen Hinweis und streckte die langen, wohlgeformten Beine einer Tennisspielerin. Die weite Uniformhose wurde ihrer Figur nicht gerecht.
»›Kaffee‹! Soll das ein Witz sein?« Nyere seufzte. »Wie ich hörte, hat die Marine früher die besten Rationen erhalten, nicht etwa die schlechtesten. Das waren noch Zeiten …«
»Kann man wohl sagen, Captain, Sär«, bestätigte Sawyer voller Hingabe. »Damals nahm die Marine rein militärische Aufgaben wahr.« Ihr Ururururgroßvater hatte als Soldat in einem Ort namens Shiloh gedient, zu einer Zeit, als es nur einzelne Staaten oder gar Teile davon gab, keine geeinte Menschheit, die nach gestaltgewordenen Katastrophen wie Khan Noonian Singh und Colonel Green versuchte, zu einem neuen Selbstverständnis zu finden. »Und heute? Irgendein Narr hielt es für nötig, uns mit ganz neuen Zuständigkeitsbereichen zu verwirren: Wir forschen und überwachen, nehmen diplomatische Botendienste wahr und fungieren gelegentlich als Abschreckungsmittel. Wir sind Wartungstechniker, Laufburschen und Mädchen für alles. Wir holen für andere die Kastanien aus dem Feuer und erhalten als Dank nur ein gleichgültiges Achselzucken. Wir haben uns zu verdammten Narren machen lassen, Sär!«
Nyere schmunzelte. Sawyer erlitt recht häufig reaktionäre Anfälle; wenn sie es für angebracht hielt, vertrat sie einen ausgeprägt chauvinistischen Standpunkt. Er persönlich begrüßte die moderne Entmilitarisierung der sogenannten Vereinten Dienste.
»Ich nehme an, Sie würden die Dinge ein wenig anders anpacken, nicht wahr?«, fragte er, obgleich er die Antwort bereits kannte.
»Und ob!«, erwiderte Melody scharf. »Was sind wir denn mehr als ein Hansdampf in allen Gassen?« Derartige Macho-Meinungen klangen überaus seltsam, wenn man sie aus dem Mund einer einstigen Schönheit hörte. Nyere musterte seinen Ersten Maat, sah ihre Sommersprossen und lauschte dem Echo des Akzents. Er ließ sich von ihrem so harmlos wirkenden Äußeren nicht täuschen: Melody Sawyer zeichnete sich durch Eigensinn und Sturheit aus; Vorgesetzte empfanden sie oft als Provokation. Sie war bereits viermal versetzt worden, als Jason Nyere entschied, sie bei sich zu behalten: Er hielt Sawyers raue Aggressivität für das geeignete Mittel, um seine Spannkraft zu bewahren. »Dieses Schiff ist ein gutes Beispiel für unser Problem, Sär. Was soll es darstellen? Unterseeboot? Patrouillenkreuzer? Zerstörer? Frachter? Solche Beschreibungen treffen nicht den Kern der Sache. Man erwartet von uns, all jene Funktionen zugleich zu erfüllen. Angenommen, es kommt zu einer wirklichen Krise, ohne dass wir uns für eine der vier Möglichkeiten entscheiden können. Stellen Sie sich nur die Folgen einer solchen Identitätskrise vor. Wahrscheinlich fällt die halbe Besatzung akuter paranoider Schizophrenie zum Opfer, Sär!«
»Das ist allein Ihre Ansicht, Sawyer«, entgegnete Nyere. »Einige von uns ziehen es vor …«
Er unterbrach sich, als ein rhythmisches Piepen aus dem Lautsprecher drang und die Übermittlung einer wichtigen Nachricht ankündigte. Plötzlich erinnerte er sich wieder an den Beginn des Gesprächs.
»Ich meine es ernst, Melody. Priorität Eins. Sie sollten jetzt besser verschwinden.«
»Mit allem Respekt, Sär: Sie müssen mich forttragen, wenn Sie auf meine Gesellschaft verzichten wollen.« Sawyer war nicht nur eigensinnig und stur; manchmal grenzte ihr Verhalten an Insubordination.
»Bitte, Jason«, fügte sie etwas sanfter hinzu. »Lassen Sie mich bleiben, dieses eine Mal.«
Nyere fluchte leise. »Na schön. Aber treten Sie aus dem Erfassungsbereich der Kamera. Es geht um meinen Hals.«
»Der mir gut gefällt.« Melody lächelte und wich zur Seite, weit genug, um nicht gesehen zu werden und gleichzeitig alles beobachten zu können.
Die Mitteilung stammte vom Hauptquartier der Norfolk Island, kam direkt von AeroMar.
Tatya rüstete sich mit einer Taschenlampe und dem für Notfälle bestimmten Medopack des Tragflächenboots aus, sprang und landete eher unsanft auf der Außenhülle des Wracks, das sofort heftig zu schwanken begann. Dadurch verlor Yoshi den Halt, stolperte ins Boot zurück und fiel. Mit einem dumpfen Ächzen stand er wieder auf, rieb sich das angeschlagene Schienbein und beobachtete, wie das fremde Gefährt tiefer sank.
»Tatya?«, rief er in den dunklen Zugang. »Du nimmst ziemlich viel Wasser aus. Wie sieht's dort unten aus?«
Die Antwort bestand aus lautem Platschen.
»Ich brauche mehr Licht«, erklang Tatyas Stimme nach einigen Sekunden. »Himmel, ich dachte immer, Raumschiffe müssten hermetisch dicht sein …«
Yoshi reichte die zweite Taschenlampe herab und fragte sich, ob er seiner Partnerin folgen sollte. Schließlich entschied er sich dagegen. Wenn er das Wrack mit seinem Gewicht belastete, sank es vielleicht noch schneller.
»Bleib nicht zu lange«, riet er Tatya. Als sie nicht reagierte, fügte er hinzu: »Hör mal, wenn das Ding absäuft, hole ich dich raus. Selbst wenn irgendein Verletzter deine Hilfe braucht. Hast du mich gehört?«
Wieder blieb alles still – er hatte auch gar nicht mit einer Antwort gerechnet. Tatya bemühte sich, Leben zu retten, musste sich allein darauf konzentrieren. Ungeduldig verlagerte Yoshi das Gewicht von einem Bein aufs andere. Er konnte seine Partnerin nicht sehen, aber ihre Bewegungen führten zu einem heftigen Schlingern des Wracks. Nur die flexiblen Kabel des Barrierenwehrs hinderten es daran, vom Ozean verschlungen zu werden. Die mit dem Schott verbundene Trosse knarrte und spannte sich.
»Tatiana …«, drängte Yoshi, als die Stille andauerte. Er nannte diesen Namen nur, wenn ihn eine sichere Entfernung von Tatya trennte. »Beeil dich. Oder sag mir wenigstens, was du da unten …«
»Die Besatzung besteht aus vier Personen«, klang es aus dem Innern des Raumschiffs. »Die beiden im Heck sind tot, regelrecht verbrannt. Eigentlich kein Wunder. Ich begreife nur nicht, wie die zwei anderen überleben konnten.«
Sie ließ unerwähnt, dass die verkohlten Leichen in einem ständig breiter und tiefer werdenden Teich aus Meerwasser schwammen. Tatya wusste, dass ihr nur noch wenige Minuten blieben, und sie hielt es für besser, Yoshi nicht auf die kritische Situation hinzuweisen. Ihre Sorge galt in erster Linie den beiden Bewusstlosen in den vorderen Sitzen, halb begraben unter Trümmern. Sie watete durchs steigende Wasser, hielt sich an Wandvorsprüngen und Sessellehnen fest, als sich der Boden unter ihr neigte.
»Was für hübsche Uniformen«, vernahm Yoshi ihre Stimme. »Oh, hier sieht alles so nett aus. Alles ist funktionell und gleichzeitig ästhetisch. Die Einrichtung, die Kontrollen und Instrumente – wunderschön!«
Yoshi spürte, wie sich seine Nackenhaare aufrichteten. Das klang ganz und gar nicht nach der immer so nüchtern und praktisch denkenden Tatya.
»Was soll der Unsinn? He, wie ist die Luft da unten?«
»Keine Sorge, ich bin vollkommen in Ordnung. Bereite den Bootsmannsstuhl vor und nerv mich nicht!«
Yoshi atmete erleichtert auf, grinste und machte sich an die Arbeit.
»Seltsam«, hörte er seine Partnerin kurz darauf. Sie sprach mehr zu sich selbst. »Ich kann überhaupt keinen Puls fühlen.« Und etwas lauter: »Ich schicke sie jetzt zu dir hoch!«
»›Sie‹?«, wiederholte Yoshi, als er den Rettungsharnisch mitsamt der faltbaren Trage herabließ. »Wen meinst du?« Einmal mehr glitt sein Blick zum Horizont; aus irgendeinem Grund rechnete er damit, dass bald Besuch eintraf. Wir sind bestimmt nicht die einzigen, die den vermeintlichen Meteoriten gesehen haben. »Sag mir wenigstens, wen ich an Bord holen soll!«
»Der erste Überlebende ist männlichen Geschlechts, gut eins achtzig groß und rund fünfundachtzig Kilo schwer«, erwiderte Tatya ernst. Wieder vernahm Yoshi das Platschen. Immer mehr Wasser strömte ins Wrack. »Er hat das Bewusstsein verloren, weil er mit dem Kopf ans Instrumentenpult prallte. Wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung. Hinzu kommen einige Verbrennungen zweiten und dritten Grades … Verdammt, die Anzeigen meines Diagnosters ergeben überhaupt keinen Sinn, und es ist so dunkel, dass ich keine direkte Untersuchung vornehmen kann. Wir müssen es riskieren, ihn zu bewegen. Alles klar bei dir?«
Yoshi verband den Harnisch mit der Heckwinde und prüfte die Zugstricke. »Ja.«
»In Ordnung, dann runter mit dem Ding. Ich nehme mir inzwischen den zweiten Überlebenden vor.«
»Wie sieht er aus?« Yoshi lächelte dünn, als er die Bahre durchs Schott lenkte. »Eins achtzig, wie? Ziemlich groß für ein kleines grünes Männchen. Keine Tentakel oder zusätzliche Arme? Bist du ganz sicher, dass wir es nicht mit einem Androiden zu tun haben? Wie viele Köpfe hat er?«
»Zum Teufel mit dir, Yoshi!« Tatya klang nicht verärgert, eher enttäuscht.
»War nur ein Scherz, um die Anspannung ein wenig zu lockern. Brauchst du Hilfe dabei, ihn anzuheben und festzuschnallen?«
Tatya antwortete ihm mit einigen russischen Flüchen. Sie war in der Ukraine aufgewachsen und an körperliche Arbeit gewöhnt, in dieser Hinsicht sogar weitaus leistungsfähiger als der eher schmächtige Yoshi. Nach einer Weile spürte er einen kurzen Zug an den Leinen, schaltete die Winde ein und zog den Patienten vorsichtig hoch. Während der Motor surrte, beugte er sich über die Reling, griff mehrmals zu und sorgte dafür, dass die Bahre nirgends anstieß.
»Wie sieht er aus, Tatya?«, fragte er noch einmal.
Die Trage glitt nach oben ins Sonnenlicht, und darunter sah Yoshi kurz das blasse Gesicht seiner Partnerin.
»Ich weiß nicht so recht, wie ich ihn dir beschreiben soll … Hast du Verwandte auf dem Mars?«
»… das Objekt lokalisieren und wenn möglich sicherstellen. Es werden Schutzmaßnahmen in Bezug auf Strahlung und Mikroorganismen empfohlen. Eventuelle Überlebende sind gemäß Vorschrift 17-C an Bord Ihres Schiffes unter Quarantäne zu stellen, bis wir einen Kontakt herstellen können. Wahren Sie unter allen Umständen Funkstille. Verstanden, Delphinus?«
»Verstanden, Hauptquartier«, erwiderte Jason Nyere und starrte auf den Schirm. »Commodore, wonach sollen wir eigentlich Ausschau halten?«
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken, Captain. Führen Sie die Befehle aus.«
»Und … falls wir etwas finden?«
»Wenn die Vorschrift 17-C zur Geltung kommt, warten Sie auf weitere Anweisungen. Wenn nicht … Allgemeine Order 2013, Captain. Die Einzelheiten bleiben Ihnen überlassen.«
Von einem Augenblick zum anderen wurde der Monitor wieder grau. Jason Nyere spürte plötzlich, dass er schwitzte.
»Heiliger Himmel«, hauchte er. »So etwas sucht einen in Albträumen heim. Ich hätte nie gedacht, dass es mich einmal trifft. Ausgerechnet mich!«
»Worum geht's überhaupt?«, fragte Sawyer und trat vor. Nyere schien sich erst jetzt wieder an ihre Anwesenheit zu erinnern. »Von der ›Allgemeinen Order 2013‹ habe ich noch nie etwas gehört.«
»Das wundert mich nicht«, brummte Nyere geistesabwesend. »Nur wenige Personen sind mit der Klassifikation 2000 vertraut.« Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, doch das Unbehagen in ihm blieb. Wie benommen starrte er auf das feuchte Taschentuch. »Solche Dinge gehören zu den Unterlagen, die einzig und allein Flaggoffizieren zur Verfügung stehen.« Er atmete tief durch. »Vergessen Sie, was Sie eben gehört haben, Sawyer, klar? Sie hätten gar nicht zuhören dürfen!«
Melody verschluckte eine scharfe Erwiderung, presste die breiten Zähne aufeinander und schwieg. Sie hatte gesehen, wie Jason in die Mündung einer Neutronenkanone starrte, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Doch nun zeigten sich Sorge und Furcht in seinem Gesicht. Aus einem Reflex heraus trat sie zur Seite und massierte ihm die Schultern. Wenn jetzt ein anderes Besatzungsmitglied hereinplatzte, kam es später sicher zu Anspielungen und Sticheleien. Sollten sie es nur wagen! Wenn man nicht einmal einem alten Freund helfen konnte, mit seinem Stress fertig zu werden …
»Was bedeutet 2013, Jason?«
»Zwei Null Eins Drei«, murmelte Nyere, ließ sich müde in einen Sessel sinken und achtete nicht auf Melodys Hände, die erneut nach seinem Nacken tasteten. »Eigentlich dürfte ich nicht einmal zugeben, dass es eine solche Order gibt … Wie dem auch sei: Es handelt sich um einen Notfallplan, mit dem einer Invasion aus dem All begegnet werden soll.«
Sawyer hielt abrupt inne und lachte.
»Mit anderen Worten: Man schickt uns auf die Suche nach einer fliegenden Untertasse?«
Jason nickte kummervoll.
»Das ist doch absurd!«
»Ganz und gar nicht. Solche Pläne wurden schon vor vielen Jahren entwickelt, unmittelbar nach den ersten UFO-Sichtungen. Sie dienen zur Einschätzung des Gefahrenpotenzials extraterrestrischer Angreifer und sollen es uns ermöglichen, sofortige Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Berichte über angebliche Besucher von den Sternen galten und gelten als Hirngespinste, aber einige Strategen und Taktiker halten es für angebracht, jede Möglichkeit zu berücksichtigen. Inzwischen sind wir in der Lage, nach Belieben in unserem Sonnensystem umherzureisen, und außerdem schicken wir schon seit mehr als hundert Jahren Funksignale in den Weltraum. Um so denkbarer erscheint es, dass uns irgendwann jemand oder etwas antworten wird.«
Der Kapitän zögerte. Die Worte klangen leer: Sie bestimmten einen nicht unbedeutenden Teil seines Lebens, und als Offizier musste er ihnen vertrauen, doch tief in seinem Innern weigerte er sich, an sie zu glauben. Ganz zu schweigen von den Folgen, die sich daraus für ihn ergeben mochten.
»Was auch immer gestern Nacht abstürzte, Melody – es war keins von unseren Raumschiffen.«
Sawyer ging in der recht geräumigen Kabine des Kapitäns auf und ab, sah aus dem Fenster und beobachtete das ruhige Glitzern des Pazifik. Irgendwo dort draußen sollte das fremde Schiff in den Ozean gestürzt sein. Sicher ist es sofort wie ein Stein gesunken, dachte sie. Und das bedeutet: Die Anwendung der Allgemeinen Order 2013 scheitert an so grundlegenden Dingen wie Gravitation und Meerestiefe.
»Warum sollten irgendwelche ›Gegenmaßnahmen‹ notwendig sein?«, fragte sie schließlich. »Wenn eine ganze Invasionsflotte eintrifft, dürfte in Hinblick auf die feindlichen Absichten der Außerirdischen kein Zweifel bestehen. Aber ein einzelnes Schiff? So etwas stellt wohl kaum eine ernste Gefahr dar. Was erschreckt Sie so sehr? Es geht um mehr, stimmt's?«
Nyere lächelte schief und konnte sich nicht ganz von seinem Entsetzen befreien.
»Sie haben recht, Melody. Das Problem ist weitaus komplizierter. Unser Auftrag besteht darin, uns einen Eindruck von den Aliens zu verschaffen und dem Hauptquartier Bericht zu erstatten. Dort entscheidet man, ob unsere gute alte Erde bereit ist, die Fremden zu empfangen, ihre Existenz als absolute Gewissheit zu akzeptieren.«
»Und wenn nicht?«
Nyere schüttelte hilflos den Kopf. »Dann müssen wir sowohl die Besucher aus dem All als auch die Zeugen ihrer Ankunft aus dem Verkehr ziehen, sie für immer zum Schweigen bringen.«
»Verwandte auf dem Mars?«, stieß Yoshi hervor. »Tatya …«
Er kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden, hielt unwillkürlich den Atem an, als helles Sonnenlicht auf den ersten Fremden fiel. Verbrennungen, Hautabschürfungen und gewöhnlicher Schmutz konnten nicht über die japanisch anmutenden Züge hinwegtäuschen. Das war zumindest der erste Eindruck. Aber als Yoshi nach der Bahre griff, sie behutsam heranzog und unter Deck brachte, um den Bewusstlosen auf eine der Kojen zu legen, als er ihn genauer ansah …
Yoshi spürte, wie sich eine seltsame Kühle in ihm ausbreitete, wie seine Hände taub wurden. Er musste sich zwingen, keine Schlussfolgerungen zu ziehen, die unmöglich etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben konnten.
Und wenn Tatya recht hatte?
Sie zog mehrmals an der Leine, wollte ihren zweiten Patienten so rasch wie möglich in Sicherheit wissen. Yoshi löste sich aus seiner Starre, kehrte nach oben zurück und konzentrierte sich auf Winde und Seile. Gleichzeitig behielt er das tiefer sinkende Wrack im Auge – es ragte nur noch dreißig Zentimeter weit aus dem Meer. Beeil dich, Tatya, beeil dich! Als die Sekunden verstrichen, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick über die Schulter zu werfen. Der Mann, den er gerade an Bord geholt hatte …
Dann ging alles ganz schnell. Das jähe Schaukeln des Wracks deutete darauf hin, dass es Tatya plötzlich sehr eilig hatte. Yoshi hörte ihre Stimme, als er die Bahre zum zweiten Mal hochzog, verstand jedoch nicht, was ihm seine Partnerin zurief. Er forderte sie auf, ihre Worte zu wiederholen.
»Ich sagte, von ihrem Gesicht scheint nicht mehr viel übriggeblieben zu sein. Ich weiß, wie du auf den Anblick von Blut reagierst, wollte dich nur warnen.«
»Hör endlich auf damit!«, erwiderte Yoshi unwirsch. Er war tatsächlich ein wenig zu sensibel, aber es gefiel ihm nicht, dass sich Tatya darüber lustig machte.
Es blieb ihm gar keine Zeit, einen Blick auf das Gesicht der Fremden zu werfen. Irgend etwas gurgelte, und als das sinkende Wrack von der Barriere glitt, riss die Trosse. Das eine Ende schwang peitschenartig zurück und traf Yoshi am Bein. Er gab einen schmerzerfüllten Schrei von sich, taumelte und spürte, wie das Knie nachgab. Instinktiv streckte er die Hand aus, hielt sich an der Reling fest und sah, wie sich das fremde Gefährt von einer Seite zur anderen neigte, wie Wasser durch die geöffnete Luke strömte. Mit einem Ruck schob Yoshi die Bahre und ihre Last aufs Deck, löste die Riemen und schwang den Harnisch wieder herab.
»Tatya! Ergreif die Leine und halt dich fest!«
Der Windenmotor brummte lauter, zog Tatya gegen die Strömung aus dem Wrack. Yoshi drehte den stählernen Ausleger und beobachtete, wie seine Partnerin klitschnass an Bord sprang. Er schenkte ihr keine Beachtung, war mit einem Satz am Ruder, startete das Triebwerk und lenkte das Tragflächenboot von den gefährlichen Strudeln fort, die sich über dem sinkenden Wrack bildeten.
Kurz drauf glättete sich die See. Abgesehen von einigen abgescheuerten und ausgefransten Wehrkabeln erinnerte nichts mehr an das fremde Raumschiff.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte Yoshi und nahm Kurs auf die Agrostation.
»Ich brauche nur trockene Sachen, weiter nichts«, erwiderte Tatya, lachte und umarmte ihren Partner. Einige Tangstreifen klebten in ihrem Haar. »Und du?«
»Die verdammte Trosse hätte mir fast den Fuß abgeschlagen.« Er deutete auf eine rot angeschwollene Stelle, die bis zum Abend eine bläuliche Tönung gewinnen würde. »Außerdem traf sie mich am Allerwertesten. Was soll's … Die schmerzhafteste Wunde erlitt mein Stolz.« Seine Stimme klang ein wenig dumpfer, als er hinzufügte: »Sieh dir jetzt deine Patienten an.«
Tatya runzelte die Stirn und zögerte, bevor sie sich umdrehte und nach unten ging. Yoshi gab keinen Ton von sich, wartete gespannt, während seine Partnerin die beiden Gestalten zum ersten Mal bei hellem Tageslicht betrachtete.
»Hast du einen Augenblick Zeit, Yoshi?«, fragte sie und versuchte vergeblich, die beginnende Panik aus ihren Worten zu verbannen. Als er keine Antwort gab: »Schalt den verdammten Motor aus und komm her!«
Er ging ebenfalls nach unten. Tatya streckte ihm die Hände entgegen. Die beiden Bewusstlosen waren verletzt, und deshalb hatte sie natürlich Blut erwartet, aber so etwas …
»Sag mir, dass ich nicht verrückt bin«, brachte sie hervor. »Sag mir, dass ich das hier wirklich sehe.«
»Du bist nicht übergeschnappt«, entgegnete Yoshi. »Ich habe es schon gesehen, als ich die Bahre mit dem ersten Überlebenden an Bord zog.«
»Bozhe moi!«, platzte es aus Tatya heraus. »In ihren Adern fließt grünes Blut!«
*
»Oh, Mann, das Gefühl kenne ich«, brummte McCoy. Er saß in Jim Kirks Apartment und wärmte sich am Feuer. »Als ich das erste Mal einem chirurgischen Eingriff beiwohnte, der einem Vulkanier galt … Hm, ich glaube, ich hatte damals gerade die ersten beiden Semester meines Studiums hinter mir, ohne jemals in einer Außenwelt gewesen zu sein; Vulkanier waren für mich ebenso geheimnisvoll wie Zentauren oder andere mythische Wesen … Das Erlebnis erschütterte mich zutiefst; für den Rest des Tages konnte ich überhaupt keinen klaren Gedanken mehr fassen. Meine Güte, man erwartete einfach, dass Blut rot ist, selbst wenn man es eigentlich besser wissen müsste.«
Der letzte Schein einer untergehenden Sonne fiel durch die Fenster. Kirk hatte einen langen Tag in der Admiralität hinter sich. Und Spock befand sich an Bord der Enterprise, bildete während eines mehrwöchigen Manövers neue Kadetten aus. Ganz gleich, wo sich McCoy aufhielt: Es gelang ihm sofort, sich wie zu Hause zu fühlen. Er erzählte Kirk von dem Buch und hoffte, das Interesse des Amateurhistorikers in ihm zu wecken.
»Die Begegnungen mit anderen Spezies blieben für niemanden von uns ohne Überraschungen, Pille«, erwiderte Jim Kirk leise und starrte ins Feuer. Aus irgendeinem Grund reagierte er mit Unbehagen auf dieses besondere Thema. »Außerdem ist bereits mehr als genug darüber geschrieben worden, von abstrakten Abhandlungen in Moderne Xenopsychologie bis hin zu eher scherzhaft gemeinten Anekdoten, an denen wir als Studenten solchen Gefallen fanden. Nach dem, was ich bisher gehört habe, scheint Fremde vom Himmel irgendwo dazwischen angesiedelt zu sein.«
McCoy hob eine Braue.
»Eine ziemlich gewagte Behauptung von jemandem, der das Buch überhaupt nicht gelesen hat.«
»Und der auch nicht beabsichtigt, sich damit zu befassen«, kommentierte Kirk und lächelte. »Jene Epoche hat mich nie sehr interessiert. Keine Ahnung, warum ich sie so langweilig finde … Noch einen Drink?«
»Du ahnst nicht, was dir entgeht«, sagte McCoy und beobachtete, wie sich sein Glas mit bernsteinfarbenem Bourbon füllte.
»Ich erinnere mich noch an das letzte Buch, das du mir gegeben hast«, sagte Kirk. Während eines planetaren Aufenthalts fand der Arzt mehr Zeit zum Lesen als an Bord eines Raumschiffes. Es handelte sich um eins seiner harmloseren Laster. »Anschließend hatte ich wochenlang Albträume. Wie hieß es noch? Der erste Schachzug oder so ähnlich …«
»Der letzte Schachzug«, korrigierte McCoy. »Lässt dein Gedächtnis allmählich nach, Jim? Ich bin sicher, es war eins der aufregendsten Dokudramen, die du jemals gelesen hast, habe ich recht? Willst du etwa behaupten, du hättest keinen Gefallen daran gefunden!«
»Käme mir nie in den Sinn«, erwiderte Kirk und lächelte schief. »Aber es ließ mich nicht mehr zur Ruhe kommen.«
»Was meinst du damit?«
»Die Lektüre legte mir nahe, dass es nicht nur Gutes und Böses gibt, sondern auch Abstufungen dazwischen. Die meisten Leute gehen sich nur deshalb gegenseitig an den Kragen, weil sie verschiedene Auffassungen vertreten. Außerdem habe ich begriffen, wie leicht sich Einfluss auf geschichtliche Entwicklungen nehmen lässt.«
Kirk zögerte kurz und blickte ins Leere. McCoy kannte seinen nachdenklichen Gesichtsausdruck und wusste, dass der Admiral nun zu einem längeren Vortrag ansetzte. Er machte keine Anstalten, ihn daran zu hindern, lehnte sich zurück und wartete. Manchmal glaube ich, dass er auch als Politiker eine steile Karriere hätte machen können.
»Mir wurde klar, dass selbst eine einzige Person in der Lage ist, das historische Gefüge entscheidend zu verändern«, fuhr Kirk schließlich fort. »Wenn Krenn unseren klischeehaften Vorstellungen von den Klingonen entsprochen hätte, wenn Tagore weniger menschlich gewesen wäre …« Er seufzte. »In einem solchen Fall gäbe es heute vielleicht weder eine Föderation der Vereinten Planeten noch ein klingonisches Imperium. Ja, wenn man solche Bücher liest, versteht man plötzlich, dass man nichts als gegeben hinnehmen darf. Die alte Theorie: Ohne Hitler keinen Zweiten Weltkrieg, ohne Khan Singh keinen Dritten …«
»… und wenn am 28. Juni 1914 nicht der Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo ermordet worden wäre, hätte es weder einen Ersten Weltkrieg noch Gründe für die beiden anderen gegeben«, warf McCoy abfällig ein. »Was für ein Blödsinn! Glaubst du etwa an einen solchen Mumpitz, Jim? Der Krieg, ob nun heiß oder kalt, war ein integraler Bestandteil des menschlichen Lebens – bis wir endlich reifer wurden. Hitler und Leute seines Kalibers spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle. All jene Theorien, die einem einzelnen Menschen historische Katalysatorfunktionen zusprechen, sind völliger Unfug.«
Kirk zuckte mit den Schultern. »Manchmal bin ich mir da nicht ganz so sicher. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wichtige Entwicklungen von kleinen, banal anmutenden Anlässen ausgehen. Irgendein unbedeutender Zwischenfall, ein falsches Wort zur falschen Zeit, eine falsch interpretierte Geste – und das ganze geschichtliche Gebäude stürzt ein. Es entsetzt mich geradezu, wenn ich überlege, wie viel Macht wir haben – und wie schlecht wir damit umgehen.«
»Genau aus diesem Grund solltest du Fremde vom Himmel lesen, Jim«, beharrte McCoy. »Es schildert Ereignisse, von denen wir bisher gar nichts wussten. Es geht um den wirklichen ersten Kontakt mit Außerirdischen, der in den Geschichtsbüchern verschwiegen wird. Und die Autorin weist deutlich darauf hin, dass wir die Sache fast verpatzt hätten. Damals bestand die Gefahr einer isolationistischen Haltung. Stell dir eine Erde vor, die sich endgültig vom All abwendet, die metaphorischen Augen verschließt und die Chance, eine Föderation mit anderen bewohnten Welten zu bilden, ungenutzt verstreichen lässt.«
»Das erscheint mir übertrieben, Pille«, entgegnete James Kirk, ging durchs Zimmer und zog einige seiner alten Uhren auf – ein Ritual, das sich jeden Abend wiederholte. »Die Gründung der Föderation war eine historische Notwendigkeit.«
»Meinst du?« McCoy musterte ihn. »Denk nur mal daran, welche Verhältnisse damals herrschten. Khans Krieg lag gerade erst fünfzig Jahre zurück, und die Erde musste erst noch lernen, sich als geeinte Welt zu sehen. Der medizinische Ausdruck heißt Wachstumsschmerzen, Jim. Man könnte auch von Kinderkrankheiten und Anfangsschwierigkeiten sprechen. Kein Reifungsprozess ist ohne Probleme. Es gab noch immer viele Menschen, die im Krieg Freunde und Verwandte verloren hatten und von Versöhnung nichts wissen wollten. Es gab Ruinen, Kummer und alten Zwist. Kommt ganz darauf an, aus welcher Perspektive man die Dinge betrachtet: Entweder war es ein gut geeigneter oder denkbar schlechter Zeitpunkt für irgendwelche Extraterrestrier, sich der Menschheit zu präsentieren.«
»Als die ›Amity‹ das havarierte vulkanische Schiff jenseits der Neptunbahn fand, war all das vorbei«, sagte Kirk, stellte eine besonders widerspenstige Standuhr und gähnte. »Die erste Expedition hatte bereits Alpha Centauri erreicht …«
»Himmel, du hast überhaupt nicht zugehört, oder?«, entfuhr es McCoy. »Was ich dir eben geschildert habe, geschah zwanzig Jahre vorher.«
Kirk bewegte das lange Pendel der Uhr, schloss die Glastür und runzelte die Stirn.
»Was?«
»Dieses vulkanische Schiff stürzte auf die Erde, als noch drei Jahre bis zum Kontakt mit den Centauriern vergehen sollten. Damals waren keine Überlichtgeschwindigkeiten möglich, erinnerst du dich? Die Expeditionsmitglieder wussten nicht, dass sie eine hochentwickelte Zivilisation entdecken würden. Sie hatten überhaupt keine Ahnung, was sie am Ziel erwartete. Wir sprechen von der Steinzeit der interstellaren Raumfahrt. Nun, in diesem Zusammenhang ist folgendes interessant: Seit den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts sendete die Menschheit Funkbotschaften ins All und erhoffte sich Antworten. Sie versuchte aktiv, einen Erstkontakt herzustellen – aber zu ihren eigenen Bedingungen. Mit anderen Worten: Die Initiative musste von uns ausgehen. Es war völlig in Ordnung, dass wir unser Sonnensystem erforschten, um ›sie‹ zu finden – was auch immer man sich damals unter ›ihnen‹ vorstellte. Aber wehe, ›sie‹ hätten es gewagt, einfach zu erscheinen, ohne sich vorher anzukündigen. Darüber hinaus handelte es sich ausgerechnet um Vulkanier. Sie sahen nicht nur komisch aus und benutzten verwirrende Formulierungen – sie hatten auch einige gespenstische Fähigkeiten: Sie lasen Gedanken, unterdrückten ihre Gefühle und lebten praktisch ewig, zumindest vom menschlichen Standpunkt aus gesehen. Sie zeichneten sich durch eine wesentlich größere Körperkraft aus, waren widerstandsfähiger und klüger, besaßen die Warp-Technologie …«
Kirk nahm wieder am Kamin Platz, griff nach dem Schürhaken und beobachtete die züngelnden Flammen.
»Zefram Cochrane hat jene Technik entwickelt«, hielt er McCoy entgegen. Sein Tonfall machte deutlich, dass er diese Worte als eine unbestreitbare historische Wahrheit erachtete.
»Soweit es die Erde betrifft, die Menschheit«, betonte der Arzt. »Die Vulkanier verfügten bereits über ein Triebwerk, das ihnen ÜL-Flüge erlaubte.«
»Ausgeschlossen!«
»Bist du sicher? Sie wagten sich viele Jahrhunderte vor uns in den Raum. Du kennst doch Spocks Ausführungen über Ethnozentrizität: Wir neigen dazu, Dinge für unmöglich zu halten, nur weil wir sie noch nicht entdeckt haben. Die übliche Scheuklappentaktik. Obgleich wir auf viele Völker gestoßen sind, die einen wesentlich höheren Entwicklungsstand als wir erreicht haben. Genau um dieses Problem geht es, Jim – es ist der zentrale Punkt des Buches. Der Zeitpunkt war falsch. Oh, die Amity-Geschichte klingt gut. Tapfere Erdbewohner, die ihr Leben riskieren, um verletzte Aliens aus ihrem havarierten Raumschiff zu retten und so weiter. Doch gerade du solltest wissen, dass die menschliche Geschichte nicht immer so voller Edelmut ist. Als die Amity den vulkanischen Kreuzer fand, war die Menschheit bereits auf einen Kontakt mit Außerirdischen vorbereitet. Zwanzig Jahre vorher hätte man vermutlich extraterrestrische Invasoren in ihnen gesehen und eine Hetzjagd auf sie begonnen. Damals herrschte eine ausgeprägt xenophobische Haltung, die sich kaum von den Fremdenängsten während der früheren Jahrhunderte unterschied. Man hätte die Besucher aus dem All getötet, sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt, wie Hexen im Mittelalter. Das ist auf Vulkan ebenso bekannt wie auf der Erde. Aber niemand will es zugeben, und daher wurde jener Zwischenfall bis heute verschwiegen.«
»Menschen und Vulkanier, die sich in einer Art … Verschwörung zusammenfinden, um so etwas über viele Jahre hinweg geheim zu halten?« Skeptisch schüttelte Kirk den Kopf. »Tut mir leid, Pille, aber das nehme ich dir nicht ab.«
»Die vulkanischen Archive wurden bis zum Tod des letzten Überlebenden versiegelt«, erklärte McCoy geduldig. »Von einer Verschwörung kann keine Rede sein. Aufgrund ihrer Referenzen war Dr. Jen-Saunor die einzige Person – zumindest der einzige Mensch –, die Zugang zu ihnen hatte. Was betreffende Unterlagen auf der Erde betrifft: Sie verschwanden durch merkwürdige ›Zufälle‹. Unachtsame Angestellte verlegten sie. Computerspeicher wurden versehentlich gelöscht. Die üblichen Ausreden.«
»Mag sein«, brummte Kirk. »Aber die Versiegelung der vulkanischen Archive … Das erscheint mir ungewöhnlich. Informationen gelten als Gemeingut. Und sollte die Wahrheit nicht allen zugänglich sein?«
»Auch dann, wenn sie sowohl bei Menschen als auch bei Vulkaniern Verlegenheit bewirkt?«, hielt ihm McCoy entgegen. »Abgesehen von den wenigen Personen, die zu helfen versuchten, verloren die meisten Menschen ihr Gesicht. Sie standen da wie hysterische, streitsüchtige Kinder. Und was die Vulkanier angeht … Es würde ihnen wohl kaum gefallen, wenn sich herausstellt, dass sie damals nicht ganz ehrlich gewesen sind.«
»Was der Autorin eine ausgezeichnete Gelegenheit bietet«, warf Kirk trocken ein. »Nur sie hat Zugang zu den entsprechenden Daten, und auf der Erde gibt es niemanden, der ihr widersprechen kann. Kein Wunder, dass sich so viele Kontroversen um das Buch entwickelt haben. Ich will nicht behaupten, es sei durch und durch frei erfunden, aber bestimmt ist es kaum mehr als eine geschickte Konstruktion. Eine phantasievolle Geschichte, die sich in das Gewand historischer Authentizität kleidet. Davon gibt's jede Menge. Denk nur an die Ritter-Romane aus früheren Jahrhunderten.«
»Das siehst du völlig verkehrt …«, begann McCoy.
»Hinzu kommt der Stil, den Jen-Saunor wählte«, fuhr Kirk fort. »Sie dokumentiert nicht, sondern wählt Prosa. All die Dialoge … Man könnte meinen, sie sei zugegen gewesen …«
»Was ist verkehrt daran, Geschichte in einer leicht verdaulichen Form darzustellen?«, fragte McCoy. »Fremde vom Himmel ist für einen Starfleet-Admiral ebenso verständlich wie für einen zehnjährigen Schuljungen. Und die Dialoge … Sie stammen aus den Tagebüchern eines vulkanischen Überlebenden. Ich brauche wohl nicht extra auf das eidetische Gedächtnis von Vulkaniern hinzuweisen, Jim. Sie vergessen nie etwas.«
»Genauso gut könnte man Hannibals Feldzüge aus der Sicht der Elefanten darstellen«, meinte Kirk. McCoy fand das nicht besonders witzig.
»Offenbar gefällt es dir nicht, wenn jemand deine vorgefassten Meinungen in Frage stellt, du Dinosaurier«, erwiderte er in einem provozierenden Tonfall. »Du möchtest unter allen Umständen an deiner eigenen Version von angeblicher historischer Wahrheit festhalten. Wirst du etwa konservativ in deinen alten Tagen, Admiral? Wie bedauerlich …«
»Möchtest du Kaffee?«, fragte Kirk ungeduldig und gähnte erneut.
»Auf die Art von Kaffee, die du mir anzubieten hast, verzichte ich lieber«, knurrte McCoy. »Von dem Zeug bekommt man Magengeschwüre. Wenn man nicht auf der Stelle tot umfällt.«
»Nun, ich bin bereit, ein Risiko einzugehen. Schließlich bist du Arzt und kannst eingreifen, wenn du mein Leben bedroht siehst.« Kirk ging in die Küche, trat an den Synthesizer heran und betätigte eine Taste.
»Seltsam«, sagte er nach einer Weile.
McCoy hörte ihn. »Was meinst du?«, fragte er, sah aus dem Fenster und beobachtete die Lichter des Hafens.
»Nehmen wir einmal an, die Schilderungen in dem Buch stimmen tatsächlich – was ich nach wie vor bezweifle.« Kirk kehrte ins Wohnzimmer zurück und hielt einen mit schwarzer Flüssigkeit gefüllten Becher in der Hand. »Die Situation sähe folgendermaßen aus: zwei Vulkanier, auf der Erde gestrandet, das Raumschiff so schwer beschädigt, dass es sich nicht mehr reparieren lässt; zwei Gestrandete, mit einer nach ihren Maßstäben primitiven Kultur konfrontiert, der sie hilflos ausgeliefert sind. Wie konnten sie zu ihrer Heimatwelt zurückkehren?«
»Ich behaupte gar nicht, dass ihnen eine Rückkehr gelang«, entgegnete McCoy.
»Soll das etwa heißen, sie hätten den Rest ihres Lebens auf der Erde verbracht?«
»Auch diese Frage beantworte ich dir nicht, Jim. Ich sage dir überhaupt nichts mehr. Lies das Buch, wenn du mehr wissen willst.«
Kirk grinste. »O ja, ich kann mir vorstellen, wie sie zur Nasa gehen und um ein irdisches Raumschiff bitten. Was für ein Pech, dass man ihnen keine Warp-Technologie zur Verfügung stellten konnte.« Er schnippte mit den Fingern. »Oder sie stutzten ihre Ohren und gaben sich als Menschen aus. Welch schreckliches Schicksal für einen aufrechten Vulkanier! Was meint deine so geschätzte Historikerin dazu?«
McCoy brummte etwas Unverständliches. »Wird Zeit, dass ich mich auf den Weg mache. Morgen früh um sechs erwartet man mich zu einer Beratung, und anschließend muss ich einige lange Bürostunden ertragen.«
Kirk versperrte ihm den Weg zur Tür.
»Komm schon, Pille«, sagte er etwas ernster. »Was ist mit den Vulkaniern passiert?«
McCoy holte die Diskette mit dem elektronischen Buch aus der Tasche und bot sie Kirk an. »Lies das Ding, wenn du mehr erfahren möchtest.«
Der Admiral starrte auf die kleine Scheibe herab und fühlte sich versucht, sie entgegenzunehmen. Wenn er an die Ära der Erstkontakte dachte, empfand er immer ein gewisses Unbehagen, und vielleicht ging es dabei um den Aspekt der menschlichen Entwicklung, den McCoy mehrmals angesprochen hatte – die inhärente Eigenschaft des Homo sapiens, großartige Gelegenheiten zu verpfuschen. Er stellte sich eine isolationistische Erde vor, ohne jedes Interesse für die Wunder des Universums. Keine Föderation. Keine Raumschiffe, die interstellare Entfernungen zurücklegten. Kein Erster Offizier, der zu einer Hälfte Mensch und zur anderen Vulkanier war. Und in dem er einen guten Freund sah.
Er lehnte die Scheibe ab. »Nein, danke, Pille. Jetzt nicht. Vielleicht später einmal.«
»Du verpasst eine Menge«, brummte McCoy, schob sich an dem Admiral vorbei und ging zur Tür. »Wenn ich zu Hause bin, schiebe ich das Ding sofort in den Abtaster, um festzustellen, was damals geschah …«
»Zerstörung vor Entdeckung.«
Dieses Axiom wurde fest in der Seele aller Erkundungsschiffpiloten verankert. Dennoch konnte kein Commander zu einer Reise starten, die bis vor kurzer Zeit Jahrzehnte in Anspruch nahm, ohne dass der vorgesetzte Präfekt eindringlich an dieses Prinzip erinnerte. Es mochte unlogisch erscheinen, Worte zu wiederholen, die bereits ins Wesen der Piloten eingebrannt waren, doch es gehörte zum Reglement.
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