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Immer mehr junge Jedi-Ritter verfallen dem Wahnsinn. Luke Skywalker und sein Sohn Ben sind bereit, alles zu tun, um den Verfall der Jedi aufzuhalten. Eine Spur führt sie zu einem Knotenpunkt der dunklen Seite der Macht, wie Luke ihn noch nie gesehen hat – und mehrere Sith-Lords sind bereits dabei, die Kontrolle über diesen Nexus an sich zu reißen!
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Seitenzahl: 572
Troy Denning
ABGRUND
Das Verhängnis der Jedi-Ritter 3
Aus dem Englischen
von Andreas Kasprzak
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Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Star Wars™ Fate of the Jedi 03« bei Del Rey/The Ballantine Publishing Group, Inc., New York.
Deutsche Erstveröffentlichung November 2010 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München.
Copyright © 2010 by Lucasfilm Ltd. & ® or ™ where indicated.
All rights reserved. Used under authorization.
Translation Copyright © 2010 by Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München
Umschlaggestaltung: HildenDesign, München
Cover Art Copyright © 2010 by Lucasfilm Ltd.
Cover illustration by Ian Keltie
Redaktion: Marc Winter
HK · Herstellung: sam
Satz: omnisatz GmbH, Berlin
ISBN 978-3-641-07834-8V002
www.blanvalet.de
Für meine Nichte Jennifer Jane Denning.
Das Lächeln, das sich hinter dem von Allana verbirgt.
Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis …
Dramatis Personae
AHRI RAAS; Sith-Schüler (Keshiri)
BEN SKYWALKER; Jedi-Ritter (Mensch)
HAN SOLO; Captain des Millennium Falken (Mensch)
JAGGED FEL; Staatschef des Galaktischen Imperiums (Mensch)
JAINA SOLO; Jedi-Ritterin (Mensch)
LEIA ORGANA SOLO; Jedi-Ritterin (Mensch)
LUKE SKYWALKER; Jedi-Großmeister (Mensch)
OLARIS RHEA; Sith-Lady (Mensch)
VESTARA KHAI; Sith-Schülerin (Mensch)
YUVAR XAL; Sith-Meister (Mensch)
1. Kapitel
Tief im Innern des Jedi-Tempels auf Coruscant war der Anstaltsblock verborgen, ein Transparistahlwürfel, der in seinem eigenen versteckten Atrium stand, gebadet in künstlichem blauen Licht und umgeben von sorgsam arrangierten Reihen eingetopfter Olbio-Bäume. Leia Solo konnte Seff Hellin in seiner Zelle zwei Etagen höher knien sehen, als sie durch die Blätter emporspähte. Er befand sich in der nächstgelegenen Ecke und starrte auf seine blutigen Fingerknöchel, als wäre er überrascht, dass stundenlanges Hämmern gegen fusionsgeschweißte Nähte sie tatsächlich verletzt hatte. In der Zelle nebenan kratzte Natua Wan ohne Unterlass an ihrem Türschloss und versuchte, ihre abgesplitterten Krallen in die Magnetdichtung zu schieben, die man nicht einmal mit einem Nanoskalpell hätte ankratzen können.
Die beiden in einem solchen Zustand zu sehen, ließ Leias Herz schmerzen. Außerdem beunruhigte es sie, dass beide Kinder von Corran Horn derselben »Krankheit« zum Opfer gefallen waren. Jetzt, wo die Tempel-Wissenschaftler in ihrem Bemühen, die Ursache dafür zu identifizieren, keinen Schritt vorangekommen waren, befürchtete sie langsam, dass dieser sonderbare Irrsinn womöglich eine ganze Generation von Jedi-Rittern befallen könnte. Und das war etwas, das sie nicht zulassen würde – nicht, wenn jeder neue Fall sie daran erinnerte, wie verwirrt und hilflos sie sich dabei gefühlt hatte, Jacen an den Wahnsinn der Sith zu verlieren.
In dem unsichtbaren Kraftfeld, das das Atrium umschloss, erschien der goldene Umriss eines Zugangsportals. Mit Han und C-3PO im Schlepp betrat Leia das nach Laub riechende Innere. Sie war nicht überrascht, einen subtilen Stich des Verlusts und der Isolation zu verspüren. In den Olbio-Bäumen tummelten sich Ysalamiri, kleine weiße Reptilien, die sich vor Raubtieren schützen, indem sie eine Leere in der Macht erzeugen. Diese Anpassung der Evolution war ein unschätzbares Werkzeug für jeden, der abtrünnige Machtnutzer einsperren wollte – und in letzter Zeit gehörten die Jedi nur allzu oft selbst dazu.
Als sich das Portal knisternd hinter ihnen schloss, lehnte Han sich dicht zu ihr und wärmte Leias Ohr mit einem Flüstern. »Ich denke nicht, dass es hilfreich ist, sie von der Macht abzuschneiden. Sie wirken verrückter als je zuvor.«
»Seff und Natua sind nicht verrückt«, tadelte Leia ihn. »Sie sind krank, und sie brauchen unser Verständnis.«
»He, keiner versteht Verrückte besser als ich!« Han drückte beruhigend ihren Arm. »Mich nennen die Leute immer verrückt.«
»Da hat Captain Solo ganz recht«, stimmte C-3PO zu. Der goldfarbene Protokolldroide stand dicht hinter den Solos; seine metallene Brustplatte drückte sich kalt gegen Leias linke Schulter. »Im Laufe unserer Verbindung wurde Captain Solos geistige Gesundheit durchschnittlich drei Mal pro Monat infrage gestellt. Gemäß der psychiatrischen Gutachtensvorschriften vieler entsprechender Einrichtungen würde ihn dieser Umstand allein bereits für eine Zelle im Anstaltsblock qualifizieren.«
Han warf dem Droiden einen finsteren Blick zu, ehe er sich mit seinem besten beruhigenden Grinsen wieder an Leia wandte. »Siehst du? Vermutlich bin ich der Einzige im ganzen Tempel, der auf ihrer Wellenlänge liegt.«
»Das würde mich nicht überraschen«, meinte Leia. Sie schenkte ihm ein schiefes Lächeln, dann tätschelte sie die Hand, die ihren Arm umfasst hielt. »Scherz beiseite, ich wünschte mir wirklich, du wüsstest, was mit ihnen los ist.«
Jetzt war es Han, der ernst wurde. »Ja. Zu sehen, wie sie so durchdrehen, weckt schlechte Erinnerungen. Richtig schlechte Erinnerungen.«
»Das tut es«, bestätigte Leia. »Aber das ist nicht dasselbe. Als endlich irgendjemand erkannt hat, was mit Jacen nicht stimmte, führte er bereits die Galaktische Allianz.«
»Ja, und wir waren der Feind«, stimmte Han zu. »Ich wünschte bloß, wir hätten Jacen seinerzeit in einen Inhaftierungsblock stecken …«
»Das hätten wir auch getan, wenn es irgendeine Möglichkeit gegeben hätte, ihn lebend zu schnappen«, unterbrach Leia ihn. Sie sprachen nicht allzu häufig über dieses Thema, doch wenn sie es taten, war sie jedes Mal am Boden zerstört, und das konnte sie jetzt nicht zulassen. »Konzentrieren wir uns einfach auf die Jedi, die wir retten können.«
Han nickte. »Ich bin dabei. Ich möchte nicht, dass die Familie irgendeines anderen von einer Plasmaexplosion erwischt wird, wie sie uns getroffen hat.«
Han sprach noch, als Meisterin Cilghal und ihre Assistentin Tekli erschienen und zwischen den beiden Reihen eingetopfter Olbio-Bäume entlanggingen. In ihren weißen Medikitteln machte das Paar einen tristen Eindruck: Cilghal eine langköpfige Mon Calamari mit traurigen Kugelaugen, Tekli eine zierliche Chadra-Fan, die ihre klappenartigen Ohren eng an das Kopffell angelegt hatte.
Cilghal streckte ihre flossenartige Hand erst Leia und dann Han entgegen, während sie mit plätschernder Mon-Calamari-Stimme das Wort ergriff. »Jedi Solo, Captain Solo, danke für das schnelle Kommen. Ich vertraue darauf, dass es möglich war, so kurzfristig jemanden zu finden, der auf Amelia achtgibt?«
»Kein Problem«, antwortete Han. »Barv hat ein Auge auf sie.«
»Barv?«, quiekte Tekli. »Etwa Bazel Warv?«
»Ja, Amelia liebt den großen Kerl einfach.« Han lächelte. »Ich fange an, zu glauben, dass dieses Mädchen einen Ramoaner heiraten wird, wenn sie groß ist.«
Der Blick, den Tekli Cilghal zuwarf, war beinahe unmerklich, ebenso wie die Reaktion der Mon Calamari darauf, die kurz mit dem Auge, das ihrer Assistentin zugewandt war, nach unten schaute – allerdings geschah das alles nicht rasch genug, um der Aufmerksamkeit einer ehemaligen Diplomatin zu entgehen.
»Ist das ein Problem?«, fragte Leia. »Barv ist schon immer sehr gut mit ihr zurechtgekommen.«
»Ich bezweifle ernsthaft, dass es irgendetwas gibt, worüber man sich Sorgen machen müsste«, meinte Cilghal. »Es ist nur so, dass die einzige Verbindung, die wir bislang zwischen den Patienten finden konnten, ein gewisser gemeinsamer Nenner ist.«
»Was für ein gemeinsamer Nenner?«, fragte Han.
»Alter und Aufenthaltsort«, erklärte Tekli. »Alle vier Opfer befanden sich unter den Schülern, die in der Zuflucht versteckt waren.«
Leia nickte. Die Zuflucht war eine geheime Basis, in der die Jedi während der letzten Phase des Krieges gegen die Yuuzhan Vong ihre Jüngsten in Sicherheit gebracht hatten. Tief im Innern des Schlunds mit seiner Ballung Schwarzer Löcher verborgen und aus den Überresten eines verlassenen Waffenlabors zusammengeschustert, war die Zuflucht ein recht düsterer Ort gewesen, um sich dort um die jungen Jedi zu kümmern – und womöglich ein gefährlicher, wie es jetzt schien.
»Denkt Ihr an Umweltgifte?«, fragte Leia.
»Wir haben den Ort ziemlich gründlich dekontaminiert«, fügte Han hinzu. »Aber ich nehme an, wir könnten etwas übersehen haben. Die Imperialen haben dort einiges ziemlich sonderbares Zeug hergestellt.«
Cilghal breitete die Hände aus. »Das lässt sich unmöglich sagen. Im Moment ist das Ganze nichts weiter als eine schlichte Beobachtung.« Sie senkte ein mahnendes Auge in Richtung ihrer Assistentin. »Die Patientengruppe ist zu klein, um eine statistische Übereinstimmung nachzuweisen.«
»Stimmt, aber es ist der einzige konkrete Hinweis, den wir haben«, konterte Tekli. »Und ganz gleich, ob das die Ursache für die Erkrankung ist oder nicht, Bazel hatte sowohl zu Valin als auch zu Jysella ein überaus enges Verhältnis.«
»Ja, genau wie zu Yaqeel Saav’etu«, sagte Han. »Ich habe gehört, dass Barv die vier die ›Einheit‹ nennt.«
Leia hob eine Augenbraue. »Gehört Seff auch zu dieser Einheit?« Sie schaute auf und sah, dass Seff noch immer auf seine Hände starrte; in der Zelle nebenan machte sich Natua weiterhin an ihrem Schloss zu schaffen. »Oder Natua?«
»Nicht, dass ich wüsste«, entgegnete Han.
Tekli bestätigte dies mit einem Schütteln ihres goldpelzigen Kopfes.
»Wie wir sehen«, fuhr Cilghal wieder fort, »gibt es zahlreiche Fakten und Verbindungen. Aber welche davon sind wichtig? Oder ist das am Ende überhaupt nicht relevant?«
»Wenn irgendjemand darauf eine Antwort finden kann, dann Ihr«, meinte Leia. »In der Zwischenzeit spricht nichts dagegen, vorsichtig zu sein.«
»Natürlich nicht«, sagte Cilghal. »Wenn ihr also lieber unverzüglich zu Amelia zurückkehren möchtet …«
»Nein, ich denke nicht, dass das notwendig sein wird«, unterbrach Leia sie. »Erzwo-Dezwo ist auch da, und er hat die grundsätzliche Anweisung, mit uns in Kontakt zu treten, wenn irgendetwas anfängt, ungewöhnlich auszusehen. Und wir sind sehr darauf erpicht, Euch zu helfen.«
»Ja.« Han warf einen Blick zum Zellblock hinüber. »So, wie die beiden da oben aussehen, könnt Ihr jede Unterstützung brauchen, die Ihr kriegen könnt.«
»Vielen Dank.« Cilghal drehte sich um und winkte sie in Richtung des Zellblocks. »Allerdings ist der eigentliche Grund dafür, warum ich euch hergebeten habe, der, dass Seffs Zustand sich allmählich bessert.«
Han schaute skeptisch drein. »Dann hat er sich die Hände also nicht dabei aufgeschürft, gegen die Wände zu schlagen?«
»Doch, hat er«, gab Cilghal zu.
»Aber er hat damit aufgehört«, bemerkte Leia. »Ist das die Verbesserung?«
Cilghal nickte. »Einige Tage, nachdem wir sie von der Macht isoliert haben, begannen sowohl Seff, als auch Natua, Symptome starken psychischen Entzugs zu zeigen. Seffs gegenwärtige Ruhe deutet darauf hin, dass bei ihm womöglich die Genesungsphase eingesetzt hat.«
»Moment mal!« Han warf einen unbehaglichen Blick zu Leia hinüber. »Soll das heißen, sie sind abhängig von der Macht?«
»Alles, was wir wissen, ist, dass es da eine Verbindung zu geben scheint«, erwiderte Cilghal vorsichtig.
»Wir fragen uns, ob die Macht womöglich als so eine Art Träger für den Irrsinn fungiert«, erklärte Tekli. »Oder vielleicht als Auslöser.«
Cilghal richtete missbilligend ein Auge auf ihre Assistentin. »Natürlich handelt es sich bei alldem zu diesem Zeitpunkt um reine Spekulation.« Das andere Auge schwang in Leias Richtung – eine Mon-Calamari-Fähigkeit, die Leia nach wie vor ein wenig verwirrend fand. »Bislang ist es uns weder gelungen den Entzug noch die Genesung zu bestätigen.«
»Und dafür braucht Ihr uns?«, mutmaßte Leia.
Cilghal nickte. »Wir würden gern heimlich einen Enzephaloscan durchführen, um zu bestimmen, wie ruhig Seff tatsächlich ist …«
»Und wir sollen ihn dabei ablenken, richtig?«, endete Han für sie.
»Wären Sie so freundlich?«, fragte Cilghal. »Wir können kein Grundbelastungsmuster messen, solange wir seine Aufmerksamkeit nicht auf irgendetwas anderes konzentrieren. Und Sie und Leia sind in Sachen Schwindelei die Besten, die wir hier im Tempel haben.«
»Auf Coruscant!«, korrigierte Han, ein bisschen zu stolz. Er stieß einen Daumen in C-3POs Richtung. »Allerdings wird unser Goldjunge hier keine große Hilfe dabei sein, irgendwen an der Nase herumzuführen. Warum wolltet Ihr, dass er mitkommt?«
»Natua hat vor sich hin gezischt, während sie sich an dem Schloss zu schaffen gemacht hat«, erklärte Tekli. »Ich fange an zu glauben, dass sie Selbstgespräche führt.«
»Das ist durchaus möglich«, merkte C-3PO an. »Die Phonetik vieler reptilischer Sprachen weist zischende Grundlaute auf. Es wäre mir eine Freude, Euch bei der Identifizierung der Sprache behilflich zu sein.«
»Eine Übersetzung wäre wesentlich nützlicher«, meinte Tekli. »Es könnte sich als hilfreich erweisen zu wissen, was sie sagt.«
»Ce-Dreipeo steht Euch zur freien Verfügung«, sagte Leia zu Cilghal. »Genau wie Han und ich.«
Cilghal dankte ihnen und führte sie zum Anstaltsblock. Tekli verschwand im Kontrollraum, um zwei Schockstäbe für die Solos und eine Betäubungsmittelpistole für Cilghal zu holen, ehe sie verkündete, dass sie mit dem Enzephaloscanner zu ihnen stoßen würde, sobald Seff abgelenkt war. Leia und Han verstauten die Schockstäbe hinten am Kreuz unter den Gürteln, dann folgten sie Cilghal zu einem Turbolift und fuhren zum Laufsteg im 2. Stock hoch.
Die längs des Laufstegs aufgereihten Zellen waren eindeutig eher zu dem Zweck entworfen worden, jemanden sicher zu verwahren, als ihn zu bestrafen, da sie mit Fließformsofas, holografischen Unterhaltungsanlagen und blickgeschützten Sanitärkabinen ausgestattet waren. Dem gedämpften Kratzen von Fingernägeln nach zu urteilen, das durch die zweite Tür drang, bot dieser Unterschied Natua Wan allerdings keinen Trost.
Die erste Tür stand offen. Im Innern der Zelle saß ein großer, kräftig aussehender menschlicher Jedi und meditierte, wobei auf dem einen Knie eine nach oben gewandte Handfläche ruhte, und auf dem anderen ein Armstumpf. Auf dem Boden neben ihm lag eine künstliche Hand, mit der Handfläche nach oben, deren Daumen und Mittelfinger sich berührten. Dutzende von Operationen und Hauttransplantationen hatten seine Brandverletzungen bis zu dem Punkt wiederhergestellt, dass sein Gesicht zwar künstlich, aber nicht mehr grässlich aussah; allerdings waren seine Ohren flach und unförmig geblieben, und die stoppelige Beschaffenheit seines kurzen blonden Haars verriet den synthetischen Ursprung.
Als sich die Gruppe seiner Tür näherte, öffneten sich die blauen Augen des Jedi ruckartig und fixierten erst Leia, dann Han. »Prinzessin Leia, Captain Solo«, sagte er, »wie schön, dass wir uns wiedersehen!«
»Das finden wir auch, Raynar«, sagte Han. »Geht’s dir gut hier drin?«
»Sehr gut«, entgegnete Raynar. »Vielen Dank.«
Raynar Thul, ein trauriges Beispiel für den Preis, den junge Jedi für ihren Dienst an der Galaxis zu häufig zahlten, war beim selben Kampfeinsatz als vermisst gemeldet worden, der das Leben des jüngsten Sohns der Solos – Anakin – gefordert hatte. Jahre später war Raynar als UnuThul wieder aufgetaucht, als jener grausam entstellte, wahnsinnige Neunister, der die Expansion der Killik-Kolonie in die Chiss-Territorien geleitet hatte. Zum Glück hatte sich Raynar nicht als zu mächtig erwiesen, um ihn lebend zu fangen, und mittlerweile war er seit mehr als sieben Jahren im Anstaltsblock zu Hause, während Cilghal ihm dabei half, wieder zu Verstand zu kommen.
Wäre damals Natasi Daala die Staatschefin der Galaktischen Allianz gewesen, hätte man Raynar vermutlich in Karbonit eingefroren und im nächstbesten Inhaftierungszentrum aufgehängt – genau, wie es Valin und Jysella Horn widerfahren war, als sie krank wurden. Und dieser Gedanke machte Leia so wütend wie einen Wampa in der Sauna. Jeder, dessen Verstand unter dem gelitten hatte, was sie für die Allianz erduldet hatten, verdiente es, wieder gesund gemacht zu werden, anstatt das Etikett »Gefahr für die Gesellschaft« verpasst zu bekommen und wie ein Wandkunstwerk behandelt zu werden.
Leia blieb am Eingang zu Raynars Zelle stehen. »Hallo, Raynar. Cilghal hat uns erzählt, dass du großartige Fortschritte gemacht hast.« Tatsächlich hatte die Mon Calamari den Solos gesagt, dass alles, was noch zu tun war, darin bestand, Raynar dazu zu bringen zu begreifen, dass er wieder gesund war. »Brauchst du irgendetwas?«
»Nein, es ist mir erlaubt, den Proviantmeister selbst zu besuchen«, entgegnete Raynar. Er warf einen Blick in Richtung der angrenzenden Zelle, wo Natua immer noch an ihrer Tür kratzte, und grinste ein wenig spitzbübisch. »Es sei denn, man könnte etwas gegen diesen Lärm unternehmen. Das reicht, um einen Mann in den Wahnsinn zu treiben!«
»Kein Problem«, meinte Han, der die Hand nach der Kontrolltafel an der Außenseite der Zelle ausstreckte. »Es wird ruhiger sein, wenn wir die Tür zu …«
»Wenn ich’s recht bedenke«, unterbrach Raynar ihn, »vielleicht gewöhne ich mich ja an den Krach.«
Han grinste. »Ich dachte mir schon, dass dir das bei deinem Problem hilft.«
»Du solltest dich um eine Zulassung als Therapeut bemühen, Schatz«, sagte Leia trocken. Sie wandte sich an Raynar. »Aber im Ernst, Raynar, wenn der Lärm dich stört, warum wechselst du dann nicht einfach dein Quartier?«
Raynars Augen wurden so groß, wie es seine starren Brauen zuließen. »Meine Zelle verlassen?«
»Die Tür steht ohnehin schon seit einer ganzen Weile offen«, ergänzte Cilghal. »Und falls sich die Lage bezüglich der jungen Jedi weiter verschlechtert, brauchen wir vielleicht dein Zimmer.«
»Oben auf der Schlafsaalebene gibt es jede Menge leerer Unterkünfte«, merkte Han an.
Raynar nahm seine künstliche Hand an sich, dann erhob er sich und trat auf die Tür zu. »Wäre ich dort willkommen?«
»Das hängt davon ab«, sagte Han mit einem Grinsen. »Wirst du deine Hausarbeiten selbst erledigen?«
»Die Zeiten, in denen ich mich als etwas Besseres erachtet und mich geweigert habe, Hausarbeiten zu erledigen, sind lange vorbei, Captain Solo.« Raynars Tonfall war eher verwirrt denn empört, als wäre er so in Gedanken versunken, dass ihm ganz entgangen war, dass Han scherzte. Er stand an der Tür, erwog seine Optionen, dann zuckte er mit den Schultern und legte seine künstliche Hand an. »Ich weiß nicht, ob ich dafür bereit bin. Ich weiß nicht, ob die dafür bereit sind.«
Leia schickte sich gerade an, darauf hinzuweisen, dass es bloß eine Möglichkeit gab, das herauszufinden, doch bevor sie etwas sagen konnte, ging Raynar wieder zur Mitte seiner Zelle. Cilghal schüttelte enttäuscht den Kopf, Han seufzte, und Leia biss sich frustriert auf die Lippen.
»Immer locker bleiben!«, rief Raynar über die Schulter. »Ich muss bloß packen. Immerhin war ich eine ganze Weile hier, nicht wahr?«
Leias Erleichterung war bittersüß. So froh sie auch darüber war, dass Raynar seine Zelle verließ, so sehr wünschte sie sich, dass Inhaftierung und Rehabilitation auch für ihren Sohn Jacen möglich gewesen wären. Doch Jacen war zu mächtig, um ihn gefangen zu nehmen, und zu zerstörerisch, um ihn in Freiheit zu lassen. Letzten Endes war ihnen keine andere Wahl geblieben, als ihn zur Strecke zu bringen.
Wir hatten keine andere Wahl.
Das rief Leia sich nahezu jeden Tag ins Gedächtnis. Und dennoch wusste sie, dass sie und Han sich bis zu ihrem Tode fragen würden, warum sie die Gefahr, in der Jacen schwebte, nicht rechtzeitig erkannt hatten, um ihn zu retten; warum ihnen nicht klar geworden war, dass ihr Sohn der Dunklen Seite anheimfiel, bis es zu spät gewesen war …
Sobald Raynar damit begonnen hatte, seine wenigen Habseligkeiten zusammenzupacken, lächelte Cilghal und führte sie weiter den Laufsteg entlang. Als sie an der nächsten Zelle vorbeikamen, hörte Natua auf, an ihrem Türschloss zu kratzen, und drückte sich gegen den Transparistahl, ihre zusammengekniffenen Augen auf Han gerichtet. Über ihre zarten Gesichtsschuppen breitete sich ein rötlicher Farbton aus, und sie schob eine Hand an der Wand entlang, um sie in seine Richtung auszustrecken.
»Captain Solo!« Selbst durch die elektronischen Lautsprecher, die ihre Worte auf den Laufsteg übermittelten, klang Natuas Stimme sanft und schmeichelnd. Leia war nur froh, dass die starken Anziehungspheromone der Falleen sicher im Innern ihrer Zelle eingeschlossen waren. »Bitte … holen Sie mich hier raus! Die tun mir weh.«
»Nicht so sehr, wie du dir selbst wehtust«, erwiderte Han und wies auf die purpurnen Schlieren, die ihre blutigen Fingerspitzen auf der Wand hinterlassen hatten. »Tut mir leid, Nat. Du musst hierbleiben und zulassen, dass sie dir helfen.«
»Das hier ist keine Hilfe!« Natua schlug so fest gegen die Wand, dass das daraus resultierende Pang C-3PO dazu brachte, nach hinten gegen das Sicherheitsgeländer zu stolpern. Sie fing an, in der sonderbaren, zischelnden Sprache zu fluchen, die Tekli vorhin erwähnt hatte. »Sseorhstki hsuzma sahaslatho Shi’ido hsesstivaph!«
»Ach, du liebe Güte!«, rief C-3PO aus. »Jedi Wan schwört, Captain Solo und seine Mitverschwörer auf schrecklich unangenehme Weise zu töten. Zum Glück hat es den Anschein, als hätte sie ihr Vorhaben nicht sonderlich gut durchdacht. Ich habe nicht einmal Gedärme.«
»Dann erkennst du die Sprache?«, fragte Leia.
»Natürlich«, antwortete C-3PO. »Das alte Hsoosh ist in den Hohen Häusern der Falleen nach wie vor die Zeremoniensprache.«
»Die Zeremoniensprache?«, echote Han. »Wie die, die sie dazu benutzen, um feierliche Schwüre abzulegen?«
»Korrekt«, bestätigte C-3PO. »Die führenden Klassen haben sie mehr als zweitausend Standardjahre lang lebendig gehalten, um sich von der Masse abzuheben …«
»Dreipeo, das ist im Augenblick nicht von Belang«, unterbrach Leia ihn. Die Art und Weise, wie Han die Zähne zusammenbiss, verriet Leia, dass eine verrückte Jedi, die Todesschwüre gegen sie ausbrachte, ihn ehrlich beunruhigte. Eine Lektion über die Historie der alten Hsoosh-Sprache hätte womöglich genügt, um ihn dazu zu bringen, C-3POs innere Mechanik herauszureißen. »Warte hier und gib uns Bescheid, was Natua sonst noch zu sagen hat!«
C-3PO bestätigte den Befehl, und Leia und Han folgten Cilghal zur nächsten Zelle. Seff hatte sich in die hintere Ecke begeben, wo er jetzt kniete, das Gesicht von der Tür abgewandt, die zerschundenen Hände auf den Oberschenkeln. Das kaum wahrnehmbare Heben und Senken der Schultern wies darauf hin, dass er meditierte; möglicherweise versuchte er, seinen aufgewühlten Verstand zu beruhigen und dem, was ihm widerfahren war, einen Sinn abzugewinnen.
Cilghal schaute über den Laufsteg zurück zum Turbolift, wo Tekli mit etwas wartete, das wie ein ein Meter langer Aufzeichnungsstab aussah, der in einer Parabolantenne endete. Als die Chadra-Fan nickte, um kundzutun, dass sie bereit war, trat Cilghal näher an Seffs Zelle heran und klopfte behutsam gegen die Wand.
Seff, ein stämmig gebauter junger Mann mit kantigen Schultern und hellem, lockigem Haar, reagierte, ohne den Blick von der Ecke abzuwenden. »Ja, Meisterin Cilghal?«
Seine Stimme drang aus dem kleinen Lautsprecher nahe der Tür, und als Cilghal antwortete, beugte sie sich vor, um ihren Mund nah an das winzige Mikrofon darunter zu bringen.
»Woher wusstest du, dass ich es bin?«, fragte sie.
»Ihr …« Seff mühte sich um eine Erklärung, ehe er schließlich sagte: »Ihr seid es immer … oder Tekli. Und Tekli käme nicht so hoch beim Anklopfen.« Er zuckte die Schultern. »Also, um die Frage zu beantworten, die Euch zweifellos auf der Zunge liegt: Nein, ich habe nicht die Fähigkeit entwickelt, durch eine Ysalamiri-Leereblase mit der Macht in Verbindung zu treten.«
»Aber du scheinst dich tatsächlich besser zu fühlen«, sagte Cilghal.
»Da werde ich mich auf Euer Wort verlassen müssen.« Seff blieb in der Ecke kauern, ohne sie anzusehen, doch sein Tonfall wurde weicher. »Ich habe keine klare Erinnerung daran, wie ich mich zuvor gefühlt habe.«
Cilghal rollte ein hoffnungsvolles Auge in Leias Richtung, ehe sie von neuem zu Seff sprach. »Erinnerst du dich daran, warum du hier bist?«
»Das hängt davon ab, was Ihr mit hier meint. Ich entsinne mich, den Versuch unternommen zu haben, Valin Horn aus den Fängen der GA-Sicherheit zu retten. Und ich entsinne mich, von einer Person angegriffen worden zu sein, die sehr nach Jaina Solo aussah.« Seff hielt inne und schüttelte den Kopf. »Ich nehme an, dass ich mich im Anstaltsblock auf der Inhaftierungsebene des Jedi-Tempels befinde, aber nichts davon ergibt sonderlich viel Sinn.«
»Vermutlich sollte es auch keinen Sinn ergeben«, meinte Cilghal. Sie lächelte, von einer Erleichterung erfüllt, die Leia nicht ganz teilte. »Ich fürchte, du hast in letzter Zeit unter paranoiden Wahnvorstellungen gelitten.«
Seffs Kopf und Schultern sackten in ziemlich überzeugender Weise zusammen, und er starrte weiter in die Ecke, ohne etwas zu sagen.
»Seff, du wirst wieder gesund«, sagte Cilghal. Das war etwas, was jeder gute Seelenklempner zu seinem Patienten sagen würde, ganz gleich, ob es stimmte oder nicht. »Das ist ein vielversprechendes Zeichen.«
Leia war nicht in der Lage, Mon-Calamari-Mienen gut genug zu deuten, um zu wissen, ob Cilghal das ehrlich meinte. Was sie allerdings wusste, war, dass sie selbst davon nicht überzeugt war. Die Art, wie Seff die ganze Zeit über sein Gesicht verbarg, gefiel Leia nicht. Und wenn er Schwierigkeiten hatte, sich daran zu erinnern, was mit ihm passiert war, woher wusste er dann eben, dass es immer Cilghal oder Tekli waren, die ihn besuchten?
Cilghal sprach weiterhin in das Mikrofon der Gegensprechanlage. »Seff, du hast Besuch. Wäre es in Ordnung, wenn wir hereinkommen?«
»Besuch?« Endlich wandte Seff den Blick von der Ecke ab; seine hellen Augen glänzten vor Neugierde. »Absolut. Kommt herein!«
Bevor Leia ihren Bedenken Ausdruck verleihen konnte, streckte Cilghal die Hand aus und gab einen Code ein, der das Schloss deaktivierte. Als die Tür beiseiteglitt, schaute Leia zu Han hinüber und war erleichtert, dieselbe Skepsis in seinen Augen zu sehen, die sie in ihrem eigenen Bauch fühlte. Falls Cilghal zu optimistisch war, gab es wenigstens noch jemand anderen, der bereit war, sich bei Bedarf auf Seff zu stürzen.
»Jedi Solo, Captain Solo …« Cilghal winkte sie in die Zelle. »Bitte!«
»Die Solos?«
Seff, der eher zynisch denn erfreut klang, stand auf und wandte sich ihnen zu. Zu Leias Überraschung zeigte sich kein alarmierendes Glitzern in seinen Augen, und seine Lippen zuckten nicht, noch ließ er irgendetwas anderes Offensichtliches erkennen, das darauf hingewiesen hätte, dass Cilghals Erleichterung nicht gerechtfertigt war. Allerdings glitten seine Brauen etwas zu langsam in die Höhe, als dass sein Erstaunen aufrichtig gewesen wäre.
»Was verschafft mir die Ehre?«
»Wir wollten bloß nach dir sehen«, sagte Han. Um Seff daran zu hindern, sich der Tür zu nähern, streckte er die Hand aus und ging in die Ecke hinüber. »Schön zu sehen, dass du dich besser fühlst.«
Als Seff ihm seinerseits die Hand hinhielt, machte Leia sich bereit, beim ersten Anzeichen von Schwierigkeiten in Aktion zu treten. Dennoch blieb Seff bloß in der Ecke und wirkte gelinde verwirrt, als die beiden einander die Hand schüttelten.
Leia nahm die Hand vom Schockstab in ihrem Kreuz fort und trat neben Han. »Du siehst wirklich viel besser aus als beim letzten Mal, als wir dich sahen.«
Seffs Augen glitten in ihre Richtung. »Nach allem, was ich weiß, scheint das keine große Leistung zu sein.«
Er ließ ein unprätentiöses Lächeln aufblitzen, und Leia fragte sich, ob all die Vertrauensbrüche und Enttäuschungen, die sie im Laufe der Jahre erlitten hatte, sie langsam zu argwöhnisch machten.
»Erinnerst du dich daran, wann du die Solos gesehen hast?«, fragte Cilghal. Sie verharrte unmittelbar vor der Tür, als wäre ihre Anwesenheit eine unangenehme Notwendigkeit und als wolle sie nicht stören. »Abgesehen von hier auf Coruscant, meine ich.«
Seff runzelte einen Moment lang die Stirn, und Leia dachte, er würde sagen, dass er sich nicht entsinnen könne.
Dann jedoch ließ er erneut dieses plumpe Lächeln aufblitzen und sagte: »War das nicht auf Taris, bei dieser Tierschau?«
»Das stimmt«, bestätigte Han. Er legte Seff eine Hand auf die Schulter und glitt geschickt herum, sodass der junge Jedi die Tür im Rücken hatte, als sie miteinander sprachen. »Die, wo der Ornuk den ersten Preis gewonnen hat.«
»Han, das war nicht der Ornuk«, sagte Leia in tadelndem Ton. Sie ging herum, an Seffs andere Seite, und stand Han gegenüber, sodass sie den jungen Jedi von beiden Seiten flankierten und seine Aufmerksamkeit mit einem sanften Schubs rasch in eine andere Richtung lenken konnten. »Das war das Chitlik!«
Han blickte finster drein. »Was redest du da? Es war dieser große Ornuk. Ich sollte es wissen; das Vieh hätte mir fast in den Knöchel gebissen!«
Leia rollte die Augen, und als Seffs entspannter Kiefer ihr verriet, dass ihr Ablenkungsmanöver funktionierte, schüttelte sie vehement den Kopf. »Das war der Cannus Solix! Das wüsstest du, wenn du nicht angefangen hättest, Schlägereien anzuzetteln, als die Preisrichter den Unterschied erklärt haben.«
»He, ich habe diese Schlägerei nicht angefangen«, konterte Han; die Schärfe in seiner Stimme war so glaubwürdig, dass selbst Leia nicht sicher war, ob er tatsächlich schauspielerte. »Ist es etwa meine Schuld, wenn …«
»Wie oft habe ich das schon gehört?«, unterbrach Leia ihn. Sie konnte sehen, dass Tekli auf der anderen Seite der Zelle an der Tür stand und die trichterförmige Antenne des tragbaren Enzephaloscanners auf Seffs Hinterkopf richtete. »Wenn es nach dir ginge, ist es nie deine Schuld.«
»Das stimmt … ist es auch nie.« Han wandte sich an Seff. »Du warst bei der Schau, Junge. Wen haben sie verhaftet?«
Doch Seff schenkte Han nicht länger irgendwelche Aufmerksamkeit. Er blickte in dieselbe Ecke, die er angeschaut hatte, als sie eintrafen, starrte einen gewölbten Schemen im Transparistahl an, den Leia nicht sofort als Spiegelbild erkannte – bis ihr klar wurde, warum Seff vorhin wusste, dass es Cilghal war, die geklopft hatte. In der Hoffnung, seine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken, legte Leia ihm eine Hand auf die Schulter.
»Seff, bitte, verzeih uns!«, sagte sie. Als er weiterhin die Spiegelung betrachtete, drückte sie fest zu. »Wenn man so lange zusammengelebt hat wie Han und ich, entwickelt man einige Macken …«
Leia wurde erst bewusst, dass Seff sie angriff, als sie spürte, wie sein Arm über den ihren streifte, um ihren Ellbogen in einen schmerzhaften Griff zu nehmen, dem sie nicht entkommen konnte, ohne sich das Gelenk auszukugeln. Sie wirbelte herum, rief eine Warnung und schaffte es kaum, ihn daran zu hindern, sich den Schockstab zu schnappen, den sie hinten im Gürtel versteckt hatte. Im nächsten Augenblick war Han zwischen ihnen und ließ seinen eigenen Schockstab auf Seffs Schulter herniedersausen.
Seff wich zurück und zog Leia in die Bahn des Hiebs. Zwar bekam er immer noch den Großteil des Schlags gegen seinen Oberarm, doch sie erhielt einen so gewaltigen Stromschlag, dass sich ihre Knie versteiften und sich die Zähne tief in ihre Zunge gruben.
Unglaublicherweise ging Seff nicht zu Boden. Er trieb Han mit einem Ellbogenschlag ins Gesicht nach hinten, ehe er ihm in den Magen grätschte und ihn gegen die Wand schleuderte. Als er in Richtung Tür wirbelte, ließ er Leias Arm schließlich los und machte einen Satz auf Tekli und Cilghal zu.
»Nein, das tut ihr nicht!«, schrie Seff, der zwei Meter von ihnen weg landete. »Ihr kopiert mich nicht!«
Sowohl Leias Beine als auch einer ihrer Arme wabbelten nur noch vor sich hin, doch sie hatte immer noch eine gute Hand, mit der sie ihren Schockstab ergriff.
In diesem Moment war Seff bloß noch einen Schritt von Tekli und Cilghal entfernt.
Von der Türöffnung ertönte das Pfuut-Pfuut einer Betäubungspistole. Seff taumelte; ein Arm versuchte, die Pfeile aus seiner Brust zu schlagen, während er darum kämpfte, das Gleichgewicht zu halten. Er tat noch einen Schritt, dann aktivierte Leia ihren Schockstab und stieß ihm den Stab von hinten in die Beine. Er krachte bloß Zentimeter vor Cilghals Füßen zu Boden, wo er dann zuckend und geifernd lag.
Cilghal drehte sich zu Tekli um und ließ ein gurgelndes Seufzen hören. »Du kannst den Scanner ebenso gut ausschalten«, meinte sie. »Ich denke, wir haben erfahren, was wir wissen mussten.«
2. Kapitel
In der vorderen Cockpitabdeckung der Jadeschatten dräuten zwei Schwarze Löcher, deren vollkommene Dunkelheit von feurigen Gaswirbeln umgeben war. Da die Schatten in schrägem Winkel darauf zusteuerte, vermittelten die beiden Löcher den Eindruck länglicher, von Feuer umrandeter Augen – und Ben Skywalker war halb versucht zu glauben, dass sie genau das waren. Seit dem Augenblick, in dem er und sein Vater in den Schlund vorgedrungen waren, fühlte er sich, als würden sie beobachtet, und je weiter sie vorstießen, desto stärker wurde das Gefühl. Jetzt, unmittelbar im Herzen dieser Konzentration Schwarzer Löcher, sorgte der Eindruck für ein anhaltendes Frösteln an seiner Schädelbasis.
»Ich spüre es auch«, hatte sein Vater gesagt. Er saß hinter Ben im Kopilotensessel, oben auf dem Hauptflugdeck. »Wir sind hier drin nicht allein.«
Ben, der nicht länger überrascht darüber war, dass der Großmeister des Jedi-Ordens stets seine Gedanken zu kennen schien, warf einen Blick auf ein Aktivierungsfadenkreuz vorne im Cockpit. Ein kleiner Bereich der Kanzel verdunkelte sich zu einem Spiegel, und er sah die Reflexion seines Vaters, der aus der Seite der Kanzel schaute. Luke Skywalker wirkte einsamer und nachdenklicher, als Ben ihn je gesehen hatte – gedankenversunken, aber nicht traurig oder verängstigt, als würde er lediglich versuchen zu verstehen, was ihn an einen derart dunklen und abgelegenen Ort geführt hatte, verbannt von einem Orden, den er selbst gegründet hatte, und von einer Gesellschaft ins Exil geschickt, die er sein ganzes Leben lang im Kampf verteidigt hatte.
Ben, der versuchte, nicht zu sehr über die Ungerechtigkeit der Situation nachzugrübeln, sagte: »Dann kommen wir unserem Ziel vielleicht näher. Nicht, dass ich besonders begierig darauf wäre, einem Haufen Wesen zu begegnen, die man als Geisttrinker bezeichnet.«
Sein Vater dachte einen Moment lang nach, ehe er sagte: »Nun, ich schon.«
Er erklärte nicht eingehender, was er damit meinte, und das war auch nicht nötig. Ben und sein Vater befanden sich auf einer Mission, deren Ziel es war, die Schritte von Jacen Solos fünf Jahre währender Odyssee des Macht-Studiums nachzuvollziehen. Bei ihrem letzten Stopp hatten sie von einem Aing-Tii-Mönch erfahren, dass Jacen Kurs auf den Schlund genommen hatte, als er aus dem Kathol-Rift abreiste. Da ein Zweck ihrer Reise darin bestand herauszufinden, ob Jacen womöglich von etwas auf die Dunkle Seite getrieben wurde, auf das er unterwegs gestoßen war, erschien es durchaus sinnvoll, dass Luke einer geheimnisvollen Gruppe auf den Grund gehen wollte, die im Schlund lebte und als »Geisttrinker« bekannt war.
Was Ben jedoch beeindruckte, war, wie gelassen sein Vater alldem gegenüberzustehen schien. Insgeheim hatte Ben Angst davor, derselben Dunkelheit zum Opfer zu fallen, die seinen Cousin verschlungen hatte. Sein Vater hingegen wirkte begierig darauf, in die Tiefen hinabzusteigen und Licht ins Dunkel zu bringen. Und warum sollte es auch anders sein? Nach all dem, was Luke Skywalker in seinem Leben durchgemacht und erreicht hatte, gab es keine Macht in der Galaxis, die ihn in die Finsternis ziehen konnte. Das war eine Stärke, die Ben sowohl mit Ehrfurcht erfüllte als auch beflügelte, eine, von der er sich fragte, ob er sie jemals auch in sich selbst finden würde.
Lukes Augen wanderten zu dem verspiegelten Kanzelabschnitt hinüber, und er suchte Bens Blick. »Ist es das, was dich geplagt hat, als du in der Zuflucht warst?« Er bezog sich damit auf eine Zeit, die für Ben praktisch Frühgeschichte war – auf die letzte Phase des Krieges gegen die Yuuzhan Vong, als die Jedi gezwungen gewesen waren, ihre Jüngsten auf einem geheimen Stützpunkt tief im Innern des Schlunds zu verstecken. »Hattest du das Gefühl, als würde dich jemand beobachten?«
»Woher soll ich das wissen?«, fragte Ben. Mit einem Mal war ihm unbehaglich zumute – und er war sich nicht sicher, warum. Nach allem, was er wusste, war er ein unbändiges, verschlossenes Kleinkind, als er sich damals in der Zuflucht aufhielt, und er erinnerte sich, anschließend noch jahrelang Angst vor der Macht gehabt zu haben. Allerdings hatte er keine klaren Erinnerungen an die Zuflucht selbst oder daran, wie es sich angefühlt hatte, dort zu sein. »Ich war zwei!«
»Auch mit zwei hast du schon Dinge empfunden«, erwiderte sein Vater sanft. »Du hattest auch da bereits ein Bewusstsein.«
Ben seufzte. Er wusste, was sein Vater wollte, und entgegnete: »Du solltest besser das Schiff übernehmen.«
»Ich übernehme das Schiff«, bestätigte Luke und griff nach dem Kopiloten-Steuerknüppel. »Schließ einfach die Augen … Lass deine Gedanken von der Macht zurück zur Zuflucht tragen!«
»Ich weiß, wie man meditiert.« Nahezu augenblicklich tat Ben sein Gegrummel leid, und er fügte hinzu: »Aber danke für den Rat.«
»Nicht der Rede wert«, meinte Luke in gutmütiger Weise. »Das machen Väter nun mal so – einem ungewollte Ratschläge erteilen.«
Ben schloss die Augen und begann, langsam und bewusst zu atmen. Jedes Mal, wenn er einatmete, sog er die Macht in sich auf, und jedes Mal, wenn er ausatmete, ließ er sie durch seinen ganzen Körper fließen. Er besaß keine bewussten eigenen Erinnerungen an die Zuflucht, deshalb stellte er sich eine Holografie der Anlage vor, die er im Jedi-Archiv gesehen hatte. Das Bild zeigte eine Handvoll Wohnmodule, die sich an die Oberfläche eines Asteroidenbrockens klammerten; ihre Kuppeln drängten sich um den aufragenden Zylinder eines Energiekerns. Vor seinem geistigen Auge sank Ben in die grellgelbe Andockbucht am Rande der Anlage hinab … und dann war er wieder zwei Jahre alt, ein verängstigter kleiner Junge, der die Hand einer Fremden hielt, als seine Eltern in der Jadeschatten abflogen.
Ein unangemessenes Gefühl der Erleichterung stieg in Ben auf, als er sich in einer Zeit verlor, in der das Leben um so vieles einfacher schien. Die letzten vierzehn Jahre fühlten sich plötzlich wie ein langer, schrecklicher Alptraum an. Jacen war der Dunklen Seite nie verfallen, Ben war nicht zu einem jugendlichen Meuchelmörder gemacht worden, und seine Mutter war beim Kampf gegen Jacen nicht gestorben. All diese traurigen Erinnerungen waren noch nichts anderes als böse Träume, die unglücklichen Fantastereien eines verängstigten jungen Geistes.
Dann glitt die Schatten durch den Atmosphärenschild und zündete ihre Triebwerke. Innerhalb eines Lidschlags verwandelte sie sich von einem Trio blauer Ionenkreise über einen Stecknadelkopf aus Licht in rein gar nichts, und plötzlich war Ben allein am dunkelsten Ort in der Galaxis, ein Kind unter Dutzenden, die man einer kleinen Gruppe besorgter Erwachsener anvertraut hatte, die trotz ihres fröhlichen Tonfalls und ihrer beruhigenden Gegenwart sehr klamme Handflächen und furchtsame, besorgte Augen besaßen.
Der zwei Jahre alte Ben streckte seine freie Hand und sein Herz nach der Schatten aus, und er spürte, wie seine Mutter und sein Vater die Geste erwiderten. Obwohl er zu jung war, um zu wissen, dass er durch die Macht berührt wurde, hatte er auf einmal keine Angst mehr … bis ein dunkler Tentakel der Not in den schmerzenden Riss des Verlassenseins einzudringen begann. Einen Moment lang glaubte er, bloß traurig darüber zu sein, dass man ihn zurückgelassen hatte, doch der Tentakel wurde so real wie sein Atem, und er fing an, darin eine fremdartige Einsamkeit zu spüren, die genauso verzweifelt und tiefgreifend war wie seine eigene. Der Tentakel wollte ihn dicht an sich heranziehen und ihn sicher behüten, um die Stelle seiner Eltern einzunehmen und ihn nie wieder allein zu lassen.
Erschrocken und verwirrt wich der junge Ben davor zurück, vergrub sich in sich selbst und riss zugleich seine Hand aus dem Griff der silberhaarigen Dame, die sie hielt.
Dann war er mit einem Mal wieder im Cockpit der Jadeschatten und blickte in die von Feuer geränderte Leere voraus. Rings um die Schwarzen Löcher herum verteilt befanden sich die kleineren Wirbel von einem halben Dutzend ferner Ringe, deren feuriger Schein hell und gleichmäßig vor der sternenlosen Dunkelheit des tiefen Schlunds brannte.
»Und?«, fragte sein Vater. »Fühlt sich irgendetwas vertraut an?«
Ben schluckte. Er war sich nicht sicher, warum, aber er ertappte sich bei dem Wunsch, sich wieder wie damals ganz von der Macht zurückzuziehen. »Sind wir uns sicher, dass wir diese Burschen wirklich finden müssen?«
Luke hob eine Augenbraue. »Kommt es dir dermaßen vertraut vor?«
»Vielleicht.« Ben vermochte nicht zu sagen, ob die beiden Empfindungen irgendwie zusammenhingen, und in diesem Moment kümmerte ihn das auch nicht. Da lauerte irgendetwas Hungriges im Schlund, etwas, das immer noch da sein und auf ihn warten würde. »Ich meine, die Aing-Tii nennen sie die Geisttrinker. Das kann nichts Gutes sein.«
»Ben, du wechselst das Thema.« Lukes Tonfall war mehr interessiert denn missbilligend, als wäre Bens Verhalten lediglich ein Teil eines wesentlich größeren Puzzles. »Gibt es irgendetwas, über das du nicht reden möchtest?«
»Ich wünschte, es wäre so.« Ben erzählte seinem Vater von dem dunklen Tentakel, der sich nach ihm ausgestreckt hatte, nachdem die Schatten der Zuflucht vor zu vielen Jahren den Rücken gekehrt hatte. »Ich schätze, was wir jetzt gerade fühlen, könnte damit zusammenhängen. Da war definitiv irgendein … Ding, das in der Zuflucht ein Auge auf mich hatte.«
Luke dachte darüber einen Moment lang nach, bevor er den Kopf schüttelte. »Du standest deiner Mutter sehr nahe. Womöglich hast du dich einfach allein gelassen gefühlt und dir einen ›Freund‹ ausgedacht, der ihren Platz einnimmt.«
»Einen tentakeligen Freund?«
»Du sagtest, es wäre ein dunkler Tentakel gewesen«, fuhr Luke nachdenklich fort, »und Schuld ist ein dunkles Gefühl. Vielleicht hast du dich schuldig gefühlt, uns durch einen imaginären Freund zu ersetzen.«
»Und vielleicht willst du einfach nicht glauben, dass der Tentakel real war, weil das bedeuten würde, dass ihr euren zweijährigen Sohn an einem wirklich gefährlichen Ort zurückgelassen habt«, konterte Ben. Er suchte im verspiegelten Abschnitt der Kanzel wieder den Blick seines Vaters. »Ich hoffe, du wirst nicht versuchen, das wegzupsychoanalysieren, da deine Theorie ein gewaltiges Loch hat.«
Luke runzelte die Stirn. »Und das wäre?«
»Ich war zwei«, erinnerte Ben ihn. »Und nach allem, was ich höre, fühlt man sich in diesem Alter wegen nichts schuldig.«
Luke grinste. »Gutes Argument, aber ich glaube immer noch nicht, dass wir uns über dein Tentakelmonster allzu viele Sorgen machen sollten.«
»Es ist nicht mein Tentakelmonster«, erwiderte Ben. Er war verschnupft, weil Luke sich über seine Bedenken lustig machte. »Du bist derjenige, der mich dazu gebracht hat, das auszugraben.«
Lukes Miene verhärtete sich. »Aber du bist derjenige, der nach wie vor Angst davor hat.«
Diese Bemerkung traf den Nagel auf den Kopf. Ganz gleich, ob die dunkle Präsenz, an die er sich erinnerte, Wirklichkeit war oder nicht – als er die Zuflucht verließ, hatte er Angst vor der Macht gehabt und war bestrebt gewesen, sie aufzugeben. Und es waren jene Ängste, die es Jacen erlaubt hatten, ihn in die Dunkelheit zu führen.
Ben seufzte. »Stimmt. Was auch immer dieses Ding ist, ich muss mich ihm stellen.« Nach einem Moment fragte er: »Also, wie finden wir diese Geisttrinker?«
»›Der Pfad der Erleuchtung führt durch den Abgrund vollkommener Dunkelheit.‹« Luke zitierte Tadar’Ro, den Aing-Tii-Mönch, der ihnen berichtet hatte, dass Jacen den Kathol-Rift verlassen hatte, um die Geisttrinker aufzusuchen. »›Der Weg ist schmal und trügerisch, doch wenn du ihm folgen kannst, wirst du finden, was du suchst.‹«
Ben warf den Blick wieder zu den Schwarzen Löchern voraus. Die strahlenden Gaswirbel brannten am heißesten und hellsten unter ihrem inneren Rand, wo eine Mischung aus einfallendem Gas und Staub zu unvorstellbarer Dichte zusammengepresst wurde, als sie in der scharf abgezirkelten Dunkelheit der beiden Ereignishorizonte verschwand.
»Warte mal! Tadar’Ro sagte vollkommene Dunkelheit, richtig?« Ben bekam bezüglich der Anweisungen des Mönchs langsam ein echt mieses Gefühl. »Wie beispielsweise hinter einem Ereignishorizont?«
»Um ehrlich zu sein, ist es auf dem Weg runter in ein Schwarzes Loch ziemlich hell«, merkte Luke an. »Bloß weil die Schwerkraft zu stark ist, dass das Licht ihr entkommen könnte, heißt nicht, dass es dort nicht existieren kann, und dann ist da noch all dieses Gas, das komprimiert wird und glüht, während es tiefer und tiefer hineingesaugt wird.«
»Ja, aber du bist tot«, wandte Ben ein, »und wenn man tot ist, ist alles dunkel. Trotzdem verstehe ich, was du meinst. Ich bezweifle, dass Tadar’Ro von uns erwartet, dass wir in ein Schwarzes Loch fliegen.«
»Nein, nicht in eins.«
In Lukes Stimme lag gerade genug Besorgnis, dass Ben von neuem in den verspiegelten Bereich der Kanzel schaute. Sein Vater blickte stirnrunzelnd zu den beiden Schwarzen Löchern hinaus, sah in die feurige Wolke zwischen ihnen und wirkte gerade so beunruhigt, dass sich Bens Magen kalt zusammenzog.
»Zwischen sie?« Ben wurde klar, was sein Vater dachte, und das bereitete ihm keine Freude. In jedem System mit zwei großen Himmelskörpern gab es fünf Gebiete, an denen die Zentrifugal- und Schwerkräfte einander neutralisierten und einen kleineren Himmelskörper – wie beispielsweise einen Trabanten oder Asteroiden – in einem immerwährenden Schwebezustand hielten. Von diesen fünf Gebieten befand sich lediglich ein einziges zwischen den beiden Himmelskörpern. »Du meinst Stabile Zone eins?«
Luke nickte. »Der Abgrund vollkommener Dunkelheit ist ein uraltes Ashla-Gleichnis, das sich auf die beiden Gefahren des Stolzes und der Ignoranz bezieht«, erklärte er. »Die Tythonianer haben ihn als tiefe, dunkle Schlucht beschrieben, flankiert von hohen, ewig bröckelnden Felsen.«
»Dann ist das Leben also ein Abgrund, und ringsum senkt sich die Dunkelheit herab«, folgerte Ben und brachte damit eine kluge Interpretation der Bedeutung der Parabel zum Ausdruck. »Und die einzige Möglichkeit, im Licht zu verweilen, besteht darin, den Weg dazwischen einzuschlagen.«
Luke lächelte. »Du hast wirklich ein Gespür für mystische Führung.« Er nahm seine Hände vom Steuerknüppel weg. »Das Schiff gehört dir, Sohn.«
»Mir? Jetzt?« Ben erwog, darauf hinzuweisen, dass sein Vater mit Abstand der bessere Pilot von ihnen war – aber natürlich war das überhaupt nicht das Thema. Wenn Ben sich seinen Ängsten stellen wollte, musste er selbst fliegen. Er schluckte schwer, drückte die Schultern durch und bestätigte dann: »Ich übernehme das Schiff.«
Ben deaktivierte den Spiegelabschnitt und beschleunigte in Richtung der Schwarzen Löcher. Als die Schatten näher kam, schwollen ihre dunklen Formen rasch an und bewegten sich zu beiden Seiten auf das Cockpit zu, bis alles, was man von ihnen sehen konnte, lange dunkle Scheiben waren, die an den äußeren Rändern der Kanzel hingen. Voraus lag eine feuerrote Konfluenz überhitzter Gase, die in zwei verschiedene Richtungen wirbelten und so blendend waren, dass Bens Augen trotz der Schutztönung der Schatten schmerzten.
Er überprüfte den Hauptschirm und sah bloß hellen statischen Schnee; die Navigationssensoren wurden von der elektromagnetischen Druckwelle der komprimierten Gase überströmt. Die internen Sensoren der Schatten arbeiteten allerdings makellos und zeigten an, dass die Hüllentemperatur des Schiffs rapide anstieg, als sie in die Wolke vorstießen. Ben wusste, dass es nicht lange dauern würde, bis die Sache gefährliche Ausmaße annahm. In Kürze würde die feurige Hitze innerhalb der Akkretionsscheibe die Leitungssysteme und Kontrollrelais stören und schließlich auch die Integrität der Außenhülle gefährden.
»Dad, wie wär’s, wenn wir etwas mit diesen Sensorfiltern machen?«, fragte Ben. »Mein Navigationsschirm zeigt bloß Schnee.«
»Die Filter neu zu justieren wird daran nicht das Geringste ändern«, sagte Luke ruhig. »Wir fliegen zwischen zwei Schwarzen Löchern, schon vergessen?«
Ben seufzte verbittert, dann fluchte er leise und starrte weiterhin in die feurigen Schlieren voraus. Im besten Fall konnte er eine Konfluenzzone ausmachen, wo die beiden Gasscheiben einander streiften, doch die quälend gleißende Helligkeit machte es schwierig, auch nur das mit Sicherheit zu bestimmen.
»Wie soll ich navigieren?«, beschwerte sich Ben. »Ich kann überhaupt nichts sehen.«
Luke schwieg.
Ben fühlte einen Anflug von Missbilligung in der Machtaura seines Vaters, und Empörung blitzte in ihm auf. Er stieß einen reinigenden Atemzug aus, erlaubte dem Gefühl, seinen Lauf zu nehmen und ihn zusammen mit einer Woge schaler Luft zu verlassen, ehe er erkannte, wie sehr seine Besorgnis wegen der Navigationsprobleme ihn geblendet hatte.
»Oh … richtig«, meinte Ben, der sich mehr als nur ein bisschen töricht vorkam. »Vertraue auf die Macht.«
»Keine Sorge«, beruhigte Luke ihn. Er klang amüsiert. »Als ich das erste Mal etwas derart Verrücktes probiert habe, musste man mich auch daran erinnern.«
»Nun, zumindest habe ich eine Entschuldigung dafür.« Ben schaltete die Navigationssensoren aus, sodass das statische Rauschen seine Konzentration nicht störte. »Es ist schwer, sich zu konzentrieren, wenn einem sein Dad über die Schulter guckt.«
Lukes Sicherheitsgeschirr klickte auf. »In diesem Fall sollte ich mir vielleicht etwas …«
»Wem willst du damit etwas vormachen?« Ben stieß den Steuerknüppel zur Seite, um die Schatten in eine enge Schraube zu ziehen. »Du willst dir bloß in aller Ruhe an den Fingernägeln kauen.«
»Dieser Gedanke war mir nicht in den Sinn gekommen«, sagte Luke und ließ sich wieder zurück in den Sitz fallen. »Bis jetzt, undankbarer Sprössling!«
Ben lachte, dann ging er wieder auf Horizontalflug und überprüfte die Außenhüllentemperatur, die sogar noch schneller anstieg, als er befürchtet hatte. Er schloss seine Augen und stieß die Schubregler nach vorn, in der Hoffnung, dass das Gas nicht so dicht war, dass die dadurch entstehende Reibung das Problem noch verschlimmern würde.
Es dauerte nicht lange, bis Ben ein kleines Stück weiter Backbord einen ruhigen Flecken wahrnahm. Er passte den Kurs an und dehnte sein Machtbewusstsein in diese Richtung aus, bis er plötzlich eine sonderbare, nebulöse Präsenz fühlte, die ihn an etwas erinnerte, das er noch nicht recht einordnen konnte – an etwas Dunkles und Unscharfes, das sich über eine große Entfernung erstreckte.
Ben öffnete die Augen wieder. »Dad, spürst du das …«
»Ja, wie bei den Killiks«, meinte Luke. »Möglicherweise haben wir es mit einem Schwarmbewusstsein zu tun.«
Ein kalter Schauder jagte bereits Bens Rücken hinab. Sein Vater hatte das Wort Killiks kaum ausgesprochen, als auch schon die Erinnerung an seine Zeit als unfreiwilliger Gorog-Neunister mit Wucht zurückkehrte, und zum zweiten Mal in weniger als einer Stunde ertappte er sich dabei, dass ihn das heftige Verlangen überkam, sich aus der Macht zurückzuziehen. Gorog war ein Nest der Dunklen Seite gewesen und hatte insgeheim die gesamte Killik-Zivilisation kontrolliert, während es sich von gefangenen Chiss nährte, und mit rund acht Jahren war Ben für kurze Zeit unter seinen Einfluss geraten. Das war die schrecklichste und verwirrendste Phase seiner Kindheit gewesen, und hätte Jacen nicht erkannt, was vorging, und Ben nicht dabei geholfen, seinen Weg in die Macht und zu seiner wahren Familie zurückzufinden, bezweifelte er stark, dass es ihm überhaupt möglich gewesen wäre, sich davon zu befreien.
Glücklicherweise war die Präsenz voraus der des Gorog-Nests nicht allzu ähnlich. Ihr haftete gewiss etwas Dunkles an, und zweifellos setzte sie sich aus vielen verschiedenen Wesen zusammen, die über eine gewaltige Entfernung hinweg miteinander verbunden waren – tatsächlich sogar über den Großteil des Weltraums, der vor ihnen lag. Allerdings wirkte die Verteilung weiter gestreut als beim Kollektivgeist der Killiks, als wären Dutzende unterschiedlicher Individuen in etwas vereint, das eine vage Ähnlichkeit mit einem Kampfgeflecht aufwies.
Ben war gerade dabei, seinem Vater seine Eindrücke mitzuteilen, als sich in ihm eine vertraute Präsenz emporschlängelte. Sie war kalt und vorurteilsvoll, wie ein betrogener Freund, und er konnte fühlen, wie wütend sie darüber war, dass sie in ihren Schlupfwinkel eingedrungen waren. Die Macht wurde aufbrausend und bedeutungsschwanger, und ein elektrisches Kribbeln drohender Gefahr schoss Bens Rückgrat hinab. Er konnte spüren, wie sich die Dunkelheit gegen ihn stemmte, um ihn wegzustoßen, und das bestärkte ihn bloß in seiner Entschlossenheit, dem Schemen endlich die Stirn zu bieten. Er öffnete sich, klammerte sich an die Macht und begann zu ziehen.
Die Präsenz wich ruckartig zurück und versuchte dann, sich davonzumachen. Ben hatte sie bereits fest im Griff, und er war entschlossen, den Schemen zu seinem körperlichen Aufenthaltsort zurückzuverfolgen. Er überprüfte die Hüllentemperatur und stellte fest, dass sie sich im gelben Gefahrenbereich befand. Dann richtete er die Aufmerksamkeit nach vorn und sah – sah wahrhaftig – eine fingernagelgroße Dunkelheit, die einem Tunnel gleich durch die wirbelnden Feuer voraus führte. Er richtete ihren Bug auf das schwarze Oval aus, dann schob er die Schubregler bis auf Anschlag vor und verfolgte, wie die feurigen Schlieren aus Gas am Cockpit vorbeiströmten.
Die Schlieren wurden heller und farbintensiver, als das Schiff in die Akkretionsscheibe vordrang, und bald wurde das Gas so dicht, dass die Schatten vor Turbulenzen buckelte und zitterte. Ben hielt den Steuerknüppel fest … und die dunkle Präsenz, an die er sich in der Macht klammerte.
Hinter ihm ertönte die Stimme seines Vaters. »Ähm, Ben?«
»Ist schon okay, Dad«, erwiderte Ben. »Ich habe einen Anflugvektor.«
»Einen was?« Luke klang überrascht. »Ich hoffe, dir ist bewusst, dass die Temperatur fast im roten Bereich ist.«
»Dad!«, schnappte Ben. »Ich würde mich gerne konzentrieren!«
Luke verstummte einen Moment, ehe er laut ausatmete. »Ben, das Gas hier ist zu dicht für diese Geschwindigkeit. Wir fliegen praktisch durch eine Atmo…«
»Das war deine Idee«, unterbrach Ben ihn. Das schwarze Oval schwoll auf die Größe einer Faust an. »Vertrau mir!«
»Ben, ›vertrau mir‹ funktioniert für Jedi nicht auf dieselbe Weise wie bei deinem Onkel Han. Wir haben nicht sein Glück.«
»Vielleicht würde sich das ändern, wenn wir öfter darauf vertrauen würden«, gab Ben zurück.
Das schwarze Oval dehnte sich weiterhin aus, bis es die Größe einer Luke besaß. Ben kämpfte gegen die Turbulenzen an und schaffte es irgendwie, die Bugnase der Schatten darauf ausgerichtet zu halten; dann war das Schiff im Innern der Dunkelheit und flog geschmeidig und von einem trüben, orangefarbenen Lichtkegel umgeben dahin. Erstaunt über den plötzlichen Übergang und bemüht, sich an die abrupte Veränderung der Lichtverhältnisse anzupassen, fürchtete Ben einen Moment lang, dass die dunkle Präsenz ihn vom Kurs abgebracht hatte – womöglich sogar ganz aus den Akkretionsscheiben hinaus.
Dann begann sich der orangefarbene Kegel gleichzeitig zu verdichten und zu schwinden, wurde zu einem dunklen Tunnel, und da kam ihm eine noch viel schrecklichere Möglichkeit in den Sinn.
»Sag mal, Dad, würden wir es merken, wenn wir durch ein Schwarzes Loch flögen?«
»Vermutlich nicht«, antwortete Luke. »Die Raum-Zeit-Verwerfung würde dafür sorgen, dass die Reise ewig dauert, zumindest im Verhältnis zu Coruscant-Standardzeit. Warum fragst du?«
»Ach, einfach so«, meinte Ben, der beschloss, seinen Vater nicht mehr als unbedingt nötig zu beunruhigen. Falls er sie tatsächlich durch einen Ereignishorizont geflogen hatte, war es jetzt ohnehin zu spät, um daran noch irgendetwas zu ändern. »Reine Neugierde.«
Luke lachte, dann sagte er: »Entspann dich, Ben! Wir fliegen nicht durch ein Schwarzes Loch – aber würdest du bitte langsamer werden? Wenn du dieses Tempo beibehältst, wirst du die Außenhülle wirklich zum Schmelzen bringen.«
Ben warf einen Blick auf die Anzeige und blickte finster drein. Die Hüllentemperatur war bis in den kritischen Bereich angestiegen, was überhaupt keinen Sinn ergab. Die Dunkelheit ringsum und das Fehlen von Turbulenzen hieß, dass sie nicht weiter der Hitze der Akkretionsscheibe ausgesetzt waren. Eigentlich sollte die Hülle jetzt rasch abkühlen, und wenn sie das nicht tat …
Ben riss die Schubregler nach hinten und wurde gegen die Sicherheitsgurte geschleudert, als die Reibung die Schatten schlagartig langsamer werden ließ. Das Gebiet um sie herum war nicht dunkel, weil es leer war – es war dunkel, weil es von kalter Materie erfüllt war. Sie hatten Stabile Zone eins erreicht, wo Gas, Staub und wer weiß was sonst noch in der Vorhölle zwischen den beiden Schwarzen Löchern schwebten. Besorgt darüber, dass sie nicht schnell genug abbremsten, benutzte er die Manövrierdüsen, um das Schiff noch weiter zu verlangsamen … bevor ihm klar wurde, dass er vor lauter Aufregung den Kontakt zu der dunklen Präsenz verloren hatte, die er als unfreiwilligen Wegweiser verwendet hatte.
»Verflucht!«, schimpfte Ben. Er dehnte sein Machtbewusstsein von neuem aus, fühlte jedoch bloß dieselbe Kampfgeflecht-artige Präsenz, die er zuvor gespürt hatte – und die war zu diffus, um als Navigationsleuchtfeuer zu fungieren. »Wir fliegen jetzt wieder blind. Ich kann momentan nicht das Geringste fühlen, das uns von Nutzen wäre.«
»Das ist eigentlich kein Problem«, merkte Luke an. »Hier drinnen gibt es bloß einen einzigen Ort, an dem man einen festen Standort haben kann.«
Ben nickte. »Stimmt.«
Stabile Zone eins war in Wahrheit nicht sonderlich stabil. Bereits die geringste Störung in der Bewegung eines Sterns würde eine Masse auf einen langen, langsamen Fall in eine der angrenzenden Gravitationsquellen schicken. Aus diesem Grund konnte sich alles, was sich dauerhaft im Innern der Zone befand, bloß genau in der Mitte befinden, weil das die einzige Stelle war, wo die Kräfte in absolutem Gleichgewicht waren.
Ben fuhr die Navigationssensoren wieder hoch. Diesmal zeigte der Bildschirm nichts außer einem kleinen Lichtfächer am unteren Rand, der rasch in der Dunkelheit verblasste, als die Signale von kaltem Gas und Staub abgeschirmt wurden. Er aktivierte die vorderen Suchscheinwerfer der Schatten und flog weiter geradeaus. Die Strahlen schienen etwa einen Kilometer weit in die Finsternis, ehe sie in dem schwarzen Nebel aus Staub und Gas verschwanden. Ben bremste noch weiter ab und korrigierte dann den Kurs, bis alle externen Kräfte, die den Reisevektor der Schatten beeinflussten, exakt bei null lagen, und setzte einen Wegpunkt. Zumindest theoretisch befanden sie sich jetzt auf Kurs ins Herz der Stabilen Zone.
Als Ben seine Aufmerksamkeit wieder nach vorn wandte, sah er im Lichtstrahl voraus ein blaues Trümmerteil schweben. Sofort gab er Energie auf die Manövrierdüsen, um noch mehr abzubremsen, doch im Weltraum bedeutete ein relatives Kriechen immer noch, dass man Hunderttausende Stundenkilometer schnell war, und sie hatten die Hälfte der Entfernung zu dem Gegenstand zurückgelegt, bevor die Schatten reagierte.
Anstatt des steinigen Felsbrockens oder der Eiskugel, die er erwartet hatte, stellte sich heraus, dass es sich bei dem Objekt um einen jungen Duros handelte. Ben wusste, dass es ein Duros war, weil er keinen Druckhelm trug und sein blaues, nasenloses Antlitz und die großen, roten Augen über dem Kragen eines gewöhnlichen Jedi-Pilotenoveralls sehr deutlich zu sehen waren. An seiner Schulter hing etwas, das auf diese Entfernung wie ein mobiler Raketenwerfer wirkte.
»Dad?«, fragte Ben. »Siehst du das?«
»Ein Duros, ohne Helm?«
»Genau.«
Luke nickte. »Dann ja, ich …«
Um den Duros erstrahlte ein weißer Blitz, und vor dem Cockpit der Schatten schwoll der silberne Nimbus einer heranschießenden Rakete an. Ben stieß den Steuerknüppel nach vorn und gab Schub auf die Triebwerke, doch selbst die Reflexe eines Jedi waren nicht derart schnell. Ein metallisches Krachen hallte durch die Außenhülle, und Schadensmeldungen begannen zu schrillen und zu blinken. Beinahe im selben Augenblick schwebten der Duros und der Raketenwerfer nur wenige Meter über das Cockpit hinweg, und weit hinten am Heck ertönte der gedämpfte, dumpfe Schlag eines Aufpralls.
»Definitiv keine Sinnestäuschung«, kommentierte Luke.
»Dad, der sah aus wie …«
»Qwallo Mode, ich weiß«, entgegnete Luke. Mode war ein junger Jedi-Ritter, der etwa ein Jahr zuvor auf einem gewöhnlichen Kurierflug verschwunden war. Als bei einer ausgedehnten Suchmission keine Spur von ihm gefunden wurde, waren die Meister letztlich zum Schluss gelangt, er sei umgekommen. »Er ist ziemlich weit weg vom Tapani-Sektor.«
»Vorausgesetzt, das war Qwallo.« Ben streckte seine Machtsinne hinter sie aus, gewahrte jedoch keinerlei Hinweis auf die Präsenz des Jedi. »Soll ich umdrehen, um zu sehen, ob wir ihn bergen können?«
Luke dachte einen Moment darüber nach, dann schüttelte er den Kopf. »Selbst wenn er noch lebt, sollten wir ihm keine Möglichkeit geben, erneut auf die Schatten zu feuern. Bevor wir anfangen, solche Risiken einzugehen, müssen wir erst einmal dahinterkommen, was hier eigentlich vorgeht.«
»Ja«, stimmte Ben zu. »Beispielsweise, wie es kommt, dass er keinen Helm braucht.«
»Und wie er überhaupt hierhergelangt ist – und warum er auf uns schießt.« Luke öffnete mit einem Klicken sein Sicherheitsgeschirr und fügte hinzu: »Ich werde mich um den Schaden kümmern. Falls du noch irgendetwas anderes entdeckst, das da draußen mit einem Raketenwerfer und ohne Druckanzug herumschwebt, stell keine Fragen, eröffne …«
»… einfach das Feuer.« Ben machte die Blasterkanonen scharf, dann überprüfte er die Schadensanzeige und sah, dass sie sowohl Sauerstoff als auch Hyperantriebskühlflüssigkeit verloren. Um die Sache noch schlimmer zu machen, klemmte der Steuerknüppel, und das konnte eine Menge Ursachen haben – von denen keine einzige gut war. »Hab kapiert. Wir haben schon genügend Schaden eingesteckt.«
Ben schaltete seine Bedrohungsmatrix auf den Hauptschirm. Am oberen Rand des Bildschirms löste sich die graue Form eines Masseschattens aus der Dunkelheit. Ein gelber Ziffernbalken fügte der geschätzten Masse schneller Tonnen hinzu, als man mit bloßem Auge verfolgen konnte, doch er war beunruhigt zu sehen, dass die Zahl bereits fünfstellig war und auf sechs zuging. Bislang gab es keinen Hinweis auf die generelle Form oder den Energieausstoß des Objekts, doch die Tonnage allein wies bereits auf etwas von mindestens der Größe eines Angriffsträgers hin.
Unsicher, ob es besser war, weiter abzubremsen, um eine Kollision zu vermeiden, oder zu beschleunigen, um zu verhindern, dass sie zu einem leichten Ziel wurden, tanzte Ben hin und her und auf und ab. Am Hinterkopf kribbelte ein vager Hinweis auf Gefahr, aber das bedeutete bloß, dass nichts die Schatten bislang ins Visier genommen hatte.
Beim dritten raschen Seitwärtsmanöver ruckte der Steuerknüppel nach vorn und kam nicht wieder nach hinten. Ben fluchte und versuchte es mit Gewalt, doch er kämpfte gegen das Hydrauliksystem, und wenn er zu viel Kraft einsetzte, würde er ein Kontrollkabel beschädigen. Er aktivierte den Notdruckablass, pumpte den gesamten Vorrat des Systems ins All hinaus und überprüfte dann wieder seine Bedrohungsanzeige.
Die Masse voraus war nicht länger ein Schatten. In der Mitte des Schirms hatte ein silbriges, längliches Oval Gestalt angenommen – der Ziffernbalken in seinem Kern stieg jetzt über sieben Millionen Tonnen. Das Oval trieb langsam auf die untere Hälfte des Bildschirms zu und übermittelte jetzt alphanumerische Beschreibungen, die auf die Gegenwart eines Trümmerfelds und auf die Gefahr einer drohenden Kollision mit dem Objekt selbst hinwiesen. Ben aktivierte abrupt die Manövrierdüsen, und die Schatten bremste ab.
Er hörte, wie ein Werkzeugkasten gegen die hintere Schottwand der Hauptkabine krachte, und die beunruhigte Stimme seines Vaters drang aus dem Interkom-Lautsprecher. »Was hat dich erwischt?«
»Noch nichts.« Ben zog den Steuerknüppel abermals zurück und setzte seine eigene Kraft ein, um die Vektorplatten nach unten zu zwingen. »Der Energieverstärker der Steuerung ist ausgefallen, und wir haben ein Trümmerfeld erreicht.«
»Was für Trümmer?«, wollte sein Vater wissen. »Eis? Felsen? Eisennickel?«
Ben wählte das AUSWAHL-Menü an und bewegte den Zeiger über eine der Zielkennungen: OBJEKT B8. Einen Moment später ergab eine Dichtheitsanalyse eine 71-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei OBJEKT B8 um einen mittelgroßen Raumfrachter unbekannter Bauart und unbekannten Typs handelte.
Allerdings gab Ben diese Information nicht sofort an seinen Vater weiter. Als die Schatten wieder auf ihrem ursprünglichen Kurs war, kam allmählich eine gewaltige, grauweiße Kuppel in Sicht. Die Kuppel, die relativ zum Schiff von oben kopfüber nach unten sank, hing an der Basis eines großen, rotierenden Zylinders, der von einem Dutzend kleiner, angebauter Schläuche umringt war. Zwischen dem Zylinder und der Schatten