Stark im Job - Anne Katrin Matyssek - E-Book

Stark im Job E-Book

Anne Katrin Matyssek

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Beschreibung

38 % der Deutschen leiden an einer psychischen Erkrankung, insbesondere an Ängsten und Depressionen. Am selben Tag, als diese Nachricht auf spiegel-online zu lesen war, outete sich ein Bundesliga-Torwart mit Burnout. Zwei Wochen später trat ein Trainer wegen psycho-vegetativer Erschöpfung zurück. Viele Berufstätige fühlen sich durch Druck am Arbeitsplatz gesundheitlich bedroht – physisch und psychisch. Was man zur Förderung der körperlichen Gesundheit tun kann, wissen viele. Aber wie lässt sich die seelische Gesundheit schützen und fördern? Was kann man für eine ausgeglichene Psyche tun? Das Buch gibt dem Leser Tipps an die Hand, wie er trotz Stress seelisch stabil bleiben kann.

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Anne Katrin MatyssekStark im JobWie Sie Ihre psychische Gesundheit schützen

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2012

Coverfoto: © Helder Almeida – Fotolia.com

Covergestaltung / Reihenentwurf: Christian Tschepp

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2012

Satz & Digitalisierung: JUNFERMANN Druck & Service, Paderborn

ISBN der Printausgabe 978-3-87387-889-1 ISBN dieses eBooks: 978-3-87387-898-3

Vorwort: Die Psyche fit machen für die Arbeitswelt von morgen

Sie wollen auch weiterhin einen guten Job machen, aber die Belastungen an Ihrem Arbeitsplatz werden immer größer? Und nun fürchten Sie um Ihre Gesundheit – die körperliche, aber auch die seelische? Damit sind Sie nicht allein. Ende März 2012 konnte man überall lesen, dass Stress, Hetze und Arbeitsverdichtung zunehmen. Nach einer Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes arbeitet jeder zweite Deutsche unter Zeitdruck; und noch mehr klagen über die wachsende Arbeitslast.

Da wundert es nicht, dass auch psychische Erkrankungen branchenübergreifend auf dem Vormarsch sind. Viele Beschäftigte sehen eine Ursache hierfür in den Arbeitsbedingungen. Immer mehr Betriebe ergreifen erfreulicherweise Maßnahmen zur Gesundheitsförderung, und die besten unter ihnen tun auch etwas zum Abbau gesundheitsschädigender Einflüsse. Aber auch das Individuum selbst kann etwas tun – also Sie!

Gesundheitsfördernde Faktoren zu stärken ist für den Einzelnen häufig leichter zu bewerkstelligen als gesundheitsschädigende Faktoren abzubauen. Je stärker die Psyche ist, desto widerstandsfähiger ist sie auch. Anders ausgedrückt: Man muss nicht unbedingt kündigen. Oft genügt es, das seelische Gleichgewicht zu festigen, um sich den Anforderungen im Job gewachsen zu fühlen. Dies wird im ersten Teil des Buchs beschrieben.

Eine starke Psyche ist ein Geschenk. Aber Sie können auch etwas dafür tun!

Den Hauptteil des Buches machen daher Bausteine zur Stärkung der seelischen Gesundheit aus. Hier finden Sie konkrete, auf verhaltenstherapeutischen und gesundheitspsychologischen Erkenntnissen basierende Tipps für die Pflege Ihres psychischen Gleichgewichts. Sie erfahren, was Sie tun können, um Ihre Stimmung, Ihr Selbstwertgefühl und Ihr Sozialleben zu verbessern. Und Sie bekommen Anregungen zur Förderung Ihrer Erholungsfähigkeit.

Im dritten Teil erfahren Sie, wie Sie gesundheitsgefährdende Faktoren reduzieren können. Hierzu gehört, dass Sie mit Anerkennungsmangel fertig werden und sich abgrenzen können gegen übermäßige Leistungsanforderungen – „Nein-Sagen“ wird die Schlüsselkompetenz der Zukunft. Das Buch vermittelt Ihnen, wie Sie dies umsetzen können. Vielleicht möchten Sie sogar innerbetrieblich für eine Ent-Tabuisierung psychischer Erkrankungen eintreten; auch hierzu erhalten Sie Tipps.

Während die meisten Menschen einiges darüber wissen, wie sie ihre körperliche Gesundheit fördern können, herrscht bislang große Unwissenheit darüber, wie sich die seelische Gesundheit schützen und fördern lässt. Das Buch gibt Ihnen Tipps an die Hand, wie Sie trotz des Stresses seelisch stabil bleiben können.

Viel Spaß und Erfolg beim Umsetzen, und eine allzeit starke Psyche! Das wünscht Ihnen von Herzen

Ihre Anne Katrin Matyssek

TEIL 1:  WIE STEHT ES UM IHRE PSYCHISCHE GESUNDHEIT?

1. Sind wir alle verrückt geworden? Die Zunahme psychischer Erkrankungen

Die Krankenkassen sind sich einig: Es gibt einen dramatischen Anstieg seelischer Störungen. Schon heute ist jeder zehnte Arbeitsunfähigkeitstag auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen. Dabei arbeiten wir weniger als unsere Vorfahren und verfügen über deutlich mehr Freizeit. Sind wir alle Mimosen? Diese Unterstellung würden auch Sie vermutlich weit von sich weisen, oder?

1.1 Psychische Erkrankungen sind auf dem Vormarsch

Die Entwicklung ist deutlich

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Jeder vierte erwachsene Europäer leidet einmal im Leben unter einer psychischen Störung. Insbesondere Depressionen und Angststörungen sind weit verbreitet. Voraussichtlich wird die Depression im Jahr 2020 die zweithäufigste Erkrankungsursache sein. Es macht also keinen Sinn, vor der Zunahme psychischer Erkrankungen die Augen zu verschließen; die Zahl wird nicht von allein wieder sinken.

Auch das Arbeitsleben ist davon betroffen: Psychische Erkrankungen verursachen die längsten Fehlzeiten. Und auch wenn die Betroffenen anwesend sind, ist ihre Leistungsfähigkeit häufig eingeschränkt. Gleichzeitig wird die Arbeit oft als Mitverursacher dieser Entwicklung angesehen, der die Betriebe zukünftig mehr Aufmerksamkeit schenken sollten: Der demographische Wandel lässt gut ausgebildete Beschäftigte zum raren Gut werden, das von den Unternehmen entsprechend gepflegt werden muss.

Man könnte also meinen, psychische Erkrankungen wären in jedermanns Munde und auch in Unternehmen ständiges Gesprächsthema. Weit gefehlt. Oder wird in Ihrem Unternehmen darüber gesprochen, wie man mit Kollegen umgehen sollte, die sich in psychischer Hinsicht auffällig verhalten? Oder darüber, wie sich Arbeitsstress durch Veränderungen der Arbeitsbedingungen reduzieren ließe? Falls ja: Gratulation!

Leugnen hilft nicht

Das Thema ist in vielen Lebensbereichen noch immer tabubehaftet. Bei meinen Seminarveranstaltungen mit Führungskräften habe ich oft gemerkt: Auch in der Arbeitswelt gehört das Thema für viele Unternehmen noch immer unter den Teppich, ähnlich wie früher das Thema Sucht. Damals hieß es, egal in welchen Betrieb man kam: „Wie? Alkoholprobleme?! So etwas gibt’s bei uns nicht!“ Und es dauerte lange, bis auch Unternehmensleitungen überzeugt waren, dass ihre Belegschaft (bis in die Führungsriege!) ein Abbild der Gesellschaft darstellt. Und das bedeutet: 5 bis 10 % aller Menschen sind suchtgefährdet.

Und heute also die psychischen Erkrankungen. „Haben wir nicht!“ – sagt die Geschäftsleitung, bis eine Krankenkasse den ersten Gesundheitsbericht anfertigen darf. Basierend auf einer anonymen Befragung ist dann Schwarz auf Weiß zu sehen: Das Phänomen macht vor keinem Unternehmen halt. Psychische Erkrankungen sind auf dem Vormarsch, und zwar in allen Branchen. Vermutlich nehmen auch in Ihrem Betrieb die Fälle zu.

Gesellschaftliche Gründe für die Zunahme psychischer Erkrankungen

Sind wir alle verrückt geworden? Mit Sicherheit nicht. Es gibt mehrere Ursachen für den rasanten Anstieg psychischer Erkrankungen. Da ist zum einen das veränderte Diagnostikverhalten der Ärzte: Wo früher eine Frischzellenkur verschrieben wurde, schauen Ärzte heute genauer hin, ob sich nicht vielleicht eine Depression hinter der Antriebslosigkeit verbirgt. Wahrscheinlich gibt es gar nicht viel mehr psychische Erkrankungen als früher, aber sie werden heute besser und schneller erkannt.

Auch gesamtgesellschaftlich sind in den vergangenen Jahrzehnten große Veränderungen zu verzeichnen: Psychische Erkrankungen haben die Tabuzone verlassen. Die gesellschaftliche Akzeptanz ist deutlich gestiegen. Noch vor 30 Jahren wäre es unmöglich gewesen, sich am Arbeitsplatz dazu zu bekennen, dass man eine ambulante Psychotherapie macht. Man hätte mit sozialer Ausgrenzung rechnen müssen und mit Sätzen wie: „Gehörst du also eigentlich in die Klappse und hast heute bloß Ausgang?“

Diese Zeiten sind vorbei. Immer mehr Menschen haben verstanden, dass es neben der körperlichen Gesundheit auch eine psychische gibt. Und dass beide Aspekte des Wohlbefindens beeinträchtigt sein können – nicht zuletzt aufgrund der Veränderungen in der Arbeitswelt. Vermutlich sehen Sie das genauso, sonst hätten Sie nicht dieses Buch gekauft.

Gründe in der Arbeitswelt: Arbeiten geht heute anders

Im Gegensatz zu unseren Vorfahren arbeiten wir heute in der Regel weniger körperlich. Dafür haben aber psychische Belastungen stark zugenommen: Zeitdruck, Reizüberflutung, Multitasking – das sind Anforderungen, die in der Arbeitswelt unserer Eltern und Großeltern so gut wie gar nicht vorkamen.

Auch die Entgrenzung der Arbeit war kein so großes Thema: Wenn Sonntag war, war Sonntag. Heute werden am Sonntagabend die Mails gecheckt, damit man am Montag überhaupt sein Pensum schaffen kann. Ständige Erreichbarkeit, Rufbereitschaft bis in den Feierabend oder sogar bis in den Urlaub – das erschwert echte Erholung. Man muss aber topfit sein, um den Anforderungen am Arbeitsplatz überhaupt gerecht werden zu können. Das kennen Sie bestimmt auch von sich selbst.

Viele Beschäftigte klagen über Arbeitsverdichtung: Immer weniger Menschen müssen Arbeitsmengen bewältigen, die früher auf viel mehr Köpfe verteilt waren. Die Schlagzahl hat sich quasi erhöht. Zeiträume für Kurzpausen wurden wegrationalisiert, Handlungsspielräume verkleinert. Die Zeit für Entscheidungsprozesse hat sich stark verkürzt. E-Mails müssen möglichst sofort beantwortet werden. Das Leben ist schneller geworden.

Mehr Mobilität, mehr Flexibilität, weniger Sicherheit

Daneben ist auch das Privatleben komplexer geworden. Es gibt heute weniger Sicherheit als noch vor drei oder vier Jahrzehnten, auch in Sachen Lebensplanung. Es wird mehr Flexibilität gefordert. Früher machte man eine Ausbildung, blieb in dem Unternehmen oder bewarb sich einmal woanders hin – und dann blieb man in diesem Betrieb, bis zur Rente. Heute sind mehrere Unternehmens- und sogar Tätigkeitswechsel im Lebenslauf ein Hinweis auf die hochangesehene Eigenschaft „Flexibilität“.

Zu den Anforderungen der modernen Gesellschaft gehört wie selbstverständlich auch die Bereitschaft zur Mobilität. Mehrere Flugstrecken pro Woche (bisweilen sogar pro Tag) sind in manchen Jobs die Norm. Fernbeziehungen, bei denen man sich nur am Wochenende sieht, oder auch befristete Arbeitsverträge sowie Leiharbeit erschweren eine solide Lebensplanung, wie sie für unsere Vorfahren noch möglich war. Wir wissen heute in der Regel nicht, wo wir in zehn Jahren tätig sein und was wir dann arbeiten werden. Das liefert den Nährboden für Existenzängste.

Die Bindungen, die man zu Kollegen aufbaut, knüpft man quasi unter Vorbehalt. Es kann ja sein, dass man sich in ein paar Monaten wieder von diesen Menschen verabschieden muss, weil man anderswo einen Job annimmt. Also lässt man sich gar nicht erst wirklich auf diese Beziehungen ein, auch aus Selbstschutz. Das Ausbilden stabiler sozialer Netze, die Halt geben könnten, wird damit erschwert.

Die Belastungen werden zunehmen

Die Anforderungen am Arbeitsplatz werden in Zukunft immer weiter wachsen. Wir sollten daher versuchen, unsere Ressourcen zu stärken, damit wir ihnen gewachsen sind. Und damit sind wir beim Thema dieses Buches, nämlich bei der Frage, was das Individuum tun kann. Die eigentlich noch wichtigere Frage in diesem Zusammenhang ist, was das Unternehmen tun kann. Darum geht es in diesem Buch nur am Rande; im letzten Kapitel finden Sie dazu ein paar Anregungen. Der Schwerpunkt liegt also auf der Frage: Was können Sie selbst tun?

Falls Sie sich schon länger mit dem Thema „psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ beschäftigen, werden Sie auch häufiger Sätze gehört haben wie: „Ein Guter hält’s aus – um einen Schlechten ist es nicht schade“, „Nimm dich mal zusammen“ oder „Stell dich nicht so an“. Die Haltung, die hier zum Ausdruck kommt, ist weder angemessen noch zielführend im Sinne eines gesünderen oder sogar gesund-machenden Miteinanders.

Da die Belastungen nicht von alleine wieder weniger werden, müssen wir nach Möglichkeiten Ausschau halten, uns selbst, aber auch Kolleginnen und Kollegen auf wirkungsvollere Weise den Rücken und die Seele zu stärken. Das fällt uns leichter, wenn wir ein Grundverständnis davon haben, wie sich Belastungen auf die Psyche auswirken. Und genau dazu soll dieses Buch beitragen.

Das Fazit dieses Unterkapitels lautet:

Da die Belastungen weiter zunehmen werden, sollten Sie sich stärken!

1.2 Warum es „schick“ ist, einen Burnout zu haben

Auszeichnung statt Makel

Psychisch krank sein – das will keiner. Aber einen Burnout zu haben – das kann man sich vielleicht gerade noch vorstellen, es klingt viel weniger bedrohlich. Burnout bedeutet auf Deutsch „Ausgebrannt-Sein“. Das beinhaltet: Man hat sich vorher stark für den Job engagiert. „Ausbrennen kann nur, wer einmal gebrannt hat.“ So wie früher der Herzinfarkt, scheint heute der Burnout eine Art Auszeichnung der Fleißigsten darzustellen. Auch Aufopferungsbereitschaft schwingt in dem Ausdruck mit.

Bei einer Depression ist eher eine Schuldzuschreibung üblich, die zum Beispiel so aussieht: „Der Mensch ist zu schwach für diese Welt.“ Er ist also selber schuld. Mit Burnout hingegen assoziiert man respektvolle Gedanken wie: „Respekt, wie der sich immer reingehängt hat“ bis hin zu: „Die würde bestimmt lieber weiterhin so ranklotzen als jetzt in Kur zu gehen“. Und man gibt eher den überlastenden Arbeitsbedingungen die „Schuld“ als dem Einzelnen. Das ist einer der Gründe dafür, dass das Thema Burnout derzeit einen Boom erlebt.

Auszeiten werden salonfähig

Wir alle wollen gern gut vor uns und anderen dastehen; wir wollen lieber stark als schwach wirken, lieber fleißig als faul – und erst recht wollen wir nicht als überfordert angesehen werden. Die sogenannte „Diagnose Burnout“ liefert dazu eine Möglichkeit, denn sie wird nicht als Stigma empfunden. Mit ihrer Hilfe kann man das eigene Überlastungsempfinden einordnen, ohne sich selbst schuldig zu fühlen, denn man kann sagen: „Die Arbeit hat mich krank gemacht.“

Es werden zwar durchaus auch personenbezogene Risikofaktoren für Burnout diskutiert wie zum Beispiel geringes Selbstvertrauen oder Perfektionismus. Trotzdem scheint die Arbeit der Hauptverursacher zu sein, wenn man den Medienberichten und Erzählungen Betroffener Glauben schenken darf. Wie Sie sehen werden, liegt in diesem Erklärungsmuster eine große Chance für Betroffene wie für Betriebe.

„Ich habe einen Burnout“ dient als gesellschaftlich akzeptierte Begründung dafür, dass man eine Auszeit braucht. Der Mensch ist nun einmal nicht endlos belastbar. Niemand ist das, aber dank „Burnout“ kann man endlich auch öffentlich dazu stehen. Und man kann sogar zugeben, dass man psychische Probleme hat. Die Schamgefühle, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen, fallen ebenfalls weg.

Keine richtige Diagnose

Burnout ist keine medizinische Diagnose im eigentlichen Sinne. In der Internationen Klassifikation von Krankheiten (ICD), die von der Weltgesundheitsorganisation herausgegeben wird, kommt er als eigenes Krankheitsbild gar nicht vor.

Mit Burnout bezeichnet man weniger einen Zustand als vielmehr einen Prozess, der im Endstadium einer Depression gleicht. Zu diesem Prozess gehören Symptome wie anhaltende Erschöpfung, Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung sowie Arbeitsüberdruss bis hin zum Zynismus.

Berufliche Überlastung steht am Anfang einer Entwicklung, die nicht zwangsläufig im Burnout enden muss! Sie kann auch einen anderen Verlauf nehmen – und dazu will das Buch beitragen, indem es Ihnen Tipps gibt für einen veränderten, gesünderen Umgang mit den beruflichen Belastungen.

Der Charme der sogenannten „Burnout-Diagnose“

Der Begriff „Burnout“ hat durchaus sein Gutes: Er hat nämlich das Thema Psyche salonfähig gemacht! Endlich ist es möglich geworden, auch am Arbeitsplatz über psychische Auffälligkeiten zu sprechen, ohne sich der Gefahr der Stigmatisierung auszusetzen. Man tut sich leichter, der Führungskraft mitzuteilen, dass man einen Burnout hat, als dass man an einer depressiven Episode leidet. Genau darin liegt die Chance der aktuellen Diskussion! Endlich redet man über psychische Gesundheit und sucht gemeinsam Wege zu einem Abbau von Überforderung.

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt: Eine Reihe von Wissenschaftlern und Therapeuten findet, dass leider genau darin auch eine Gefahr liegt. Sie befürchten, dass echte Depressionen zu spät erkannt werden und die falschen Maßnahmen ergriffen werden. Während zum Beispiel bei Burnout ein langer Urlaub als Auszeit vom Job Sinn macht, ist diese Empfehlung bei einer Depression genau kontraindiziert. Meine persönliche Meinung dazu lautet, dass Führungskräfte oder Kollegen im Betrieb ohnehin nicht als Diagnostiker oder gar Therapeuten fungieren sollten. Die Grenzen ihrer Unterstützungsmöglichkeiten sind schnell erreicht, und sie sollten bei auffälligen Veränderungen von Beschäftigten rasch professionelle Unterstützung empfehlen, zum Beispiel den Besuch bei einer Sozialberatung.

Dass Burnout als Siegel für Einsatzbereitschaft begriffen wird, kann also nur hilfreich sein. Lassen Sie es dabei! Es geht nicht darum, dass Sie in Ihrem Betrieb aufräumen mit dem diagnostischen Chaos, das den Begriff umgibt. Nutzen Sie stattdessen einfach seine positive Besetzung, um sich für die Interessen der überlasteten Kolleginnen und Kollegen einzusetzen – und vielleicht auch für sich selbst.

Burnout als Trojanisches Pferd

Unter dem Tarnnamen „Burnout“ lässt sich also das Thema „psychische Überlastung“ prima in Unternehmen hineinschmuggeln. Und was den „Etikettenschwindel“ betrifft, so lassen Sie es uns halten mit Abt Notker Wolf vom Orden der Benediktiner. Der sagt: „Wenn einer einen gefühlten Burnout hat, dann ist er krank. Egal wie man das nennt.“

Sie, die Leserinnen und Leser dieses Buchs, sind keine Therapeuten. Sie müssen keine exakte Diagnose kennen. Wenn Sie oder jemand anders sich durch die Arbeit überlastet fühlt, ist es Zeit, etwas dagegen zu tun. Einen ersten Schritt haben Sie schon getan …

Das Fazit dieses Unterkapitels lautet:

Wenn sich jemand überlastet fühlt, muss man das ernst nehmen. Egal, wie man es nennt.

1.3 Die Sache mit der Diagnose ... ist eigentlich unwichtig

Etiketten schwindeln

Der Benediktinerabt hat Recht: Man braucht kein Etikett, um zu erkennen, dass man die eigene Psyche vor Überlastung schützen sollte. Das spürt man. Und der Verstand sagt es auch. Das Bedürfnis nach einem Etikett rührt aus dem Wunsch nach Kontrolle. Was wir einordnen können, erscheint uns nicht mehr so bedrohlich. Es wird in seinem Schrecken begrenzt.

Im Grunde sind alle Diagnosen nur ein Hilfsmittel für den Geist. Die Gewissheit, „dass es kein Einzelfall ist“, erleichtert uns den Umgang mit der Erkrankung. Je mehr man über ein bestimmtes Krankheitsbild erfährt, desto „normaler“ erscheint es einem. Es beruhigt zu wissen, dass es für das Beängstigende, das man erlebt, Handlungsvorschläge gibt; dass sich also kluge Leute darüber schon einmal Gedanken gemacht haben.

Dabei handelt es sich bei allen Diagnosen immer um Vereinfachungen: Man abstrahiert von konkreten Individuen und tut so, als gäbe es eine homogene Masse von Menschen, die allesamt an denselben Symptomen leiden (zum Beispiel Symptome einer Depression) und dasselbe erleben würden. Und wenn auch jedes Individuum einzigartig ist und Etiketten somit schwindeln: Hauptsache, diese Einordnungsmöglichkeit hilft Menschen dabei, sich zu beruhigen.

Wirksame Botschaft ohne Diagnosenotwendigkeit

Die Botschaft dieses Buches ist im Grunde ganz einfach. Sie ist unabhängig davon, ob jemand an einer Depression, einer Angststörung oder einer Schizophrenie leidet oder generell um seine psychische Gesundheit fürchtet. Sie lässt sich auf den simplen Nenner bringen:

Das, was Ihre Psyche stärkt: Davon sollten Sie mehr tun.

Das, was Ihre Psyche schwächt: Das sollten Sie reduzieren.

Klingt einfach? Ist es auch. In der Praxis wird aber leider die erste Aussage oft vergessen. Man fragt sich ausschließlich, wie man Belastungen ausschalten oder sie umgehen könnte. Dabei würde es mindestens genauso gut helfen, sich für den Umgang mit den Belastungen zu stärken. Denn dann verlieren sie ganz schnell ihren Bedrohlichkeitscharakter.

Je stärker und kompetenter man sich in Bezug auf bestimmte Herausforderungen oder Probleme fühlt, desto leichter fällt einem die Bewältigung. Sich selbst mit Kompetenzen ausstatten, den Energie-Akku aufladen, sich ein dickeres Fell zulegen – das lässt sich oft viel leichter bewerkstelligen als Belastungen am Arbeitsplatz abzubauen. In Teil II dieses Buchs finden Sie Tipps zum Aufbau von Ressourcen und in Teil III Anregungen zum Abbau von Belastungen.

Für alle Übungen in diesem Buch empfiehlt es sich, dafür zu sorgen, diese in Papierform vorliegen zu haben.

 ÜBUNG

Was tun Sie schon?

Schon an dieser Stelle können Sie erste Ideen notieren, indem Sie die beiden Kernfragen beantworten:

1. Was schwächt Sie? Wovon wollen Sie in Zukunft weniger machen? (Zum Beispiel: weniger fernsehen, das Handy für zwei Stunden am Tag ausschalten, E-Mails nur noch zweimal am Tag lesen, den Alkoholkonsum einschränken, mich nicht mehr jede Nacht im Bett wälzen mit Grübelgedanken, seltener Pommes mit Majo essen ...)

2. Was stärkt Sie? Wovon wollen Sie in Zukunft mehr machen? (Zum Beispiel: die Wohnung aufräumen, Sport treiben, regelmäßig und am Küchentisch essen, die Kollegin zum Kaffee einladen, mich mit Freunden treffen, ein neues Hobby ausprobieren)

Das Fazit dieses Unterkapitels lautet:

Es lohnt sich immer, die Psyche zu stärken – egal woran man leidet.

Lesetipp:

In diesem Buch geht es in erster Linie darum, die psychische Gesundheit zu erhalten und zu fördern. Psychische Krankheiten stellen also nur ein Randthema dar. Wenn Sie sich tiefgehender über psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt informieren möchten, empfehle ich Ihnen die kostenlose Broschüre des BKK-Bundesverbandes und der Familien-Selbsthilfe Psychiatrie:

Psychisch krank im Job – was tun?

Das Heft ist in Papierform erhältlich, lässt sich aber auch kostenlos als PDF downloaden. Es bietet einen leicht verständlichen generellen Überblick über psychische Erkrankungen, aber auch Informationen über einzelne Krankheitsbilder (Diagnosen). Sie finden dort Tipps für Betroffene, aber auch für Menschen in deren Umgebung – auch am Arbeitsplatz – zum Umgang mit der jeweiligen Erkrankung. Außerdem enthält die Broschüre Ratschläge zur Prävention und zur Wiedereingliederung bei der Rückkehr in den Job. Auch ein Kapitel über den Umgang mit akuten Krisen am Arbeitsplatz ist enthalten.

2. Wie geht’s Ihrer Seele? – Machen Sie den Selbstcheck!

(zurück zu Abschnitt 11.2: Wie man dem Chef mitteilt, dass die psychische Gesundheit gefährdet ist)

Ob jemand psychisch gesund oder krank ist, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. Die Erfahrungen in der frühen Kindheit spielen eine wichtige Rolle. Aber zum Glück sind Menschen in der Lage, sich weiterzuentwickeln. Jeder Erwachsene kann etwas beitragen zur Stärkung seiner seelischen Gesundheit – allein oder auch mit professioneller Unterstützung.

2.1 Gesund oder krank? – Die Frage ist Mumpitz

Keine Gegensätze

Wir sind es gewohnt, auch beim Thema Gesundheit in Gegensätzen zu denken: Jemand ist entweder gesund oder er ist krank. So einfach ist das in Wirklichkeit nicht, aber unser Gehirn macht es sich halt gern leicht. Was ist zum Beispiel, wenn man Kopfweh hat? Und was, wenn man an einer Erkältung leidet, aber trotzdem zur Arbeit geht? Oder wenn man im Rollstuhl sitzt, aber ansonsten topfit ist? Ist man dann gesund oder ist man krank?

Bestimmt ist es für Sie längst klar: Bei Gesundheit und Krankheit gibt es kein Entweder-oder – das sind keine Gegensätze! Sie sind eher die Endpunkte einer Skala. Zu 100 % gesund ist man quasi nie. Wenn man von einer Skala ausgeht, bedeutet das auch: Man kann mehr oder weniger krank, und man kann mehr oder weniger gesund sein. Man steht eben irgendwo auf der Linie zwischen den beiden Endpunkten.

Bewegung in Richtung Gesundheit

Lassen Sie uns bei diesem Modell noch einen Schritt weitergehen. Jeder Mensch hat also eine bestimmte Position inne auf der Linie zwischen den beiden Polen „gesund“ und „krank“. Die ist aber nicht statisch, sondern kann sich verändern. Wenn die Kopfschmerzen nachlassen, bewegt man sich hin zum Endpunkt „gesund“. Und jetzt wird es spannend: Wir können etwas dafür tun, uns in die eine oder andere Richtung zu bewegen.

Wir können Gesundheit fördern (Krankheit natürlich auch, zum Beispiel indem wir ärztlichen Anweisungen zuwiderhandeln oder trotz körperlicher Beschwerden kranke Gelenke weiter beanspruchen). Damit nähern wir uns wieder stärker dem Pol „gesund“ an. Wie das geht? Lesen Sie mal das folgende Beispiel.

Beispiel: Die Schwiegermutter und das Kopfweh

Angenommen, Sie haben Kopfweh. Und zweitens: Angenommen, Ihre Schwiegermutter kommt zu Besuch, und Sie mögen sie nicht so besonders. Welche Auswirkungen hat der Schwiegermutterbesuch auf Ihr Kopfweh? Es wird vermutlich heftiger.

Und andererseits mal angenommen, Sie sind ein Fußball-Fan, und Ihre Mannschaft bestreitet ein Champions-League-Spiel; es läuft richtig gut für Ihr Team. Was macht das mit dem Kopfweh? Es wird vermutlich nachlassen.

Waren die Kopfschmerzen also nur eingebildet? Ganz bestimmt nicht. Sondern das Beispiel zeigt, dass unser Schmerzempfinden – zum Glück – beeinflussbar ist. Wenn man sich ablenkt, lassen Schmerzen nach, und manchmal verschwinden sie sogar ganz. Wenn man sich andererseits auf Schmerzen konzentriert, werden sie stärker. (Das gilt zumindest in unserem Kulturkreis; Menschen mit asiatischer Herkunft beherrschen oft die Fähigkeit, Schmerzen durch Konzentration aufzulösen).

Gesundheit ist förderbar

Durch Ablenkung können wir Schmerzen reduzieren, ebenso durch Entspannung und Erholung, die den Namen auch verdient. Durch Bewegung und gute Ernährung lässt sich das Immunsystem stärken und widerstandsfähiger machen. Auch im Falle chronischer Erkrankungen kann man seine Gesundheit stärken. Man fühlt sich dadurch vielleicht noch nicht wieder richtig gesund, aber man fühlt sich etwas weniger krank.

Alles, was das Wohlbefinden fördert, bringt uns näher in Richtung „Gesundheit“ und weiter weg vom Pol „Krankheit“. In fast allen Lebenssituationen gibt es irgendwelche Möglichkeiten, zumindest für ein paar Minuten sein Wohlbefinden zu verbessern. In diesem Buch lernen Sie eine ganze Reihe von Möglichkeiten kennen, wie Sie sich dem Gesundheitspol wieder stärker annähern können.

Wer anwesend ist, ist gesund?

Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Gesundheit und Krankheit sind keine Gegensätze. Das gilt auch fürs Arbeitsleben. Hier wird meist davon ausgegangen: Wer anwesend ist, ist gesund; und wer abwesend ist, der ist krank. So einfach ist das aber nicht. Auch dieser Gegensatz ist konstruiert.

Es gibt zunehmend mehr Menschen, die sich krank an den Arbeitsplatz schleppen; und auf der anderen Seite gibt es in den meisten Unternehmen auch einige (wenige) Beschäftigte, die sich ab und zu eine Auszeit gönnen, obwohl sie sich eigentlich arbeitsfähig fühlen. Die größeren Kosten verursacht übrigens die erste Gruppe, die eigentlich ins Bett gehört, aber trotzdem zur Arbeit kommt. Man spricht auch von „Präsentismus“, dessen finanzieller Schaden deutlich über dem des Absentismus liegt.

Das Fazit dieses Unterkapitels lautet:

Jeder Mensch hat zu jedem Zeitpunkt gesunde und kranke Anteile; die gesunden kann man fördern.

2.2 Kleiner Fragebogen zur psychischen Gesundheit

Selbsttest – aber bitte nur mit Vorsicht genießen