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Steampunk ist ein Literatur-Genre, das eine Welt beschreibt, in der Stil und Lebensart der viktorianischen Zeit vorherrschen, sich die Technologie jedoch weiterentwickelt hat. Es handelt sich auch um eine Bastler- und Do-It-Yourself-Kultur, die moderne technische Gegenstände dem Design des 19. Jahrhunderts entsprechend modifiziert. Hinter dem Begriff verbirgt sich außerdem eine Mode, die historische Kleidung mit modernen Elementen und Punkelementen durchbricht. Steampunk wird nicht nur im Ledersessel konsumiert, sondern aktiv in Rollenspieltreffen, Kongressen und Bastlertreffen gelebt. Steampunk ist Teil einer Geek-Kultur und wirkt - besonders in visueller Hinsicht - prägend auf diese Subkultur. Steampunk kurz & geek stellt die zahlreichen Facetten vor, die dieses Genre hervorgebracht hat. Die Autoren, die die populären Steampunk-Webseiten clockworker.de und daily-steampunk.com betreiben, erlauben dem geneigten Leser einen authentischen Einblick in das Lebensgefühl der Steampunker.
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Seitenzahl: 214
Veröffentlichungsjahr: 2013
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A Note Regarding Supplemental Files
Vorwort
Einführung
Heute hamwa de Dampfmaschien!
Ein Tag im Leben des Kapitän Ullrich von Kolbendorff
Aus dem Tagebuch von Lady Agathea Teslaworth, Biologin, z.Zt. Nova Londinium:
Ein Wochenende in Hajo Großmanns Werkstatt
Steampunks, so viele Schattierungen in einer Subkultur
1. Steampunk? WTF!?
Von der Schwierigkeit einer Definition
Abenteuer, Romantik, Wissenschaft
2. Die Geschichte des Steampunks
Science-Fiction der Dampfzeit
Frühe deutschsprachige Science Fiction
Der Luftpirat und sein lenkbares Luftschiff
Hartmann the Anarchist or The Doom of the Great City
Die Ursuppe
Die Ursprünge des Steampunks
Ein Kunstfestival in der Wüste: Burning Man
Philosophische Weggefährten
Das Æthernetz – Du bist nicht allein
Goggles – Die Schweißerbrille als Markenzeichen
Am Puls der Zeit: Wie sieht es jetzt aus?
Was für ein Unsinn! – Die Kritik am Steampunk
3. Noch ein Gläschen Absinth, bitte!
Steampunk als Traum von der ewigen Belle Epoque
Nur die Schokoladenseiten!
Zukunftsromantik für Nostalgiker
Modern, aber mit Patina
Viktorianische Ära und Gründerzeit als Inspiration
Die Zeit Viktorias: Vorurteile, Fakten und seltsame Tatsachen
Anything Goes: Als Wissenschaftler noch verrückt sein durften
Was die Steampunker an der Epoche fasziniert
Ein schöner Traum, der Traum bleibt
4. Steampunker sind Hacker mit Sinn für Ästhetik
Das Weltbild des Steampunkers
Steampunk als Hacken des Designs
Eine Frage des Geschmacks
»Love the machine, hate the factory«
Hackerspaces als Ort vieler Ideen
Der dritte Raum
Maker Movement
Maker Faires
Der Steam-Maker
Low/ Notech Hacking
Vom Garagenbastler zum Millionär
Back to the roots
Auf die Barrikaden! – Ist Steampunk politisch?
Manifeste, Manifeste, Manifeste!
Mehr Datenschutz durch Etikette
Anarchie – Jetzt oder später!
Stürmt die Maschinen!
Endziel Weltherrschaft
5. Es steht geschrieben
Die Literatur der Steampunk-Szene
Steampunkliteratur vor dem Æthernetz
Michael Moorcock
K.W. Jeter
William Gibson und Bruce Stirling
Steampunkliteratur in Zeiten des Æthernetzes
Philippa Balantine und Tee Morris
Gail Carriger
Jean-Christophe Valtat
Lavie Tidhar
CM Priest
Frank Chadwick und seine Luftschiffcrew
Steampunkautoren aus dem deutschen Sprachraum
Dieselpunk in Buchform
Extrablatt! – Digitale Magazine der Steampunkszene
Steampunk Magazine
The Gatehouse Gazette
El Investigador
Le Petit Vaporiste
Vom Podcast zum Buch – The Gearheart
Graphische Novellen – Comics
Steam Noir
Five Fists of Science
Lady Mechanika
Die Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen
Manga
Mit Volldampf in eine literarische Zukunft
6. Alieae iactae sunt – Spiele unter Dampf
Mit Papier und Stift – Rollenspiele
Space 1889
Castle Falkenstein
GURPS – Steampunk
Abney Park’s Airship Pirates
Opus Anima
Und sonst so?
Ausgelebt – Live Action Roleplay
Reise nach Tunguska
Volldampf mit der Maus – Computerspiele
Space 1889
Arcanum
Bioshock
Ausgelegt – Brettspiele
011
Wiraqocha
Planet Steam
7. Von Schallwellen, Tüftlern und Schneidern
Vorsicht! Kunstschaffende Steampunker!
Steampunkmusik, gibt es die überhaupt?
Was im musikalischen Periskop so auftaucht
Abney Park
Coppelius
BB Black Dog
Professor Elemental
Victor Sierra
Ghostfire
Strange Artifact
Selbst weiter suchen!
Von Bauchtanz bis Oper: Andere Formen musikalisch-künstlerischer Darbietungen
Nakari (Österreich)
Violet Tribe (Deutschland)
Ambrosia (Slowenien)
Eine Steampunk Oper
Podcasts
Radio Metronomik
Tüftler, Maler, Transmediale Künstler
Steampunk-Design.com
Steampunk-Design.de
Myke Amend
SteamheArt
Die tapferen Schneider
House of Secrets Incorporated
Clockwork Courture
Steampunk Couture
Lastwear
Kreativität allerorten
8. Cinematographisches
Bewegte Bilder von Steampunkern, für Steampunker und mit Steampunk
Auf der silbernen Leinwand
Als unsere Vorfahren noch Kinder waren
Die Reise zum Mond
Metropolis
In Farbe, aber vor CGI
Verne und Wells verfilmt
Insel am Ende der Welt
Chitty Chitty Bang Bang
Indiana Jones
Im neuen Jahrtausend
Die Liga der Außergewöhnlichen Gentlemen
Sky Captain and the World of Tomorrow
Vidocq
Hugo Cabret
Der Goldene Kompass
Weitere Werke, die nicht ungenannt bleiben dürfen
Iron Sky
Anime und Animiertes
Last Exile
Steamboy
War of the Worlds: Goliath
The Mysterious Geographic Explorations of Jasper Morello
Auf der Flimmerkiste
Musikvideos
Smashing Pumpkins: Tonight, Tonight
Nightwish: The Islander
Dune: Million Miles from Home
Justin Bieber: Santa Claus Is Coming To Town
Serien
Castle
Warehouse 13
Lantern City
Aus dem Æthernetz
Riese
Aether Dancer
Dirigible Days
Kurzfilme
Es dampft, wenn Bilder flimmern
9. Die Messinghorde kommt angedampft
Die Szene, Conventions und so weiter
Also global betrachtet ...
Ein Blick auf Europa
Preussens Gloria, oder so ... Was hierzulande geht
Steampunker in lokalen Lokalen
Bundesweite Treffen
Ach ja, im Æthernetz ist auch was los
Foren
Der Rauchersalon
The Steampunker
Blogs
Clockworker
Daily Steampunk
Dieselpunk.de
Steampunkwelten
Der Rest der Welt im Æthernetz
Brassgoggles
The Golden Gear
Steampunk.fr
From Russia with Love
Dieselpunks.org
Feiertage
Steampunkige Feiertage
International Steampunk Day
Air Kraken Day
Pretend to be a Time Traveler Day
International Dieselpunk Day
Geek-Feiertage, die gerne mitgenommen werden:
Pi Day
Star Wars Day
Towel Day
Was Uneingeweihte so denken
Wir haben soviel Steampunk, wir müssen’s verkaufen!
Künstler und Tüftler – Die Guten
Trittbrett-Luftpiraten – Entsetzlich!
Polieren wir das Messing und blicken zurück
A. Epilog
Was die Zukunft bringen könnte
Bezüglich der Szene
Hat Steampunk eine Zukunft?
Das Steampunk-Boson
Steampunk ist – wenn es dir Spaß macht.
B. Danksagungen
Alex
Marcus
C. Über die Autoren
D. Über die Verlagsmitarbeiter
Stichwortverzeichnis
Kolophon
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Irgendwo habe ich kürzlich mal wieder gelesen, dass die ersten Zeilen eines Buches ausschlaggebend dafür sind, ob es gelesen oder aber angewidert in die Ecke gepfeffert wird.
Johanna Sievers, aka Ms. Tickerlein (Foto: hobbyfotografie.de)
Dieses Wissen macht es natürlich nicht unbedingt leichter, mal eben so ein Vorwort locker aus dem Handgelenk zu schütteln. Immerhin ist man sich ja zusätzlich auch der Tatsache bewusst, dass Leseproben im immer populärer werdenden E-Bookmarkt meist aus den ersten paar Seiten bestehen – sprich, der Leser hat kaum noch die Chance, das zuweilen ganz und gar überflüssige Vorwort eines ihm Unbekannten zu überspringen und nachzusehen, was der Autor so schreibt.
Und bleiben Schreibertische karg gedeckt und Verlegerheizkörper dann kalt, werden vorwurfsvolle Blicke hin zu jenen geworfen, die verantwortlich gemacht werden können.
Ist man also mit der schweren Bürde der erste Seiten Verfassens geschlagen, kommt man ganz automatisch ins Grübeln, was so ein Leser eigentlich wollen könnte. Was er sich von einem Sachbuch über das Nischengenre Steampunk und dessen Anfang erwartet. Sturmumpeitschte schottische Felsen oder unsachgemäß gesprengte Flugobjekte haben ja wohl eher selten einen Platz in den Prologen lehrreicher Fachliteratur, so schade das auch sein mag.
Gedanken zu von hypothetischen Lesern gehegten Hoffnungen bezüglich des Buchanfangs führen unweigerlich zu Gedanken zu möglichen Motivationen, überhaupt zu einem Buch mit dem Titel Steampunk kurz & geek zu greifen. Gründe gibt es ja eigentlich reichlich.
Vielleicht sind Sie der Meinung, dass es Ihrem Leben deutlich Glanz und Glamour verliehe, wüssten Sie nur mehr über Steampunk. Denn immerhin glänzt man auf so mancher feinen Party als einer, der mehr weiß als andere, wenn man zu Seltenem und Exotischem etwas zu sagen weiß. In Zeiten des Pauschaltourismus nach Langkawi muss man sich schließlich etwas einfallen lassen.
Oder Sie fühlen sich ohnehin bereits irgendwie dem Steampunk zugehörig und sind es leid, auf die ständigen Fragen, was genau sich denn nun eigentlich hinter diesem so merkwürdig zusammengesetzten Begriffe verberge, regelmäßig ins Stottern zu geraten. Weil Sie dann mit Halbsätzen beginnen und mit »viktorianisch, irgendwie wie Jules Verne« enden, erhoffen Sie sich auf diesem Wege solide, überzeugend klingende Antworten von anerkannten Fach- und Lebemännern.
Die nicht zu vernachlässigende Möglichkeit, dass Sie von ihrer eigenen Person als eine Art Miterfinder des Steampunks (oder zumindest der deutschen Auslegung davon) denken, erscheint mir auch nicht unbedingt weit hergeholt. Vielleicht wollen Sie ganz einfach nachsehen, ob die Autoren auch alles in Ihrem Sinne erklären und keinen hanebüchenen Unsinn verzapfen. Und vielleicht sogar Bilder von ihren Basteleien oder Kostümen zeigen. Womit Sie ja irgendwie halb rechnen – und für alle Welt und Zeit in den hohen Stand der fachliterarischen Referenzen erhoben wären.
Die Variante, in welcher Sie nur hier sind, weil Sie in irgendeinem Verwand- oder Freundschaftsverhältnis zu den Herren Jahnke und Rauchfuß stehen, würde ich gerne unter den Tisch fallen und unerwähnt lassen, falls Sie nichts dagegen haben.
Auf welchem der aufgezählten Fundamente Ihr persönliches Interesse an dem Ihnen nun vorliegenden Werk nun auch immer errichtet sein mag: Es wäre nicht nur albern, sondern geradezu vermessen von mir, davon auszugehen, dass meine einleitenden Worte Sie jetzt noch davon abhalten könnten, dieses Buch auch tatsächlich gründlich zu studieren.
Immerhin handelt es von wahnsinnigen Wissenschaftlern, abgestürzten Ufos, humanitären Werten, Maschinenstürmern, Luftpiraten, guten Manieren, Wüstenfestivals, hackenden Chaoten, dampfenden Rössern und wahrer Liebe. Glauben Sie mir nicht? Nun, dann bleibt Ihnen so oder so nichts anderes, als selbst zu lesen. Sie werden es sicherlich nicht bereuen.
Johanna Sievers – Ms. Tickerlein
Johanna Sievers, auch bekannt als Ms. Tickerlein, ist Steampunkerin der ersten Stunde und stellte Steampunk im TV und anderen Medien vor.
Steampunker, das sind die Leute, die sich kleiden, als sei Königin Victoria immer noch die Kaiserin von Indien, verfüge dabei aber gleichzeitig über eine hochmoderne Luftschiffsflotte. Es sind die Mitglieder der Gothikszene, die auf einmal angefangen haben, Braun- und Goldtöne zu tragen. So, jetzt sind die Vorurteile und Klischees abgedeckt, kommen wir mal zu den Soft Facts. Hard Facts kann ich leider aus Ermangelung an in einschlägigen wissenschaftlichen Magazinen veröffentlichen Studien nicht bieten. Aber wäre es nicht bezaubernd bizarr, wenn eines Tages in der Nature oder Bild der Wissenschaft eine umfangreiche soziologische Studie über Steampunker und die Steampunkszene veröffentlicht würde?
Steampunker lassen sich ganz grob in drei »Geschmacksrichtungen« einteilen, die man sehr gut mischen kann und die sich sehr überschneiden. Eine klare Trennung ist so gut wie unmöglich. Man könnte folgende Gruppierungen vornehmen: historisch orientierte Steampunker, utopische Steampunker und Maker. Die ersten beiden findet man häufig in voller Montur auf Life-Rollenspielveranstaltungen. Sie schreiben im Bereich der Fantastischen Literatur, in der sie die Vorstellung ihrer Idealwelt einfließen lassen. Maker (Bastler, Tüftler, Erfinder) formieren sich in einer fast noch breiteren Aufstellung. Hier ist alles dabei, vom Schneider über den Goldschmied bis hin zum Elektronikingenieur. Je nachdem, was die bevorzugte handwerkliche Ausrichtung ist, sind sie mehr oder weniger kostümiert und ihre Kreationen sind ein Publikumsmagnet auf jeder Steampunk-Convention.
Der historisch orientierte Steampunker zieht seine Inspiration aus der Zeit der industriellen Revolution und des ausgehenden viktorianischen Zeitalters, was in etwa der Gründerzeit in Deutschland entspricht. Diese historische Basis wird dann noch um phantastische Elemente, wie man sie auch in den Romanen aus der Feder Vernes und Wells’ findet, erweitert.
Der utopische Steampunker projiziert Luftschiffe und Dampftechnologie in eine nicht näher bestimmte Zukunft und fügt zudem noch andere futuristische Elemente hinzu.
Die Maker unter den Steampunkern setzen ihre Kreativität praktisch um und kreieren wundervolle Kunstwerke im Steampunk-Design. Dabei ist die Spannweite recht groß und reicht von Schmuck und Kleidung über umgebaute Computer bis hin zu (teilweise mobilen) Häusern.
Aber was triebe so ein Steampunker, wenn er könnte, wie er wollte? Die Antwort findet sich in den drei folgenden exemplarischen Tagesabläufen:
06:15
Der Kammerdiener-Automat weckt den Herrn Kapitän und informiert ihn über die anstehenden Termine des Tages. Anschließend versorgt er den Herrn Kapitän mit einer Nassrasur.
06:30
Ullrich frühstückt und informiert sich per Ætherskop über die neuesten Nachrichten, anschließend macht er sich frisch für den Tag.
07:00
Mit dem dampfgetriebenen Privatfahrzeug geht es zum Zeppelinlandeplatz.
7:35
Ullrich begibt sich an Bord seines Zeppelins und setzt Kurs auf den ersten Wegpunkt seines Patrouillenfluges.
10:39
Nachdem der Vormittag fast ohne Zwischenfälle ablief, begegnet Ullrichs Zeppelin über dem Wattenmeer einem Luftkrakenbullen. Dieser hat Lust auf ein paar humanoide Snacks. Das folgende Gefecht kann Ullrich für sich entscheiden.
12:00
Mittag – Es gibt Luftkrakensushi.
16:37
Mit leichter Verspätung wird die Patrouille beendet.
17:10
Ullrich kommt zu Hause an. Den Rest des Abends kommuniziert er über Ætherskop mit den anderen befreundeten Luftschiffkapitänen, Abenteurern, Erfindern und sogar Luftschiffpiraten.
Soviel zum Tagesablauf eines historisch orientierten Steampunkers. Setzt man das ganze in einer nicht näher definierten Zukunft um, kann das ungefähr so aussehen:
Liebes Tagebuch,
ich bin jetzt seit vier Monaten in Nova Londinium und dies ist mein erster Sommer hier. Ich bin an diese Hitze einfach nicht gewöhnt. Das habe ich nun davon, dass ich mich hierher habe versetzen lassen. Jetzt befinde ich mich in eine Welt, die einen roten Riesen umkreist. Da kann ich wirklich froh sein, ein klimatisiertes Korsett mein Eigen zu nennen.
Weil ich gerade dran denke, ich muss morgen unbedingt zum Mechschneider gehen, mein Ersatzkorsett muss dringend instand gesetzt werden. Die Selbstreparaturautomatik ist etwas langsam und das Korsett, das ich heute trug, ist etwas verschmutzt.
Warum es verschmutzt ist? Wie ich Dir bereits schrieb, liebes Tagebuch, bin ich hierher gekommen, um ein Jungtier der hier endemischen Riesensäbelspechte einzufangen. Ausgesprochen seltene und schöne Tiere, diese Säbelspechte. Sie kommen leider nur nach Ende der Regenzeit aus ihren Bauten, und die ist jetzt zu Ende. Ich habe mich heute in aller Frühe, noch vor Sonnenaufgang, auf den Weg gemacht, einen dieser Vögel einzufangen.
Ich fuhr zuerst mit dem Automobil über Land und dann weiter durch das dichte Unterholz des Stephenson-Urwalds in Richtung Vulkan. Gegen Mittag erspähte ich einen Bau der Säbelspechte, ließ meine Träger zurück und pirschte mich gegen den Wind heran, sehr langsam und ganz leise.
Ich wartete, bis beide Elterntiere den Bau zur Nahrungssuche verlassen hatten, um mir dann ein Jungtier zu fangen. Daher betrat ich in geduckter Haltung den Bau. Die Gänge sind hoch genug, um darin laufen zu können, wenn auch ein ausgewachsener Mensch nicht aufrecht in ihnen zu stehen vermag. Nach einigen Schritten stand ich auch schon in der Brutkammer. Vor mir ein Nest mit vier Jungspechten. Ganz putzige Dinger. Ich zog meine Betäubungspistole und schoss einen Pfeil auf das mir nächstgelegene Jungtier, darauf gefasst, dass seine Geschwister es verteidigen würden. Womit ich nicht gerechnet hatte, war die Art ihrer Verteidigung.
Ich habe nun einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der Säbelspechte geleistet, obwohl es mir nicht gelungen ist, ein Jungtier zu fangen. Säbelspechte, zumindest deren Junge, bedienen sich einer äußerst effektiven Spuckattacke.
Ich hoffe nur, die Wäscherei hier nimmt das Korsett an. Sie haben hier leider keine Roboter, die das Waschen übernehmen können. Anderenfalls muss ich das Korsett einschweißen, bis ich wieder an einem besser ausgerüsteten Ort gelange.
Jetzt haben wir aber genug in das Tagebuch unseres utopischen Steampunkers reingespickt. Als nächstes wenden wir uns denen zu, die ihre Steampunkigkeit in die Kreation realer Gegenstände stecken, nämlich den Makern, Erfindern und Hobbytüftlern:
Hajo steht in seiner Werkstatt und geht im Kopf eine Liste durch:
Mal kurz überlegen, ob alles da ist: Lötkolben, Lötzinn ... Metallreste, diverse dekorative Kleinteile ... Holz (diverses), Lack ... Werkzeugkasten (voll bestückt). Gut, es kann losgehen.
Als nächstes geht er rüber in die Garage, öffnet den Kofferraum seines Kombis und trägt die alte Kommode vom Flohmarkt, die sich da drinnen befindet, rüber zur Werkstatttür.
Zuerst wird dann Abbeizmittel auf den spröden 70er-Jahre Lack aufgetragen, der das Massivholz darunter verbirgt. Während die Kommode im Hof in der Beize wartet und es entsprechend riecht, macht sich Hajo daran, diverse Verzierungen, Widgets und Gadgets aus den Metallteilen zu feilen und zu löten.
Nach fünf Stunden hat er genug Elemete zusammen (und auch genug geflucht und ein wenig Schrott produziert), um später seinem Projekt den letzten Schliff geben zu können, und »Schliff« ist ein gutes Stichwort. Er setzt sich eine Schutzbrille (keine Goggles, eine aus dem Baumarkt) und eine passende Maske auf, schnappt sich seinen Bandschleifer und rückt dem Lack auf der Kommode zu Leibe. Nach fast zwei Stunden hat er selbigen entfernt und auch aus den unzugänglicheren Stellen der Kommode gekratzt. Die Kommode kommt jetzt in die Werkstatt, wird vermessen, eine Schublade fliegt raus und mit mehreren Schablonen werden diverse Dinge außen angezeichnet.
Was dann folgt, soll hier nicht im Detail beschrieben werden, es könnte ja sein, dass Kinder dieses Buch in die Hände bekommen.
Doch soviel sei gesagt: Es sind eine Stichsäge, mehrere Fräsen, Schleifpapier, eine ganze Menge Schrauben und ein Ersatzbrett, dass noch kurz vor Ladenschluss aus dem Baumarkt geholt werden musste, involviert. Zum Schluss wird per Airbrush Metalllack in verschiedenen Kupferschattierungen aufgetragen, und aus der alten Massivholzkommode ist ein Steampunkschreibtisch geworden.
So oder so ähnlich sieht es also bei Steampunkern zuhause aus oder sähe es aus, wenn sie immer genau so könnten, wie sie wollten. Harmlos und auf ungewöhnliche Weise kreativ, ist die Messinghorde ein phantasiereiches Völkchen, dass seine Besonderheiten auf die ein oder andere Weise nach außen trägt. Genaueres und auch mehr Schattierungen finden sich im weiteren Verlauf dieses Buches.
Kaum etwas ist schwieriger, als diese Frage zu beantworten: Was ist denn dieses Steampunk überhaupt? Die Facetten des Genres und der Subkultur sind so zahlreich und unterschiedlich, dass der kleinste gemeinsame Nenner kaum auszumachen ist. Wenn man glaubt, ihn gefunden zu haben, kommt schnell jemand, der genau diese Gemeinsamkeit widerlegt und etwas steampunkiges macht, ohne dass eben dieser gemeinsame Nenner auch nur am Rande zum Tragen kommt.
Abbildung 1.1 Was macht die Dame? (Foto: Gipsy Rose)
Was für eine Erläuterung des Begriffs Steampunk so manche Schwierigkeit mit sich bringt, ist für das Genre (an sich) ein echter Gewinn. Denn es gibt keine Grenzen, wenn es darum geht, sich den eigenen Steampunk zu erschaffen und ihn mit den Elementen anzureichern, die einem selber gefallen. Captain Robert von der Band Abney Park twitterte dazu, dass das Wesen von Steampunk genau im Fehlen einer Definition und im Durchbrechen von Regeln besteht: »My response to a conversation about what isn’t steampunk: We only did this steampunk thing to NOT conform ... rules will be broken!!!«.
Wäre man aber gezwungen, eine Definition von Steampunk abgeben zu müssen – zum Beispiel, weil man ein Buch schreibt und dies im Exposé vorgesehen ist – könnte eine Definition so aussehen:
Abbildung 1.2 Mehr als Literatur (Foto: Arno Erol – Arsenal)
Steampunk ist ursprünglich eine Unterform der fantastischen Literatur, die eine alternative Welt beschreibt, in der die viktorianische Zeit, Kultur und Ästhetik vorherrschend sind, sich die Technologie aber weiterentwickelt hat. Es handelt sich aber auch um eine Bastler- und Do-It-Yourself-Kultur, die moderne technische Gegenstände dem Design des 19. Jahrhunderts entsprechend modifiziert und dabei auf einen Recyclinggedanken setzt. Hinter dem Begriff verbirgt sich außerdem eine Mode, die historische Kleidung mit modernen und Punkelementen durchbricht, wobei aufgesetzte Applikationen und Gadgets optische Highlights sind, aber auch eine Musikszene, die stilistisch wenig gemeinsam hat und von Kabaret und Folk über Electro und Klassik bis hin zu Rock und Rap reicht. Zusätzlich beschreibt der Begriff Steampunk auch noch eine philosophisch motivierte Subkultur, die im 21. Jahrhundert ein alternatives Gesellschaftsmodell diskutiert, das seine Grundfeste auf den Idealen des 19. Jahrhunderts ohne Ständedenken oder Diskriminierung baut. Aber auch ... man kann dies Aufzählung beliebig erweitern.
Versuch gescheitert. Man kann Steampunk nicht mit wenigen Worten definieren, denn es ist deutlich mehr als ein rein literarisches Genre. Teile der Ideen der Literatur werden in die reale Welt geholt und künstlerisch umgesetzt. Das Genre wird nicht nur im Lesesessel konsumiert, sondern aktiv gelebt und zu einer Lebenseinstellung gemacht. Wer jetzt Menschen in strengen Anzügen, Zylindern und Tornürenkleid vor sich sieht, die ein Cosplay ohne japanischen Hintergrund betreiben und den Bezug zur Realität verloren haben, liegt aber (in den meisten Fällen) völlig falsch. Diese Philosophie funktioniert auch ohne Kostüme, ohne gekünstelte Sprache und Monokel, kann aber durch Kleidung unterstützt werden. Im Grunde ist es wie bei jeder Subkultur. Im Umfeld des Cyberpunks, des literarischen Vaters des Steampunks, haben sich die Fans diesen Brückenschlag zur Realität immer gewünscht, er ist dort aber nie gelungen. Wir haben noch keine Cyberaugen mit Nachtsicht und können unser Gehirn nicht mit einem Ethernet-Stecker direkt mit der Matrix verbinden. Die Großkonzerne, die das private Leben mehr bestimmen als die gewählte Regierung, sind zwar Realität geworden, was aber nur den Teil des Cyberpunks darstellt, den man gerade bzw. mit Sicherheit nicht haben wollte. Die Geräte und Technik im und aus dem Steampunk sind (meistens) vorhanden, wir haben Computer, Handys, Fernseher. Aber wie sehen diese Geräte aus, wenn wir die Ästhetik einer vergangenen Epoche darauf anwenden? Wir kennen die Kultur des 19. Jahrhunderts und können die Ideale aus dieser Zeit in unser Leben übernehmen. Cyberpunk fußt auf zu vielen noch ungeklärten Zukunftsvisionen, als dass sie in der Realität umsetztbar wären. Steampunk ist das, was Cyberpunk immer sein wollte. Er hat die greifbare Essenz, die Cyberpunk immer fehlte. Steampunk will, dass wir Werkzeug in die Hand nehmen und Dinge herstellen, die wir brauchen. Dinge, die man nicht kaufen kann.
Abbildung 1.3 Wehrhafter Frosch (Foto: Arno Erol – Arsenal)
Selbst das »viktorianische Zeitalter« muss keine Grenze für die Definition von Steampunk sein. Dieselpunk legt seinen zeitlichen Schwerpunkt auf die 30er und 40er Jahre des 20. Jahrhunderts, ersetzt Dampf durch Diesel, orientiert sich ästhetisch am Art Déco und dem Film Noir, will aber ebenso wie Steampunk das literarische Genre in Realität umsetzen.
Es gibt noch einige weitere Punk-Genres, die man im Steampunk-Umfeld findet. Diese Spielarten existieren nur rein literarisch, zum Beispiel Clockpunk, bei dem die zentralen Energiequellen rein mechanischen Ursprungs sind und zeitlich zum Beispiel im Zeitalter von Leonardo da Vinci angesiedelt ist; oder es sind Spaßprojekte wie Nerfpunk, bei dem man sich vom Schnitt der Kleidung an der viktorianischen Zeit orientiert, sich farblich aber von den in der Steampunkszene sehr beliebten, neonbunten NERF-Spielzeugwaffen inspirieren lässt, oder aber es handelt sich um bisher noch bloße Ideen ohne Szene, wie Atompunk mit dem Schwerpunkt in den 50ern oder Flapperpunk, der seinen Fokus auf die wilden zwanziger Jahre legt.
Um die Sache noch komplizierter zu machen, gibt es weitere <$NAME>-Punk-Genres, die aber nicht in der Nähe des Steampunks zu verorten sind. Biopunk und Genepunk haben wie Steampunk ihre Wurzeln im Cyberpunk, sind aber rein literarisch und beschreiben eine (Nah-)Zukunft, in der der zentrale technische Fortschritt im Bereich Biologie und Genetik stattfindet. Da der Erfolg des Steampunk auch von den Medien entdeckt wurde, wird der Punkstempel zudem für beliebige andere Genres genutzt. Man findet Vampire-Punk, Slasher-Punk, Broiler-Punk oder Manners-Punk, und die Liste ließe sich beliebig weiterführen. Die betreffenden Genres sind für dieses Buch aber unwichtig und werden in ihren Marketingschubladen bleiben.
Durch die Nähe der Steampunk-Subgenres zueinander und die Unschärfe der Definition ist Steampunk zu einer Art Oberbegriff für eine ganze Subkultur von Diesel- bis Flapperpunk geworden, die sich auf wenig einigen kann und ständig neue Felder für sich entdeckt, die auch »irgendwie Steampunk« sind. Was in anderen Subkulturen zum guten Ton gehört, nämlich bzw. zum Beispiel das Ablehnen bestimmter Dinge in Bezug auf die eigene Szene »XYZ ist aber nicht gothic, metal, hipster ...«, wird im Steampunk mit Argwohn gesehen. Den Satz »Das ist aber kein Steampunk!« hört man nur selten, und wenn überhaupt, dann meist in Zusammenhang mit kommerziellen Projekten, bei denen Zahnräder an einen beliebigen Gegenstand geklebt werden, um so von der Steampunkwelle profitieren zu können.
Abbildung 1.4 Moderne Retro-Jukebox (Foto: thechocolatist.com)
Wer verzweifelt nach einer Definition sucht, bemüht auch gerne den Spruch: »Das kann man nicht erklären, das muss man erleben.« Damit hat man vielleicht einen Moment Ruhe, aber die Aussage ist weder hilfreich, noch ist sie richtig. Natürlich lassen sich die Emotionen und der Spaß bei einem Steampunk-Treffen nur schwer in Worte fassen, man kann aber problemlos Steampunker sein, ohne jemals seinen Lesesessel oder Bastelkeller verlassen zu haben. Ein schönes Beispiel dafür sind ältere Herren, die in ihren Werkstätten seit Jahrzehnten alte Röhrenradios umbauen und jetzt durch das Internet feststellen: »Ach, das nennt man Steampunk, was ich da mache?«
Eine Definition ist nun immer noch nicht gefunden, es wurden aber eine Menge Gründe dafür erschlossen, keine zu haben. Was nun?
Allen Steampunkkulturen gemeinsam ist die nostalgische Begeisterung für eine vergangene Zeit [hier Ära der Wahl einsetzen] und der damalige positive Glaube an Technik und Fortschritt, kombiniert mit Themen wie Do-It-Yourself, Literatur, Kunst, Mode, Politik und einer Prise verrückter Wissenschaft. Der Steampunk-Webcomic Girl Genius beschreibt sich selbst mit den Worten »Adventure, Romance, Mad Science!« und liefert damit eine der wenigen funktionierenden Definitionen für Steampunk: Abenteuer, Romantik, (verrückte) Wissenschaft. Mit diesen drei Begriffen kann man das Genre und die Subkultur definieren, jedenfalls so lange, bis jemand etwas völlig Neues in das Genre einbaut, und sei es nur, um zu beweisen, dass man auch ohne diese drei Schlagworte Steampunk betreiben kann.
Allerdings könnte man Steampunk auch mit »Gin, Boheme, Party!«, »Mode, Manieren, (Case-) Modding« oder anderen Wortkombinationen umschreiben und läge damit genauso richtig (oder falsch). Wie der Titel dieses Kapitels schon vermuten lässt, es ist unmöglich, eine Definition zu finden. Man kann sich ihr nur im mathematischen Sinne annähern und sie möglichst gut formulieren, um dann die eigene These relativ schnell wieder zu verwerfen.
Was aber hält das Genre zusammen? Was ist der kleinste gemeinsame Nenner, der etwas zu Steampunk macht, so dass man nicht von einer Gruppe Damen und Herren mit Monokeln ausgelacht wird, wenn man sein Dampfpony oder den erotischen Steampunk-Bestseller Around The World In 80 Lays vorstellt?
Gibt es so etwas wie ein Steampunk-Boson? Ein Elementarteilchen, dass das Genre zusammenhält und das Zertifikat »Das ist Steampunk!« verleiht? In den nächsten Kapiteln werden wir versuchen, ihm möglichst nahe zu kommen und es vielleicht doch noch ans Licht zu holen.
Eine Liste aller im Buch verwendeten Links steht auf der Webseite von O’Reilly unter
http://www.oreilly.de/catalog/steampunkger/Linkliste_Steampunk.pdf
zum Download zur Verfügung.