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Spanische Niederlande, 1706. Trotz ihres glorreichen Siegs in der Schlacht bei Ramillies kommt die britische Armee nicht zur Ruhe. Zwar haben die Männer unter dem Herzog von Marlborough die französische Streitmacht bezwungen, doch Captain Jack Steel steht mit seinen Grenadieren noch immer im Dreck. Die Lage ist nach wie vor gefährlich: Überall lauern Verräter - sogar in den eigenen Reihen. Sie aufzuspüren lautet Captain Jack Steels neuer Auftrag. Ein Auftrag, der ihn schnell das Leben kosten könnte ...
Die packende Abenteuer-Serie für alle Leser von Bernard Cornwells Sharpe-Romanen.
Band 1: Steels Ehre.
Band 3: Steels Entscheidung.
eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.
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Seitenzahl: 520
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Über das Buch
Über den Autor
Titel
Impressum
Widmung
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EPILOG
ANMERKUNGEN ZUM HISTORISCHEN HINTERGRUND
Spanische Niederlande, 1706. Trotz ihres glorreichen Siegs in der Schlacht bei Ramillies kommt die britische Armee nicht zur Ruhe. Zwar haben die Männer unter dem Herzog von Marlborough die französische Streitmacht bezwungen, doch Captain Jack Steel steht mit seinen Grenadieren noch immer im Dreck. Die Lage ist nach wie vor gefährlich: Überall lauern Verräter – sogar in den eigenen Reihen. Sie aufzuspüren lautet Captain Jack Steels neuer Auftrag. Ein Auftrag, der ihn schnell das Leben kosten könnte …
Die packende Abenteuer-Serie für alle Leser von Bernard Cornwells Sharpe-Romanen:Band 1: Steels Ehre.Band 3: Steels Entscheidung.
Iain Gale hatte immer eine Leidenschaft für Militärgeschichte. Er ist Herausgeber von Scotland in Trust, der Zeitschrift des National Trust for Scotland, und schreibt als Kunstkritiker für Scotland on Sunday. Er wohnt mit seiner Frau und ihren gemeinsamen Kindern außerhalb von Edinburgh.
Iain Gale
STEELSDUELL
Aus dem Englischen vonDr. Holger Hanowell
beBEYOND
Digitale Neuausgabe
»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2008 by Iain Gale
Titel der englischen Originalausgabe: »Rules of War«
Originalverlag: HarperCollins Publishers Ltd.
Originally published in the English language by
HarperCollins Publishers Ltd. under the title Rules of War
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2013/2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Wolfgang Neuhaus, Oberhausen
Titelillustration: Illustration: © Larry Rostand
Umschlaggestaltung: Thomas Krämer unter Verwendung einer Illustration © Larry Rostant
Datenkonvertierung eBook: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-5119-4
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
FÜR ALEXANDER,RUARIDHUND INDIA
Die rechte Hand fest um den Knauf seines Degens geschlossen, spähte Captain Jack Steel in den morgendlichen Nebel und lauschte in die scheinbar endlose Leere hinein. Schließlich lockerte er seinen Griff, setzte seinen Weg fort, den Degen noch in der Scheide dicht am Körper, und wartete auf den Tod. Wenn der Tod ihn ereilte, dann von vorn. Doch die einzigen Laute, die Steel bislang wahrnahm, kamen von hinten. Er spürte, dass seine Männer hinter ihm waren, auch wenn er sie nicht sehen konnte, und er wusste, dass sie ihre Musketen geladen und die Bajonette aufgepflanzt hatten. Seine Männer: Eine Kompanie der besten Infanteristen in der Armee von Queen Anne. Vielleicht die besten Fußsoldaten auf der ganzen Welt – die britischen Grenadiere.
Doch in diesem Moment bot ihm nicht einmal die Gewissheit Trost, dass seine Männer bei ihm waren. Dichter Nebel wie dieser erwies sich zwar oftmals als Freund des Soldaten, wenn ganze Armeen, in Schwaden gehüllt, vorrückten und einen Überraschungsangriff planten … und vor dem Auge des Feindes verborgen blieben. Doch Steel wusste aus bitterer Erfahrung, dass dieser wässrige graue Dunst sich allzu schnell in einen tödlichen Gegner verwandeln konnte. Bei jedem Schritt spürte er die Gegenwart des Feindes. Schon malte er sich die Kavalleristen auf ihren großen Rossen aus, die plötzlich wie Geister aus dem dichten Grau auftauchten, und hörte in Gedanken, wie die Säbel grausam durch die Luft zischten, wenn die Dragoner nach den Köpfen der Infanteristen zielten. Steel hoffte inständig, es möge bei den Trugbildern seiner Einbildung bleiben. Er sah schon überall Gespenster. Seine Kommandeure hatten ihm versichert, die Franzosen seien noch weit vom Frontabschnitt entfernt. Ganz gleich, ob dies nun stimmen mochte oder nicht, Steel wusste, dass er sich auf ebenjene Kommandeure verlassen musste … und natürlich auf die Männer, die ihm in die Schlacht folgten. Er achtete nicht weiter auf die Furcht, die sich in seinen Magen fraß, verscheuchte die Schreckensbilder, die sein Geist hervorbrachte, und drängte unbeirrt vorwärts.
Es ging auf halb sieben zu, an einem kühlen Morgen im Mai – Pfingstsonntag –, und Steels Kompanie befand sich auf einer leichten, weitgehend kahlen Anhöhe im Grenzgebiet zwischen den Spanischen Niederlanden und Brabant. Traditionsgemäß hätte dieser Sonntag ein Tag der Ruhe und frommen Einkehr sein müssen, aber Jack Steel wusste, dass der heutige Tag nicht Gott geweiht sein würde. Seine Kompanie rückte westwärts vor, als Vorhut der Armee, und der Befehl war klar und eindeutig gewesen: »Vor dem Dorf Halt machen und Angriffsformation bilden.«
Das Problem war nur, dass Steel keinen blassen Schimmer hatte, wo dieses Dorf sich befand. Er wusste auch nicht, wo sie auf den Feind stoßen würden. Inzwischen wünschte er, dass die Gestalten, die der Nebel ihm vorgaukelte, sich als wirkliche Gegner erwiesen. Denn wenn es nach Steel ging, konnte die Schlacht nicht früh genug beginnen. Er fluchte leise vor sich hin und spie das Stück Tabak aus, auf dem er die ganze Zeit gekaut hatte. Dann lockerte er den abgegriffenen Lederriemen seiner kurzläufigen Muskete, die er sich über die Schulter gehängt hatte – ein Privileg eines Offiziers der Grenadiere. Seine Stiefel sanken in den aufgeweichten Untergrund. Besonders für einen hochgewachsenen und kräftig gebauten Mann wie Steel schien jeder Schritt schwerer zu sein als der vorhergehende.
Als unvermittelt Stimmen an sein Ohr drangen, schaute Steel angespannt nach links. Instinktiv umschloss er den Griff des Degens und zog die frisch eingefettete Klinge langsam aus der Scheide. Im wabernden Nebel tauchten zwei seiner rot uniformierten Männer auf. Offenbar wähnten sie sich weit ab von ihrem Offizier, denn der eine machte irgendeinen Scherz auf Kosten seines Kameraden. Steel entspannte sich und ließ die Waffe in die Scheide zurückgleiten. Er war im Begriff, die Männer anzusprechen, als er hinter sich eine andere Stimme vernahm. Der nordenglische Akzent des Sprechers war Steel vertraut, und auch wenn der Mann gedämpft sprach, so war der Zorn, der in den Worten mitschwang, unmissverständlich scharf.
»Leise da, ihr beiden! Ich behalte euch im Auge, ihr Tölpel. Und glaubt ja nicht, dass ich eure Namen nicht kenne!«
Steel drehte sich um und sah die große Gestalt seines Sergeants Jacob Slaughter, der aus der Gegend um Newcastle stammte. Wut zeichnete sich in den Zügen des Sergeants ab. »Bei Gott, Jacob! Sollte das nicht ein Überraschungsangriff werden? Mein Befehl lautet, bis zum Feind vorzurücken, ohne dass ein Wort gesprochen wird. Was wird jetzt aus der Überraschung? Die Franzosen werden uns zum Frühstück verspeisen. Wer, zum Teufel, sind diese beiden Männer? Gehören die zu uns? Kenne ich die überhaupt?«
Slaughter schüttelte den Kopf. »Sind beide neu, Sir. Aber die machen Euch keine Schwierigkeiten mehr, könnt Ihr Euch drauf verlassen, Sir«, grummelte er.
»Das will ich glauben, Jacob. Wenn Ihr Euch die beiden vorknöpft. Aber für all das ist es jetzt zu spät. Das werden die Männer früh genug von den Franzosen lernen. Wenn die weiter so reden, erleben sie den nächsten Morgen nicht. Ist nicht Euer Fehler. Diese Armee ist auch nicht mehr das, was sie einmal war.«
Steel wusste, dass seine Einschätzung stimmte. Dies war nicht mehr die Armee, die vor zwei Jahren bei der Schlacht von Blenheim ihre Fahnen und Bajonettspitzen tief in die Reihen der Franzosen getragen hatte. Damals hatten sich die französischen und bayerischen Verbände humpelnd ins Elsass zurückgezogen. Im Verlauf jenes blutigen Feldzuges waren die Verluste auf beiden Seiten hoch gewesen, und auch Steels Einheit – Colonel Sir James Farquharsons Regiment of Foot – war nicht verschont geblieben. Seither hatte es immer wieder Gefechte gegeben, aber von den Männern, mit denen Steel vier Jahre zuvor in den Krieg gezogen war, war kaum mehr als die Hälfte übrig geblieben. Die gefallenen Kameraden waren durch unerfahrene Rekruten ersetzt worden, von denen einige frisch aus England kamen.
Das Verhalten der beiden streitfreudigen Soldaten war typisch für die Unerfahrenheit in weiten Teilen der Truppe. Steel schüttelte den Kopf, als er kurz stehen blieb und weitere Männer im Nebel gewahrte. Er sah, wie ein Soldat auf dem morastigen Boden ausrutschte und seine Muskete und die hohe Mütze verlor, die jeder Grenadier mit Stolz trug – so unerfahren er auch sein mochte. Trotz aller Verluste wusste Steel aber auch, dass die Kameraden, die im Verlauf der letzten beiden Jahre überlebt hatten, die besten Männer waren, die man zur Zeit auftreiben konnte. Mochte Marlborough die Armee geformt haben, diese Kompanie gehörte mit Herz und Seele Jack Steel.
***
Müde fuhr Steel sich mit einer Hand übers Gesicht. »Ich sag Euch was, Jacob. Was diese Armee braucht, ist ein weiterer Sieg. Ein zweites Blenheim. Und das weiß auch Marlborough nur zu genau. Deshalb sind wir ja hier, in diesem verdammten Nebel.«
Aus den Schwaden schälten sich zwei große Gestalten. Offizierskameraden von Steel, die die charakteristischen scharlachroten Uniformröcke mit der blauen Abzeichenfarbe von Farquharsons Regiment trugen. Einer der beiden war ein Lieutenant Ende zwanzig, der andere ein Fähnrich von neunzehn Jahren. Anders als Steel, der sich das lange braune Haar mit einem schwarzen Seidenband im Nacken zusammenband, trugen die beiden Kameraden elegante, wallende Perücken, die ihnen bis auf die Schultern fielen.
Der Ältere der beiden sagte ein wenig außer Atem: »Jack, Gott sei Dank! Kaum was zu erkennen in dieser trüben Suppe. Hast du überhaupt eine Ahnung, wo wir sind?«
»Ausnahmsweise muss ich gestehen, dass ich genauso verwirrt bin wie du, Henry. Aber da wir uns immer in westlicher Richtung gehalten haben, nehme ich an, dass wir uns allmählich der uns zugedachten Position nähern.«
Lieutenant Henry Hansam griff in seine Rocktasche und holte eine verzierte silberne Schnupftabaksdose hervor, nahm eine Prise und fuhr fort: »Hilf mir mal auf die Sprünge, Jack. Was genau sollen wir eigentlich in diesem verfluchten Sumpfgebiet?«
Steel zog eine Augenbraue hoch, blickte Slaughter an und zwinkerte ihm zu. »Würdet Ihr dem Lieutenant den Gefallen tun, Sergeant?«
Slaughter lächelte, wusste er doch, was Steel vorhatte. Sie hatten die Schrecken von vier Kriegsjahren gemeinsam durchlebt und waren einander in so tiefer Freundschaft verbunden, dass sie wohl einzigartig war bei einem Offizier und dessen Sergeant. Mochten viele der ranghöheren Offiziere den lockeren Umgangston bei den Grenadieren mit Argwohn oder Unverständnis quittieren – es war dieses Einvernehmen zwischen einem Captain und seinem Sergeant, das dieser Kompanie innerhalb der Armee den Ruf der Unbesiegbarkeit gesichert hatte. Wann immer Steel und Slaughter in die Schlacht zogen – der Feind konnte ihnen nichts entgegensetzen, dem sie nicht gewachsen gewesen wären.
Slaughter wusste, dass Steel den gutmütigen Hansam gern neckte, und kostete die Gelegenheit nun aus, seinem Captain beizuspringen. Daher versetzte er sich in die Rolle eines respektablen Corporals.
»Nun, wie Ihr Euch gewiss erinnert, Mr. Hansam, Sir, kam der Befehl direkt vom Herzog. Und wir erhielten die Order von Lord Orkney. Rechte Flanke unter Druck setzen, sagt er. Es könnte sein, dass Ihr den Boden ein bisschen zu weich vorfinden werdet. Genau das sagte er, Sir.«
»Ein bisschen weich? Weich? Gottverdammt, Jack, wir rücken hier in einem verfluchten Marschland vor. Die Männer stecken im Schlamm fest. Weiß der Himmel, wie viele der Jungs schon ihre Waffen in diesem Sumpf verloren haben. Das ist doch Irrsinn.«
Steel lächelte. Dann wandte er sich an den jüngeren Offizier. »Williams, Ihr habt gehört, was Lieutenant Hansam sagt. Lauft los und richtet Mylord Orkney aus, er habe uns … äh … dem Irrsinn aufgeliefert. Seid so gut, Fähnrich.«
Williams erwiderte das Lächeln, blieb aber stehen.
Hansam runzelte die Stirn. »Ach, verdammt, Jack. Du weißt doch, wie ich’s meine. Kein General, der bei Verstand ist, würde seine Armee in einem Sumpfgebiet wie dem hier vorrücken lassen.«
Steel musste lachen und klopfte seinem Freund auf die Schulter. »Natürlich, Henry, du hast vollkommen recht. Du und ich, wir beide wissen, dass unser Oberbefehlshaber, Seine Hoheit der Herzog von Marlborough, der brillanteste Feldherr unserer Tage ist. Sei ehrlich, würdest nicht auch du ihm bis in den Tod folgen? Jeder aus unseren Reihen würde das tun. Natürlich ist es nicht ganz nachvollziehbar, warum man die Infanterie durch ein Marschland in die Schlacht schickt. Aber wann hat Marlborough sich im Kampf je an althergebrachte Regeln gehalten? Haben wir vielleicht Blenheim auf die alte Art der Kriegsführung gewonnen? Oder am Schellenberg? Aber egal, wo zum Teufel steckt unsere Kompanie?«
Er schaute sich um und versuchte, weitere Männer aus der Grenadierabteilung in dem Nebel auszumachen. Seine Soldaten waren die größten Männer im ganzen Regiment, daher war es nicht allzu schwierig, sie auszumachen. Steel entdeckte je zwei Mann links und rechts von sich; die roten Uniformen waren sogar bei diesen schlechten Sichtverhältnissen zu erkennen. Aber weiter hinten in den wabernden Schwaden blieben nur Schemen und Stimmen. Irgendwo dort auf dem linken Flügel stapften die übrigen neun Kompanien des Regiments durch den Sumpf. Dahinter wiederum folgte der Hauptteil der alliierten Armee unter der Führung von Marlborough. Die Tradition sah vor, dass den Grenadieren die Ehre zuteil wurde, am äußersten rechten Flügel des Bataillons vorzurücken. Und da Farquharsons Männer die rechte Flanke bildeten, fand Steel sich mit seiner Kompanie ganz rechts außen wieder. Doch in diesem Moment hatte er das Gefühl, er und seine Männer könnten genauso gut auf einem anderen Kontinent sein.
Als Hansam spürte, dass die Prise in der Nase zu kitzeln begann, nieste er und sprach dann gedämpft durch sein Taschentuch. »Du hast natürlich recht, Jack. Aber wir marschieren jetzt schon seit gut zwei Stunden durch diesen elenden Nebel. Die ganze französische Armee könnte wenige Yards vor unserer Nase sein.«
Slaughter hüstelte respektvoll. »Oh, nein, Sir. Wir haben das Wort Seiner Lordschaft, dass die Franzosen noch ein gutes Stück von uns entfernt stehen. Auf der anderen Seite des Dorfes, Sir.«
»Ein Dorf?«, hakte Steel nach.
»Ja, ein Dorf. Wenn der Nebel nicht wäre, könntet Ihr es direkt dort hinten sehen.« Vage deutete der Sergeant in eine Richtung. »Das Dorf Autre-Église. Unser Zielort.«
Hansam spähte durch die Nebelschwaden. »Verdammt seltsamer Name.«
Nun meldete sich Tom Williams zu Wort, der junge Fähnrich der Kompanie, der bislang geschwiegen hatte. »Das bedeutet ›andere Kirche‹ auf Französisch, Sir.«
Hansam bedachte den jüngeren Offizier mit einem nachsichtigen Lächeln. »Habt Dank, Williams. Aber das war mir bewusst. Trotzdem, sehr aufmerksam von Euch.«
»Wo vermutet Ihr denn die erste Kirche, Tom?«, fragte Steel.
Hansam lächelte und nutzte die Gelegenheit. »Natürlich in einem anderen Dorf, Jack, ist doch klar. Autre, Autre-Église vielleicht.«
»Sehr lustig, Henry. Aber jetzt sollten wir den Kameraden folgen, findest du nicht? Es steht ihnen nicht zu, dass sie vor uns auf die Franzosen stoßen, oder?«
Während die Offiziere sich wieder den Männern aus dem Zug anschlossen und weiter über den trügerischen Untergrund stapften, musste Steel darüber nachdenken, wie sich im Leben manch ein Kreis schloss. Zwei Jahre war es her, dass er das Gemetzel von Blenheim überlebt hatte. Der blutige Feldzug in Spanien lag gerade ein Jahr zurück, aber schon fand Steel sich auf flandrischem Boden wieder, und genau hier hatte er als junger Soldat begonnen. Die britische Armee schien sich immer in Flandern aufzuhalten. Bei dem gottverlassenen Ort Steenkerke hatte er zum ersten Mal das Schlachtengetümmel erlebt … damals, als er noch ein Fähnrich von siebzehn Jahren war.
Seither gehörte er schon vierzehn Jahre dem Regiment an, und natürlich wusste er, warum sie wieder hier in diesem Gebiet standen. Marlborough brauchte unbedingt einen Sieg. Blenheim schien eine halbe Ewigkeit her zu sein, und die niederländischen Alliierten wurden allmählich rastlos. Im vergangenen Jahr hatten sie keine Triumphe in den nördlichen Territorien feiern können. Stattdessen endloses Marschieren. Zugegeben, sie hatten die massiv befestigten französischen Linien durchbrochen, die sich durch Flandern und Brabant zogen. Aber nie hatten sie Gelegenheit gehabt, diese Erfolge mit einem Sieg in einer offenen Feldschlacht zu krönen. Steel wusste genau, dass Marlboroughs Feinde in London erneut gegen den Herzog intrigierten. Die einzige Antwort auf diese Machenschaften war ein Sieg. Daher waren sie bis hierher marschiert, um die Franzosen zu schlagen, auch wenn es bedeutete, diesen elenden Sumpf durchqueren zu müssen. Doch Steel richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Gegenwart und machte sich bewusst, dass ihre Angriffsformation bei jedem Schritt ungeordneter wurde.
Er wandte sich an seinen Sergeant. »Die Reihen geschlossen halten, Sergeant. Wir können es uns nicht leisten, Leute zu verlieren, noch ehe wir auf den Feind gestoßen sind.«
»Da habt Ihr recht, Mr. Steel.«
Steel seufzte. »Versucht doch, mich einfach nur mit ›Sir‹ anzusprechen, Jacob. Gönnt mir doch, dass ich als Captain auftreten kann.«
Nach der Schlacht von Blenheim war Steel von Marlborough persönlich zum Captain ernannt worden, aber die Ernennung war noch nicht rechtskräftig und musste noch vom Kommandeur in den Räumen der Horse Guards in London ratifiziert werden. Das alles war inzwischen zwei Jahre her, und Steel hatte die Hoffnung fast aufgegeben. Er konnte nur vermuten, dass er bei Hofe in Ungnade gefallen war, und nach dem Grund dafür brauchte er nicht lange zu suchen: Er hatte eine Geliebte in London – falls das die richtige Bezeichnung für eine Dame war, die er schon seit Langem nicht mehr liebte. Arabella Moore war eine eifersüchtige Frau, zehn Jahre älter als er, und stand der Königin gefährlich nahe. Ja, Arabella könnte durchaus dafür verantwortlich sein, dass man ihm bislang den Rang eines Captains offiziell vorenthalten hatte.
Zweifellos hatte Arabella von der romantischen Affäre erfahren, die Steel während des Blenheim-Feldzuges mit einer hübschen Bayerin gehabt hatte. Damals hatte er gehofft, mit dieser jungen Frau glücklich werden zu können. Aber jetzt war Louisa Weber unerreichbar für ihn. Bei seiner Rückkehr aus Spanien hatte er erfahren, dass sie einen Offizier der Royals geheiratet hatte. Nun, der Wahrheit halber war auch Steel ihr nicht allzu treu gewesen; daher war es vermutlich am besten so. Aber die ganze Geschichte hatte Arabellas Eifersucht geschürt und ihren immerwährenden Groll geweckt. Eins schien klar: Wenn sie ihn schon nicht haben konnte, setzte sie alles daran, dass er in der Armee keine Karriere machte.
Was, überlegte Steel, musste er jetzt wohl tun, um auch auf dem Papier die Beförderung zu bekommen, die er sich verdient hatte und nun so dringend benötigte? Die Prämien von Blenheim und alles, was er in den Gefahren des letzten Feldzuges hatte zusammenraffen können, waren schnell aufgebraucht gewesen. Schon sehr bald wäre er wieder ernsthaft verschuldet. Dann würde ihm erneut der beflissene Regimentsadjutant Major Frampton im Nacken sitzen und ihm offene Rechnungen aus der Offiziersmesse unter die Nase reiben. Steel hoffte, dass sich in der bevorstehenden Schlacht eine Gelegenheit ergab, Geld und Ruhm zu ernten. Denn seiner Erfahrung nach gab es das eine selten ohne das andere. Und keins von beidem ließ sich ohne die Gefahren erlangen, denen Steel nun so hilflos ausgeliefert war.
Denn trotz seiner Furcht vor den Phantomen im Nebel wusste er, was ihn zum Soldaten gemacht hatte: der Nervenkitzel, dem Schicksal wieder einmal entwischt zu sein. Jeden Augenblick könnte er getötet oder furchtbar verstümmelt werden, doch nach einer Schlacht stellte sich stets jene unvergleichliche Hochstimmung ein … jener schwindelerregende Augenblick der Gewissheit, dass man dem Tod erneut ein Schnippchen geschlagen hatte.
Ja, er brauchte wieder eine Gelegenheit, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen, um die Aufmerksamkeit Marlboroughs zu erregen … vielleicht sogar die der Königin. Nur so würde er offiziell zum Captain ernannt.
Eine Stimme holte ihn ins Hier und Jetzt zurück. Slaughter spannte den Hahn seiner Muskete. »Ein Reiter, Sir. Kommt von links.«
Erneut schloss sich Steels Hand instinktiv um den Griff seines Degens. Er war bereit, die Waffe zu ziehen.
Der Kavallerist ritt geradewegs durch den Nebel auf sie zu. Steel gewahrte einen scharlachroten Uniformrock, aber da er wusste, dass auch die Franzosen ihre besten Reitereinheiten mit roten Uniformen ausstatteten, konnte er sich noch nicht entspannen. Deshalb zog er den Degen weiter aus der Scheide. Slaughter hob die Waffe und zielte. Erst als der Reiter auf zehn Yards herangekommen war, erkannten sie, dass er seinen Säbel nicht gezogen hatte. Augenblicke später fiel ihr Blick auf die grüne Kokarde, die an dem Dreispitz hing: Das vereinbarte Zeichen der Alliierten für den Feldzug. Steel wusste, dass der Mann ein junger Cornet war, ein Lieutenant der englischen Kavallerie.
Der Reiter brachte sein Pferd zum Stehen, nahm den Hut zum Gruß ab und sprach in unüberhörbar arrogantem Ton, was seine Stellung als Flügeladjutant unterstreichen sollte. »Cornet Hamilton, Sir. Aus dem Generalstab. Ich bringe Befehle von Lord Orkney für Colonel Farquharson. Könntet Ihr mich zu ihm geleiten? Wo hält er sich auf?«
Steel hatte dafür nur ein Lächeln übrig. Er deutete in den Nebel. »Ich fürchte, da können wir beide nur raten, Cornet. Ihr könnt die Befehle getrost an mich weitergeben. Captain Steel – ich kommandiere Farquharsons Grenadierkompanie.«
Hamilton schaute kritisch drein und wägte seine Optionen ab. »Also gut. Euer Regiment soll augenblicklich Halt machen, Captain. Ihr seid zu weit vorgerückt. Die Franzosen stehen unmittelbar hinter diesem Feld. Mindestens zehn Bataillone, soweit wir es abschätzen können. Ihr werdet Euch hier formieren. Keinen Schritt weiter.«
Steel nickte. »Habt Dank.« Dann wandte er sich Williams zu, der aus dem Nebel auftauchte. »Mr. Williams, haltet Ausschau nach dem Colonel. Sagt ihm, wir müssen sofort Halt machen und in Linienformation Aufstellung nehmen.«
Während der Fähnrich linker Hand in Richtung Regiment eilte, setzte Hamilton seinen Hut wieder auf und wendete sein Pferd. Steel sah, wie er langsam im Nebel verschwand, und hatte ihn bald ganz aus den Augen verloren.
***
Etwa hundert Yards weiter links ritt Cornet Hamilton in leichtem Trab an den Reihen der Rotröcke vorbei, die inzwischen in ihren Regimentern abwartend auf der kleinen Anhöhe standen. Als er sich den hinteren Formationen näherte, wurde der Nebel allmählich lichter. Schließlich erreichte Hamilton die Kuppe einer Anhöhe. Von dort konnte man selbst durch die grauen Wolken erahnen, dass die gesamte alliierte Armee sich weiter unten verteilt hatte. Langsam ritt er an einem Regiment niederländischer Infanterie entlang und entdeckte eine Gruppe berittener Offiziere, von denen einige versuchten, sich einen besseren Überblick mit ihren Fernrohren zu verschaffen. Rasch und möglichst unauffällig ging er die Gesichter der Herren durch und entdeckte schließlich den Mann, den er suchte. Er zügelte sein Pferd, grüßte vorschriftsmäßig und sprach den Gesuchten leise an.
Ganz in der Nähe, jedoch außer Hörweite, ließ ein Mann in scharlachrotem Uniformrock, an dem die Schärpe des Hosenbandordens zu erkennen war, seinen Blick über die Ebene schweifen. Er hatte durchdringende grüne Augen und trug einen golden verzierten Hut auf einer teuren, schulterlangen Perücke. John Churchill, der Herzog von Marlborough und Oberbefehlshaber der alliierten Armee, sprach den Offizier an, der unmittelbar neben ihm stand: William Cadogan, seinen vertrauenswürdigen Generalquartiermeister.
»Wisst Ihr, William, ich wünschte, wir wären nach Italien marschiert, wie ich es ursprünglich geplant hatte. Aber ich glaube dennoch, dass wir die Franzosen heute schlagen werden. Deshalb darf ich mich nicht beklagen. Und Ihr müsst zugeben, dass diese Felder sich eignen. Was meint Ihr, Feldmarschall Overkirk? Wird dies Euren Niederländern zusagen?«
»Wir werden die Franzosen bekämpfen, wo immer sie stehen, Euer Hoheit. Diese Position ist so gut wie jede andere, um die Klingen mit dem Feind zu kreuzen. Meine Männer werden Euch nicht enttäuschen.«
»Dessen bin ich sicher, Feldmarschall. Ich vertraue Euren Soldaten ganz und gar.« Er wandte sich wieder Cadogan zu. »Ist es nicht so, William? Wir schätzen unsere niederländischen Alliierten genauso hoch ein wie unsere eigenen Jungs, nicht wahr?«
Cadogan war im Begriff, etwas zu erwidern, wurde jedoch von einem kleinen, dunkelhaarigen Mann unterbrochen, der einen blauen Mantel im Stil eines Zivilisten trug. Er saß auf einem braunen Pferd neben dem Herzog.
Mijnheer Sicco van Goslinga, der unlängst eingetroffene niederländische Deputierte im Generalstab des Herzogs, war in Gedanken versunken. Jetzt zeichneten sich Furchen auf seiner Stirn ab. Er schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, Euer Hoheit, aber ich kann Eure Meinung nicht in jedem Punkt teilen. Es ist nicht ratsam, dort am rechten Flügel aufzumarschieren. Der Boden besteht vorwiegend aus Marschland. Es wäre Irrsinn, Infanterie über ein Gelände mit Hecken, Gräben und sumpfigen Stellen zu schicken. Da werdet Ihr mir doch beipflichten, Sir?«
Marlborough lächelte. »Dank für Euren Rat, Mijnheer. Ich nehme es zur Kenntnis. Und sollte es wirklich Irrsinn sein, gebe ich Euch mein Wort, dass ich sofort einen Arzt aufsuche, wenn das Unterfangen scheitern sollte.«
Cadogan war bemüht, sein Lächeln zu verbergen.
Derweil schenkte der Herzog seine Aufmerksamkeit dem Mann zu seiner Linken. »Gibt es schon Nachrichten vom rechten Flügel, Hawkins? Sind Lord Orkneys Männer auf ihren Positionen?«
Colonel James Hawkins unterbrach sein Gespräch mit Cornet Hamilton und nickte in Marlboroughs Richtung. »Ja, Sir. Habe es eben von dem Cornet hier erfahren. Die Männer formieren sich in diesem Moment oberhalb des Dorfes. Eure rechte Flanke ist sicher, Euer Hoheit. Obwohl ich soeben von Hamilton gehört habe, dass wir die Infanterie gerade noch rechtzeitig erreicht haben. Denn sonst wären sie bereits auf die Franzosen gestoßen.«
Der Herzog lachte. »Sie werden den Gegner schon früh genug treffen, James. Das wäre im Augenblick alles.«
***
Eine halbe Meile weiter die Reihen entlang, rechts von Marlborough, standen wiederum Offiziere vor ihren Männern. Steel spähte über die Ebene. Endlich löste der Nebel sich auf; allmählich wurde die Landschaft sichtbar. Im Verlauf des Formierens war die Kompanie knapp fünfzig Yards zurückgefallen und befand sich auf etwas festerem Untergrund. Steels Blick fiel nun auf noch grüne Kornfelder: ein offenes, leicht hügeliges Land, fast ohne Hecken oder Mauern.
»Gutes Terrain für die Kavallerie, Jack«, ließ sich Hansam vernehmen. »Die Pferde werden ihren Spaß haben.«
»Das mag sein, Henry, aber für uns sieht’s verdammt mies aus. Wir sollen das Dorf einnehmen, und soweit ich es beurteilen kann, wird die französische Artillerie loslegen, sobald wir den ersten Schritt machen. Und nirgends ein Graben, in dem man Schutz suchen kann. Nichts, um eine Kanonenkugel aufzuhalten, die sich in unsere Reihen fressen wird. Ich frage mich, ob unsere Geschütze es ihnen nicht gleichtun werden.«
Unterhalb ihrer Stellung auf der Anhöhe schlängelte sich ein Fluss durch die Kornfelder, deren junge Ähren sich sanft im Wind wiegten. Jenseits des Marschlands, das hier und da bis an die Ufer heranreichte, stand die gesamte französisch-bayerische Armee auf einer Frontlänge von vier Meilen. Weiße und blaue Uniformen, so weit das Auge reichte, hier und da unterbrochen von rot gekleideten Einheiten: einerseits die von Frankreich bezahlten irischen Söldner – die »Wild Geese« –, andererseits die Elitekavallerie von König Ludwig, die gefürchteten »Gens d’Armes«. Die ganze Schlagkraft Frankreichs. Wir haben die Linien schon in Blenheim durchbrochen, ging es Steel durch den Kopf. Warum sollte es ihnen also nicht an diesem Tag gelingen?
»Sieht ganz so aus, als wären hier noch mehr Gegner als damals in Blenheim, Sir«, meldete sich Williams zu Wort.
»Da mögt Ihr recht haben, Tom. Es heißt, König Ludwig habe eine halbe Million Männer unter Waffen.«
»Aber wir werden sie erneut schlagen, Sir. Da bin ich mir sicher.«
Steel lächelte und klopfte dem Fähnrich auf die Schulter. »Ja, Tom, da schließe ich mich Eurer Meinung an. Aber kümmert Euch jetzt um die Männer. Sie sollen nicht zu lange strammstehen. Gebt den Befehl zum Rühren.«
Während Williams sich seinen Aufgaben zuwandte, betrachtete Steel den Boden genauer. Er hatte seit einigen Minuten das Gefühl, dass sein rechter Stiefelabsatz in den weichen Untergrund einsank. Er fluchte und zweifelte an Williams’ Einschätzung. Nicht auch noch hier! Das ganze Terrain war sumpfig, verdammt noch mal! Wie stellte Marlborough sich das bloß mit dem Vorrücken vor?
Steel versuchte, das Gleichgewicht zu halten, denn er wollte sich vor den Männern keine Blöße geben, als er sich ein wenig bückte und mit beiden Händen versuchte, seinen Stiefel aus dem Matsch zu ziehen, wobei er leise fluchte. Schließlich zog er ein letztes Mal kräftig und hörte, wie der Stiefel mit einem schmatzenden Geräusch freikam. Er schüttelte den Kopf, wischte mit einer Hand den gröbsten Schlamm weg und warf einen zögerlichen Blick über die Schulter.
Slaughter beobachtete ihn mit einem Grinsen. »Ihr seid wie ich, Sir. Das Frühstück war wohl zu üppig. Manchmal weiß man nicht, wann man aufhören soll. Ist immer so vor einer Schlacht. Sind die Nerven.«
»Jacob, wenn ich mal Euren Rat hinsichtlich meiner Essgewohnheiten brauche, sage ich Euch Bescheid. Es liegt am Boden, Mann. Seht Ihr das denn nicht? Alles weich. Selbst hier.«
Der Sergeant stampfte mit einem Fuß auf und schien festen Untergrund zu spüren, da der Boden nicht nachgab. »Also ich finde, hier ist’s fest genug.«
Steel war nicht in der Stimmung für kleine Sticheleien. »Maul halten, Jacob. Und jetzt sorgt gefälligst dafür, dass die Jungs in Reih und Glied bleiben.« Er hielt inne und fügte versöhnlicher hinzu: »Wir müssen uns schließlich für die feindlichen Geschützführer etwas herausputzen, Jacob.«
Mit diesen Worten schaute er wieder nach vorn und suchte die feindlichen Linien mit kritischem Blick ab. In der Mitte sah er eine Rauchwolke aufsteigen, und Sekunden später durchbrach ein einzelner Kanonendonner die Stille. Steel verfolgte, wie die Kugel von den französischen Reihen aufstieg und in gebogener Flugbahn auf das alliierte Zentrum zuhielt. Hansam griff derweil in seine Tasche und holte die goldene Sprungdeckeluhr hervor, die er bei Blenheim einem toten bayerischen Offizier abgenommen hatte. Es war einer der wenigen Zeitmesser im Kreis der Regimentsoffiziere. Obwohl die Uhr nicht genau ging, stellte sie doch Hansams bedeutendstes Beutestück dar. Mit dem Daumen schnippte er den Deckel hoch.
»Ein Uhr. Wer hätte gedacht, dass die Franzmänner so pünktlich sein würden! Was meinst du, Jack? Sagst du nicht immer, die Franzosen wären Müßiggänger? Na, meistens stimmt’s wohl.« Er ließ die Uhr wieder in seiner Westentasche verschwinden.
Steel lächelte und schüttelte den Kopf. »Unterschätze nie den Feind, Henry. Den Franzosen liegt vielleicht mehr am Essen und den Frauen als am Kampf, aber wir sollten nicht vergessen, dass sie genauso gut zu kämpfen verstehen wie wir, wenn’s drauf ankommt.«
Kaum war das Echo der französischen Kanone verklungen, als auch schon die Batterie aus sechs englischen Zwölfpfündern im Zentrum der Alliierten antwortete. Ein wahrer Hagel aus Eisenkugeln regnete auf die feindliche Infanterie herab. Steel hatte den Eindruck, dass die gegnerische Batterie im selben Augenblick feuerte; daher beobachtete er gebannt, wie die Kugeln kreuz und quer durch die Luft sausten und im Flug eine Art Tanz zu vollführen schienen. Diesen Flugbahnen wohnte eine nicht zu leugnende Schönheit inne. Doch der erbauliche Anblick währte nur kurz, denn die Schrecken der Wirklichkeit ließen nicht lange auf sich warten. Steel schätzte die Entfernung auf etwa 1000 Yards. Eine beachtliche Strecke, aber nicht lang genug, um die alliierten Reihen vor Unheil zu bewahren.
Zu seiner Rechten rief Slaughter grollend einen Befehl. »Ruhig Blut.«
Steel sah, wie die schwarzen Punkte der sechs Kanonenkugeln größer wurden, als sie heranflogen. Wie immer, so schien ihr Anflug sich zu verlangsamen, bis die wahre Wucht hinter den Geschossen erst auf den letzten fünfzig Yards deutlich wurde.
Wieder ließ sich ein grummelnder Sergeant vernehmen. »Ruhig bleiben, Männer.«
Die französischen Kanoniere hatten angesichts des sumpfigen Geländes hoch gezielt. Auf festem Untergrund waren die Kugeln besonders verheerend, wenn sie vor dem Feind aufschlugen und im Springen blutige Schneisen rissen, aber unter diesen Gegebenheiten zielten die Schützen direkt in die feindlichen Reihen. Zwei Kugeln flogen über die Köpfe der Kompanien hinweg, aber die vier anderen fanden ihr Ziel und hinterließen Bahnen der Verwüstung inmitten der Rotröcke. Einem Grenadier wurde der Kopf schlichtweg abgerissen – der blutige Schädel flog mitsamt Grenadiersmütze in die hinteren Reihen und traf einen weiteren Soldaten. Unmittelbar hinter Steel erbrach ein junger Rekrut seine Frühmahlzeit. Slaughter rief den Männern in den vorderen Reihen zu: »Reihen schließen! Die Reihen schließen, Männer! Schafft die Leiber dort fort. Ihr da, Jenkins. Bringt den Toten nach hinten.«
So begann es immer. Die Grenadiere standen in geordneten Reihen, ließen den Beschuss über sich ergehen und warteten auf den Befehl zum Angriff. Hier und jetzt musste sich jeder beweisen; hier zeigte sich, was einen Mann zum Soldaten machte. Steel wusste, dass es keine besseren Soldaten unter Beschuss gab als die Briten und keine besseren Männer als die Grenadiere. Nur so lernte ein jeder sein Handwerk.
Steel blickte linker Hand die Reihe entlang. In der Mitte des Regiments sah er die beiden Fahnen aus schillernder Seide, die in der Brise wehten – das blau-weiße Andreaskreuz Schottlands und die Fahne des Colonels: Das Wappen der Farquharsons auf rotem Grund, gekrönt von dem Schriftzug Nemo Me Impune Lacessit, »Niemand reizt mich ungestraft«. Diesen Worten werden wir heute wieder einmal Nachdruck verleihen, dachte Steel.
Vor den Standarten thronte Colonel Sir James Farquharson auf einem schwarzen Hengst, flankiert von zwei Adjutanten. Der Colonel schwenkte seinen Degen hoch über seinem Haupt.
Sir James hat in den letzten zwei Jahren dazugelernt, ging es Steel durch den Kopf. Blutüberströmt hatte er sich bei der Schlacht um Blenheim den Respekt des Bataillons verdient. Aus dem zuvor eitlen und arroganten Colonel war ein Mann geworden, der gestählt aus der Realität des Kampfes hervorgegangen war. Ein Anführer, der sich seiner Verantwortung beim Ausheben eines Regiments bewusst war. Farquharson war schlussendlich klar geworden, dass dieses Regiment, das er aus eigener Tasche bezahlt, mit Kleidung versehen, ausgerüstet und ausgebildet hatte, kein Spielzeug war, sondern eine scharf geschliffene Kriegswaffe, ein Instrument, das man schätzte und pflegte.
Ja, sagte sich Steel, du verdienst es, unser Colonel zu sein, alter Mann, und wir haben dich verdient.
Während er zum Colonel hinüberschaute, ließ Sir James den Degen sinken und zeigte mit der Spitze auf den Feind. Über den Geschützdonner hinweg vernahm Steel den Befehl, den der Wind herübertrug. »Bataillon … vorrücken!«
Kaum waren die Worte verhallt, stellten die sechs Trommler sich hinter den Grenadieren auf und gaben im Einklang mit den anderen Trommlern entlang der Linien dem Regiment den Rhythmus für den Angriff vor.
Steel spürte, dass die Männer hinter ihm unruhig wurden. Sie warteten auf seinen Befehl.
»Grenadiere, mir nach!«, rief er. »Packen wir sie uns, Jungs!«
Slaughter hielt die Männer mithilfe seiner Hellebarde – dem Spieß des Sergeants – auf einer Höhe und trieb die Truppe seinerseits an. »Kommt, ihr faulen Hunde! Vorwärts! Die warten nicht auf uns. Deswegen sind wir ja hier, oder etwa nicht? Durchbrechen wir ihre Reihen!«
Das Bataillon rückte geschlossen vor. Die Trommlerjungen gaben einen langsamen Angriffsmarsch vor; die Geschwindigkeit war gerade so bemessen, dass Ordnung in den Reihen herrschte, das Schlachtfeld aber trotzdem zügig überquert wurde. Kaum schnell genug, dachte Steel und rechnete jeden Moment damit, dass die feindlichen Kanoniere sich auf die Kompanie einschossen. Nach dem ersten Geschützdonner war eine lastende Stille eingetreten, die nun jedoch von weiteren Kanonenschüssen unterbrochen wurde. Schon sirrten die Kugeln wieder mit lautem Kreischen durch die Luft. Die Trommelschläge wurden drängender und trieben die Männer voran. Der Rhythmus blieb selbst unter dem Beschuss beharrlich.
Steel schaute kurz nach links und sah, dass die gesamte Formation von Lord Orkneys Brigade über die Ebene strömte und hügelabwärts auf den Fluss zuhielt. Den müssen wir überqueren, dachte Steel. Nur das Marschland hinter uns bringen, dann geht es besser. Bis dahin müssen wir es schaffen. War das zu viel verlangt? Lieber Gott, betete er, was auch immer du bist, gewähre mir nur diesen einen Wunsch. Mach, dass wir über den Fluss kommen und es bis zu den Franzosen schaffen. Und lass mich nicht sterben. Aber wenn ich schwer getroffen werde, dann lass mich um Himmels willen auf der Stelle tot sein. Lass mich nicht als Krüppel zurück. Lass mich leben, damit ich die Schlacht zu den Feinden tragen kann. Deine Feinde, wie es immer heißt. Die Feinde der Königin. Marlboroughs Feinde. Lass mich leben, damit ich die Franzosen töten kann.
Während Steel diese finstere Litanei im Geiste vor sich hin sprach, machte er sich bewusst, dass sie es bis zum Fuß der Anhöhe geschafft hatten und sich jetzt am Rande des Marschlandes befanden, nur noch wenige Yards vom Fluss entfernt.
Er wandte sich an Williams. »Tom, um Gottes willen, haltet die Männer zusammen. Lasst nicht zu, dass sie im sumpfigen Boden straucheln. Wir müssen die Formation halten.«
Slaughters Stimme tönte über den einsetzenden Gefechtslärm hinweg. »Aufschließen! Rechte Schulter zeigt nach vorn. Die Reihen schließen, ihr Hunde.«
Steel schaute wieder unverwandt nach vorn und murmelte weiterhin seine nutzlosen Gebete in den Hagel aus Geschossen hinein. In seinem Herzen wusste er, dass sein Schicksal vorbestimmt war … wenn er an diesem Pfingstsonntag sterben sollte, ließe sich daran auch nichts mehr ändern. Weder durch ein Gebet, noch durch sonst etwas. Aber er wusste auch, dass er noch kämpfen konnte. Und wenn das Schicksal ihn bis zu den französischen Linien vorließe, dann würde er, verdammt noch mal, alles daransetzen, damit dieser Tag nicht sein letzter auf Erden war.
Es gab einen Trick in der Schlacht, um den Körper voll zum Einsatz zu bringen, während der Geist sich von den düsteren Aussichten jeder verstreichenden Minute löste. Steel kannte diesen Kniff und hatte ihn viele Male angewendet. Aber aus einem unerfindlichen Grund entzog sich ihm der Kunstgriff an diesem Morgen. Er schwitzte inzwischen stark. Nie hatte sein Uniformrock sich schwerer angefühlt, und die Muskete, die er sich über den Rücken geschnallt hatte, schien ihn nach unten zu ziehen und seine Schritte zu verlangsamen.
Er war erleichtert, dass die eigenen Geschütze den Beschuss aufrechterhielten, aber die französische Batterie hatte keinen Augenblick geschwiegen. Und bei jedem Schritt, der ihn näher zum Feind brachte, hatte er den Eindruck, dass wieder ein rot uniformierter Kamerad in den eigenen Reihen als blutiger Klumpen am Boden liegen blieb.
Ein Stück weiter vorne links konnte er durch die dichten Pulverschwaden die hohe Gestalt von George Hamilton, des Grafen von Orkney, ausmachen – unverkennbar in dem Brustpanzer, dem Kürass. Lord Orkney hatte sich zu Fuß an die Spitze der Brigade gesetzt und schritt beherzt aus. Ein Kämpfer, der es in sich hat, dachte Steel. Ein Mann, dem jeder Offizier nacheifern würde. Orkney war nicht nur ein kluger Taktiker, er machte auch aufgrund seiner Tapferkeit von sich reden. Für Steel zählte Tapferkeit in der Schlacht fast noch mehr als die Fähigkeit militärischen Denkens.
Bislang hatten sie das sumpfige Gelände erstaunlich leicht überwunden, sodass Steel sich schon fragte, warum er an Marlboroughs Urteilsvermögen gezweifelt hatte. Natürlich hatten sie die Laufgeschwindigkeit zu Beginn nicht durchhalten können, und an einer Stelle hatte ihnen der Fluss zunächst Schwierigkeiten bereitet. Aber sie hatten ihn schließlich durchquert und sich dann ihren Weg durch die gefährlichen »Spanischen Reiter« gebahnt: eine Barriere aus horizontalen Pfählen, aus denen Bajonettspitzen in tödlichem Winkel ragten.
Inzwischen überquerten sie das Tal des Flusses Petite Gheete, der unmittelbar an dem Dorf Autre-Église vorbeifloss. Während sie sich dem Feind näherten, eröffneten französische und wallonische Scharfschützen das Feuer und dezimierten die Reihen der Rotröcke, ehe sie sich zu den eigenen Linien zurückzogen. Die meisten Schützen schienen Wallonen zu sein – Französisch sprechende Niederländer. Das Durchhaltevermögen dieser Männer ließ indes oft zu wünschen übrig und war nicht zu vergleichen mit dem bedingungslosen Eifer der französischen Infanteristen. Steel sah sich in seiner Vermutung bestätigt, als er beobachtete, wie eine ganze Kompanie Wallonen zu den französischen Linien zurückströmte.
Während die Wallonen wie die Hasen davonliefen, wogte Jubel durch die britischen Reihen. Einer der Grenadiere, Dan Cussiter, rief ihnen hinterher: »Lauft doch, ihr Tölpel! Verzieht euch bis nach Paris, ehe wir euch in den Arsch treten!«
Die Kameraden, die sich in ihrer Anspannung förmlich nach etwas sehnten, über das sie lachen konnten, stimmten in den Jubel mit ein, bis sich die donnernde Stimme des Sergeants vernehmen ließ. »Das reicht jetzt. Ihr seid selbst schneller in Paris, als ihr glaubt. Aber nicht, wenn ihr aus der Reihe tanzt. Bald ist Zeit genug zum Jubeln, Jungs.«
Es war entscheidend, jetzt die Disziplin aufrechtzuerhalten, damit die Männer in ihrer Freude über den Rückzug der wallonischen Infanterie nicht die Linien verließen, um womöglich den Fliehenden nachzusetzen. Denn Steel wusste, was sie oben auf der kleinen Anhöhe erwartete: die volle Streitmacht der französischen Kampflinien. Als die Grenadiere allmählich festen Boden unter den Füßen spürten, versuchte Steel, gegen seine innere Unruhe anzukämpfen. Und während er das tat, hörte er von weiter links einen Befehl von Major Charles Frampton: »Bataillon halt! Linienformation. Bereit machen zum Angriff.«
Der Befehl wurde von den anderen Offizieren weitergegeben, worauf die Soldaten gleichzeitig stehen blieben. Sie waren noch gut hundert Yards von den Franzosen entfernt, aber Steel war klar, dass dies nur ein Zwischenstopp sein konnte.
Er schaute sich nach Slaughter um. »Auf Befehl vorrücken, Sergeant!«
Ein Geschoss flog an seinem Kopf vorbei und grub sich in die Reihen hinter ihm. Einem Grenadier, Donaldson, einem netten Jungen aus Edinburgh, quollen die Gedärme aus dem Unterleib, einem anderen Burschen – Ned Tite – wurde ein Bein abgerissen. Als der Mann sich unter Schmerzen auf dem Boden wand und mit seinen Schreien die Kameraden verunsicherte, bedeutete Steel dem Sergeant, dafür zu sorgen, dass der Verwundete nach hinten gebracht wurde.
Lange konnten sie hier nicht mehr warten. Sie hatten schon genug aushalten müssen. Als hätte man seine Gedanken erhört, ertönte ein neuer Befehl aus dem Zentrum der Linie.
»Bataillon fertig machen zum Vorrücken. Bajonette nach vorn!«
Die mit Stahlklingen versehenen Musketen, die die Männer bislang mit den Läufen nach oben gehalten hatten, wurden nun vorgestreckt, bis sie waagerecht zum Boden waren.
»Bataillon … vorrücken!«
Abermals meldeten sich die Trommeln zurück, diesmal allerdings mit einem weniger lauten Rasseln. Es war mehr ein Klopfen, aber wenn die Feinde Königin Annes diesen Rhythmus einmal gehört hatten, erinnerten sie sich mit kalter Furcht im Herzen an das, was folgen würde. Mit grimmiger Entschlossenheit nahm das Bataillon die Anhöhe, obwohl die Kanonenkugeln weiterhin auf die Reihen herabregneten und Schneisen hinterließen wie eine riesige Sense im reifen Kornfeld. Als die Grenadiere die ersten Häuser des kleinen Dorfes Autre-Église erreichten, wurde jedem klar, dass die Franzosen nicht untätig herumgesessen hatten.
Jede Straße, jede noch so kleine Gasse, war verbarrikadiert worden, mit allem, was das Dorf zu bieten hatte: Hauptsächlich Möbel aus den Häusern und sonstiges Hab und Gut, das den Einwohnern lieb und teuer gewesen war und jetzt zu praktischen Zwecken missbraucht wurde. Die Barrieren waren zwar hastig errichtet worden, dafür aber von erfahrenen Soldaten, soweit Steel das auf die Schnelle beurteilen konnte. Tische und Stühle hatte man zusammengebunden und durch jede noch so schmale Öffnung Bajonette und Degen gesteckt – eine mit Klingen gespickte Abwehr, die kein Durchkommen zulassen sollte.
Hinter den Befestigungen warteten die Franzosen. Als die Grenadiere wie eine Woge gegen die hölzernen Barrikaden brandeten, gaben die weiß uniformierten Soldaten ihre tödlichen Salven ab. Aber das reichte nicht, um die Flut aus Rot aufzuhalten. Steel sah eine Möglichkeit, die Barriere zu überwinden, setzte einen Fuß auf ein Tischbein und sprang oben auf die Befestigung. Unter sich gewahrte er einen sonnengebräunten Franzosen, der mit dem Bajonett nach ihm stach, aber Steel war zu schnell für den Mann, wehrte den Stoß mit dem Degen ab und ließ die rasiermesserscharfe Klinge auf den Kopf des Gegners niedersausen. Die Schneide fraß sich durch den schwarzen Dreispitz und die Schädeldecke.
In Jubelstimmung drehte Steel sich kurz zu seinen Rotröcken um. »Mir nach, Grenadiere! Wir sind drin, Jungs. Tod den Franzosen!«
Steel wusste gut ein halbes Dutzend Männer hinter sich, als er sich über die Barriere schwang und in einem Gedränge aus weiß uniformierten Infanteristen landete. Die Männer waren derart verblüfft, dass zwei von ihnen sogar die Musketen fallen ließen und ins Dorf liefen. Von den Verbleibenden mussten es drei mit Steels Männern aufnehmen. Matt Taylor, ein Corporal und zudem Apotheker der Kompanie, benutzte seine Muskete wie einen Kriegshammer und schlug einem Gegner den Kolben gegen den Unterkiefer. Steel zuckte unwillkürlich zusammen, als er hörte, wie der Knochen brach. Doch er durfte sich nicht ablenken lassen, denn schon sah er sich dem größten Burschen in diesem Abschnitt gegenüber, einem hünenhaften Kerl mit Schnauzbart, offensichtlich ein Sergeant. Denn er setzte seinen Sponton wie eine Sense ein und grinste, als er sah, dass Steel ihn nicht mit dem Degen erreichen konnte. Steel ließ sich dennoch auf ein Fechtduell mit ungleichen Waffen ein, zielte nach dem hölzernen Schaft der Hellebarde und wich jedem Stoß mit geschickten Schritten aus.
Der Hüne schlug indes zu unkoordiniert mit der spitzen Pike nach Steel, der die Waffe des Mannes wie einen Degen behandelte. Nach einem Ausfallschritt nach links nutzte er eine Lücke in der Defensive des Gegners, machte den entscheidenden Satz nach vorn und stieß dem Franzosen den Degen in die Brust. Der Mann hatte noch zum Schlag ausgeholt, hielt wie gelähmt inne und starrte den hochgewachsenen britischen Offizier entgeistert an. Das Blut quoll ihm aus dem Mund, als er tot zu Boden sank.
Steel zog die Degenspitze aus der Brust des Toten und verschaffte sich einen Überblick. Weiter links war es anderen Grenadieren gelungen, ins Dorf einzudringen. Die französischen und wallonischen Linien wurden immer weiter zurückgedrängt. Steel wandte sich an seine Leute. »Das Dorf ist unser! Gut gemacht, Jungs!« Dann hielt er Ausschau nach Slaughter und entdeckte ihn wenige Schritte entfernt. »Die Männer sollen einen Moment verschnaufen, Sergeant. Aber stellt Wachen auf. Die kommen zurück. Verlasst Euch drauf.«
Slaughter warf ihm ein Grinsen zu. »Das war ein guter Kampf, Sir. Habt Ihr gesehen, wie die davongerannt sind?«
»Ja, sie sind auf und davon. Aber wir haben bei dem Angriff ganz schön bluten müssen. Wie sehen unsere Verluste aus, Jacob?«
»Schwer zu sagen, Sir. Ich weiß, dass einige der Jungs schon bergab zu Boden gingen, und ich schätze, dass wir noch einmal halb so viele im Gefecht verloren haben.«
»Das dachte ich mir.« Steel war ernüchtert.
Dennoch, nach Steels Dafürhalten musste man bei einem Frontalangriff mit dreißig Prozent Verlust rechnen; ein Drittel davon wiederum würde es wohl nicht überlebt haben. Also zehn Tote allein aus seiner Kompanie, und der Tag war noch jung. Wer, so überlegte er, mochte alles gefallen sein? War Williams getroffen worden? Oder Hansam? Steel wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und schaute sich um. Seine Befürchtungen bestätigten sich nicht, denn aus einer nahe gelegenen Straße löste sich in diesem Augenblick der junge Fähnrich. Er hatte eine Schnittwunde am Arm; sein Ärmel war blutgetränkt, sein Gesicht auffallend blass.
»Tom? Seid Ihr schwer verwundet?«
»Nicht schlimm, Sir. Ein Kratzer. War ein französischer Offizier. Ich hab ihn ins Jenseits befördert. Eigentlich schade. War ein guter Fechter.«
Er zuckte zusammen, als der Schmerz im Arm in den Vordergrund trat, war aber um ein Lächeln bemüht. Steel ahnte, dass die Wunde zwar tief, aber nicht lebensbedrohlich war.
»Ich schicke Euch nach hinten, Tom. Lasst Euch verbinden, ehe die Wunde sich entzündet. Den Arm wollt Ihr doch noch ein Weilchen behalten, oder?«
Williams nickte und zog sich in Richtung der hinteren Reihen zurück.
»Aus dem wird noch was«, meinte Slaughter und sah dem Fähnrich nach. »Könnte eines Tages General sein.«
»Wenn er so lange überlebt, Jacob.«
Von weiter links kam eine hochgewachsene Gestalt auf sie zu – ein ranghöherer Offizier. Die markanten Gesichtszüge von Lord Orkney waren unverkennbar. Blut klebte an seinen Breeches, und er hatte seine Schärpe im Getümmel verloren. Ansonsten war der jung gebliebene, vierzigjährige General offenbar unverletzt.
»Sergeant, lasst die Männer antreten. Offizier naht.«
»Offizier kommt, Jungs. Stillgestanden!«
Die Grenadiere strafften die Schultern und stellten sich in drei Reihen auf.
Orkney nickte Steel zum Gruß zu. »Gut gemacht, Captain.«
»Habt Dank, Lord Orkney. Aber ich muss mich bei meinen Männern bedanken. Bei meinen Grenadieren, Sir.«
Orkney musterte Steel und sah ihm in die Augen. »Captain Steel, nicht wahr? Der Held von Blenheim? Nun, wer auch immer Anspruch auf den Ruhm hat, Ihr habt es heute so gut gemacht wie damals. Wir haben das Dorf, und ich bin nicht gewillt, es leichtfertig aus der Hand zu geben. Ich habe Euren Colonel in der Mitte der Stellung gelassen. Trommelt Eure Grenadiere zusammen und begebt Euch zu den First Guards und General Fergussons Regiment. Positioniert Euch am Rand des Dorfes, so nah wie möglich an den französischen Linien. Eure Männer sollen Barrikaden errichten. Wenn die Franzmänner wiederkommen, was sie gewiss beabsichtigen, dann wollen wir es ihnen mit gleicher Münze heimzahlen, wie?«
»Ganz recht, Mylord. Ihr könnt Euch auf uns verlassen.«
Orkney war im Begriff, Steel weiter zu gratulieren, als beide Männer sahen, dass fünf Reiter aus Richtung der Alliierten herankamen. Sie alle trugen die eleganten und prächtigen Uniformen des Generalstabs und schienen persönliche Berater zu sein. Ein Anblick, den es auf dem Schlachtfeld nicht alle Tage gab.
»Was haltet Ihr davon, Captain Steel? Eine Gruppe junger, stadtbekannter Gentlemen, die gekleidet sind, als erwartete man sie bei Hofe? Bei Gott! Sehe ich da etwa rote Absätze? Was hat das zu bedeuten?«
»Ich weiß es nicht, Mylord. Aber ich wage die Behauptung, dass wir es bald erfahren werden.«
Die Reiter hielten vor Lord Orkney an. Die beiden ersten stiegen ab. Steel kannte einen von ihnen: Benjamin Harley, ein Flügeladjutant von Marlborough. Der junge Mann zelebrierte eine übertrieben tiefe Verbeugung vor Orkney. Als er zu sprechen anhob, klang seine Stimme unerwartet leise, was nicht recht zu dem Lärm des Gefechts zu passen schien, das außerhalb des Dorfes weitergeführt wurde.
»Mylord. Ihr sollt unverzüglich vom Feind ablassen und Euch zweihundert Yards zurückziehen.«
Orkneys buschige Brauen schnellten hoch. Seine Augen weiteten sich, und sein Gesicht nahm die Farbe seines scharlachroten Uniformrocks an. Einen Moment lang war er sprachlos. Schließlich – der Berater wartete geduldig – fand er seine Stimme wieder. »Ablassen vom Feind? Rückzug? Seid Ihr von Sinnen, Sir? Wir haben das Dorf erobert. Dieser Boden hier gehört uns. Und, so Gott will, gehört uns am Ende des Tages auch der Sieg. Ich werde nicht zurückweichen, Sir. Auf gar keinen Fall.« Den letzten Worten wohnte unüberhörbare Verachtung inne. »In wessen Namen bringt Ihr mir diesen Befehl, Sir?«
Der Berater setzte ein selbstgefälliges Lächeln auf. »Ich handele auf Geheiß Lord Marlboroughs, Mylord. Es ist sein ausdrücklicher Wunsch, dass Ihr Euch möglichst rasch vom Feind zurückzieht und zu Eurem Ausgangspunkt zurückkehrt.«
Orkney sah den Mann ungläubig an. Einen Moment lang glaubte Steel, der General würde den jungen Berater schlagen. Und auch in Steel regte sich Unmut. Das war wirklich ein starkes Stück. Dem Herzog vertraute er, würde ihm bis ans Ende der Welt folgen. Aber einen Befehl von einem jungen Flügeladjutanten entgegenzunehmen, ohne weitere Erklärungen, widerstrebte selbst Steel. Zumal der Befehl glatter Unfug zu sein schien. Orkney machte einen Schritt auf den Berater zu.
Steel sah, dass der junge Mann mit der Hand seinen Degenknauf umschloss. Das roch nach Ärger. Jetzt war nicht die Zeit für derartige Auseinandersetzungen. Rasch meldete sich Steel zu Wort: »Sir – wenn die Order direkt vom Herzog kommt, denkt Ihr dann nicht, dass es vernünftig wäre, den Befehl zu befolgen? Ganz gleich, wie ärgerlich das für Euch ist?«
Orkney wandte sich mit feurigem Blick Steel zu. »Captain Steel, Euren Rat brauche ich nicht. Ich … und Ihr, Steel, wir beide haben gute Männer auf dem Weg hierher verloren. Diese Männer ließen ihr Leben für dieses Dorf. Wollt Ihr diese Soldaten verhöhnen? Wir ziehen uns nicht zurück. Wie könnt Ihr Euch auf diesen Irrsinn einlassen? Wir sind hier die Sieger, verdammt. Wir haben unser Ziel erreicht. Und wir halten diese Stellung. Ich gebe keinen Zoll breit davon preis, selbst wenn Mylord Marlborough es so wünscht.«
»Mylord, nie würde ich einen meiner Männer verhöhnen, Sir«, beteuerte Steel, »sei er tot oder lebendig. Aber es ist ein Befehl, Lord Orkney.«
Der Graf hatte sich nun wieder unter Kontrolle und wandte sich erneut dem Adjutanten zu, der sehr blass aussah. »Was ist Sinn und Zweck dieses Vorhabens? Die Einsatzregeln besagen klar, dass es die Pflicht jedes Kommandeurs ist, die Schlacht zu gewinnen. Und da wird nicht nach Lust und Laune klein beigegeben, sobald Boden erobert wurde. Aus welchem Grund könnte Lord Marlborough den Wunsch verspüren, mich zum Rückzug zu bewegen?«
Inzwischen waren auch die anderen Adjutanten von ihren Pferden gestiegen. Einer von ihnen, der ein wenig älter als Harley zu sein schien, trat vor und ergriff das Wort. »Entschuldigt, meine Herren. Lieutenant Greville Bennett, Mylord. Es handelt sich um keinen Rückzug im herkömmlichen Sinne, Lord Orkney. Vielmehr um einen taktischen Rückzug.«
Orkney schlug sich mit der Faust in die Handfläche der anderen Hand. »Taktischer Rückzug?« Er spie die Worte verächtlich aus. »Marlborough schickt mir fünf seiner schmucken Jungen, um mir das mitzuteilen? Um mich zum Rückzug aufzufordern! Denn es bleibt ein verdammter Rückzug, Mann, Taktik hin oder her. Nichts anderes. Warum sollte ich …«
Abermals schnellte Harleys Hand nervös zu seinem Degen. Steel schickte sich bereits an, sich zwischen die Kontrahenten zu stellen, als aus einer Seitenstraße zwei weitere Reiter kamen. Einer von ihnen war unverkennbar William Cadogan, die rechte Hand des Herzogs von Marlborough, seines Zeichens Generalquartiermeister. An seiner Seite ritt ein anderer Offizier, der etwas beleibter als Cadogan war und älter aussah. Steel erkannte ihn auf den ersten Blick: Colonel Jack Hawkins, einer der ältesten Freunde des Herzogs, war dem Generalstab in beratender Funktion zugeordnet. Es war Hawkins gewesen, der Steels Beförderung vorangetrieben hatte. Einen besseren Mentor als den Colonel konnte er sich kaum wünschen, doch er hatte Hawkins schon seit Wochen nicht mehr zu Gesicht bekommen.
Hawkins und Cadogan ritten bis zu Orkney und stiegen ab. Cadogan begrüßte den vor Zorn bebenden General mit einem Lächeln. »Aber, aber, George. Ihr seht aus, als hättet Ihr Euch wieder einmal vergessen. Bleibt ruhig. Habt Ihr denn nicht die Instruktionen des Herzogs erhalten? Ihr sollt Euch zurückziehen und neu formieren, Mylord.«
Orkney schien zu schwanken. Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Sagt mir nicht, William, dass es der Wahrheit entspricht, was dieser … Junge hier zu melden hat. Soll ich tatsächlich dieses Dorf preisgeben? Das ist mein Sieg, Cadogan. Wir halten diese Stellung. Schaut Euch doch um.«
»Ich fürchte, dass der Befehl gilt, George. Ihr müsst wissen, Ihr seid einfach zu gut für uns und die Franzosen. Tatsache ist, dass Eure Attacke nie mehr war als eine Ablenkung, damit der Marschall seine Reserven aus dem Zentrum abzieht.«
Orkneys ohnehin ungesunde Gesichtsfarbe schien noch eine tiefere Färbung anzunehmen. »Ablenkung? Meine Attacke eine Ablenkung? Ich gebe Seiner Hoheit eine Ablenkung, verlasst Euch drauf. Sagt das diesen Männern dort, die tot auf den Feldern und den Barrikaden liegen. Sagt ihnen, warum sie sterben mussten, bei Gott.«
Cadogan schüttelte den Kopf. Dann nickte er und war im Begriff, dem Grafen beschwichtigend eine Hand auf die Schulter zu legen, doch Orkney wich einen halben Schritt zurück. »Ich weiß, George, ich weiß. Aber Tatsache ist, dass der Herzog es nicht für klug hielt, Euch oder irgendeinen seiner Kommandeure zu informieren …«
Orkney lachte trocken auf. »Nicht klug? Gottverdammt, William! Wann ist es denn überhaupt klug, anzugreifen?«
Eine französische Batterie auf einer Anhöhe hinter dem Dorf hatte offenbar die Gruppe Offiziere auf der Straßenkreuzung der Siedlung entdeckt und die Entfernung abgeschätzt. Denn nun schlugen die Kanonenkugeln gefährlich nah bei den Herren ein; Splitter von Pflastersteinen flogen durch die Luft.
Cadogan ergriff erneut das Wort, diesmal in förmlicherem Ton: »Lord Orkney, die Wahrheit ist, dass Ihr keine Kavallerie als Unterstützung habt. Schaut hinter das Dorf. Seine Hoheit hat sämtliche Reiter ins Zentrum beordert, um den Feind anzugreifen und zu vertreiben. Und so wird es kommen. Überzeugt Euch selbst. Ihr seid isoliert – wenn Ihr hierbleibt, wird man Euch einkesseln. Ihr müsst Euch zurückziehen, mein Freund, und zwar unverzüglich. Es tut mir aufrichtig leid.«
Orkney rieb sich über die Perücke und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. Schließlich blickte er den jungen Adjutanten an und nickte. »Also gut. Ich werde tun, was Ihr verlangt. Aber nur, weil Ihr direkt von Seiner Hoheit kommt und weil Lord Cadogan mich bittet. Teilt dem Herzog mit, dass ich in Kürze bei ihm sein werde, und falls ich feststellen muss, dass Ihr Euch geirrt habt, so werde ich nicht zögern, Euch dafür zur Rechenschaft zu ziehen, Gnade Euch Gott.«
Als Cadogan dem General lächelnd auf die Schulter klopfte, trat Hawkins an Steel heran. »Die beiden sind alte Freunde, Jack«, erklärte er mit einem Lächeln. »Ich versichere Euch, der Rückzug widerspricht all unseren Erfahrungen. Dennoch ergibt es Sinn, ja, die Idee ist vielleicht sogar brillant. Die Gentlemen werden sich gewiss bei einem Glas Wein versöhnen, wenn wir Marschall Villeroi erst einmal geschlagen haben.«
»Demnach sieht es so aus, dass wir siegen?«
»Kommt, Jack, ich wäre ein törichter Mann, wenn ich das sagen würde, nicht wahr? Während Ihr dieses Dorf eingenommen habt, hat dorthinten auf der Ebene ein großes Kavalleriegefecht stattgefunden. General Overkirk hat die französischen Reiter zurückgedrängt. Doch jetzt kommt der kritische Moment. Wenn dieses nächste Manöver so verläuft, wie der Herzog es sich vorstellt, dürfen wir uns, denke ich, bald als Sieger betrachten. Es ist gut, dass ich Euch gefunden habe, Jack, obwohl Euch das auch ein Ordonnanzoffizier hätte mitteilen können. Die Guards sollen hier bis zum letzten Moment im Dorf bleiben, damit der Rückzug nicht auffällt. Ihr und alle anderen Grenadiere der Brigade unter Lord Orkneys Kommando werden fortan im Zentrum benötigt, denn genau dort planen wir einen Großangriff. Begebt Euch mit Eurer Kompanie zu den Niederländern. Ich werde derweil mit Colonel Farquharson sprechen. Ihr werdet einem gewissen Major van Cutzem der niederländischen Infanterie zur Seite gestellt.«
»Ihr seid hier, um Befehle weiterzugeben? Colonel Hawkins, ich weiß, dass Ihr zu Höherem berufen seid.«
»In der Tat, Jack, Ihr habt ganz recht. Ich habe Euch für ein besonderes Vorhaben vorgemerkt. Mehr darf ich nicht dazu sagen. Da ich Euch schon gut zwei Wochen nicht mehr gesehen habe, wollte ich mich bloß davon überzeugen, ob Ihr noch am Leben seid. Passt auf Euch auf, Jack, denn in Kürze werde ich Eure Hilfe brauchen.«
Orkney war längst auf dem Weg zu seinem Stab, und als Hawkins sich wie Cadogan in den Sattel schwang, warf er noch einen Blick über die Schulter. »Oh, und Jack, ich habe ganz vergessen, Euch viel Glück zu wünschen. Aber es scheint Euch ja immer hold zu sein.«
Steel nickte mit einem Lächeln auf den Lippen. Obwohl die feindlichen Geschütze den Beschuss aufrechterhielten und die Kugeln in die nahe gelegenen Häuser krachten, schritt Steel zu Slaughter und den angetretenen Grenadieren.
»Die Männer sollen sich rühren, Sergeant.«
Hansam kam auf Steel zu und sah ihn erwartungsvoll an. »Und? Greifen wir an?«
Steel schaute zu Boden und ritzte Muster mit der Degenspitze in den Dreck. »Nein, wir ziehen ab.«
»Den Franzosen nach, Sir? Ist die Schlacht denn schon entschieden?«, wollte Slaughter wissen.
»Noch nicht ganz, Jacob. Wir sollen zurück und uns dann links halten, nicht mehr nach vorn. Unser neues Ziel ist das Zentrum.«
Hansam hatte dafür nur Kopfschütteln übrig, lachte dann und holte seine Schnupftabaksdose aus der Tasche.
»Was?«, kam es ungläubig von Slaughter. »Nach allem, was wir geschafft haben? Die Anhöhe? Das Dorf? Und all die Toten?«
»So lauten unsere Befehle. Wir werden einem niederländischen Bataillon zugeteilt. Wenn ich Ihr wäre, Sergeant, würde ich das als Ehre empfinden.«
Steel erkannte jetzt die Logik in Marlboroughs Strategie, doch er konnte immer noch nicht verstehen, warum der Herzog seinen Plan nicht Lord Orkney anvertraut hatte. Der Zorn des Generals war da nur nachvollziehbar. Wenn man einen überzeugenden Scheinangriff auf der Flanke des Feindes plante, um die Reserve herauszulocken, war es dann fair, wenn man die eigenen Soldaten in dem Glauben vorrücken ließ, der Angriff sei ernst gemeint? Aber was war in dieser neuen Art der Kriegsführung noch fair, dachte Steel, wenn jeder Kampf neue Überraschungen bereithielt. Das war ihm bereits in Bayern vor der Schlacht von Blenheim klar geworden. Seither hatte er ab und an Anzeichen dafür gesehen, dass Einstellungen sich änderten. Gewisse Einflüsse bestimmten das Handeln der Briten in jedem Schauplatz des gegenwärtigen Konflikts, von Flandern über Spanien bis nach Portugal.
Er hörte auf, Striche auf den Boden zu ritzen, und hob den Blick. »Bringt die Jungs raus, Sergeant. In Dreierreihen. Aber möglichst weitab vom Feind. Wir wollen ja den französischen Geschützführern kein einladendes Ziel bieten.«
Slaughter, der den Befehl zum Rückzug immer noch nicht verwunden hatte und innerlich kochte, ließ seine Wut jetzt an den Grenadieren aus. »Ihr habt den Offizier gehört, Männer. In Dreierreihen zum Abmarsch antreten! Und konzentriert euch, verdammt! Du da, Sullivan, pass auf deine Schritte auf, verflucht noch mal! Ich sagte, Bewegung!« Um zu unterstreichen, dass Eile geboten war, trieb er einen besonders langsamen Grenadier mit dem Spieß an. Ein Mann wie ein Baum, aber ohne viel Verstand. »Komm schon, Milligan, du Nichtsnutz. Wir wollen doch nicht, dass du zu spät zum nächsten Tanz kommst, oder? Geben wir den Franzmännern ihr Dorf zurück. Los, Beeilung jetzt, Jungs. Wir wollen sie nicht warten lassen.«
Sie marschierten linker Hand davon, folgten dem Verlauf einer schmalen Straße und verließen das Dorf in südwestlicher Richtung. Doch auch wenn sie nicht den Weg nahmen, den sie gekommen waren, so sahen sie dennoch die toten Kameraden am Boden liegen. Slaughter entging nicht, dass die jungen Männer nervöse Blicke auf die Leichen warfen. »Augen geradeaus. Ein bisschen schneller da, Tarling! Die Franzies werden nicht den ganzen Tag auf uns warten. Und du willst doch kein Bajonett im Arsch haben, oder?«