Steiniger Tod - Joachim Gruschwitz - E-Book

Steiniger Tod E-Book

Joachim Gruschwitz

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Beschreibung

Zwei Tote auf zwei Autobahnbrücken nahe Karlsruhe innerhalb von zwei Wochen: Zufall? Wurde der Karlsruher Orthopäde Dr. Paul Retzig das zweite Opfer eines unberechenbaren Killers, der wahllos Menschen auf Brücken erschießt, oder liegt der Grund für seinen plötzlichen Tod in seiner Vergangenheit? Die Angst vor einem möglichen Autobahnkiller im Raum Karlsruhe hält die Bevölkerung in Atem, die Lage spitzt sich zu. Wo ist das Motiv? Kriminalhauptkommissar Ulrich Jürgens und sein Team befinden sich im Wettlauf gegen die aufkommende Panik, bis sie auf eine heiße Spur stoßen. Was haben die Toten im Turm der Y-Burg mit dem Mordfall Retzig zu tun? Radovan Moliczek ist ein ehemaliger serbischer Elitesoldat. Welche Rolle spielt er in dem Puzzle? Warum wird der Witwer Rudolf Wack erpresst? Das Ermittlerteam glaubt, kurz vor der Lösung zu stehen, aber: nichts ist wie es scheint! Die Ereignisse überschlagen sich und die Ermittler geraten selbst in Lebensgefahr. Zwei Menschen im Strudel der Gefühle: ein spannender und pikanter Krimi in und um Karlsruhe.

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Seitenzahl: 228

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Das Buch

Ausgerechnet an seinem Geburtstag wird Kriminalhauptkommissar Jürgens, Leiter der Karlsruher Mordkommission, zum Fundort einer Leiche gerufen. Der Orthopäde Dr. Paul Retzig wurde auf einer Autobahnbrücke erschossen. Gerade zwei Wochen zuvor war auf einer nahegelegenen Autobahnbrücke ein junger Mann aus einem Auto heraus erschossen worden. Die Presse spricht deshalb vom Autobahn-Killer und die Sorge um Panik in der Bevölkerung wächst. Da weder die Spurensuche am Tatort noch die Untersuchung des Gerichtsmediziners zu einem Hinweis führen, ob der tödliche Schuss tatsächlich aus einem auf der Autobahn fahrenden Auto heraus oder von einer anderen Stelle abgegeben wurde, ermittelt das Team um Kommissar Jürgens fieberhaft in alle Richtungen.

Im Rahmen der Befragungen lernt Kommissar Lukas Glattner die attraktive Exfreundin des Opfers kennen. Obwohl es zwischen den beiden gewaltig funkt, liefert die Befragung zunächst keine neuen Erkenntnisse. Schließlich entdeckt das Ermittlerteam einen dunklen Punkt in der Vergangenheit des ermordeten Orthopäden und damit den Zusammenhang zu weiteren Todesfällen. Trotzdem stecken die Ermittlungen in einer Sackgasse, bis ein unerwarteter Fund ein ganz neues Licht auf den Fall wirft.

Der Autor

Joachim Gruschwitz, Tierarzt im Ruhestand, wurde 1953 in Stuttgart geboren und lebt seit über zehn Jahren in Karlsruhe. Als leidenschaftlicher Krimileser konnte er nach dem Ende der Berufstätigkeit damit beginnen, eigene Ideen für Krimis zu Papier zu bringen. Bis jetzt war er als Romanautor ein unbeschriebenes Blatt, »Steiniger Tod« ist sein Erstlingswerk. Die Idee zum Buch wurde inspiriert durch wahre Begebenheiten.

JOACHIM GRUSCHWITZ

STEINIGERTOD

KARLSRUHE - KRIMI

Die fiktive Handlung und die darin vorkommenden Personen sind frei erfunden. Jegliche Übereinstimmung mit existierenden, lebenden, realen Personen ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.

© 2020 Lauinger Verlag, Karlsruhe

Projektmanagement, Lektorat: Miriam Bengert

Projektassistenz: Meghan Tinneberg

Umschlaggestaltung, Bildbearbeitung, Satz & Layout: Sonia Lauinger

Korrektorat: Christina Will, Alicia Becht

Titelfoto: Highway, Creativ Commons CC0

Rückenfoto: People, Pixabay

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes (auch Fotokopien, Mikroverfilmung und Übersetzung) ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt auch ausdrücklich für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen jeder Art und von jedem Betreiber.

ISBN: 978-3-7650-2155-8

Dieser Titel erscheint auch als E-Book:

eISBN: 978-3-7650-2156-5

http://www.lauinger-verlag.de

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https://www.instagram.com/lauingerverlag/

»Die Strafe, die züchtigt,ohne zu verhüten, heißt Rache.«

Albert Camus

Inhalt

DER VORFALL

TOD AUF DER BRÜCKE

DIE BESPRECHUNG

PRAXIS GESCHLOSSEN

MIT FARBE UND STIL

SCHADENSBEGRENZUNG

DIE SÄUFERIN

DIE WOHNUNG

AUS DER SACKGASSE

HEISSE GEDANKEN

YBURG

STEINIGER TOD

GlÜCKSFUND

ALLES AUF ANFANG

ZU VIELE ZUFÄLLE

BOOGIE MAN

VERBITTERUNG

GELEGENHEIT MACHT TOTE

EIN BILD ENTSTEHT

VERGELTUNG

FITNESS-STUDIO

PFLEGEHEIM

ROSA WOLKEN

WAHRHEIT UND LÜGE

RADOVAN

DIE ERPRESSUNG

DAS VERSTECK

TEUFLISCHER AUSWEG

BÖSES ERWACHEN

INS LICHT

ENDGÜLTIGE ENTSCHEIDUNG

DIE FLUCHT

DIE BEERDIGUNG

FEIERABEND

DANKSAGUNG

DER VORFALL

SONNTAG, 3. Juni 2018

Welch ein herrlicher Frühsommermorgen! Einer jener Tage, an dem Helden geboren werden, wie der Volksmund sagt. Die frische Morgensonne haucht dem jungen Tag ihre Wärme und ihr Licht ein und lässt die Natur in saftigem Grün erstarken. Es riecht nach Blüten und frischem Gras, und überall summt und zwitschert es. Die Natur hüllt das Leben in ihren paradiesischen Zauber.

Mit geschlossenen Augen hält der Mann sein Gesicht der Sonne entgegen und nimmt die Wärme und den würzigen Duft des frischen Grases tief in sich auf. Wie er diese Augenblicke der Ruhe und Entspannung liebt! In solchen Momenten ist alles Belastende weit weg, das Leben scheint so einfach, so hell und klar. Er stützt beide Hände auf das Metallgeländer der Brücke und genießt das Leben aus vollem Herzen. Durchflutet von Glücksgefühl vernimmt er das fröhliche Konzert der Vögel am nahen Waldrand.

Der Knall zerstört alles.

Einen kurzen Moment lang wundert er sich über die plötzliche Stille. Die Sonne scheint ihre Kraft zu verlieren, der Himmel verdüstert sich, dunkelrote Schwaden sinken vor seinen Augen herab und verschlucken alles Licht, bis nur noch Dunkelheit herrscht.

Dann knicken seine Beine ein, der Kopf sinkt herab und der Mann stürzt zu Boden. Ein hässliches Loch klafft in seiner Stirn. Das Leben des Mannes ist zu Ende, noch ehe sein Kopf hart auf dem Asphalt aufschlägt.

TOD AUF DER BRÜCKE

Schlecht gelaunt steuert Jürgens den Dienstwagen scharf nach rechts und biegt von der Landstraße auf den steinigen Feldweg ein.

Warum musste sich dieser Typ ausgerechnet auf einer abgelegenen Fußgängerbrücke erschießen lassen und warum ausgerechnet an einem Sonntagmorgen, nein, warum ausgerechnet an diesem Sonntagmorgen und warum überhaupt!?

Ulrich Jürgens, Jahrgang 1960, Kriminalhauptkommissar und Dezernatsleiter in Karlsruhe, hat sich seinen heutigen Geburtstag anders vorgestellt: lange ausschlafen, ausgiebig duschen, Frühstück, oder besser noch, Brunch mit seiner Frau auf der Terrasse, dabei vermutlich ein Geschenk auspacken. Der restliche Tag war offen, aber keinesfalls für eine Mordermittlung vorgesehen.

Und jetzt das! Spaziergänger haben die Leiche eines Mannes auf einer Fußgängerbrücke über der A5 zwischen Karlsruhe und Bruchsal entdeckt. Der aufgescheuchte Polizeiposten im nahegelegenen Weingarten hat dann das Dezernat informiert und blöderweise ist er, Jürgens, der einzige erreichbare Hauptkommissar gewesen. Wieso ist er überhaupt ans Telefon gegangen? Zu spät, schließlich gibt es ja auch nicht alle Tage einen Mord in Karlsruhe.

Nachdem er einige Minuten über den holperigen Weg gefahren und mehrfach heftig an wildwucherndem Gestrüpp entlanggeschrammt ist, taucht vor ihm ein rot-weißes Absperrband auf. Dahinter stehen zwei Streifenwagen rechts und links des Weges auf der Wiese. Die dazugehörigen Uniformierten sieht er etwa 100 Meter weiter mitten auf einer Brücke, die auf die andere Seite der darunterliegenden Autobahn führt. Vor ihnen am Boden kniet eine in weiß gekleidete Gestalt: der Gerichtsmediziner. Er ist auch gerade erst angekommen und jetzt in seinem hellen Overall dabei, den leblosen Körper am Boden zu untersuchen.

»Und Sie sind dann wohl der Glückspilz, dem, genau wie mir, der Sonntag versaut wurde«, begrüßt der Doktor den Kommissar, ohne den Kopf zu heben.

»So ist es«, Jürgens streckt ihm die Hand entgegen, aber der Mediziner schüttelt nur kurz den Kopf und hält seine behandschuhte Rechte in die Luft.

»Geht jetzt nicht. Ich heiße Neumann und habe die Ehre, den forensischen Teil dieser Angelegenheit zu übernehmen.« »Jürgens, Hauptkommissar, und ich habe die Freude, den Rest der Ermittlungen übernehmen zu dürfen.« Dann stutzt er. »Gab es nicht erst kürzlich einen ganz ähnlichen Fall?«

  »Der tote Jugendliche bei Kronau, der ebenfalls auf einer Brücke über der Autobahn gefunden wurde?«, vollendet Doktor Neumann die Frage des Kommissars. »Ja, richtig, kaum 20 Kilometer nördlich von hier.«

»Den Fall haben die Kollegen aus Heidelberg übernommen.« Jetzt sehen sich die beiden an. »Das kann ja wohl kein Zufall sein. Zwei ähnliche Todesfälle innerhalb von zwei Wochen.«

»Der Junge war aus einem fahrenden Auto heraus erschossen worden, also von der Fahrbahn unterhalb der Brücke aus. Das jedenfalls haben die anderen Jugendlichen in der Gruppe alle übereinstimmend ausgesagt.«

Jürgens legt seine Stirn in Falten und blickt den Gerichtsmediziner unverwandt an. »Könnte sich das hier ähnlich abgespielt haben, können Sie schon etwas dazu sagen?«

Doktor Neumann blickt jetzt wieder nach unten auf den leblosen Körper. Der Tote liegt auf dem Rücken, die Lider über den blicklosen Augen halb geschlossen, mitten auf der Stirn ist ein münzgroßes, blutverschmiertes Loch. Unter dem Kopf hat sich das Blut aus der großen Wunde am Hinterkopf in einer breiten Lache gesammelt.

»Glatter Durchschuss mit einer großkalibrigen Waffe«, erklärt der Rechtsmediziner professionell. »Kein Projektil auffindbar, deshalb kann ich mich nicht auf das genaue Kaliber festlegen.«

»Können Sie einschätzen, ob der Schuss aus der Nähe oder eher von weiter entfernt abgegeben wurde?«

»Ein Schuss aus nächster Nähe war das sicher nicht, dafür fehlen die Schmauchspuren an der Leiche.« Neumann deutete mit seinem behandschuhten Finger auf die Wunde. »Ansonsten kann ich aber nichts weiter über die Entfernung oder die Richtung, aus der der Schuss kam, sagen. Wie Sie sehen, liegt der Mann auf dem Rücken. Es ist unmöglich genau zu wissen, ob er zum Zeitpunkt des Schusses den Kopf gesenkt gehalten, oder nach rechts oder links oder geradeaus geschaut hat.«

»Somit kann der Schuss also von überall gekommen sein.« Jürgens verzieht frustriert das Gesicht. »Können Sie wenigstens abschätzen, wann der Schuss gefallen ist?«

Doktor Neumann wiegt den Kopf hin und her. »Die Totenstarre ist noch nicht vollständig eingetreten. Unter Berücksichtigung der Körpertemperatur und der Umgebungstemperatur ergibt sich, dass der Mann zwischen acht und zehn Uhr heute früh erschossen wurde. Für eine genauere Uhrzeit müssen Sie die Obduktion abwarten.«

»Da er offensichtlich zum Joggen unterwegs war, wird er wohl keine Brieftasche bei sich haben. Gibt es denn schon irgendeinen Hinweis auf seine Identität?«, fragt Jürgens skeptisch.

»Ja, gibt es. Er hatte einen Autoschlüssel bei sich und ich glaube, die Kollegen haben bereits den dazu passenden Wagen dahinten entdeckt.« Während er spricht, deutet der Gerichtsmediziner mit einem Kopfnicken zuerst in Richtung der beiden Polizisten und dann zum Waldrand auf der anderen Seite der Brücke.

Ein Uniformierter nähert sich Jürgens zögernd. »Beim Streifenwagen steht das Ehepaar Schulz. Wollen Sie mit ihnen sprechen?«

»Wer ist das Ehepaar Schulz?«, fragt Jürgens genervt zurück. Der Polizeikollege wirkt eingeschüchtert von Jürgens‘ Reaktion. »Sie haben den Toten entdeckt.«

»Ah, gut, danke, ich werde mich gleich um die beiden kümmern.« Jürgens bedauert, seinen Kollegen angeblafft zu haben, schließlich tut auch der nur seine Arbeit und hätte sich sicherlich ein schöneres Wochenende vorstellen können.

Bedächtig schreitet er über die Wiese auf das Ehepaar zu. Die beiden sind im Rentenalter und haben auf ihrem Sonntagmorgenspaziergang die Leiche auf der Brücke entdeckt. Ansonsten können sie keine weiteren Auskünfte geben, sie haben keinen Schuss gehört und auch nichts Ungewöhnliches beobachtet.

»Sie haben das Auto des Toten gefunden?«, wendet sich der Kommissar nach der Befragung des Ehepaares an die beiden Kollegen in Uniform.

»Ja, ein schwarzer Einser-BMW, steht dort hinten auf dem Wanderparkplatz. Ist momentan das einzige Auto dort, deshalb konnten wir ihn leicht finden und mit der Fernbedienung öffnen.«

»Gut, haben Sie im Wagen nachgesehen?«

»Klar, dort haben wir eine Geldbörse und ein Handy im Handschuhfach gefunden. Anhand des Personalausweises im Geldbeutel konnten wir den Toten als Doktor Paul Retzig, geboren am 04.05.1981 in Leimen, identifizieren.«

Ein Name, das ist ein Anfang. »Sehr gut, danke.«

»Außerdem ist da ein Arztausweis, ausgestellt auf Doktor Retzig und an der Windschutzscheibe klebt eine Arztplakette.« Nachdem er sich den Namen, die Anschrift und die Handynummer des toten Doktor Retzig notiert hat, weist Jürgens seine uniformierten Kollegen an, das Handy und den BMW samt Inhalt zur kriminaltechnischen Untersuchung zu überstellen und ihn im Falle von Neuigkeiten sofort zu informieren. Dann nimmt er den Tatort nochmals in Augenschein.

Die Brücke spannt sich in etwa sechs Metern Höhe über die Autobahn. Auf beiden Seiten fällt das Gelände zur Fahrbahn hin steil ab. Der Schuss kann sowohl von unten abgefeuert worden sein, beispielsweise aus einem fahrenden Auto heraus, als auch von rechts oder links der Autobahn, entweder aus einer Böschung oder von oberhalb aus dem Wald, der sich zu beiden Seiten der Autobahn erstreckt.

Inzwischen ist ein Bereitschaftsbus der Polizei angekommen und auf Jürgens‘ Anweisung hin durchstreifen acht Beamte und ein Suchhund das Gelände rund um den Tatort, um mögliche Indizien, beispielsweise eine Geschosshülse oder ein Projektil, sicherzustellen. Aufgrund der üppigen Vegetation und des relativ großen Suchradius ist die Aussicht, etwas Brauchbares zu finden, jedoch sehr klein.

Der Gerichtsmediziner hat seine Arbeit beendet und kommt auf Jürgens zu.

»Für heute bin ich hier fertig. Die Obduktion werde ich morgen Vormittag vornehmen.«

»Gut, wann kann ich mit dem –«

»– mit dem Bericht können Sie frühestens am späten Nachmittag rechnen«, unterbricht ihn Doktor Neumann und grinst Jürgens schief an. Dieser erwidert die Mimik.

»Okay, vielen Dank, dann bis morgen.«

DIE BESPRECHUNG

»Hallo Bianca!« Kriminalkommissar Lukas Glattner steht in der Tür und rührt vorsichtig in seiner Kaffeetasse.

  »Guten Morgen Lukas, wir haben einen Mord, hast du schon gehört?« Bianca Obermeier wirkt aufgekratzt. Für die frischgebackene Kriminalkommissarin ist dies erst ihr zweiter Mordfall.

»Mhm, wir sind ja auch die Mordkommission«, brummelt Lukas in seine Tasse hinein.

»Jedenfalls treffen wir uns um neun mit dem Chef zur Lagebesprechung«, sagt Bianca mit einem Strahlen im Gesicht.

Sie gehört seit drei Monaten zu der kleinen Truppe. Mit ihren 26 Jahren ist sie eine der jüngsten weiblichen Kriminalkommissare in Baden-Württemberg. Nach dem Abitur hat sie sich zum Leidwesen ihrer Eltern sofort und voller Begeisterung bei der Polizei beworben. Auch jetzt ist sie mit Elan dabei, obwohl sie inzwischen erkannt hat, dass der Berufsalltag weit weniger aufregend ist, als sie sich das vorgestellt hat.

Bianca ist eine schlanke und sportliche junge Frau, die sich trotz mancher Abscheulichkeiten, die sie durch ihren Beruf erleben muss, ein großes Maß an kindlicher Naivität erhalten hat – jedenfalls bis jetzt.

»Okay, dann bis gleich.«

Lukas verschwindet aus der Tür, um sich erst einmal ganz seinem frischen Kaffee zu widmen. Der große, gutaussehende Mittdreißiger, der sich entspannt auf seinem Bürostuhl niederlässt, gilt als die rechte Hand des Chefs. Die beiden Männer verstehen sich ausgezeichnet, wobei Lukas die Erfahrung und Weitsichtigkeit seines Vorgesetzten bewundert, während Jürgens die feinsinnige Intelligenz und unbedingte Einsatzbereitschaft seines jungen Kollegen besonders schätzt. Eine Tür weiter sitzt Wladimir, ein hagerer junger Mann mit abenteuerlicher Mähne und dazu passendem, wilden Vollbart halb versteckt hinter zwei riesigen Monitoren am Schreibtisch.

Wladimir Kozhanov ergänzt das Team um Jürgens als Kriminalassistent und Mädchen für alles. Sein Geschick mit dem Computer lässt seine Kollegen regelmäßig staunen. Jede Information hat er innerhalb kürzester Zeit verfügbar und sein ganzer Ehrgeiz besteht darin, alle Verbindungen und Geheimnisse des Internets zu kennen. Deshalb wird gemunkelt, er habe ehemals der russischen Hackerszene angehört und sei dort in Ungnade gefallen. Das ist eher unwahrscheinlich, jedenfalls wird das Gerücht vom Chef stets als Unsinn abgetan.

Zwanzig Minuten nach dem Gespräch auf dem Gang trifft sich Jürgens mit seinen drei Mitarbeitern in dem kleinen, fensterlosen Raum, der eigentlich für Verhöre gedacht ist, aber aus Platzmangel für Besprechungen genutzt wird.

Im Allgemeinen finden Befragungen in einem der Büros statt, solange es sich um Zeugen und Personen handelt, von denen keine gewalttätigen Aktionen zu erwarten sind. Insgesamt besteht die Mordkommission aus vier, etwa gleich großen Büros, die jeweils durch Zwischentüren miteinander verbunden sind, und aus dem Verhörraum. In dem großen Gebäude in der Hertzstrasse sind noch andere Dezernate untergebracht und jedes einzelne klagt über einen Mangel an Räumlichkeiten.

»Alles Gute zum Geburtstag, nachträglich!«

Jürgens sieht überrascht auf und Bianca streckt ihm einen bunten Blumenstrauß entgegen, während Lukas eine Flasche Rotwein zum Vorschein bringt, die er zuvor hinter seinem Rücken versteckt gehalten hat.

»Oh, ah, dass ihr daran gedacht habt, vielen Dank!« Der Chef ist gerührt und leicht verlegen.

»Auch von mir alles Gute und viel Glück im neuen Lebensjahr.« Wladimir überreicht Jürgens ein säuberlich in Geschenkpapier eingepacktes Päckchen mit Schleife. Obwohl sein Deutsch inzwischen recht gut ist, hat Wladi, wie er von seinen Kollegen liebevoll genannt wird, noch immer keine Chance, seinen russischen Akzent zu verbergen. Um keinen Fehler bei der Wortwahl zu machen, hatte er sich die Formulierung seiner Geburtstagsgratulation schon seit Tagen zurechtgelegt. Durch seine harte Aussprache klingen seine Äußerungen teilweise etwas schroff, manchmal aber auch eher lustig. Die Geburtstagswünsche klangen aber auf jeden Fall herzlich und ehrlich.

»Danke, Wladimir, vielen Dank euch allen, aber das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen …«

Nachdem die Blumen in einer Vase provisorisch versorgt und der Rotwein begutachtet wurde, will Jürgens endlich auf den aktuellen Fall zu sprechen kommen, muss aber zuvor der Forderung der drei nachkommen, und Wladimirs Geschenk auspacken. Zum Vorschein kommt ein edler Korkenzieher im Holzkästchen.

»Jetzt steht einem anständigen Besäufnis nichts mehr im Wege«, meint Jürgens mit einem frechen Grinsen auf den Lippen, um sich danach ein letztes Mal überschwänglich bei allen zu bedanken.

Dann wird er wieder ernst und beginnt mit seiner Zusammenfassung der Situation:

»Gestern Morgen wurde Doktor Paul Retzig, 37, Facharzt für Orthopädie in eigener Praxis, auf einer Brücke über der A5 zwischen Karlsruhe und Bruchsal durch einen Kopfschuss getötet.«

Auf dem großen Videobildschirm an der Wand erscheint ein Bild der Leiche, nachdem Jürgens mit einem Tastendruck den Ruhemodus seines Laptops beendet hat.

»Wir haben kein Projektil gefunden. Deshalb ist unklar, mit welcher Art von Waffe der Schuss abgefeuert wurde, es könnte sich bei der Tatwaffe also sowohl um ein Gewehr als auch um eine Pistole, oder einen Revolver handeln.«

Jürgens deutet mit der Fernbedienung, die auch als Laserpointer dient, auf das Einschussloch in der Stirn des Opfers auf der Videoprojektion.

»Der Mann wurde direkt auf der Brücke erschossen?« Lukas, der sich inzwischen rittlings auf einen für ihn viel zu kleinen Stuhl gesetzt hat, sieht seinen Chef fragend an. Der nickt kurz.

»Und von wo wurde geschossen?«

»Tja, das ist hier die Gretchenfrage, Lukas.« Nachdem Jürgens das Team über das Fehlen jeglicher Informationen zu Richtung und Entfernung des Schützen und über die Tatzeit informiert hat, herrscht nachdenkliches Schweigen in der Gruppe.

»Und niemand hat den Schuss gehört?«, unterbricht Bianca das Grübeln. Sie sitzt mit übergeschlagenen Beinen auf einem Stuhl und schreibt ständig Notizen in ein sehr kleines Büchlein.

»Nein, nach dem vorläufigen Stand der Ermittlungen hat niemand den Schuss gehört. Auch das Rentnerehepaar, das die Leiche beim Morgenspaziergang entdeckte, hat nichts gehört.«

»Wir haben also nichts, nur die Leiche in Joggingbekleidung und die ungefähre Tatzeit?«

»Leider ja. Wie bereits gesagt, könnte der Schuss von überall abgegeben worden sein, sogar aus einem fahrenden Auto heraus.« An dieser Stelle macht Jürgens eine kleine Pause.

»Das ist gar nicht so unwahrscheinlich, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.«

Fragende Blicke. Jürgens blickt in die Runde, dabei zieht er die Augenbrauen hoch und formt die Lippen zu einem süffisanten Grinsen ehe er fortfährt.

»Interessanterweise wurde nämlich vor ziemlich genau zwei Wochen ein Jugendlicher auf einer anderen Autobahnbrücke über der A5 bei Kronau erschossen. Dieser Tatort ist nur etwa 20 Kilometer entfernt vom Fundort der Leiche gestern. Die Tat damals hatte etwa 15 Minuten nach einer Verkehrsdurchsage stattgefunden, in der vor Steinewerfern auf der betreffenden Brücke gewarnt worden war.« Jetzt schauen alle drei überrascht zu ihrem Chef, der sich einen Stuhl heranzieht und dann mit seiner Erzählung fortfährt.

»Insgesamt standen vier Jugendliche auf der Brücke, als das passierte. Die drei Überlebenden waren sich sicher, dass der tödliche Schuss aus einem auf der Autobahn in Richtung Norden fahrenden PKW abgefeuert worden war. Da weder das Kennzeichen des Fahrzeuges noch die Marke bekannt ist, gestaltete sich die Fahndung bis jetzt erfolglos.«

»Für mich sieht das nach ein und demselben Täter aus«, kommentiert Bianca, die inzwischen ihr Notizbüchlein zur Seite gelegt hat und jetzt eifrig an ihrem Handy herumdrückt. Das Schreiben mit der Hand auf Papier geht ihr offenbar nicht schnell genug. »Der hat es vielleicht auf Steinewerfer abgesehen und war gerade in der Nähe. Das war dann seine Stunde.«

Jürgens ist auf diesen Einwand vorbereitet und nickt. »Okay, aber warum dann Doktor Retzig – der hatte doch keine Steine geworfen, jedenfalls ist nichts Derartiges bekannt?«

Abermals folgt ein kurzes Schweigen, während jeder die Fakten abwägt.

»Könnte es sein, dass der Mörder einfach auf den Geschmack gekommen ist und jetzt auf Verdacht Menschen auf Autobahnbrücken erschießt, nachdem es beim ersten Mal geklappt hat?«, versucht Bianca ihre Hypothese zu verteidigen.

»Die Ähnlichkeit der beiden Fälle drängt sich natürlich auf«, pflichtet Jürgens ihr bei, »wenngleich es beim zweiten Mal nicht dieselbe Brücke, sondern eine in der Nähe war. Das ändert aber grundsätzlich nichts.«

Jetzt meldet sich auch Wladimir zu Wort, indem er förmlich die Hand hebt, worauf sein Chef ihn mit einem »Ja bitte« zum Reden auffordert.

»Sie sagten, es wurde kurz vor der Tat im Radio vor Steinewerfern auf genau dieser Brücke gewarnt.«

Jürgens bestätigt mit einem kurzen Nicken.

»Bianca«, dabei dreht er sich ihr zu, «du denkst, der Täter könnte jemand mit einem besonderen Hass auf Steinewerfer sein?«

»Ja. Vielleicht jemand, der durch einen Steinewerfer verletzt wurde, oder jemand aus seiner Familie, oder ein Freund, oder eine Freundin.«

»Okay, das kann ich nachvollziehen, aber fünfzehn Minuten nach der Durchsage, das ist sehr wenig Zeit«, gibt Wladimir zu bedenken.

»Aber es ist nicht unmöglich«, verteidigt sich Bianca.

»Na ja, aber wäre es nicht auch möglich, dass ein Durchgeknallter auf der Autobahn unterwegs ist und ziemlich wahllos auf Menschen schießt, die sich auf Autobahnbrücken aufhalten? Immerhin gab es beim gestrigen Mord keine vorangegangene Warnung vor Steinewerfern im Radio.«

Lukas schüttelt bedächtig den Kopf.

»Kann mir mal jemand erklären, wie das gehen soll: bei voller Fahrt einen gezielten Schuss abgeben und auch noch treffen? Selbst wenn der Schütze Linkshänder ist, kann ich mir das nicht vorstellen.«

»Stopp, einen Moment bitte«, unterbricht Jürgens, der inzwischen in einigen Unterlagen geblättert hat, die Diskussion. »Ich habe soeben noch einmal die Zeugenaussagen im ersten Mordfall, also dem tödlichen Schuss vor zwei Wochen, gelesen: die Jungs auf der Brücke haben eindeutig eine Hand mit einer Waffe gesehen, aber auf der rechten Seite des Wagens.«

Ein Raunen geht durch das Team. Das wird ja immer sonderbarer. Nach einer kurzen Pause nimmt Lukas die Diskussion wieder auf. »Dann sind es also zwei, oder zumindest hat der Schütze einen Fahrer, der bei der Sache mitmacht. Ansonsten bliebe als Erklärung nur noch ein Wagen mit Rechtslenkung.«

Jürgens zuckt ratlos mit den Schultern. »Es sieht wirklich danach aus, dass es jemand auf Menschen auf Autobahnbrücken abgesehen hat und dass es zwei Täter sind. Aber trotzdem müssen wir auch alle anderen Möglichkeiten in Betracht ziehen und somit das berufliche und das private Umfeld des Opfers überprüfen, wie immer.«

Er steht auf und deutet auf die Übersichtsaufnahme vom gestrigen Tatort, die jetzt auf dem Videobildschirm zu sehen ist. »Falls der Schuss nicht von der Autobahn aus abgefeuert wurde, wie das offenbar vor zwei Wochen der Fall war, dann müsste er aus dem Waldgebiet rechts oder links der Autobahn, oder möglicherweise auch direkt von dem Weg, auf dem das Opfer seine Sonntagmorgenrunde drehte, gekommen sein.«

Jürgens schaltet den Bildschirm aus und legt die Fernbedienung auf den Tisch.

»Ich werde mich auf jeden Fall mit dem zuständigen Revierförster und dem Jagdpächter des Gebietes in Verbindung setzen. Unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich ist, dass hier jemand am frühen Morgen verbotenerweise herumgeballert hat und dass eine verirrte Kugel das Opfer getötet hat. Möglicherweise hat auch jemand den Schuss gehört und den Förster verständigt.

Was das Umfeld des Opfers anbelangt: Doktor Retzig war unverheiratet und bewohnte seine Wohnung am Geigersberg allein, aber er hatte eine Freundin, wie wir von dieser selbst wissen. Sie hat nämlich gestern versucht, ihn auf dem sichergestellten Handy zu erreichen, nachdem er überfällig war.«

»Aha, da haben wir ja womöglich schon eine Verdächtige?« Jürgens lässt Biancas Frage unbeantwortet und fährt fort.

»Sie heißt …«, er sucht in seinen Notizen und fährt dann fort, »also ihr Name ist Rebekka Weis. Sie hat uns unter anderem auch die Adresse und Telefonnummer von Doktor Retzigs Praxis in der Kaiserallee gegeben.«

An Wladimir gewandt gibt er die Anweisung: »Bitte rufen Sie dort an und informieren das Praxisteam dahingehend, dass der Doktor nicht kommt, dafür aber jemand von uns innerhalb der nächsten Stunde.«

Wladimir nickt und Jürgens fährt fort: »Ich erwarte den vorläufigen Obduktionsbericht und den Bericht der KTU im Laufe des Tages. Sobald ich etwas habe, sage ich Bescheid.« Jürgens legt den Ordner, den er gehalten hat, vor Wladimir auf den Tisch. »Bianca und Wladimir, ihr fahrt zur Praxis von Doktor Retzig und sprecht mit den Angestellten. Uns interessieren Streitigkeiten mit Patienten und Kollegen, außergewöhnliche Vorkommnisse in der Praxis oder mit Pharmavertretern oder -firmen, Probleme mit Angestellten, auch mit ehemaligen.«

Sein Team ist bereits in Aufbruchsstimmung. Bianca ist als erste an der Tür, bereit endlich mit der Untersuchung zu beginnen.

»Und seht zu, was ihr über sein Privatleben herausfinden könnt.«

»Alles klar, Chef, ich weiß Bescheid«, winkt Bianca ab, doch sie bleibt stehen, um das Ende der Unterhaltung abzuwarten. »Danach fahrt in seine Wohnung – hier sind diverse Schlüssel aus dem Auto des Opfers, einer davon müsste passen – und schaut euch dort um.« Jürgens wirft ihr einen kleinen Schlüsselbund zu, den sie geschickt auffängt.

»Den richterlichen Beschluss besorge ich, ihr könnt ihn auf dem Rückweg von der Praxis bei mir abholen. Und vergesst nicht, die Wohnung zu versiegeln, wenn ihr fertig seid. Bei Fragen, Problemen, Besonderheiten bitte anrufen.«

»Jawoll, Papa«, antwortet Bianca mit einem schelmischen Grinsen und hält den rechten Daumen nach oben. Jürgens wirft ihr einen ebenso schelmischen Blick zu und hebt mahnend einen Zeigefinger, aber da ist Bianca bereits draußen.

»Chef, hat eigentlich die Spurensuche am Tatort noch irgendetwas ergeben?«, wirft Lukas ein, um den Fokus wieder auf wichtige Dinge zu lenken.

»Nein, da war leider nichts Verwertbares zu finden. Das Suchgebiet war eigentlich für die paar Leute zu groß und der Suchhund hatte entweder keine Lust oder es gab tatsächlich überhaupt nichts.«

Nach einer kurzen Pause fährt er fort. »Lukas, du fährst zu dieser Frau Weis, sie wohnt in Weiherfeld und ist zu Hause erreichbar. Auch von ihr wollen wir so viel wie möglich über das Umfeld des Opfers erfahren, du kennst das ja.«

»Geht in Ordnung, hoffentlich hat sie den Schock einigermaßen verkraftet. Wissen wir schon, was sie beruflich macht, auch etwas Medizinisches, oder?«

»Sie sagte, sie sei Farb- und Stilberaterin«, Jürgens streckt in einer hilflosen Geste seine Arme seitlich aus und zieht beide Schultern hoch, »was auch immer das sein mag.«

»Hm«, mehr ist von Lukas nicht zu hören.

»Inzwischen werde ich mich um die Behörden kümmern: Ärztekammer, Finanzamt, Ordnungsamt und um die Bankangelegenheiten des Opfers. Gut, geh’n wir‘s an.« Der Chef wendet sich zur Tür und verlässt den Raum.

PRAXIS GESCHLOSSEN

»Kaiserallee – dort wird es nicht leicht sein, einen Parkplatz zu finden.« Bianca sieht Wladimir von der Seite her an, doch der steuert den Mercedes wortlos weiter durch die Moltkestraße, vorbei am Städtischen Klinikum.

»Ich finde immer einen Parkplatz«, sagt Wladimir schließlich, setzt den Blinker rechts und biegt ab in die Blücherstraße.

»Wie du meinst. Jedenfalls ist die gesamte Innenstadt von Karlsruhe ein einziges Chaos, seit dieser U-Bahntunnel unter der Kaiserstraße gebaut wird, und wie immer scheint im Rathaus niemand in der Lage zu sein, verkehrstechnisch für Klarheit und Ordnung zu sorgen.« Bianca klingt leicht verschnupft.

Genau in diesem Moment stoppt der Mercedes unvermittelt und Wladimir parkt gekonnt rückwärts in eine gerade frei gewordene Parklücke ein, wobei er ein triumphierendes Lächeln nicht ganz unterdrücken kann. Bianca rollt mit den Augen, sagt aber nichts.

Die Kaiserallee ist eine breite Einfallstraße in Karlsruhe, die am Kaiserplatz in östlicher Richtung in die Kaiserstraße mündet. Große alte Häuser säumen die Fahrbahnen, streckenweise sind sie etwas zurückgesetzt und mit Alleebäumen davor. In der Mitte sind die Fahrbahnen durch das Gleisbett der Straßenbahn voneinander getrennt und zahlreiche Ampeln versuchen, den starken Verkehr im Zaum zu halten.

Nach drei Minuten Fußmarsch haben die beiden Ermittler die Praxisadresse erreicht. Vor dem Haus steht eine kleine Gruppe in angeregter Unterhaltung. Im Vorbeigehen können Bianca und Wladimir einige Gesprächsfetzen aufschnappen: »… an Uunfall hot der ghet«,

»… naai, der isch abg‘haua wega dor Steierfahndong …«, »… also des hets frior ao net gäbba, dass der Doktor oifach net kommt …«

Der Aufzug hat schon bessere Tage gesehen, aber er bringt beide in die zweite Etage, in der sich auch die Praxis von Doktor Retzig befindet.

Eine ältere Dame steht vor der geschlossenen Praxistür:

»Der isch heit net do«, meldet sie erregt und deutet auf das handgeschriebene Blatt Papier an der Türe.

»Die Praxis bleibt heute geschlossen, wir bitten um Ihr Verständnis« steht da.

Nach einigem Klingeln und Klopfen sind schließlich Schritte hinter der Tür zu vernehmen. Jemand schließt von innen auf und im Spalt der sich öffnenden Tür erscheint der Kopf einer jungen Frau mit verärgertem Gesichtsausdruck.