Sternenfeuer - Michael McCollum - E-Book

Sternenfeuer E-Book

Michael McCollum

4,6
8,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das 24. Jahrhundert: Die Menschheit hat die ersten Schritte in die Tiefen der Galaxis unternommen – da stoßen ihre Erkundungsraumer auf zwei Alien-Raumschiffe. Es kommt zu einem Gefecht. Nur einer der Außerirdischen überlebt – und erzählt eine sagenhafte Geschichte: Nicht weit entfernt vom Ort der Konfrontation befindet sich ein gigantisches Sternenreich. Und es ist nicht friedlich …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 583

Bewertungen
4,6 (18 Bewertungen)
13
2
3
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



HEYNE 〈

DAS BUCH

Wir schreiben das 24. Jahrhundert irdischer Zeitrechnung. Dies sind die Abenteuer des interstellaren Erkundungsschiffs Magellan, das im Neu-Eden-System auf ein erschreckendes Geheimnis stößt. Denn nach einer gewaltsamen Konfrontation mit zwei Alien-Raumschiffen erfahren Captain Dan Landon und seine Crew, dass sich nicht allzu weit entfernt ein galaktisches Imperium befindet: Millionen von Planeten, beherrscht von den mysteriösen Broa, die es keiner anderen Spezies erlauben, sich im Weltraum auszubreiten. Noch haben die Broa keine Kenntnis von den Raumaktivitäten der Menschheit. Doch die Zeit wird knapp – nicht nur für die tapfere Crew der Magellan, sondern für die gesamte menschliche Zivilisation …

Mit »Sternenfeuer« beginnt Michael McCollum, der preisgekrönte Autor von »Der Antares-Krieg«, eine neue atemberaubende Science-Fiction-Saga.

DER AUTOR

Michael McCollum wurde 1946 in Phoenix, Arizona, geboren und studierte an der University of Arizona Luft- und Raumfahrttechnik. Seit seinem Abschluss ist er als Raumfahrtingenieur tätig und hat an beinahe allen militärischen und zivilen Raumfahrzeugtypen mitgearbeitet, die heute gebaut werden. Daneben hat er sich einen Namen als Autor zahlreicher Science-Fiction-Romane gemacht.

Von Michael McCollum sind im Wilhelm Heyne Verlag außerdem erschienen: Der Antares-Krieg, Lebenssonden.

Inhaltsverzeichnis

DER AUTORPrologTEIL I - Begegnung zwischen den Sternen
Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3
Copyright

Prolog

»Mit Blick auf die Erwerbung des indischen Subkontinents durch das britische Empire wird kolportiert, man habe Indien weniger erobert, als dass man darüber gestolpert sei. So übertrieben das natürlich ist, steckt dennoch ein Körnchen Wahrheit in diesem Bonmot. Entspricht es doch der Wahrheit, dass das größte Juwel in Victorias Krone hauptsächlich durch einen glücklichen Umstand dorthin gelangte – zuungunsten der eingeborenen Völker und zugunsten der Bewohner eines Landes, das sonst vielleicht eine verschlafene Insel geblieben wäre.

Genauso wenig dürfen wir modernen Menschen uns auf unsere neuesten Erwerbungen einbilden. Gewiss, wir rühmen uns unseres Mutes und schwelgen in Erinnerungen an die tapferen Männer und Frauen, die ihr Leben für unsere Sache geopfert haben. Dennoch sollten wir die unbestreitbare Tatsache nicht aus den Augen verlieren, dass wir auch Glück hatten – vielleicht größeres Glück, als wir es verdient haben. Ich bitte Sie deshalb, meine Mitbürger von Sol, einen Moment in Demut zu verharren. Bedenken Sie für einen Moment all die Dinge, die da hätten misslingen können …«

Aus einer Siegesansprache des Sehr Ehrenwerten Jonathan Ambrose an das Weltparlament 12. Oktober 2356

TEIL I

Begegnung zwischen den Sternen

1

Captain Dan Landon vom Forschungsschiff Magellan saß angeschnallt auf seinem Sitz und schaute auf den großen Holobildschirm, der das gegenüberliegende Kabinenschott beherrschte. Er wurde von einem blauweißen Planeten ausgefüllt, der seinerseits von einem tiefschwarzen Himmel bekränzt war. Vor ihm erstreckte sich bis zu den Rundungen des Planeten ein Panorama aus weißen Schäfchenwolken und tiefblauen Meeren. Zur Rechten waren grüne Archipele eingestreut, gesäumt von Untiefen in Aquamarin. Vom oberen Bildschirmrand wanderte gerade die gezackte Küstenlinie eines der Hauptkontinente ins Bild. Gleich würde der Blick über gelbe Ebenen schweifen, die schwarz waren von Herden sechsbeiniger Tiere, über von Schneefeldern bedeckte Bergketten, tiefgrüne Wälder und ein Flussdelta, das so aussah, als seien die Mündungen von Nil, Amazonas und Mississippi wie Folien übereinandergelegt worden.

In den zwei Generationen, seit die Menschheit sich zu den Sternen aufgeschwungen hatte, war sie gerade einmal auf zwölf Welten gestoßen, die auch nur ansatzweise eine solche Ähnlichkeit mit »Mutter Erde« aufwiesen, um für eine Besiedelung infrage zu kommen. Diese Welt war nun Nummer dreizehn – und bislang die Beste von allen. Die vorläufigen Ergebnisse ergaben den doppelten Wert des bisher registrierten höchsten Habitabilitäts-Indexes. Ein ganzer Monat mit Orbitalvermessung, Laborversuchen und Bodenerkundung hatte ein Paradies offenbart. Deshalb schaute Landon finster, während er die Landschaft unter sich vorbeiziehen sah. Ein Leben im Dienst der Sternenforschung hatte ihn gemäß einer Philosophie geprägt, welche die inoffizielle Devise der Organisation wiedergab: »Wenn es gut läuft, hat man offensichtlich irgendetwas übersehen!«

Während er den Blick über Neu-Eden schweifen ließ – der inoffizielle Name der Besatzung für den »Findling« –, fragte er sich, was sie hier überhaupt sahen. Auch nach einer einmonatigen Untersuchung durch tausend hochkarätige Wissenschaftler hatten sie nur an der Oberfläche des Wissensfundus gekratzt, der dort unten verborgen war. Eine Welt war einfach ein zu großer und vielgestaltiger Ort, als dass eine einzelne Besatzung von Wissenschaftlern sie zu überblicken vermocht hätte. Neu-Eden zu verstehen wäre eine Aufgabe für Generationen: Wo die Mikroorganismen lauerten, die den Menschen den Garaus machen würden; welche Umwelteinflüsse die Kolonisten sterilisieren würden oder die Millionen anderer Todesfallen, die diese schöne neue Welt letztendlich in ein verseuchtes Höllenloch verwandeln würden?

Landon wusste, dass seine momentane schlechte Laune ein Abwehrmechanismus gegen die hochfliegenden Hoffnungen war, die Neu-Eden in ihm geweckt hatte. Es war leicht, emotional auf Distanz zu bleiben, wenn das zu erforschende System bloß aus sterilen Felsen und Gasriesen bestand, was auch für die meisten von ihnen galt. Sie bedeuteten ihm nichts, die üblichen Staubkugeln, Vulkanfelder und Meere aus Salzsäure. Diese schöne Welt erst zu finden, nur um sie wegen eines scheinbar harmlosen Umwelteinflusses dann wieder zu verlieren, wäre jedoch eine herbe Enttäuschung. Da schraubte man die Erwartungen lieber nicht allzu hoch, bis man mehr über sie wusste. Seufzend regte er sich und nahm eine Tasse dampfend heißen Tees aus dem Mikrograv-Halter.

Es schepperte leise, als die Erschütterung die Kabine durchlief. Landon erstarrte für eine lange Sekunde, während das Gehirn analysierte, was er hauptsächlich auf der unterbewussten Ebene gespürt hatte. Eine eisige Kälte war ihm ins Gebein gekrochen, wie es manchmal geschah, wenn er ein Gefühl der Anspannung oder des Schreckens verspürte. Und er war auch nicht der Einzige, der dieses »Erlebnis« gehabt hatte. Er hatte nämlich ein leises Klappern aus den Schränken gehört, die jeden freien Zoll in seiner Kabine ausfüllten. Und der Holobildschirm hatte doch auch statisch geflackert, oder?

Die Überlegungen waren abgeschlossen, bevor er einen Schluck Tee genommen hatte. Im nächsten Moment schlug die Hand ohne sein bewusstes Zutun auf die InterKom-Taste, die im Schreibtisch integriert war.

»Machen Sie Meldung!«, blaffte er den Offizier vom Dienst, einen pickligen Fähnrich an, als dessen Gesicht auf dem Bildschirm erschien.

»Ich weiß nicht, was los ist, Captain«, sagte der Junge mit penetranter Fistelstimme. »Wir bekommen Meldungen aus dem ganzen Schiff. Warten Sie eine Sekunde. Scout-3 meldet, dass sie es auch gespürt haben!«

Scout-3 war das Schiff von Jani Rykand und befand sich gerade auf dem Rückweg von Erkundung des größeren der zwei Monde des Planeten. Durch den Umstand, dass sie zehntausend Kilometer von der Magellan entfernt waren, wurde die Überlegung hinfällig, dass das Vorkommnis nur sein Schiff allein betraf.

»Geben Sie Gefechtsalarm, Mr Pendergast.«

»Aye, aye, Captain.«

Landon hatte seinen Platz bereits verlassen und hangelte sich gerade zum Kontrollraum, als die Sirenen losheulten. Er ließ tausend Alarmübungen Revue passieren und sah vor dem geistigen Auge das organisierte Chaos, das nun überall im Schiff ausbrach. Bevor der Alarm verstummte, hatte er sich vor der Steuerkonsole im Herzen des großen Forschungsschiffs angeschnallt – umgeben von Dutzenden von Bildschirmen, von denen keiner ihm sagte, was er wirklich wissen wollte.

» Was war das, Doc?«, fragte er einen weißhaarigen Mann auf seinem persönlichen Monitor, nachdem er eine Verbindung zum Chefwissenschaftler des Schiffs hergestellt hatte.

»Was auch immer es war«, erwiderte Raoul Bendagar, »es hat unsere Instrumente total durcheinandergebracht. Bei der Hälfte hat es genau in dem Moment, als wir die Erschütterung verspürten, die Kalibrierung zerschossen.«

»Sie müssen doch zumindest eine Idee haben«, bohrte Landon weiter.

»Warten Sie eine Sekunde, ich muss etwas überprüfen«, erwiderte Bendagar. Er bückte sich und schaltete einen Bildschirm ein, auf dem sogleich eine Reihe rot glühender Linien ein Polarkoordinaten-Gitter überlagerten. »Ich will verdammt sein.«

»Spannen Sie mich nicht auf die Folter.«

Bendagar schaute mit einem Ausdruck des Entsetzens zum Captain auf. »Wir haben soeben die Ausgeburt der Hölle aller Gravitationswellen erlebt, Captain. Kein Wunder, dass sämtliche Systeme zerschossen wurden.«

Landon runzelte die Stirn. Er wusste selbstverständlich über die Existenz von Grav-Wellen Bescheid. Seit über einem Jahrhundert hatte ein »Dreigestirn« aus Satelliten in einer Umlaufbahn zwischen Erde und Mars gestanden, und zwar in einem Abstand von genau tausend Kilometern zueinander. Mit Laserstrahlen hatten sie ihren exakten Abstand bis auf zwölf Stellen hinter dem Komma fixiert und ein riesiges Dreieck gebildet, das die durch den Kollaps entfernter Sterne und noch größere kosmische Katastrophen verursachten mikroskopischen Verzerrungen entdeckte. Die größte jemals entdeckte Gravitationswelle hatte den Raum auf einer Distanz verzerrt, die kürzer war als der Durchmesser eines Protons. Und diese hier war so stark gewesen, dass Landon in seiner Kabine durchgeschüttelt wurde.

»Ach was, Doc. Das gibt’s doch gar nicht.«

»Die Instrumente haben eine Verzerrungswelle registriert, die von der Ausrüstungsschleuse zwei mit Lichtgeschwindigkeit zum Bootsdeck lief. Nennen Sie es, wie auch immer Sie wollen, aber ich sage Ihnen, es war eine Gravitationswelle.«

»Captain«, meldete der diensthabende Funkoffizier, »Scout-3 meldet eine Sichtung.«

»Stellen Sie sie durch.«

Wie immer wurde Jani Rykands Gesicht von einem kupferroten Haarschopf eingerahmt. Anders als die meisten Frauen, die in der Mikrogravitation lebten und arbeiteten, weigerte sie sich, ihre Mähne hochzustecken oder mit einem Haarnetz zu bändigen. Ihr stand das gut.

»Meldung!«

»Hier draußen geht etwas Unheimliches vor, Captain. Ich empfange Energiesignale von einem Punkt dreißig Grad hinter meinem Orbitalpfad.« Landon warf einen Blick auf Bendagar.

»Wir empfangen sie ebenfalls«, meldete der Chefwissenschaftler.

»Was halten Sie davon, Scout-3?«

»Hirayama hat das Teleskop darauf ausrichten lassen, Captain. Es scheint sich um zwei Schiffe zu handeln.«

»Stellen Sie Ihre Ansicht zu uns durch«, sagte Landon schroff.

Im nächsten Moment verschwand Jani Rykands Gesicht und wich der Dunkelheit des Raums. Im Vordergrund standen die üblichen Sternbilder, die sich – nach den hundert Millionen Lichtjahren, die die Magellan zurückgelegt hatte, um diese Welt zu erreichen – von den vertrauten heimatlichen Konstellationen mehr oder weniger stark unterschieden. Zunächst war nichts zu sehen. Das änderte sich jedoch, als ein violetter Blitz durch die Finsternis zuckte. Er erinnerte Landon an das Wetterleuchten zu Hause in British Columbia. Nur dass dieser Blitz zwei Schemen in der Dunkelheit erhellte, von denen einer noch für lange Sekunden nachglühte.

»Geben Sie uns eine Vergrößerung, Hirayama«, befahl der Captain. An Bord des Scout-Schiffs tat der Geologe, der das Teleskop bediente, wie geheißen. Die fernen Sterne explodierten und schrumpften ein paarmal, während das Fernrohr sich auf maximale Vergrößerung einstellte. Als das Bild sich dann stabilisierte, kristallisierten sich zweifelsfrei zwei Schiffe heraus – von denen eins erpicht darauf schien, das andere zu zerstören.

Die Beute war das größere der beiden Schiffe, ein gedrungener Zylinder; das Schiff war offensichtlich so konzipiert, dass es durch Rotation eine künstliche Schwerkraft erzeugte. Sein Gegner war ein schlanker Zylinder mit einer Vielzahl von Mechanismen, die aus einem Zentralkörper herausragten. Vor ihren Augen sendete der Angreifer wieder einen violetten Strahl aus, der am Rumpf des Beuteschiffs zerplatzte. Sie sahen, wie eine Plasma-Fontäne im Vakuum in einem weiten Kegel expandierte.

»Alle Aufzeichnungsgeräte mit voller Leistung«, befahl Landon, ohne sich dessen überhaupt bewusst zu sein. »Hirayama, verfolgen Sie sie!«

Obwohl das kämpfende Duo nur durch ein Fernrohr zu erkennen war, wurde dennoch ersichtlich, dass das größere Schiff Fluchtversuche unternahm. Es schlug Haken und versuchte, sich vor seinem Peiniger zu halten. Aber das war alles vergebens. Das kleine Kampfschiff kopierte förmlich jedes ruckartige Manöver und hing an seiner Beute wie ein flinker Terrier an einem massigen Stier. Alle paar Sekunden zerplatzte ein neuer violetter Strahl an der Hülle des größeren Schiffs und hinterließ eine hässliche, glühende Narbe. Jedoch war der Versuch des kleinen Schiffs, das größere schrottreif zu schießen, auch nicht von Erfolg gekrönt. Nach jedem Treffer änderte das Ziel den Kurs und unternahm einen erneuten Fluchtversuch.

»Sie kommen in diese Richtung!«, ertönte Jani Rykands aufgeregte Stimme über InterKom. Tatsächlich hatte das größere Schiff mittlerweile die Richtung geändert und war auf einen Kollisionskurs mit dem Scout-Boot gegangen. Die Beobachter an Bord der Magellan sahen, wie der kompakte Zylinder sich zu einem vollkommenen Kreis auswuchs und allmählich den Monitor ausfüllte. Nach welchem Prinzip der Antrieb der beiden unbekannten Schiffe funktionierte, war indes nicht ersichtlich. Es gab keinerlei Antriebsfeuer oder sonstige Emissionen als Indiz dafür, dass sie sich mit einem Reaktionsantrieb fortbewegt hätten.

»Scout-3, Ausweichmanöver einleiten!«

»Hat jemand eine rettende Idee?«, fragte die junge Pilotin. »Sie machen beide den Eindruck, als ob sie Pirouetten um unseren Kahn drehen könnten. Mein Gott, da kommen sie auch schon!«

Sie hatte recht. Beide Schiffe füllten den Bildschirm mit schier unglaublicher Geschwindigkeit aus. Bald musste Hirayama die Vergrößerung zurücknehmen, damit die Ufos das Bildschirmformat nicht sprengten. Es dauerte weniger als eine Minute, bis beide Schiffe von Scout-3 aus mit dem bloßen Auge zu sehen waren. Das größere – die Beute – schoss im Abstand von zehn Kilometern an ihnen vorbei, dicht gefolgt vom kleineren Kampfschiff.

Dann geschah es.

Dan Landon hatte seine Aufmerksamkeit zwischen der Ansicht von Scout-3 und mehreren Fernansichten des Raumkampfs geteilt, die von den Teleskopen der Magellan dargestellt wurden. Sie zeigten jedoch nur einen sporadischen violetten Funken vor der schwarzen Kulisse des Raums. Während des Vorbeiflugs am Scout-Boot schoss das Kampfschiff wieder einen seiner violetten Strahlen ab. Der Strahl griff nach Scout-3 und tauchte ihn für einen Moment in eine Korona aus violettem Licht. Das Signal vom Scout brach plötzlich ab.

»Scout-3!«, schrie Landon. »Meldung. Jani, wie schwer seid ihr beschädigt?«

Die Antwort gab der Bildschirm. Wo eben noch eine Nussschale von menschlichem Raumfahrzeug existiert hatte, das zu klein war, um in der Schwärze des Raums überhaupt ausgemacht zu werden, erschien nun ein winziger heller Fleck, eine glühende Wolke aus Plasma, die sich ausdehnte und dabei abkühlte.

Jäher Zorn stieg in Landon auf. Vor seinem geistigen Auge erschien ein lachendes, von einem wilden roten Haarschopf eingerahmtes Gesicht. Doch ebenso schnell, wie die Wut ihn gepackt hatte, war sie auch wieder verflogen. Er fühlte überhaupt nichts mehr, während er sah, wie das größere Schiff perspektivisch sich verkürzte, bis es den Bildschirm wie ein leuchtender Halbkreis ausfüllte. Es war die gleiche Ansicht wie von den Kameras von Scout-3 – mit dem einen Unterschied, dass diesmal die Magellan den Kampf auf sich zog.

»Nachrichtensonde vorbereiten.«

»Captain, das können wir nicht tun«, sagte Pendergast neben ihm. »Wir sind zu tief in der Gravitationsquelle des Planeten. Die Generatoren werden der Beanspruchung nicht standhalten.«

»Die Nachrichtensonde laden, verdammt noch mal!«

»Nachrichtensonde geladen«, meldete Pendergast im nächsten Moment.

Die mit Kernreaktoren und einem Sternenantriebs-Generator bestückte Nachrichtensonde war ein kleines, unbemanntes Raumschiff. Die Magellan hatte ein Dutzend der kugelförmigen, fünf Meter durchmessenden Drohnen an Bord. Sie wurden eingesetzt, um Nachrichten an die Erde zu senden. Dank ihnen war es nun nicht mehr erforderlich, nach jedem neu entdeckten System eigens zur Erde zurückzufliegen; außerdem waren sie eine Versicherung gegen den Verlust wertvoller Daten, sollte das Schiff einmal eine Havarie erleiden.

Landon beobachtete das anfliegende Duo und hatte zugleich eine Anzeige im Blick, die ihre Geschwindigkeit, Kurs und relative Position zueinander darstellte. Weil niemand damit gerechnet hätte, in einen Raumkampf zwischen den Sternen verwickelt zu werden, war die Magellan kaum in der Lage, sich zu verteidigen. Das Waffenarsenal des Schiffs bestand aus Gewehren, Maschinengewehren und ein paar schwereren Waffen, um aufdringliche Fleischfresser auf Distanz zu halten. Dennoch hatten sie eine potenzielle Waffe an Bord, die sich bei der Abwehr eines marodierenden Aliens durchaus als nützlich erweisen konnte.

Die zwei Schiffe kamen näher, wobei das kleinere das größere ständig »annagte«. Und die Schäden zeigten nun auch Wirkung. Teile wurden von der Beute abgesprengt, als eine Wolke aus Gas und Dämpfen aus Dutzenden Rissen im Rumpf eruptierte.

Dan Landon gab die Koordinaten der Sonde selbst ein – er wollte es nicht riskieren, jemand anders damit zu betrauen. Als das Kampfschiff sich wieder auf die Distanz näherte, aus der es Scout-3 zerstört hatte, aktivierte Landon die Steuerung, die das kleine unbemannte Raumschiff mit Volldampf zur Erde geschickt hätte. Nur dass die Erde diesmal nicht sein Ziel war. Landon schickte es vielmehr dem außerirdischen Kampfschiff entgegen.

Fähnrich Pendergast hatte recht. Sie standen zu tief in der Grav-Quelle des Planeten, um die Stabilität eines Sternenantriebs-Generators zu gewährleisten. Die Nachrichtensonde wurde ins All katapultiert und bewegte sich hundert Kilometer mit Überlichtgeschwindigkeit. Diese paar Nanosekunden genügten, um die Generatoren der Sonde zu überlasten. Sie explodierten und schleuderten die Sonde in den Normalraum zurück. Die überschüssige Energie wurde in Geschwindigkeit umgewandelt. Die schnell expandierende Trümmerwolke bewegte sich beim Wiedereintritt in den Normalraum mit sechzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Das unbekannte Kampfschiff hatte eine Reaktionszeit von null. Die Trümmerwolke war kaum aufgetaucht, als das kleine Kampfschiff auch schon von etlichen Brocken getroffen und in einen Stern verwandelt wurde, der für ein paar Sekunden mit dem Zentralgestirn des Systems um die Wette strahlte.

Lieutenant Harlan Frees war in die Sternenforschung eingetreten, weil er keine Lust hatte, den Familienbetrieb im australischen Woomera zu übernehmen. Dieses Leben war jedoch genau das richtige für ihn. Für Frees war die Gelegenheit, mit einem Spähtrupp an Bord des überlebenden außerirdischen Raumschiffs zu gehen, fast zu schön, um wahr zu sein.

»Meldung, Scout-2«, sagte Landon, als Frees’ Kommandotrupp gerade außerhalb des Schwenkbereichs des langsam taumelnden außerirdischen Raumschiffs schwebte. Nachdem die Magellan seinen Peiniger zerstört hatte, hatte das große Schiff den »Nachbrenner« gezündet, um sich vom Schauplatz des Gefechts zu entfernen. Das war anscheinend zu viel für die gequälten Motoren des Schiffs gewesen. Im nächsten Moment war der gedrungene Zylinder in den freien Fall gegangen. Nachdem sie die Stelle abgesucht hatten, wo Scout-3 zerstört worden war, nahm die Magellan die Verfolgung auf.

»Das Schiff ist nicht menschlich, Captain. Keine orbitale Schiffswerft im näheren Umkreis von Sol hat je einen solchen Pott gebaut«, berichtete Frees. Er war mit seinem Schiff so nah herangegangen, wie er es glaubte, riskieren zu können. Vor ihm klaffte ein großes Loch, wo ein Strahl des Kampfschiffs eine Bresche geschlagen hatte. Im Abteil darüber driftete ein Körper. Er war zwar stark verstümmelt, aber immer noch so intakt, dass man sah, das Wesen hatte zwei Arme zu viel gehabt.

»Machen Sie eine Aufnahme davon«, wies er Fähnrich Grimes, den Co-Piloten, an.

»Jawohl, Sir.«

»Wenn Sie den Körper im Kasten haben, machen Sie einen langsamen Schwenk. Zeigen Sie ihnen das ganze Ausmaß des Schadens.«

»Jawohl, Sir.«

Während Grimes damit beschäftigt war, das außerirdische Raumschiff zu dokumentieren, suchte Frees eine Stelle zum Andocken. Das langsame Taumeln des außerirdischen Schiffs war ein Problem. Sie würden sich »einhaken« und es mit dem eigenen Triebwerk stoppen müssen, bevor sie das UFO zu erforschen vermochten. Andernfalls wäre das Risiko eines Unfalls zu groß gewesen.

Frees fand schließlich, wonach er suchte, und beschleunigte das Scout-Boot vorsichtig. Er registrierte einen seltsamen Mief im Helm des Vakuumanzugs und wurde sich dann bewusst, dass es seine ureigene Angst war, die diesen Gestank hervorrief. Er fragte sich, ob Grimes wohl das gleiche »sensorische Erlebnis« in seiner geschlossenen Umgebung hatte.

Scout-2 stellte ohne Komplikationen Kontakt her. Zwei Minuten später sicherten sie ihr Schiff mit einem Kabel am Wrack. Nach weiteren fünf Minuten hatten sie das taumelnde Schiff zum Stillstand gebracht.

»Sie halten hier die Stellung, Mister«, ordnete Frees an, während er die Gurte löste. »Wenn Sie irgendetwas anderes sehen als uns, die wir uns da drin bewegen, lösen Sie die Sprengbolzen aus und fliegen mit Vollgas zum Schiff zurück. Haben Sie verstanden?«

»Aber was wird dann aus Ihnen, Lieutenant?«

»Kümmern Sie sich weder um mich noch um sonst jemanden. Sobald irgendetwas mit vier Armen auf der Bildfläche erscheint, verschwinden Sie von hier.«

»Jawohl, Sir.«

Frees bewegte sich in das Abteil, wo schon der Rest seiner Entermannschaft wartete. Die drei steckten in Vakuumanzügen und wirkten irgendwie lächerlich mit der um die Brust geschnallten Waffensammlung. Das Abfeuern einer Schusswaffe in der Mikrogravitation war mit Vorsicht zu genießen. Beim Rückstoß wurde man unkontrolliert zurückgeworfen – ganz zu schweigen von der Möglichkeit, dass ein Querschläger den Anzug perforierte. Dennoch hatte der Captain angesichts dessen, was Scout-3 zugestoßen war, eine Bewaffnung der Entermannschaft befohlen.

»Ich gehe voran«, sagte Frees zu den Raumfahrern Goldstein, Valmoth und Kurtzkov. »Überwachen Sie ständig diese Frequenz und die Notfrequenz. Sind alle bereit?«

Er bekam die Antwort in Form geballter Fäuste – eine Geste, die in einem Vakuumanzug ein Nicken bedeutete. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Grimes im Cockpit präsent war, drehte er das Ventil auf, das die Kabinenluft direkt ins All abließ. Frees fand, dass sie in dieser besonderen Situation keine Zeit hätten, einen regulären Luftschleusenzyklus ablaufen zu lassen. Als sowohl die innere als auch die äußere Luke geöffnet waren, drifteten die Männer durch den kurzen Luftschleusen-Tunnel und betraten das außerirdische Schiff.

Sie drangen in Gänge vor, die einen Querschnitt von zwei Metern im Quadrat hatten und auf beiden Seiten von Ausrüstungsschränken gesäumt wurden. In Schiffen, die für Mikrograv konzipiert waren, hätten die Schränke Wände, Boden und Decke gepflastert. Während der ersten Viertelstunde ihres Vorstoßes im Dunklen entdeckten sie ein paar Mitglieder der Besatzung. Es gab noch mehr von den vierarmigen Wesen, die wie Käfer mit einem Pelz aussahen. Eine andere Spezies hatte hervorquellende Augen und filigrane Greifwerkzeuge, die sich aus den Scheren eines Hummers entwickelt zu haben schienen. Ob die hervorquellenden Augen natürlichen Ursprungs oder der explosiven Dekompression geschuldet waren, war nicht auf den ersten Blick ersichtlich.

Frees untersuchte gerade einen Toten, als er über Anzugfunk angerufen wurde. Die Worte hallten in den Metallkorridoren wider. »Das müssen Sie sich ansehen, Lieutenant. Wir haben einen Abschnitt mit Luft dahinter gefunden.«

»Bleiben Sie dort.«

Frees hangelte sich zu der Stelle, wo der Raumfahrer mit seiner Taschenlampe ein geschlossenes Druckschott anstrahlte. Das Schott ähnelte denen in einem menschlichen Raumschiff, obwohl die Proportionen unterschiedlich waren. Das galt auch für die ins Schott integrierten Kontrollen. Sie glühten in einer Schrift, die im Wesentlichen aus Punkten und Schnörkeln bestand. Kurtzkov stemmte die Füße gegen eine Leiste, die in den Gang hineinragte, und versuchte, die Luke mit dem Körpergewicht aufzubrechen. Aber die Luke rührte sich nicht. Das war auch kaum verwunderlich, wenn es Luft auf der anderen Seite gab.

»Sind Sie sicher, dass sie nicht verzogen ist?«, fragte Frees, als er zu den zwei Raumfahrern aufschloss.

»Ich glaube nicht, Mr Frees. Die Luken, durch die wir bisher gekommen sind, waren auch nicht blockiert.«

»Stimmt. Valmoth, kehren Sie zum Schiff zurück und holen Sie die tragbare Luftschleuse. Wir haben Atmosphäre auf der anderen Seite dieses Schotts.«

Der Aufbau der Luftschleuse nahm zwanzig Minuten in Anspruch. Das größte Problem bestand jedoch darin, einen Ankerpunkt für die Schleuse zu finden, um den Rückschlag beim Druckausgleich zu minimieren. Die Schleuse war gerade groß genug für zwei Männer in Vakuumanzügen. Frees und Kurtzkov quetschten sich in die Schleuse und wurden von den beiden anderen dort isoliert. Dann schickten sie sich an, die Luke zu öffnen. Ein Blitz fuhr aus Kurtzkovs Bohrlaser, und die Luftschleuse füllte sich mit Luft.

Sobald der Anzug um ihn erschlaffte, berührte Frees die Bedienelemente der Luke. Das Drücken des einen Kontakts hatte keine Wirkung. Er versuchte den anderen. Das Druckschott schwang lautlos zurück.

Frees leuchtete mit der Taschenlampe den dunklen Raum aus. In einer Ecke lag eine zu einem Ball zusammengerollte Gestalt. Zuerst hielt Frees sie auch für eine Leiche. Doch dann sah er die gelben Augen, die ihn anstarrten, und hörte den stoßweise gehenden Atem.

»Melden Sie dem Captain, dass wir einen Überlebenden haben«, sagte er zu den zwei Raumfahrern, die noch immer im Vakuumsektor des Schiffs ausharrten.

Langsam und vorsichtig bewegte er sich auf den zitternden Körper zu. Das Wesen erschauerte und wimmerte, als Frees es an einer knochigen Schulter berührte. Ganz sachte entrollten Frees und Kurtzkov das Geschöpf.

»Verdammt, Mr Frees. Es ist ein Affe!«

2

Moira Sims war eine Frau, wie ein Mann sie sich nur wünschen konnte. Mit den langen Beinen und der schlanken Figur war sie so schön, dass Männer manchmal im wahrsten Sinne des Wortes gegen die Wand liefen, wenn sie an ihnen vorbeiging. Das Kleid aus hauchdünnem schwarzem Stoff kontrastierte mit ihrer Alabasterhaut und betonte zugleich ihre weiblichen Formen. Ihr Schmuck war ebenso dezent wie wertvoll, ihre Frisur saß perfekt, und ihre Stimme war dieses tiefe, kehlige Schnurren, das man bei Holo-Schauspielerinnen so schätzte. Sie hatte Esprit, war eine geistreiche Gesprächspartnerin und hatte zudem einen ausgeprägten Sinn für Humor. Und doch wurde Mark Rykand ihrer allmählich überdrüssig.

»Gehen wir zurück an deinen Platz, Markie. Ich habe keine Lust mehr auf diese Party.«

Mark warf einen Blick auf seine Begleiterin, die sich neben ihm auf der Chaiselongue rekelte, auf deren Kante er hockte. Sie hatte einen Finger unter seinen Kummerbund gesteckt und massierte das Speckröllchen, das unter Kontrolle zu halten er überaus bestrebt war. Er versuchte nicht die Stirn zu runzeln, obwohl sie Gunter Perlman unterbrochen hatte, seinen Sportsfreund, der ein genauso begeisterter Solar-Segler war wie er selbst und der Skipper der Jacht, auf der Mark hin und wieder als Crew-Mitglied mitfuhr.

Mit einer Willensanstrengung schluckte er seine Verärgerung hinunter und wandte sich ihr zu. »Eine Weile noch, Moira. Gunter und ich müssen erst noch diese Wette platzieren, bevor wir abreisen.«

»Aber eine Solar-Regatta ist doch so langweilig!«

»Wieso holst du dir nicht noch einen Drink? Wir sind bald fertig.«

»Pah!« Er war sich ihres wundervollen warmen Körpers bewusst, als sie von der Chaiselongue glitt und aufstand. Gunter sah zu, wie sie sich das Kleid glatt strich, das bei diesem Manöver hochgerutscht war. Ihr vielsagendes Lächeln zeigte, dass sie sich der Aufmerksamkeit bewusst war. Aus irgendeinem Grund wurde Mark dadurch noch gereizter. Die beiden schauten ihr nach, wie sie mit wiegenden Hüften an der Streicher-Combo vorbei zur Bar schlenderte.

»Wieso tun Sie das, Mann?«, fragte Gunter.

»Was denn?«

»Wieso behandeln Sie sie wie ein Möbelstück? Sie liebt Sie doch.«

»Moira liebt nur mein Geld.«

»Nun, selbst wenn das stimmt, ist es keine Entschuldigung. Wenn Sie nicht aufpassen, wird Sie sie verlassen, wie Carol es getan hat.«

Marks von einem Achselzucken begleitete Antwort kam ihm selbst blöde vor: »Wieso soll ich mir gleich eine ganze Kuh kaufen, wenn ich nur mal ein Glas Milch trinken will?«

»Bei Ihrem ›Milchkonsum‹ würde sich die Anschaffung einer Kuh vielleicht doch lohnen.«

Mark gefiel die Richtung nicht, in die das Gespräch sich entwickelte. »Was ist, haben wir nun eine Wette laufen oder nicht?«

Gunter lächelte. »Sie glauben immer noch, dass Price Hoffman zwischen Erde und Mond schlägt, nicht wahr?«

»Wieso auch nicht? Bei seiner Jacht ist gerade ein Segel erneuert worden, und man sagt, er habe das Gewicht seines Lebenserhaltungssystems um zwanzig Prozent reduziert.«

»Spielt keine Rolle. Als Niels Falon ihn verließ, hat er alle Hoffnung fahren lassen, die Trophäe in diesem Jahr zu gewinnen.«

»Ich glaube, dass Prices Vorteil bei der Ausrüstung den Verlust an Erfahrung durch Falons Weggang wettmachen wird. Ich werde tausend auf ihn setzen, um die Sache etwas interessanter zu gestalten.«

»Eine direkte Wette. Ohne Entfernungshandikap?«

»Jau.«

»Dann haben Sie nun eine Wette laufen, Sie reicher Junge. Ich hoffe nur, Sie sind nicht so betrunken, dass Sie sich morgen früh nicht mehr daran erinnern.«

»Ich werde Ihnen zeigen, wer hier betrunken ist«, zischte Mark und erhob sich. Plötzlich wurde der Raum in eine langsame Drehung versetzt. Er streckte die Hand aus und stützte sich an Perlmans Schulter ab. »Vielleicht haben Sie doch recht. Ich werde Moira suchen und eine Mütze voll Schlaf nehmen.«

»Vergessen Sie nicht, dass ich in ein paar Wochen einen Übungstörn mit der Gossamer Gnat mache. Ich würde mich freuen, Sie in meiner Mannschaft zu haben, falls Sie Zeit dafür haben.«

»Sicher, hört sich gut an«, sagte Mark. »Es geht doch nichts darüber, sich selbst zu riechen, wenn man für eine Woche in einem Vakuumanzug gesteckt hat. Rufen Sie mich in ein paar Tagen an, und wir machen es klar.«

Die Lichter der Phönix-Tucson-Metroplex strahlten wie ein Teppich aus Diamanten, die über den dunklen Wüstenboden verstreut waren, als Mark Rykands Luftauto Kurs nach Westen nahm. Auf halber Strecke zum Horizont sah er die Gemeinden, die wie Perlenschnüre die Ufer des Colorado säumten, während am Horizont selbst das Glühen von Los sich abzeichnete. Das Fahrzeug selbst wurde nur durch die blau glühenden Instrumente erhellt.

Mark suchte den Horizont ab und hielt nach sonstigem Luftverkehr Ausschau, während Moira sich an ihn kuschelte. Den linken Arm hatte sie um seinen Hals drapiert, und ihr Kopf ruhte an seiner Brust, derweil sie leise Schnarchlaute ausstieß. Es gab einen guten Grund für seine Wachsamkeit.

Drei Jahre zuvor waren Marks Eltern auf der gleichen Route geflogen, als ein ohnehin schon betrunkener Pilot seinen Rausch mit Absinth perfekt machen wollte. An jenem Freitagabend hatte reger Flugverkehr geherrscht, und die Flugsicherung wollte nachträgliche Änderungen an den Flugplänen nicht zulassen. Anstatt das Risiko einzugehen, dass sein Manöver abgelehnt würde, hatte der betrunkene Pilot auf manuelle Steuerung umgeschaltet und eine weite Rechtskurve eingeleitet. Im Scheitelpunkt der Kurve war sein Flugzeug dann mit der Maschine von Marks Eltern kollidiert.

Der Trunkenbold hatte sofort die Quittung für seinen Fehler bekommen. Der rechte Propeller seiner Flugmaschine war verbeult worden, sodass der Auftrieb um die Hälfte reduziert wurde. Daraus hatte wiederum eine Asymmetrie resultiert, wodurch das Fluggerät erst in Rückenlage und dann in den Sturzflug ging und sich etwa zwanzig Kilometer östlich des Flusses in den Boden grub. Marks Eltern hatten kaum mehr Glück gehabt. Obwohl die aktive Fluglageregelung fast vollständig ausgefallen war, hatte Hugh Rykand das Flugauto zunächst halbwegs stabilisiert und zum Landeanflug angesetzt. Als Piste hatte er sich einen Abschnitt der alten Interstate 10 ausgesucht – nur um im Licht der Landescheinwerfer in letzter Sekunde eine flache Hügelkuppe zu entdecken, die er in der Dunkelheit nicht gesehen hatte.

Moira regte sich. »Was ist denn los? Du zitterst ja.«

»Verzeihung. Ich habe einen Schluckauf.«

»Ach, du armer Markie. Dein Herz rast ja«, sagte sie und schmiegte den Kopf wieder an seine Brust. »Gibt es denn irgendetwas, das Moira für Markie tun kann?«

»Nein«, sagte er schroffer, als er es beabsichtigt hatte. »Schlaf weiter.«

Er war Student gewesen – Computerwissenschaft als Haupt-und Astronomie als Nebenfach. Damals hatte er ein gutes Leben gehabt. Als Sohn reicher Eltern hatte es ihm weder an Geld noch an Kleidung gefehlt, und an weiblicher Begleitung hatte es ihm auch nicht gemangelt.

»Sind Sie Mark James Rykand?«, hatte der größere der beiden Polizisten gefragt, die an der Tür des Apartments geklingelt hatten.

»Habe ich was verbrochen?«

»Nicht, dass wir wüssten, Mr Rykand. Wir sind wegen Ihrer Eltern hier. Sie hatten einen Unfall.«

Ein eiskaltes Messer hatte sich in sein Herz gebohrt. »Wie schwer sind sie verletzt?«

»Es tut mir leid, aber sie sind tot.«

Mark hatte die Nachricht erst richtig erfasst, als er die Leichen identifizierte. Es war ihm noch gelungen, den entstellten Leichnam seines Vaters zu identifizieren, ohne zusammenzubrechen, doch als er dann seine Mutter ohne offensichtliche Verletzungen nackt auf dem kalten Tisch liegen sah, war es einfach zu viel. Das Gefühl, ganz allein zu sein, hatte ihn überwältigt. Trotz seiner vielen Freunde glaubte er, dass nur eine einzige Person diese Leere auszufüllen vermochte. Und diese Person war seine Schwester Jani – doch leider erforschte sie gerade irgendein namenloses Sternsystem in den Tiefen des Alls.

In den darauffolgenden Wochen hatte er sich gefragt, wie er ihr die Nachricht am besten beibringen solle, als ihr Schiff schließlich zurückkehrte. Wie bei einem Besuch beim Zahnarzt war die Angst vor dem Ereignis schlimmer gewesen, als es dann in Wirklichkeit war. Er hatte es Jani nämlich gar nicht erst erzählen müssen. Die Sternenforschung hatte sich darum gekümmert, gleich nachdem ihr Schiff irgendwo jenseits des Jupiterorbits materialisiert war. Jani hatte fast drei Wochen, um den Verlust bis zu ihrer Rückkehr zur Erde zu bewältigen, und dann blieb sie kaum eine Woche. Ihr Besuch bei Mark hatte gerade lange genug gedauert, um sich auszuweinen und eine Vollmacht zu unterzeichnen, mit der sie ihm einen Blankoscheck bezüglich der Verwaltung ihres beiderseitigen Erbes ausstellte. Danach hatte er sie zum Raumhafen begleitet, zum Abschied geküsst und ihr nachgeschaut, bis sie wieder in den endlosen Weiten des Alls verschwunden war. Ihre Stippvisite hatte das quälende Gefühl der Einsamkeit nicht zu lindern vermocht.

Drei Jahre später wirkte dieses Gefühl immer noch in ihm nach. Mark wachte häufig schweißgebadet in zerwühlten Bettlaken auf, zitternd und die Fäuste um einen imaginären Steuerknüppel geballt, während er versuchte, die paar Meter an Höhe zu gewinnen, die seine Eltern gerettet hätten. Nach solchen Episoden wünschte Mark sich oft, dass er dem Beispiel seiner Schwester gefolgt wäre. Lieber ein Leben unter Freunden inmitten der riesigen Leere als ein Leben allein unter den wimmelnden Milliarden der Erde.

Moira registrierte die blinkende Nachricht auf dem Monitor im Schlafzimmer zuerst. Sie waren vor zehn Minuten nach Hause gekommen und bereiteten sich auf das Schlafengehen vor.

»Du hast eine dringende Nachricht, Mark«, sagte sie mit schräg gelegtem Kopf, weil sie gerade einen Ohrring abnahm.

»Von wem?«, fragte er hektisch.

»Steht nicht da.«

Er murmelte etwas vor sich hin und stapfte barfuß ins Schlafzimmer. Tatsächlich blinkte der diagonale rote Streifen, der um sofortige Aufmerksamkeit heischte, auf dem Bildschirm. Er löschte ihn und rief die Nachricht auf. Es erschien ein ihm völlig unbekanntes Gesicht.

»Mr Rykand, hier spricht Hans Cristobal, Offizier vom Dienst im Sternenforschungs-Hauptquartier«, sagte die Aufzeichnung. »Rufen Sie mich bitte zurück, wenn Sie wieder zu Hause sind. Es ist wichtig.«

Der ernste Gesichtsausdruck und die geschäftsmäßige Mitteilung genügten, um Mark zu erschüttern. Ein Anruf vom Diensthabenden der Sternenforschung konnte nur eins bedeuten. Er musste nur noch herausfinden, wie schlecht die Nachricht war. Mark tippte mit zitternden Fingern die Zahlen am unteren Bildschirmrand ein und wartete eine halbe Ewigkeit, bis er in dasselbe Gesicht schaute wie in der Aufzeichnung.

»Ja, was kann ich für Sie tun? … Ach, Mr Rykand. Danke für Ihren Rückruf.«

»Was ist mit meiner Schwester geschehen?«, fragte er ohne Umschweife.

Der Offizier blinzelte; er wusste nicht, wie er auf die direkte Frage reagieren sollte. Das Zögern sprach aber Bände. Mark hatte diesen Blick früher schon gesehen, im Gesicht des Polizisten, der ihm die Nachricht über seine Eltern überbracht hatte.

Nach einer Pause, die fast viermal so lang war, wie es dauerte, um eine Nachricht um die halbe Welt zu übermitteln, sagte der Polizist: »Es tut mir leid, Mr Rykand. Ich habe die traurige Pflicht, Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Schwester vor drei Wochen bei einem Unfall ums Leben gekommen ist.«

»Wie ist das passiert?«

»Über den genauen Hergang wissen wir noch nicht Bescheid. Vielleicht werden wir mehr wissen, wenn die Magellan andockt. Im Moment kann ich Ihnen nur so viel sagen, dass wir die offizielle Bestätigung ihres Todes erhalten haben.«

Er wurde erneut vom Albtraum wegen seiner Eltern heimgesucht. Mark spürte, wie die kalte Hand sich wieder um sein Herz schloss – wie damals vor drei Jahren. Nur dass es diesmal vielleicht noch schlimmer war. Er hörte kaum seine eigene Stimme, als er fragte: »Wann werden Sie den Leichnam nach Hause überführen?«

Der Offizier vom Dienst zögerte. Als er wieder etwas sagte, spendeten seine Worte keinen Trost. »Es gibt leider keinen Leichnam. Wir werden natürlich zu einem Zeitpunkt und an einem Ort Ihrer Wahl einen Gedenkgottesdienst für Frau Rykand arrangieren. Außerdem wäre da noch eine Versicherungsangelegenheit zu regeln. Ich glaube, sie hat Sie als Begünstigten bestimmt.«

»Ich bin an ihrer Versicherung nicht interessiert, verdammt. Ich will wissen, was passiert ist!«

»Wie ich schon sagte, Sir, verfüge ich zurzeit nicht über diese Informationen. Vielleicht in ein paar Wochen …«

Der Bildschirm klapperte auf dem Schreibtisch, als er mit der Faust auf die Aus-Taste schlug. Fast eine Minute lang saß er zitternd vor dem dunklen Bildschirm, bis Moira hereinkam, um der Ursache des Geräuschs auf den Grund zu gehen.

»Was ist los?«, murmelte sie beim Anblick seines Gesichtsausdrucks.

»Jani ist tot. Dieser Anruf kam vom Hauptquartier der Sternenforschung. Tut uns leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, Mr Rykand. Nein, wir wissen noch nichts Genaues, Mr Rykand. Tut uns leid, aber der Leichnam kann nicht überführt werden …«

Marks Stimme brach ab, und sein Körper schüttelte sich in einem Weinkrampf. Im nächsten Moment wurde er von Moira in den Armen gewiegt Sie strich ihm übers Haar und redete leise auf ihn ein. Es half alles nichts. Die alte Vorahnung war zurück. Er wurde das Gefühl nicht los, dass seine Einsamkeit diesmal von Dauer sein würde.

Mark Rykand sah endlose Weingärten an sich vorüberziehen, während das Torpedo-Auto im der Schwerkraft trotzenden Flug zwischen den reihengeschalteten elektromagnetischen Beschleunigungsringen hindurchzischte. Dieser idyllische Teil der nördlichen Schweiz mit seinen grünen Hügeln und weiß getünchten Häusern zog mit »gemütlichen« 200 km/h vorbei. Normalerweise wäre er von dieser Ansicht verzaubert worden. Aber nicht heute. An diesem Morgen fühlte er sich leer – emotional, physisch, geistig, moralisch. Der menschliche Körper hat nur eine begrenzte Kapazität für starke Emotionen, und dieses Quantum hatte er in den letzten vierundzwanzig Stunden verbraucht. Die einzige Regung war ein dumpfer Zorn, ein schwaches Nachglühen der Wut, die ihn in den dunklen Stunden vor dem Sonnenaufgang zu verzehren gedroht hatte.

Das Torpedo-Auto erklomm eine Höhe, die zu den blauen Weiten des Bodensees hin abfiel. Die Silhouetten weißer Segel hoben sich gegen das Dunkelblau des Sees ab. Die Aussicht war jedoch nur von kurzer Dauer. Bald verschwand das Fahrzeug auf seiner Trasse aus Pylonen und Ring-Beschleunigern hinter einem niedrigen Hügel. Der See kam ein letztes Mal ins Bild. Am anderen Ufer erschien die Pyramide aus Glas und Stahl, die das Hauptquartier der Sternenforschung war, so groß wie die entfernten Alpen. Das Gebäude wurde mit flüssigem Gold überzogen, als das Licht der frühen Morgensonne von der Ostflanke der Pyramide reflektiert wurde. Und im nächsten Moment waren der See, die Boote und die Pyramide am anderen Ufer auch schon wieder verschwunden, als das Fahrzeug in den schwarzen Schlund des Tunnels einfuhr, der es ans andere Ufer bringen würde.

Marks Zorn war zunächst ungerichtet gewesen. Er hatte mit dem unbarmherzigen Weltall gehadert, das ihn in der kurzen Zeitspanne von drei Jahren seiner ganzen Familie beraubt hatte. Aber es ist nicht sehr befriedigend, den Sternen mit der Faust zu drohen. Wenn jemand stirbt, dann ist laut herrschender Meinung auch jemand dafür verantwortlich. Der Schuldige könnte ein Verbrecher, der betrunkene Pilot des Luftautos oder sogar das Opfer selbst sein – wenn es nämlich Raubbau an seiner Gesundheit betrieben hat und dann an einem Herzanfall stirbt.

Bis er alle Hintergründe des Todes von Jani kannte, war eine Schuldzuweisung nicht möglich. Und je länger er über die Weigerung des Offiziers nachdachte, ihm die Umstände des Todes seiner Schwester mitzuteilen, desto zorniger wurde er. Wie konnten sie es überhaupt wagen, ihrem einzigen Verwandten solche elementaren Informationen vorzuenthalten?

Die Sonne hatte sich noch nicht über die Sierra erhoben, als er einen Flug auf dem ersten Suborbitalflug nach Europa reserviert hatte. Sogar dann verschwor die Natur sich gegen ihn. Die achtstündige Zeitverschiebung bedeutete, dass der erste Direktflug nicht vor dem frühen Abend ging. Er hatte den Tag in banger Erwartung und mit sinnlosem Hader verbracht, bevor er einen Suborbital-Hyperjet nach Zürich bestieg.

In weniger als einer Minute hatte das Auto den Tunnel wieder verlassen und erklomm im Sonnenschein die niedrigen Hügel, in die die alte Festung Meersburg eingebettet war. Das Torpedo-Auto drehte sich um die Längsachse, um den Drall einer lang gezogenen Rechtskurve auszugleichen. Die Pylonen der Ring-Beschleuniger verliefen parallel zum Ufer und strebten der glänzenden Pyramide entgegen, die die Bäume überragte. Eine Minute später verzögerte das Auto mit hohen Bremswerten, fuhr in die Pyramide ein und kam in der unterirdischen Transportstation zum Stillstand. Die meisten Passagiere standen auf und warteten geduldig, dass die automatischen Türen sich öffneten. Als Mark dann an der Reihe war, bewegte er sich wie in Trance.

»Herr Rykand?«, fragte eine junge Frau, als er das Fahrzeug verließ.

»Ja?«

»Mein Name ist Amalthea Palan. Ich bin Sonder-Assistentin des Direktors. Wir haben die Ankündigung Ihres Besuchs erst gestern am späten Abend erhalten. Direktor Bartok lässt sich entschuldigen. Er vermag Sie leider nicht persönlich zu empfangen, weil er heute an einer Konferenz in Toronto teilnimmt. Er hat mich jedoch gebeten, Ihnen sein aufrichtiges Beileid für Ihren Verlust auszusprechen. Ihre Schwester war ein geschätztes Mitglied unserer Familie. Wir werden sie sehr vermissen.«

»Sehen Sie, ich will Ihnen keine Ungelegenheiten bereiten, aber ich werde auch nicht dazu schweigen. Ich bin hergekommen, um herauszufinden, wie meine Schwester starb. Ich glaube, dass Sie mir diese Auskunft schulden.«

»Ich verstehe Ihr Anliegen, Herr Rykand. Wieso fahren wir nicht zu meinem Büro hoch und besprechen es dort? Ich werde Ihnen gern alles sagen, was wir wissen – auch wenn es noch so wenig ist.«

Sie fuhren mit einer Rolltreppe bis zum Erdgeschoss des Gebäudes. Die öffentlich zugängliche Eingangshalle des Sternenforschungs-Hauptquartiers war eines der acht architektonischen Weltwunder. Es war der größte umbaute Raum auf dem Planeten und übertraf sogar das alte Raumschiffsmontage-Gebäude im Museum von Cape Canaveral. Die aus poliertem Marmor bestehende weite Halle erinnerte Mark an ein Mausoleum – ein Gedanke, den er sofort wieder verdrängte, kaum dass er ihm gekommen war. Die Wände waren mit Ansichten von Welten gesäumt, die die Sternenforschung entdeckt hatte. Es war früher Montagmorgen, und die üblichen kleinen Gruppen von Schulkindern waren noch nicht hier aufgekreuzt, sodass das Anti-Echo-Feld noch aktiviert werden musste. Mark hörte seine und Amalthea Palans Schritte von der hohen Decke widerhallen.

Sie nahmen eine andere Rolltreppe zu einem Zwischengeschoss und dann einen Expresslift in die 27. Etage. Die Assistentin des Direktors geleitete ihn in ein feudal eingerichtetes Büro mit einem schrägen Fenster, das auf den See hinausging.

»Darf ich Ihnen etwas anbieten, Herr Rykand? Kaffee, Tee oder vielleicht etwas Stärkeres?«, fragte sie, während sie ihn zu einem Ledersofa führte und dann ihm gegenüber Platz nahm.

»Nein, danke.«

Amalthea musterte ihren Besucher.

Sie sah einen muskulösen jungen Mann – etwas mehr als mittelgroß, mit sandfarbenem Haar und stechenden blauen Augen. Er hätte fast gut ausgesehen, wären da nicht die dunklen Ringe um die Augen und die heruntergezogenen Mundwinkel gewesen. Außerdem schien er sich heute nicht rasiert zu haben. »Sie nehmen mir das hoffentlich nicht übel, Herr Rykand, aber Sie machen den Eindruck, als ob Sie seit längerer Zeit nicht mehr geschlafen hätten.«

»Könnten Sie denn schlafen, wenn es Ihre Schwester gewesen wäre?«

»Nein, vermutlich nicht. Wenn Sie es wünschen, wird unser Personalarzt Ihnen etwas verschreiben, wenn wir hier fertig sind. Wir könnten Ihnen sogar eine Unterkunft in diesem Gebäude zur Verfügung stellen. Wir halten sie für wichtige Persönlichkeiten bereit.«

»Ich möchte bitte nur wissen, was mit meiner Schwester geschehen ist.«

Sie legte eine Pause ein, schien einen Entschluss zu fassen und sagte dann: »In Ordnung. Wissen Sie über die Arbeit Ihrer Schwester im tiefen Weltraum Bescheid?«

»Sie war eine Scout-Pilotin.«

»Ganz recht. Soweit ich weiß, ist das System, das die Magellan auf dieser Reise erforschte, ziemlich schmutzig im Vergleich zu den meisten. Es gab dort viele Meteoriten und Staub. Die Astrophysiker sagen, das sei normal für ein neues System. Ich persönlich bin auf Volkswirtschaft spezialisiert und verstehe im Grunde nichts von diesen technischen Dingen. Sie etwa?«

Mark nickte. Er hatte im Nebenfach-Studium eine Reihe von Vorlesungen über die Evolution von Sternsystemen besucht.

»Jedenfalls war das Scout-Boot Ihrer Schwester mit ein paar Planetenwissenschaftlern des Schiffs zu einem Mond unterwegs, als es mit einem orbitalen Schuttbrocken kollidierte. Das Schiff wurde sofort pulverisiert. Deshalb können wir Ihnen den Leichnam von Frau Rykand auch nicht übergeben.«

»Gab es noch mehr Tote?«

»Insgesamt acht, gemäß dem Bericht des Captains der Magellan. Das ist leider alles, was wir über den Vorfall wissen – bis das Schiff andockt und das vollständige Logbuch sendet.«

»Vielleicht kann ich mit dem Captain sprechen, um mehr Information zu bekommen«, sagte Mark.

Amalthea Palan seufzte und neigte den Kopf in einer sonderbaren Pose. »Ich befürchte, das ist unmöglich. Das Schiff befindet sich noch jenseits der Marsumlaufbahn, und eine Zweiwegekommunikation ist noch nicht praktikabel. Die Lichtgeschwindigkeitsverzögerung, wissen Sie.«

»Wann wird es ankommen?«

»In einer Woche.«

»Vielleicht kann ich den Captain dann aufsuchen, um zu erfahren, was Jani zugestoßen ist, und ihre persönlichen Dinge abzuholen.«

»Wir werden Ihnen ihren Nachlass zustellen. Sie werden doch nicht extra in den Orbit fliegen wollen, nur um sie in Empfang zu nehmen.«

»Ich bin reich. Ich scheue die Kosten nicht.«

»Ich verstehe Ihren Schmerz, aber es gibt wirklich nichts Konstruktives, was Sie im Orbit tun könnten. Zumal Captain Landon ohnehin nicht imstande sein wird, sich mit Ihnen zu treffen. Einmal wegen der obligatorischen Quarantäne, und dann wird er alle Hände voll zu tun haben, das Schiff für den nächsten Flug vorzubereiten. Ich sage Ihnen was. Wir werden Ihnen eine Kopie des Logbuchs senden, sobald wir es erhalten. Ist das akzeptabel für Sie?«

Mark musterte die hübsche Blondine ihm gegenüber. Ihr Auftritt erinnerte ihn an die geschäftsmäßigen Kondolenzen eines Leichenbestatters. Vielleicht war es der Mangel an Schlaf oder der Umstand, dass seine Sinne so angespannt waren. Auf jeden Fall hatte er den Eindruck, dass sie ihm nicht die Wahrheit sagte – zumindest nicht die ganze Wahrheit. Er runzelte die Stirn und nickte dann. »Ich werde mich wohl damit begnügen müssen.«

Sie setzten das Gespräch noch für zehn Minuten fort, und dann wurde Mark auf direktem Weg zur Transportstation zurückgebracht, wo er ein Torpedo-Auto Richtung Süden bestieg. Er sah Amalthea Palan auf der Plattform ausharren, bis sein Auto das Gebäude verlassen hatte.

Mark sann bereits über den nächsten Zug nach. Wenn die Sternenforschung nun glaubte, er würde wieder nach Kalifornien verschwinden und aufgeben, waren sie auf dem Holzweg. Irgendjemand war für den Tod seiner Schwester verantwortlich, und er würde nicht ruhen, bis er diesen Jemand ermittelt hatte!

3

Nadine Halstrøm, Welt-Koordinatorin und der wohl mächtigste lebende Mensch, saß in der Dunkelheit und betrachtete die Bilder, die in den Tiefen des Holowürfels schimmerten. Neben ihr saß Anton Bartok, Direktor der Sternenforschung. Außerhalb des verdunkelten Büros hallten die Donnerschläge eines Spätnachmittags-Gewitters in der Stadtlandschaft von Toronto wider. Regen prasselte gegen die Flanke des hundertstöckigen Bürohauses, das die Bürokratie beherbergte, die dem Weltparlament zuarbeitete.

Die Aufzeichnung des Gefechts der Magellan mit dem außerirdischen Raumschiff und dem Finale furioso brach in einem statischen Flackern ab, als die Lichter im Büro der Koordinatorin angingen. Nadine Halstrøm blinzelte in der plötzlichen Helligkeit.

»Mein Gott, Anton. Dann ist es also wahr!«

»Ja, Madame Koordinatorin. Captain Landon hat mir diese Aufzeichnung und seinen Bericht über die sichere Funkstrecke komprimiert übermittelt, gleich nachdem die Magellan in den Unterlichtbereich gefallen ist.«

» Wo ist die Magellan jetzt?«

»Sie kreuzt gerade die Marsumlaufbahn in Richtung Inneres Sonnensystem. In ungefähr einer Woche müsste sie hier sein.«

»Ich muss gestehen, dass ich Ihre erste Nachricht mit einer gewissen Skepsis zur Kenntnis genommen hatte, Herr Direktor. Nachdem ich es aber mit eigenen Augen gesehen habe, muss ich sagen, dass Sie die Angelegenheit eher noch heruntergespielt haben. Haben Sie auch die Weiterungen bedacht?«

Bartok nickte. »Ich habe in den letzten anderthalb Tagen an nichts anderes gedacht, Madame Koordinatorin.«

Nadine Halstrøm seufzte. Sie hatte selbst auch kaum an etwas anderes gedacht. »Ich glaube, wir haben hier ein großes Problem.«

»Da stimme ich Ihnen zu.«

»Haben wir schon eine Vorstellung von der Herkunft dieser Außerirdischen oder ihrem militärischen Potenzial?«

Bartok schüttelte mit düsterem Gesichtsausdruck den Kopf. »Nein.«

»Dann sollten wir es am besten unter Verschluss halten, bis wir mehr wissen.«

»Ob dies denn so klug wäre? Die Medienfritzen werden uns in der Luft zerreißen, wenn sie spitzkriegen, dass wir ihnen das vorenthalten haben.«

»Das ist nun auch nicht mehr zu ändern. Haben Sie denn eine Vorstellung davon, wie es sich auf die Menschen auswirken wird, wenn sie jeden Abend mit der Angst zu Bett gehen, am nächsten Morgen tot aufzuwachen?«

»Ich finde, dass dies den Kern der Sache nur bedingt trifft, Madame Koordinatorin.«

»Ich wünschte, es wäre nur eine Übertreibung, Anton. Sie sollten sich aber mal schlaumachen. Um eine Psychose im Tier ›Mensch‹ hervorzurufen, muss man ihm nur einen Anlass bieten, sich vor etwas zu fürchten, das er nicht versteht. Ich kann Ihnen ein Dutzend Beispiele aus der Geschichte zitieren, wenn Sie möchten.«

Nadine Halstrøm hatte ihre Karriere als Professorin für Geschichte begonnen und war nur durch eine Verkettung von Zufällen in die Politik gekommen. Ihr Spezialgebiet war das zwanzigste Jahrhundert gewesen, in dem die Gewalt auf die Spitze getrieben worden war. In vielerlei Hinsicht war dieses Jahrhundert eine Verirrung gewesen, eine Umleitung in blindwütige Vernichtung. Es war ein Zeitalter gewesen, in dem die Frage des nationalen Überlebens eine perverse Logik hervorgebracht hatte. Wie sonst war die fünfzigjährige Pattsituation zu erklären, die die letzte Hälfte des blutigsten Jahrhunderts der Geschichte geprägt hatte? Die östlichen und westlichen Machtblöcke hatten sich bei einem Angriff mit gegenseitiger Vernichtung gedroht und zugleich ihren Friedenswillen bekundet. Für mehr als zwei Generationen hatten die Menschen in der Angst vor dem Tod gelebt, der vom Himmel herabregnete, und diese Angst hatte ihr ganzes Denken und Handeln bestimmt. Bei der Vorstellung, dass so etwas in ihrem Jahrhundert sich wiederholen könnte, lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter.

»In Ordnung«, erwiderte Bartok, »dann werden wir die Außerirdischen unter Verschluss halten.«

»Und wie gedenken Sie das zu tun, Anton?«

Trotz der scheinbar harmlosen Frage war der Direktor der Sternenforschung sich bewusst, dass sein Job von der Beantwortung dieser Frage abhing. Er ließ sich die Sache für ein paar Sekunden durch den Kopf gehen, wobei er die Backen abwechselnd aufblies und zusammenzog. Das war eine Angewohnheit, der er sich überhaupt nicht bewusst war.

»Das Standardverfahren sieht vor, den Außerirdischen in der Hochstation in Quarantäne zu halten, bis die Biologen ihn freigeben. Es liegt aber auf der Hand, dass wir das in diesem Fall nicht tun können. Die Hochstation ist zu öffentlich, um ein Geheimnis dieser Größenordnung für längere Zeit zu wahren.«

»Sie wollen doch nicht etwa sagen, dass wir auf eine Quarantäne verzichten sollen!«

»Nein, natürlich nicht. Was wir brauchen, ist ein isolierter Ort, wo wir die notwendigen Tests durchführen können – ein Ort, zu dem wir den Zugang zu kontrollieren vermögen.«

»Irgendwelche Vorschläge?«

»Wie wäre es mit der PoleStar? Sie ist im Besitz des Wetter-Direktorats, und es findet praktisch kein Verkehr zum und vom Habitat aus statt.«

Nadine Halstrøm schaute nachdenklich und ließ ein Lächeln aufblitzen, das als ihr Markenzeichen bei Milliarden von Holovisions-Zuschauern galt. »Hmmm, nicht schlecht … wirklich nicht schlecht! Es ist schön abgelegen und in einem Orbit, der von der Äquatorialebene aus nur schwierig zu erreichen ist. Ich werde dafür sorgen, dass das Wetter-Direktorat kooperiert. Welche Probleme würden sich daraus ergeben, es in eine Operationsbasis umzuwandeln?«

»Wir werden die Laboreinrichtungen der Hochstation natürlich duplizieren und mit Fachleuten besetzen müssen. Sobald wir Personal und Ausrüstung von der Hochstation verlegen, wird irgendjemand reden.«

»Dann lassen wir das eben. Sie können die Fachleute von der Magellan für die meisten Aufgaben einsetzen. Und die zusätzlichen Wissenschaftler, die wir brauchen, werden wir hier auf der Erde anwerben. Das Gleiche gilt für die Beschaffung der Ausrüstung. So werden alle Beteiligten nur Teile des Puzzles sehen und nicht etwa das ganze Bild. Zur weiteren Verschleierung muss der Flugplan der Magellan aus dem Computer der Himmelsbeobachtung gelöscht werden. Es wird uns zwar nicht gelingen, die Rückkehr des Schiffs geheim zu halten, aber – bei Gott – wir können es jedem erschweren, es zu finden.«

Bartok kritzelte eine Notiz aufs Display seines Taschencomputers. »Dann wäre da noch die Sache mit den Personen, die umgekommen sind«, fuhr er fort. »Wir haben ihre Angehörigen benachrichtigt.«

»Gibt es irgendwelche Probleme?«

»Die Familien stehen im Moment unter Schock. Ich glaube, dass wir sie abwimmeln können, falls sie zu viele Fragen stellen. Die Scout-Pilotin war alleinstehend und wohlhabend. Das gilt auch für ihren Bruder. Er ist zurzeit im Hauptquartier und zieht Erkundigungen über den Tod seiner Schwester ein.«

»Ich nehme an, Sie haben eine plausible Erklärung parat.«

Bartok nickte. »Meine Assistentin wird ihm erzählen, dass seine Schwester mit einem Brocken Weltraumschutt kollidiert sei. Das sollte ihn zufriedenstellen. Wir werden auch jemanden schicken, der ihm dabei behilflich ist, die Beisetzung zu arrangieren. Ich glaube, wenn wir uns in dieser Hinsicht intensiv um ihn kümmern, wird er bald damit aufhören, herumzuschnüffeln.«

»Es scheint, dass Sie die Dinge gut im Griff haben, Anton. Was sagen Sie aber dazu, dass diese Aliens unseren Scout und das Raumschiff ohne Vorwarnung angegriffen haben?«

»Offensichtlich sind sie kriegerisch.«

»Ich war eigentlich der Ansicht, dass Spezies, die es bis zum interstellaren Raumflug gebracht haben, die kriegerische Phase längst hinter sich hätten. Ich habe einmal eine entsprechende These formuliert.«

»Anscheinend ist Ihre These revisionsbedürftig.«

»Sie müssen sehr von sich überzeugt sein«, sagte sie versonnen. »Dass sie den Scout so plötzlich angriffen, ist ein Indiz dafür, dass sie die Magellan nicht als Bedrohung ansahen.«

»Woher hätten sie das aber wissen sollen?«, fragte Bartok. »Sie hatten doch noch nie zuvor ein menschliches Schiff gesehen.«

»Paranoiker?«

»Vielleicht. Dennoch stimmt der Umstand, dass sie uns ohne jeden Grund angegriffen haben, mich weniger besorgt als das, was unsere Leute an Bord dieses Wracks gefunden haben. Sie haben die Körper gesehen. Hatten Sie denn den Eindruck, es würde sich um ein und dieselbe Art handeln?«

»Nein, natürlich nicht.«

»Der Überlebende repräsentiert eine dritte Art, und diejenigen, die unseren Scout zerstörten, möglicherweise eine vierte.«

»Und was sagt uns das?«

»Dass wir uns in einer sehr prekären Lage befinden, Madame Koordinatorin. Die Beweise sprechen dafür, dass irgendwo – nicht allzu weit von hier entfernt – zwei interstellare Zivilisationen sich im Krieg miteinander befinden. Eine dieser Zivilisationen umfasst mindestens drei Sterne, wahrscheinlich mehr. Vielleicht viel mehr! Vielleicht trifft das auch auf beide zu.«

»Ist das eine zwangsläufige Schlussfolgerung?«, fragte Nadine und schaute den Direktor eindringlich an. »Wenn ein Fremder eines unserer Raumschiffe beträte, würde er schließlich auch

Titel der amerikanischen Originalausgabe

GIBRALTAR EARTH

Deutsche Übersetzung von Martin Gilbert

Deutsche Erstausgabe 1/08 Redaktion: Werner Bauer

Copyright © 2006 by Michael McCollum Copyright © 2008 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbHwww.heyne.de

Umschlagbild: Volkan Baga Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels

eISBN 978-641-08142-3

www.randomhouse.de

Leseprobe