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Ein Erzähler, möglicherweise ein ehemaliger Mönch, blickt zurück auf sein Leben: Kindheit und Jugend hatten darin keinen wahrhaftigen Platz, Vater und Mutter spielten nicht die ihnen zugedachte Rolle. Sein Weg führte ihn vom Glauben zum Zweifeln, vom Dorf in die Stadt. Der Stadt entflieht er in die Einsamkeit seiner Klause. Dort versucht er in Worte zu fassen, was ihn fassungslos macht, spürt den Gebeten nach, die einst so viel Kraft besaßen, vor dem Sturz Gottes …
In seinen neuen Gedichten sucht Friedrich Ani das Transzendente im Alltäglichen, die Gemeinschaft in der Einsamkeit und immer wieder die Erlösung durch Worte. Er erweist Vorbildern und Wegbegleitern die Ehre, gedenkt der Großen wie der Übersehenen. Mühelos wechselt er von der hohen Form zum Profanen, vom frei fließenden Sprachstrom zum Stakkato. Hier und da ein versteckter Reim, ein Psalm, ein Gesang und manchmal launige Verse voller Übermut. Immer nah am Menschen, nah an unserer Lebenswirklichkeit.
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Seitenzahl: 71
Friedrich Ani
Stift
Gedichte
Suhrkamp
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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2024
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage des suhrkamp taschenbuchs 5385.
Originalausgabe © Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2024
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Umschlaggestaltung: Brian Barth
eISBN 978-3-518-77775-6
www.suhrkamp.de
in den scheunen trocknet aufgehängte stille die bären meiner träume nahmen alle bienenstöcke aus die zeit blieb stehn in ferner zukunft und bleibt vergangen auf der tenne hinterm haus
Jan Skácel
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Informationen zum Buch
Cover
Titel
Impressum
Motto
1
Stift
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
XVIII
XIX
XX
XXI
XXII
XXIII
XXIV
XXV
XXVI
XXVII
XXVIII
XXIX
XXX
XXXI
XXXII
XXXIII
XXXIV
XXXV
XXXVI
XXXVII
XXXVIII
XXXIX
XL
XLI
XLII
XLIII
XLIV
XLV
2 Das Biest nebenan
Stadtcafé
Der Überlebende
Friedhof, Kochel am See
Untertags
Nachdem Lili Stummvoll ihre Katzen von der Brücke geworfen hat
Im Winter
Mordversuch
Rätsel über Rätsel
Langes Leben
Nach dem Verlust
Roboter
Heute
Das Jahr nach F.
Bis zum Rand
Ein Abend
Meine Generation
Pastorale
Zwei Gedichte
Wie üblich
Den Schreibenden
Meinem Kind
Jetzt
Für einander
Tiergetu
Bestimmung
Autobiografie
Große Dinge
Mein Haustier
Ich bin’s
Vater
Gehen
Im Spiegel
Das Biest nebenan
Weißes Bräuhaus, achtzehnvierundzwanzig
Gdicht ohn e
The Sax Never Sucks
Zimmer 214
Flux
Wir alle
Gesellschaftsnotiz
Auf der Insel
Lesen
Im Einklang
Elfjähriger, unmaskiert
Wörter. Menschen. Wörter.
Ankunft
Im sozialen Netz
Antigedicht
Aus Versehen
Erzählungen
Sommerzeit, extralarge
Echos und Veltliner
Das große Versäumen
Das Gedicht
Give Peace A Chance
Silvester
Vierzehn Kiesel
Eine Bitte
Diese Wörter
3
Du und kein Anderer
Gegenwart und Größenwahn
Ich Jacobus
Goldegg-Variationen
Informationen zum Buch
Stift
1
Ich mag nicht, wenn man mich
was fragt. Man fragt: Wie
geht es dir? Ich sage: Ich
weiß nicht. Man fragt: Bist
du am richtigen Ort? Ich sage: Wo
ist der richtige Ort? Hier, sagt
mein Gegenüber. Ich
schweige
Schweigen mag ich. Ich
mag in der Stille
harren, und niemand, der
klopft. Ich höre mir
zu, wenn ich schweige, denn:
Ich habe viel zu
sagen im Kopf
Niemandes Bruder
Jedermanns Stift
Im Zimmer ein Klausner
Zimmerling in der Klause
Bin freiwillig hier.
Oder? Oder doch
geschickt von einer
Stimme. Einer hinterhältigen,
gemeinen, verteufelt
gefälligen. Fang nicht
an, sage ich mir, den Teufel an
die Wand zu malen. Laut
muss ich lachen: Der Teufel,
wer ist das? Herr, sag mir
die Wahrheit, ich flehe
zu dir
Stille.
Die schöner wird.
So schön.
In mir
ist der Herr, der gestürzte
Engel genauso
Woran denkst du, fragt
mich Bruder Georg. Ich mag’s
nicht, wenn man mich
fragt. An nichts, sage
ich, an nichts. Und er: Das
ist gut, mein Freund, das ist
der erste Schritt
Vergebt der Göttin
den Himmel in Blau,
den Straßen das Vermächtnis
der Toten,
den Glocken das Gedenken
ans Leben. Zu
lieben
verstehen und niemals
die Liebe und die eine
Umarmung
des Tages, bevor die
Krallen der Nacht
nach euch greifen. Der Göttin
vergebt,
die ihr selber seid
Wild wuchs
die Blume meines
Zorns, ich war erst
sieben, später zwölf,
das Dorf ein Dorn
in meinem Herz, es
donnerte dagegen
an, es galoppierte
in mir tags und in den
Träumen, mir träumte, ich
entkäme dem Gehege, und
am Morgen wär ich
wo. Wild wuchs
die Blume meines Zorns
und
ich
mit
ihr
Heute habe ich versucht, eine Erklärung zu finden,
wieso meine Kindheit nicht aufhört
Ich habe verlernt, Zigaretten
zu drehen, dafür schämt
sich meine Jugend, kauernd,
kauend in der Ecke, wo
der Staub sich in Mäuse
verwandelt und die Zeit
aus Flusen besteht
So fangen Gebete an, von
Selbstmördern kurz nach
dem Aufschlag, wenn du
begreifst: Die Klippe war
nicht hoch genug und
deine Sehnsucht Selbstsucht
So rattern die Stunden
herunter, du jammerst,
gebenedeit von den heiligen
Geistern deiner krummen
Existenz, Eingeborener einer
steinernen Kammer, hörst
du denn nicht? Da ist
sonst keiner
Ich bin jetzt hier und
bin doch nirgends.
Ich bleib jetzt
hier und bleib doch
nirgends. Ich werd jetzt
hier sein und doch
nirgends.
Nirgends.
Bloß
hier an
diesem
keinen
Ort
Ist kein Ort
Ein Stift Der
Ort ist Stift ist
Ich. Bin
Stift bin nicht ich
ist Stift
hat mein
Gesicht bin es aber
nicht werd’s nie
mehr sein Stift
bleibt Stift
Seht ihr
mich
nicht
nicht
Ich bin es
Doch
Jubeln will ich, will
singen und lobpreisen.
Mir fehlen die Worte.
Beweisen das Glück,
das lohe Leben.
Mir fehlen die Worte.
Hinheben will ich dich
ins gesegnete Licht.
Mir fehlen die Worte.
Nichts als Schweigen,
verhangnes Gesicht.
Mir fehlen die Worte.
Mir fehlen die Worte.
Ich werde sie finden.
Verlass mich nicht
O Herr, beten
soll ich, sagt
die Mutter, ungeniert
dich preisen und um
Vergebung …
O Herr, auf
Wunsch der
Herrin meiner Kindheit
flehe ich zu
dir …
Das klappt so
nicht. O
Herr, du wohnst
im Himmel … Stimmt
das überhaupt? O
Herr,
vergib all jenen, die mit
geschliffnem Schweigen
Kindsmundsagen
schreddern, keine Silbe
ihrer Tat, kein
Gran ihres Verbrechens.
Schaffst du’s,
Herr? Mutter baut
so sehr
auf dich
Die wegweisenden Gespenster spenden
Segen dem Unheil, ihre
Augen verströmen Nächstenhass, und
in den Nachrichten applaudieren
Kommentatoren einer aberwitzig
korrekten Grammatik
Auf den alltäglichen Fluren: Schweigen
verpönt – was wäre auch
gewonnen, gäb kein Wort
das andere, so viel
Vergeblichkeit ertrüge kein
solches Jahrzehnt
Ich kann euch hören in
meiner Klause, wie ihr
nölt und Verdammnisse
organisiert, durch die Mauern
quillt Verrat, wabert ekelhafter
Atem. Aber: An diesen Steinen
endet eure Macht …
Nein.
Nein.
Auch ich: verstrickt in
Gegenwart, angeschlossen
ans ätherische Raunen,
verweigere Gebete,
Psalmen und Gesänge (seinem
Reichtum schadet’s keinen
Deut)
Euerm Gott, dem
Milliardär, genügt die blanke
Anwesenheit, wie meinem
die pure Abwesenheit für
Gesänge, Psalmen und
Gebete –
Verratzt im Haus des Herrn
Wie kommt’s, dass ich an meinen
Vater denke, aber nie
mit ihm gesprochen habe (außerhalb
des Schweigens), obgleich er
deutsch sprach, heißt’s (flüssig
gar) von Leuten, die ihn
schlechter kannten, ihren
arabischen Hausarzt, als ich, sein
häuslicher Sohn. Wie
kommt’s, dass heute
Dienstag ist, und er an einem
Dienstag
ging
Wie kommt’s
Nie ein Wort
Punkt
Ich betrete das
gottverlassene
Zimmer Bücher ausgestopft
mit Wörtern
Nie ein Wort
Punkt
Er sprach
doch, raunt
jemand mir
zu, doch, er
sprach, ich stand
direkt daneben
Nein
Punkt
Ich dulde solche
Widerworte
nicht Ich vergrub
mich damals wegen
ihm erschuf da
unten meine Jugend
Punkt
Punkt
Aus der Stimme meiner
Mutter schält ein fernes Leben
sich in Scheiben. Und einer
wandert nachts durchs
Haus und übt sein Bleiben
Sie ahnt ihn, lässt ihn aber
unbemerkt, im Garten
muss das Laub gerecht, Stund
um Stund gewerkt, muss das
Abendlicht noch gut gefüttert
werden mit Schatten, die
unter abgefallnen Äpfeln warten
Von all dem spricht
die Mutter freudig staunend, als
färb der erste Sommer ihr
Gesicht. Und während, raunend,
schon der Herbst, maskiert
als Wind, an ihren Knochen
scheuert – sie mag das
nicht, sie hält’s kaum aus, so
klein und mager wie ein
ausgezehrtes Kind –, befeuert
sie mit Worten Gottes
Garten, der ihr allein
gehört und ihr Ertrag beschert an
Früchten und an Ewigkeiten