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Schwitzt man auch beim Schwimmen? Sind gestillte Kinder intelligenter als ungestillte? Müssen Fische trinken? Woche für Woche senden die Leser der «Zeit»-Kolumne «Stimmt's?» ihrem Autor Christoph Drösser neue moderne Legenden und Alltagsweisheiten zum Wahrheitstest. Und Woche für Woche findet er Antworten. Im fünften «Stimmt's?»-Band sind weitere 99 Fragen versammelt, wie in den früheren Bänden erweitert um interessante Tatsachen, die Christoph Drösser bei der Recherche gefunden hat oder die ihm Leser nach dem Erscheinen zugeschickt haben.
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Seitenzahl: 127
Christoph Drösser
Stimmt’s?
Moderne Legenden im Test – Folge 5
mit Illustrationen von Rattelschneck
«Der durchschnittliche Deutsche besitzt nur vier Bücher» – zum Glück ist diese Legende falsch (siehe S.145), und deshalb beglückwünsche ich Sie zum Kauf des fünften «Stimmt’s»-Bandes!
Im Mai 2007 konnte ich ein besonderes Jubiläum feiern: In der Zeit erschien die 500.Folge von «Stimmt’s?». Im Juni war der zehnte Geburtstag dran. Während ich in der Zeit immer auf Leserbriefe antworte, suche ich mir für die wochentägliche «Stimmt’s?»-Radiofrage auf Radio Eins (RBB) die Themen selbst aus, schon weit über 1000-mal. Und es stimmt, dass es oft schwieriger ist, die Frage zu finden als die Antwort darauf…
In diesem Buch nehme ich zum ersten Mal ein Urteil zurück und beantworte die Frage mit «stimmt» statt «stimmt nicht». Und zwar nicht, weil ich mich bei der ursprünglichen Antwort (sie stand im ersten Band) geirrt hätte, sondern weil sich inzwischen die Sachlage geändert hat. Es geht darum, ob ein Mensch mit seiner Stimme ein Glas zersingen kann. Das Kunststück wurde in einer amerikanischen Fernsehsendung demonstriert (siehe Seite 99), und ich habe keinen Grund, an den Fähigkeiten des stimmgewaltigen Rocksängers zu zweifeln. Das Beispiel zeigt auch: Wie in der Wissenschaft, so sind auch bei den «Stimmt’s»-Fragen die Antworten grundsätzlich vorläufig. Eine neue Datenlage kann alte Wahrheiten umstürzen – das gilt für die ganz großen wissenschaftlichen Themen, aber eben auch für die eher beiläufigen «Stimmt’s»-Geschichten.
Hamburg, im Sommer 2007
Christoph Drösser
Stimmt. Sie heißt Erla Stefánsdóttir und arbeitet für das Bauamt in der Hauptstadt Reykjavík, und sie fühlt sich nicht nur für Elfen, sondern auch für Trolle, Gnome und anderes Huldofólk zuständig – so nennen die Isländer die für den Normalsterblichen unsichtbaren Wesen. Frau Erla, die ansonsten als Klavierlehrerin arbeitet, hat eine «Landkarte der verborgenen Welt» erstellt, und bei größeren Bauvorhaben wird sie um ihre Meinung gefragt. Sie hat auch einige Pläne schon per Veto verhindert oder verändert: Der Elfenhügelweg zwischen Reykjavík und Kópavogur macht einen Bogen um einen angeblich von Elfen bewohnten Hügel; man wollte die Ruhe der Fabelwesen nicht stören, die sich wohl von Bau- und Verkehrslärm belästigt fühlen. In der Stadt Grundarfjörður blieb zwischen zwei Häusern ein von Fantasiewesen bewohnter Fels stehen und bekam sogar die Hausnummer 84.
Die Isländer sind zwar zu über 95Prozent Christen, aber sie wurden spät missioniert, um das Jahr 1000.Und offenbar haben die Missionare auf die Bewohner der entlegenen Insel nicht restlos überzeugend gewirkt. Jedenfalls hält sich parallel zur christlichen Lehre der Glaube an Naturgeister. In Umfragen bekennt sich mehr als die Hälfte des Inselvolks dazu. Die protestantische Staatskirche protestiert manchmal, wenn der Aberglaube gar zu hohe Wellen schlägt, aber das schert die Leute anscheinend wenig.
Natürlich kann man davon ausgehen, dass die offiziellen Stellen in der Elfenbeauftragten auch eine folkloristische Einrichtung zur Förderung des Fremdenverkehrs sehen. So mancher Tourist bringt eine Elfenkarte als Souvenir mit nach Hause. Frau Erla, die auch ein Buch über Elfen und Trolle veröffentlicht hat, glaubt allerdings fest an die «feinstofflichen» Wesen, sie kann sie sehen und mit ihnen reden. Und selbstverständlich kennt sie sich auch mit Wasseradern und Erdstrahlen aus, die ein Bauvorhaben beeinträchtigen könnten.
Stimmt. Ein eingeschaltetes Handy ist leicht zu orten – es hält Kontakt mit den nächstgelegenen Funkmasten, so weiß der Netzbetreiber stets, in welcher Funkzelle sich das Gerät befindet. Das heißt in dichtbesiedelten Gebieten: bis auf 50 oder 100Meter genau.
Aber geht das auch, wenn das Gerät ausgeschaltet ist und sich nicht mehr aktiv im Netz anmeldet? Der Aus-Schalter in modernen Mobiltelefonen tut längst nicht mehr das, was wir uns darunter vorstellen – nämlich sämtliche Aktivitäten des Geräts unterbrechen. Das kann man zum Beispiel daran sehen, dass man sich von den meisten Handys wecken lassen kann, auch wenn das Gerät ausgeschaltet ist. Zur gewünschten Weckzeit erwacht das scheintote Telefon plötzlich zum Leben und beginnt zu piepsen.
Das unmanipulierte Handy des Durchschnittsbenutzers ist in diesem Schlummerzustand abhörsicher. Damit das Gerät nur so tut, als ob es aus wäre, in Wirklichkeit aber sendet, muss seine Software manipuliert werden. Das ist prinzipiell möglich, sogar ohne dass der Abhörende das Handy in die Finger bekommt. Manche modernen Geräte– Sicherheitsexperten erwähnen vor allem das Modell Razr von Motorola und die 900er-Serie von Samsung – erlauben eine Aktualisierung der Software über das Netz. Eigentlich als Möglichkeit zur Fernwartung gedacht, können prinzipiell auch ungebetene Zuhörer auf diesem Weg ein Mobiltelefon zu einer Wanze umfunktionieren. Anfang Dezember wurde im Rahmen eines Prozesses gegen zwei New Yorker Mafiaverdächtige bekannt, dass das amerikanische FBI offenbar diese Methode genutzt hat, um die Beschuldigten abzuhören. Eine Bestätigung dafür ist von den Berufsspionen natürlich nicht zu bekommen, und auch Handyhersteller und Netzbetreiber hüllen sich in vielsagendes Schweigen.
Wer wirklich absolut sicher sein will vor ungebetenen Mithörern, der hält sich an die Vorschrift, die in Vorstandsetagen oder Kabinettsrunden bei wichtigen Besprechungen gilt: Da müssen die Teilnehmer ihre Handys nicht nur ausschalten, sondern auch den Akku herausnehmen. Dann geht wirklich nichts mehr.
Stimmt nicht. Die Behauptung, dass Haie keinen Krebs bekommen können, ist die Grundlage für einen schwunghaften Handel mit «Nahrungsergänzungsmitteln» aus Haiknorpeln. Für die darf man nicht mit Slogans wie «schützt vor Krebs» werben – das wäre eine medizinische Behauptung, und das Pülverchen unterläge dann viel strengeren Regeln. Trotzdem ist die erwünschte Assoziation: Der Fisch kriegt keinen Krebs, also schützt das Pulver den Menschen vor der bösen Krankheit.
Es gibt an der George Washington University in St.Louis ein Krebsregister der niederen Tierarten. Dort wird penibel verzeichnet, welche Krebsarten die unterschiedlichen Tiere bekommen können. Für Haie sind dort unter anderem Tumore im Hirn, in den Nieren, in Hoden und Haut verzeichnet – und sogar Knorpelsarkome sind belegt. Zwar kommt die Krankheit weniger häufig vor als bei anderen Fischarten, aber von Immunität kann keine Rede sein.
Eine andere Frage ist, ob der zermahlene Haifischknorpel bei menschlichen Krebspatienten irgendwelche positiven Wirkungen hat. Das ist sogar schon in mehreren klinischen Studien untersucht worden, unter anderem von Forschern der Mayo Clinic in Rochester, die ihre Ergebnisse im Fachblatt Cancer veröffentlicht haben. Die Doppelblindstudie an 85Probanden erbrachte keinen Unterschied in der Wirkung von Haifischpulver und Placebo. Das Knorpelpräparat löste aber bei einigen Patienten Unwohlsein aus. Dies ist allerdings nicht die einzige erwiesene «Nebenwirkung» der Pseudomedizin: Sie trägt zur Gefährdung der Haibestände bei. Einige Arten stehen auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten.
Eine Anekdote am Rande ist, dass sich ausgerechnet Bayer 04Leverkusen, die Fußballmannschaft des eigentlich mit wissenschaftlichen Methoden forschenden Pharmakonzerns, auf seiner Website für das Alternativpulver aus dem Knorpel des Haifischs starkmacht.
Stimmt. Oft liest man, dass Sportler über mehr Schweißdrüsen verfügten als untrainierte Menschen. Das ist Unsinn, die Zahl der Schweißdrüsen eines Menschen liegt im Alter von etwa drei Jahren fest. Es sind zwischen zwei und vier Millionen, es gibt also durchaus genetische Unterschiede.
Sportler müssen jedoch keine neuen Schweißdrüsen bilden, um mehr schwitzen zu können, es reicht, wenn die vorhandenen Drüsen mehr Schweiß abgeben. Beim Krafttraining bekommen Sie ja auch keine neuen Muskeln, die vorhandenen werden nur kräftiger. Und es kommt auf die Zahl der aktiven Schweißdrüsen an. Bei Anstrengung schaltet der Körper die Drüsen nacheinander ein. Bei einem trainierten Sportler werden nicht nur mehr Drüsen aktiv, sie fangen auch früher an, Schweiß abzusondern, weil sie durch das Training gelernt haben, dass gleich eine starke Erhöhung der Körpertemperatur zu erwarten ist. So kann ein trainierter Sportler im Wettkampf zwei bis drei Liter Schweiß produzieren, der Normalmensch schafft auch bei höchster Anstrengung nur knapp einen.
Auf diese Weise kann die scheinbar paradoxe Situation entstehen, dass bei gleicher Tätigkeit der Sportler früher zu schwitzen beginnt als der Untrainierte. Das bedeutet eben nicht, dass er sich mehr anstrengt, es ist nur die Fähigkeit seines Körpers, sich auf eine bevorstehende Höchstleistung einzustellen.
Stimmt. Jeder Bauer kann das Phänomen bestätigen. Aber wie schaffen es diese Brocken, sich scheinbar gegen die Schwerkraft nach oben zu bewegen?
Ich habe als Erstes an den «Paranuss-Effekt» gedacht, der in der Müslidose dafür sorgt, dass die großen Nüsse immer ganz oben liegen. Aber dieses Phänomen (das den Physikern bis heute Kopfzerbrechen bereitet) entsteht durch Schütteln – und der Boden eines Feldes wird ja wenig durcheinandergerüttelt.
Es gibt zwei Hauptursachen für die scheinbar «wachsenden» Steine: Eine ist der Bauer selbst, der durch das Pflügen Steine aus den Oberflächenschichten des Ackers ans Tageslicht bringt. Im Herbst, wenn das Feld gepflügt wird, sieht man davon noch nicht so viel, weil die Steine aussehen wie Erdklumpen. Erst durch die Regenfälle der folgenden Monate werden sie blank gewaschen und sind so im Frühjahr gut sichtbar.
Aber woher kommt der stetige Nachschub an Steinen, auch wenn der Bauer sie einmal im Jahr mühsam aufsammelt und Mäuerchen daraus baut? Das ist ein Effekt des Frosts. Steine leiten die Temperatur viel besser als lockeres Erdreich. Wenn die Kälte in den Boden kriecht, dann leiten Steine sie schnell nach unten. Unter einem Stein bildet sich so eine gefrorene Schicht, und da sich Wasser beim Gefrieren ausdehnt, wirkt ein Druck auf den Stein – das direkt darüberliegende, noch nicht gefrorene Erdreich gibt nach, der Stein rückt nach oben. Beim Auftauen sackt er nicht wieder zurück, weil sich eventuelle Hohlräume schnell mit Erde füllen. Und der Pflug befördert ihn dann endgültig ans Licht.
Die so genannte Pedoturbation, das ist in der Fachsprache die Verlagerung und Vermischung von Gesteinsschichten, kann in Gegenden mit starkem Frost so extrem sein, dass die Steine sogar nach ihrer Größe geschichtet werden – so als hätte jemand sie von Hand sortiert.
Stimmt. Das Lied «Happy Birthday to You» hieß ursprünglich «Good Morning to All». Im Jahr 1893 wurde es von zwei Erzieherinnen geschrieben, den Schwestern Mildred und Patty Hill aus Louisville in Kentucky, die das Lied morgens mit den Kindern in ihrem Kindergarten sangen. Der Ursprung des Geburtstagstextes liegt im Dunkeln. Er tauchte 1924 das erste Mal in gedruckter Form auf.
Eine dritte Hill-Schwester, Jessica, führte Anfang der dreißiger Jahre einen Prozess gegen die Verwendung des Liedes in einem Broadway-Musical. Zusammen mit einem Musikverlag, der Clayton F.Summy Company, sicherte sie sich im Jahr 1935 das Copyright für das Stück und veröffentlichte es. Damit war die Kombination von Melodie und Text geschützt («Good Morning to All» darf dagegen jeder singen). Das Urheberrecht ist indes kompliziert und von Land zu Land verschieden. In den USA galt es damals für maximal 56Jahre nach der Erstveröffentlichung. Diese Frist wurde jedoch immer wieder verlängert und beträgt heute 95Jahre – also ist das Geburtstagslied bis 2030 geschützt. In Europa dagegen ist die gängige Frist 70Jahre nach dem Tod des letzten Urhebers. Da Patty Hill 1946 starb, gilt der Schutz noch bis 2016.Der Musikverlag ist inzwischen im Konzern AOL Time Warner aufgegangen. Den Erben und dem Verlag bringt das Lied heute noch etwa zwei Millionen Dollar pro Jahr ein. Wenn es in einem Film gesungen wird, kann der Zuschauer sicher sein, dass es im Abspann erwähnt wird – und dass für die Verwendung des Lieds Tantiemen geflossen sind.
Trotzdem darf man im Familienkreis weiterhin «Happy Birthday» singen – der Schutz bezieht sich auf die kommerzielle Verwertung und die öffentliche Aufführung. Grenzwertig ist es, wenn etwa in einer öffentlich zugänglichen Kneipe ein spontanes Ständchen gegeben wird – aber wo kein Kläger ist, ist auch kein Richter.