Was macht KI mit unserer Sprache? - Christoph Drösser - E-Book

Was macht KI mit unserer Sprache? E-Book

Christoph Drösser

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Beschreibung

In den Bildungseinrichten und in beruflichen, aber auch privaten Kontexten werden sich KI-Anwendungen zum Schreiben von Texten aller Art sehr schnell durchsetzen. Diese Entwicklung lässt sich nicht aufhalten Das wirft Fragen zum Schreibprozess selbst und zum Einsatz dieser Systeme in Schulen und Universitäten auf. Im Bereich des Journalismus und der Politik werden Fragen zur "Wahrhaftigkeit" von Texten und zu Manipulationsmöglichkeiten in den Vordergrund treten. Aber auch die Sprache selbst wird durch die neue Technik beeinflusst werden.

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Duden

Christoph Drösser

WAS MACHT KI MIT UNSERER SPRACHE?

Perspektiven auf ChatGPT und Co.

Redaktion: Dr. Kathrin Kunkel-Razum

Umschlaggestaltung: Jürgen Sauerhöfer, sauerhöfer design, Neustadt a. d. Weinstraße

Layout und Satz: Dirk Brauns, estra.de, Berlin

www.duden.de

www.cornelsen.de

1. Auflage, 1. Druck 2024

© 2024 Cornelsen Verlag GmbH Berlin

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu §§60a, 60bUrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung an Schulen oder in Unterrichts- und Lehrmedien (§60b Abs.3UrhG) vervielfältigt, insbesondere kopiert oder eingescannt, verbreitet oder in ein Netzwerk eingestellt oder sonst öffentlich zugänglich gemacht oder wiedergegeben werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen.

Das Wort Duden ist für die Cornelsen Verlag GmbH als Marke geschützt.

Druck: CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-411-77417-3

Auch als E-Book erhältlich unter: ISBN 978-3-411-91368-8

INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

DER TRAUM VON DER SPRECHENDEN MASCHINE

LARGE LANGUAGE MODELS – DIE MASSE MACHT’S

CHATGPT KONKRET: GRUNDKURS IN PROMPT-ENGINEERING

DAS ENDE DES BESINNUNGS-AUFSATZES – CHATGPT IN SCHULE UND HOCHSCHULE

SIND WIR NICHT ALLE EIN BISSCHEN CHATGPT?

EINLEITUNG

Lesen Sie dieses Buch möglichst schnell – morgen könnte es schon veraltet sein. Es handelt von einer Technik, von der die meisten Menschen erst nach dem 30. November 2022 gehört haben: An dem Tag wurde ChatGPT vorgestellt, der Chatbot der Firma OpenAI, basierend auf einem sogenannten Großen Sprachmodell. Es gibt inzwischen eine ganze Reihe dieser Bots und das meiste, was ich in diesem Buch über ChatGPT schreibe, lässt sich auf die anderen Sprachmodelle wie Googles Bard oder Metas Llama übertragen.

Natürlich kann man kein Buch über ChatGPT schreiben, ohne ChatGPT selbst zu Wort kommen zu lassen. Die wörtlichen Zitate des Modells haben wir in einer besonderen Schriftart gesetzt, zum Beispiel die Zusammenfassungen am Anfang jedes Kapitels. Diese Texte sind unbearbeitet – allenfalls habe ich auf den Button »Erneut generieren« gedrückt, wenn mir eine Version noch nicht wirklich gefallen hat.

Das Thema dieses Buchs ist die Frage, wie die neuen Techniken auf unseren Umgang mit Sprache wirken. Außen vorgelassen habe ich andere wichtige Fragen, die im Zusammenhang mit ihnen diskutiert werden: Soll man ihren Gebrauch regulieren? Wie viel Aufsicht über die KI-Firmen ist nötig? Welche urheberrechtlichen Konsequenzen hat die maschinelle Produktion von Texten, Bildern und Tönen?

Es ist viel zu früh, ein abschließendes Urteil über Sprachmodelle wie ChatGPT abzugeben. Insbesondere warne ich vor der Behauptung, Sprachmodelle würden niemals diese oder jene sprachliche Fähigkeit haben. »Die Fehler von heute sind die Fortschritte von morgen«, schreibt die Philosophin Sibylle Krämer in einem Aufsatz über den Chatbot. Wir haben es mit einer Technik zu tun, die sich so rasant entwickelt wie keine vor ihr. Das ist aufregend, kann aber auch beängstigen. Dieses Buch will weder verdammen noch bejubeln – sondern erst einmal genau hinschauen.

DER TRAUM VON DER SPRECHENDEN MASCHINE

1. Kapitel, in dem ein Philosoph aus dem 17. Jahrhundert Maschinen und Menschen vergleicht und feststellt, dass Maschinen niemals wie Menschen sprechen könnten. Denis Diderot bringt einen sprechenden Papagei ins Spiel, während moderne Zeiten ChatGPT vorstellen, einen Maschinenpapagei, der auf alles eine Antwort hat. Trotz seiner Fähigkeit, menschlich zu klingen, fehlt ihm das Verständnis. Alan Turing stellt die Frage, ob Maschinen denken können, und führt den berühmten Turing-Test ein. ChatGPT kann diesen Test bestehen, aber ist es wirklich intelligent? Intelligenztests werden diskutiert und die Frage bleibt: Was ist wahre Intelligenz?

»Wenn es unsern Körpern ähnliche Maschinen gäbe, die sogar, soweit es moralisch möglich wäre, unsere Handlungen nachahmten, so würden wir doch stets zwei ganz sichere Mittel haben, um zu erkennen, dass sie deshalb nicht wirkliche Menschen seien. Das Erste ist, dass sie niemals Worte oder andere von ihnen gemachte Zeichen würden brauchen können, wie wir tun, um anderen unsere Gedanken mitzuteilen.«

Das schrieb Descartes in seiner »Abhandlung über die Methode« im Jahr 1637. In knappem, modernem Deutsch formuliert: Selbst wenn wir Roboter bauen könnten, die uns täuschend ähneln, so würden wir sie immer daran erkennen, dass sie keine Sprache wie wir benutzen könnten. Und das zweite Merkmal, mit dem sie sich verraten würden: Sie handeln stets »nach der Disposition ihrer Organe«, heute würden wir sagen: nach den starren Anweisungen eines Programms. Wir dagegen besitzen die Vernunft, die uns in jeder denkbaren Situation weiterhilft. »Und deshalb ist es moralisch unmöglich, dass in einer Maschine verschiedene Organe genug sind, um sie in allen Lebensfällen so handeln zu lassen, wie unsere Vernunft uns zu handeln befähigt.«

Etwas knapper formulierte es der Philosoph Denis Diderot 1769: »Wenn man einen Papagei fände, der auf alles eine Antwort hätte, würde ich ihn ohne zu zögern als denkendes Wesen bezeichnen.«

An den menschenähnlichen Robotern wird noch gearbeitet, aber den maschinellen Papagei gibt es: Er nennt sich ChatGPT und hat tatsächlich auf alles eine Antwort. Die ist mal richtig, mal falsch, mal originell, mal öde. Aber sie klingt immer menschlich. Wir wissen, dass ChatGPT und ähnliche Programme seelenlose Algorithmen sind – aber wir spüren eine unheimliche Nähe, wenn sie in wohlgeformten Sätzen mit uns reden.

Dass in der Geschichte immer wieder die Fähigkeit zu sprechen – entweder mit tatsächlichen Sprachlauten oder in schriftlicher Form – als Kriterium für Intelligenz oder Menschlichkeit herhalten musste, hat natürlich seine Gründe. Bis vor Kurzem waren von Menschen produzierte Wörter und Schriften die einzigen sprachlichen Produkte, die uns begegneten. »Dahinter steckt immer ein kluger Kopf« – dieser Satz gilt spätestens seit ChatGPT nicht mehr.

Vor allem aber ist Sprache der wichtigste Schlüssel zum Innenleben einer anderen Person. Wenn wir einem Menschen begegnen, dann gehen wir zwar im Prinzip davon aus, dass er Gedanken und Gefühle hat, die den unseren ähneln, aber wir können uns dessen nicht sicher sein. Wir versuchen ständig, den anderen zu »lesen«, doch da wir uns nicht in ihn oder sie hineinversetzen können, müssen wir unsere Schlüsse anhand von Indizien ziehen. Die Psychologie und die Philosophie haben für dieses beständige Nachforschen den Begriff »Theory of Mind« geprägt – wir entwickeln immer neue Theorien über den inneren Zustand anderer Menschen. Es geht nicht nur um den Inhalt des Gesprochenen: Aus der Wortwahl, dem Akzent, vielleicht auch dem Dialekt ziehen wir – oft voreilige – Schlüsse auf die intellektuelle Kompetenz des oder der anderen, auf seine Stimmung, auf ihre Gefühle. Ohne Sprache ist eine »Theory of Mind« des anderen praktisch unmöglich.

Das Imitationsspiel

Als Mitte des 20. Jahrhunderts die ersten Computer aufkamen, damals noch riesige Rechenschränke mit sehr bescheidenen Fähigkeiten, begannen Forschende, darüber nachzudenken, ob diese »Elektronengehirne« irgendwann einmal denken könnten. Der geniale britische Mathematiker Alan Turing sah große Schwierigkeiten in dem Versuch, Begriffe wie Maschine, denken und Intelligenz zu definieren. In seinem Aufsatz »Computing Machinery and Intelligence« (auf Deutsch wurde der Text später unter dem Titel »Kann eine Maschine denken?« veröffentlicht) schlug er vor, diese Frage durch eine andere zu ersetzen. Statt uns mit den uns verborgenen inneren Prozessen der Maschine auseinanderzusetzen, sollten wir, wie von Descartes und Diderot vorgeschlagen, ihr Verhalten untersuchen: »Können Maschinen das tun, was wir (als denkende Wesen) tun können?« Und auch für Turing war die Sprachfähigkeit der Test für tatsächliche oder simulierte Intelligenz.

Der nach ihm benannte Turing-Test, von ihm auch das »Imitation Game« genannt, funktioniert, vereinfacht gesagt, so: Ein Mensch chattet mittels einer Computertastatur mit einem hinter einem Vorhang verborgenen Gegenüber – ohne zu wissen, ob es sich dabei um einen Menschen handelt oder um ein Computerprogramm. Nach fünf Minuten fällt der Mensch sein Urteil. Wenn ein Computerprogramm es in mindestens 30 Prozent der Fälle schafft, den Menschen zu täuschen, soll es als intelligent gelten.

Vor ChatGPT gab es kein Programm, das auch nur die geringste Chance hatte, den Turing-Test zu bestehen – auch wenn es mit teilweise primitiven Mitteln einige Menschen aufs Glatteis führen konnte. Joseph Weizenbaums Programm ELIZA etwa, entwickelt 1966 am Massachusetts Institute of Technology (MIT), imitierte den Austausch zwischen einer Psychotherapeutin und ihrem Patienten. Wie in der klientenzentrierten Therapie durchaus üblich, spielte das Programm die Aussagen des Patienten oft direkt zurück. Sagt der Mensch: »Ich bin mit dem Boot gefahren«, antwortet der Computer: »Erzählen Sie mir etwas über Boote.«

Das Programm war eigentlich als ein Scherz gedacht, um uns unsere Leichtgläubigkeit vor Augen zu führen. »Sobald man ein Programm demaskiert, sobald seine inneren Mechanismen erklärt werden, bröckelt die Magie; es erweist sich als eine reine Sammlung von Prozeduren, und der Beobachter sagt sich: ›Das hätte ich auch schreiben können‹«, schrieb Weizenbaum. Aber die Menschen vertrauten dem Programm ihre intimsten Geheimnisse an und berichteten nachher, dass sie sich von ELIZA verstanden fühlten, selbst nachdem ihnen die Funktionsweise des Programms erklärt worden war. Psychologen spekulierten darüber, wie sich die Therapie mithilfe von Dialogprogrammen automatisieren ließe.