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Die richtig erfolgreichen und berühmten Trader verdienen Millionen von Euro, manchmal in nur wenigen Tagen. Jack Schwager, in Deutschland bekannt durch seine renommierten Publikationen über die Terminmärkte, lüftet in feinfühligen Interviews mit 15 Stars der amerikanischen Trader- und Investorenszene die Geheimnisse ihres Erfolges.
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Seitenzahl: 630
Jack D. Schwager · Stock Market Wizards
„Enthüllende Interviews: die besten Trader verraten ihre Erfolgsgeheimnisse“
Jack D. Schwager
Stock Market Wizards
Enthüllende Interviews: die besten Trader verraten ihre Erfolgsgeheimnisse
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen:
3. Auflage 2013
© 2002 by Finanzbuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
© der amerikanischen Originalausgabe by Jack D. Schwager. Erschienen bei Harper Business unter dem Titel: Stock Market Wizards
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Aus dem Amerikanischen: Christoph Klar
Gesamtbearbeitung: UnderConstruction München
Druck: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN Print 978-3-89879-777-1
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-401-0
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-830-8
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.finanzbuchverlag.de
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eBook by ePubMATIC.com
Inhalt
Vorwort
Danksagungen
Prolog
Ein nicht besonders viel versprechender Anfang
Stuart Walton
Rückkehr vom Rande des Abgrunds
Michael Lauer
Die Weisheit der Werte, die Dummheit der Modeerscheinungen
Steve Watson
Dollars auf Telefonbestellung
Dana Galante
Gegen den Strom
Mark D. Cook
Kapitalernte im S&P
Alphonse „Buddy“ Fletcher Jr.
Win-Win Investing
Ahmet Okumus
Von Istanbul zum „Wall Street Bull“
Mark Minervini
Aktien rund um die Uhr
Steve Lescarbeau
Das ultimative Börsensystem
Michael Masters
Wie man durch die Märkte schwimmt
John Bender
Das Offensichtliche hinterfragen
Claudio Guazzoni
Investition ohne Risiken
David Shaw
Der quantitative Wettbewerbsvorteil
Steve Cohen
Der Händlersaal
Dr. Ari Kiev
Gewinnvorstellungen
Wizard-Lektionen
Zusammengefasst: 65 Wizard-Lektionen
Anhang
In Erinnerung an meine Mutter Margaret Schwager, die von allen, die sie kannten, für ihre Güte, ihr Mitgefühl und ihre Wahrhaftigkeit geliebt wurde
und
in Erinnerung an meinen Bruder Kerwin Farkas und im Angedenken an die tiefe Liebe, die ihm von seiner Familie und seinen Freunden, die in allen Lebenslagen zu ihm hielten, entgegengebracht wurde – als Zeugnis eines vorbildlichen Lebens.
Vorwort zur deutschen Ausgabe
von Stock Market Wizards
Als ich das Manuskript für die englische Originalausgabe bei meinem Verlag eingereicht hatte, befand sich der Bullenmarkt auf seinem absoluten Höhepunkt. Alle Interviews aus dem Ihnen vorliegenden Buch wurden vor dem großen Crash im April 2000 geführt. Diese Tatsache zu erwähnen ist extrem notwendig und wichtig, um das Buch und die darin aufgeführten Personen und ihre Handlungen besser verstehen zu können.
Der Ausspruch „Diese Zeit ist anders“, welcher bei jedem Hype auftaucht, hat sich auch für den Bullenmarkt der Jahre 1999/2000 als völlig falsch erwiesen. Zum Schluss zählt immer nur das eine – Umsatz und Gewinn. Märkte können sich ändern, menschliche Psyche nicht. Und so bleibt das vorliegende Werk trotz manch falscher Einschätzungen der zukünftigen Marktentwicklung interessant, spannend und vor allem zeitlos.
Ihr
Jack Schwager
Oktober 2002
Danksagungen
Obwohl ich die meisten Trader, die in diesem Buch zu Wort kommen, durch persönliche Branchenverbindungen aufgespürt habe, konnten mir doch einige Datenbanken und Texte über Anlagestrategen wertvolle Hinweise liefern. Insbesondere den folgenden möchte ich meinen Dank aussprechen:
Barclay Map for Windows. Diese Software wird monatlich auf den neuesten Stand gebracht und bietet äußerst detaillierte Informationen über eine beeindruckend lange Liste von Hedgefonds-Managern. Das Programm ist sehr intuitiv und gibt dem Anleger die Möglichkeit, bestimmte, nach vorher einzugebenden Kriterien ausgewählte Börsenprogramme ausfindig zu machen und zu bewerten. (Barclay Trading Group: [641] 472 3456; www.barclaygrp.com)
Van Hedge Fund Advisors International Inc. (VAN). Ein Beratungsdienst über Hedgefonds, der eigene Hedgefonds-Indizes erstellt und eine der größten diesbezüglichen Datenbanken führt. Diese Firma hat mir bei meiner Suche nach Hedgefonds-Managern, bei der äußerst restriktive Suchkriterien Anwendung fanden, gute Resultate geliefert. ([615] 661 4748; www.hedgefund.com)
Der CTA-Bericht. Eine vierteljährlich erscheinende Zusammenfassung der Performance von CTAs, einschließlich einer sehr anschaulichen zweiseitigen Liste von Tabellen und Charts für jeden CTA. Darüber hinaus bietet der Service eine leicht verständliche Webseite mit Daten, die monatlich auf den neuesten Stand gebracht werden. Wie der Name schon andeutet, befasst sich dieser Service ausschließlich mit Kapitalverwaltern, die sich auf Futures spezialisieren; nur ein sehr kleiner Teil dieser Anlageberater konzentriert sich schwerpunktmäßig auf Effektenderivate. (International Traders Research, Inc.: [858] 459 0818; www.managedfutures.com)
Das U.S. Offshore Funds Directory. Dieses Branchenbuch erscheint jährlich und enthält auf jeweils einer ganzen Seite Zusammenfassungen von über 700 Offshore-Hedgefonds, einschließlich der erbrachten Leistungen im Jahresdurchschnitt. Für aktuellere Informationen wird auch eine Internetadresse geboten. ([212] 371 5935;www.hedgefundnews.com)
Gleich zu Anfang meiner Suche nach Tradern, die einen Platz in diesem Buch verdienen, wählte ich die Telefonnummer von Doug Makepeace. Doug hat Karriere damit gemacht, Eigen- und Fremdkapital in besonders hervorragende Trader zu investieren. Er hat mich sehr großzügig an seinen Informationen zum Thema teilhaben lassen, obwohl das für ihn eine potentielle Bedrohung darstellt, denn wenn die Trader zu bekannt werden, wird es ihm vielleicht in Zukunft nicht mehr möglich sein, weiteres Kapital in ihre Fonds zu investieren.
Tom DeMark, ein berühmter Analyst, dessen Börsensignale in vielen der führenden Börsendienste Amerikas zu finden sind, hat sich besonders angestrengt, Trader für dieses Buch ausfindig zu machen. Nur wenige Menschen sind für diese Aufgabe besser gerüstet als Tom, da er für nicht weniger als vier dieser Börsenzauberer (oder deren Organisationen) technische Analysen geliefert hat und somit so etwas wie einen inoffiziellen Weltrekord hält.
Marty Schwartz und Linda Raschke gehören zu den Börsenzauberern meiner früheren Bücher und haben mir sehr dabei geholfen, neue Market Wizards für dieses Buch zu finden.
Andere Branchenkontakte, die mir bei der Suche nach hervorragenden Börsentalenten geholfen haben: Sol Waksman und George Van, Bob Morrsi, Andy Good, Tony Cimirusti, Loran Fleckenstein und Jason Perl.
Es fällt mir immer sehr schwer, die schriftstellerischen Qualitäten der Bücher zu beurteilen, an denen ich gerade arbeite, da mir einfach die nötige Distanz fehlt. Aus diesem Grund ist es unerlässlich, während der Niederschrift objektives Feedback zu erhalten. Diese Rolle ist meiner Gattin Jo Ann zugefallen, die jedes Kapitel in seiner Endfassung durchsieht, sobald ich es fertig gestellt habe. Dass sie dieser Aufgabe so unverzüglich nachkommt, ist nicht etwa auf ihre Ungeduld zurückzuführen, das Material zu lesen – tatsächlich gibt es wohl nur wenige Themenbereiche, die meine Frau weniger interessieren als die Finanzwelt –, sondern vielmehr auf ihre Resignation, sich angesichts meiner pausenlosen Sticheleien („Hast du es jetzt endlich gelesen?“) in das Unvermeidliche zu fügen. Jo Ann übt dann ehrliche Kritik – die manchmal an Brutalität zu grenzen scheint – und gibt mir viele nützliche Hinweise, die fast immer dankbar angenommen werden. Ich kann dem geneigten Leser nur versichern, dass alle eventuellen Mängel dieses Buches noch viel schlimmer gewesen wären, wenn Jo Ann mich nicht auf diese Weise unterstützt hätte.
Prolog
Ein nicht besonders viel versprechender Anfang
Männer kommen vom Mars, weil sie den Flug zur Venus verpasst haben. Wann genau wir in Richtung Flughafen aufbrechen müssen, ist immer ein Thema gewesen, das meine Frau und ich aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Ich denke: spät genug, um es aufregend zu machen. Sie denkt: früh genug, um vor dem Abflug mit eventuell auftretenden Autoschlangen, geplatzten Reifen, zollfreien Einkäufen und mehrgängigen Mahlzeiten fertig zu werden.
Ich bin jahrelang im letzten Moment zum Flughafen aufgebrochen und habe nie einen einzigen Flug verpasst. Vor ungefähr 18 Monaten sind wir nach Martha’s Vineyard umgezogen, wo wir die Fahrtzeit zum Flughafen genau berechnen können, da es außerhalb der Saison nur wenig Straßenverkehr gibt und der Flughafen sehr klein ist – ungefähr so groß wie der in der Fernsehserie „Wings“, nur halt noch kleiner. (Zumindest war das so, als ich mit diesem Buch anfing, mittlerweile hat ein neuer Flughafen seine Tore geöffnet.)
Nur wenige Monate nach unserem Umzug mussten wir eines Morgens einen Flug nach Boston erwischen. Ich vertraute so sehr darauf, den Zeitraum, den unsere Fahrt zum Flughafen beanspruchen würde, genau vorhersagen zu können, dass ich unser Haus – das ungefähr 20 Autominuten vom Flughafen entfernt ist – nur 35 Minuten vor der voraussichtlichen Abflugzeit unseres Flugzeugs verließ. Die Fahrt dauerte dann ein paar Minuten länger als sonst, da wir in einer einspurigen Straße mit Überholverbot hinter einem besonders langsamen Fahrer steckten. Plötzlich beschlich mich der Gedanke, dass ich die Reisezeit vielleicht doch etwas zu knapp berechnet hatte.
„Wir schaffen das noch“, versuchte ich meine Gattin zu beruhigen, „aber nur noch gerade so.“ Sie schien skeptisch – meiner Meinung nach irrational skeptisch. Nur zehn Minuten vor dem planmäßigen Abflug erreichten wir endlich die Einfahrt des Flughafens. Obwohl der Parkplatz nur ein paar Meter vom Terminal entfernt ist, ließ ich Jo Ann aus dem Wagen und trug ihr auf: „Sag Bescheid, dass wir hier sind.“
Als ich etwa eine Minute später zurückkehrte, traf ich meine Gattin, die mit sorgenvoller Miene auf mich wartete. Etwas verwirrt darüber, sie immer noch am selben Fleck zu sehen, fragte ich: „Was ist denn los?“
„Der Flieger ist weg“, antwortete sie mit einer Stimme, die zwischen Enttäuschung und „Hab ich’s dir nicht gesagt?“ schwankte.
„Was soll das heißen, der Flieger ist weg?“, fragte ich mit einem Blick auf meine Uhr, obwohl ich genau wusste, wie viel Uhr es war. „Es ist doch erst acht Minuten vor zehn!“
Also ging ich selbst in das Flughafengebäude, voller Wut darüber, dass eine kleine Propellermaschine vor der planmäßigen Abflugzeit ohne uns gestartet war. „Ich kann das einfach nicht verstehen“, sagte ich zu der Frau am Schalter und bereitete mich innerlich bereits darauf vor, den geschädigten Kunden abzugeben.
Die Dame hätte nicht freundlicher sein können. „Unsere Flugzeuge starten, sobald alle Fluggäste eingetroffen sind. Da Sie uns nicht über Ihre Verspätung informiert haben, mussten wir einfach annehmen, dass Sie nicht mehr kommen. Wenn Sie angerufen hätten, hätten wir noch gewartet.“ Ich wusste sofort, dass das stimmte, denn so funktionieren die Dinge hier in Martha’s Vineyard. Wie konnte ich nach dieser Erklärung noch auf irgendjemand wütend sein außer über mich selbst?
Lassen Sie uns jetzt schnell vorspulen auf einen Zeitpunkt ungefähr sechs Monate später – als ich gerade anfing, die Fakten und Interviews für dieses Buch zu sammeln. Ich muss diesmal ein Flugzeug erwischen, das die erste Etappe in einem äußerst komplizierten Termin- und Flugplan darstellt, der mich innerhalb von vier Tagen durch vier Bundesstaaten bringen soll, in denen ich sechs Interviews durchführen möchte. In einem derartigen Zeitplan gibt es keine Freiräume für irgendwelche verpassten Flüge.
Da ich aus Erfahrungen lerne, vergewissere ich mich diesmal genau, rechtzeitig das Haus zu verlassen und genügend Zeit für alle möglichen Eventualitäten einzuplanen. Auf der Hinfahrt bemerkt Jo Ann, die mich zum Flughafen bringt, dass mein blaues Sakko voller Fusseln ist. Sie erteilt mir den äußerst nützlichen Ratschlag, das Personal am Schalter um etwas Klebeband zu bitten, mit dem ich die Fusseln entfernen kann. Als wir ankommen, habe ich noch ungefähr eine halbe Stunde Zeit. Wir halten an und ich verabschiede mich von meiner Frau. Nach dem Check-in setze ich mich eine Weile in den Warteraum, bis ich merke, dass mir eigentlich noch genügend Zeit bleibt, mich um die Fusseln an meiner Jacke zu kümmern. Also gehe ich zum Schalter und bitte um Klebestreifen.
In der kleinen Wartehalle befinden sich in diesem Moment ungefähr ein Dutzend Menschen. Ein paar Minuten später kommt die Durchsage für meinen Flug: „Die Fluggäste der Abteilung 1, Sitze eins bis acht, bitte einsteigen.“ Also krame ich meine rote Boardingkarte, die wie ein Plastikumschlag aussieht, hervor und sehe, dass vorne ganz groß die Zahl „11“ draufsteht. „Wie süß“, denke ich noch, „dass sogar ein so kleines Flugzeug auch noch in zwei Etappen bestiegen wird.“ Ich setze mich also wieder hin und widme mich meinen Fusseln.
Eine Zeit lang sitze ich so da und bekämpfe Fasern, ohne an irgendetwas Besonderes zu denken. Plötzlich wird mir die Realität mit einem Schock wieder bewusst. Blitzschnell überkommt mich die Erkenntnis, dass seit der Durchsage für die erste Passagiergruppe bestimmt fünf oder zehn Minuten vergangen sein müssen. Ich schaue mich in der Wartehalle um und erkenne zu meinem Schreck, dass sie so gut wie menschenleer ist. Ich springe auf, renne durch die Tore zu den Landebahnen und sehe ein kleines Flugzeug, dessen Propeller schon laufen. Ich rufe: „Wartet!“ und wedle wie wild mit den Armen, während ich auf die Maschine zustürze. Vor meinem inneren Auge kann ich schon sehen, wie meine ganze, genau geplante Reise – alle vier Tage, vier Bundesstaaten und sechs Interviews – mit einem Schlag ins Wasser fällt.
Ein Angestellter meiner Fluglinie tritt mir in den Weg. Ich winke mit meiner roten Boardingkarte. „Sie gehen erstmal nirgendwo hin“, sagt er mit fester Stimme. Ich denke natürlich sofort, dass es zu spät ist und ich das Flugzeug verpasst habe. Doch dann sagt er: „Ihre Abteilung fliegt erst in fünf Minuten.“ Erst jetzt finde ich heraus, dass sich das Wort „Abteilung“ im Flughafen Martha’s Vineyard auf ein anderes Flugzeug bezieht!
Ich schleiche mich also wieder zurück auf meinen Warteplatz. Da die Panik jetzt abklingt, werde ich mir der Situation wieder voll bewusst und erkenne das wahre Ausmaß meiner Dummheit. Ich hatte mich nicht mehr so beschämt gefühlt, seit ich einer Verwandten, die ich nicht sehr oft zu Gesicht bekam, die Frage stellte, wann denn das „freudige Ereignis“ bevorstehe, nur um zu erfahren, dass ihr Baby schon zwei Monate vorher zur Welt gekommen war. Offensichtlich hatte sich das Gewicht meiner Verwandten noch nicht wieder normalisiert. Peinlich.
„Na ja“, höre ich Sie jetzt sagen, „das ist eine amüsante Anekdote – vielleicht –, aber was hat das mit der Börse und Geldanlagen zu tun?“ Ganz einfach: Wenn Sie zu sehr damit beschäftigt sind, sich die Fusseln von Ihrer Jacke zu entfernen, könnten Sie Ihren Flug verpassen. Anders ausgedrückt: Man sollte sich nie so sehr den Details widmen, dass man darüber die Gesamtperspektive verliert. Hier folgen einige Beispiele für diese Art von Kurzsichtigkeit:
Ein Trader, der sehr ausgiebig recherchiert, um die vielversprechendsten Hersteller neuer Technologien ausfindig zu machen, und darüber vergisst, dass Kursanstiege in diesem Wirtschaftsbereich um über 70 Prozent in den letzten sechs Monaten auf eine Marktumgebung hinweisen, die außergewöhnlich hohe Risiken birgt.
Ein Trader, der die Bilanzen und Jahresberichte eines Unternehmens überprüft und dabei nicht erkennt, dass die sprunghaft ansteigenden Unternehmensgewinne auf ein einziges Produkt zurückzuführen sind, dessen zukünftige Absatzmöglichkeiten durch den Markteintritt neuartiger Konkurrenzprodukte bedroht sind.
Ein Trader, der viel Zeit damit verbringt, bessere Methoden für sein Einstiegstiming zu finden, und dabei völlig vergisst, sich zu fragen: Wann und wie soll ich aus meiner Position aussteigen? Wie kann ich mein Risiko minimieren?
All diese Beispiele enthalten dieselbe Botschaft: Man sollte nie die Gesamtperspektive verlieren, sondern immer den gesamten Markt oder Sektor im Auge behalten, anstatt sich ausschließlich auf eine einzige Aktie zu konzentrieren. Man sollte den qualitativen Faktoren genügend Aufmerksamkeit schenken und sich nicht nur mit den derzeit verfügbaren quantitativen Daten befassen. Und man sollte eine Anlagestrategie entwickeln, die alle Aspekte der Wertpapieranlage berücksichtigt und nicht nur die Einstiegsstrategie.
Stuart Walton
Rückkehr vom Rande des Abgrunds
Im Juni 1999, am Höhepunkt seiner Karriere, nach acht Jahren, in denen er eine der hervorragendsten Leistungsbilanzen im Vergleich mit fast allen anderen Aktienfondsmanagern aufgestellt hatte, und mit über 150 Millionen US-Dollar unter seiner Verwaltung, gab Stuart Walton seinen Anlegern ihr ganzes Kapital zurück und zog sich ganz von der Börse zurück. Die emotionalen Nachwirkungen einer zerrütteten Ehe machten es ihm damals so gut wie unmöglich, sich auf das Marktgeschehen zu konzentrieren – er hatte einfach nicht mehr das Gefühl, er könne als Anlageverwalter tätig sein, solange er sich dieser Aufgabe nicht mit „hundertprozentiger Energie und wahrem Enthusiasmus“ widmen könne. In den vorangegangenen acht Jahren hatte er im Jahresdurchschnitt kumulative Börsengewinne von 115 % erzielt (nach Abzug seiner Kommission ließ das seinen Kunden immer noch einen Gewinn von 92 %), wobei der höchste Jahresgewinn bei 274 % und der niedrigste immerhin noch bei 63 % gelegen hatte (wenn man von 1999 einmal absieht, da er sich in diesem Jahr nach nur sechs Monaten zurückzog).
Stuart Waltons Börsenkarriere war schon immer von einer ganzen Reihe von Widersprüchen und Gegensätzen geprägt. Zuerst wollte er Künstler oder Autor werden; dann wurde er Trader. Obwohl er die akademische Welt liebte und die Finanzwelt verachtete, wurden die Kapitalmärkte zu seinem Beruf. An einem bestimmten Punkt hasste er den Börsenhandel so sehr, dass er eines Morgens mit dem Gefühl aufwachte, keinen einzigen Tag mehr durchhalten zu können. Noch am selben Morgen quittierte er seinen Dienst, doch nur wenige Jahre später waren die Märkte dann wieder seine Leidenschaft und Lebensaufgabe geworden. Seine ersten Vorstöße in die Welt der Börse waren von einer derartigen Ungeschicklichkeit gekennzeichnet, dass er fast sein gesamtes Vermögen verlor; trotzdem wurde er später so gut, dass er Jahr für Jahr sein Kapital verdoppeln konnte.
Ich habe den Exilkanadier Walton in seinem Büro in der Innenstadt von San Francisco besucht. Dort musste ich entdecken, dass er keinerlei Assistenten beschäftigt, keine Verwaltungsangestellten, keine Vermarktungsfachleute, keine Programmierer und noch nicht einmal eine Vollzeitsekretärin, obwohl er Summen in mehrfacher Millionenhöhe verwaltet. Seine Firma Reindeer Capital besteht somit nur aus ihm allein und niemandem sonst. Diese Isolation ist selbst gewählt. Nachdem er so oft in die Irre gegangen war, weil er auf die Tipps und Meinungen anderer hörte, musste er eines Tages erkennen, wie wichtig es an der Börse sein kann, sich nicht von den Überzeugungen anderer Menschen leiten zu lassen.
Walton war sehr entspannt und extrovertiert. Wir haben uns fünf Stunden lang ohne Pause unterhalten. Die Zeit flog nur so vorbei.
Hat der Name Ihrer Firma irgendeine Bedeutung oder mögen Sie Rentiere einfach nur?
Die Firma ist nach meinem Urgroßvater William Gladstone benannt, der für einen berühmten Treck, den er geplant und durchgeführt hat, den Spitznamen „Reindeer“ bekam. Fast alles, was ich über ihn in Erfahrung bringen konnte, weiß ich durch meinen Großvater, der letztes Jahr im Alter von einhundert Jahren verstorben ist und fast von sich hätte sagen können, in drei verschiedenen Jahrhunderten gelebt zu haben. Im Jahr 1892 verließ Reindeer Walton im Alter von 23 Jahren England, um im Norden Kanadas als Missionar zu arbeiten. In den meisten Jahren reiste er dann rund 2 000 Meilen mit Kanu und Hundeschlitten kreuz und quer durch ganz Kanada, um seine weit verstreute Gemeinde zu besuchen – Indianer und Eskimos in den arktischen Breitengraden.
In einem dieser Jahre hatten im Norden des Staates Quebec riesige Waldbrände gewütet und fast die gesamte Flora und Fauna dieses Gebiets vernichtet, was die einheimische Bevölkerung an den Rand des Hungertods brachte. Reindeer Walton kam auf die Idee, sibirische Rentiere, die auch als Karibus bekannt sind, von Alaska in den Norden Quebecs zu treiben. Durch seine außerordentliche Hartnäckigkeit konnte er die kanadische Regierung dazu überreden, diesen Viehtrieb, den er selbst organisiert und geleitet hat, zu finanzieren. Er brauchte insgesamt fünf Jahre, von 1921 bis 1925, um 3 000 Rentiere durch den Norden Kanadas zu treiben. Rentiere sind anders als Kühe und bewegen sich eigentlich nur vom Fleck, wenn sie das selbst wollen, wobei sie alle verschiedene Richtungen anstreben.
Wie konnte er die Herde dann zusammenhalten?
Karibus orientieren sich an ihren Nahrungspfaden. Bei der Auswahl seiner Route hat er tollen Instinkt und viel Gespür bewiesen. Es gelang ihm, drei Viertel seiner Herde zur Wanderung zu bewegen, der Rest verstarb oder verstreute sich einfach. Sein Treck hat die Wanderpfade der sibirischen Rentiere für immer verändert. Der überlebende Teil seiner Herde wurde im Norden Quebecs heimisch und mein Urgroßvater zum Lokalhelden.
Soll die Namenswahl irgendein Prinzip symbolisieren oder eigentlich nur Ihren Urgroßvater ehren?
Ich erzähle den Menschen meistens, dass mein Urgroßvater mehr zum Allgemeinwohl beigetragen hat, als es mir je möglich sein wird.
Wann haben Sie sich zum ersten Mal mit der Börse beschäftigt?
Als ich die McGill University mit meinem MBA in der Tasche verließ, wollte ich eigentlich Cartoonzeichner werden.
Ein Cartoonzeichner mit einem MBA? Wollten Sie vielleicht der erste Börsenkarikaturist der Welt werden?
Nein, ich hatte schon immer Cartoons zeichnen wollen. Auch nach der Hochschule wollte ich unbedingt Cartoons zeichnen. Ich traf mich mit dem Leiter der Kunstabteilung, und er sagte mir: „Wenn Sie das Gefühl haben, den menschlichen Körper genauso gut darstellen und zeichnen zu können wie ein klassischer Meister, und darüber hinaus bereit sind, mit dem Zeichnen von Cartoons ungefähr fünf Dollar pro Stunde zu verdienen, dann sollten Sie diese Karriere wirklich wählen.“ Dieser Kommentar wirkte wie eine kalte Dusche. Ich hatte während meiner Studienzeit manchmal auch geschrieben, und einige meiner Kurzgeschichten waren veröffentlicht worden. Also fasste ich den Beschluss, vielleicht doch lieber Journalist werden zu wollen und meine Kreativität in diesem Fach auszuleben.
Sie scheinen also stark an künstlerischen Dingen interessiert zu sein. Warum hatten Sie sich für einen MBA entschieden?
Weil die Idee mit dem Journalismus auch fehlschlug und mir immer bewusster wurde, dass ich mir ja irgendwie einen Lebensunterhalt verdienen muss.
Was war mit Ihren Berufsplänen als Journalist schief gegangen?
Ich bewarb mich bei mehreren Schulen, die Journalismus anboten. Während ich noch im selben Sommer meine Eltern besuchte, die seinerzeit in Brasilien wohnten, erhielt ich eine Absage von der Carleton University, an der ich am liebsten Journalismus studiert hätte. Der Anruf kam ausgerechnet während einer Party. Vielleicht ist es auf die Zahl der Caipirinhas zurückzuführen, die ich mittlerweile getrunken hatte, auf jeden Fall dachte ich mir: „Sieht ganz so aus, als ob ich wieder vor einer wichtigen Lebensentscheidung stehe.“ Also gab ich die Idee, Journalist zu werden, im selben Moment auf. Wahrscheinlich war es mir nicht dringend genug, Journalist werden und diese Karriere weiterzuverfolgen.
Betrachten Sie diese Absage der Universität im Nachhinein als Glücksfall?
Ja, ich sehe das heute als riesigen Glücksfall. Mein Vater hat mir immer gesagt, dass ich sehr genau zwischen meinen Hobbys und meiner Karriere unterscheiden sollte. Ich glaube, damit hat er Recht gehabt. Meine Mutter hat mich vor kurzem gefragt, ob ich es jemals bereut habe, diesen anderen Interessen nie gefolgt zu sein. Zuerst konnte ich noch antworten, dass ich es nie bereut habe, weil ich mich in dem Erfolg sonnen konnte, den ich mit dieser Firma hatte, aber mit jedem weiteren Tag, der vergeht, bereue ich es mehr und mehr. Ich könnte mir vorstellen, letztendlich wieder zu meinen ursprünglichen Interessengebieten zurückzukehren.
Wäre das dann Schreiben oder Zeichnen?
Vielleicht beides oder vielleicht auch keines von beidem. Ich habe immer das Gefühl gehabt, meine Interessengebiete Schreiben und Zeichnen am besten im Film verbinden zu können, besonders mit Kurzfilmen. Dafür habe ich schon jetzt eine Menge Ideen. Ich würde keine besonders kommerziellen Filme machen; wahrscheinlich eher Sachen, die weltweit nur ein Publikum von drei Menschen finden.
Haben Sie schon jemals einen Film gedreht?
Nein. Nur um zu lernen, wie man die Kamera hält, müsste ich einen Kurs belegen.
Haben Sie vor, die Anlageberatung eines Tages zugunsten dieser anderen Interessengebiete aufzugeben?
Ich bewundere Menschen sehr, die nur genau das tun, was sie tun wollen, und sich um nichts anderes kümmern. In der Schule hatte ich einen Freund, der unbedingt Rockstar werden wollte. Damals gründete er gerade eine Band namens „The Cowboy Junkies“. Als er mit seinem Studium anfing, konnte er noch nicht einmal Gitarre spielen. Mittlerweile sind seine Konzerte alle ausverkauft. Aber ich kenne mich. Ich mag ein gewisses Komfortniveau, und dieses Geschäft bietet mir persönlich die beste Methode, dieses Komfortniveau zu erreichen. Obwohl ich mich wahrscheinlich irgendwann meinen anderen Interessen widmen werde, kann ich mir das für die nähere Zukunft nur schwer vorstellen.
Was passierte also, nachdem Sie die Absage der Universität erhalten hatten?
Ich entschied mich für einen MBA, weil ich es für das Studium mit den besten Aussichten auf einen Arbeitsplatz hielt.
Haben Sie jemals darüber nachgedacht, was Sie mit diesem MBA anfangen wollten?
Ich wollte in die Werbung gehen, weil ich hoffte, in dieser Branche meine kreative Ader ausleben zu können. Leider bot sich nie die Gelegenheit dazu. Als ich mein Studium abschloss, war die Wirtschaftslage in Kanada furchtbar. Auf dem Campus gab es nur zwei Jobangebote. Das eine war als stellvertretender Manager bei Lloyds Bank. Der Arbeitsplatz gefiel mir wegen der Einsatzorte: New York oder London. Ich stellte es mir toll vor, in einer dieser beiden Städte zu arbeiten. Also bewarb ich mich und wurde genommen. Zuerst wurde ich zur Ausbildung nach New York geschickt. Den größten Teil dieser Ausbildung habe ich dann in der Devisenabteilung verbracht, was ein Glücksfall war, denn ursprünglich sollte ich zum Kreditsachbearbeiter ausgebildet und letztendlich wieder nach Kanada geschickt werden.
Also war es reiner Zufall, dass Sie mit den Kapitalmärkten in Berührung kamen?
Das ist auch einer der Gründe, warum ich fest davon überzeugt bin, dass jeder diesen Job machen kann. Ich glaube nicht, dass man dazu geboren sein muss.
Da wäre ich mir nicht so sicher. Ich kann Ihnen versichern, dass von den Hunderttausenden von Menschen, die es an der Börse versuchen, nur sehr wenige Ihren Leistungsbilanzen auch nur annähernd gleichkommen. Worin bestand Ihre Aufgabe im Devisenbüro?
Ich war eigentlich nur Mädchen für alles. Ich nahm Kundenenaufträge entgegen, erledigte aber auch viele andere Aufgaben. Ich musste um 3.30 Uhr morgens antreten – für einen allein stehenden jungen Mann war das in New York eine Qual – um alles für die Trader vorzubereiten. Ich musste ihnen Zeitungsartikel ausschneiden und mich vergewissern, dass ihre Auftragsformulare am richtigen Platz waren. Es war eigentlich nur eine bessere Aushilfsstelle.
Haben Sie sich damals schon für die Kapitalmärkte interessiert?
Überhaupt nicht. Ich war immer noch ganz vom Idealismus meines vorhergehenden akademischen Lebens erfüllt. Ich betrachtete meinen MBA mit Verachtung. Ich dachte eher: „Was soll jetzt mit der ganzen Bildung und all meiner akademischen Erfahrung passieren? Soll ich das alles jetzt für den Rest meines Lebens einfach ignorieren?“
Der Job im Devisenbüro konnte mir da auch nicht weiterhelfen. Wenn überhaupt, brachte er mich gegen die Kapitalmärkte auf, weil es Tag für Tag so viel Stress gab. An diesem Arbeitsplatz konnte ich meine ersten Erfahrungen mit Amerikanern sammeln, vorher war ich ausschließlich von Kanadiern umgeben gewesen. Kanadier sind entspannter, Etikette bedeutet ihnen mehr als ihre Argumente durchzusetzen oder bei einer Auseinandersetzung zu gewinnen. Es gab einige Trader, die mich ständig anbrüllten. Meistens wusste ich noch nicht einmal, wieso. Vielleicht brauchten sie nur jemanden, an dem sie ihre Enttäuschung über abgestürzte Positionen abreagieren konnten, vielleicht war es aber auch, weil ich meine Aufgaben nie schnell genug erledigte, um sie zufrieden zu stellen. Ich ging jeden Abend sehr bestürzt nach Hause, weil mich wieder jemand angeschrien hatte.
Wie lange sind Sie an diesem Arbeitsplatz geblieben?
Ungefähr sechs Monate lang. Ich kündigte schließlich, weil das Gerücht umging, dass ich nach Toronto versetzt werden sollte. Mittlerweile gefiel mir mein Leben in New York sehr, und ich hatte obendrein gerade meine zukünftige Ehefrau getroffen, die ich nicht verlassen wollte. Also habe ich mir in der New Yorker Zweigstelle eines anderen kanadischen Unternehmens namens Wood Gundy eine Stelle gesucht. Es war einer der Vorzüge dieses neuen Arbeitsplatzes, dass mit der Arbeitgeber eine Green Card besorgen wollte. Vorher war ich nur mit einem zeitweiligen Visum in New York geblieben.
Was war das für eine Stelle, die Sie jetzt antraten?
Ich war nicht mehr ganz so nutzlos. Ich absolvierte das Ausbildungsprogramm von Wood Gundy und wurde ins Effektenbüro gesetzt. Dort musste ich die Orders entgegennehmen, was furchtbar langweilig war. Die Kunden trafen alle Entscheidungen; ich musste nur vermitteln. Ich finde es noch heute witzig, wenn sich Makler, die sich auf der Verkaufsseite befinden, selbst als Trader bezeichnen. Sie sind gar keine Trader, sondern nehmen nur Aufträge entgegen. In einem derartigen Job nimmt man nie selbst eine Position ein, weder für die Firma noch für sich selbst.
Zur gleichen Zeit machte ich auch meinen ersten Trade auf eigene Rechnung. Meine Freundin, die später meine Frau werden sollte, arbeitete für Liz Claiborne. Sie erzählte mir immer davon, wie erfolgreich diese Firma sei: „Ich muss noch nicht einmal irgendwelche Kunden anrufen, die rufen ganz von selbst an!“ Da ich kein Geld hatte, das ich hätte investieren können, rief ich meinen Vater an, um mir welches zu leihen. „Dad“, sagte ich, „ich habe eine großartige Idee, du musst mir einfach etwas Geld leihen.“ Er lieh mir 10 000 Dollar, die ich vollständig in Liz-Claiborne-Aktien investierte. Die Aktie stieg sehr schnell um drei Zähler, also nahm ich meine Gewinne mit. Das ist das Schlimmste, was einem gleich beim ersten Trade passieren kann: Erfolg haben. Innerhalb von drei Wochen hatte ich nicht nur meinen Gewinn aus dem Liz-Claiborne-Trade verloren, sondern auch noch das gesamte Kapital, das mir mein Vater geliehen hatte.
Wie haben Sie das geschafft?
Ich war so angetan von meinem Erfolg mit meinem ersten Trade, dass ich anfing, auf alle möglichen Gerüchte und Meinungen zu hören. Der Mann, der mir morgens meinen Kaffee brachte, erzählte mir irgendetwas über eine Aktie, und ich habe die dann sofort gekauft. Nach drei Wochen war ich pleite. Es hat fünf Jahre gedauert, bis ich meinem Vater das Geld in sehr kleinen Raten zurückgezahlt hatte.
Was hat Ihr Vater dazu gesagt, als Sie das ganze Geld verloren hatten?
„Na ja, das hatte ich mir schon gedacht“, hat er gesagt, „aber ich finde es gut, dass du eine Idee gehabt hast und ihr auch gefolgt bist.“ Ironischerweise stiegen die Liz-Claiborne-Aktien, die ich zuerst gekauft hatte, immer weiter und vervierfachten ihren Kurswert innerhalb eines Jahres.
Wie sahen Ihre nächsten Börsenerfahrungen aus?
Das Effektenbüro von Wood Gundy war nichts anderes als eine neue Variante der verbalen Angriffe von New York. Ich war mal wieder an den Job geraten, bei dem man von den Männern am Schreibtisch ständig angeschrien wird. Das war dort ganz alltäglich, aber ich hasste es. Und wenn ich mir die Abteilung für festverzinsliche Werte am anderen Ende des Büroraumes anschaute, fiel mir immer auf, dass alle so still waren. Keiner schrie den anderen an; es herrschte ein sehr ziviler Umgangston. Das gefiel mir. Ich holte mir die Erlaubnis, in die Bondabteilung zu wechseln.
Wood Gundy versuchte seinerzeit, zu einem der größeren Makler im amerikanischen Anleihenmarkt zu werden, und hatte extra zu diesem Zweck ein Team aus Tradern zusammengestellt. Diese Trader ähnelten einem Minenfeld, mit riesigen Verlusten überall. Einer davon hat sogar seine Skontrozettel versteckt, um seine Verluste zu verheimlichen. Letztendlich wurden sie alle gefeuert, ich blieb aber da und ein paar andere auch.
Ging es Ihnen in der Bondabteilung besser?
Mal so, mal so. Es war auf jeden Fall gut, von den verbalen Angriffen wegzukommen. Die Abteilung für festverzinsliche Werte war aufregender als die Aktienabteilung, weil dort riesige Positionen gehandelt wurden. Mir gefiel der Gedanke, dass ich hier vier- oder fünfmal so viel gewinnen oder verlieren konnte wie fast zwanzig Leute in der Aktienabteilung zusammen. Andererseits fand ich es nicht besonders attraktiv, für den Handel in allen möglichen illiquiden Emissionen verantwortlich zu sein, die meistens aus Auslandsanleihen bestanden.
Manchmal wurde ich beispielsweise um zwei oder drei Uhr nachts aus Japan angerufen und sollte Kauf- oder Verkaufsangebote über riesige Summen in illiquiden Bonds machen, ohne auch nur zu wissen, wie der Markt aussah. Weil ich schläfrig war, konnte es leicht passieren, dass ich die falsche Quote angab. Selbst wenn man sich um 100 Basispunkte geirrt hatte, war der Handel verbindlich. Man konnte wegen eines offensichtlichen Irrtums Verluste in Millionenhöhe machen, und die Japaner würden trotzdem darauf bestehen, dass der Handel galt.
Ist Ihnen das jemals passiert?
Oh ja.
Sie irrten sich um eine Million Dollar?
Also, ich hatte nicht direkt einen Irrtum von einer Million, aber ich hatte einen über 300 000 Dollar.
Und nur weil Sie die falsche Quote angegeben hatten?
Ich war müde. Ich dachte, die Rendite sei 9,5 Prozent, in Wirklichkeit stand sie aber bei 10,5 Prozent.
Ist es üblich, dass ein Trade verbindlich ist, der offensichtlich auf einem Irrtum basiert?
In Nordamerika ist das mit Sicherheit nicht normal, und ich denke mir, auch in Japan ist das wahrscheinlich nicht mehr so.
Wie sahen Ihre Bilanzen am Ende aus?
Ich hatte gut verdient und wurde zum jüngsten Abteilungsleiter bei Wood Gundy.
Worauf basierten Ihre Kauf- und Verkaufsentscheidungen?
Ich hatte keine feste Methode. Ich kam fast an einen Punkt, an dem ich den Markt für völlig zufallsgesteuert hielt.
Aber wenn Sie Geld verdienen konnten, müssen Sie doch irgendwie die richtigen Entscheidungen gefällt haben? Oder handelten Sie nur aus dem Instinkt heraus?
Ich verlasse mich beim Traden immer auf meinen Instinkt. Ich glaube aber auch, dass mir zur damaligen Zeit ein größerer Bullenmarkt im Anleihengeschäft zu Hilfe kam und mein Instinkt offensichtlich gut genug funktionierte, mich größtenteils von Leerverkäufen abzuhalten. Im besten Jahr habe ich für mein Büro 700 000 Dollar verdient, was eigentlich nicht besonders viel ist, wenn man bedenkt, auf wie viele Menschen es aufgeteilt werden musste.
Bei einem Umtrunk habe ich meinem Chef dann einmal gesagt: „Wir sind gar keine richtigen Bondtrader, sondern investieren eigentlich nur, genau wie bei unseren eigenen Sparkonten. Und wenn das alles ist, was wir hier tun, dann gibt es doch wohl bessere Investitionsmöglichkeiten.“
„Noch ist nicht aller Tage Abend“, antwortete er, „wir müssen nur am Ball bleiben.“
Das war dieselbe Zeit, nach drei Jahren, als ich wirklich anfing auszubrennen. Ich habe es nur so lange durchgehalten, weil es so aufregend ist, für den Handel mit diesen riesigen Beträgen verantwortlich zu sein.
Hatten Sie zu diesem Zeitpunkt schon Ihre Leidenschaft für die Börse entwickelt?
Ja, ich fühlte, dass ich diese Tätigkeit sehr gerne ausübte. Mir gefiel der Gedanke, ganz allein gegen die Märkte zu kämpfen. Allerdings gefielen mir die Märkte, in denen ich mich damals engagierte, nicht besonders. Es war oft sehr frustrierend, dass die Bondemissionen, mit denen wir in New York handelten, sehr illiquide waren. Ich entschied mich für eine Versetzung ins Hauptbüro von Wood Gundy in Toronto, da ich dort kanadische Staatsanleihen traden konnte, die viel liquider waren. Zuerst gefiel es mir im Hauptbüro ausgesprochen gut, da ich in liquiden Bondmärkten handelte, die viel Aktivität aufwiesen. Nach sechs Monaten wurde mir aber klar, dass ich nicht in Kanada arbeiten wollte. Die soziale Umgebung dort ist ein bisschen wie ein Country Club, in dem das Fortkommen mehr von der Politik abhängt als von der Leistung. Außerdem begannen mich Zinssätze und Anleihen zu langweilen.
Warum?
Weil sie einen starken Warencharakter haben. Bei den morgendlichen Treffen wurde immer die Frage gestellt: „Was wird heute wohl passieren?“ Alle Teilnehmer spulten dann ihr Ding ab, warum der Markt ihrer Meinung nach steigen oder fallen würde. Sie sprachen vom Einfluss der Devisenkursschwankungen, von der Fiskal- oder Geldpolitik, den neuesten Zinssatztendenzen in Amerika oder anderen Ländern usw. Wenn ich an der Reihe war, sagte ich ganz einfach: „Ich glaube, der Markt wird heute fallen.“ Wenn ich dann nach den Gründen gefragt wurde, antwortete ich: „Weil er gestern gestiegen ist.“ Sie wussten nie, ob sie mich ernst nehmen sollten oder nicht. Ich hatte einen Punkt erreicht, an dem ich dachte, der Markt sei so effizient, dass die Kurse nach einem steilen Anstieg am einen Tag am nächsten Tag genauso wahrscheinlich fallen würden.
Eines Morgens wachte ich mit dem Gedanken auf, dass ich mir für den Rest meines Lebens keine Sorgen mehr über Zinssätze machen wollte. Ich fühlte ganz genau, dass ich nie wieder Anleihen traden konnte. Ich ging zur Arbeit und kündigte, obwohl ich erst vor sieben Monaten nach Kanada gezogen war. Sie konnten es kaum fassen.
Sie haben gekündigt, obwohl Sie keine Aussicht auf einen anderen Arbeitsplatz hatten?
Ja, ich konnte einfach nicht mehr. Ironischerweise hat mich am selben Tag meine Frau angerufen, um mir zu erzählen, dass sie auch ihren Arbeitsplatz gekündigt hatte. Dabei hatte ich ihr gegenüber mit keiner Silbe erwähnt, dass ich meinen aufgeben wollte. Ich wusste, dass sie da nicht glücklich war, hätte aber nie gedacht, dass sie ans Kündigen dachte. Es ist schon erstaunlich, dass wir beide unabhängig voneinander am selben Tag unsere Arbeitsplätze gekündigt haben. Wir entschieden uns dafür, vorerst noch keine Arbeit zu suchen und uns sechs Monate Zeit zu nehmen, die Vereinigten Staaten zu bereisen, von Skiresort zu Skiresort.
Während unseres Aufenthalts am Lake Tahoe machten wir einen Abstecher nach San Francisco. Wir verliebten uns sofort in die Stadt und beschlossen, dorthin zu ziehen. Als wir am Ende unserer Rundreise wieder in Toronto ankamen, dachten wir, es sei vielleicht eine gute Idee, San Francisco vor unserem Umzug noch einmal zu besuchen, nur um uns zu vergewissern, dass es uns immer noch so gut gefiel wie beim ersten Besuch. Während dieses Besuchs machten wir uns auch auf die Arbeitssuche und hatten beide eine Stelle gefunden. Wir konnten sogar ein Haus finden, das uns gefiel, und machten ein Angebot, das akzeptiert wurde. Wir dachten schon, alles sei perfekt. Wir flogen wieder nach Toronto, mieteten uns einen Kleintransporter und zogen mit Sack und Pack nach San Francisco. Aber als wir dort ankamen, mussten wir entdecken, dass aus unseren Arbeitsplätzen nichts werden würde.
Was war Ihr Jobangebot?
Ich hatte ein Einstellungsgespräch bei einer kleinen Risikokapitalfirma absolviert. Mein Ansprechpartner hatte ebenfalls an der McGillUniversität studiert.
Sie müssen den Eindruck gehabt haben, besser empfangen zu werden als andere Anwärter.
Ja, mein Gesprächspartner war sehr enthusiastisch: „Natürlich können wir Sie gebrauchen. Sobald Sie hier wohnen, werden wir Sie unterbringen.“ Als ich aber in San Francisco ankam, rief ich ständig dort an, ohne jemals einen Rückruf zu erhalten. Als ich endlich einmal verbunden wurde, sagte derselbe Mann dann: „Oh, in diesem Jahr stellen wir überhaupt keine MBAs ein.“ Das war das genaue Gegenteil von dem, was er mir vorher erzählt hatte.
Ich hatte meine gesamten Ersparnisse in die Anzahlung für unser Haus investiert und hatte so gut wie gar kein Geld flüssig. Ursprünglich hatten wir uns keine Gedanken gemacht, weil wir dachten, in ein oder zwei Monaten Arbeitsplätze zu finden. Aber Monat für Monat ging ins Land, ohne dass auch nur einer von uns ein Angebot bekam. Ich konnte es nicht fassen. Ich fing an, billiges Bier zu trinken und lang im Bett zu bleiben.
Waren Sie deprimiert?
Nein, das ist nicht meine Art. Es war einfach zu viel Stress für mich, jeden Morgen aufzustehen und Firmen abzuklappern. Ich konnte es einfach nicht fassen, dass sich nach meiner erfolgreichen Karriere in New York hier noch nicht einmal Aussichten auf ein Jobangebot eröffneten. Ich war so verzweifelt, dass ich sogar Versicherungsfirmen anrief, um als Versicherungsvertreter zu arbeiten.
Das hört sich genau nach der Art von Job an, die Sie am meisten hassen.
Absolut, aber ich war am Verzweifeln. Ich hätte jeden Job genommen. Ich brauchte dringend Geld für die Hypothek und wollte nicht schon wieder meine Eltern um Hilfe bitten.
Wie wurde Ihre Frau mit dieser Schicksalsprüfung fertig?
Sie war ziemlich positiv. Sie hatte immer das Gefühl, wir würden es irgendwie schaffen.
Ist Ihnen das Geld ausgegangen?
Ja. Nachdem wir dann schon sechs Monate in San Francisco gewohnt hatten, bekam meine Frau zuerst einen Arbeitsplatz im Einzelhandel bei J. Crew, was für sie, nachdem sie bei Liz Claiborne als Vertriebsleiterin gearbeitet hatte, ein riesiger Rückschritt war. Aber auch sie war an den Punkt gekommen, an dem man jeden Job annimmt. Genau im selben Monat waren uns die Reserven ausgegangen, sie hat mit ihrem ersten Gehaltsscheck die Rate für die Hypothek bezahlt.
Sind Sie in Panik geraten, bevor sie in letzter Sekunde einen Job gefunden hat?
Ich hatte alle Hoffnung aufgegeben. Ich dachte mir: Was passiert, passiert. Nehmt das Haus. Mir doch egal. Ich war ziemlich verstört. So habe ich meine erste Lektion über San Francisco gelernt. Die Menschen dort sind nicht besonders beeindruckt, wenn du aus New York, Los Angeles oder London kommst. Das Stadtleben dort ist nicht von Durchreisenden geprägt wie in New York oder Los Angeles, wo es völlig normal ist, aus anderen Städten zu kommen und trotzdem einen Arbeitsplatz zu kriegen. San Francisco ist da mehr wie eine Gemeinschaft. Die Menschen wollen sehen, dass du schon eine Zeit lang in der Gegend wohnst. Jetzt kann ich diese Eigenart dieser Stadt respektieren, aber seinerzeit war es sehr frustrierend.
Wollen Sie damit sagen, dass die Arbeitsplätze, die dort frei wurden, immer an Einheimische gingen?
Genau, obwohl es eigentlich gar nicht besonders viele freie Arbeitsplätze gab. Ich konnte es nicht fassen, dass ich nach meinem Prestigejob fast so weit war, jetzt bei Starbucks zu arbeiten. Ich ging in die Bibliothek und recherchierte alle Firmen, deren Namen sich nach Finanzen anhörte, und schickte ihnen ein Bewerbungsschreiben. Schließlich rief mich jemand zurück, dem das Schreiben gefallen hatte. „Ich selbst kann Ihnen zwar keinen Arbeitsplatz anbieten“, sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung, „aber ich kenne jemand, der vielleicht Interesse an Ihnen hätte.“
Was hatte er an Ihrem Bewerbungsschreiben so attraktiv gefunden?
Ihm gefiel der ständige Wechsel – eine Mischung aus Finanzen und künstlerischen Tätigkeiten.
Bevor Ihnen dieser Arbeitsplatz in Aussicht gestellt wurde, müssen Sie sich so ziemlich am Tiefpunkt Ihres Lebens befunden haben?
Nein, leider nicht, der kommt gleich. Der Mann, der ursprünglich mein Bewerbungsschreiben erhalten hatte, konnte seinen Freund, der für eine ansässige Maklerfirma namens Volpe, Welty & Co. die Verkaufs- und Handelsabteilung führte, dazu überreden, mich für ein Einstellungsgespräch einzuladen. Als ich den Termin wahrnahm, wusste ich noch nicht, was mich da erwartete. Er fragte mich über meine bisherigen Erfahrungen aus, und ich habe ihm dasselbe erzählt wie Ihnen gerade.
Dann fragte er: „Wie viel möchten Sie verdienen?“
Ich addierte 200 Dollar zu meinen Hypothekenzahlungen und antwortete: „2 500 Dollar im Monat.“
„Wie wär’s mit 4 000?“, fragte er.
„Das wäre auch nicht schlecht“, sagte ich.
War er sich Ihrer unglücklichen Lage bewusst?
Nein, aber er kannte meine vorherigen Arbeitsplätze, und ich glaube, er fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, mir nur so wenig zu zahlen, wie ich angeblich haben wollte.
Für welche Art von Arbeit wurden Sie eingestellt?
Die Position war die eines institutionellen Aktienbrokers, aber ich hatte keine eigenen Konten. Ich musste vor aller Augen Kaltakquisen auftreiben, was mich sehr störte. Ich war vom hochherrschaftlichen Bondtrader, den alle immer zum Abendessen ausführen wollten, zur Kaltakquise von namenlosen Körperschaften heruntergekommen, die unsere traurigen Börsenideen kaufen sollten.
Ich könnte mir vorstellen, dass Ihre Ansprechpartner bei der Kaltakquise oft einfach den Hörer aufgelegt haben.
Genau, so war das auch. Ich erledigte diese Anrufe in Wellen. Ich hatte eine Liste von Telefonnummern vor mir, biss die Zähne zusammen und fing einfach an, die Nummern zu wählen. Ich bin von Natur aus nicht besonders aggressiv, also habe ich immer versucht, die Leute festzuhalten, indem ich sehr nett zu ihnen war. Das hat nicht besonders gut funktioniert. Das wiederholte sich gnadenlos, einen Tag nach dem anderen. Es fiel mir sehr schwer, anderen Menschen dabei zuzuschauen, wie sie ihren Geschäften nachgingen, während ich diese Anrufe tätigte, denn ich wusste, dass sie es jedes Mal merkten, wenn jemand aufgelegt hatte. Ich habe immer circa fünf Sekunden lang gesprochen und dann den Hörer aufgelegt und mich im Büro umgeschaut. Dann musste ich auch schon sofort den nächsten Anruf machen. Das Ganze war sehr erniedrigend. Ich hasste es absolut. Außerdem wusste ich nie, wann ich endlich meine Auslagen wieder hereinholen würde. Ich konnte keinen Vertragsabschluss zustande bringen.
Das meinen Sie nicht wörtlich?
Doch, allerdings. Ich hatte keine Verkäufe.
Wie lang blieb das so?
Ich hatte ungefähr acht Monate lang kein einziges Kundenkonto eröffnet und keinen einzigen Vertrag abgeschlossen.
Sie haben acht Monate lang Kaltakquise gemacht, ohne einen einzigen Trade? Das hört sich brutal an. War das dann Ihr Tiefpunkt?
Nein, das war immer noch nicht der Tiefpunkt (lacht), der kam kurz darauf. Obwohl ich kein besonders erfolgreicher Verkäufer war, war ich mir des großen Unterschieds zwischen Kaufen und Verkaufen doch bewusst. Nachdem ich die Märkte eine Zeit lang beobachtet hatte, wollte ich wieder selbst traden. Da ich kein Geld hatte, verfiel ich auf die Idee, einen Kredit auf mein Haus aufzunehmen und mir damit meinen Wunsch zu verwirklichen. Ich dachte mir: „Ich kann mein Haus in Bargeld verwandeln und dieses dann investieren.“
Ich weiß schon, was jetzt kommt ...
Ich fing an, indem ich Aktien verkaufte, die ich für überbewertet hielt – Hochleistungswerte wie Liz Claiborne und Gap –, oder indem ich Aktien kaufte, die ich für unterbewertet hielt. Letztendlich tat ich nichts anderes, als gute Firmen zu shorten und schlechte zu kaufen.
Wie hoch war das Darlehen?
Ich hatte für mein Haus eine Anzahlung von 75 000 Dollar geleistet und belieh es jetzt mit einem Darlehen von 50 000 Dollar. Schon nach ungefähr drei Wochen hatte ich drei Viertel des Geldes verloren.
Wie hat Ihre Frau auf diese Schicksalswende reagiert?
Sie hatte keine Ahnung davon.
Sie wusste gar nicht, dass Sie das Haus beliehen hatten?
Sie wusste von dem Darlehen, aber sie wusste nicht, was ich mit dem Geld machte.
Was hatten Sie ihr denn gesagt, wofür Sie das Geld brauchten?
Ich hatte ihr zwar gesagt, dass ich es investieren würde, hatte ihr aber erzählt, ich würde es in eher konservative Werte investieren, deren Dividendenausschüttungen uns mehr bringen würden, als die monatlichen Rückzahlungen des Darlehens kosteten. Das war ja auch meine Absicht gewesen. Aber sobald ich das Geld in den Händen hielt, dachte ich: „Ich werde das jetzt nicht für ein langweiliges Dividendeneinkommen anlegen, nur um von der Differenz zwischen diesem Einkommen und unseren Rückzahlungen zu profitieren.“
Wenn man in einem Maklerbüro arbeitet, kriegt man immer wieder die aufregendsten Dinge mit. Ständig verdoppelt oder verdreifacht irgendeine Aktie ihren Kurswert. Man kann sich der allgemeinen Hysterie kaum entziehen. Ständig musste ich mir die Geschichten anhören, mit denen rings um mich herum geprahlt wurde. Diese Verkäufer konnten auch die lächerlichste Bagatelle als großartige Leistung darstellen.
Sie hatten also die Lektion, nicht auf die Tipps und Meinungen anderer zu hören, immer noch nicht verinnerlicht? Sie haben denselben Fehler wieder gemacht?
Genau. Ich konnte mich einfach nicht dazu überwinden, meiner Frau zu gestehen, dass ich das ganze Geld verloren hatte. Einen ganzen Monat lang litt ich deswegen an Schlafstörungen. Ich musste ständig irgendwelche Erklärungen dafür erfinden, dass ich so schlecht aussah. Ich erzählte meiner Frau, ich hätte die Grippe. Sie machte sich zwar Gedanken, hatte aber keine Ahnung von der Wahrheit.
Eines Tages gab mir ein Arbeitskollege den Tipp, Commodore Computer zu kaufen. „Ich glaube, das wird hervorragend funktionieren“, sagte er, „wir haben gehört, dass ihr neuestes Spiel ein richtiger Renner werden wird.“ Ich war so verzweifelt, dass ich mich fast dazu zwingen musste, den Rat zu befolgen. Ich hob den Rest meines Darlehens ab und finanzierte damit eine doppelt so große Position.
Das war der Tiefpunkt meines Lebens. Die 75 000 Dollar, die ich in mein Haus gesteckt hatte, waren meine gesamten Ersparnisse gewesen. Schon alleine der Gedanke, dass ich wegen meiner Spielleidenschaft das ganze Vermögen, das ich in über zehn Jahren zusammengespart hatte, verlieren könnte, machte mir Angst und Bange. Es war wie ein schwarzer Abgrund.
Die Aktie stieg von 10 auf 17 Dollar und ich sofort aus. Nachdem ich die Position aufgelöst hatte, erzielte die Aktie ein Niveau knapp über 20 Dollar, aber letztendlich fiel sie wieder auf null, als das Unternehmen Pleite ging. Dieser Trade brachte ganz alleine fast genug Kapital, um mich vollständig zu sanieren.
Tatsächlich haben Sie ein Riesenglück gehabt, mit einem Tipp, der sehr leicht auch ins Auge hätte gehen können, weil die Aktie letztendlich auf null fiel. Sie haben irgendwie gerade noch das richtige Zeitfenster erwischt.
Ja, es war reines Glück. Auch wenn ich heute auf die großen Wendepunkte meines Lebens zurückblicke, weiß ich manchmal nicht, ob mir das Glück oder meine Intelligenz zu Hilfe geeilt ist, aber eigentlich ist mir das auch gleichgültig. Es ist manchmal schon merkwürdig, wie sich die Dinge abspielen. Ich sage den Menschen immer, dass das Glück in dieser Branche eine große Rolle spielt. Vielleicht muss man selber die richtige Situation schaffen, damit man Glück haben kann, aber ich glaube eigentlich, dass wir alle unseren gerechten Anteil am Glück bekommen – sowohl in guter als auch in schlechter Hinsicht. Wir müssen halt immer akzeptieren, was da auf uns zukommt.
Dieser Trade mit Commodore hat mich gerettet. Sie denken jetzt wahrscheinlich, dass meine Einstellung folgendermaßen aussah: „Dieser Tipp hat funktioniert, also werde ich jetzt wieder öfter auf Ratschläge hören.“ Ich hatte aber genau erkannt, wie groß die Rolle war, die das Glück in diesem Fall gespielt hatte. Ich wusste genau, dass mich die Börsengötter gerettet hatten. Ich hatte meine Lektion gelernt. Von diesem Zeitpunkt an wurde ich ein viel besserer Trader.
Sie dachten also: „Gott sei Dank, ich werde nie wieder sündigen“?
Genau. Obwohl alles letztendlich so gut funktioniert hatte, war der Stress einfach unglaublich gewesen. Als dann der Erfolg kam, war es wie eine Erlösung. Jetzt fing ich langsam wieder mit dem Aufbau an. Ich musste natürlich noch eine ganze Menge lernen, aber zumindest hatte ich diese Erfahrung hinter mir. Ich glaube, dass es wichtig ist, so tief zu fallen und in diesen Abgrund zu blicken.
Inwiefern war das hilfreich?
Der Schock dieser Erfahrung gab mir geistige Klarheit. Ich verstand plötzlich, dass Aktien nicht wegen irgendwelcher Geschichten, Tipps oder Meinungen anderer Menschen steigen oder schwächer tendieren, sondern aus sehr spezifischen Gründen. Ich war fest entschlossen, diese Gründe herauszufinden, die Welt auszusperren und mich bei meinen Handlungen nur noch auf mein eigenes Wissen zu verlassen. Damit habe ich damals angefangen, und mit der Zeit brachte mir diese Strategie immer bessere Resultate.
Das war also das erste Mal in Ihrem Leben, dass Sie an der Börse Erfolge feiern konnten? Wie sahen diese Erfolge aus?
Ich habe damals so etwas wie ein Thema entdeckt, das in allen Bullenund Bärenmärkten besteht: Letztendlich steigen gute Firmen immer. Sogar die Großmütter in Kansas City wissen das.
Und wie haben Sie diese guten Firmen ausfindig gemacht?
Ich suchte nach Unternehmen, die von den Märkten gesegnet sind. Diese Segnung kann sich in Form einer langen Reihe von erreichten Quartalen darstellen (also Quartale, in denen die Unternehmensbilanzen die Erwartungen befriedigen oder übertreffen) oder auch in ganz anderer Form. Man kann diese Aktien am Kursverhalten erkennen. Aus irgendeinem Grund begünstigt der Markt die eine Aktie und die andere nicht, ganz unabhängig davon, wie viele Makler ihren Kunden zum Kauf einer Aktie raten, nur weil sie so preiswert ist.
Letztendlich haben Sie Ihre vorherige Handlungsweise einfach umgekehrt: Statt billig einzukaufen und Aktien abzustoßen, die stark gestiegen waren, kauften Sie jetzt teure Werte?
Dieses Thema besteht bis heute fort. Es ist am allerschwersten, eine Aktie auf einem hohen Kursniveau zu kaufen oder eine zu verkaufen, die tief gesunken ist, aber ich finde andererseits auch, dass es immer am schwersten ist, das Richtige zu tun. Diese Lektion zu lernen ist gar nicht so einfach, und ich habe sie selbst immer noch nicht ganz gelernt.
Wie erkennen Sie, dass – um Ihre eigene Bezeichnung dafür zu verwenden – eine Aktie „gesegnet“ ist?
Da kommen verschiedene Faktoren zusammen. Die Fundamentaldaten machen nur ein Viertel dieser Faktoren aus.
Was ist mit den restlichen drei Vierteln?
Weitere 25 Prozent sind technische Daten.
Wonach suchen Sie in technischer Hinsicht?
Ich bevorzuge Aktien, deren Trend ziemlich linear verläuft. Ich möchte keine Aktien haben, die ständig wilden Kursschwankungen unterliegen.
Das wären jetzt also 50 Prozent, und die Fundamentaldaten und technischen Daten sind bereits erwähnt worden. Was bleibt da noch übrig?
Weitere 25 Prozent macht die Beobachtung der Kursreaktionen auf verschiedene Informationen aus: makroökonomische Ereignisse, interne Nachrichten. Ich achte auch sehr darauf, wie eine Aktie reagiert, wenn ihr Kursniveau eine runde Zahl erreicht: 20 oder 30 Dollar etc. Ich versuche, ein Gefühl dafür zu entwickeln, ob eine Aktie diesen besonderen Glanz hat.
Nach welcher Art von Reaktion suchen Sie dabei?
Ich möchte, dass eine Aktie auf gute Nachrichten, wie beispielsweise die Ankündigung eines neuen Produkts oder guter Umsatzzahlen, mit einem Kursanstieg reagiert, auf schlechte Nachrichten jedoch mit einem weniger ausgeprägten Kursverfall. Wenn eine Aktie nach schlechten Nachrichten auch schlechte Leistungen bringt, ist sie nicht wirklich gesegnet.
Das wären jetzt also 75 Prozent. Was bleibt da noch?
Die letzten 25 Prozent haben mit meinem Instinkt für die allgemeine Marktrichtung zu tun, der sich aus meinem Gefühl dafür ergibt, wie der Markt auf makroökonomische und andere Ereignisse oder Nachrichten reagiert. Dabei betrachte ich den gesamten Markt fast so, als handle es sich um eine einzige Aktie.
Wie lange halten Sie eine Aktienposition normalerweise?
Ich bin zwar kein Daytrader, halte meine Aktien aber im Durchschnitt nur ein paar Wochen lang. Außerdem kann es sein, dass ich bei Kernpositionen von einigen hunderttausend Aktien innerhalb eines Tages oder einer Woche mehrmals ein- und aussteige, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, ob ich auch das Richtige tue. Wenn mir dabei irgendetwas nicht gefällt, steige ich aus. Das liebe ich auch so an der Verwaltung von Hedgefonds. Wenn mir etwas nicht daran gefällt, wie sich eine Aktie verhält, steige ich einfach aus. Ich muss mir nie Gedanken darüber machen, dass meine Kunden mich beobachten und meinen Anlagestil für schizophren halten. Ich habe nämlich auch schon für Unternehmen gearbeitet, wo die Kunden über jeden winzigen Schritt, den ich unternahm, genau informiert wurden. Manchmal wurden sie dabei fast wahnsinnig. Sie riefen mich dann an und sagten: „Sind Sie verrückt? Was tun Sie denn da bloß? Ich dachte immer, Sie würden richtige Nachforschungen anstellen!“
Was kann Sie dazu veranlassen, aus einer Aktie auszusteigen?
Ich steige entweder aus, weil alles darauf hindeutet, dass die Leistungen nachlassen und ich in Gefahr gerate, meine Gewinne wieder abzugeben, oder weil die Aktie innerhalb eines zu kurzen Zeitraums zu stark zugelegt hat.
Würden Sie dann nach der Korrektur versuchen, dieselbe Aktie noch einmal zu kaufen?
Ja.
Funktioniert das oder verpassen Sie am Ende meistens den Rest der Kursbewegung?
Ich verpasse den Rest der Kursbewegung häufig, weil ich nur die Aktien guter Firmen kaufe, die meistens weiter steigen.
Haben Sie schon einmal daran gedacht, Ihren Anlagestil dahingehend zu ändern, dass Sie Ihre Positionen länger halten?
Ich verändere mich zwar langsam mit den Jahren, aber bis auf den heutigen Tag passiert mir immer noch ständig derselbe Fehler, dass ich zu früh aussteige.
Und kann es nach einem solchen Ausstieg schon mal passieren, dass Sie auf einem höheren Kursniveau wieder einsteigen?
Natürlich, das passiert ständig.
Sie sind also durchaus dazu fähig, Ihren Fehler beim Ausstieg zuzugeben und auf einem höheren Kursniveau wieder einzusteigen. Sie denken also nicht: „Die kann ich jetzt nicht mehr kaufen; die habe ich ja gerade für 10 Dollar weniger verkauft.“
In früheren Jahren habe ich manchmal noch so gedacht, aber mittlerweile macht es mir gar nichts mehr aus, zu einem höheren Kurs noch einmal einzusteigen. Meiner Meinung nach ist ein Börsenerfolg nicht unbedingt eine Aktie, die ich bei 10 gekauft und bis 100 gehalten habe, sondern eher 7 Zähler hier, 5 dort, weitere 8 hier, bis ich die Kursbewegung größtenteils genutzt habe.
Trotzdem hört es sich bedeutend einfacher an, eine der gesegneten Aktien zu kaufen und zu halten.
Manchmal ist das auch so, das hängt allerdings von der Marktumgebung ab. Momentan sind die Bewertungen beispielsweise so hoch, dass ich keine Kernpositionen habe, die ich halten möchte.
Das bringt mich zu einer der Fragen, die ich Ihnen stellen wollte: In dieser Art von Markt, wo die Spitzenwerte schon außergewöhnliche Kursanstiege hinter sich haben, benutzen Sie da immer noch dieselbe Strategie? Und wenn nicht, wie passen Sie sich und Ihre Methoden an die neue Situation an?
Um ganz ehrlich zu sein, fällt es mir sehr schwer, mich umzustellen. Meine Philosophie ist, dass ich mich wie eine Qualle treiben und vom Markt mitreißen lasse, wo auch immer er hingeht. Ich habe keine in Stein gemeißelte Strategie, auf der ich bestehe, bis der Markt in meine Richtung geht. Ich versuche immer herauszufinden, welche Strategien im Markt Resultate bringen. Im einen Jahr kann das der Schwung sein, im nächsten ist es vielleicht der Wert.
Sie passen Ihre Strategie also an Ihren Markteindruck an?
Genau, ich versuche zu erraten, wofür der Markt bezahlen wird.
Wie können Sie in Erfahrung bringen, wann sich grundlegende Veränderungen ergeben?
Ich schaue mir alles an und höre so vielen Menschen zu wie möglich, vom Taxifahrer bis zum Börsenanalysten. Dann setze ich mich ganz ruhig hin und warte ab, welche Ideen in mir aufsteigen. Manchmal sind die Chancen so offensichtlich, dass man fast gar nicht verlieren kann, sobald sie sich bieten; das einzige Problem ist natürlich, dass sie sich nicht besonders oft bieten. Der Schlüssel zum Erfolg ist wahrscheinlich, in den Zwischenzeiten kein Geld zu verlieren.
Können Sie mir ein Beispiel nennen für eine Gelegenheit, die so offensichtlich war?
1998 war mir sehr klar – ich sage diese Dinge nur ungern, weil es sich so anhört, als sei ich ein Hellseher mit Kristallkugel –, dass eine ziemlich hohe Wahrscheinlichkeit für ziemlich drastische Kursverluste im August bestand.
Wieso konnten Sie sich da so sicher sein?
Ich beschäftige mich ständig mit der Marktstimmung – Ist die Börse hoffnungsvoll? Oder ist sie ängstlich? – und warte auf eine Kursbewegung, die meine Bewertung der Marktstimmung bestätigt. Im letzten Winter und Frühling war die Situation ziemlich verwirrend. Es gab zwar Berichte über potentielle Probleme in Asien, aber die Kurse ignorierten einfach alles. Darum gab es gar keine andere Möglichkeit, als long zu gehen, obwohl diese potentiellen Probleme bestanden. Im Juli entschied ich mich also, wirklich long zu gehen. Die Spitzenwerte brachten gerade hervorragende Leistungen und der Markt war in Hochform. An einem gewissen Punkt lag ich in einem Monat 15 Prozent vorne. Dann, urplötzlich und innerhalb weniger Tage, verlor ich das alles und stand für diesen Monat 3 Prozent im Minus. Der Markt hatte mir das Geld so schnell abgenommen, dass ich nach einem Blick in mein Portefeuille, das übrigens voller Marktführer war und nicht nur aus Aktien mit schlechten Fundamentaldaten bestand, genau wusste, dass irgendetwas nicht stimmen konnte.
Was haben Sie dann gemacht? Sie haben bereits erwähnt, dass Sie am Monatsanfang eine große Longposition hielten. Haben Sie diese ganze Position gedeckt? Sind Sie unterm Strich short gegangen?
Ich war zu 130 Prozent long. Wenn ich einen größeren Bärenmarkt erwarte, verkaufe ich normalerweise alles und beobachte nur noch. Genau das habe ich auch damals getan.
Sie sind also short gegangen?
Ja, ungefähr zwei Wochen später. Ich dachte, der Asienkrise, die den Kurseinbrüchen vorausging, würde eine zweite Etappe folgen. Es ist nämlich fast nie so, dass man von einem Problem hört, das dann sofort abklingt. Wir kannten die jüngsten Schlagzeilen über potentielle Probleme in Russland. Obwohl wir schon oft ähnliche Nachrichtensendungen gesehen hatten, bestand der Unterschied diesmal darin, dass die Kurse reagierten. Ich war fest davon überzeugt, dass sich diese Situation fortsetzen würde. Russland würde sich nicht innerhalb eines Tages erholen und Korea und Thailand wohl auch nicht, die Kurse reflektierten diese Befürchtungen. In der zweiten Augustwoche ging ich netto 130 Prozent short und die Ereigniskette nahm ihren Lauf. Mir war das sehr klar gewesen.
Wann haben Sie Ihre Leerverkäufe gedeckt?
In der zweiten Oktoberwoche. Auf meinem Börsenticker klebt ein Papierstreifen mit einer Reihe von Regeln. Eine davon lautet: Kaufe bei extremer Schwäche und verkaufe bei extremer Stärke. Man kann diese Extreme natürlich nur identifizieren, wenn man sich in die Marktstimmung einfühlt und sieht, ob Euphorie oder Pessimismus herrscht. Dann muss man sehr schnell reagieren, weil es oft zu abrupten Kursspitzen nach oben oder unten kommt. In der zweiten Oktoberwoche überkam mich das Gefühl, dass ich die extrem schwachen Tendenzen des Marktes zur Deckung meiner Leerverkäufe nutzen sollte. Also machte ich in nur einem Tag alle Deckungskäufe und ging letztendlich sogar 25 Prozent long.
War an diesem Tag irgendetwas Besonderes, das Sie dazu bewogen hat, Ihre Position umzukehren?
An diesem Tag fielen Aktien wie Dell zuerst von 50 auf 40, und vor Tagesende holten sie mit jedem Schritt 2 oder 3 Punkte auf.
Also haben Sie diese Aktien weit über dem Kursniveau desselben Morgens gekauft?
Genau. Wenn ich eine Aktie kaufen will, scheint sie mir umso attraktiver zu sein, je schwerer es ist, sie zu kaufen. Ich hatte meine Kauforder für Dell bei 42 gegeben, sie wurde aber erst bei 45 ausgeführt. Ich mag das.
Geben Sie Ihre Kaufaufträge direkt auf oder versuchen Sie, dass sie auf einem bestimmten Kursniveau ausgeführt werden?
Ich kaufe und verkaufe immer direkt. Ich strenge mich nie besonders an, die beste Ausführung zu bekommen. Ich bin der Traumkunde aller Makler.
Sie sagten eben, Sie seien 25 Prozent long gegangen. Wann haben Sie diese Position vergrößert?
Wenn ich langsam wieder long einsteige, warte ich zuerst ein Weilchen, um zu sehen, ob die Kurserholung sich am nächsten Tag fortsetzt und keine weiteren schlechten Nachrichten mehr kommen. Wenn allerdings schlechte Nachrichten kommen, die Kurse aber weiter ansteigen, dann werfe ich mich voll ins Zeug.
Ist das damals passiert?
Nicht am nächsten Tag, aber in der darauf folgenden Woche. Es gab weitere Nachrichten über den Kollaps von Long Term Capital.