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Storys, die uns ein Leben lang begleiten ... Oder verfolgen? Erinnerungen haben ihren eigenen Willen; mal muss man sie mit Mühe verdrängen, dann wieder bleibt alles im Schemenhaften – man kann nicht näher ranzoomen. Dann müssen die Dicht- und Erzählkunst aushelfen. Mittels einer Story schlägt man eine Brücke in seine Historie. Man sollte darauf achten, dass sie begehbar ist. Man kann damit sogar besseren Kontakt zu seinen Emotionen aufbauen; die liegen ja oft verschütt. Mit Worten etwas freiräumen, etwas bergen, sichern. Insofern sind manche Storys so etwas wie Freunde, mit denen man auch nicht ständig Kontakt hat, aber an die man des Öfteren gerne denkt.
Der Erlös dieses Buches geht an: Aktion Deutschland Hilft e. V.
Im Buch sind Erzählungen, Briefe, Gedichte und die unterschiedlichsten Kurzgeschichten vom Märchen bis zur Liebesgeschichte (kein Ü18).
Beteiligte Autoren:
Heike Brands, Ralf von der Brelie, Milly B., Angela Ewert, Coco Eberhardt, Martina Hoblitz, Phil Humor, Elke Immanuel, Anneliese Koch, Matthias März, Ursula Kollasch, Dörte Müller, Petra Peuleke, Karl Plepelits, Gitta Rübsaat, Manuela Schauten, Roland Schilling, Michaela Schmiedel
Cover:
Tess M. Heingand
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2021
Storys, die uns ein Leben lang begleiten ... Oder verfolgen? Erinnerungen haben ihren eigenen Willen; mal muss man sie mit Mühe verdrängen, dann wieder bleibt alles im Schemenhaften – man kann nicht näher ranzoomen. Dann müssen die Dicht- und Erzählkunst aushelfen. Mittels einer Story schlägt man eine Brücke in seine Historie. Man sollte darauf achten, dass sie begehbar ist. Man kann damit sogar besseren Kontakt zu seinen Emotionen aufbauen; die liegen ja oft verschütt. Mit Worten etwas freiräumen, etwas bergen, sichern. Insofern sind manche Storys so etwas wie Freunde, mit denen man auch nicht ständig Kontakt hat, aber an die man des Öfteren gerne denkt.
Der Erlös dieses Buches geht an: Aktion Deutschland Hilft e. V.
Phil Humor - Vorwort
Elke Immanuel - Ein Tag
Ursula Kollasch - Das geheime Notizbuch
Phil Humor - Zu Besuch bei Noah und Haikal
Gitta Rübsaat - Mein Denkmal
Dörte Müller - Valerie und der Eisbär
Matthias März - Das irische Mädchen
Angela Ewert - Goldhochzeit ohne Feier
Ralf von der Brelie - Großes Herz und feuchte Nase
Coco Eberhardt - Das schwarze Klavier
Michaela Schmiedel - Lindes Geflüster
Roland Schilling - Zeit der Abenteuer
Milly B. - Umwelt und mehr
Manuela Schauten - Träumte mal wieder
Anneliese Koch - Vom Esel, der so gern ein Goldesel sein wollte.
Martina Hoblitz - Ein Fisch lernt fliegen
Petra Peuleke - Glück gehabt
Karl Plepelits - Die Weisheit der Bäume
Heike Brands - Die Botschaft der Engel
Coco Eberhardt - Dein Julius
Matthias März - Für alle Felle Stefan nie
Michaela Schmiedel - Winternacht Himmel
Martina Hoblitz - Sommerliebe - Winterhass?
Elke Immanuel - Man weiß nie ...
© Elke Immanuel
Es ist ein Tag wie jeder andere
meint man
Ein neuer Tag wie viele vorher
alles ist ruhig, normal
Dann kommt ein Regen
nichts Besonderes
Hatten wir schon
Tausendmal
Doch heute hört er nicht auf
wird stärker und stärker
Noch fällt uns nichts auf
noch laufen wir unseren Tageslauf
Dann wird es Abend, Nacht
und plötzlich kommt ein Schlamm
die Straße entlang
steigt höher und höher
bricht sich durch Kellerfenster Bahn
steigt ins erste Geschoß, ins Zweite
zerbricht Schaufenster-Scheiben
reißt Autos wie Spielzeug mit
Menschen, Tiere, Hab und Gut
Vom Campingplatz schwimmen Wohnwagen los
zerschmettern an uralten Sandstein-Brücken
Riesige Bäume fallen wie Streichhölzer
verhaken sich im angestauten Müll
reißen Straßen weg
verbiegen Bahnschienen wie dünner Draht
Die alten Brücken bersten und fallen zusammen
Noch nie dagewesenes geschieht
Die Erde rutscht
Felder weichen einem Loch
einem Krater gleich
Häuser zerbersten und schwimmen davon
Die Autobahn versinkt im meterhohen Schlamm
40-Tonner verschwinden
Die Angst um Eingeschlossene wächst
Hilfe ist unmöglich
u - n - m - ö - g - l - i - c - h
Gibt es diese Wort überhaupt
gibt es dieses Wort in Deutschland
Im Land der Sauberkeit
der Regeln und Vorschriften
der Straßenschilder und Fahrpläne
Seit diesem Tag JA!
Zusehen müssen
Verzweifeln unterdrücken
Alltag für die nächsten Wochen
Monate - Jahre
Der Schock sitzt tief
das Handy tot
kein Wasser, kein Strom, nichts mehr
keine Heimat mehr für Viele
Dann - dann endlich sinkt das Wasser
zeigt seine Macht
am Hinterlassenen
Der Mensch atmet auf
trotz Verzweiflung wächst Dankbarkeit
das Leben ist übrig
Schaufeln, Schubkarren, unendlich Müll
prägen das Bild
doch alle packen an
von nah und fern, vom Ausland sogar
Tausende mit Schippen,
Eimern und Schubkarren
Baggern, 40-Tonner, Manpower
THW und Feuerwehren
Polizei und Hilfsorganisationen
leisten Unmenschliches
Drum herum die betroffenen Menschen
Deutschland steht zusammen
seit langem wieder
Die Alten sprechen von
"Wie im Krieg"
und uns Jungen stockt das Blut
Die Alten sind´s
die Alten machen Mut
"Wir schaffen das - Hauptsache gesund"
Videoaufnahmen beweisen es
sie lachen mitten im Müll
sind echt dankbar, nicht gespielt
Über-Lebens-Mut sammelt die Menschen
läßt sie erkennen, was wirklich zählt
Zusammenhalt, Frieden, Liebe zum Nächsten
Die Tage vergehen
Straßen erscheinen wieder
Müllverbrennungsanlagen haben Hochbetrieb
Die Autobahn läuft trocken
Viele PKW erscheinen erstmals im Schlamm
Keine Menschen in den Fahrzeugen
Aufatmen bei den Hilfskräften
sie haben Mammut-Aufgaben gemeistert
werden noch Wochen im Einsatz sein müssen
Tun es, müde, abgekämpft, unermüdlich
Gott sei Dank - hört man zum ersten Mal
GOTT SEI DANK!!! WIR LEBEN!
WIR SCHAFFEN DAS!!!
Wir haben ein wunderbares Land
mit wunderbaren Menschen
WIR SCHAFFEN DAS!!!
Das sagt nicht nur die Regierung
DAS SCHAFFEN WIR GEMEINSAM!
WIR MENSCHEN!!!
© Ursula Kollasch
Montagmorgen. Müde schlurfte ich auf den Eingang der Schule zu, an den Fahrradständern und geparkten Rollern vorbei, sah einige andere, die wie ich zu spät waren, sich aber etwas mehr beeilten, in das ungeliebte Gebäude zu gelangen. Ich hatte nur wenig Schlaf bekommen. Immer, wenn ich an meinen eigenen PC-Games herumbastelte, neue Programme installierte, Welten, Waffen, Endgegner und Rätsel entwarf, vergaß ich die Zeit. So auch gestern. Fuck. Wenn das mal keinen Eintrag brachte, wegen zu häufigem Zu-Spät-Kommens. Ach, wenn schon, versuchte ich mich zu beruhigen. Gibt Schlimmeres ... Ich gähnte herzhaft, als ich über den Flur auf meinen Klassenraum zu schlenderte. Jetzt durfte ich die Kiefer noch aufreißen, gleich, vor dem Lehrer, würde ich das krampfhaft unterdrücken müssen. Durch die geschlossene Tür hörte ich Kramers sonore Stimme, die meine Mitschüler auf Spanisch zutextete. Mit dieser übertriebenen Betonung, die jeder echte Spanier vermutlich nur mit hochgezogenen Augenbrauen belächeln würde. Die Uhr auf dem Flur zeigte Viertel nach acht an. Mist. Rasch setzte ich ein zerknirschtes Gesicht auf und öffnete die Tür. „Ah, Tom, buenos dias, wie schön, dass du uns noch mit deiner Anwesenheit erfreust!“ Der Sarkasmus troff nur so aus Kramers Stimme. Sein Blick, der mich fast aufspießte, sagte wesentlich direkter: „Das gibt Ärger, kleiner Penner. Ich sitze am längeren Hebel.“ Ja, bei Kramer sollte man sich Unpünktlichkeit, Vergessen der Hausaufgaben, aber vor allem Kritik oder Aufmucken in jeder Form verkneifen. Der Alte erwiderte selbst bei höflichst vorgebrachten kritischen Fragen mit süßlich-fieser Stimme: „Meine Lieben, wenn das so ist, weiß ich Bescheid. Gracias! Das werde ich mir merken!“ Dabei war Maikes Kommentar über seine schief kopierten Arbeitsblätter gar nicht böse gemeint gewesen. Letztens hatte sich jemand unbedachterweise beklagt, er wäre nicht mitgekommen. Statt noch einmal zu erklären, kündigte Kramer, die beleidigte Leberwurst, einen ‚längst ausstehenden‘ umfassenden Vokabeltest an, dann setzte er als kleine Sofortrache noch immens viele Hausaufgaben oben drauf und drohte abschließend in seiner Tirade für die nächste Doppelstunde einen Besuch des Sprachlabors an. Horror. Das wollte ich mir und den Mitschülern ersparen. Rasch suchte ich im Kopf die spanischen Vokabeln meiner Entschuldigung zusammen. „Lo siento, perdí el tranvía.“ Das hieß doch hoffentlich - grammatikalisch korrekt - Entschuldigung, ich habe die Straßenbahn verpasst, oder? „Otra vez. Deberías levantarte más temprano y salir más temprano de casa“, gab er mit tadelnder Stimme zurück. Schon wieder. Sie sollten früher aufstehen und das Haus eher verlassen. War ja klar. Auch, dass er mich plötzlich siezte. Klang nicht nach: Entschuldigung angenommen. Ich begab mich an meinen Platz. Glücklicherweise ließ er von mir ab und wandte sich wieder der gesamten Klasse 12a zu. Hinter meiner interessierten Maske ließ ich die Gedanken abdriften. Doch am Ende der Doppelstunde holte mich die Realität wieder ein. Als ich gerade meine Sachen einpackte, baute sich Kramer vor mir auf. „Dreimaliges Zu-Spät-Erscheinen bedeutet Informieren der Erziehungsberechtigten sowie einen Eintrag.“ Shit. Ich blickte zu ihm auf. Sah das miese kleine Lächeln um seinen Mund und wappnete mich innerlich für das, was nun folgen würde. „Das möchtest du sicher nicht, oder?“ Eine rhetorische Frage, denn er wartete meine Antwort gar nicht ab. „Wenn du, statt jetzt in der Pause in der Raucherecke herumzuhängen, lieber was Sinnvolles tun möchtest, könnte ich vorerst von den Konsequenzen deiner bisherigen Unpünktlichkeit absehen.“ Jetzt hatte er meine volle Aufmerksamkeit. Was wollte er von mir? Er spuckte es auch sofort aus. „Im Kopierraum liegen ein paar Stapel, bereits in der korrekten Reihenfolge angeordnet. Die Blätter müssten nur noch zu Heften zusammengetackert werden. Eine Sache von nicht mal zehn Minuten, wenn man flott arbeitet, und das heutige Zu-Spät-Erscheinen wäre vergessen.“ Ja, damit er, Kramer, selbst mal eine paffen gehen konnte, draußen, vor dem Schulgelände hinter der Bushaltestelle, wo sich die rauchenden Lehrer trafen. Dort hatte ich ihn schon das eine oder andere Mal gesehen. Oder er würde sich einen Latte Macchiato beim Bäcker holen. Egal, wägte ich ab, tu, was der alte Sack will. Denn ich hatte keinerlei Lust auf Stress mit meinen studierten, an Schulleistungen äußerst interessierten Eltern. „Okay“, gab ich knapp zurück, was Kramers mieses kleines Lächeln verstärkte. „Na, dann komm mit.“ Er wandte sich ab und schritt mir voraus aus dem Klassenraum. Ich schulterte meinen Rucksack und folgte ihm in einigem Abstand, denn ich wollte nicht, dass mich andere mit ihm sahen und für einen Schleimer hielten. Beim Kopierraum angekommen, zeigte er auf die Papierstapel. Die Bezeichnung ein paar war etwas untertrieben, es handelte sich um exakt zwanzig. „Von links nach rechts, drei Mal tackern, oben, Mitte, unten. Ich nehme die Hefte am Ende der Pause hier von dir entgegen.“ Er wandte sich ab, drehte sich aber an der Tür noch einmal um. „Und lass dir bloß nicht einfallen, dabei zu frühstücken. Ich will keine Fettflecken von deinen Wurstfingern darauf sehen, klaro?“ Erneut wartete er meine Antwort nicht ab und verschwand auf dem Flur. Ätzende Bazille! Ich zeigte dem leeren Türrahmen den Mittelfinger. Dann stellte ich meinen Rucksack ab und machte mich ergeben an die Arbeit, die so stupide war, dass ich mich nebenbei gedanklich mit der Weiterentwicklung meines neuen Spiels beschäftigen konnte. Als eine Lehrerin in den Raum stürmte, an einen der Kopierer, erschrak ich regelrecht, sodass mir die Blätter, die ich gerade zusammenheften wollte, aus der Hand glitten, sich auf dem Boden verteilten. Frau Becker war die Furie, die jetzt hektisch an dem Gerät herumdrückte. „Na, musst du das zur Strafe machen?“, fragte sie über die Schulter. „Ich helfe immer gerne“, gab ich lakonisch zurück, während ich in die Hocke ging, um die verstreuten Papiere aufzusammeln. Sie gluckste leise. Vielleicht besaß sie doch einen Funken Humor. Dann sagte sie etwas, was ich jedoch nicht mitbekam, denn als ich das letzte Blatt unter der Krankenliege, die unsinnigerweise im Kopierraum stand, hervorklaubte, entdeckte ich ein kleines, rotes Notizbuch, das dort im Halbdunkel an der Wand lag. Ich reckte meinen Arm so weit es ging und bekam es zu fassen. Ich schaute mich um zu Frau Becker, die wandte mir weiter den Rücken zu. Bestens. Rasch steckte ich mir den Fund unter den Pullover in den Hosenbund und richtete mich mit dem letzten Papier in der Hand wieder auf. Die Lehrerin hatte nichts von der Aktion bemerkt, denn sie griff sich ihre Kopien und verließ wortlos den Raum. Ich spähte zur offenen Tür. Überlegte, ob ich einen Blick in das Notizbuch riskieren durfte, das ich hart an meinen Bauch gepresst spürte. Besser nicht. Wollte keinesfalls damit erwischt werden. Also ließ ich es nur fix im Rucksack verschwinden.