Stummes Grauen - Niemand hört dich schreien - Gay Longworth - E-Book
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Stummes Grauen - Niemand hört dich schreien E-Book

Gay Longworth

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Beschreibung

Wo das Böse lauert … Der fesselnde England-Thriller »Stummes Grauen – Niemand hört dich schreien« von Gay Longworth jetzt als eBook bei dotbooks. Welchen Preis wird sie für die Wahrheit zahlen müssen? Als die Journalistin Cat auf dem Weg zu ihrem neuen Job einen Unfall hat, will sie beim nächstgelegenen Haus Hilfe holen. Doch in dem herrschaftlichen »Cedar Hall« öffnet ihr niemand, nur das Tor der Garage steht einen Spalt offen … und aus dem Dämmerlicht starren Cat leere Augen entgegen, das zarte Mädchengesicht im Tod zur Grimasse erstarrt. Die Schocknachricht breitet sich wie ein Lauffeuer durch die englische Kleinstadt aus: Wer sollte Jane Wellby, der Vorzeigetochter aus gutem Haus, nach dem Leben getrachtet haben? Sofort fällt der Verdacht auf Cat als Fremde im Ort. Um ihre Unschuld zu beweisen, ermittelt sie fieberhaft nach dem wahren Täter – und kommt einem ungeheuerlichen Netz aus Macht, Gier und Missbrauch auf die Spur, das sich im Herzen der Stadt verbirgt … »Gay Longworth ist eine wahre Meisterin des Thrillers!«, urteilt die britische Zeitung Sunday Express Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der abgründige Thriller »Stummes Grauen – Niemand hört dich schreien« von Gay Longworth wird alle Fans von Claire Douglas und Cara Hunter fesseln. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 624

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Über dieses Buch:

Welchen Preis wird sie für die Wahrheit zahlen müssen? Als die Journalistin Cat auf dem Weg zu ihrem neuen Job einen Unfall hat, will sie beim nächstgelegenen Haus Hilfe holen. Doch in dem herrschaftlichen »Cedar Hall« öffnet ihr niemand, nur das Tor der Garage steht einen Spalt offen … und aus dem Dämmerlicht starren Cat leere Augen entgegen, das zarte Mädchengesicht im Tod zur Grimasse erstarrt. Die Schocknachricht breitet sich wie ein Lauffeuer durch die englische Kleinstadt aus: Wer sollte Jane Wellby, der Vorzeigetochter aus gutem Haus, nach dem Leben getrachtet haben? Sofort fällt der Verdacht auf Cat als Fremde im Ort. Um ihre Unschuld zu beweisen, ermittelt sie fieberhaft nach dem wahren Täter – und kommt einem ungeheuerlichen Netz aus Macht, Gier und Missbrauch auf die Spur, das sich im Herzen der Stadt verbirgt …

»Gay Longworth ist eine wahre Meisterin des Thrillers!«, urteilt die britische Zeitung Sunday Express.

Über die Autorin:

Gay Longworth wurde 1970 geboren, studierte in Birmingham und arbeitete zunächst einige Jahre als Brokerin, bevor ihr Wunsch zu schreiben so stark wurde, dass sie ihren Job kündigte, nach Cornwall zog und dort mit der Arbeit an ihrem ersten Thriller um Detective Inspector Driver begann. Heute lebt sie mit ihrer Familie in London.

Auch bei dotbooks erscheint ihre Reihe um DETECTIVE INSPECTOR DRIVER mit den Bänden »Bleiche Knochen« und »Kaltes Blut«.

***

eBook-Neuausgabe November 2022

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2000 unter dem Originaltitel »Wicked Peace« bei Pan Books, Macmillan Publishers Ltd., London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Am Anfang war die Täuschung« im Knaur Verlag.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2000 by Gay Longworth

Published by arrangement with Rachel Mills Literary Ltd. & 42M&P Ltd.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2007 Knaur Verlag.Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Stefan Hilden, hildendesign.de; Covermotive: © Shutterstock.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-98690-394-7

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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In diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

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Gay Longworth

Stummes GrauenNiemand hört dich schreien

Thriller

Aus dem Englischen von Karl-Heinz Ebnet

dotbooks.

Für Adam Spiegel

Im freien Fall?

Prolog

Jane Wellby stand vor dem Spiegel und betrachtete ihren nackten Körper. Ihre Eltern wussten nichts über diese lebende Skulptur, die sie aus dem Spiegel heraus anstarrte. Sie würden auch nie etwas davon erfahren, was wahrscheinlich besser so war. Illusionen sollten Illusionen bleiben. Und Eltern eben Eltern. Sie streichelte sich, ließ die Hände über den Brustkorb gleiten, über die Brüste, den Bauch, bevor sie kurz oberhalb des Schamhaars verharrten. Nie hatten ihren Eltern mit ihr über Sex gesprochen. Oder über Drogen. Oder über irgendetwas anderes. Sie wusste schon, warum. Es war so offensichtlich. Jane sah sich in ihrem ausladenden, rosafarbenen und mit Blumenmustern geschmückten Zimmer um. Sie hasste Rosa, sie hasste Blumen. Es war der Geschmack ihrer Stiefmutter. Nicht ihrer. Nicht der ihres Vaters noch der ihrer Mutter, nur der von Sandie. Wohin ihr Auge fiel, überall Sandie. Die Frau hatte ihre Familie zerstört, sie entzweigerissen, und die drei Menschen, aus der diese Familie bestanden hatte, taumelten nun jeder für sich durchs Leben. Und sie, dem schwachen, ahnungslosen Kind, war zu früh zu viel zugemutet worden. Ihre Stiefmutter hatte sie alle von Anfang an vergiftet. Und jetzt war von ihr, dem Mädchen, nichts mehr übrig außer dem Spiegelbild. Sowie das überwältigende Gefühl von Angst. Unsicherheit. Bis jetzt. Es war an der Zeit, allen zu sagen, wer Sandie Wellby wirklich war. Jane zog ein blaues Kleid mit aufgedruckten Gänseblümchen an. Ihr Vater hatte es ihr gekauft. Es war knielang, kurzärmelig. Darüber eine blassrosa Strickjacke, dazu weiße Turnschuhe, dann trat sie zurück. Perfekt.

Auf dem Weg nach unten nahm sie zwei Stufen auf einmal, das Kleid bauschte sich um ihre Knie. Die letzten drei Stufen übersprang sie wie eine Katze und landete auf dem auf Hochglanz polierten Holzparkett. Die Gummisohlen quietschten, als sie durch den Flur hopste. Sie sah zurück und lächelte über die Spuren, die sie hinterließ. Sie klopfte an die Tür und öffnete sie, ohne auf eine Antwort zu warten. Der Mann am Schreibtisch drehte sich um, lächelte und legte seinen Stift weg. Jane rannte zu ihrem Vater und küsste ihn auf die Wange.

»Guten Morgen!«

»Du bist früh auf.«

»Ich wollte mich von dir verabschieden.«

»Deine Mutter hat angerufen. Ich dachte, du würdest noch schlafen«, sagte er.

»Du hast mit ihr gesprochen?«, fragte sie aufgeregt.

»Natürlich.«

»Worüber?«

»Über dich. Wie lange du bleibst.«

»Bis Sonntag«, sagte sie und tätschelte ihrem Vater die Wange.

»Du wirst dich nicht langweilen?«

»Nein. Du hast gesagt, du würdest heute früher zurück sein, damit wir noch Tennis spielen können, außerdem kommen morgen die Whittons«, sagte sie lächelnd.

»Dann wird es ein gutes Wochenende.«

Die Tür des Arbeitszimmers ging auf. Eine gutgekleidete Frau stand im Türrahmen, die Hand fest um die Klinke gelegt.

Jane beugte sich an das Ohr ihres Vaters. »Sie hat nicht angeklopft.« Der Mann stupste sie spielerisch an.

»Jane, deine Mutter hat angerufen.«

»Ich weiß. Mein Daddy hat lange und nett mit ihr geplaudert.«

Die Augen der Frau verengten sich unmerklich. Was Jane nicht entging, sie hatte gelernt, die Zeichen zu deuten.

»Jane, würdest du uns entschuldigen, ich möchte mit deinem Vater reden, bevor er zur Arbeit fährt.«

»Daddy?«

»Geh schon, Liebes. Und vergiss nicht – unser Tennis.«

Jane küsste ihren Vater. »Ich werde auf dich warten.« Jane schloss die Tür hinter sich und rannte durch den Flur. Abrupt blieb sie stehen.

Sandie lauschte auf die sich entfernenden Schritte ihrer Stieftochter. »Ich wünschte, du würdest das nicht tun«, sagte sie in gedämpftem Tonfall.

»Was tun?«

»Du weißt, was ich meine.«

Jane schlich sich leise zur Tür zurück.

»Es macht es nur einfacher.«

»Für dich vielleicht.«

»Sandie, ich muss los.«

»Wir müssen reden.«

»Jetzt nicht, sonst komme ich zu spät.« Er gab ihr einen flüchtigen Kuss auf den Mund und verließ das Zimmer.

Einige Minuten später, als sich ihr Zorn wieder gelegt hatte, folgte Sandie ihrem Ehemann.

Abrupt tauchte Jane vor ihr auf. Unwillkürlich fasste sich Sandie ans Herz. »Jane!«

Jane zwinkerte ihr zu, rannte zur Treppe, nahm zwei Stufen auf einmal und verschwand um die Ecke. Sandie konnte das Lächeln auf dem Gesicht ihrer Stieftochter nicht sehen, aber sie spürte es. Ihr Blick fiel auf das vor kurzem gebohnerte Parkett und die Streifen.

»Scheiße«, entfuhr es ihr leise.

Kapitel 1

Cat hielt das Mikro tiefer und wartete auf die Antwort.

»Überhaupt nicht. Nur weil wir alt sind, heißt das noch lange nicht, dass wir mit Sex nichts am Hut hätten«, sagte die ältere Dame. »Und lass dich vom Rollstuhl nicht täuschen.«

Cat lächelte nervös.

»Was? Darf man im Radio das Wort ›Sex‹ nicht benutzen?«

»Doch, es ist nur ...« Cat drückte auf die Pause-Taste ihres Minidisc-Recorders. »Vielleicht ist das Thema doch nicht so gut.«

»Liebes, es ist brillant. Die alten Klatschweiber haben doch Tag und Nacht nichts anderes im Kopf. Seit Oxford hab ich nicht mehr so oft die Betten ruckeln hören.«

»Das gab’s aber noch nicht, als du auf der Uni warst«, warf Cat ein.

Amelia schüttelte den Kopf. »Du hast recht, wir waren allesamt Jungfrauen, bis deine Generation kam und das alles erst erfunden hat.«

»Wie geistreich.«

»Die Wände sind so dünn, dass ich mit der Nagelschere durchstechen und dabei zuschauen könnte. Heutzutage baut man einfach keine vernünftigen Häuser mehr. Wie wär’s, wenn wir uns eine Spionagekamera besorgen und es im Fernsehen zeigen?«

»Das ist keine gute Idee, kommt nicht in Frage.«

»Noch besser, wir würden es mit einer Live-Webcam im Internet übertragen.«

»Was?«

»Wir haben Kurse.«

»Das reicht jetzt! Du wirst zu einer Gefahr für die Allgemeinheit.«

»Komm schon, Cat, die Idee ist großartig. Sex über siebzig. Die alten Kerle haben jahrelang ohne Viagra überlebt. Ein topaktuelles Thema, Liebes.

Dem Gentleman gegenüber ist erst neulich von einem gutgekleideten Herrn an der Bushaltestelle eine Packung angeboten worden. Drogendealerei in der Altenpflege, das muss die Medien doch interessieren.«

»Was geschieht dann erst, wenn das Zeug ihnen wirklich in die Hände fällt«, sagte Cat lachend. »Dann kommen sie überhaupt nicht mehr zum Schlafen.«

»Wenn man alt ist, schläft man sowieso nicht mehr«, sagte Amelia. »Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären. Was ist dir lieber: sich zwischen den Laken zu wälzen oder eine weitere Solitaire-Partie?«

»Ich hoffe, ihr betreibt Safer Sex.«

»Um Gottes willen, nein. Man macht es doch nur, damit man einen Herzinfarkt bekommt.«

»Ein schneller Exitus.«

»Genau. Apropos, man könnte das Heim in einen Reiseführer setzen und die alten Knacker mit denen aus anderen Altenheimen austauschen. Die meisten wissen sowieso nicht mehr, wo sie sind, aber sie kriegen noch einen ...«

»Großmutter!«

»Sie werden alle fürchterlich enttäuscht sein. Ich hab schon eine Menge Freiwilliger, die warten nur darauf, dass sie vor dir angeben dürfen.«

»Was ist mit Schwester Cleveland?«, fragte Cat.

»Die hatte noch nie Sex, hätte also keinen Sinn, sie zu interviewen.«

»Das habe ich nicht gemeint.«

Amelia zwinkerte ihr zu.

»Verbreite unter den alten Lustmolchen bloß nicht das Gerücht, dass im Sonntagsprogramm jetzt ein Swinger-Club angeboten wird«, beharrte Cat. »Sonst gibt es noch einen Aufstand.«

»Meine Lippen sind versiegelt.«

Cat sah auf ihre Uhr. »Scheiße.« Sie küsste Amelia. »Ich bin spät dran.«

In Gedanken war sie bereits im Schneideraum, als sie aus dem Parkplatz des Altenheims bog. Der Höhepunkt der unbezahlten Praktikumswoche bei BBC Chelmsford. Es würde ihr längster Einzelbeitrag werden – falls sie es noch rechtzeitig in den Schneideraum schaffte. Unwillkürlich gab sie Gas. Wenn sie vor Ablauf ihres Studiums zur Rundfunkjournalistin keinen Job an Land zog, wäre sie gescheitert. Und was dann? Dann war sie achtundzwanzig Jahre alt und arbeitslos. Sie sah auf die Uhr. Viertel nach eins. Wenn sie sich schon mal die Aufzeichnung anhörte, könnte sie bereits jetzt die Schnitte planen. Mit der linken Hand fasste sie auf den Rücksitz und tastete nach dem Minidisc-Recorder. Sie fand ihn nicht. Kurz drehte sie sich um, entdeckte ihn schließlich und griff nach dem Umhängeband. Als sie wieder nach vorn sah, nahm sie vor dem Wagen nur noch eine huschende Bewegung wahr. Panisch trat sie auf die Bremse und riss den Lenker herum. Zu spät. Sie spürte keinen Aufprall, aber einen fürchterlichen Laut. Der Wagen schleuderte quer über die Straße, krachte gegen die steile Grasböschung, dann starb der Motor ab. Mit pochendem Herzen hielt sie den Atem an. Sie wagte es nicht, sich umzudrehen und nachzusehen, wen sie überfahren hatte. Ein Kind? Einen Fuchs? Einen Fasan? Ein Kind? Ein Kind? »Bitte, lieber Gott, lass es kein Kind sein.« Sie öffnete die Tür, setzte ein Bein nach draußen und schwang sich dann, den Blick noch immer nach vorn gewandt, nach rechts. Sie zögerte das Unvermeidliche hinaus. »Du musst nachsehen.« Cat drehte sich um und runzelte die Stirn. Der Schleuderweg des Wagens war ziemlich lang. Etwas lag auf der Straße. Blond. Ihr wurde schlecht. Ein Kopf? Schnell sah sie sich um. Kein Leichnam. Kein Kopf. Ein Tier? Sie ging darauf zu. Wenigstens war sie keine Kindsmörderin. Ein Fuchs? Was auch immer, es bewegte sich nicht. Cat stand über dem Fellbündel.

»Scheiße«, sagte sie, als sie den Farbstreifen erkannte. Ein Halsband. Sie hatte ein Haustier überfahren.

»Komm schon, heb ihn auf, er kann dir nichts tun.« Jedenfalls jetzt nicht. Als sie den kleinen Hund ins Gras trug, hörte sie das metallische Klingeln. Zwei silberfarbene Plättchen baumelten am Lederhalsband. Scheiße, sie wollte nicht, dass der Hund eine Identität hatte, ein Zuhause, Menschen, die ihn liebten. Tu so, als sei es ein Hase, dachte sie sich, stell dir einfach vor, es wäre ein Hase. Die werden ständig überfahren und trocknen dann in den Straßenbelag ein. Sofort sprang ihr der Weiße Hase aus Alice im Wunderland ins Gedächtnis und raunzte ihr ein »zu spät« zu. Sie legte den Hund ins Gras. Es nützte nichts, verstörende Bilder schwirrten ihr durch den Kopf, Bilder von Mädchen mit Pferdeschwanz und Baumwollkleidchen, die mit herzzerreißender Stimme »Toto! Toto! Wo bist du, Toto?« riefen. Selbst die Größe des Hundes nagte an ihrem Gewissen. Sie hatte einen Welpen überfahren. Vielleicht war dem Mädchen mit Pferdeschwanz ein Welpe geschenkt worden, weil die Eltern gestorben waren. Jetzt hatte Cat auch noch das Tier getötet, das Mädchen würde heranwachsen, sich nie auf andere einlassen können und ein einsames, sorgenvolles Leben führen und Stofftiere sammeln, die ihr nicht wegsterben konnten ...

Schluss mit dem morbiden Scheiß! Das Baumwollkleidchen verblich, und Cat wusste, dass sie sich nicht aus dem Staub machen konnte. Sie kauerte sich neben das Tier und tastete das Lederhalsband ab, bis sie das Gesuchte gefunden hatte.

»Lucy«, las Cat. »Scheiße.« Auf alle Fälle der Hund eines kleinen Mädchens. Die Schuldgefühle schnürten ihr die Kehle zu. Lucy hatte, bevor Cat sie mit der Stoßstange ins Jenseits befördert hatte, in Cedar Hall gewohnt, Old Harlow, Essex. Eine Telefonnummer wurde nicht mitgeliefert, wodurch die anonyme Anrufoption hinfällig wurde. Ihr blieb keine andere Wahl, als den Welpen dem rechtmäßigen Besitzer zurückzubringen, auch wenn sie dann als Haustiermörderin angefeindet werden sollte. Chelmsford musste also auf ihren faszinierenden Bus-Beitrag warten. Cat ging zum Wagen zurück und rief die Redaktion des Senders an. Es meldete sich die fette Redaktionsleiterin. Die Frau hatte sich noch nie für sie erwärmen können. Cat erklärte ihr die missliche Lage.

»Sie haben also einen Hund überfahren«, sagte die Frau, die ihr ganz offensichtlich nicht glaubte.

»Ich will nur zu den Besitzern, dann komme ich in den Sender, Sie können die Sache ja für später ...«

»Später haben wir keine Zeit.«

»Aber ...«

»Hören Sie, Sie sind doch schon halb zu Hause, wenn es stimmt, was Sie mir sagen – auch wenn es eine komische Strecke ist vom Busbahnhof in Colchester. Wir werden dem College aber Ihr Zeugnis zukommen lassen.«

»Aber ...«

»Aber was? Wir können Nachrichtenbeiträge nicht verschieben, nur weil Sie meinen, in der Gegend rumgondeln zu müssen. Ich werde es der Busgesellschaft erklären. Wir werden einen unserer festen Mitarbeiter hinschicken, der macht den Beitrag noch mal. Er ist gerade auf der anderen Leitung.«

Damit legte sie auf.

»Miststück«, sagte Cat und starrte auf ihr Handy. Seit fünf Tagen hatte sie wie eine Sklavin geschuftet, hatte kaum gegessen und in der BBC-Unterkunft schlecht geschlafen, nur um jetzt wie ein verantwortungsloses Schulmädchen abgefertigt zu werden. Hätte man ihr ein wenig Sympathie entgegengebracht, dann hätte man ihr auch ein wenig Spielraum eingeräumt. Deprimiert kehrte Cat um und fuhr ins Herzland von Essex zurück. Sie fand ein Dorf, das sich an der Straße entlangzog, aber nichts von einem Haus, das groß genug gewesen wäre, um sich als Hall bezeichnen zu dürfen. Sie fragte in einem Pub nach, erwartete, unverständliche Richtungsangaben zu erhalten, was dieser traurigen Geschichte ein Ende gesetzt hätte, aber der Wirt erwies sich als äußerst hilfsbereit.

»Folgen Sie dem Weg hinter dem Pub, Sie können es nicht verfehlen.«

Cat kehrte zum Wagen zurück und fuhr den einspurigen Weg entlang. Der Wirt musste sich getäuscht haben, von einem Herrenhaus war weit und breit keine Spur. Dann bog sie um eine Ecke, und dort waren sie, nicht zu übersehen: Steinsäulen. Mit Löwen drauf. Unwillkürlich legte sie den Rückwärtsgang ein. Das Getriebe kreischte auf. Cat presste den Fuß auf das Kupplungspedal und würgte den Motor ab. Die Löwen starrten sie finster an. Das hatte sie jetzt davon, wenn sie meinte, die gute Samariterin spielen zu müssen. Sie könnte den Hund einfach den Löwen zu Füßen legen und abhauen. Leute, die sich mit fünf Meter hohen Toren und herrschaftlichen Katzen schützen mussten, würden sie höchstwahrscheinlich kaum mit einem verständnisvollen Winken wieder fortschicken. Der Unfall tat ihr wirklich leid, aber sie würde sich wegen eines toten privilegierten Köters nicht den Löwen zum Fraß vorwerfen. Sie öffnete die Fahrertür und stieg aus. Das Erste, was sie erblickte, war der Pub-Wirt. Er sah ihr nach.

»Verflucht.« Sie stieg wieder ein.

Der Kies knirschte unter ihren Reifen, als sie durch das Tor fuhr. Zedern flankierten die lange Anfahrt. Der Rasen war akkurat geschnitten.

»Scheiße«, sagte Cat laut. Der Wirt schrumpfte im Rückspiegel zusammen, während sie ihrer sicheren Exekution entgegenfuhr. Sie bog um eine weitere Kurve, und dann sah sie das Haus vor sich. Ein wunderschönes helles, dreigeschossiges Sandsteingebäude. Breite Fenster, um die sich blühende Glyzinen rankten, erstreckten sich zu beiden Seiten des Säuleneingangs. Widerstrebend stellte Cat den Motor aus und spähte durch die Windschutzscheibe. Vielleicht war es ja ein Fitnessclub für reiche, selbstsüchtige Frauen, und der Hund gehörte einer alternden Romanschriftstellerin, die zur vierten Oberschenkelstraffung im Jahr hier war. Allerdings erschienen keine Frauen in weißen, wallenden Morgenmänteln, vor dem Haus waren auch keine Autos geparkt. Cat verwarf die Theorie. Vielleicht das Anwesen eines vermögenden, alten Witwers, der den Westflügel mit Rollstuhlrampen ausstatten und ihrer Großmutter die immerwährende Grießpudding-Kost ersparen könnte. Cat stieg aus und wartete eine Weile, nur für den Fall, dass ein Butler auftauchen sollte, doch nichts geschah. Das Tier wie ein Geschenk auf den Armen, näherte sie sich der großen zweiflügeligen Haustür. Zwei Steinhunde saßen gehorsam am Fuß der Säulen. Vielleicht konnte sie Lucy neben sie legen, damit sie wie die anderen versteinerte. Auf immer und ewig versteinerte. Vielleicht sollte sie sich gleich selbst dazulegen? Um dem heutigen Tag doch noch etwas Gutes abzugewinnen. Sie entdeckte den Keramikknopf mit dem eingravierten Wort »Drücken«. Sie befingerte die glatte, kühle Oberfläche und kam sich vor, als hätte man ihr soeben eine Flasche mit der Aufschrift »Trinken« gereicht. Schließlich holte sie tief Luft und drückte. Noch immer nichts. Sie klingelte ein weiteres Mal, und als sich daraufhin immer noch niemand meldete, beschloss sie, ihrer moralischen Pflicht der Familie gegenüber Genüge getan zu haben. Mehr blieb für sie nicht zu tun. Sie legte den Hund auf die Stufe. Ein Zettel musste reichen. Sie ging zum Wagen, um sich einen Stift zu suchen. Dann stand sie da, kaute auf dem Kugelschreiberende herum und entwarf in Gedanken einige tröstende, reuevolle Worte. Sie hatte nur eine leere Seite. »Lieber«, schrieb sie und hielt inne. Lieber wer? Sie riss den Abschnitt weg. »Betreff«. Zu formell; auch diesen Streifen trennte sie ab. »An Lucys Besitzer. Schweren Herzens schreibe ich diese Notiz ...« Erneut trennte sie das Stück ab. Eine schlechte Formulierung. Noch zwei solcher Versuche, und sie hätte nur noch Platz für einige wenige Worte. Sie suchte in der Haustür nach einem Briefschlitz, fand aber keinen. Sie konnte den Zettel doch schlecht ins Halsband des Hundes stecken. Auf dem Weg zum Wagen, um noch einen Umschlag zu suchen, entdeckte sie ein handgemaltes Hinweisschild: Lieferanteneingang. Sie hatte zwar nichts anzuliefern, aber es war einen Versuch wert. Sie faltete den Zettel zusammen, steckte ihn sich in die Hosentasche und folgte der Kieseinfahrt um die Hausecke. Das Knirschen der kleinen, scharfkantigen Flintsteine begleitete jeden ihrer Schritte zur Rückseite des Anwesens, wo der Kies aufhörte und damit auch das beruhigende Knirschen. Sie stand auf sauberen, grauen Schieferplatten und betrachtete die weitläufigen Stallungen. Nichts rührte sich, vor ihr zeichnete sich das vollkommene Bild des Landlebens ab, allerdings ohne das geringste Anzeichen von Leben. Cat hatte erwartet, schlammverspritzte Stiefel vorzufinden, kaputte Fahrräder, Gartenwerkzeuge, Spielsachen. Irgendwas. Irgendwen. Aber nichts rührte sich. In den Bäumen nicht das laueste Lüftchen. Kein Gurren der Ringeltauben, die auf dem Dach hockten. Kurz blieb ihr das Herz stehen, als sie, mittlerweile an die Stille gewohnt, ein vages Geräusch aufschnappte. Eigentlich weniger ein Geräusch als ein Vibrieren. Sie drehte sich zum Hof hin, lauschte und streckte den Rücken durch.

»Hallo!«

Die Gebäude ringsum verschluckten ihre Stimme.

»Ist hier jemand?«

Nichts. Sie ging zu einem Fenster und erblickte drinnen eine makellose Küche. Nicht ein schmutziges Geschirrteil war zu sehen, nichts auf dem Abtropfständer. An der Wand stand ein breiter Küchenschrank mit einem dazu passenden umfangreichen Service. Sie zählte zwanzig Teile jedes Gegenstands – was ihr mehr Angst einjagte als die Löwen. Entweder handelte es sich hier um ein Filmset, oder die Anwohnerin litt unter obsessivem Putz- und Ordnungswahn, und das Geräusch, das sie hörte, stammte von einem Staubsauger, der zum fünften Mal an diesem Tag über die Teppiche geschoben wurde. Cat überquerte den Hof und steckte den Kopf zu einer offen stehenden Stalltür hinein. Alles war vollgestellt mit trocknenden Blumen, durchdringender Moschusgeruch erfüllte den Raum. Die Frau hatte ganz klar zu viel Zeit. Cat versuchte sie sich vorzustellen. Definitiv neurotisch, Gattin eines alten Ekels, unter dem sie seit langem zu leiden hatte und der ihr ständig Ausflüchte auftischte, warum er mal wieder nicht nach Hause kommen konnte. Unter diesen Umständen, wenn der Ehemann sich durch die Gegend vögelte, war es geradezu überlebenswichtig, ein Hobby zu haben. Die beiden hatten keine Kinder, wofür er ihr Vorhaltungen machte. Alles, was sie hatte, war das Haus. Ihre Burg. Alternativ könnte sie eine breithüftige dreifache Mutter sein, die nach einem Gin Tonic knallrote Bäckchen bekam. Mungo, Flora und Cosmo waren schon lange aus dem Nest ausgeflogen, hatten ihre schlammverkrusteten Stiefel und alten Räder mitgenommen und ihr diese überbordende Fülle zurückgelassen. Eine Frau ohne Sex, die sich für wohltätige Zwecke einsetzte. Cat lehnte sich gegen das Garagentor. Wie auch immer, sie beneidete sie nicht um ihr großes, perfektes Haus und den getrimmten Garten. Die arme Frau, wahrscheinlich hatte sie sich völlig für die Familie aufgeopfert und war darüber lebendig begraben worden ... Cat riss sich aus ihren Fantasien. Das Garagentor vibrierte. Sie trat zur Seite und starrte es an. Die Frau staubsaugte doch nicht in der Garage, oder? Leicht legte sie die Hand aufs Tor und breitete die Finger aus. Unwillkürlich zitterten sie.

Ob nun aus sprichwörtlicher Neugier oder dem Gefühl heraus, dass etwas nicht stimme, jedenfalls fasste Cat zum T-förmigen Griff. Er ließ sich leicht drehen, und nach einem kräftigen Ruck schwang das Tor ein Stück nach oben.

Sie beugte sich nach unten, hustete und wurde von einer Abgaswolke eingehüllt. Mit der Hand vor dem Mund kroch sie vom Rauch weg, der aus der halb geöffneten Garage quoll. Den Auspuff konnte sie nicht sehen, hörte aber den Motor, der noch immer seine tödlichen Abgase produzierte. Ihre Haut kribbelte. Tödliche Abgase? Warum ging ihr das durch den Kopf? Man hatte doch bestimmt aus Versehen den Motor laufen lassen? Bilder schossen ihr durch den Kopf. Alles aufgeräumt. Keine Unordnung. Keiner da. Wie ausgestorben.

»O Gott.« Ohne einen weiteren Gedanken schob sie das Garagentor ganz nach oben, holte tief Luft, zog sich das T-Shirt vor Mund und Nase und tauchte in die Abgasschwaden. Sie schaffte es nicht beim ersten Mal. Aber beim zweiten.

Intuitiv riss sie den Schlauch aus dem Auspuff, verrußtes Papier löste sich dabei. Sie starrte darauf, bis ihr die Augen brannten. Der Schlauch war leuchtend grün, auf dem Rasen leicht zu übersehen, aber im Qualm der Garage ein praktischer Führer. Mit vor Angst und Tränen halbgeschlossenen Augen tastete sie sich daran entlang zur Fahrertür. Im Wageninneren hing dick der Rauch, aber sie musste nichts sehen, um zu wissen, was sich darin befand. Die Wahrscheinlichkeit, dort keine arme Seele vorzufinden, die die aus dem Schlauchende strömenden Abgase einsog, stand bei eins zu einer Million. Einige Augenblicke lang war Cat wie versteinert. Dann zog sie hastig am Schlauch, der zu ihren Füßen auf den Boden fiel. Sie tastete nach dem Türgriff, aber ihre Hand weigerte sich, die Tür aufzureißen. Angst und Schuld. Sollte sie Hilfe holen? Hier war niemand. Außer ihr, und sie verschwendete wertvolle Sekunden. Mit angehaltenem Atem zwang sie sich dazu, die Tür zu öffnen, nach dem Zündschlüssel zu tasten und den Motor abzuwürgen. Als sich Cat in den Wagen beugte, zeichnete sich bereits ein schattenhafter Umriss ab, trotzdem stieß sie einen Schrei aus, als vor ihr ein Gesicht auftauchte.

»Du lebst noch, du lebst noch, einfach weiteratmen! Ich schaff dich hier raus«, schrie Cat, die nun vollends die Nerven zu verlieren drohte, den Sicherheitsgurt ergriff und ihn löste. »Einfach weiteratmen.« Aber die Person bewegte sich nicht mehr. »Wach auf! Du bist ...« Cat verstummte. Der sich auflösende Rauch erzeugte die Illusion von Bewegung, während die Person im beengten Wageninneren allmählich angsteinflößende Gestalt annahm. Es war eine Frau. Eine junge Frau. Hübsch. Hübsch tot, verdammt noch mal. Schrecklich tot. Blau und tot. Mit ihren unbeweglichen, starren Augen stierte sie Cat an. Du bist verdammt noch mal zu spät gekommen. Cat hatte keine Ahnung, ob es den Bruchteil einer Sekunde oder eine volle Stunde gedauert hatte, bis sie losrannte. Sie wusste nur, dass sie rannte.

Kapitel 2

»Polizei, nein, einen Krankenwagen. Beides, Scheiße, ich weiß es nicht. Polizei.«

»Beschreiben Sie die Situation.« Die Stimme eines Mannes.

»Was meinen Sie?« Cat war den Tränen nah.

»Sind Sie verletzt, Madam?«

»Nein, ich bin ...«

»Wo befinden Sie sich?«

»Da ist ein Mädchen in der Garage. Ich glaube, sie ist, na ja, sie ist ...« Ein Geräusch. Über ihr.

»Madam, in welcher Situation befinden Sie sich?« Zum ersten Mal, seitdem sie der Garage entkommen war, wurde sich Cat ihrer Umgebung bewusst. Sie befand sich in einem weitläufigen Flur, war über einen runden Mahagonitisch gebeugt, das Gesicht fünf Zentimeter von einer Schale mit Trockenblumen entfernt. Erneut war dieses Geräusch zu hören. Eine Tür, die geschlossen wurde. Sie sah auf. Eine majestätische Treppe wand sich vom Flur in den ersten Stock. Sie umklammerte einen Telefonhörer, von dem sie nicht wusste, wie sie im vermeintlich leeren Haus zu ihm gekommen war.

»Wo befinden Sie sich?«

»Psst«, antwortete sie dem Beamten in der Leitung und legte die Hand über den Hörer. Jemand war im Haus, der zuvor nicht da gewesen war und der jetzt die Treppe herunterkam.

»Ist sie in der Garage eingesperrt? Ist das Mädchen verletzt? Sie müssen es mir sagen, sonst kann ich Ihnen nicht helfen. Hallo? Hallo?«

Ein hochhackiger Schuh. Dann noch einer. Zwei Waden. Zwei Knie, eines gebeugt, das andere gestreckt. Schöne Beine. Eine Hand. Rote Fingernägel. Ein großer Ring. Der gegen das Treppengeländer klackte.

»Was ist mit dem Mädchen?«

Die beiden Frauen starrten sich an. Die auf der Treppe sprach zuerst.

»Was tun Sie in meinem Haus?« Getrocknete Blumen.

»Was ist mit dem Mädchen?« Hat sich umgebracht.

»Sind Sie eine Freundin von Jane?« Nein.

»Wer ist dieses Mädchen?«

»Jane«, sagte Cat.

»Mit wem sprechen Sie?«, fragten der Mann und die Frau gleichzeitig.

Mit Janes Mutter. Mit der Polizei. Mit Janes Mutter, die nichts davon weiſs. »Mit der Polizei«, antwortete Cat leise. Eine Mutter durfte es nicht auf diese Weise erfahren.

»Steckt sie in Schwierigkeiten?« Steckte.

Langsam und deutlich redete Cat zu beiden: »Ich bin in Cedar Hall, Old Harlow, Essex. Ich brauche so schnell wie möglich einen Krankenwagen und eine Polizeistreife.« Die Frau auf der Treppe erbleichte, rührte sich aber nicht vom Fleck.

»Was ist passiert?«, kam es von der Stimme in der Leitung.

Cat und die Frau starrten sich an. »Tut mir leid«, sagte sie zu Janes Mutter.

»Was tut Ihnen leid?«, fragte die Stimme.

»Alles«, erwiderte Cat. Sie schloss die Augen; sie wollte die Frau nicht ansehen, wenn sie ihr mitteilte, was geschehen war.

»In der Garage ist ein Mädchen. Es hat sich umgebracht.«

Janes Mutter rang hörbar nach Luft.

Cat stieg die Treppe hoch zu Janes Mutter, die ins Leere starrte. Sie setzte sich neben sie, lange Zeit sprach keine der beiden. Cat wusste nicht, was sie tun sollte, weshalb sie nur wartete.

Als die Frau das Wort ergriff, kam von ihr nur ein Flüstern.

»Sind Sie sicher, dass es Jane ist?«

»Nein.«

Wieder eine lange Pause. »Dann sollte ich es wohl nachprüfen?«, sagte sie und sah fragend zu Cat.

Cat glaubte nicht, dass die Frau sie wirklich sah. »Vielleicht sollten Sie warten, es ist wahrscheinlich einfacher, wenn noch jemand da ist.«

»Sie sind da«, sagte die Frau.

»Ja, aber ...« Das geht mich doch alles nichts an. Abrupt stand die Frau auf und wartete. Widerstrebend folgte Cat. Sie hatte recht: Sie war ja da, sie steckte mit drin, auch wenn sie sich das bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingestanden hatte. Bewusst nahm sie das gebohnerte Parkett unter ihren Füßen wahr, als sie der Frau die Treppe hinunter und durch den Flur folgte. Das Gewicht der Tür, als sie diese aufhielt. Die makellose Küche, an die sie keine Erinnerung hatte. Die Hintertür stand offen, aber sie konnte sich nicht erinnern, sie geöffnet zu haben. Cat folgte der Frau hinaus in die frische Luft. Sie war wirklich frisch. Der Wind hatte die Abgase vertrieben. Aber beim Anblick des grünen Gartenschlauchs auf dem Betonboden der Garage zog sich ihr Brustkorb zusammen. Der Rauch im Wageninneren hatte sich verflüchtigt. Sie konnte die braunen Locken sehen, die seitlich über den Ledersitz gefallen waren. Kurz verspürte sie Brechreiz. Sie konnte nicht mehr hinsehen, senkte den Kopf und konzentrierte sich auf den ersten Gegenstand, auf den ihr Blick fiel. Sie starrte ihn so lange an, bis die Frau die Tote identifiziert hatte und sie wieder draußen waren. Ja. Es war Jane.

Auf dem Rückweg zur Küche begann das Telefon zu klingeln. Die Mutter des toten Mädchens ging in den Flur und starrte auf den Apparat neben den getrockneten Blumen. Sie drehte sich zu Cat um.

Cat runzelte die Stirn, aber die Frau starrte sie weiterhin nur an. Ihre Untätigkeit war für Cat zermürbender als das klingelnde Telefon.

»Soll ich rangehen?«, fragte Cat vorsichtig. Die Frau nickte. Gegen ihren Willen wurde Cat immer weiter in diese unwirkliche Sache gezogen, aber aus Mitleid mit der verwirrten Frau nahm sie den Hörer ab.

»Cedar Hall?«

»Jane?«

Cat schluckte.

»Wer ist am Apparat?«

»Oh, tut mir leid, ist Sandie, ähm, Mrs. Wellby, ist sie da?«

Eine Frau, die ist da ...

»Wer ist am Apparat?«, wiederholte Cat.

»Simon. Simon Proudlove. Mit wem spreche ich?« Cat bedeckte den Hörer mit der Hand.

»Ein Simon Proudlove«, sagte Cat zu der Frau. Cat sah, wie sie den Arm ausstreckte und dann zum Telefon ging. Sie nahm den Hörer. Ihre Hand war ruhig. Eine Weile lang sagte die Frau nichts. Cat wartete.

»Simon, Jane ist tot.« Cat hörte die Erwiderung nicht, aber es dauerte eine Weile, bis die Frau wieder etwas sagte. »Gib Robert Bescheid, ich kann es ihm nicht am Telefon sagen. Bitte, bring ihn hierher.« Wieder Stille, bevor sie losbrüllte: »Natürlich bin ich mir sicher, dass sie es ist, sie hat sich in der verdammten Karre vergast!«

Cat trat eine paar Schritte zurück und verzog sich in die Küche. Die Frau war ihrem Akzent nach Amerikanerin. Cat ging weiter, sie wollte nicht wissen, wer Jane Wellby war oder Sandie oder Robert, sie kannte diese Leute nicht. Draußen im Hof aber war ein Krankenwagen eingetroffen, gefolgt von einigen Streifenwagen. Zu spät, dachte sich Cat. Verdammt noch mal zu spät. Ein bulliger Mann trat auf sie zu und befahl ihr zu warten. Sein gebieterisches Wesen duldete keine Widerrede. Sie saß jetzt hier fest, hatte nichts zu tun, außer der methodischen Entfernung eines Leichnams zuzusehen und über ihren enttäuschenden Abgang vom Radiosender nachzudenken. Sie hätte den verfluchten Hund liegen lassen sollen, Jane würde ihn jetzt sowieso nicht mehr vermissen. Ein Arzt kam, erklärte Jane für tot und fuhr wieder davon. Hunde und ihre Besitzer, ging es Cat durch den Kopf. Die Polizisten wuselten um Mrs. Wellby herum, die zwischen ihnen zu schweben schien. Irgendwann bot sie ihnen Getränke an, entschuldigte sich dabei, als hätte sie ihre guten Manieren vergessen. Alle lehnten ab, trotzdem ging sie ins Haus. Eine kleine, untersetzte Polizistin folgte ihr nach drinnen. Sie warteten auf den Augenblick, an dem ihr alles klar werden würde, dachte sich Cat. Aber so lief das bei Selbstmorden nicht. Es war kein gewöhnlicher Tod. Sie musste es wissen. Als ihr Vater Selbstmord begangen hatte, war sie nicht geschockt gewesen, es hatte kein hysterisches Getue gegeben, keine Tränen. So fühlt sie sich, dachte sich Cat, es war allen ihren Bewegungen abzulesen. Als die Polizistin und Mrs. Wellby zurückkehrten, schafften sie einen Picknicktisch und ein Tablett mit Kaffee nach draußen. Trotz der ursprünglichen Ablehnung nahm sich jeder dankbar eine Tasse. Leichname wegzuschaffen machte durstig. Cat betrachtete die Tassen. Sie gehörten alle zu einem Service. Sie erinnerte sich an die Küche. Zwanzig Teile. Ausgestellt.

Plötzlich entfuhr Cat ein hörbarer Laut. Ein Polizist beäugte sie misstrauisch, worauf sie die Hand vor den Mund legte und so tat, als müsste sie husten. So lange hatte sie hier herumgeschnüffelt, gezaudert, getrödelt – und in der Zwischenzeit hatte sich das Mädchen umgebracht, und sie hätte es verhindern können. Panik stieg in ihr auf wie ein Geysir. Erneut hustete sie, blinzelnd wischte sie die Tränen weg, die ihr in den Augen brannten. Aber in der Garage hatte dick der Rauch gestanden. Der Motor musste über Stunden hinweg gelaufen sein. Kurz sah sie wieder das Bild vor sich. Ja, das Mädchen hatte ausgesehen, als wäre es schon lange tot gewesen. Die gelblich-graue ledrige Haut an ihrem Schädel hatte nichts Menschliches mehr an sich gehabt, es war nur noch etwas, was die Knochen zusammenhielt. Was Cat zu Gesicht bekommen hatte, war kein Lebewesen gewesen, sondern eine Leiche. Sie hätte sie nicht mehr retten können. Aus der Garage kamen Polizisten mit Plastikbeuteln, in denen der Schlauch und die verkohlten Papierfetzen lagen. Sie wollte nicht hier sein, wenn sie den Leichnam in einen Plastiksack legten und auch diesen herausbrachten.

Reifen knirschten auf dem Kies. Noch bevor der Wagen zum Stehen kam, stieg ein Mann aus. Sandie rannte bereits auf ihn zu. Als er sie sah, rief er mit einer Stimme, die einem in der Seele wehtat, ihren Namen. Sie umarmten sich. Fremde hatten hier nichts verloren, sie sollte sich entschuldigen und gehen. Minuten vergingen, in denen alle nur stumm dastanden und dem Schluchzen des Mannes lauschten. Cat hatte sich auf einem steinernen Aufsitzblock niedergelassen, die Knie umfasst und versucht, sich so unsichtbar wie möglich zu machen. Seit drei Stunden war sie mittlerweile hier. Als Janes Vater hörte, wie seine Tochter auf einer Rollbahre aus der Garage geschafft wurde, löste er sich von der Schulter seiner Frau. Schlechtes Timing. Mr. Wellby deutete auf den Leichensack und ging langsam darauf zu. Tränen liefen ihm über die Wangen, sein Mund bewegte sich, ohne dass ein Laut über seine Lippen kam. Er blieb erst stehen, als sein Zeigefinger die dicke Plastikhülle berührte.

»Öffnen Sie ihn«, hörte Cat ihn sagen. Der Wind hatte aufgefrischt, es war kälter geworden, über den blauen Himmel hatte sich eine dünne graue Decke gelegt. Er wiederholte seine Aufforderung, und dann, als niemand reagierte, sagte er: »Bitte?« Seine Stimme klang wie die eines Siebenjährigen. Cat sah wieder weg. Das Geräusch des Plastikreißverschlusses hallte von den drei Wänden des Hofes wider. Mr. Wellby nahm den Leichnam seiner Tochter auf und wiegte ihn unbeholfen in den Händen.

»Nein, Janey, nein.« Unwillkürlich sah Cat wieder hin. Wieder die Locken, die jetzt allerdings ihm über den Arm fielen. Cat wurde schlecht. Janes Vater sah zum wartenden Sanitäter, der voller Mitgefühl den Kopf schüttelte, dann ließ er den Blick über die übrigen Umstehenden schweifen. Die meisten sahen zu Boden, einige zuckten mit den Achseln, schließlich blieb sein Blick an seiner Frau hängen. »Sag es ihnen«, flehte er sie an. »Sag es ihnen, Sandie. Sag ihnen, dass die kleine Janey sich niemals umbringen würde. Sie hatte keinen Grund dazu. Nicht den geringsten. Sie war glücklich, ein vollkommen normales, glückliches kleines Mädchen. Sag es ihnen.«

Alle Blicke waren auf Sandie gerichtet, die so fest die Lippen zusammenpresste, dass es aussah, als hätte sie weißen Lipliner aufgetragen. »Ich weiß nicht, Liebling«, sagte sie schließlich, »ich weiß nicht, was passiert ist.« Sie nahm ihn am Arm und führte ihn von der Bahre fort. Der Sanitäter zog schnell den Reißverschluss zu. Mr. Wellbys Beine gaben nach. Zwei Polizisten waren nötig, um ihn ins Haus zu schaffen.

Cat sah, wie Robert Wellby die Polizisten am Arm packte und zu sich heranzog. »Mit meiner Tochter war alles in Ordnung«, schrie er ihnen ins Gesicht. »Alles!«

Cat sah zu Sandie Wellby. Ihr Gesichtsausdruck war unergründlich. Simon Proudlove, der Mann, mit dem sie telefoniert, der Mann, der die erschütternde Nachricht überbracht hatte, trat von hinten an Mrs. Wellby heran und drückte ihr die Schulter. »Sie ist so stark«, murmelte Cat zu sich selbst.

»Wer?«, fragte ein Polizist, der sich ihr genähert hatte.

Cat sah auf. Seit Stunden hatte niemand mit ihr geredet.

»Janes Mutter.«

»Sie«, sagte er und deutete auf Mrs. Wellby. Cat konnte es kaum glauben, dass er in Gegenwart all der anderen einfach so auf sie zeigte. »Sie ist nicht Janes Mutter. Sie ist die zweite Mrs. Wellby. Janes Stiefmutter.«

»Oh«, sagte Cat. Das erklärte einiges.

Die Polizisten verschwanden im Haus und ließen Cat allein. Sie sah mit an, wie Jane Wellbys Leichnam ohne viel Federlesens fortgeschafft wurde. Schon einmal hatte sie einen Leichnam gesehen, in Indien, aufgebahrt neben einem Scheiterhaufen. Damals war er ihr als schön erschienen, damals hatte sie aber auch in der ersten Reihe eines über den Ganges schaukelnden Touristenbootes gesessen, das sich der Zeremonie so weit genähert hatte, damit Fotos gemacht werden konnten, aber trotzdem weit genug weggeblieben war, um der Szene etwas Irreales zu verleihen. Hier war es anders. Janes Gesicht hatte sich ihr für immer eingeprägt. Der Leichensack konnte Jane Wellbys Körper nicht verbergen. Jeder wusste, was darin war. Cat sah zum Haus, das in Zellophan gehüllte Haus, und schüttelte bedächtig den Kopf. Die Sanitäter schlossen die Türen des Krankenwagens. Es war an der Zeit, dass auch sie ging. Die Wellbys hatten ihr schon genug Scherereien eingebrockt. Als sie den Hof überquerte, hörte sie aus der Küche wütende Stimmen.

»Natürlich bin ich in der Lage zu fahren!« Cat drehte sich um. Mr. Wellby kam aus der Küche gestürmt, dicht gefolgt von seiner Frau. »Es kann jeder gewesen sein, verdammt noch mal, irgendein Fremder. Sie war unsere einzige Tochter, natürlich muss ich es ihr selbst sagen.« Dem Akzent nach war er Engländer. Durch und durch. Und er war sehr wütend.

»Ich verstehe dich ja, Robert. Ich will nur nicht, dass du selbst fährst. Bitte, Liebling, lass mich fahren. Oder Simon, wenn dir das lieber ist.« Fragend sah sie zu dem Mann, der Robert nach Hause gebracht hatte.

»Ich fahr dich hin«, sagte Simon und nickte.

»Was soll das, dann sitzt du in London fest.«

»Mein anderer Wagen steht in London, ist also überhaupt kein Problem.« Hoffnungsvoll sahen Sandie und Simon zu Robert.

»Mr. Wellby«, sprach ihn der leitende Polizeibeamte an, »ich muss Ihnen noch einige Fragen stellen.«

Robert drehte sich zu ihm um. »Was?«

»Ich weiß, es ist schwierig für Sie, Sir, aber ...«

»Wie können Sie es wagen. Meine Tochter ist tot. Es gibt keine Fragen.«

»Leider müssen wir sie stellen, Sir. Reine Routine«, erwiderte der Polizist ungerührt.

»Scheiß auf die Routine. Wer zum Teufel sind Sie überhaupt?«

Sandie wies auf den Polizisten. »Das ist Detective Chief Inspector Bramley, Liebling ... Du hast ihn vor wenigen Minuten ...«

»Ich lasse mich nicht davon abhalten, meiner Ex-Frau persönlich mitzuteilen, dass unsere Tochter tot ist.« Cat war sich nicht sicher, ob Robert Wellby zu seiner Frau oder zu dem Polizeibeamten sprach.

»Sicherlich nicht«, antwortete der Beamte und trat ein wenig zurück.

»Gut.« Robert drehte sich um, doch statt zum Wagen ging er ins Haus zurück.

»Liebling? Wo willst du hin?«

»Ich kann mir ihre verdammte Adresse nie merken.«

»Was?«, rief Sandie ihm hinterher, bevor er verschwand.

»Hatte Mr. Wellby das Sorgerecht?«, fragte Bramley Sandie.

»Nein. Jane hat bei ihrer Mutter gewohnt«, sagte Sandie. »Na ja, die meiste Zeit jedenfalls.«

»Aber Mr. Wellby weiß die Adresse nicht?«

»Der Schock«, sagte Sandie. »Das ist der Schock.«

Bramley und Sandie gingen langsam zum aufgebauten Picknicktisch und schenkten sich jeweils Kaffee ein. Die Tasse in beiden Händen, starrte Sandie auf die Garage.

»Wie war sie denn so, Ihre Stieftochter?«

Sandie zog die Augenbrauen hoch. »Ich bin nicht unbedingt die richtige Person für diese Frage.«

»Stiefkinder können eine ziemliche Plage sein.«

»Sie haben ja keine Ahnung.«

Robert erschien mit einem Straßenatlas. Sofort stellte Sandie die Tasse ab, ging zu ihm, blätterte durch die Seiten und zeigte ihm die schnellste Route. Robert riss den Atlas wieder an sich. »Ich weiß«, kam es ungeduldig von ihm, bevor er zum Wagen eilte.

Bramley trat dazwischen. »Ich muss darauf bestehen, dass jemand Sie hinfährt.«

»Ich bin durchaus in der Lage zu fahren.«

»Sir, ich würde meiner Pflicht nicht nachkommen, wenn ich Sie nicht ...«

»Ich fahr dich hin«, sagte Simon und legte Robert die Hand auf die Schulter.

»Nein«, erwiderte er und riss sich los.

»Robert, das ist doch das Wenigste, was ich tun kann.«

»Warum?«

»Was?«

»Warum ist es das Wenigste, was du tun kannst, Simon? Dich geht das hier alles nichts an. Es ist nicht deine Familie.«

»Robert!«

»Keine Sorge, Sandie.«

»Ich will, dass hier alle verschwinden«, sagte Robert wütend.

»Bitte, beruhige dich, Robert«, sagte Simon nervös.

»Beruhigen! Mein Gott!«, schrie Robert Wellby und richtete den Blick zum Himmel, bevor er sich Simon zuwandte.

»Meine Tochter ist tot. Tot! Was soll ich deiner Meinung nach tun? Ein verdammtes Grillfest schmeißen?« Cat zuckte zusammen. Robert fuhr herum und zeigte mit dem Finger auf Bramley. »Ich werde Ihre Fragen nicht beantworten.« Er sah zu den vier noch anwesenden Polizisten. »Verschwinden Sie aus meinem Haus, Sie alle – sofort.« Laut atmete er aus und entdeckte nun Cat. Sie versuchte mitfühlend zu lächeln.

»Wer zum Teufel sind Sie denn?« Alle drehten sich ihr zu. Cats Augen weiteten sich. »Catherine Amelia Torrant«, erwiderte sie, als wäre sie wieder in der Schule.

»Wer?«, blaffte er und machte einen bedrohlichen Schritt auf sie zu.

Cat hustete nervös, sah sich nach Unterstützung um, dann zu Sandie, die sie erst jetzt wieder zu registrieren schien.

»Catherine Amel...«

»Das habe ich gehört, danke«, schrie er. »Aber wer sind Sie, und was verdammt noch mal tun Sie hier?«

Argwöhnisch sah Bramley zu ihr. Er wusste, sie war die Frau, die Jane gefunden hatte, aber ihm war nie der Gedanke gekommen, dass sie die Wellbys nicht kannte. Alle, er eingeschlossen, hatten angenommen, sie sei mit der Familie befreundet, sie sei eine Freundin der Tochter, eine Angestellte, die Tochter einer Angestellten oder was auch immer.

»Sie war im Haus«, sagte die zweite Mrs. Wellby. »Am Telefon.« Cat nickte. »Sie hat mit der Polizei telefoniert. Und ihr von Jane erzählt. Ich meine, mir, sie hat es mir erzählt.« Fragend blickte Robert zu seiner Frau. Cat entspannte sich, etwas voreilig, wie sich zeigte. Denn plötzlich ging er wieder auf sie los. »Wohnen Sie hier irgendwo?« Cat schüttelte den Kopf. »Wo wohnen Sie?«

»Aubrey Street 15, Angel.«

»Angel?«

»In London«, sagte Cat.

»Ich weiß verdammt noch mal, wo Angel liegt, wie sind Sie in mein Haus gekommen?«

»Ich ... ich kann mich nicht erinnern.«

»Was?«, brüllte Robert Wellby.

»Durch die Tür, nehme ich an. Hören Sie, ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich habe Jane gefunden und bin losgerannt. Das Nächste, was ich weiß, war, dass ich die Polizei gerufen habe.«

»Sie sind also eine Freundin von Janey aus London. Natürlich, Angel ist nicht weit vom Haus ihrer Mutter entfernt«, sagte Mr. Wellby, nun weniger aggressiv. »Sie hat mir nicht gesagt, dass Sie zu Besuch kommen. Hat sie dir was gesagt?«, fragte er Sandie. Sandie reagierte nicht, sie rührte sich noch nicht mal, sondern starrte nur auf Cat.

»Ich bin nicht zu Besuch gekommen«, sagte Cat leise.

»Eigentlich, äh, kenne ich Ihre Tochter gar nicht.« Cat wünschte sich, sie wäre auf dem Mars. »Ich ...«

»Warum sind Sie dann hier?«

Cat schluckte.

»Was haben Sie hier gemacht, Miss Torrant?«, fragte Bramley.

Cat sah zu Robert. »Ich fürchte, ich habe noch eine schlechte Nachricht für Sie.«

Robert Wellby brach in Gelächter aus. »Sie meinen, es gäbe noch schlimmere Nachrichten?«

Sie hatte »noch eine schlechte« Nachricht gesagt, nicht »schlimmere«, hielt es aber nicht unbedingt für den rechten Zeitpunkt, mit ihm über den genauen Wortlaut zu diskutieren. Alle musterten sie. Langsam fuhr sie fort: »Ich hatte einen Autounfall. Ich bin hier, um es Ihnen zu melden.«

»Warum um alles in der Welt sollten wir das erfahren?«

Cat sah ihm in die Augen und setzte sie so ruhig wie möglich über den zweiten Todesfall in der Familie in Kenntnis.

Jetzt brach Sandie Wellby in Tränen aus.

Robert stieg in Simons Wagen. Bramley beugte sich durch das geöffnete Beifahrerfenster.

»Und jetzt?«

»Ich danke Ihnen, dass Sie sich fahren lassen. Richten Sie Janes Mutter bitte mein Beileid aus.«

Robert ließ sich etwas erweichen. Schließlich machte der Mann nur seinen Job. »Danke«, antwortete er.

»Es muss schwierig für Sie sein. Ihre Frau und Ihre Tochter haben sich nicht besonders gut verstanden?«

»Wovon reden Sie? Simon! Fahren wir!«

»Keine Probleme zu Hause?«, beharrte Bramley.

Robert zeigte wieder mit dem Finger auf ihn. »Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Jane und Sandie sind gute Freundinnen. Sehr gute Freundinnen. Simon!«

Bramley trat vom Wagen zurück. Simon löste sich von Sandie, die er umarmt hatte.

»Wer ist Mr. Proudlove?«

»Der Partner meiner Frau. Geschäftspartner.«

Als Bramley den Jüngeren in den Wagen steigen sah, überkam ihn ein ungutes Gefühl. Er rief seinen Kumpel, Detective Sergeant Mike Chambers, und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Zusammen sahen sie dem Mercedes nach, bevor sie zum Picknicktisch zurückkehrten.

Misstrauisch beäugte Robert den leuchtend gelben Ford Fiesta, während Cedar Hall im Seitenspiegel zurückblieb.

Seine Tochter war tot, und eine Fremde hatte sie gefunden? Nein, dachte sich Robert, Catherine Amelia Torrant musste damit zu tun haben. Aber was? Und warum? Seine Gedanken rasten, während sich der große Wagen vom Schauplatz des Todes seiner Tochter entfernte. Die Schuld aber, die würde immer bleiben. Mit beiden Händen schlug er gegen das Armaturenbrett.

»Halt an, Simon!«

»Was?«

»Halt verdammt noch mal an. Sofort!« Kurz vor der Kreuzung brachte Simon den Wagen zum Stehen. Robert war alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. »Ich kann mich nicht von dir zu Fiona fahren lassen. Bitte ...«

»Wir müssen darüber reden, was davor geschehen ist ...«

»Nein, das müssen wir nicht.«

»Robert, was ist los?«

Robert sah ihn wie einen Schwachsinnigen an. »Jane ist tot. Alles andere zählt nicht.« Er stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete die Fahrertür. Simon rührte sich nicht.

»Du würdest es sowieso nicht verstehen. Du hast keine Familie. Du hast keine Kinder.«

»Robert, ich ...« Er hielt inne. »Deine Familie ist auch meine Familie.«

»Simon, du hast mit meiner Frau ein Unternehmen, du bist ihr Freund – aber du gehörst nicht zur Familie. Ihr beide habt keine Tochter verloren. Sie war meine Tochter. Ich habe sie verloren. Ich, verstehst du. Wenn ich dich also bitte, mich allein zu lassen, dann erwarte ich, dass du mich verdammt noch mal auch allein lässt!«

»Natürlich«, erwiderte Simon leise.

»Entschuldige.« Er schwang ein Bein aus dem Wagen. »Fahr bitte vorsichtig. Wenn dir was zustößt, würde Sandie mich umbringen.«

»Sag ihr nichts. Nicht, solange alles so ist, wie es ist.«

Simon stieg aus. »Du weißt, du kannst mir vertrauen. Aber sie sollte es erfahren. Wie lange geht das schon ...«

»Sag ihr nur, sie soll den Whittons absagen.« Simon nickte und sah dem sich entfernenden Wagen hinterher, lauschte auf das Motorengeräusch, bis es im Rascheln der Bäume unterging. Dann drehte er sich um und machte sich auf den gut eineinhalb Kilometer langen Rückweg zu Cedar Hall. Seiner Ersatzheimat. Seiner Ersatzfamilie. Sie bedeuteten ihm mehr, als ihnen jemals bewusst war. Und jetzt das. Robert vertraute ihm – was sollte er Sandie nur erzählen? Was konnte er Sandie erzählen?

Die Tachonadel zeigte 225 Stundenkilometer. Robert überholte jeden Wagen, manche hupten, andere blendeten auf. Es war ihm egal, er wollte nur schneller vorankommen, bis ans Ende der Welt. Alles, nur nicht Fiona sagen, dass ihre einzige Tochter tot war. Tot. Dreiundzwanzig kurze Jahre. Selbstmord? Wer glaubte das denn? Er schüttelte den Kopf. Keiner. Warum? Weil sie nicht hätte sterben sollen. Nicht seine Tochter. Nicht seine Kleine. Über London ging die Sonne unter. Die verspiegelten Gebäude der City glitzerten orangerot.

Ungerührt, fast spöttisch warfen sie ihren grellen Schein auf die Sterblichen. Canary Wharf, hoch aufragend, lächerlich. Noch immer zum größten Teil leerstehend. Verschwendung von Platz, Verschwendung von Zeit. Von Leben. Auf diesen Quadratkilometern hatte er mehr Zeit verbracht, als seine Tochter in ihrem ganzen Leben hatte bewusst wahrnehmen dürfen. Und wofür? Damit seine Familie auseinanderbrach. Um in Ungnade zu fallen. Aber Selbstmord? Wenn jemand in seiner Familie so etwas machte ... Robert hielt am Straßenrand an und stieg aus. Er befand sich auf einer Überführung, allein. Unter ihm breitete sich das East End aus, schimmerte im rötlichen Licht, Kanäle und Kräne, leerstehende Gebäude, Firmen, die schon lange pleitegegangen waren. Sinnlos, völlig sinnlos. Dort stand er, rang mit seiner Verwirrung, beugte sich dann vor, breitete die Arme aus und schrie aus Leibeskräften, damit es ganz London hören konnte:

»Es ist meine Schuld! Verdammt noch mal, es ist meine Schuld!«

Detective Chief Inspector Bramley von der Kriminaldienststelle Harlow ließ sich die Geschichte dreimal wiederholen. Cat war erschöpft, genervt, sie hatte es bewusst darauf abgesehen, ihm nicht zu helfen, aber er wollte es einfach nicht kapieren.

»Sie sind also eine Journalistin, die zufällig an dem Tag den Hund der Wellbys überfährt, an dem ihre Tochter beschließt, Selbstmord zu begehen?«

»Warum sollte ich lügen?«

»Niemand hat gesagt, dass Sie lügen. Wir wollen nur die Fakten auf die Reihe kriegen.«

»Mit Verlaub, Officer ...«

»Detective Chief Inspector.«

»Mit Verlaub, Detective Chief Inspector, ich habe Ihnen die Fakten genannt.«

Bramley wandte sich ab.

»Ich hätte den verdammten Köter liegen lassen sollen«, murmelte sie.

»Wie bitte?«

»Nichts. Kann ich jetzt gehen?«

»Solange wir wissen, wo wir Sie erreichen können.«

»Ich habe Ihnen meine Adresse schon gegeben.« Aus dem Haus erschien ein weiterer Polizist.

»Ist mir zu hoch, ein Mädchen bringt sich zu Hause um, ihr Vater ist darüber fassungslos, aber sie hinterlässt keinen Abschiedsbrief.«

»Vorsicht«, sagte ein anderer. »So werden Gerüchte in die Welt gesetzt.«

»Kein Abschiedsbrief? Sicher? Warum hat mir das noch keiner gesagt?« Cat sah neugierig von einem zum anderen.

»Mein Gott, ihr Trottel, und was geht uns eurer Meinung nach jetzt noch ab?«

»Ein toter Hund«, sagte die Polizistin, die um die Ecke bog.

Kapitel 3

Ein Blick auf ihren Ex-Mann genügte. Etwas war mit ihrer Tochter. Einen anderen Grund gab es nicht, warum er in ihrer Tür stehen sollte. Als er nichts sagte, wusste sie, dass es schlimm sein musste. Sehr schlimm. Fiona knallte ihm die Tür vor der Nase zu. Ein Reflex. Sie wartete, dass seine hinter dem Glas verschwommene Gestalt verschwand, dass die Zeit zurückgedreht werden konnte, dass das Unmögliche geschah. Er blieb vor ihrer Tür. Das konnte nur eines bedeuten: Jane war tot.

»Wie?«, fragte Fiona durch die Tür.

»Lass mich rein, Fiona.«

»Wie?«, schrie sie.

Robert antwortete nicht sofort. Die Umrisse seiner Gestalt wurden klarer, als er sich gegen das Glas lehnte. »Sie war im Wagen ...«

»Ich hab dir gesagt, das Auto ist zu schnell für sie«, sagte Fiona und riss wütend die Tür auf.

Robert richtete sich auf. »Du verstehst nicht, es war mein Wagen.«

»Wie kannst du sie nur in deinem Wagen ...«

»Sie ist nicht gefahren«, sagte er und brachte sie zum Verstummen.

Fiona versuchte die Information zu verdauen. Robert wartete darauf, dass sie von allein draufkam. Aber das geschah nicht. »O mein Gott – Sandie! Sag mir nicht, dass sie tot sind. Bitte!«

»Sandie saß nicht im Wagen«, sagte er und verharrte auf der Schwelle zur Wahrheit.

»Was?«, kam es von Fiona. »Wer hat dann am Steuer gesessen?«

»Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll ...« Schon der Tod war unvorstellbar, aber Selbstmord –, es war einfach undenkbar.

»Mir was sagen?«, drängte Fiona und packte ihn an beiden Oberarmen. »Wo ist Jane? Was ist passiert?«

»Anscheinend«, sagte Robert, »anscheinend hat Jane ...«

»Was?«

»Sie hat sich umgebracht, Fi.«

»Mach dich nicht lächerlich. Was zum Teufel willst du mir sagen?«

Robert umfasste ihre Hände. Er hatte ganz vergessen, wie klein sie waren. »Ich wünschte mir, es wäre nicht wahr, Fi, aber es ist so ...«

»Halt den Mund. Wo ist sie? Wo ist Jane?« Die Tränen verrieten sie, die Tränen, die ihren ungläubigen Blick verschleierten.

»Sie hat sich das Leben genommen, in meinem Wagen. Ich wünschte mir, es wäre nicht wahr, aber es ist ...«

»Halt den Mund.«

Robert reagierte nicht.

»Sag das nicht mehr«, wiederholte Fiona wütend und wandte sich ab.

Leise schloss Robert die Tür hinter sich und folgte ihr durch den Flur in die Küche.

»Ich weiß nicht, warum du das tust, aber ich will, dass du damit aufhörst.«

Robert starrte sie an.

»Was hast du mit ihr gemacht, Robert, was hast du ihr angetan?«

Robert schüttelte sie. »Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich war nicht da. Simon ist aufgetaucht und hat mir erzählt, es hätte einen Unfall gegeben. Das waren seine Worte. Einen beschissenen Unfall! Wahrscheinlich meint er, Jane hätte sich versehentlich den Schlauch vom Auspuff in den Wagen gelegt.«

»Was?«

»Sie hat die Abgase in den Wagen geleitet, in meinen Wagen.«

»Jane?«

»Ja, Jane!«, schrie Robert. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass etwas nicht in Ordnung war?«

»Was?«

»Hör auf, ständig ›was‹ zu sagen. Hörst du mir nicht zu? Jane hat sich umgebracht, du bist ihre Mutter ...«

»Mit meiner Tochter war alles in Ordnung. Du weißt nicht, was du sagst. Sie würde so was nie tun.«

Das Schweigen war lauter als das Gebrüll.

»Ich habe sie gesehen, Fiona«, flüsterte er.

Fiona sackte auf einen Stuhl. »Wer hat sie gefunden?«

»Eine junge Frau. Ich weiß nicht, wer sie ist.«

»Warum?«

»Sie sagt, sie ...«

»Nein. Warum Jane? Warum Jane?«

»Ich weiß es nicht. Wir sind ihre Eltern, was haben wir übersehen? Was haben wir falsch gemacht?«

Fiona runzelte die Stirn. »Falsch gemacht?«

»Wir sind ihre Eltern.«

Fiona sah zum Kalender an der Küchenwand. »O nein!«, entfuhr es ihr, dann sackte sie über dem Tisch in sich zusammen.

Robert sah zum Kalender. »Was?«

»Das Datum, Robert.«

»Was ist damit?«

Fiona starrte ihn entgeistert an. »Es ist zehn Jahre her.«

»Nein«, sagte er vehement.

»Auf den Tag genau, Robert«, erwiderte sie verbittert und zeigte zum Kalender.

»Fiona, damit hat es nichts zu tun.«

»Was sollte es denn sonst sein?«

»Fiona, Mädchen bringen sich nicht um, weil sich ihre Eltern zehn Jahre zuvor haben scheiden lassen.«

Fiona blickte zu ihm auf. »Auf den Tag genau, verdammt noch mal.«

Wütend sah Robert zu seiner Ex-Frau. »Damit hat es nichts zu tun!«

»Hören Sie, ich weiß nicht, wo der verfluchte Köter ist. Er war tot. Mein Gott, vielleicht war er nur betäubt. Das passiert hin und wieder. Ich kenne jemanden, der hat in Australien ein Känguru überfahren, dann haben sie dem Tier eine Jeansjacke angezogen und eine Sonnenbrille aufgesetzt und Fotos gemacht, bis das dumme Vieh plötzlich wieder zu sich kam und sich mitsamt ihren Reiseschecks und Pässen davongemacht hat.« Keiner lächelte. »Denen hat die Polizei auch nicht geglaubt«, fügte sie hinzu.

»Okay«, sagte Bramley, »Noch mal ganz vorn vorn.«

Cat kam sich vor, als würde sie einen Stepptanz aufführen, fünf, sechs, sieben, acht ... »Ich war für einen Rundfunkbeitrag in Colchester. Wenn Sie wollen, können Sie ihn sich anhören. Auf dem Rückweg zum Sender habe ich das Tier überfahren.«

»Wie sind Sie ins Haus gekommen?«

»Weiß ich nicht.«

»Sind Sie eingebrochen?«

»Nein.«

»Woher wollen Sie das wissen, wenn Sie sich nicht mehr daran erinnern.«

»Daran würde ich mich erinnern.« Er notierte sich etwas in seinem Block. »Dann habe ich die Polizei gerufen.«

»Oh, ja, das haben wir auf Band.«

»Warum?«

»Vorschriften.«

»Das ist doch lächerlich, Sie stellen mir Fragen, als hätte ich Ihrer Meinung nach irgendwas damit zu tun. Es ist tragisch, dass sich eine junge Frau das Leben nimmt, aber ich weiß nicht, was das mit mir zu tun haben soll.«

»Sie sind sich sicher, dass Sie die Verstorbene nicht gekannt haben?«

»Ganz sicher.«

»Und die Familie?«

»Ja.«

»Ja, dass Sie sich sicher sind, oder ja, dass Sie sie kennen?«

»Das Erstere.«

»Sie kannten die Erstere?«

Cat schnitt eine Grimasse. »Haben Sie nicht auch das Gefühl, dass das alles langsam absurd wird, oder geht es nur mir so?«

»Ich wäre etwas kleinlauter, wenn ich in Ihrer Haut stecken würde.«

Er war alles andere als ein schmächtiger Mann, eher unwahrscheinlich, dass er in ihre Haut passte. »Ja, vermutlich.«

Er wollte bereits von neuem über sie herfallen, als die Beamtin nach ihm rief. »Wir haben alles, was wir brauchen, ich denke, wir können Schluss machen.«

Er nickte und wandte sich wieder zu Cat. »Genau, wir haben Ihr Autokennzeichen, Ihre Adresse, die Telefonnummer, und wir wissen, wo Ihre Großmutter wohnt.«

»Ich weiß.« Sie seufzte. »Ich habe sie Ihnen gegeben, Sie erinnern sich?«

Seine Augen wurden schmal. »Sie haben doch nicht vor, in nächster Zeit das Land zu verlassen?«

Ihr fielen eine Menge vorwitziger Antworten darauf ein, die ihr aber unter den gegebenen Umständen nicht unbedingt angebracht erschienen. Ein kleines Angst-Ungeheuer zerrte an ihrem Hosenbein. Die Polizei nahm die Sache ernst. Sie glaubten wirklich, sie könnte irgendwas damit zu schaffen haben. Ein leichtes Opfer. Belangt für ein Verbrechen, das sie nicht begangen hatte. Nachdem sie zwanzig Jahre im Gefängnis vor sich hin schmorte, würde ein toller junger Anwalt aus den USA ihre Unschuld beweisen, sie freibekommen, sich Hals über Kopf in sie verlieben, und dann würde man ihr eine Million Dollar für die Filmrechte bieten.

Nicht unbedingt Cats Vorstellung, schnell an Kohle zu kommen.

»Die Schleuderspuren!«, rief sie aus. Alle starrten sie an. »Auf der Straße! Von den Reifen!« Noch immer wollte es keiner kapieren. »Ich bin ins Schleudern geraten, als ich den Hund überfahren habe.« Ein einhelliges »Ahh« vom Publikum, als ihm endlich ein Licht aufging. »Das sollte meine Version der Geschichte beweisen.«

»Dann müssten Hundehaare an der Stoßstange sein, aber wir haben keine gefunden«, sagte die uniformierte Polizistin.

»WPC Clement«, sagte Bramley mit Blick auf Cat, »rufen Sie den Coroner.«

Cat tat der Kopf weh, sie hatte genug von den versteckten Anspielungen. »Kann ich bitte gehen?« Bramley nickte. Von niemandem begleitet, begab sie sich zum Eingang, und dann, als sie gerade die Klinke in der Hand hatte, klingelte es an der Tür. Sie fuhr zusammen. Wäre Mrs. Wellby gleich an die Tür gekommen, wäre ihr einziges Problem jetzt ein toter Hund.