Südamerika - Friedrich Gerstäcker - E-Book

Südamerika E-Book

Friedrich Gerstäcker

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Beschreibung

Friedrich Gerstäckers Buch 'Südamerika' entführt den Leser auf eine faszinierende Reise durch den südamerikanischen Kontinent. Der Autor präsentiert eine detaillierte Darstellung der Natur, der verschiedenen Kulturen und der landschaftlichen Vielfalt, die Südamerika zu bieten hat. Mit einem beeindruckenden Sinn für Details und einer lebendigen Sprache zeichnet Gerstäcker ein eindrucksvolles Bild dieser fernen Welt. Sein literarischer Stil ist geprägt von einer Mischung aus Abenteuerroman und Reisebericht, was dem Leser ein intensives Leseerlebnis garantiert. Das Buch bietet nicht nur eine informative Lektüre, sondern auch eine spannende Entdeckungsreise durch eine der faszinierendsten Regionen der Welt.

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Friedrich Gerstäcker

Südamerika

Rio de Janeiro, Buenos Aires, Pampas, Valparaiso, Chile und Kalifornien

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1738-0

Inhaltsverzeichnis

1. Die Ausfahrt.
2. Rio de Janeiro.
3. Fahrt von Rio de Janeiro bis Buenos Ayres.
4. Buenos Ayres und seine Umgebung.
5. Ritt durch die Pampas.
6. Die Pampas. Fortsetzung.
7. Mendoza.
8. Wintermarsch über die Cordilleren.
9. Valparaiso und Chile.
10. Wanderung durch die Straßen der Stadt.
11. Eine Macht auf dem Kirchhof zu Valparaiso
12. Die Reform und Weiterreise nach Californien

1. Die Ausfahrt.

Inhaltsverzeichnis

An Bord des Talisman in der Weser – 18. März 1849. Es ist ein wunderliches, eigentümliches Gefühl, an Bord eines Fahrzeuges, vor Beginn einer langen Seereise, noch im alten Vaterland fest vor Anker zu liegen, und diesem, während man die Reise selber noch gar nicht begonnen, den heimischen Boden noch nicht verlassen hat, doch auch eigentlich schon nicht mehr anzugehören – es ist ein wunderliches aber auch recht fatales Gefühl und hält unsere Nerven in einer Abspannung, die uns zuletzt ordentlich den Zeitpunkt ersehnen läßt, vor dem es Manchem im Anfang wohl heimlich gebangt hatte – den Abschied von seiner Muttererde.

Auf die Passagiere eines Auswandererschiffes macht das übrigens den verschiedenartigsten, wenn auch im Endresultat sich ziemlich gleich bleibenden Eindruck. Unthätig und mit langweiligen verdrossenen Gesichtern treiben sich die Meisten von ihnen bald an dem, kaum fünfzig Schritt entfernten Land (wir liegen dicht vor Groß‘s Hotel in Brake) – bald an Bord umher, und so ungemüthlich, so unbehaglich Alles am Ufer ist, ebenso jeder Bequemlichkeit und Ruhe förmlich trotzend, ist es an Bord.

Fortwährend treffen noch neue Passagiere mit einer Masse von Gepäck ein, als ob jeder Einzelne erwarte, die Arche Noäh zu eigener Disposition gestellt zu bekommen. – Alle Luken sind geöffnet, Kisten, Koffer, Bettsäcke, Körbe, Schachteln etc. stehen überall in Menge; kein Mensch findet was ihm selber gehört, Namen werden verwechselt und Koffer und Kasten waren es von Anfang an. Die Matrosen, die diesem gewohnten Treiben dabei mit der äußersten Gleichgültigkeit zuschauen, steigen in einer wahrhaft fabelhaften Gemüthsruhe über das wild umhergestreute Passagiergut hin und her, treten Hut-und andere Schachteln in ganz unbestimmte Formen und Fayons, hissen, was ihnen in den Wurf kommt – manchmal nur durch das verzweifelte Zuspringen der Passagiere verhindert – in den unteren Raum, etwas mehr unter den Füßen weg zu bekommen, und kehren sich sonst an gar nichts, während sich die Zwischendecks und auch Cajütspassagiere gerade im Gegentheil um Alles bekümmern, jedes Collo besehen und untersuchen wollen, über die Luken hinüber oder auch hineinschreien, und Alles thun, was in ihren Kräften steht, die Verwirrung aufs Aeußerste zu steigern.

Nasses Wetter vermehrt nur natürlich das Unangenehme, ja Widerliche solchen Zustandes, und kein Wunder, daß Mancher wirklich voller Verzweiflung in das dunkle Chaos – in die Höhle des Zwischendecks, niederstarrt, aus der ihm ein enormer widerlicher Dunst entgegenquillt, und die ihm nicht fünf bis sechs Wochen, wie auf einer Reise nach Newyork, nein ebensoviele Monate hindurch zum fast alleinigen Aufenthaltsort dienen soll. Wäre Tausenden von diesen ein solcher Blick verstattet gewesen, als sie noch zwischen »Auswandern« und »zu Hause bleiben« im Geiste schwankten, wie Viele, o wie unendlich Viele würden nie in ihrem Leben ein Schiff betreten, die aber können jetzt natürlich nicht mehr zurück, und müssen nun auch, mit einem alten deutschen Sprüchwort, ausessen, was sie sich vorher in aller Unschuld auf das sorgfältigste eingebrockt hatten.

Was das Gepäck übrigens betrifft, so ordnet sich das, erst einmal ein paar Tage in See, gar bald von selber. – Ganz unglaubliche Quantitäten werden in die wirklich kleinsten Räumlichkeiten weggestaut, und Sachen und Gegenstände, an deren Unterbringen man bis dahin förmlich verzweifelte, bekommen einen Platz und scheinen vollkommen gut aufgehoben – bis dahin aber heißt es »Geduld und Fügsamkeit« bis ins Unendliche.

Unsere Passagiere für Californien – denn der Talisman ist direkt nach San Francisco bestimmt – bilden eine höchst eigentümliche und wirklich interessante Masse. Es sind fast lauter junge kräftige Leute, die jenem abenteuerlichen Leben des neu entdeckten Eldorado mit so goldenen Träumen entgegengehen, wie sie nur je ein Alchymist in seiner düsteren Stube geträumt hatte – keine einzige Frau – kein Kind ist zwischen ihnen. Die meisten, besonders die Zwischendecks-Passagiere, sind dazu, bei ihrer Ankunft an Bord, bis an die Zähne bewaffnet, Manche auf wirklich komische Art. So kam gestern Einer vom Dampfboot auf den Talisman mit einer Flinte, einem Spaten und – einem baumwollenen Regenschirm. »Mit dem Spaten willst Du wohl s’ Gold ‘rauskriegen?« frug ihn ein Matrose. »Ich werd’s doch nicht sollen mit den Händen raußer krabbeln,« antwortete ihm der Mann im höchsten Ernst.

Spaten führen übrigens die Meisten bei sich; Manche Dutzende davon – auch Massen von alten Säbeln, Pistolen, Dolchen, Bajonnet-Flinten und überhaupt Waffen kommen zum Vorschein, als ob eine Rüstkammer geplündert wäre, oder ein Antiquitätencabinet aufgestellt werden sollte. Eine Persönlichkeit darf ich jedoch hier nicht übergehen, denn sie hat nicht allein bei uns, sondern auch in ganz Bremen großes Aufsehen erregt. Es ist das ein Messerschmied aus Magdeburg – hier jetzt nur kurzweg der Riese genannt, der ebenfalls nach Californien auswandern will.

Der Leser denke sich eine wahre Herkulesgestalt, von riesigem Körperbau mit krausem Bart, rothen Wangen und gutmüthigen klaren Augen – nur ein klein wenig zu bauchig, also eine Figur, die schon ohnedieß durch ihren kolossalen Umfang aufgefallen wäre, nun auch noch nach folgender Art gekleidet: grüne Blouse, helle Beinkleider und weißen Turnerhut; um den Leib einen etwa fünf Zoll breiten weißen Ledergurt und an diesem erstens einen wahrhaft riesigen Pallasch, der über die Steine klirrt, neben diesem einen Hirschfänger, der an der Stelle allerdings nur wie ein Messer aussieht, und neben dem Hirschfänger noch einen gigantischen »Rickfänger« zum Zusammenklappen – ebenfalls etwa 18 Zoll lang. Außerdem trägt diese Titanengestalt einen Dolch mit Terzerolläufen daran, wie eine verhältnißmäßige Anzahl von Pistolen.

Noch abenteuerlicher, ja fast komisch wird aber diese Persönlichkeit durch ihre Begleitung. Es sind das drei, hier jetzt »Trabanten« genannte Individuen, die den mächtigen Führer in Diminutivform, wie die Lootsen den Haifisch, umschwimmen. Drei sehr kleine Männer, ebenfalls in grünen Blousen, Turnerhüten und mit dem weißen Gurt, also ganz wie junge Riesen, und nur statt des Pallasches mit sehr kurzen Messern oder Hirschfängern an der Seite. Ich habe wirklich lange nichts Originelleres gesehen.

Der Riese ist dabei allem Anschein nach ein höchst gutmüthiger, ja fast gemächlicher Mann– wie das meist alle großen kräftigen Naturen sind – er läßt sich Pallasch und Messer von allen Leuten herausziehen und untersuchen, und kommt mir überhaupt vor wie ein Kauffahrer, der Kanonen ohne Munition führt. Wie mir gesagt wurde, kann der Mann – charakteristisch ja auch natürlich genug, nicht reiten, und soll einen kleinen Handwagen benutzen wollen. Wie der wohl Californien betritt? –

Die Auswanderung scheint dieses Jahr, wie sich das auch kaum anders erwarten ließ, an Größe alle anderen Jahre weit zu übertreffen. Bremen schwärmt von Auswanderern aus allen Theilen Deutschlands, und jeder Bahnzug bringt neue Massen, ja nicht selten sogar müssen Extrazüge genommen werden, die Hinzuströmenden zu befördern. Die Weser-Dampfboote können in ihren regelmäßigen Fahrten gar nicht einmal mehr alle Passagiere ihren Schiffen und den äußeren Häfen zuführen, und selbst die Schleppdampfer müssen deßhalb mit zum Passagiertransport genommen werden, was bis dahin noch in keinem anderen Jahr nöthig geworden war. In Brake liegt eine sehr große Anzahl und Bremerhafen soll ebenfalls überfüllt seyn.

Unser Fahrzeug, der Talisman, ist ein wackeres, noch ziemlich neues und gut aussehendes Schiff (eine Barke von 180 Last) und soll schnell und gut segeln. Der Capitän ist noch ein junger Mann und macht seine erste Reise als wirklicher Führer eines Schiffes. Der Cargadeur ist ein »befahrener« im Seeausdruck »weit zur See gewesen«) und wackerer Mann, die Passagiere scheinen fast durchgängig der gebildeten Klasse anzugehören, und alle Aussichten sind also vorhanden – wind and weather permitting – eine angenehme und schnelle Fahrt hoffen zu dürfen.

Der Zudrang nach Californien hat übrigens, wie es scheint, mit der Ausrüstung dieses Fahrzeugs erst begonnen; nicht einmal all die Fracht kann mitgenommen werden, die eingeliefert wurde, und die Firma Heydorn und Comp., die noch mehrere andere Schiffe dem Talisman nachzusenden gedenkt, beabsichtigt auch in San Francisco ein Zweiggeschäft unter der Firma Pajeken Frisius und Comp. zu etabliren. Herr Clemens Pajeken geht mit dem Talisman, Herr Frisius mit der Gesina als Cargadeur hinüber.

Gestern Abend ging hier bei Brake das neue deutsche Kriegsdampfschiff Britannia unter dem Abfeuern der Landböller vor Anker – es ist ein tüchtiges, stark und scharfgebautes und gewiß schnelles Boot und wird hoffentlich sein Möglichstes gegen den Feind thun (o schöne Träume). Mit freudigem Stolz sah ich an seinem Bord die schwarzroth-goldene Flagge wehen – möge sie über alle ihre Feinde triumphiren.

Nachdem wir uns nun über eine Woche in einem solchen Zwitterdaseyn zwischen Reisenden und Ansäßigen herumgetrieben, kam endlich die frohe Botschaft, daß wir »unter Segel gehen,« oder wenn wir keinen günstigen Wind bekämen, wenigstens mit der rückströmenden Ebbe der Mündung der Weser zutreiben sollten. Unsere Geschäfte mit dem Land waren bald abgebrochen und regulirt, und noch an demselben Abend lösten wir die Taue, die uns noch am Ufer hielten und schwammen den Fluß hinunter. Die Nacht mußten wir freilich wieder vor Anker gehen, und dasselbe Spiel trieb der Wind mit uns den nächsten Tag.

Gerüchte über neuausbrechende Feindseligkeiten mit Dänemark gaben uns dabei ziemlich gegründete Ursache, eine Unterbrechung unserer Reise fürchten zu müssen, falls wir nicht den Canal, wenigstens vor der Aufkündigung des Waffenstillstands, erreichten, denn unsere Flotte lag noch in den Windeln (ich dachte damals wahrlich nicht, daß ich sie bei der Rückkehr schon im Leichenhemde finden sollte) und dänische Kreuzer hätten uns einen bösen Strich durch die Rechnung machen können.

Der Abschied vom Vaterland ist schon immer an und für sich ein trübes niederdrückendes Gefühl, selbst wenn die Fahrt günstig und den Wünschen entsprechend ist, wie nun, wenn noch Mißmuth und Langweile über aufgehaltene, ja bedrohte Fahrt hinzukommen, und kein Wunder also, daß sich die Meisten, unserer Passagiere mürrisch und unzufrieden an Deck herumtrieben, und sicherlich mit nicht günstigen Augen das letzte Stück ihres Vaterlandes, die niederen monotonen Ufer des Weserstromes, betrachteten, als ein eigenthümlicher Zwischenfall der ganzen Sache eine andere Wendung gab.

Der größte Theil der Passagiere bestand, wie schon gesagt, aus jungen, unverheiratheten Leuten, und von diesen war Einem derselben schon an Bord, ich glaube sogar durch den Lootsen, aus Neckerei das Daguerreotyp eines nicht besonders geachteten Mädchens nachgesandt. Das schien unter den Passagieren bekannt geworden zu seyn; die Seeleute mochten es wohl ebenfalls erfahren haben, und plötzlich hieß es, das Bild gerade sey es, das den bösen Wind bringe, und wir müßten hier so herumtreiben, bis es über Bord geworfen wäre. Es dauerte auch gar nicht lange, so war schon der Beschluß gefaßt es der Tiefe zu übergeben, denn Seeleute wie Jäger sind alle ein wenig abergläubisch. Das Gerücht des beabsichtigten Opfers lief mit Windesschnelle von Mund zu Mund und unter donnerndem Hurrah flog, wenige Minuten später, das arme Bild in den stillen Weserstrom hinab.

Ob sich nun irgend ein, bei den Blasebälgen droben, angestelltes Engelein einen Spaß mit uns machen wollte, oder das Bild wirklich auf irgend eine elektromagnetische Weise mit den Geistern der Luft in Verbindung stand; kurz, so viel war gewiß, die kleine Tafel konnte kaum den Wesergrund berührt haben, als sich die Segel leise an zu heben fingen, vorn am Bug begann das Wasser zu kräuseln, die auf dem Strom schwimmenden Blasen, mit denen wir bis dahin friedlich niedergetrieben waren, blieben zurück, und in kaum einer Viertelstunde hatten wir eine zwar leichte, aber doch günstige Brise, die von Stunde an wuchs und uns endlich mit vollgeblähten Segeln, und zwar noch an demselben Abend, an den letzten Wesertonnen vorüber in die Nordsee hineinführte.

Als wir Bremerhafen gerade gegenüber waren, kam ein Boot von dort ab, zwei Leute saßen darin, ruderten aus Leibeskräften und hatten es nur ihrem zeitig genug vom Ufer fahren zu danken, daß sie uns wirklich einholten, denn das Schiff lief wenigstens fünf Knoten durchs Wasser. Die Passagiere standen fast Alle an Deck und schauten gespannt nach diesem letzten Boten vom festen Land herüber. Der Capitän glaubte, es sey eine Depesche für ihn, und die Uebrigen zerbrachen sich den Kopf, was die Sendung zu bedeuten haben könne, denn Niemand befand sich im Boot, als eben die beiden Rudernden. Und was brachten sie? – einen Brief für einen der Zwischendeckspassagiere.

»He – Schulze – Schulze – ein Brief für Dich!« rief es aus einer Anzahl Kehlen, als das heranschießende Boot von einem zugeworfenen Tau gehalten, mit dem Talisman fortgezogen wurde, und Einer der Bootsleute an Bord gesprungen war.

»Ein Brief für mich?« sagte der Angeredete, der sich jetzt hinzudrängte, anscheinend ganz erstaunt, ja fast erschreckt, »ich gehe nicht wieder zurück.«

Während noch einige der Uebrigen lachten, erbrach er den Brief und frug zugleich den Bootsmann, was er als Botenlohn zu beanspruchen habe.

»Einen Dollar,« lautete die tröstliche Antwort, die den armen Teufel von Passagier nicht wenig erschreckte – »einen Dollar,« wiederholte er ganz verblüfft und las dabei zugleich den Inhalt des Briefes halblaut vor sich hin – lieber Bruder, ich rufe Dir nochmals ein Lebewohl aus der Ferne zu – ich wünsche Dir eine recht glückliche Reise und gute Gesundheit – und das kostet einen Dollar – und laß recht bald etwas recht Gutes von Dir hören – es grüßt und küßt Dich tausendmal Dein getreuer Bruder Franz – und dafür will ich mein ganzes Leben lang nichts weiter thun, als Briefe transportiren – wie können Sie denn dafür einen Dollar fordern?«

»Das ist Taxe,« betheuerte der Mann, »und es war wahrhaftig keine Kleinigkeit, das Schiff mit solchem Fortgang noch einzuholen – seyen Sie froh, daß wir noch zur rechten Zeit gekommen sind.«

»Ich?« – sagte der Passagier ganz erstaunt – »für einen Thaler zehn Silbergroschen das Stück wünsch ich den Leuten das ganze Jahr hindurch eine »glückliche Reise« – ich wollte Sie wären eine halbe Stunde später gekommen.«

Der Mann mußte jedoch seinen Dollar bekommen, und Herr Schulze fügte sich endlich seufzend darein, nachdem er dem Bootsmann noch vorher den, wenn auch vergeblichen Vorschlag gemacht hatte, ihm den Brief für das halbe Porto wieder abzunehmen.

Aus der Weser erst hinaus wurde der Wind immer schärfer und besser, wir mußten aufbrassen und liefen vor günstigster Brise wohl sieben bis acht Meilen.

Dem nicht nautischen Leser hier übrigens gleich im Anfang wenigstens einen Begriff der nautischen Rechnungsart zu geben, werden ein paar Worte genügen. Der Lauf des Schiffes wird nach dem Log gemessen – (jedes Conversationslexikon gibt darüber Auskunft) – und wenn es heißt, das Schiff läuft z. B. acht Knoten in der Stunde (nach den Merkmalen in der Loglinie) – so sind damit englische Meilen gemeint; heißt es acht Meilen in der Wacht, so sind das geographische oder vielmehr nautische. Vier englische gehen aber auf eine nautische, und vier Stunden auf eine Wacht, so daß acht Knoten oder Meilen (engl.) die Stunde – auch dasselbe ist, was acht Meilen die Wacht bedeutet, denn wenn man von der Wacht spricht, rechnet man nur nach nautischen Meilen.

Donnerstag Abend um sieben Uhr liefen wir also in die Nordsee ein – am Freitag Abend mit Dunkelwerden sahen wir schon die Leuchtfeuer von Dover – etwas später auch die von Calais und Sonntag Morgens, am 25. erreichten wir die Mündung des englischen Canals.

»With the blue above and the blue below And silence reigns wherever we go«

So lagen denn all die gefährlichen Dünen und Sandbänke der Nordsee – all die grünen Untiefen des Canals glücklich hinter uns – mit diesen allen aber auch die Heimath, und es war ein wahrlich nicht zu beschreibendes Gefühl das mich ergriff, als ich endlich einmal wieder auf dem blauen, so wundervoll blauen Ocean, aber auch so fern von den Meinen schaukelte, nun auf’s Neue einem wilden tollen Leben in die Arme gesprungen.

Die Gefühle meiner Mitpassagiere schienen größtentheils anderer Art; mit nur sehr geringen Ausnahmen wurden die meisten seekrank, und wen nicht das grimme Seeleid, den jagte gewiß die nichtswürdige Kälte unter die Decken, so daß das Verdeck die ersten Tage ziemlich verödet lag. Von günstigem Wind getrieben schossen wir aber rasch dahin, und mit dem freudigen Bewußtseyn einen ziemlich fatalen Theil der Reise überstanden zu haben, mischte sich jetzt auch noch das beruhigende Gefühl jeder Gefahr eines, durch die dänische Blokade möglichen Aufenthalts glücklich entgangen zu seyn. Da tauchte ein Segel am Horizont auf – es kam näher, und unsere Fernröhre zeigten uns eine, gegen den Wind anlavirende Brigg.

Ein Segel auf offenem Meere ist stets ein interessanter Gegenstand, um so mehr dieses, da es das erste war, das uns auf dem Ocean in Sicht kam, und wir schauten seinem Nahen mit gespannter Aufmerksamkeit entgegen. Es kam mehr und mehr heran – an unserem Gaffelbaum flatterte die Bremer Flagge und von dem anderen Fahrzeug – stieg grüßend die dänische – das weiße Kreuz im rothen Felde, empor. Es war vielleicht ein Holsteiner, aber jedenfalls wehten diese beiden feindlichen Flaggen hier – was auch die Nationen daheim gegeneinander beginnen mochten, sich friedlich gegenüber, und stiegen zuletzt Abschied nehmend dreimal auf und nieder.

Mit derselben herrlichen Brise erreichten wir die Breite der Insel Madeira, die wir jedoch nicht zu Gesicht bekamen, und trafen hier den Nordostpassat, der uns eine rasche Fahrt, unserem nächsten Ziele zu, versprach, oder uns doch wenigstens glücklich und schnell unter den Aequator bringen mußte.

Die See, die bis dahin eine sehr starke Dünung gehabt, wurde in den Passaten ziemlich ruhig, die Seekranken erholten sich vollkommen, und man sah wieder einmal freundliche belebte Gesichter und – etwas sehr seltenes bis dahin – hungrige Mägen. – Es wird jetzt aber auch Zeit, daß ich zu unserem Schiff und dessen Passagieren und Eintheilung übergehe.

Der Talisman führte 101 Passagiere – 31 in der Cajüte und 70 im Zwischendeck, und es ist dieß vielleicht das erste deutsche Auswandererschiff das, gänzlich ohne Frauen an Bord, fast nur mit jungen Leuten in See, einem fernen Welttheile zuging. Die erste Woche auf dem Meere zeigte aber schon wie nöthig es sey, daß eine gewisse Ordnung besonders in das Zwischendeck gebracht werde, wo Ordnung und Reinlichkeit auf einer so langen Fahrt durch die heiße Zone besonders nöthig sind, und wo doch eigentlich niemand verpflichtet war darauf zu sehen. Die Passagiere entwarfen deßhalb unter sich (wobei sich besonders ein Herr Kamberg verdient machte), Statuten, erwählten K. zum Präsidenten des Zwischendecks, andere Passagiere zu Vorständen, und erreichten dadurch vollkommen alle die Bequemlichkeiten, die durch Ordnung und Reinlichkeit nur erreicht werden konnten. Diese Statuten zeigten sich um so vorzüglicher, da sie in ihren einzelnen Punkten erst aus dringender Nothwendigkeit hervorgegangen waren, und ich will deßhalb für später nachfolgende Schiffe eine Abschrift derselben hier beifügen.

Zwischendecks-Statuten der Barke Talisman.

»Es kann einem jeden Passagier des Talisman nur daran gelegen seyn, daß Ordnung, Reinlichkeit und gegenseitiges anständiges Benehmen unter den Passagieren eingeführt und festgehalten werde. Zu dem Ende haben sämmtliche geehrte Mitreisende diese Statuten durchzulesen und ihre Genehmigung zuzusagen, indem ja zu erwarten steht, daß jeder Ordnungs-und Friedliebende mit dem Inhalt derselben vollkommen einverstanden seyn wird.

§. 1. Jeder Bettkamerad hat genau darauf zu sehen, daß die in einer Coje liegenden Passagiere allwöchentlich ein reines Hemde, überhaupt reine Leibwäsche anziehen.

§. 2. Es muß durchaus von jedem Mitreisenden darauf gesehen werden, daß niemand sich im Zwischendecke wasche oder den Kopf reinige.

§. 3. Es werden von den Passagieren täglich zwei die Tour übernehmen, um Reinlichkeit und Ordnung im Zwischendeck aufrecht zu erhalten.

§. 4. Rauchen und Feuer anmachen im Zwischendeck kann nicht gestattet werden.

§. 5. Alle 14 Tage findet eine neue Vorstandswahl statt, und muß der Gewählte die Stelle das erstemal annehmen.

§. 6. Jeder Passagier muß seinen Koffer so einrichten, daß er die nothwendigsten Sachen nur in dem einen Collo behält und die übrigen Sachen zum »verstauen« oder »in den unteren Raum packen,« geben kann.

§. 7. Jedes Gepäck muß in oder vor der zu bewohnenden Coje placirt werden.

§. 8. Es darf nichts im Zwischendeck auf die Erde geworfen werden, wie z. B. Härings-oder Citronenschalen, Brod, Fleisch u. s. w., auch darf darin keine Pfeife gereinigt, noch Cigarrenstummel weggeworfen werden.

§. 9. In der Coje selbst darf kein Essen aufbewahrt werden, die Erfrischungen natürlich ausgenommen, die vom Lande mitgenommen sind, wie z. B. Citronen, Zucker, Getränke, Tabak, Cigarren u. s. w.

§. 10. Derjenige, der sich Essen aufbewahren will, muß dafür Sorge tragen, daß dieses außerhalb der Coje an einem festen Orte seinen Platz findet, ohne irgend jemand zu belästigen.

§. 11. Jeden Morgen um acht Uhr haben sich die Passagiere aus dem Zwischendeck zu entfernen, damit dieses gereinigt werden kann.

§. 12. Die Reinigung geschieht in der Reihenfolge, und zwar den vom Vorstand zu bestimmenden Nummern der Coje nach.

§. 13. Die Matrazen werden ebenfalls aus bestimmten Cojen jeden Morgen und abwechselnd aufs Verdeck gebracht und von ihren Eigenthümern ausgeklopft und gelüftet.

§. 14. Der Aus-und Eingang der Passagiere von Coje Nr. 1, 2, 3, 4, 11, 12, 13 und 14 geschieht durch die große Hinterluke; der der Bewohner der Cojen 5, 6, 7, 8, 9, 10, 15, 16, 17, 18, 19 und 20 durch die Vorderluke.

§. 15. Wer von den Passagieren vor dem Reinmachen nicht aufgestanden ist, muß liegen bleiben bis alles in Ordnung ist.

§. 16. Beschwerden jeder Art müssen dem Vorstand angezeigt werden, und wird dieser bemüht seyn solche zu beseitigen.

§. 17. Daß obige Paragraphen in allen ihren einzelnen Punkten befolgt werden, dafür wird der von den Mitreisenden gewählte Vorstand Sorge tragen.«

Ich habe die vorstehenden Statuten fast wörtlich nachgeschrieben und ihre Nutzbarkeit hat sich in den späteren Monaten auch vollständig bewährt.

So nöthig aber auch Ordnung und Reinlichkeit auf einem Schiffe sind, so verlangen die Passagiere doch gewöhnlich noch mehr als diese, und Leute die noch nie eine Seereise gemacht haben, und vielleicht gar mit dem Gedanken an Bord kommen, hier dieselben Bequemlichkeiten zu finden wie auf dem festen Land, müssen sich denn wohl, wie das auch kaum anders geschehen kann, sehr in ihren Erwartungen getäuscht finden.

Sonderbar oder vielmehr eigenthümlich ist es dabei, daß gerade solche, die es in der Heimath am schlechtesten hatten, die den meisten Entbehrungen ausgesetzt waren und sich kaum so gute und regelmäßige Kost, bei harter Arbeit, verschaffen konnten, wie sie es jetzt auf dem Schiff bekamen, es auch stets zuerst sind die unzufrieden über Essen und Trinken werden, während gerade die Verwöhntesten, die gleich mit der Voraussicht von vielen Entbehrungen an Bord gingen, es auch meistens am ruhigsten und geduldigsten ertragen, und es eher unter ihrer Würde halten über solche kleine Unbequemlichkeiten, die nun doch einmal mitgemacht werden müssen, ein Wort zu verlieren.

Unser Schiff hatte hierin noch einen besonderen Nachtheil. Auf kurzen Reisen, wie nach den Vereinigten Staaten, oder selbst nach Rio de Janeiro, wo der längste Termin der Fahrt, wenn nicht ein besonderer Unglücksfall eintreten sollte, zwei Monat seyn kann, läßt Mancher schon eher fünfe gerade seyn, und wenn er erst anfängt irgend einen Uebelstand zu fühlen, so ist dann auch schon ein so bedeutender Theil der Reise zurückgelegt, daß sie es kaum noch der Mühe werth glauben eine Aenderung zu verlangen. Unsere Fahrt mußte dagegen, selbst im günstigsten Fall schon fünf Monate dauern, ja es konnten sechs und sieben daraus werden, und wo andere Reisende es bald überstanden wußten, da begannen es die Unsrigen erst recht zu fühlen und schlugen Lärm. Hierzu kam noch daß wir Deutschland gerade in der bewegtesten Zeit verlassen hatten und Volksversammlungen so zu sagen ein »dringendes Bedürfniß« geworden waren; die Folgen blieben deßhalb nicht aus.

Unzufriedenheit murrte gar bald an Bord des Talisman – im Zwischendecke wie in der Cajüte, und besonders klagte das erste, und zwar nicht ohne Grund, über ungenießbares, oder wenigstens allzu zähes und altes Fleisch, wie – allerdings ohne Grund, über Beschränkung des ihnen versprochenen Raumes.

In der Cajüte waren ebenfalls viele Unzufriedene, gegen die Kost sowohl, wie gegen die Schlafbehälter der neueingerichteten oder besser gesagt oktroyirten Cajüte, die eine zweite, unter Deck gelegene Abtheilung der eigentlichen über Deck gelegenen aber kleinen Cajüte bildete, und in der That etwas viel Personen, besonders für einen Aufenthalt unter der heißen Zone faßte.

Hierzu waren den Leuten in Bremen so günstige Versprechungen gemacht, daß sie bei so niederem Fahrpreis, selbst nicht mit dem besten Willen gehalten werden konnten, sollte der Rheder nicht augenscheinlichen Schaden dabei haben. Der Passagepreis war nämlich 200 Rthlr. Gold Cajüte, und 125 Rthlr. Gold Zwischendeck, mit Beköstigung für eine Reise, auf die man recht gut durchschnittlich ein halbes Jahr rechnen konnte.

Viele der Passagiere schienen dabei den festen, unerschütterten Glauben zu haben, daß der Passagepreis unter jeder Bedingung auch wieder heraus gegessen werden müsse, auf die Passage selber rechneten sie gar nichts.

Das Alles gab die Ursache mancher fatalen Scene an Bord, Volksversammlungen wurden gehalten und Präsidenten erwählt, Commissionen ernannt und Adressen entworfen, und die Regierung wäre jedenfalls durch die sehr große Majorität abgesetzt worden, hätte man nur eben, wenn auch nicht eine bessere, das wäre das wenigste gewesen, aber nur eine andere gehabt.

Der einzige Trost war noch die hoffentlich baldige Ankunft in Rio de Janeiro, denn dort sollte einer bedeutenden Anzahl von Uebelständen abgeholfen oder was nicht zu heben war, doch wenigstens gebessert werden.

Unsere Reise selbst bot wenig Merkwürdiges; am 13. April kamen wir in Sicht der schroffen, kahlen, baumlosen Berge der capverdischen Inseln – es war San Nicholas – am nächsten Morgen fuhren wir, gerade mit Sonnenaufgang und bei herrlicher Beleuchtung der massenhaften Lavaabhänge, an dem gewaltigen und hohen Vulkan der Insel Fogo vorüber. Es ist ein kahler, kolossaler Kegel, ohne die mindeste, von dort aus wenigstens sichtbare Vegetation; nur eine einzige menschliche Wohnung erkannten wir am Fuße des Berges.

Wir näherten uns jetzt scharf dem Aequator, und am Sonntag, den 15. April, kam auch schon die Anmeldung des unausweichlichen Neptun, und zwar durch seine eigene Gemahlin Amphitrite, die mit einem Begleiter – »Neptuns sein Barbier,« wie ihm auf dem Rücken stand, zu uns an Bord stieg.

Sie frugen bei dem Capitän, nach üblicher Sitte, an, wann Neptun selber erscheinen dürfe, seinen Tribut einzufordern, und wurden auf den nächsten Sonntag, an dem wir uns der Linie ziemlich nah befinden mußten, beschieden.

Ich habe mehre Schweinefische – tüchtige Burschen von circa 200 Pfund Gewicht harpunirt, leider aber waren wir bis jetzt noch nicht glücklich genug, auch nur einen einzigen von diesen an Bord zu bekommen – die meisten rissen, wenn wir sie fast schon sicher zu haben glaubten, von der Harpune aus und schlugen in See zurück, und bei einem brach sogar eine starke eiserne Harpune ab.

Das Harpuniren dieser Fische ist übrigens schon an sich selber eine höchst interessante Jagd. Der Schweinefisch (wahrscheinlich der sogenannte Delphin der Alten, da ein wirklicher Delphin nie groß genug gefunden wäre, den Arion an’s Land zu tragen, und diese »Springer« auch der Beschreibung eher entsprechen) durchstreift, besonders bei frischer Brise, wenn das Schiff rasch durch’s Wasser geht, die See in zahlreichen Schaaren. Die Fische springen dann vorzüglich gern dicht vor dem Buge her und spielen in den schäumenden, hochaufspritzenden Wellen, denen sie sich oft, mit dem ganzen Körper über Wasser, vorausschnellen. Der Harpunirende aber steht vorn – ebenfalls vor dem Bug des Fahrzeugs, in den Ketten des Stampfholzes, unter dem vorstehenden Klüverbaum und wartet bis ihm einer der lebendigen, herüber und hinüberschießenden Schaar zum sicheren Wurfe kommt. Unter dem Bugspriet muß dabei ein Block festgemacht seyn, in welchem das an die Harpune geschlagene Tau läuft. An diesem Tau stehen an Bord Leute, des Rufs gewärtig, und sobald der Fisch die Harpune hat, ziehen sie in möglichster Schnelle denselben über Wasser, damit die Fluth, gegen die er jetzt angerissen wird, das Gewicht nicht noch vermehrt, das die schwache Harpune überdieß schon zu halten hat. Zu gleicher Zeit muß ein Matrose draußen ebenfalls eine Schlinge bereit halten, sie dem Gefangenen, sowie er ihn nur erreichen kann, um den Schwanz zu werfen. Dieser aber schlägt dabei aus Leibeskräften um sich, und müht sich unausgesetzt – durch sein bedeutendes Gewicht höchst nachdrücklich unterstützt – wieder loszukommen.

Es läßt sich denken, daß es dadurch mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist, einen solchen gewaltigen Fisch an Bord zu holen, und wir haben fünf auf diese Art schon förmlich verloren.

Das Fleisch des Schweinefisches ist ziemlich gut und es lassen sich besonders vortreffliche sogenannte Beefsteaks davon bereiten. Das Harpuniren ist, obgleich der Fisch im vollen Sprung getroffen seyn will, keineswegs sehr schwierig, doch gehört eine sichere Hand und etwas Uebung dazu.

Mitten zwischen dem Jubel und Lärm der Passagiere ging aber in der nämlichen Zeit ein Mann herum, der sich um Alles das nicht kümmerte, die Stellen vermied, wo lustige Leute beisammen waren, und stets still und abgeschieden finster brütend und mit seinen eigenen, jedenfalls traurigen Gedanken beschäftigt, an irgend einem einsamen Plätzchen saß, wo er das auch immer aufsuchen mußte.

Der Mann hatte das Heimweh. – Mir war er wohl schon lange aufgefallen, aber ich glaubte immer, er leide vielleicht noch an den Folgen der Seekrankheit, von der er sehr mitgenommen worden; eines Tages aber kam er mit thränenden Augen zu mir, und bat mich, ich möchte doch um Gottes Willen den Capitän dahin zu bewegen suchen, daß er ihn mit dem nächsten Schiff, was uns begegne, zurück nach Deutschland schicke. – Er habe leichtsinnig gehandelt – er habe eine Frau und drei Kinder daheim zurückgelassen, während ihm jetzt die Erinnerung an sie das Herz zerreiße und er blutige Thränen weinen möchte, wenn er an den Abschied von den Seinen dächte, wo ihm die Kleinen um den Hals fielen und ihn baten, daß er nicht von ihnen gehen möchte. – Er sähe jetzt ein daß er unrecht, daß er unverantwortlich gehandelt habe, und sey auch sein kleines Capital, was er auf die Reise gewandt, nun verloren, so wolle er doch lieber den letzten Pfennig daran wenden, wieder zurückzukommen und dann im Vaterland, bei den Seinen Tag und Nacht arbeiten, das Verlorene wieder einzubringen.

Als sich dem Mann erst einmal der starre Schmerz gelöst, als er Worte gefunden hatte, gerieth er fast außer sich und die Thränen stürzten ihm die bleich gehärmten Wangen nieder. Ich that allerdings Alles, was in meinen Kräften stand, ihn zu trösten, was aber konnte ich ihm als Trost sagen. Ein Schiff zu finden das ihn zurücknähme, darauf durfte er gar nicht rechnen, denn wenn wir wirklich eines trafen, wie das auch später geschah, so hätte ihn das gar nicht so ohne weiteres aufnehmen dürfen, und Alles was ich ihm rathen konnte war, sich den Schritt den er gethan, noch einmal recht zu überlegen und dann, wenn wir nach Rio kämen entweder alle trüben Gedanken bei Seite zu werfen und in das Leben das er sich jetzt einmal gewählt, mit beiden Füßen zugleich hineinzuspringen, oder – wenn er fühle daß er Unrecht gehandelt habe und den Schritt bereue, oder auch nicht im Stande sey die Trennung zu ertragen, von Rio de Janeiro aus, wo er fast jeden Tag Gelegenheit habe, wieder heimzukehren in die Arme der Seinen.

Der Mann beruhigte sich endlich; als wir einige Tage später ein Schiff trafen, erwähnte er nichts weiter von seiner früheren Absicht und noch vor Rio antwortete er mir auf meine Frage danach, daß er sich entschlossen habe seinen Plan durchzuführen und nach Californien zu gehen. Als er aber später in Rio de Janeiro die heimwärts bestimmten Schiffe sah, und gar Menschen sprach die sich darauf freuten nun bald wieder zu Hause bei den Ihrigen zu seyn, da mochte das Heimweh wohl wieder mit der alten gewaltigen Kraft ausgebrochen seyn und alle seine anderen Entschlüsse über den Haufen geworfen haben. Er nahm seine Sachen vom Bord des Talisman und ging als Passagier an Bord des dorthin bestimmten Schiffes, nach Bremen zurück.

Wir befanden uns jetzt ziemlich unter der Linie und kamen auch unter die hier fast unvermeidliche Windstille; die Hitze hatte ich mir aber viel schlimmer gedacht, denn bei einem kaum bemerkbaren Luftzug war sie ganz erträglich, und selbst ohne diesen kaum drückend. Am heißesten Tag hatten wir im Schatten 27° Réaumur.

Eines der vielen Seemährchen ist es, daß die Schiffe bei Windstille unter dem Aequator alle halbe Stunden oder alle Stunden mit Wasser begossen werden müssen, wenn sie nicht springen sollten; unsere Decks wurden nur Morgens wie gewöhnlich gewaschen, Regenschauer sind übrigens hier gewöhnlich häufig und besonders in der Nacht störend, wo die Schläfer an Deck fast jede Nacht durch einen Guß geweckt und in ihre dunstigen Cojen mit den nassen Betten hinabgeschickt wurden. Denen, welche die Linie passiren und die Nacht gern, trotz des Regens, an Deck schlafen wollen, will ich übrigens ein Mittel nennen, wie sie auch, trotz eines recht tüchtigen Regengusses, in der freien Luft trocken ihren Platz behaupten können. Sie müssen vor allen Dingen eine Hängematte haben und mögen diese nun aufspannen wo sie wollen, darüber hin aber, und zwar von oben nach unten ziehen sie ein schwaches Tau, und über dieses hängen sie ihre wollene Decke, oder noch besser, ein großes Stück getheerter Leinwand, das sie nur bei heftigem Winde gegen die Wand hin zusammenbinden müssen, und der stärkste Regenschauer kann ihnen nichts anhaben. Während die anderen mit ihren nassen Decken und Matrazen in Cajüte und Zwischendeck hinunterrutschen und taumeln, liegen sie kühl und trocken unter ihrem Regendach. Die Schädlichkeit der Mondstrahlen unter dem Aequator haben wir auch noch nicht empfunden; ich schlafe jetzt schon seit dem 45° nördlicher Breite im Freien, – und ein großer Theil der Passagiere mit mir, seit wir unter der heißen Zone sind, – und noch befinden wir uns, hie und da ein kleines Unwohlseyn abgerechnet, vollkommen gesund.

Sonntag den 22. April, ziemlich unter dem Aequator, kam der schon vorher angemeldete Neptun mit Frau Gemahlin und »Barbier;« er wurde vom Capitän freundlich empfangen. Der Gott, der übrigens beiläufig gesagt ein wenig »ruppig« aussah, sprach sich mit dem Capitän in der englischen Sprache – ihm wahrscheinlich die geläufigste – zuerst aus, und wandte sich dann an die, ihn etwas ängstlich gespannt umstehenden Passagiere.

Die ganze Ceremonie ist bekannt genug und kann hier füglich unbeschrieben bleiben, das Ganze ist auch auf Passagierschiffen nur ein harmloser Scherz, von dem sich keiner der Passagiere – wenn er nicht wirklich krank ist – ausschließen kann, also deßhalb auch gar keinen solchen Versuch machen sollte. Man wird einfach mit einem Eimer Seewasser – ein ganz angenehmes Gefühl in der Hitze – begossen, und läßt sich von der Seeseife, die in schwarzer Farbe besteht, durch das Unterzeichnen eines freiwilligen Beitrags, der auf unserem Schiffe von zwei Dollar bis 1/3 Dollar nieder lief, freisprechen.

Mit der tropischen Taufe erhob sich aber auch eine recht frische Brise und am Nachmittag kamen wir in Sicht eines Segels. Es war die englische Fregatte Agincourt, Capitän Risbett, jetzt zum Packetschiff zwischen Calcutta und London benutzt, die dicht an uns heransegelte und zu unser aller Freude, ein Boot an Bord sandte. Glücklich alle die, welche für solchen Fall Briefe in die Heimath vorbereitet hatten. Der Agincourt war am 27. Januar von Calcutta aus gesegelt, und kam mit dem Südostpassat in sieben Tagen von Helena. An Bord hatte er viele deutsche Passagiere vom Cap der guten Hoffnung, und diese ließen uns durch den Secondelieutenant, einen liebenswürdigen jungen Mann, der zu uns an Bord kam, um deutsche Zeitungen bitten. Capitän Meyer sandte ihnen ein ganzes Packet und ich hätte nur dabei seyn mögen, wie sie bei der Rückkunft des Bootes darüber herfielen.

Am 25. fingen wir, trotz der langen vorhergegangenen Windstille, in der sich Haifische doch sonst so gern zeigen, den ersten Hai – es war ein Bursch von circa 5 Fuß Länge und so gierig, daß er, obgleich er einmal schon halb aus dem Wasser vom Haken wieder abfiel, doch ungesäumt und förmlich wüthend zu ihm zurückkehrte, ihn einschlang und nun unter Jubelgeschrei an Bord gezogen wurde, wo er nicht wenig um sich her schlug und die Neugierigen bald in ehrfurchtsvolle Ferne zurückwies. Am Abend ließ ich seinen Schwanz, den besten Theil des Fisches, braten – das Fleisch war delicat und schmeckte besonders gut kalt mit Essig und Pfeffer.

Unter dem zweiten Grad südlicher Breite trafen wir den vollen Südostpassat, der uns jetzt mit schwellenden Segeln der brasilianischen Küste entgegenführt.

Erst in der Breite von Cap Frio, unfern der brasilianischen Küste sollte unser monotones Leben in etwas unterbrochen werden. Ein sehr heftiger Pampero nämlich – ein Sturm auf den ich schon später näher zu sprechen kommen werde, und der hauptsächlich am La Plata wüthet, hatte seine gewöhnlichen Grenzen einmal ein wenig ausgedehnt, und wehte hier eben noch mit so fürchterlicher Kraft, daß mehre Schiffe an der Küste verunglückt seyn sollen und ein portugiesisches Kriegsschiff, dicht vor dem Hafen von Rio de Janeiro, alle drei Masten verlor. Wir bekamen tüchtig eins »auf die Mütze«, und arbeiteten mehren Tage unter dicht gereeften Marssegeln gegen den Sturm an. Außerdem übrigens, daß wir ein wenig umhergeworfen und aufgehalten und viele der Passagiere wieder seekrank wurden, hatten wir weiter keine bösen Folgen zu tragen.

Am 11. Mai sahen wir Morgens, nachdem wir in der Nacht vergebens nach dem für dort angegebenen Leuchtfeuer ausgeschaut, Cap Frio und liefen von hier aus, die pittoresken Küstengebirge Brasiliens fortwährend in Sicht, südwärts, dem Hafen von Rio de Janeiro entgegen. Der Wind war dabei günstig, und die Küstenberge sind so hervorragend und scharf abgezeichnet, daß ein Vorbeilaufen des Hafens, noch dazu bei klarem Wetter, kaum vorkommen kann, dennoch machte es Capitän Meyer, trotz der zeitigen Warnung des alten Steuermanns Schnell möglich. Noch vor Dunkelwerden war ich mit dem Capitän oben auf der Vor-Mars-Raae, und er zeigte mir von dort aus eine vor uns liegende kleine Insel, die er mir als den Hafen von Rio gerade gegenüber beschrieb. Als wir aber Abends, gerade nach Dunkelwerden, beim Thee saßen, kam der Steuermann herein und berichtete, daß eben dwars über zu starbord das Feuer von Raza, das gleich unter dem Eingang des Hafens brennt, sichtbar würde, und unser Capitän sprang etwas bestürzt nach oben.

Es war in der That so; wir gingen zwar augenblicklich mit dem Schiff herum, Strömung und Wind aber gegen uns, hatten wir den günstigen Augenblick schon verpaßt, und mußten nun noch bis zum nächsten Abend, also volle vier und zwanzig Stunden aufkreuzen, in den Hafen endlich einzulaufen.

Am 12. Mai Nachmittags hatten wir das ganze prachtvolle Panorama, das den schönsten Hafen der Welt umschließt, vor uns, und schon konnten wir den »Zuckerhut«, der als treffliche Landmarke das linke Ufer des Eingangs bildet, unterscheiden. Je mehr wir uns dem Lande näherten, desto deutlicher traten die einzelnen Gruppen, endlich die Umrisse der Vegetation und zuletzt sogar das so lang entbehrte, lebende Grün der Bergrücken und Wälder, aus denen hochstämmige Palmen aufragten, hervor; an den beiden kleinen Inseln Paya und Maya (Vater und Mutter) segelten wir dicht vorüber, und erreichten gerade nach Sonnenuntergang den Platz von dem wir, wäre es hell gewesen, alles hätten überschauen können, was das Auge in dieser neuen Welt überrascht und entzückt.

Unter den Tropen folgt aber dem Sonnenuntergang auch fast augenblickliche Nacht, und als wir vom Fort Santa Cruz angerufen oder vielmehr angebrüllt wurden (denn die Stimme klang als ob sie aus der Unterwelt käme), lag schon tiefe Nacht auf dem Meere, und nur unzählige Lichter verriethen die Nähe einer volkreichen Stadt, eines belebten Hafens.

Nachdem sich unser Cargadeur, welcher der portugiesischen Sprache mächtig war, eine Zeitlang mit dem Befehlshaber des Forts in solchen »unintelligible roars« wie sie Boz so treffend nennt, unterhalten, und keiner vom andern, wie ich fest überzeugt bin, ein Wort verstanden hatte, glitt unser Fahrzeug an vielen andern dort vor Anker liegenden dicht vorüber, wobei wir eines der Schiffe so dicht passirten, daß man eine Mütze hätte an dessen Bord werfen können. Wenige herüber und hinüber gerufene Worte sagten uns, daß es ein Landsmann sey – die Hamburger Brigg Merk oder Merks, Capitän Valentin, und ein donnerndes Hurrah begrüßte die Landsleute. Gleich darauf ließen auch wir den Anker fallen.

Es war bis dahin an Bord die Befürchtung ausgesprochen, daß die Passagiere der fremden Schiffe ohne einen vom brasilianischen Consul in Deutschland visirten Paß zu haben, nicht würden ans Land gelassen werden; glücklicherweise zeigte sich das aber anders, denn als am nächsten Morgen das sogenannte Visitenboot zu uns an Bord kam, wurde uns bald die summarische Erlaubniß zu Theil, so rasch und so zahlreich an Land zu fahren, wie wir nur wollten. Man kann sich denken, daß wir schnell genug davon Gebrauch machten, und es dauerte nicht lange, so ruderten wir (am 13. Mai Morgens), im herrlichsten Sonnenlicht, dem freundlichen Ufer entgegen. »Brasilien ist nicht weit von hier,« sangen einige, und alle freuten sich der prachtvollen Natur, die uns umgab.

Der Hafen von Rio de Janeiro ist übrigens schon zu oft beschrieben, als daß ich noch einmal etwas versuchen sollte, was eigentlich doch unmöglich ist – diese Naturschönheiten – die stille Bay, die am Ufer bald zerstreuten, bald zu Massen zusammengedrängten Gebäude, die hohen, bald schroffen, bald mit der herrlichsten Vegetation bedeckten Hügel und Gebirge, die zahlreichen Schiffe und Boote, die Flaggen aller Länder und Welttheile, die Forts und Bastionen mit ihren Kirchen und Kanonen – das alles läßt sich wohl schildern und ausmalen, aber dem Leser einen wirklichen Begriff, ein treues Bild davon zu geben, das, glaub ich, ist rein unmöglich.

2. Rio de Janeiro.

Inhaltsverzeichnis

Die Stadt selber, – und mit wie Manchem auf der weiten Gottes Welt geht es nicht ebenso – verliert indessen gewaltig, wenn man erst ihre nähere Bekanntschaft macht. Die Straßen sind, mit wenigen Ausnahmen, eng und schmutzig, und die Masse der Sklaven, mit ihren unzähligen farbigen Abstufungen, die dem Auge überall in den Weg tritt, macht einen zu widerlichen Eindruck auf den Europäer, ihn, in dem scharfen Kontrast nicht selbst die herrliche Natur – der man übrigens in den schmalen Straßen auch fast entrückt ist – vergessen zu machen.

Im Hafen von Rio de Janeiro lagen Massen von Fahrzeugen; so stark ich aber auch die schon begonnene Auswanderung nach Californien vermuthet haben mochte, so hatte ich doch nie geglaubt, daß eine solche Anzahl von Schiffen dahin bestimmt seyn könnte, wie sie schon, mit Passagieren, diesen Port berührt hat, und noch, fast jeden Tag, berührt. Besonders viel amerikanische Schiffe lagen im Hafen von Rio, und die Bewohner der Stadt sind so daran gewöhnt, in jedem Fremden einen kalifornischen Candidaten zu finden, daß vorzüglich die Neger ohne Unterschied schon von weitem jedem etwas fremdartig aussehenden Mann ihr »Californier« entgegenrufen – und sie begehen selten einen Irrthum.

Wo wir gingen und standen tönte uns der Ruf: »oho Californier!« nach, und besonderen Spaß machte mir Einer unserer Mitpassagiere, der fest überzeugt war, ganz in die Landestracht – weiße Beinkleider und dunklen Frack gekleidet zu seyn, und dieß Beiwort nur einzig und allein auf seinen, durch das Seewasser etwas mitgenommenen Hut bezog. Er beschloß also sich jedenfalls einen neuen, ächt brasilianischen zu kaufen und verließ uns auch bald darauf in dieser löblichen Absicht. Den Hut kaufte er allerdings, und noch dazu in guter Qualität, – wer beschreibt aber sein Entsetzen, als er kaum um die nächste Ecke schon wieder mit dem fürchterlichen Wort – »oho Californier!« begrüßt wurde. Unser Kamerad hat die Neger, von denen dieser Zuruf besonders ausgeht, für eine »barbarische Nation« erklärt, die ihre Sklavenfesseln im reichsten Maße verdient.

An demselben Tage war ein »Stiergefecht« mit noch einer Menge anderer Anpreisungen und Versprechungen angekündigt, und da ich hörte daß diese Art Vergnügungen hier nach und nach mehr in Verfall käme und überhaupt nicht so oft stattfände, so beschloß ich es jedenfalls zu besuchen. Ein Stiergefecht in Brasilien hatte überhaupt an sich schon eine eigene Anziehungskraft, und in höchst gespannter Erwartung ging ich mit einigen befreundeten Passagieren des Talisman dem angegebenen Orte, wo der Kampf stattfinden sollte, entgegen.

Wir fanden eine ziemlich geräumige Arena, ringsum Logen und vor diesen freie Bänke, alles übrigens von rohem Holze und eben genug mit weißer Wasserfarbe bestrichen, um Beinkleider und Röcke zu beschmutzen. An den sich gegenüberliegenden Stellen der Arena waren große viereckige Pappscheiben mit grob gemalten Figuren aufgestellt, hinter die sich, wie ich später fand, die Stierkämpfer im Fall der Noth retirirten und rings an der Einfassung liefen gleichfalls breite Latten hin, auf welche die verfolgten »Streiter« hinaufspringen konnten. Ein paar ziemlich fade Hanswurste durften auch hier nicht fehlen; der eine war, wie es in Nordamerika gewöhnlich Sitte ist, schwarz gemalt, und führte in den Pausen komische Negertänze aus; der andere schien nur an sich selber den meisten Gefallen zu haben, wenigstens lachte niemand anderes über ihn.

Die Hauptfiguren der Arena waren zwei Personen; ein Spanier der die ganze Anordnung des Schauspiels zu leiten schien, ein bildschöner junger Mann in altspanischer Tracht auf kleinem, feurigem Roß, und neben diesem ein anderer Reiter, der jedoch eher einem preußischen Kürassier aus dem dreißigjährigen Kriege, als einem spanischen Stierkämpfer glich. Er trug einen dreieckigen Hut und langen Pallasch an der Seite, hatte aber eine so fabelhafte Aehnlichkeit mit Napoleon (d. h. dem wirklichen) daß es uns Allen zugleich auffiel.

Dieser war der Hauptgegner des gehetzten Thieres, und erntete auch den meisten Beifall.

Außer den Fußkämpfern, die, wie unsere Bauerjungen in gelbe Hosen und rothe Westen gekleidet gingen, stolzirte noch eine Persönlichkeit in der Arena umher, welche um so mehr die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zog, da sie auf dem Zettel ganz besonders, und noch dazu mit großen Buchstaben angekündigt und der Menge also förmlich versprochen war. In dieser Person kann ich dem Leser aber Niemand Geringeres als el Diabo, den Teufel selber, vorführen, der in seine Lieblingsfarben, gelb und roth, gekleidet, mit langen Hörnern und längerem hintennachschleifendem Schweif die Stiere, ganz herausfordernd zu erwarten schien, sich aber, als später das Zeichen gegeben wurde, bescheidener als man es hätte glauben sollen, auf die Barriere zurückzog, und hier ebenfalls einen »stillen Beobachter« abgab.

Der spanische Ritter gab endlich das Zeichen zum Beginne, – ein Neger öffnete von innen das eine Thor und zog sich blitzesschnell auf seinen Stand zurück. Seine Eile schien übrigens ziemlich unnöthig gewesen zu seyn, denn der erste Bulle der in dem Eingang bald darauf erschien, sah harmlos genug aus, schaute sich zuerst einen Augenblick ganz erstaunt um – denn er hatte wohl kaum erwartet hier so zahlreiche Gesellschaft zu finden – und suchte dann, so rasch ihn seine Füße trugen, das gegenüberliegende Thor.

Damit schien aber dem Publikum keineswegs gedient; wildes Pfeifen und Trommeln begrüßte das arme friedliche Thier von allen Seiten, und ein paar Männer sprangen in die Arena und mit rothen Tüchern darauf zu und suchten es zu reizen und anzufeuern. Im Anfang wollte ihnen das aber nicht gelingen, der Bulle schien fest entschlossen gar nichts übel zu nehmen, und leistete nur einen höchst lobenswerthen passiven Widerstand. Nur erst als Napoleon mit einer Holzlanze auf ihn zusprengte, ihm diese in den Nacken stieß und einen mit flatterndem Papier umhüllten Stachel darin zurückließ, verließ ihn seine gute Laune etwas und er machte einige schwache Angriffe.

Es mag sonst in jeder Hinsicht ein höchst schätzbares Thier gewesen seyn, zur Arena eignete es sich aber nicht, und als ihm endlich zum Abgang das Thor wieder geöffnet wurde, folgte ihm ein solches Zischen und Pfeifen, wie ich es selbst bei der ersten und einzigen Aufführung eines Oettinger’schen Lustspieles in Leipzig nicht gehört hatte – es fehlten ihm nur die faulen Orangen um ihn vollständig zu demüthigen.

Der zweite Bulle »war eine Kuh,« aber ein kleines munteres, keckes Ding, das sich dem ersten, der sich ihm in der Arena zeigte, mit trotzigem Muthe entgegenwarf und, ganz das Gegentheil von seinem stillen Vorgänger, förmlich auf Krakeel auszugehen schien.

Hier muß ich übrigens bemerken, daß der brasilianische Stierkampf keineswegs wie der altspanische, auf Tod und Blutvergießen hinausläuft – den Stieren sind deßhalb auch die Hörner mit großen hölzernen Futteralen und Knöpfen bedeckt, so daß sie weder Roß noch Reiter verwunden können; aus gegenseitiger und nicht mehr als billiger Höflichkeit wird dann aber auch das Thier zum Schluß nicht von dem Matador abgestochen, sondern einfach hinausgejagt, oder, soll das Vergnügen noch größer seyn, eingefangen und hinausgeworfen.

Unsere Kuh hatte indessen schon einige der papierrauschenden Stacheln eingesetzt bekommen, und Napoleon sprengte ihr jetzt entgegen, den Kampf zu vollenden, fand aber hier einen weit gewandteren und schnelleren Gegner als an dem vorigen Kopfhänger, und eine einzige ungeschickte oder ängstliche Bewegung des Pferdes brachte dieses so weit in den Bereich seines gehörnten Feindes, daß es ihm mit dem raschen Seitensprung nicht mehr entgehen konnte. Die Kuh faßte es unter dem Bauch und würde ihm diesen, wären ihre Hörner in ihrem natürlichen Zustand gewesen, aufgeschlitzt haben, so aber fanden die stumpfen Kuppen, in allem Grimm und Kampfesmuth vorwärts gestoßen, einen zu harten Widerstand, und das rechte Horn des armen Thieres brach dicht über dem Kopfe weg, so daß nur der blutende innere Stumpf stehen blieb; mit diesem kämpfte sie aber noch unverdrossen, uneingeschüchtert fort, und bot den stets neu auf sie einstürmenden, doch nie Stand haltenden Angreifern trotzig die blutige Stirn. Es war ein widerlicher Anblick, und ich freute mich als man das arme Thier endlich erlöste, damit es einem anderen, kräftigeren, Bahn machen konnte.

Eine Zwischenpause folgte hier, die wieder mit einigen höchst matten Tänzen des Bemalten ausgefüllt wurde, bis endlich der dritte Stier erschien. Es war dieß ein junger, feuriger, schwarzer Bursche, mit hohem Hocker auf den Schultern und ein paar düster und wild blickenden Augen. Er strafte auch sein muthiges Aussehen keineswegs Lügen, und hielt sich tapfer genug, das ganze Necken und Verfolgen blieb aber doch immer dasselbe und wurde schon langweilig, als einer der Fußkämpfer dem Gefecht eine ganz unerwartete Wendung gab. Er stellte sich nämlich dem Stier mit eben den papierumhüllten Stacheln, wie das früher geschehen war, entgegen, anstatt diese aber dem Thier an den Hals zu werfen, und darin rasch zur Seite zu springen, begegnete er muthig dem Angriff, umfaßte das gegen ihn anstürmende niedergebogene Haupt des Feindes mit den Armen, und suchte es durch sein Gewicht niederzudrücken. Seine Kameraden eilten ihm natürlich gleich zur Hülfe und warfen sich ebenfalls auf den gemeinsamen Feind; dieser aber schleifte trotz allen Widerstandes den kühnen Gegner mit sich bis zur Einfassung der Arena und preßte ihn gegen diese mit aller Kraft seines schweren Körpers. Der Stierkämpfer wußte sich aber geschickt zwischen den Hörnern zu halten, und als nun der erste Anlauf vorüber war, gewannen die vier Kämpfer endlich die Ueberhand, und schleppten den sich machtlos sträubenden Stier, unter dem donnernden Beifallsruf der Menge, hinaus. Der Mann kam allerdings dießmal gut davon – d. h. er hinkte nur etwas und verließ bald darauf den Kampfplatz – wäre hier aber, wie vorher, dem Stier das Horn abgebrochen, so mußte er ihn rettungslos gegen die Bretterwand zerquetschen, es bleibt deßhalb jedenfalls ein etwas riskantes Handwerk.

Die Sonne war jetzt ihrem Untergange nahe und gleich danach bricht in den Tropen die Nacht ein; das Stiergefecht näherte sich also jedenfalls seinem Ende, und noch immer hatte der »Teufel« auch nicht den mindesten Antheil an dem Kampf genommen, sondern sich wirklich den Teufel um das Ganze gekümmert. Das einzige, was ihn vor den übrigen Zuschauern auszeichnete, war seine gelbe und rothe Tracht, und Hörner und Schwanz – die Sinnbilder Sr. höllischen Majestät. Damit war aber das lebendige brasilianische Publikum nicht zufrieden, einen Theil des auf dem Anschlagzettel Verzeichneten hatten sie nun gehabt, und jetzt verlangten sie auch den versprochenen Teufel.

»Oh Diabo – Diabo!« tönte es zuerst von einer, und gleich darauf im wilden stürmischen Chor, von allen Seiten – oh Diabo – Diabo! ohrengellendes Pfeifen, Stampfen, Trommeln und mit den Stöcken gegen die Bänke Schlagen – wildes Geschrei und Getobe – »oh Diabo, oh Diabo!«

Der Spanier sprengte dem Orte zu, wo Diabo noch immer in stiller Beschauung saß, dieser aber erwartete sein Kommen nicht, sondern tauchte lieber, sich unangenehmen Erörterungen zu entziehen, hinter die Bretterwand unter und verschwand. Damit aber war das jetzt einmal gereizte Publikum nicht zufriedengestellt; ob bei der Ankündigung des Teufels auf dem Zettel die Direktion beabsichtigt hatte, diesen eine aktive, oder nur rein passive Stellung einnehmen zu lassen; ferner, welche Ansicht der Teufel selber von der ganzen Sache hatte, blieb sich vollkommen gleich – der Lärm wurde immer toller – der Teufel sollte und mußte vor, und der Spanier sah sich so lange genöthigt, ab-und zuzureiten, bis Diabo endlich unter Gelächter und Pfeifen mißmuthig genug erschien, in die Arena langsam hinunterkletterte und auf den, indessen nur ärger gereizten Stier zuschlenderte.

Dieser gewahrte aber kaum die grellfarbige, abenteuerliche Gestalt, als er seinen anderen Feind ganz vernachlässigte und mit eingelegten Hörnern ohne weitere Warnung, blitzesschnell auf den nicht wenig Erschreckten zusprang. Der arme Teufel mußte jedenfalls eine Ahnung des ihm bevorstehenden Unfalls gehabt haben, er machte auch fast gar keinen Versuch, der drohenden Gefahr zu entgehen – im nächsten Moment hatte ihn der Stier auf die Hörner gefaßt, schleuderte ihn zu Boden, stürmte über ihn hin und wurde nur durch die anderen herbeieilenden Kämpfer daran verhindert, dem gestürzten Fürsten der Finsterniß weiteren Schaden zuzufügen. Der unglückliche Teufel ließ aber seinerseits Schwanz und Hörner hängen und schlich unter dem donnernden Hohn und Jubelruf der Menge, hinkend, und sich nur noch manchmal scheu nach dem wilden Gegner umschauend, zu seinem sicheren Sitz hinter der Barriere zurück.

Es war indessen ziemlich dunkel geworden, immer aber verlangte das aufgeregte Publikum nach längerem Kampf und neuen Anstrengungen des schon ermatteten Thieres, bis sich dieses endlich auf das entschiedenste weigerte, auch nur das mindeste weiter zum Vergnügen der nicht zufrieden zu stellenden Menge beizutragen. Es warf sich brüllend auf die Erde nieder, und als wir, der Quälerei satt, die Arena verließen, zerrten noch im Dunkeln fünf oder sechs Menschen an dem armen gequälten Geschöpf herum und suchten es vergebens wieder aufzustacheln.

Das war ein Sonntagsvergnügen der Brasilianer, an dem auch zahlreiche Damen Theil nahmen.

Am nächsten Abend besuchte ich das, dem heiligen Januarius geweihte Theater; das große und Haupttheater der Stadt steht gegenwärtig unbenutzt, dieß aber ist ein kleines, gemüthliches Gebäude mit zwei Rängen, und in der Mitte die dicht verhangene, kaiserliche Loge. Die Einrichtung ist übrigens ganz nach europäischer Art, nur daß in den Logen, schon des Klimas wegen, Rohrsessel stehen.

Eine Eigenthümlichkeit hat aber dieß brasilianische Theater, die einige von unseren Passagieren selber ein kleines Intermezzo spielen ließ.

Ich besuchte es mit drei Mitpassagieren des Talisman, zwei jungen Kaufleuten aus Bremen und einem unvermeidlichen Weinreisenden; als wir aber das Parterre betraten, richteten sich Aller Blicke nach uns, und ich fing mich schon an von oben bis unten zu betrachten, ob ich vielleicht irgend etwas Auffallendes, Ungewöhnliches an mir trage, das die Aufmerksamkeit des ganzen Publikums so plötzlich angezogen hätte. Ich konnte aber nichts Derartiges an mir, noch an meinen Begleitern entdecken, ebensowenig in der Nachbarschaft, denn wir alle Viere sahen uns gleichzeitig danach um, und setzten uns endlich ruhig auf die nächsten Bänke, in der Hoffnung nieder, das Publikum bald mit einem anderen Gegenstand als unseren werthen Personen beschäftigt zu sehen, als plötzlich ein ehrwürdig dreinschauender Logenschließer zu uns trat und sich – o wie freundlich die uns umgebenden Gesichter alle lächelten – an meine drei Begleiter wandte, denen er, da sie seine portugiesische Anrede ungemein passiv hinnahmen, durch Zeichen und mehrmaliges Antupfen kund that, daß sie mit ihren hellen Röcken hier wohl erschienen seyen, aber durchaus nicht bleiben könnten. Ich schaute mich jetzt um und sah wirklich, daß alle Männer ohne Ausnahme dunkle Ueberkleider trugen; die Gesticulationen des Alten wurden aber immer ungeduldiger und deutlicher, das Publikum in den Rängen freute sich ungemein, und die drei armen Teufel – ich selber trug ganz zufällig einen dunklen Rock – mußten, mit dem Weinreisenden an der Spitze – das Orchester spielte indessen immer fort – das Haus wieder verlassen.

Es wurden einzelne Akte aus Tragödien und Lustspielen gegeben; zwei davon hielt ich aus, aber es war nichts als Dialog, bei dem sich das Publikum ebenfalls zu langweilen schien. Alle Augenblick meldete der Bediente einen Fremden oder brachte einen Brief, der dann, regelmäßig vier Seiten haltend, laut vorgelesen wurde. Applaudiren hörte ich nur einem der Schauspieler, der sehr beliebt schien, und den sie dreimal hintereinander empfingen.

Am nächsten Morgen beschloß ich eine kleine Landpartie zu machen und ritt mit einigen Freunden zusammen hinaus ins Freie.

Die brasilianischen Pferde sind kleine, muntere, ausdauernde Thiere und gehen meistens, was ich wenigstens daran sah, Paß oder Galopp. Die auf dem Land wohnenden Pflanzer und Kaufleute aber, die Morgens in die Stadt kommen und Abends wieder hinausreiten, gebrauchen auch nicht selten Maulthiere – ebenfalls eine kleinere Race als ich sie in Nordamerika gefunden habe – und erreichen mit diesen ihr Ziel wohl nicht ganz so rasch, aber doch jedenfalls weit bequemer und sicherer. Die Umgegend von Rio ist wirklich paradiesisch – die stille Bai mit ihren zahlreichen Masten und lebendig hin-und wiederschießenden Booten – die niedlichen Gärten mit ihren Orangen, Bananen und Palmen, Kaffeebäumen und Blumenbüschen, die hohen pittoresken Berge und Felskuppen, die weit übereinander herüber schauen – die eigenthümliche Tracht und Farbe der Eingeborenen und Sklaven, die zu Markt ziehenden Neger, die Viehtreiber und Verkäufer, das Alles macht mit seinen wechselnden phantastischen Gestalten auf den Fremden einen eigenthümlichen, wohl kaum zu vergessenden Eindruck. Der Unterschied mit der Heimath ist zu auffallend; man fühlt, daß man in einem fremden, tropischen Lande ist, und jeder Schritt, jede Biegung der Straße, jede uns begegnende Persönlichkeit bringt dem mehr und mehr erregten Geiste, dem gierig umherschweifenden Auge Neues, Interessantes.

Leider konnte ich aber nicht lange in diesem schönen Lande verweilen, denn ein neuer, erst in den letzten Tagen an Bord flüchtig gefaßter Plan war mir so lieb geworden, daß ich beschloß, es koste was es wolle, ihn durchzuführen.