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Südamerika - ein Subkontinent zwischen drei Meeren, ist das Ziel einer fantastischen Rundreise durch vier Länder. Über Jahrtausende in Bewegung, prallen Gegensätze aufeinander und die erstaunlichsten Kulturen zwischen Lima, La Paz, Buenos Aires und Rio de Janeiro erwarten uns inmitten einer grandiosen Naturkulisse. Ein Abenteuer voller Überraschungen und bleibender Erinnerungen.
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Seitenzahl: 405
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Alexander von Humboldt
„Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung der Leute, welche die Welt nie angesehen haben!“
Reiseroute in Südamerika
Treffpunkt Lima
(Drei Wochen Rundreise durch Südamerika. Ein Subkontinent voller Überraschungen.)
Alle Sprachen schwappten durcheinander
Fahrt zum Flughafen
Ein Wetter übelster Sorte
Cuzco, die Stadt mit zwei Gesichter
Regenbogen über einer Märchenlandschaft
Ein Streckenabschnitt für Optimisten
Eiskugeln tanzten wie Gummibälle
Binsen, Urus und Legenden
Das Chaos musste sich selbst auflösen
Alte Indio-Frauen warteten auf Kundschaft
Lama-Embryos, getrocknet oder eingelegt
Die Stadt am Rio de la Plata
Ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann
Ich ritt eine weiße Stute mit braunem Fleck
Gischt stieg auf und schwappte über uns hinweg
Die Show des Nasenbären
Vom Sambòdromo zum Zuckerhut
Vom Corcovado und Caipirinhas auf der Copacabana
Die Stones in Rio und Brigitte Bardot in Buzios
Kappadokien (Türkeireise 2005 )
Die besondere Buchempfehlung
Buchgestaltung:
Peter Arndt
Foto
Peter Arndt
Wieder einmal ein total verkorkster Reisebeginn. Es war wirklich zum Verrückt werden. Eigentlich hätte alles gemütlich ablaufen können, ohne Stress und Hektik. Doch wie so oft im Leben, kam alles es mal wieder anders als mein vorgefertigter Ablaufplan.
Schon Wochen vor Antritt meiner Fernreise beschäftigte ich mich mit entsprechenden Vorbereitungen. Filmdosen wurden beschriftet, Batterien erneuert und Listen angelegt, in denen ich alles notierte, was ich mitzunehmen gedachte. So konnte ich nichts vergessen und erhielt dadurch einen lückenlosen Nachweis für meine Reisegebäckversicherung, falls die Koffer doch mal verschwinden sollten. Zum Glück war mir so etwas noch nicht passiert, was aber nicht hieß, dass solch ein Missgeschick doch mal eintreffen konnte.
Am Tag vor der Abreise lief ich dann zur Höchstform auf. Alles wurde nochmals gesichtet und überprüft. Die reisefertigen Koffer, bestückt mit den nötigen Informationsanhängern, standen abmarschbereit im Flur. Meine Reiseunterlagen, Flugscheine, Pass und Kreditkarten verstaute ich griffbereit im Handgepäck. Eingetauschte Dollarscheine und das vorerst benötigte Kleingeld für mein am kommenden Morgen benötigtes Taxi zum Flughafen, steckten einigermaßen diebstahlsicher in meiner robusten Gürteltasche. Zum Abschluss bestellte ich mein geordertes Taxi für 5 Uhr zur gewünschten Abfahrtsstelle am Hauseingang.
Mit mir und den durchdachten Vorbereitungen zufrieden, ging ich frühzeitig zu Bett. Um am kommenden Morgen noch in aller Ruhe ein Kaffee zu trinken, stellte ich den Wecker auf 4 Uhr. Jetzt konnte eigentlich nichts mehr schief gehen. In Gedanken weilte ich schon am anderen Ende der Welt in Südamerika, mein diesjähriges Reiseziel. Doch die Vorfreude vertrieb den Schlaf. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bevor mein aufgewiegelter Gedankenstrom sich dem Verlangen nach Schlaf beugte und ein ruheähnlicher Zustand eintrat. Mehrmals schreckte ich empor, sah rüber zum leuchtenden Radiowecker und versuchte umgehend wieder einzuschlafen, denn Mitternacht war erst fünf Minuten vorüber. Bis zur Weck-Zeit blieben mir noch vier, dann drei und bei der letztmaligen Zeit Erfassung nur noch zwei Stunden.
Und dann wurde ich unbarmherzig von unvorhergesehenen Umständen überrollt. Wieder eingeschlafen, wurde ich irgendwann munter und suchte die Uhr am Radiowecker. Was ich dort erblickte, trieb mich augenblicklich nach oben, denn sehen konnte ich dort nichts, absolut nichts, nur blinkende Pünktchen. Das konnte doch nicht wahr sein! Die Stromzufuhr wurde sicherlich in der Nacht unterbrochen, mit dem fatalen Ergebnis, das bei solchen Situationen alle Einstellungen auf meinem Radiowecker gelöscht wurden.
„Na fein, heute scheint ja alles bestens zu laufen.“
Bei diesen aufbauenden Gedankengängen fiel mein Blick auf den alten Metallwecker mit riesiger Glocke und gespreizten Füßen. Der stand im Bücherregal und schien über mein Missgeschick zu grinsen.
„Selber schuld! Warum hast du mich nicht benutzt? Blödsinn!
Mich abwendend ging mein entsetzter Blick zur Armbanduhr und brachte mein Kreislauf nun vollends auf Touren.
„Verfluchter Mist!“
Es war kurz vor fünf Uhr. Diese einstündige Nachtruheverlängerung war zwar kein Super Gau, konnte aber noch einer werden. Ärgerlich war es für mich auf jeden Fall. Der Taxifahrer müsste eigentlich jeden Moment hier aufkreuzen und klingeln.
So kam es dann auch. Etwas verlegen schilderte ich ihm meine Situation und bat um etwas Zeit für mich. Zum Glück hatte er nur noch diese eine Tour. Das Warten schien ihm nichts auszumachen, denn das musste ja auch bezahlt werden. Mein eingeplanter stressfreier Urlaubsbeginn war natürlich bei diesem Start völlig abhandengekommen. Eigentlich war ich nicht besonders Stressanfällig, doch heute begann mein innerer Gemütszustand zu kreiseln. Egal wie, den Abflug durfte ich auf gar keinen Fall verpassen. Ruhe stand ab sofort ganz oben auf dem Verbots Index. Mein gemütliches Frühstück wurde gänzlich gestrichen und meine Morgenwäsche mit allen anderen Zutaten, verkraftete ich im Eiltempo.
Eine halbe Stunde später als geplant, saß ich endlich im Taxi und atmete kräftig durch.
„Keine Bange, zeitmäßig schaffen wir das bis zum Flughafen Tegel. Wenn nichts weiter passiert, sind wir gegen sechs Uhr dort.“
„Na hoffentlich. Für heute bin ich überversorgt mit Missgeschicken, bitte keine neues Ungemach“, kommentierte ich seine Zusage, schon wieder etwas gelöster und konzentrierte mein Blick nach vorn auf die Fahrbahn.
Mit aufmunternder Geste versuchte der Fahrer weiter mein Gemütszustand zu beruhigen und fügte auf sich deutend hinzu: „Das hier ist meine letzte Fahrt. Auch ich möchte so schnell wie möglich nach Hause.“
Das sollte wohl heißen, ich fahre so schnell wie ich kann. Na ja, ich musste es so nehmen wie es kam. Trotz allem dort pünktlich anzukommen, war für mich im Moment das Wichtigste. Problemlos ordneten wir uns in die um diese Zeit noch lückenhafte Fahrzeugkolonne Richtung Flughafen ein.
Kurz vor 8 Uhr startete meine Maschine nach Madrid. Das war allerdings nur ein Zubringerflug, denn dort musste ich zum Langstreckenflug nach Lima umsteigen.
„Viel Spaß im Urlaub!“, rief mir mein Taxi –Fahrer in Tegel hinterher und brauste ab, Richtung „Feierabend“. Trotz halbstündiger Verspätung blieb mir noch genügend Zeit, in aller Ruhe einen Kaffee zu trinken. Das war auch nötig, nach diesem hektischen Aufbruch.
Langsam sank mein Adrenalinspiegel wieder auf Normalwert und mein Blick überflog den Check-In-Schalter auf der großen Anzeigetafel. Mein Flug war noch ohne Gate-Zuweisung, ich hatte also noch jede Menge Zeit zur Verfügung. Jetzt dürfte eigentlich nichts mehr schief laufen.
Zufrieden marschierte ich zu einer der im Hallenbereich eingebauten Sitzecken und postierte mein Gepäck unter dem Metall Gitter der Trennwand. Kaum hatte ich beide Koffer abgestellt und war beim überlegen, was ich jetzt machen könnte, da berührte jemand meine Schulter und ein sächsischer Dialekt ertönte hinter mir.
„Wenn ich nicht irre, kennen wir uns irgendwoher“, vernahm ich diese ungewöhnliche Feststellung. „Da bin ich vollkommen sicher.“
Neugierig drehte ich mich um. Und wer stand da vor mir? Der Herr Beier aus Dresden.
„Das gibt’s doch nicht! Natürlich kennen wir uns. Was machst du hier in Berlin? Fliegst du heute auch weg? Vor zwei Jahren waren wir beide doch auf einer Rundreise in Südafrika unterwegs. So etwas kann man doch gar nicht vergessen.“
„Ja natürlich. Jetzt ist mir alles klar.“
Beier ließ sein Gepäck nach unten gleiten, und fuhr fort:
„Trautmann war doch unser Reiseleiter und du bist der Arndt aus Berlin, hab ich recht?“
„Genauso ist es!“, fügte ich grinsend hinzu.
„Und wenn ich mich nicht irre, hatte damals ein Herr Beier den Flug verpasst, musste hinterher fahren und erreichte erst zwei Tage später die Reisegruppe.“
Jetzt musste ich nicht mehr überlegen, wie ich meine Zeit herumbringen konnte. Es gab so viel zu erzählen, zumal der Herr Beier schon dort war, wo ich hin wollte, auf eine große Südamerika-Rundreise.
Die Zeit verging wie im Fluge. Gemeinsam ging es weiter bis nach Madrid. Erst dort trennten sich unsere Wege. Herr Beier flog nach Ecuador, ein Besuch der Galapagos Inseln natürlich mit einbegriffen.
Eigentlich ein tolles Urlaubsziel – ging mir beim Abschied auf dem Madrider Flughafengelände durch den Kopf. Ob wir uns irgendwo auf der Welt mal wieder treffen würden? Ich wusste es nicht. War mir im Moment auch egal. Wir hatten ja beide unser Fernziel vor Augen.
Wenn das alles bloß nicht so weit weg wäre. Von Madrid aus lagen zwölf Flugstunden vor mir. Natürlich war es äußerst unangenehm, so lange in engen Sitzen eingequetscht ausharren zu müssen.
Ohne größere Bewegungsfreiheit blieb mir nur eine Möglichkeit, des Öfteren den von mir georderten Gangplatz zu verlassen, mehrmals mit anderen Fluggästen den Gang auf und ab zu marschieren, um den Blutkreislauf anzuregen und ansonsten darauf zu warten, endlich am Ziel anzukommen.
Etwa dreihundert Leidensgenossen schwebten heute mit mir über den Atlantik. Auf acht Sitzplätze pro Reihe verteilt, beschäftigte sich jeder mit etwas anderem. Reichlich Getränke, zweimal Essen, Computer-Spiele und eine große Auswahl Spielfilme, sorgten für Abwechslung. Bei der restlichen, dahinschleichenden Zeit, hatte man das Gefühl, eine Stunde dauerte dreimal so lange wie normal.
Doch auch dieser Flug fand am Ziel sein Ende und alle Strapazen verschwanden augenblicklich gegen 17 Uhr Ortszeit, beim Landen auf dem internationalen Airport von Lima. Der „Aeropuerto Internacional Jorge Chávez“, lag in der angrenzenden Hafenstadt Callao, 12 km nordwestlich von Lima, direkt am Pazifischen Ozean. Verbindungen zur Stadt bestanden nur per Bus oder Taxi.
Von einem Augenblick zum anderen war meine aufkommende Müdigkeit wie weggeblasen. In Deutschland war es immerhin jetzt Mitternacht. Sieben Stunden musste ich meine Uhr zurückstellen. Mein Handgepäck schnappend, folgte ich beim Verlassen der Maschine den Markierungsstreifen Richtung Ausgang und war neugierig auf alles, was mich hier erwartete.
Wie auf allen größeren Flughäfen der Welt bildeten sich lange Schlangen vor den stationären Passkontrollen. Doch viel schneller als angenommen, ging es voran. Schon eine viertel Stunde später verzierte ein Einreisestempel eine meiner Passseiten und ich durfte passieren. Den anderen zum Gepäckrückgabeband folgend, staunten wir nicht schlecht, denn dort wurden wir schon erwartet. Unser vom Personal überwachtes Gepäck stand dort abholbereit am Förderbandende. Erst wurden die Gepäckscheinnummern überprüft und erst dann die dazugehörenden Koffer herausgegeben. Diese Gepäckrückgabevariante sah ich zum ersten Mal. Kein Gedränge kein Geschiebe an den Bändern, alles ging schnell und problemlos vonstatten.
„Ein Unterschied zu den Berliner Flughäfen wie Tag und Nacht.“
Das ging mir durch den Kopf, als ich langsam an mehreren stillstehenden Bändern vorüberschreitend, den hellerleuchteten Laufwegmarkierungen folgend, eine moderne, in Marmor Look ausstaffierte Eingangshalle erreichte.
Nun noch schnell etwas Geld umtauschen, das wäre nicht schlecht. Der Umtauschkurs soll ja am Flughafen immer günstiger sein als im Hotel.
Doch wo war ein Bankschalter oder eine Wechselstube? Mein Blick fixierte alle geöffneten Läden und Verkaufsstände im Hallenrund, doch von hier aus war nichts zu entdecken. Mir blieb nichts weiter übrig, als mein Gepäck zu schnappen und einmal die Halle komplett zu umrunden. Und dieser Entschluss war goldrichtig. Schon auf halber Strecke fand ich in einer Seitengasse einen geöffneten Bankschalter und machte mich bei einer gelangweilt wirkenden Angestellten bemerkbar.
Naja, die Dame hatte nichts zu tun und sicherlich nicht mit Kundschaft gerechnet.
Ich war heute bestimmt ihr erster oder einziger Kunde. Schnell fingerte ich einen 50 Euroschein aus der Gürteltasche und erhielt im Gegenwert knapp 200 Soles. Das dürfte vorerst reichen, um kleinere Ausgaben zu finanzieren.
Wieder zum Ausgangspunkt meiner Hallenumrundung zurückkehrend, begann jetzt die Suche nach dem Gruppentreffpunkt des Reiseveranstalters. Der Wegmarkierung folgend, stand ich am Hallenende plötzlich den dort postierten Damen und Herren aller hier ansässigen örtlichen Reiseveranstalter gegenüber.
Oh je, das kann ja heiter werden.
Ein Wald von Schildern streckte sich mir entgegen, mit dem Ziel, ihre erwarteten Fluggäste in Empfang zu nehmen. Gleich dahinter standen die Taxifahrer, warben lautstark um Kundschaft. Alles schien hier nach Lima zu fahren. Jeder versuchte den anderen zu übertönen – ein schier unmögliches Unterfangen bei diesem überlauten Chor, Kundschaft suchender Taxifahrer.
Mir sollte es egal sein. Ich hielt Ausschau nach meiner örtlichen Reise Agentur. Am Schilderwall entlangschreitend, überflog ich alle nach oben gestreckten Pappschilder, Fotomontagen oder Unterlagenmappen. Ganz am Ende der Reihe entdeckte ich endlich das gesuchte Logo und steuerte darauf zu. Hier erwartete eine ältere Dame unsere Ankunft und versuchte lautstark die wachsende Gruppe gestenreich zusammenzuhalten.
„Bitte bleiben sie alle bei mir hier stehen. Nicht wieder wegrennen.“
Jeder Ankommende wurde in ihren Unterlagen mit dem eingetragenen Namen verglichen und anschließend mit einem Anwesenheitshaken verziert. Wir sahen uns alle hier zum ersten Mal. Bei unserer anstehenden Rundreise mussten wir die nächsten drei Wochen miteinander auskommen, ohne Wenn und Aber.
Nicht schlecht- Jung und Alt – alles vertreten, stellte ich zufrieden fest. So sollte es eigentlich immer sein.
Da die Gepäckausgebe problemlos funktionierte, dauerte es nicht allzu lange und unsere Gruppe schien vollzählig zu sein. Ihre Anwesenheitslisten wegsteckend, machte sich die ältere Dame lautstark bemerkbar.
„Alle mal herhören!“
Ihre schnarrende Stimme übertönte sogar das Geschrei der Taxifahrer um etliches. Energisch schwenkte sie letztmalig ihr Pappschild hin und her. und ließ ihre schwarze Dokumentenmappe vorsichtig in ihre Umhängetasche. gleiten.
„Alle 25 Teilnehmer sind angekommen. Das bedeutet, wir sind vollzählig und fahren jetzt zum Hotel. Ich begleite sie dorthin. Ich bleibe solange vor Ort, bis jeder seinen Zimmerschlüssel erhalten hat und alles erledigt ist. Und noch etwas zur Information. Kommen sie bitte morgen früh um 9 Uhr zur Rezeption runter. Dort treffen sie dann ihren eigentlichen Reiseleiter für die gesamte Zeit ihres Peru-Aufenthaltes. Meine Aufgabe ist im Hotel beendet. Lassen sie nichts liegen und folgen sie mir bitte zum Bus.“
Nochmalig ihr Erkennungsschild wie ein Zepter nach oben streckend, bahnte sie sich energisch einen Weg mitten durch die auf Kundschaft orientierte Taxifahreransammlung. In langer Schlange folgten ihr fünfundzwanzig Koffer, Taschen und einige Gepäckwagen, zurück durchs Hallen Gelände ziehend, dem Ausgang auf der gegenüberliegenden Seite entgegen.
Wenige Meter hinter den nach draußen führenden, übergroßen Drehtüren, stand wartend unser Bus am Zubringer-Terminal. Im aufgeklappten Unterteil der Luxuskarosse, verschwanden problemlos alle Koffer und Taschen, und wir eine Etage höher zwischen den Sitzreihen.
„Sind alle an Bord? Hat keiner etwas liegen gelassen?“
Nach kurzer Anwesenheitskontrolle kam das Abfahrtszeichen. Langsam verschwand der Bus-Terminal samt allen Airport-Gebäuden im Hintergrund. Auch die angrenzende Hafenstadt Callao zog an uns vorüber, blieb rechter Hand liegen.
Zwölf Kilometer entfernt erwartete uns unser Hotel, unweit der Pazifik-Küste, mitten in Lima-City. Schon nach zehnminütiger Fahrt verschwanden so nach und nach die offenen Landschaften, und die ersten zusammengewachsenen Vorstädte Limas schoben sich ins Blickfeld. Endlose Häuserfronten zogen draußen vorüber und der Verkehr verdichtete sich von Minute zu Minute. Alternativlos wurden wir vom Sog der Großstadt eingefangen und durch mehrspurige Straßenschluchten Limas geleitet.
Mit der Nase am Bus-Fenster verfolgte ich voller Interesse den Anfahrtsweg durch Lima-City, sammelte dabei die ersten Eindrücke einer pulsierenden Millionen-Metropole. Die verschiedensten Stadtteile passierend, rollten wir zielsicher dem Hotel entgegen. Zwei Tage Aufenthalt lagen vor uns, verbunden mit einer großen Stadtrundfahrt, vielen Besichtigungen und eigenen Entdeckungstouren.
Beim Check In war das Glück auf meiner Seite, anders als beim verkorksten Start in Berlin. Ich erhielt als einziger ein Zimmer in der 15. Etage. Von dort aus hatte man einen fantastischen Ausblick auf umliegende Stadtteile, bis zum Hafen runter, und der war gar nicht so weit weg.
Eine Hafenpromenade? Nicht schlecht – die besuche ich morgen Abend.
Nun gab es aber auch noch eine 16. Etage, eine ausgebaute Dachterrasse mit Swimmingpool und Barbetrieb. Für mich und den schon fortgeschrittenen Abend genau das Richtige.
Alles Weitere auf später verschiebend, saß ich schon nach einer halbe Stunde etwas aufgeregt am Terrassenrand, aß eine Kleinigkeit und genoss das warme Frühlingswetter südlich des Äquators, mitten im September. Fasziniert betrachtete ich die flimmernde und alles übermalende Leuchtreklame einer tief unter mir liegenden Miniaturwelt, herausspringend aus den spinnenförmig auseinanderstrebenden Häuserschluchten der pulsierenden Millionen-Metropole.
Meine erste Nacht in Lima lag hinter mir. Nach ausgiebigem Frühstück nutzte ich die mir verbliebene Zeit für einen Dachterrassenbesuch.
Oh ja, ein erfrischendes Bad. Das lasse ich mir nicht entgehen.
Das war alles kein Problem. Nur eine Etage höher fahren und schon konnte der Spaß beginnen. Am gestrigen Abend hatte ich den funkelnden Swimmingpool zwar registriert, doch ein erfrischendes Bad auf den kommenden Morgen verschoben. Nun stand ich voller Vorfreude am Pool-Rand, bestückt mit Badehose und Morgenmantel, entschlossen ein paar Runden zu schwimmen. Ein Bad im Pool, hoch oben über Limas Dächer, war für mich eine Premiere und sicherlich ein bleibendes Erlebnis. Und Recht sollte ich behalten, aber völlig anders, wie ich mir das vorgestellt hatte.
Um diese Zeit war ich der einzige Gast hier oben. Auch die Bar war noch geschlossen. Naja, wer kam schon auf die Idee, früh um 8 Uhr schwimmen zu gehen?
Mein Morgenmantel beiseite legend, begrüßten mich die ersten Sonnenstrahlen im glitzernden Poolwasser. Voller Vorfreude auf ein erfrischendes Bad, sprang ich mit einem gewaltigen Satz mitten hinein in das glasklare Wasser.
Das hätte ich lieber lassen sollen. So schnell wie ich hinein fuhr, war ich wieder draußen.
Burr! - Mein Gott, was war das denn?
Mich schüttelnd, starre ich ungläubig aufs Wasser.
Das ist ja kalt! Das gibt es doch nicht.
Ich konnte und wollte es nicht glauben. Gestern Abend war es noch warm. Jetzt fehlten mir die Worte. Man hatte bestimmt letzte Nacht den Pool abgelassen, gereinigt und neu aufgefüllt. Und ich sprang da hinein, ohne die Temperatur zu testen. Was für ein Reinfall. Zum Glück war ich im Moment allein, hatte keine Zuschauer und demzufolge auch keine grinsenden Gesichter zu ertragen.
Jetzt bloß weg von hier, bevor jemand kommt.
Mein Morgenmantel überwerfend, ergriff ich die Flucht. Unbemerkt erreichte ich mein Hotelzimmer, sank erleichtert in einen der beiden Zimmersessel und musste lauthals loslachen. Ja, das hatte man davon, wenn man die nötige Vorsicht außer Acht ließ.
Eine gute Seite konnte ich dem peinlichen Vorfall trotz allem abgewinnen. Ich war munter und hellwach. Der Schock im kalten Wasser war ein Müdigkeitskiller erster Klasse. Wieder beruhigt, packte ich meine Sachen für die heute anstehende Stadtrundfahrt zusammen.
Kurz vor 9 Uhr fuhr ich runter zur Hotelrezeption, dem vereinbarten Treffpunkt. Beim Verlassen des Lifts, wurde ich schon erwartet. Ich muss der Letzte gewesen sein, denn unser angehender Reiseleiter stand mitten im Raum und verteilte 25 Begrüßungscocktails. Von allen Rundreiseteilnehmern umringt, überreichte er mir das letzte Glas und schloss zufrieden seine Unterlagenmappe. Wir waren vollzählig. Neugierig betrachtete ich das grüngelbe Getränk in meiner Hand. Der Geschmack von Orangen- und Zitronenlikör, aufgepeppt mit prickelndem Sekt, fand sicherlich die Zustimmung aller Anwesenden. Ein wirklich verführerischer Mix. Doch so früh am Morgen schon Alkohol?
Naja, es war ja nicht viel. Es förderte irgendwie den Zusammenhalt der Gruppe. Sich gegenseitig zuprostend, entwickelten sich die ersten zaghaften Gespräche untereinander. Alles in allem war es ein gelungener Start unserer gemeinsamen Rundreise, quer durch Südamerika hindurch.
„Bitte alle mal herhören!“
Laut tönte die Stimme des Reiseleiters über uns hinweg. Augenblicklich verstummten alle Gespräche. Nur das Klappern abgesetzter Cocktailgläser und ein aufgesetztes Lachen am Rezeptionsschalter, unterbrachen die einsetzende Stille.
„Mein Name ist Rodrigo Mese. Ich bin euer Reiseleiter und Ansprechpartner für die gesamte Zeit in Peru und Bolivien. Nennt mich einfach Rod. Das ist kürzer und einprägsamer. Euer 2-Tage-Aufenthalt in der 8-Millionen-Metropole Lima, beginnt heute mit der großen Stadtrundfahrt.“
Seine Reiseunterlagen nach oben streckend, wand sich Rod dem Ausgang entgegen und bat uns, ihm zum Bus zu folgen.
„Noch etwas zur Information.“
Rod stand abwartend am Durchgang. Vorsichtshalber zählte er nochmal durch und wartete, bis alle die Drehtür passiert hatten, um fortzufahren:
„Heute wird es bestimmt sehr warm. Wir verlassen den Bus mehrmals, da wir verschiedene Stadtteile besichtigen. Jacken und alle anderen Sachen, die ihr nicht benötigt, könnt ihr drinnen liegen lassen. Hier kommt nichts weg.“
Nach und nach verschwanden alle im Fahrzeug. Jeder der mochte, fand einen Fensterplatz. Dann war es soweit. Zischend schlossen die Hydrauliktüren. Der Bus drehte langsam in eine Seitenstraße ab und gewann an Fahrt, mitten hinein in eine erwachende Großstadt.
Grellerleuchtete Neonreklamewände verloren an Kraft, wurden blasser und letztendlich abgestellt. Überall glitten Rollläden nach oben, wurden Bürgersteige gefegt und abgespritzt. Größere und kleinere Geschäfte an den Straßenrändern wurden von Lieferanten überrannt, die Kistenweise Warenlieferungen heranschleppten. Regale wurden aufgefüllt und Waren aller Art auf Tischen postiert und entlang der Bürgersteige zum Kauf angeboten.
Funkelnd reflektierten die ersten schrägen Sonnenstrahlen im nassen Asphalt endloser Straßenschluchten. Über allem wölbte sich ein strahlend blauer Himmel, identisch mit all den an jeder Ecke von Straßenverkäufern angebotenen, bunten Ansichtskarten.
Die Zeitspanne bis zum ersten Stopp nutzend, übermittelte uns Rod die ersten Informationen über Land, Leute und Geschichte seines Heimatlandes. Alles kurz und präzise formuliert, ohne dabei langatmig auszuschweifen.
„Schon vor Ankunft der Spanier war der Großraum von Lima das am dichtesten besiedelte Gebiet der peruanischen Küste. Im Jahre 1532 landeten die Spanier hier in Peru und unterwarfen auf brutalste Art und Weise die damals ansässigen Indianerstämme, der Anfang vom Ende des riesigen Inka-Reiches.
Als Francisco Pizarro in Tumbes landete, befand sich der letzte regierende Inka-Fürst Atahualpa in den Thermalbädern von Cajamarca, eine schmerzhafte, alte Kriegsverletzung auszukurieren. Um ein Treffen vorzuschlagen, sandte Pizarro ihm hinterlistig einen Gesandten, mit der Bitte zu erscheinen. Sein Ziel war, einen Kampf mit dem zahlenmäßig weit überlegenen Inka Heer zuvorzukommen. Der Botschaft trauend, nahm Atahualpa die Einladung an. Doch während des Treffens in Cajamarca wurde er von den Spaniern überrumpelt und gefangen genommen. Verzweifelt versuchte der Inka-Fürst sich mit Gold freizukaufen. Erstaunlicherweise schaffte er es tatsächlich, wie verlangt, innerhalb von zwei Monaten eine Kammer bis unter die Decke mit Gold und anderen Schätzen aufzufüllen. Unter dem Vorwand, er habe einen Hinterhalt angezettelt, wurde er am 29. August 1533 auf dem Plaza de Armas von Cajamarca mit oder durch ein spanisches Würgeeisen hingerichtet.
Am 18. Januar 1535 wurde Lima von Pizarro auf einer Eingeborenensiedlung am Südufer des Flusses Rimac gegründet. Für Pizarro waren strategische Überlegungen vorangegangen, sich für diesen Ort zu entscheiden. Im Notfall befand er sich in der Nähe seiner Schiffe, und es war dennoch ein guter Ausgangspunkt, um relativ schnell in die Zentralanden zu gelangen. Über das 16. und 17. Jahrhundert war Lima das religiöse, wirtschaftliche und politische Zentrum der spanischen Kolonien in Südamerika.
Lima wurde für das peruanische Gebiet das Zentrum der Unterdrückungsmaßnahmen gegen die indigene Bevölkerung. Vor allem durch die Inquisition der katholischen Kirche gegen alle religiösen Bräuche, Riten und gegen die alte Heiler-Medizin. Diese langwährende Unterdrückung der Bevölkerung führte zur Zweiklassengesellschaft, die heute noch zu spüren ist. Die Weißen und andere privilegierte Schichten, orientierten sich kulturell an Europa und den USA, während die meisten der Indianer ihren traditionellen Lebensstil beibehielten und pflegten.
Der damalige Reichtum, durch ständigen Zufluss von Gold und Silber, lockte in zunehmenden Maße Piraten an. Einer der bekanntesten, Sir Francis Drake, überfiel 1579 Callao, den Hafen Limas. Einen Schutzwall gegen Piraten errichtete man erst knapp 100 Jahre später.
1829 besiegte eine Rebellenarmee unter Führung von Jose de San Martin die Spanier in der Schlacht bei Pisco und besetzten Lima. Dort wurde 1821 die Unabhängigkeit Perus ausgerufen und Lima die Hauptstadt des Landes. Damals lebten 100 000 Menschen in der Stadt, heute sind es etwa 8 Millionen. Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Industrialisierung des Landes und 1851 wurde in der peruanischen Hauptstadt die erste Eisenbahnlinie Südamerikas eingeweiht.
An der 2 500 Kilometer langen Pazifikküste zwischen Ecuador und Chile, hat sich Lima zu einer modernen Hauptstadt entwickelt, eine spannende Metropole voller Kontraste. Leider wurden viele geschichtsträchtige Bauwerke Opfer von Erdbeben und anderen Katastrophen, oder ganz lapidar durch falsche Stadtplanungen vernichtet.
Doch man hatte daraus gelernt. Nach und nach zeigten umfassende Renovierungsarbeiten der letzten Jahre langsam Erfolg. Die historisch wertvolle Altstadt erstrahlt wieder im alten Glanz und einstiger Pracht“.
Rods ausführliche Info geriet kurz ins Stocken, während er nach draußen deutete und fortfuhr:
„Genau dort kommen wir jetzt hin, in die renovierte Altstadt. Unser erstes Ziel werden wir gleich erreichen. Dort steigen wir alle aus und gehen zu Fuß weiter.“
Rod unterbrach erst mal seine interessanten Ausführungen. Draußen kündigten sich nach halbstündiger Fahrt die ersten Vorboten der Innenstadt an. Die Anfahrt erfolgte über die vierspurige Avenida Arequipa, geschmückt von Palmen und Ziersträuchern auf dem Mittelstreifen. Wir passierten gewaltige Sternplätze aus dem 18. und 19. Jahrhundert. Das gesamte Zentrum wurde 1991 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt und zur Stadt der Könige ernannt. Damals residierten hier die spanischen Vizekönige, als es in Lima die erste Universität, das erste Theater und die erste Druckerei Südamerikas gab.
„Vergesst bitte eure Kopfbedeckungen nicht.“
Rod deutete nach draußen und fuhr fort:
„Die Sonne nimmt darauf keine Rücksicht. Ein Sonnenbrand ist im Allgemeinen keine angenehme Sache. Heute wird es sehr warm.“
Draußen veränderte sich das Stadtbild nach und nach. Die Straßen wurden immer schmaler. Voran kamen wir nur noch im Schritttempo. Zum Schluss wurden die Gassen so eng, dass wir rechts und links unmittelbar unter den Fenstern, den Bürgersteig liegen sahen, auf denen sich die Fußgänger dicht an dicht vorüberschoben.
Nur langsam, Meter für Meter kamen wir voran. Mal vorwärts, mal rückwärts manövrierend, wurschtelte sich unser großer Reisebus durch dieses städtische Nadelöhr hindurch. Doch dann hatten wir es geschafft. Wie beim Durchbruch einer lästigen Verstopfung, wurden wir auf einen riesigen, sonnenüberfluteten Platz gespült. Schon nach wenigen Metern fand der Bus eine Haltestelle zum Aussteigen.
Mitten in der Altstadt angekommen, erwartete uns draußen ein heißer Frühlingstag, denn die Sonne brannte schon am Morgen unbarmherzig herunter. Ich war froh, Mütze und Sonnenbrille dabei zu haben.
Polizeistreife
Kreuzgang mit Innenhof (Kirche: Santa Domingo)
Lima / Plaza Major
Kathedrale auf dem Plaza de Armas in Lima
Wunderschöne Holzbalkone über den Arkaden
Plaza de Armas - Präsidentenpalst
„Hier auf dem Plaza de Armas startet unser Rundgang.“ Rod verließ als letzter den Bus, und fuhr fort:
„Nach dem Spaziergang besichtigen wir die Kathedrale. Danach kann jeder selbst entscheiden, was er machen möchte. Genau hier an dieser Stelle holt uns der Bus in vier Stunden wieder ab. Der darf hier nicht stehen bleiben.“
Mit beiden Armen die Richtung weisend, setzte sich Rod an die Spitze des Zuges, dirigierte uns über den Fahrdamm, dann quer über den Platz hinweg, bis hin zum Denkmal von Francisco Pizarro. Dieser stand mitten in einer Grünanlage, genau vor einem Bronzebrunnen. Langsam umrundeten wir im gemütlichen Tempo Pizarros Denkmal und Rod erzählte uns dabei etwas über seine Heimatstadt Lima.
Wie schon kurz erwähnt, gründete Pizarro im Jahr 1535 die Stadt. Am Anfang kam ihm diese Gegend noch ziemlich unwirtlich vor. Regen fiel, und das war heute noch genauso, so gut wie keiner das gesamte Jahr über. Dafür waren ständig Erdbeben an der Tagesordnung. Der Winter war eine recht ungemütliche Jahreszeit, grau und trostlos. Die Landschaft wurde eingehüllt, mit nur wenigen Metern Sicht. Wenn es nach Pizarro gegangen wäre, hätte er hier bestimmt keine Ansiedlung gegründet, wäre weitergezogen und Lima würde es heute nicht geben. Er wurde von seinen Soldaten überstimmt. Diese hielten den Ort für ideal, um im Falle eines Indianeraufstandes schnell aufs Meer flüchten zu können.
Und so kam es, wie es kommen musste, die Stadtgründung wurde vollzogen. Dass hier einmal das politische und militärische Zentrum der Neuen Welt entstehen würde, ahnte damals noch keiner.
Bevor Lima 1821 zur Hauptstadt des unabhängigen Peru erklärt wurde, unterhielten hier 40 Vizekönige ihren Amtssitz. Bis heute ist der Plaza de Armas einer der lebendigsten und attraktivsten Plätze Limas.
Eines der prachtvollsten und großartigsten Gebäude, war der auf der Nordseite errichtete und 1938 fertig gestellte Regierungspalast. Auf dem Fundament des Gebäudes stand einst Pizarros Unterkunft. Hier wohnte der Stadtgründer und fand auch sein Ende. 1541 wurde er im eigenen Haus ermordet.
Ein weiterer Prachtbau war das 1944 im Kolonialstil errichtete, auch auf dem Platz gelegene, wunderschöne Rathaus. Seine breiten Marmortreppen, die funkelnden Kronleuchter aus Kristall und die riesigen vergoldeten Spiegel, standen an Pracht dem Regierungspalast in nichts nach. Eine besondere Kuriosität war im Gebäude eine Wendeltreppe, die aus einem Stück nicaraguanischem Zedernholz gedrechselt wurde.
Genau dem Rathaus gegenüber gelegen, stellte der Palast des Erzbischofs den schönsten holzgeschnitzten Balkon der Stadt zur Schau. Hinter dem Regierungsgebäude lag der alte Bahnhof mit seinen überwucherten Gleisanlagen, direkt am Flussbett des Rios Rimac. Er bescherte der Stadt den heutigen Namen. Aus Rimac wurde nach und nach Lima.
Eine Stunde waren wir schon unterwegs, umrundeten den Platz und landeten am Ende vor der Kathedrale.
„Die besichtigen wir jetzt etwas gründlicher.“
Rod deutete zum Eingang hinüber und setzte sich in Bewegung.
Der äußere Anblick der Kathedrale beeindruckte uns durch die gelbe Farbe der Fassade und den beiden hohen angesetzten Türmen. Eine breite Marmortreppe, flankiert von zwei ruhenden Löwen, unter denen die Gebeine Pizarros lagern sollen, führten uns direkt zum breiten Eingangstor der Kathedrale. Dieses mächtige, dreischiffige Gotteshaus, mit seinen zwei Türmen, wurde ursprünglich während des fünfzehnten Jahrhunderts errichtet. Aus dieser Zeit waren die Grundmauern der Bischofskirche erhalten geblieben. Da die damalige Kirche während eines sehr starken Erdbebens im Jahre 1746 stark beschädigt wurde, erfolgte daraufhin eine gründliche Restaurierung des Gebäudes.
Im Innenraum der Kathedrale bewunderten wir auffällig vergoldete Altäre, sowie ein reich verziertes Chorgestühl, geschnitzt aus schwarzem Zedernholz. Dieses wurde 1623 dort eingefügt und war an Schönheit kaum zu übertreffen. Staunend betrachtete ich die vielen naturgetreuen Schnitzereien. Wohin man sich auch wandte, überall waren sie vorhanden, ein faszinierendes Meisterwerk der damaligen Holzbearbeitungskunst.
„Kommt bitte alle mal zu mir herüber.“
Rod stand vor einer der mächtigen Säulen, die das Mittelschiff beidseitig flankierten, und hoch oben über unseren Köpfen die gewaltige Kuppelkonstruktion trugen. Er wartete bis wir alle seiner Aufforderung folgten, im Halbkreis vor ihm standen, um dann fortzufahren:
„Wie ihr wisst, befinden wir uns hier in einem akut gefährdeten Erdbebengebiet. Diese Kathedrale hat schon einige Erschütterungen überstehen müssen, wurde dabei mehrmals zerstört und wieder aufgebaut. Diesen kostspieligen Kreislauf von Aufbau und folgender Zerstörung, wollte man ein für alle Mal beenden. Hin und her hat man überlegt, wie ein so hohes Gebäude, mit solch gewaltigen Säulen, einigermaßen erdbebensicher gemacht werden konnte, um nicht bei jeder kleinen Erschütterung einzustürzen. Das dauerte natürlich seine Zeit. Nach langem Suchen und Ausprobieren, fand man die Lösung, und eine grandiose Idee wurde umgesetzt.“
Rod deutete auf die neben ihm stehende Säule und fuhr leicht grinsend fort:
„Was meint ihr wohl, aus welchem Material diese Säulen errichtet wurden?“
„Aus Marmorblöcken! Das kann man doch sehen und fühlen“, antworteten einige spontan, und ihre Hände glitten an der kühlen, glattgeschliffenen Oberfläche entlang.
„Ja so kann man sich täuschen.“
Rod widersprach den spontanen Antworten einiger Reiseteilnehmer.
„Klopft doch bitte mal mit dem Finger eine Säule an, egal wo ihr steht. Und was hört ihr jetzt?“
Wissend was jetzt passieren würde, beobachtete Rod lächelnd die spontanen Klopfparaden. Alle lauschten aufmerksam auf den Klang der hämmernden Finger.
„Das ist ja hohl! Unglaublich.“
„Genauso ist es“, fuhr Rod fort.
„All die Säulen in dieser Kathedrale sind mit Marmorplatten verkleidet. Drinnen ist alles aus Holz. In gewisser Hinsicht sind diese jetzt fast erdbebensicher. Holz ist nicht so starr wie Stein, kann bei Erschütterungen arbeiten und stürzt nicht einfach zusammen. Nur die Plattenverkleidung fällt ab, alles andere bleibt stehen. Ein verhältnismäßig geringer Schaden.“
Ungläubig klopften alle noch mal an den Säulen herum, bevor wir die angenehme Kühle der Kathedrale verließen. Draußen war es heiß und schwül. Gleißendes Sonnenlicht flutete den Platz und brachte die Luft zum Flimmern. Jeder schirmte sich ab, so gut er konnte, suchte den Schutz mit Mütze, Tuch oder Sonnenschirm. Wie abgesprochen, trennten sich jetzt unsere Wege. Sicherlich hatte jeder in unserer kleinen Gruppe ein anderes Ziel, denn es dauerte nicht allzu lange bis alle im Gewühl verschwunden waren.
Ich selbst nutzte die breite Vortreppe der Kathedrale als willkommene Sitzgelegenheit. Ich ließ mich dort nieder, im Schatten des dort beiderseitig des Aufganges postierten Löwen, um meine Kamera mit einem neuen Film zu bestücken. Überall herrschte hektisches Treiben. Unzählige Reisebusse rollten heran, hielten an und entließen ihre Insassen. Nach kurzem Halt verschwanden sie wieder im Strom der im Kreisverkehr des Platzes vorbei ziehenden Blechlawine, um Platz zu machen für nachfolgende Busse.
Nach erfolgtem Filmwechsel, wurde ich aufmerksam auf die rundherum aufragenden, gelbgestrichenen Gebäudefronten, welche den Platz umringten. Sie leuchteten auf im grellen Sonnenlicht und brachten dabei, die an allen Häusern hängenden Balkone aus schwarzem Zedernholz, erst richtig zur Geltung. Keiner glich dem anderen. Jeder für sich war ein kleines Kunstwerk, und in dieser Vielfalt einmalig.
In den Säulengängen unterhalb der Gebäude zog ein nicht endender Menschenstrom vorüber. Es schien so, als hätten sich alle Nationen der Erde hier versammelt. Zielstrebig wurde dabei der Platz umrundet und in Besitz genommen. Alle Sprachen dieser Welt schwappten hier durcheinander, drehten mit all den Schaulustigen, Runde um Runde. Unzählige kleine Geschäfte luden ein zum Bummeln und Kaufen. Anschließend fand man Ruhe in einem der vielen Straßencafés, unter oder vor den Säulengängen. Wem das nicht zusagte, fand ein schattiges Plätzchen auf einer der vielen breiten Marmorstufen angrenzender Paläste, ließ dort je nach Stimmung seine Seele baumeln.
Auch mein schattiger Platz, am Fuße der Löwen, war ein idealer Ort, um das pulsierende bunte Treiben zu meinen Füßen zu beobachten. Doch irgendwann, etwa nach einer halben Stunde, verlor ich daran mein Interesse, und ordnete mich ebenfalls im Kreisverkehr ein und umrundete mehrmals den Platz. Vom neugierigen Bummeln mal abgesehen, hielt ich Ausschau nach Briefmarken, um meine erworbenen Ansichtskarten abschicken zu können. Diesen Vorsatz fassen, war eine Seite, ihn auszuführen eine andere. Ansichtskarten bekam ich überall zu kaufen, nur leider keine dazugehörenden Briefmarken
„Mein Gott, irgendetwas mache ich hier verkehrt. Warum gibt es keine Marken? Hier werden doch Karten verkauft!“, sprach ich im dritten Laden auf die Verkäuferin ein, beim vierten vergeblichen Versuch, Briefmarken zu ergattern. Mit Händen und Füßen versuchte ich der nicht Englisch sprechenden Verkäuferin klar zu machen, ich benötige Marken für meine Karten. Doch ein energisches Kopfschütteln der langsam unwillig reagierenden Dame, beendete meine Einkaufstour. Hier war nichts zu holen. Ich musste es für heute erst mal akzeptieren, ohne es zu verstehen.
„Ja das ist ein Problem“, wurde ich von einer Deutsch sprechenden Touristin angesprochen, die hinter mir stehend, meinen Versuch beobachtet hatte, Marken zu erwerben.
„Nur an wenigen Stellen bekommt man Briefmarken“, versuchte sie mir die Situation zu erklären.
„Allerdings können sie ihre geschriebenen Karten hier im Laden abgeben. Sie zahlen das Porto und die Karten werden freigestempelt. Der Aufdruck ersetzt die Marken. Das ist hier so üblich, nur die wenigsten Touristen kennen diese Möglichkeit.“
„Dann brauch ich mich allerdings nicht zu wundern. Darauf muss man erst mal kommen.“
Mich bei der Dame bedankend, verließ ich den Laden etwas schlauer. Genutzt hatte mir diese Erkenntnis trotzdem nichts, denn die Karten mussten erst noch geschrieben werden, da ich diese später im Hotel abgeben wollte. Na gut, da konnte man halt nichts machen. Ich beschloss den Reiseleiter damit zu beauftragen, mir Marken zu beschaffen. Vier Tage hatte ich noch Zeit, solange blieben wir noch in Peru. Morgen früh begann die Rundreise mit dem Innlandflug nach Cuzco, der alten Inka-Hauptstadt.
Doch noch war es nicht so weit. Wieder draußen im Gewühl angekommen, überquerte ich den Plaza de Armas, umrundete nochmals Francisco Pizarros Denkmal und wandte mich zielstrebig einem kleinen Kaffee auf der gegenüber liegenden Straßenseite zu, unmittelbar neben dem Regierungspalast gelegen.
Nicht schlecht! Hier fand ich bestimmt ein ruhiges Plätzchen, ein wenig Ruhe und ein erfrischendes Getränk. Die drückende Mittagshitze lag über allem, machte durstig und der Körper verlangte den überfälligen Flüssigkeitsausgleich. Problemlos fand ich einen freien Tisch im Schatten der Kaskaden, unmittelbar am Bürgersteig. Hier konnte man es aushalten.
Zufrieden bestellte ich ein großes Glas Coca Cola, tiefgekühlt und garniert mit zwei Zitronenscheiben. Mich zurücklehnend, genoss ich mitten in der Millionenmetropole den Moment der Ruhe, umspült vom Strom der vorüber ziehenden Menschenmassen. Mein momentaner Standort war eine günstige Wahl, denn in unmittelbarer Nähe lag unser Treffpunkt und war von hier aus problemlos zu erreichen. Gegen 16 Uhr würde uns der Bus dort abholen und es ging zurück zum Hotel. Aber noch war es nicht soweit. Eine gute halbe Stunde blieb mir noch bis zur Abfahrtszeit.
Doch kaum hatte ich es mir so richtig gemütlich gemacht, und der erste Schluck Cola rann zischend die Speiseröhre abwärts, um klatschend im ausgedörrten Magen zu landen, da wurde ich urplötzlich von einen Moment zum anderen aus meiner Wohlfühlphase herausgerissen. Während die überschüssige Kohlensäure blubbernd aufwärts stieg, passierte das Unfassbare.
Mein ruhiger, am Rande der Lokalität liegender Logenplatz, wurde fast zur Zielscheibe einer Autokarambolage. Bremsen kreischten laut und schrill auf und es schepperte vier Meter neben mir. Das knirschende Geräusch aneinander krachender Metallteile fuhr mir durch Mark und Knochen. Erschrocken sprang ich auf, griff instinktiv mein Cola-Glas und verhinderte somit den Absturz. Mich dem Unfall zuwendend betrachtete ich fassungslos den vor mir liegenden Tatort. Erst jetzt wurde mir bewusst, was alles hätte passieren können.
Vielen Dank, liebe Schutzengel! Ihr seid super.
Kopfschüttelnd beobachtete ich den sich sofort bildenden Menschenauflauf, deren Hälse immer länger wurden. Alle versuchten sich so nah wie möglich heranzuschieben, um ja nichts zu verpassen. Wie überall auf unserer Erde, folgte bei solchen Ereignissen ein gleichbleibender Ablauf.
Es war und blieb beschämend, diese menschliche Reaktion auf solche Situationen. Egal, wohin man auch kam, die Gier nach Show und Katastrophen aller Art, schien dem Menschen angeboren und kaum beeinflussbar zu sein. Schon die kleinste Karambolage, wie dieser Blechschaden hier eindrucksvoll belegte, löste den:
„Das muss ich gesehen haben“ – Effekt aus.
Dieser vereinte alle zufällig vorbeieilenden Leute, den weiteren Ablauf der Ereignisse gemeinsam zu verfolgen. Doch diesmal entdeckte man keine Verletzten. Nicht mal etwas Blut war zu sehen, nur ein paar kaputte Scheinwerfer und ein verbeulter Kofferraum. Da man nicht sah, was man entdecken wollte, zerstreute sich schon nach wenigen Minuten die sensationsgeile Ansammlung. Die beiden Unfallautos verschwanden in einer Seitenstraße, flankiert von zwei Polizeistreifen.
Während der Autoverkehr wieder störungsfrei vorüber rollte, aß ich ein paar mitgebrachte Salzstangen und trank den letzten Rest Cola aus. Fast unbewusst streifte mein Blick dabei die alte Standuhr am Terrasseneingang.
„Mein Gott, ich muss ja zum Bus!“, stellte ich erschrocken fest. Auch ein vergleichender Blick zur Armbanduhr änderte daran nichts. Beide Zeiten stimmten überein.
„Bitte zahlen!“, rief ich Richtung Tresen und hielt auffordernd meine Brieftasche nach oben. Dem herbeieilenden Kellner überreichte ich einen 10-Soles-Schein und deutete dabei an, der Rest sei sein Trinkgeld.
„Thank you, mein Herr“, bedankte er sich halb auf Englisch und halb auf Deutsch. Sich am Tisch vorbeischiebend, verschwand er eilig Richtung Terrassentür, um diese aufzureißen. Beim vorüber schreiten klopfte er mehrmals anerkennend auf meinen Schultern herum. Dabei grinste und lachte er so ausgiebig, dass seine Ohren vibrierten und ein vergoldeter Zahnersatz im hinteren Mundbereich aufleuchtete. Sein „Good bye“ begleitete meinen Weg nach draußen, was mich wiederum etwas misstrauisch machte, und meine Gedanken am Trinkgeld hängen blieben. War das hier so üblich, oder war die Höhe meines Trinkgeldes zu viel? Ich wusste es nicht.
Da unser vorherbestimmter Treffpunkt in der Nähe lag, bummelte ich ohne Hast und Eile Richtung Sammelstelle. Dort angekommen, standen die meisten unserer Gruppe schon beisammen und warteten auf Bus und Reiseleiter. Allerdings dauerte es bei diesem schleichenden Autoverkehr noch zehn Minuten, bis dieser langsam heranrollte. Kaum stand der Bus am Ort und die Türen klappten zischend nach innen, kam Rod als letzter angerannt und bat alle einzusteigen.
Da die Klimaanlage auf Hochtouren lief, umfing uns im Bus eine angenehme Kühle. Wortlos verschwanden wir in unseren Sitzecken und beobachteten Rod bei der routinemäßigen Anwesenheitskontrolle. Hier schien alles in Ordnung zu sein, denn die Türen schlossen zischend und Rod ließ abfahren.
„Hallo, hier fehlen aber noch welche!“
Eine junge Frau wies auf zwei, schräg vor ihr liegende, leerstehende Sitzecken hin und fuhr fort: „Heute früh bei der Herfahrt waren die Plätze noch belegt. Im Bus kann ich sie auch nicht entdecken.“
„Hier fehlen auch noch zwei Leute“, rief ein auf der hinteren Rückbank sitzender älterer Herr Richtung Reiseleiter.
„Das geht schon in Ordnung“, antwortete Rod über den Bordlautsprecher.
„Die fehlenden sechs Personen haben den Wunsch geäußert, den Abend hier in der Innenstadt zu verbringen. Sie kommen später mit dem Taxi zum Hotel. Trotzdem bedanke ich mich für eure Aufmerksamkeit. Es ist bestimmt nicht verkehrt, wenn jeder ein wenig auf den anderen aufpasst. Nun noch zu etwas anderem. Morgen früh fliegen wir nach Cuzco, der alten Inka-Hauptstadt. Stellt vor dem Frühstück eure Koffer vor die Tür. Die werden vom Personal zum Auto gebracht. Alles Weitere dann morgen früh, halb neun an der Rezeption.“
Ein kratzender Pfeifton entwich den Bord Lautsprechern und beendete Rods Durchsage. Sein Mikrofon abstellend, verschwand er nun endgültig in seiner Sitzecke.
Sich langsam in den Kreisverkehr einordnend, umrundeten wir letztmalig den Platz, bogen ab in eine Seitenstraße und nahmen den kürzesten Weg zum Hotel.
Ohne dort noch mal aufs Zimmer zu gehen, suchte ich das Terrassen Café auf, bestellte einen Mocca und überlegte, was man mit dem angebrochenen Abend noch so anstellen könnte. Mir fiel der in der Nähe liegende Küstenabschnitt ein, den ich eigentlich besuchen wollte. Doch im Moment hatte ich ein anderes Problem. Zeitweilig verdrängt, begann der Hunger sich langsam bei mir breit zu machen und überraschte mich mit seltsamen Geräuschen. Mein Magen begann zu Knurren und zu Rumpeln, eine aufdringliche Geräuschkulisse, die sicherlich erst nach einem Abendessen enden würde. Sicherlich eine vorhersehbare Situation, denn das Mittagessen war ja ausgefallen, um die anstehende Stadtrundfahrt nicht zeitmäßig zu verkürzen.
Das konnte und musste ich heute Abend eben unbedingt nachholen. Einige Reisegruppenteilnehmer hatten sich gegen 19 Uhr am Hoteleingang verabredet, wollten runter zum Hafenbereich.
Prima, das war ja auch meine Richtung.
Da mir nichts Besseres einfiel, und mein Magen nicht aufhören wollte herum zu rumpeln, schloss ich mich diesen Leuten unverbindlich an, um gemeinsam Limas Nachtleben zu erkunden.
Nun war ich nicht der Einzige, dem der Magen knurrte. Allen anderen ging es wahrscheinlich genauso. Die Aussicht auf ein baldiges gemeinsames Abendessen, erhöhte den Druck, sich so schnell wie möglich auf ein an der Strecke liegendes Restaurant zu einigen. Ohne lange herumzuziehen und ein Für und Wider der angebotenen Speisen abzuwägen, landeten wir auf dem Weg zur Strandpromenade, im erstbesten China-Restaurant auf unserer Straßenseite. Der Hunger machte es möglich. Alle waren sich einig, hier bleiben wir erst mal hängen.
Kaum hatten wir drei Tische zur gemeinsamen Tafel zusammengeschoben, wurden wir von einer Armada Kellner umringt, die freundlich lächelnd unsere Bestellungen entgegen nahmen. Mir gefiel es hier drinnen außerordentlich gut. Leise Hintergrundmusik und flackernder Kerzenschein sorgten für eine gemütliche Atmosphäre. Auch mein bestelltes Essen war hervorragend und überreichlich. Nach dem Begrüßungsschnaps folgten vier Gänge vor dem Hauptmenü, dazu Salatbeilagen bis zum Abwinken und zwei halbe Liter Bier. Einfach köstlich.
Nach einer guten Stunde verließ ich das Lokal, gestopft wie eine Weihnachtsgans. Jetzt benötigte ich unbedingt einen Verdauungsspaziergang. Alle anderen hatten dazu keine Lust. Sie blieben beim Chinesen sitzen, der diese Entscheidung mit einem weiteren Schnaps honorierte.
Wie vorgesehen zog es mich zur Küste runter. Den ganzen Abend beim Chinesen herumzusitzen, war nicht mein Ding. Zum Glück wurde es jetzt etwas kühler. Ein frischer Luftzug kam vom Pazifik herüber, strich durch Bäume und Sträucher und sorgte für fallende Temperaturen. In vielen Vorgärten und Baumkronen flimmerten dort angebrachte bunte Lichterketten, im auf und ab der ständigen Bewegung, wirr durcheinander. Mein eingeschlagener Weg zur Küste war länger als gedacht. Irgendwie verlaufen konnte man sich hier aber nicht, es ging immer geradeaus nach unten. Sollte doch einmal der Fall eintreten, dass ich nicht mehr wusste wo ich mich befand und wie ich zurück zum Hotel kommen konnte, benötigte ich nur meine Hotelkarte mit Adresse und Telefonnummer. Diese hatte ich ständig bei mir. Im Fall der Fälle würde ich dann ein Taxi rufen und schon wäre ich zu Hause. Doch heute war dieser Schritt nicht notwendig.
Der anvisierte Küstenstreifen mit Strandpromenade rückte langsam Schritt für Schritt immer näher. Langweilig wurde mein Spaziergang auf keiner Weise, denn alle Geschäfte, angefangen vom großen Supermarkt, bis hin zum kleinen Eckladen, waren geöffnet und hell ausgeleuchtet. Überall gab es etwas zu besichtigen, anzuprobieren oder nur darüber nachzudenken, ob dieser oder jener Artikel nur überflüssiger Kitsch darstellte oder wirklich gebraucht wurde. Teilweise stand das Warenangebot übersichtlich übereinandergestapelt an und auf dem Bürgersteig, um vorübereilende Laufkundschaft anzulocken. Ohne aufdringlich zu werden versuchten Ladenbesitzer, oder deren Helfer, mit raffiniert zusammengestellten Preisnachlässen, Vorübereilende zum Kauf zu bewegen. Na ja, ob sich der Aufwand auszahlte oder nicht, entzog sich meiner Kenntnisnahme.
Eine wesentlich größere Anziehungskraft besaßen die links und rechts am Straßenrand eingebundenen, unzähligen Kneipen, Bars und Gartenrestaurants. Ihr lautstarkes Innenleben diente je nach Art der Unterhaltung, sicherlich allen Vorüberziehenden auf der Straße als Orientierungshilfe. Lautstarke Musik aller Stilrichtungen und das Dudeln lockender Spielautomaten, waren vorerst meine Wegbegleiter auf dieser etwa zwei Kilometer langen Zubringerstraße Richtung Pazifik-Küste.
Doch plötzlich verschwand das lebhafte, bunte Durcheinander, zwei Querstraßen vor der Strandpromenade. Hier begann die Banken- und Hotelzone Limas. Eine ungewohnte Ruhe lag über dem Ort, äußerst gewöhnungsbedürftig nach der hinter mir liegenden Touristenmeile. Vom drehenden Wind abhängig, drangen nur noch leise Musikfetzen herunter, wurden verschluckt von den kalten, glatten in den Himmel schießenden Marmorwänden. Riesige, alles einschließende Glasfassaden, reflektierten die Lichtquellen der Umgebung, gaben der Nacht einen leuchtend bunten Anstrich.
Das Ziel vor Augen, beschleunigte ich automatisch mein Schritttempo. Fast hatte ich es geschafft, nur noch die letzten Hundert Meter durch die flimmernde Glas- und Marmorwelt eilen und die mit hohen Palmen flankierte Strandpromenade lag vor meinen Füßen. Erwartungsvoll umrundete ich einen mit allerlei Bronzefiguren verzierten und inmitten kunstvoll angelegter Stein- und Blumenbeete platzierten Springbrunnen.
An der dem Uferverlauf folgenden Strandpromenade blieb ich wie angewurzelt stehen und staunte nicht schlecht.
Eine Postkartenidylle – traumhaft schön.
Mit allem hatte ich gerechnet, hiermit aber nicht. Eine etwa fünfzig Meter hohe Steilküste endete irgendwo unter mir am Strandverlauf. Der von mehreren Scheinwerfern angestrahlte und mehrfarbig ausgeleuchtete Küstenstreifen verbreitete eine mystische Stimmung, vom Rand der Promenade beginnend, bis hinunter zum kaum noch einsehbaren und von Pazifikwellen um brandeten Uferstreifen.
Und dann war da noch etwas, das ich jetzt erst am Rand der Abbruchkante entdeckte. Zwei halbrund angelegte Treppen führten abwärts, endeten etwa 25 Meter unter mir, mitten in einem Einkaufsparadies mit Kneipen, Bars und kleinen Geschäften. Alle Zugänge und Räumlichkeiten hatte man künstlich in die steil abfallende Felswand hineingearbeitet. Ein Logenplatz der Sinne, abgetrennt vom Lärm der Millionen-Metropole Lima. Von hier aus hatte man einen überwältigenden Ausblick auf den Pazifischen Ozean, der farblich ausgestrahlten Steilküste und dem vor uns liegenden, weiterführenden Küstenstreifen.
Ohne überlegen zu müssen, hatte ich mein nächstes Ziel gefunden, die einmalig schöne, 25 Meter unter mir liegende Zwischenetage. Etwas Besseres konnte mir gar nicht passieren. Zum Glück war ich nicht mit den anderen beim Chinesen geblieben, sondern hier her gelaufen. Im Nachhinein war es die richtige Entscheidung. Ich war und wollte heute Abend hier bleiben, ein Ort der Reihe und des Friedens.
„Wunderschön, finden sie nicht auch?“
Ein älteres Ehepaar unserer Reisegruppe kam mir entgegen, war vom Standort dieser Lokalität sicherlich genauso überrascht wie ich selbst in diesem Moment.
„Hier kann man stundenlang sitzen bleiben, ohne dass lange Weile aufkommen würde. Ich behaupte mal, wer hier nicht war, hat etwas verpasst und den schönsten Ort in Lima nicht kennen gelernt.“
Dem konnte ich nur zustimmen. Fast drei Stunden blieb ich vor Ort und genoss bei einer Flasche Rotwein den herrlichen Ausblick auf Ozean und einem Nachthimmel, voller blinkender Sterne. Erst kurz vor Mitternacht verließ ich, gepaart mit etwas Wehmut, den wohl schönsten Kneipenplatz Limas, inmitten der Steilküste gelegen und trat den Heimweg an. Tief unten rauschte der Pazifik, warf Welle für Welle ans Ufer und die bunt durcheinander flimmernden Lichter der Promenade tanzten im Gischt der Brandung auf und ab.
„Guten Morgen, liebe Freunde! Sind alle an Bord?“
Rod hangelte sich als letzter durch die vordere Bustür nach oben, und griff zum Mikrofon.
„23, 24, 25! Alle sind anwesend.“
Zufrieden mit seinem Zählergebnis, fügte er hinzu: „Habt ihr alle eure Sachen bei euch? Nichts vergessen? Eventuell eure Jacke hängen lassen, oder die zweite Kamera liegt noch im Nachtschränkchen? Und noch etwas, was ganz wichtig ist. Flugschein und Pässe müssen griffbereit im Handgepäck und nicht im Koffer liegen, denn diese benötigt ihr beim Check in am Schalter.“
Da niemand etwas zu vermissen schien, fuhr er nach einer kurzen Pause fort:
„Prima, dann ist ja alles in Ordnung. Wir fahren jetzt zum Flughafen, denn gegen 10 Uhr startet unsere Maschine nach Cuzco. Zeitmäßig schaffen wir das bequem. Der Innland-Flug dauert etwa zwei Stunden. Folge dessen landen wir dort gegen 12 Uhr.“
Sein Mikrofon am seitlich angebrachten Magnethalter an klemmend, beendeter Rod die Kurzdurchsage und verschwand hinter seiner Sitzeckenlehne. Zischend schlossen die Türen und der Bus rollte langsam vom Hotel-Standort, Richtung Zubringerstraße und ordnete sich ein im morgendlichen Berufsverkehr einer Millionen-Metropole.
Neugierig betrachtete ich die draußen vorüberziehenden endlosen Straßenschluchten, mit bester Sicht, dank breiter Panoramafenster. Braune, aus ungebrannten Lehmziegeln errichtete Hütten, standen im Wechsel mit gleichfalls ganze Straßenzüge füllende moderne Villen, deren visueller Kontrast nicht hätte größer sein können, nur ab und zu unterbrochen von Plätzen, Parkanlagen und vielen Kirchen aller Größenordnungen.