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Sehr viele Menschen haben im Laufe ihres Lebens schon einmal daran gedacht, sich selbst zu töten. Manche beschäftigen sich auch immer wieder mit Gedanken an den Tod. Suizidgedanken können in jedem Alter auftreten und betreffen Frauen gleichermaßen wie Männer. Psychische Erkrankungen, körperliche Einschränkungen, Enttäuschungen, Verluste, Einsamkeit und traumatische Erfahrungen lassen den Tod für viele als naheliegende Möglichkeit erscheinen. Der Ratgeber wendet sich an Menschen in einer suizidalen Krise sowie ihre Angehörigen und Freunde. Er liefert aktuelle Informationen dazu, wie sich Suizidgedanken und suizidale Krisen äußern, wie häufig Suizidgedanken auftreten und welche Ursachen es für die Entstehung suizidalen Erlebens und Verhaltens gibt. Zudem werden Maßnahmen vorgestellt, die dabei helfen können, die Entscheidung für den Tod nochmals zu überdenken, unwiderstehlich erscheinenden Impulsen zu trotzen und mit belastenden Symptomen zurechtzukommen. Darüber hinaus bekommen Angehörige und Freunde Hinweise für den Umgang mit suizidalen Personen. Informationen zu anonymen und zu persönlichen Hilfsangeboten – auch für eine möglicherweise akute Krise – bilden den Abschluss des Bandes.
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Suizidgefahr?
Ein Ratgeber für Betroffene und Angehörige
von Tobias Teismann und Wolfram Dorrmann
Ratgeber zur Reihe Fortschritte der Psychotherapie
Band 32
Suizidgefahr?
von Dr. Tobias Teismann und Dr. Wolfram Dorrmann
Herausgeber der Reihe:
Prof. Dr. Kurt Hahlweg, Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Jürgen Margraf, Prof. Dr. Winfried Rief
Begründer der Reihe:
Dietmar Schulte, Klaus Grawe, Kurt Hahlweg, Dieter Vaitl
Dr. Tobias Teismann, geb. 1975. Seit 2012 Geschäftsführender Leiter des Zentrums für Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum. Arbeitsschwerpunkte: Arbeit mit Ressourcen in der Psychotherapie, Depression und depressives Grübeln, Suizidalität und Suizidprävention.
Dr. Wolfram Dorrmann, geb. 1954. Seit 1987 als Psychologischer Psychotherapeut und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut niedergelassen, zunächst in Bamberg und heute in Fürth. Arbeitsschwerpunkte: Behandlung von depressiven und suizidalen Patienten, Psychotherapie bei Posttraumatischen Belastungsstörungen, Therapie sexueller Störungen, Imaginative Verfahren, Hypnose und Systemische Therapie. Seit 1999 Leiter des staatlich anerkannten Ausbildungsinstituts für Verhaltenstherapie, Verhaltensmedizin und Sexuologie (IVS) in Nürnberg.
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Wichtige Gedanken zur Einleitung
1 „Suizidalität“ – was ist das?
1.1 Wie äußert sich Suizidalität?
Erwägungsphase
Abwägungsphase
Entscheidungsphase
1.2 Wer leidet unter Suizidalität?
Psychische Erkrankungen
Körperliche Erkrankungen
Belastende Lebensereignisse
1.3 Wie entwickelt sich Suizidalität weiter?
1.4 Wie wirken suizidale Menschen auf andere?
2 Wie entsteht „Suizidalität“?
Eindruck des Gefangenseins
Hoffnungslosigkeit
Eindruck, eine Last für andere zu sein
Fehlendes Zugehörigkeitserleben und Einsamkeit
Impulsivität
Nachahmungssuizide und die Bedeutung des Internets
3 Was kann man dagegen tun?
3.1 Kann man selbst etwas tun?
3.1.1 Wie gefährdet bin ich derzeit?
3.1.2 Ambivalenz erleben
3.1.3 Umgang mit belastenden Gedanken und Überzeugungen
3.1.4 Gefühle regulieren
3.1.5 Selbstkontrolle stärken
3.1.6 Aktiv bleiben
3.1.7 Nach einem Suizidversuch
3.2 Wie sieht die Behandlung aus?
4 Was kann ich als Angehöriger tun?
4.1 Wann und wie frage ich nach Suizidgedanken?
Die Person spricht von Suizidgedanken
Die Person trifft Vorbereitungen
Die Person verhält sich auffällig
Die Person verletzt sich selbst oder verhält sich riskant
Die Person schildert Hoffnungslosigkeit, Einsamkeitserleben und/oder den Eindruck eine Last zu sein
Die Person leidet an einer psychischen Erkrankung
Die Person ist von einer ernsthaften körperlichen Erkrankung betroffen
Die Person hat einen oder mehrere bedeutsame Verluste erlebt
Die Person wurde traumatisiert
Die Person wurde einer extremen Demütigung ausgesetzt
Die Person wurde jüngst aus stationärer psychiatrischer Behandlung entlassen
4.2 Was mache ich, wenn die Person akut suizidal ist?
Das Gespräch nicht abreißen lassen
Den Moment wichtig nehmen
Selbst aktiv werden
Suizidmittel beseitigen, unzugänglich oder unschädlich machen
Für sich selbst sorgen
Wenn Ihre Angst sich nicht beruhigen lässt
4.3 Wie kann ich mich verhalten, wenn ich den Eindruck habe, durch Suiziddrohungen manipuliert zu werden?
Eigene Grenzen erkennen
Sich selbst nicht vergessen
5 Hilfen für Betroffene und Angehörige
Anhang
Literatur
Glossar: Störungsbilder
Arbeitsblätter
Sehr viele Menschen haben im Laufe ihres Lebens schon einmal daran gedacht, sich selbst zu töten. Manche beschäftigen sich auch immer wieder mit Suizidgedanken. Diese können in jedem Alter auftreten und betreffen Frauen gleichermaßen wie Männer. Psychische Erkrankungen, körperliche Einschränkungen, Enttäuschungen und Verluste, Demütigungen, Einsamkeit und traumatische Erfahrungen können einen derart quälen, dass man beginnt, einen Suizid zu erwägen. Und vermutlich sind es genau solche Gedanken, die sie dazu bewogen haben, dieses Buch zur Hand zu nehmen. Möglicherweise haben Sie aber auch einen Suizidversuch überlebt und wurden von Angehörigen oder Therapeuten gebeten, dieses Buch zu lesen. So oder so ist davon auszugehen, dass es Ihnen momentan sehr schlecht geht. Sie selbst, Ihre Beziehungen und Ihr Leben sind nicht so, wie Sie es sich erhofft und gewünscht haben (und wie es Ihnen zu wünschen wäre). Vielleicht sind Sie aber auch ein Freund oder Angehöriger, der sich um eine nahestehende Person sorgt und es geht Ihnen darum, Wege und Möglichkeiten zu finden, wie Sie helfen können.
Dieses Buch informiert Sie zunächst über den aktuellen Wissenstand zum Erscheinungsbild, zur Häufigkeit und zu den Ursachen suizidalen Erlebens und Verhaltens. Vieles von dem, was wir in den ersten beiden Kapiteln beschreiben, wird Ihnen in ähnlicher Form möglicherweise bekannt sein. Dennoch kann es sein, dass es Kleinigkeiten in der Darstellung sind, durch die Ihnen manches an Ihrer eigenen Situation verständlicher wird. Unserer Erfahrung nach sind eine sorgfältige Analyse und eine genaue Betrachtung des Problems besonders wichtig, wenn eine gute Lösung gefunden werden soll: Alles was Ihr bisheriges Denken erweitert, könnte Ihren Entschluss beeinflussen. Wenn Sie aber wirklich glauben, Sie haben dafür keine Zeit mehr und Sie brauchen sofort Hilfe, dann schlagen Sie bitte gleich das dritte Kapitel auf! Hier stellen wir Ihnen Maßnahmen vor, die Ihnen dabei helfen können, ihre Entscheidung nochmals zu überdenken, unwiderstehlich erscheinenden Impulsen zu trotzen und mit belastenden Symptomen zurechtzukommen. Die beschriebenen Strategien sind ein fester Bestandteil krisentherapeutischen Arbeitens und sind somit sehr gut erprobt. Das vierte Kapitel richtet sich schließlich besonders an Angehörige und Freunde. Hier finden Sie Hinweise und Empfehlungen für den Umgang mit suizidalen Menschen.
|8|Selbsttötung ist ein Tabuthema und über die meisten Tabuthemen existieren auch sogenannte Mythen. Ein Mythos ist eine Art Aberglaube. Er wird gerne verbreitet, klingt überzeugend, ist aber unwahr. Meist stimmt sogar das Gegenteil davon. Gängige Mythen zum Suizid werden wir Ihnen in den verschiedenen Kapiteln des Buches vorstellen.
Nun gibt es in der Regel keine schnellen Lösungen für schwerwiegende Probleme und scheinbar ausweglose Situationen. Durch das Lesen eines Buches lösen sich Schuldenberge nicht auf, öffentliche Bloßstellung endet nicht und Geliebte und Verstorbene kehren genauso wenig zurück wie Gesundheit oder die verlorene Gemeinschaft. Wir hoffen dennoch, dass dieses Buch Ihnen dabei hilft, die Frage, ob Sie wirklich den Tod als Lösung für ihre Probleme wählen wollen, gründlich zu überdenken. Sie erwägen einen Schritt, der sich nicht rückgängig machen lässt: Möglicherweise wählen Sie hiermit eine endgültige Lösung für ein schwieriges, aber zu bewältigendes und damit vorübergehendes Problem. Gerade im Fall weitreichender Entscheidungen ist es gut, sich Zeit zu lassen und nicht vorschnell aus einer Stimmung heraus zu handeln. Wir haben mit vielen gesprochen, die keinen anderen Ausweg als den Tod sehen konnten. Unsere Erfahrungen zeigen aber, dass die meisten Menschen in einer scheinbar hoffnungslosen Situation, wie Sie sie möglicherweise auch gerade erleben, auch wieder Abstand zu dieser Idee bekommen. Sie nehmen sich nicht das Leben – selbst, wenn Sie ernsthaft und lange darüber nachgedacht haben. Und die allermeisten derjenigen, die in verzweifelter Stimmung und Lage einen Suizidversuch unternehmen, probieren es kein zweites Mal, sondern finden andere Wege, mit Ihren Schwierigkeiten umzugehen. Es gibt also durchaus Gründe anzunehmen, dass es auch für Sie solche Hilfen und Alternativen gibt.
Nun ist es nicht leicht, über Selbsttötung zu sprechen. Wen kann man überhaupt ansprechen? Wie soll man das Thema ansprechen? Was passiert, wenn man anderen von der Idee, sterben zu wollen, erzählt? Was ist zu tun, wenn Suizidgedanken anhalten oder zunehmen? Es gibt keine kurzen oder einfachen Antworten. Es gibt auch keine Patentrezepte. Mit diesem Ratgeber möchten wir Ihnen helfen, sich mit möglichen Lösungen näher zu befassen und Zeit für eine Entscheidung zu gewinnen. Mehr kann ein Buch nicht leisten. Sie wissen wahrscheinlich selbst, dass der unmittelbare Austausch mit anderen, deren Zuwendung und Unterstützung meist hilfreichere Mittel sind, um aus eine solchen Krise wieder herauszukommen. Manche zunächst unvorstellbaren Lösungsideen bekommen häufig erst in einem vertrauensvol|9|len Gespräch mit einem anderen Menschen die Glaubwürdigkeit, die notwendig ist, um wieder Hoffnung zu erleben. Wenn es in Ihrem Umfeld niemanden gibt, mit dem Sie offen und ehrlich über Ihre Verzweiflung sprechen können, dann sollten Sie sich unbedingt zusätzlich an eine ausgebildete Fachkraft wenden. Tun Sie dies vor allem dann, wenn Sie sich auf die hier geschriebenen Sätze gar nicht mehr richtig konzentrieren können. Die Informationen zu anonymen und zu persönlichen Hilfsangeboten finden Sie im letzten, also im 5. Kapitel des Buches.
Auch für Angehörige bietet es sich an, auf Unterstützungsangebote von Freunden einzugehen und sich vielleicht sogar Hilfe bei Fachkräften zu suchen: Die Begleitung einer suizidalen Person ist beängstigend, verwirrend und bedarf eines langen Atems. So wie Therapeuten in Supervision gehen, also Gespräche mit erfahreneren Kollegen suchen, kann es für Sie genauso hilfreich sein, sich beraten und unterstützen zu lassen.
Sollten Sie als Betroffener1 Vorbehalte gegenüber professionellen Beratern, Psychologen und Psychiatern haben, sollten Sie befürchten, dass diese Sie nur von einem Suizid abbringen möchten, dann machen Sie sich klar, dass Ihnen die Möglichkeit eines Suizides nicht abhanden kommen wird. Letztlich wird nichts und niemand Sie abhalten können, wenn Sie sich einmal entschieden haben. Das Einzige was passieren kann ist, dass Sie Ihre Entscheidung vielleicht etwas später als geplant umsetzen. Sie haben also nichts zu verlieren, aber im Zweifelsfall sehr viel zu bewahren und zu gewinnen – für sich selbst und für Ihre Mitmenschen, Ihre Kinder, Eltern, Partner, Freunde, Kollegen und Bekannten.
Wir wünschen Ihnen, dass die Gedanken und Anregungen auf den folgenden Seiten Ihnen dabei helfen können, diese schwierige Zeit durchzustehen und vielleicht auch manches Problem anders zu sehen oder sogar zu überwinden.2
Bochum und Fürth, im Dezember 2014
Tobias Teismann
und Wolfram Dorrmann
Aufgrund der einfacheren Schreibweise und wegen des flüssigeren Lesens haben wir uns für die männliche Form entschieden. Natürlich sind auch immer die weiblichen Betroffenen, Beraterinnen, Psychotherapeutinnen und Medizinerinnen sowie weibliche Angehörige, Freundinnen und Patientinnen etc. gemeint.
Wir bedanken uns an dieser Stelle bei Bernd Geißer, Anna Matthey, Rixa Meyer, Verena Uebler und Stefan Zeh, die uns bei der Überarbeitung der Texte und bei notwendigen Recherchen geholfen haben.
Für jemanden, dessen Finger von einer zuschlagenden Tür getroffen ist, gibt es nichts in der Welt außer Finger und Schmerz. Ebenso für den Suizidanten: Der Schmerz macht die ganze Welt aus.
(Haim Omer & Avshalom C. Elitzur, 2003)
Suizidalität ist kein Alles-oder-nichts-Phänomen. Der Begriff umfasst vielmehr die ganze Bandbreite von lebensmüden Gedanken, wie z. B. „Manchmal wäre es mir am liebsten, ich würde einfach nicht mehr aufwachen“, über Suizidwünsche wie „Die am Friedhof sind zu beneiden“ und konkrete Suizidabsichten „Ich schlucke einfach alle meine Tabletten, das wird schon reichen“ bis hin zur Selbsttötung. Häufig verläuft die Entwicklung von Todeswünschen hin zur Selbsttötung in mehreren Phasen: Zunächst denkt man noch vage über die eigene Tötungsmöglichkeit nach („Erwägungsphase“), dann beginnt man sich ausführlicher mit den Vor- und Nachteilen des eigenen Todes auseinanderzusetzen („Abwägungsphase“) und schließlich trifft man eine Entscheidung für oder gegen einen Suizid („Entscheidungsphase“). Das Ergebnis dieser Überlegungen ist dabei relativ lange offen. Zu jedem Zeitpunkt der Auseinandersetzung ist ein Ausstieg möglich (vgl. Abbildung 1). Welche Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen mit den einzelnen Phasen einhergehen wird im Folgenden beschrieben.
Die Möglichkeit einer Selbsttötung rückt in der Regel dann ins Blickfeld, wenn es zu plötzlichen und krisenhaften Veränderungen im Leben kommt, beispielsweise aufgrund des Verlustes einer geliebten Person, durch den Verlust einer ersehnten Vorstellung für die eigene Zukunft, aufgrund finanzieller, familiärer und beruflicher Belastungen sowie durch demütigende und traumatische, also extrem belastende Erfahrungen. Von besonderer Bedeutung ist zudem das Ausbrechen seelischer und körperlicher Erkrankungen wie auch das Ausbleiben von Heilung oder Linderung eben dieser Erkran|11|kungen. Lange Zeit behauptet man sich gegen das Leid und die Schwierigkeiten, aber irgendwann ist eine Grenze erreicht, über die hinaus nichts mehr ertragen und ausgehalten werden kann. Nachlassende Kraft und zunehmende Gefühle von Überforderung, Hoffnungs- und Sinnlosigkeit lassen den eigenen Tod als naheliegende Idee erscheinen. Als gedankliche Möglichkeit ist der Suizid in solchen Situationen sicher den wenigsten Menschen fremd; vielmehr können sich die meisten Menschen an Phasen in ihrem Leben erinnern, in denen sie nicht wussten, ob sie am nächsten Tag wirklich nochmal aufwachen wollten. Lebensmüdigkeit und Suizidgedanken als Reaktion auf schwerwiegende Belastungen sind also durchaus normal.
Abbildung 1: Phasen suizidaler Krisen
In dieser frühen Phase sind Suizidgedanken zumeist noch ungenau ausgeformt: Es prägen weniger Suizidabsichten und -pläne das Erscheinungsbild, als vielmehr eine passive Lebensmüdigkeit, die in Äußerungen wie „Manchmal möchte ich nur noch schlafen“, „Wenn mich jetzt ein Laster überrollen würde, dann wäre das auch okay“ zum Ausdruck kommen kann. Die Erwägungsphase kann sehr schnell oder aber erst nach längerer Zeit in die Abwägungsphase münden oder aber unmittelbar mit einer Entscheidung für das Leben verlassen werden.
In der Abwägungs- oder Ambivalenzphase setzen sich Menschen intensiver mit einer Selbsttötung auseinander. Der Begriff Ambivalenz bedeutet, dass man sich zwischen widerstreitenden Gefühlen und Gedanken hin- und hergerissen fühlt: Man ist in einem Zustand der Unentschiedenheit. Man möchte nicht mehr leben, aber sterben und tot sein, möchte man auch nicht. Ambivalenz ist etwas, was wir im Alltag sehr oft erleben: Man ist von seiner Partnerschaft nicht mehr begeistert und gleichzeitig hat man Angst davor, alleine zu sein. Man würde gerne den Job wechseln und gleichzeitig weiß man nicht, ob man einem neuen Job gerecht wird, usw. Ambivalenz ist kein Zeichen dafür, dass etwas nicht mit einem stimmt, sondern eine normale Begleiterscheinung von schwierigen Entscheidungen. Gleichwohl ist der Zustand der Ambivalenz ein sehr quälender; insbesondere dann, wenn es um Leben und Tod geht.
In dieser Phase deuten viele Betroffene ihre Suizidgedanken in kurzen Äußerungen oder Gesprächen an, andere beginnen mit einem Suizid zu drohen. Es fallen Sätze wie: „Ich könnte mit allem Schluss machen“, „Am liebsten wäre mir, ich wäre schon tot“, „Ihr werdet schon sehen, wenn ich nicht mehr da bin“. In unserer Arbeit erleben wir, dass Patienten in dieser Phase häufig anfangen, von ihren Suizidabsichten ausführlicher zu sprechen. Dieses Sprechen kann nun verschiedene Gründe haben: Oft kommt hier der „lebenswillige Teil“ der ambivalenten Person zur Sprache, der auf seine Not hinweisen möchte, der nicht sterben will und der darauf hofft, von anderen Unterstützung und Hilfe zu erhalten, manchmal kommt hier aber auch der „lebensunwillige“ Teil zur Sprache, der sich noch einmal davon überzeugen will, dass sich ohnehin niemand kümmert, der die Bestätigung sucht, dass es okay ist zu sterben.